Kategorie: Betrachtungen
Da hat er alle Zeit der Welt
Jetzt hat es also begonnen, ES, worauf die Welt seit vier Jahren gewartet hat, wenn man dem medialen Getöse der letzten Wochen glauben darf: Die FIFA Fußball-Weltmeisterschaft Brasilien 2014TM. Das „TM“ steht dabei weder für Transfermarkt noch für Transzendentale Meditation, sondern für eine unregistrierte Handelsmarke, der Vorstufe zu einem eingetragenen Warenzeichen. Diese hat zwar (zumindest in Deutschland) noch keine rechtlichen Konsequenzen – das heißt, ich könnte meinen Blog jetzt auch so nennen, ohne mit Herrn Blatter in Konflikt zu geraten – weist aber darauf hin, dass es dabei doch um etwas mehr geht als nur um Fußball.
Nein, das hier wird keine Abhandlung zu den sozialen und wirtschaftlichen Kollateralschäden dieser WM in Brasilien, keine Kampfschrift wider eines der letzten totalitären Systeme dieser Welt namens FIFA, auch keine Enthüllung zu den dubiosen Umständen der Vergabe der Austragung an Katar nebst den unmenschlichen Zuständen auf den Baustellen dort. Das alles ist schon gut recherchiert irgendwo nachzulesen, und doch wird es in den nächsten vier Wochen nur wenige interessieren. König Fußball ist an der Macht, und der teilt diese nicht mit anderen. Absolute Monarchie nennt man das wohl.
Wobei das so ja auch nicht stimmt. Einige Damen und Herren im politischen Betrieb behalten sicher kühlen Kopf und die Fäden in der Hand. Und so darf man gespannt sein, welche heiklen Vorlagen auf den Tagesordnungen diverser Parlamente in den nächsten Wochen erscheinen und welche Verordnungen im großen Schatten des Fußballs in Kraft gesetzt werden.
Immerhin, bei einem hat sich das Volk, der wahre Herrscher, schon im Vorfeld durchgesetzt: Public Viewing zählt jetzt als Sportveranstaltung, was dessen Durchführung auch nach Mitternacht erlaubt, unter deutlich gelockerten Bedingungen für den nächtlichen Lärmschutz. Man muss das nicht verdammen und sich als Spaßbremse betätigen; wenn das öffentliche Interesse daran derart groß ist, wie es scheint, ist eine Regierung klug beraten, hier eine (befristete) Sonderregelung zu schaffen. Jeder Widerstand wäre ohnehin von einer medialen Sturmfront unter Führung der BILD hinweggeblasen worden.
Überhaupt scheint die BILD einer der ersten Gewinner dieser Weltmeisterschaft zu sein. Ihre Sonderausgabe zur WM, die in einer Auflage von 42 Millionen kostenlos und unaufgefordert unter das Volk gebracht wurde, steckte auch in meinem Briefkasten. Das wird sich unter dem Strich sicher gelohnt haben, auch wenn ich leider nicht erzählen kann, was drinstand. Mein Bio-Eimer bedurfte dringend der Leerung, und das ganze große Blatt ging leider für die Entsorgung des Inhalts, der gründlichen Reinigung des Gefäßes und einer vorsorglichen Auspolsterung desselben drauf. Da ich wunschgemäß sonst nie Werbung bekomme, war ich für diese Steilvorlage zur Erhöhung der häuslichen Ordnung und Sauberkeit durchaus dankbar.
Doch es gibt noch weitere potentielle Gewinner, die gar nicht mitspielen. Mein Konsum („Konnsumm“ gesprochen, liebe West-Leser, nicht „Konsuhm“) surft auch auf dieser Welle und will mir Fähnchen und einen Autospiegel-Überzieher in den Nationalfarben verkaufen, auch Gummi-Bälle sind zu haben. Am Tschibo-Regal gibt es zudem Shorts und (ungelogen!) „Zehen-Teiler“ (vulgo als Flip-Flops bekannt) in dieser leider nicht sehr kleidsamen Farbkombination.
Nun unterläuft zwar auch mir gelegentlich ein Spontankauf, doch in diesem Falle wog ich den Nutzen der Erwerbung vorher ab: Es würde die deutsche Sache wohl kaum voranbringen, wenn ich mir fortan ein Fähnlein irgendwohin binden würde, und um die Nationalflagge unter den Füßen zu haben und mit jedem Schritt buchstäblich draufzutreten, hab ich zu viel Respekt vor staatlichen Symbolen.
Ohnehin glaube ich – und da müssen wir alle jetzt sehr tapfer sein – dass das ganze Fahnenschwenken und die tollen Sprechchöre vor der deutschen Großleinwand im fernen Brasilien gar nicht zu sehen resp. zu hören sind. Schweini und wie die alle heißen werden das gar nicht mitbekommen, wenn sich das deutsche Fanvolk am Brandenburger Tor, auf den Elbwiesen und anderswo zur La Ola erhebt. Doch sie werden sicher professionell genug sein, auch ohne diese Anfeuerung engagiert ihrem Beruf nachzugehen.
Aber immerhin das Fernsehen wird dankbar sein für diese Bilder, aus der Heimat für die Heimat, und da es ja meist an Anhängern der gegnerischen Mannschaft mangeln wird, spielt sich die Euphorie in größter Eintracht ab, fast wie bei einem Gottesdienst.
Was aber tun, wenn man nicht diesem Glauben angehört?
Eine seit Jahrzehnten bei Fußballreportern beliebte Wendung, wenn einer mutterseelenallein vor dem Tore steht, ist: „Da hat er alle Zeit der Welt!“ Oftmals folgt dieser Beschreibung dann ein Ausruf der Enttäuschung, wenn jener Eine dann die Zeit nicht sorgsam nutzte, sondern den Ball spontan irgendwo hingeballert hat und eben nicht „reinmachte“ (auch das eine beliebte Wendung). Das soll mir nicht passieren.
Mein Turnierplan ist nämlich fast fertig:
In der Gruppenphase werde ich zunächst mal analog und digital aufräumen. Ich denke, dass ich mich damit für die nächste Runde qualifizieren kann, und sei es mit drei Unentschieden.
Dann denke ich nur noch von Spiel zu Spiel, egal, ob die Gegner aus dem Bereich Theater, Literatur, Kino oder gar dem selbstbetriebenen Sport kommen. Ein ganz harter Brocken wird im Halbfinale auf mich warten, mit einem Arbeitspaket, das ich extra für diese Tage aufgehoben habe.
Und dank meiner gefürchteten Turnierqualitäten werde ich es dann auch in das Finale schaffen, an dem ich – mir zur Belohnung – in der VIP-Lounge der Schankwirtschaft meines Vertrauens teilnehmen werde. So marschier ich durch bis zum Titel.
Ich muss zum Ende kommen, mehr als neunzig Minuten hab ich mir nicht gegeben für dieses Eröffnungsspiel, und die sind eben rum. Brasilien habe gewonnen, höre ich, neben der FIFA, der BILD, dem Einzelhandel und der Gastronomie. Und neben mir.
Theater von unten – Zwischenrufe aus dem dunklen Parkett
Eine Sammlung subjektiver Schauspielberichte aus Dresden seit der Spielzeit 2011
Anstelle einer Inhaltsbeschreibung zwei Vorworte:
1. Fiktives Vorwort einer imaginären Fachkraft
Was soll das denn?
Nicht nur, dass sich diese Teichelmauke erdreistet, im Revier der hehren Theaterkritik zu wildern (als eine Art IKEA im gediegenen Möbelmarkt), nun fasst er diese Ärgernisse auch noch digital zusammen und wirft sie in die Welt. Das will doch keiner lesen!
Und wenn doch, entspringt dieser Wille nur mangelnder Ernsthaftigkeit im Umgang mit dem hehren Medium Theater, zu dem man sich nur (!) eine Meinung bilden kann, wenn man zumindest Geisteswissenschaften studiert hat und jedes Stück aus dem Schauspielführer schon mindestens dreimal sah, davon einmal durch die Herren Reinhardt, Peymann, Stein, Konwitschny, Thalheimer, Petras, Kriegenburg, Pollesch oder den vielen Hartmännern inszeniert. Erst dann kann man mitreden.
Diese Teichelmauke (Schon der Name! Albern!) kann dies nicht aufweisen. Er stammt „aus der „Mitte des Parketts“, wie er selber theatervolkstümelnd schreibt. Was soll denn das bringen?
Natürlich spielt das Publikum am Theater eine Rolle. Aber doch keine aktive! Dessen Aufgabe ist es, andächtig zu lauschen und zu schauen, möglichst wenig zu husten und am Ende mit stürmischem Beifall das Stück abzurunden. Auch Bravo-Rufe sind erlaubt, sofern der zuständige Kritiker der Inszenierung seinen Segen gegeben hat. So war es immer, und so soll es bleiben.
Und nun kommt einer daher, der zugegebenermaßen oft im Theater zu finden ist (aber Masse erzeugt noch lange keine Klasse, mein Freund!) und schreibt auf, was er erlebte. Clevererweise nennt er das weder Rezension noch Kritik, trotzdem ist das reine Produktpiraterie. Die Chinesen sind nun also auch im Theater angekommen.
Aber man kann es ja nicht verhindern. Heute kann jeder veröffentlichen, was er will. Und wenn nun auch auf über hundert Seiten über fünfzig Stücke „besprochen“ werden, es wird den Lauf der Theatergeschichte nicht verändern.
2. Vorwort der Teichelmauke
Ja, sicher. Soll es auch nicht. Na und?
Der Ansatz ist auch eher selbstbezogen.
Wenn man – mit steigender Intensität – seit fünfzehn Jahren immer wieder ins Theater geht, kommt irgendwann der Moment, wo man trotz des sich selbst eingestandenen Dilettantismus glaubt, ein bisschen mitreden zu können. Und wenn es dann noch so eine großartige Initialzündung wie den Dresdner „Don Carlos“ gibt, die einen dazu bringt, seine tiefen Eindrücke irgendwie zu Datei zu bringen, kann das durchaus dazu führen, dass man dieses Hobby weiter pflegt, auf verschiedenen Plattformen seine Betrachtungen unters interessierte Volk bringt und sich fürderhin als „Bürgerrezensent“ begreift.
Wenn es eine Bürgerbühne gibt, die Laien zum Spielen bringt, kann es auch so weit kommen, dass Laien über das Theater schreiben. Es ist mit allem zu rechnen, seitdem die Chefredakteure nicht mehr die alleinige Hoheit über das haben, was veröffentlicht wird.
Meine Texte sind Beiträge, nicht mehr. Ich füge meine Meinung den Bewertungen der „offiziellen“ Kritiker hinzu, wenn auch mit geringerer Reichweite. Aber das ist ok, es geht ja nicht um Bekehrung oder um Deutungshoheit. Eigentlich …, eigentlich mach ich das nur für mich. Aber ich lasse andere, die es vielleicht interessiert, daran teilhaben.
Was allerdings vielleicht ein Alleinstellungsmerkmal darstellt, sind meine Bestandskritiken. Wer schreibt schon über Repertoirestücke? Eigentlich aus der Not geboren – ich kann nun mal nicht bei jeder Premiere dabei sein – hat sich dies zu einem netten Hobby entwickelt.
Und nun gibt es halt gesammelte Werke. Der erste Akt ist dem Staatsschauspiel Dresden gewidmet, dessen Hervorbringungen meine theatrale Hauptspeise in den letzten Jahren war. Ein geplanter zweiter Akt soll dann die Gastspiele beleuchten, und das reizvolle weite Umland von Dresden.
Und: Man sollte das alles nicht so hoch hängen. Kunst soll Spaß machen. Und das Schreiben darüber auch.
Ich zumindest hatte den, und das wünsche ich den geneigten Lesern auch.
Hier zu finden:
https://www.xinxii.com/theater-von-unten-p-353248.html
Nimm es nicht persönlich
Vom Verhältnis zwischen Mensch und Funktion
Das diese Betrachtung auslösende Ereignis ist hier nicht weiter zu vertiefen und war an sich auch deutlicher weniger negativ als es erstmal klingt, aber es brachte mich zu einigen grundsätzlichen Erwägungen.
Wenn man für etwas, vorzugsweise eine Tätigkeit, bezahlt wird, kann man sicher immer davon ausgehen, im Rahmen davon als entpersönlichte FUNKTION zu agieren. Wäre auch ungünstig, wenn der ICE-Zugbegleiter jede Beschwerde eines Reisenden über Unpünktlichkeit seelisch mit nach Hause nähme. Da müsste die Bahn noch ein paar Psychologen mehr einstellen.
Aber der Umkehrschluss gilt nicht: Wenn man sich freiwillig einer Gruppe zuordnet, nehmen wir das Beispiel Fußballfan, bleibt man zwar für alle seine Handlungen selbst verantwortlich, wird aber von außen nicht mehr als Individuum wahrgenommen, sondern als Teil einer (zumindest mir unangenehmen) Masse. Und so kann ich zwar das gutturale Kampfgebrüll als Ganzes dämlich finden, muss das aber nicht zwingend bei jedem auch tun, der da aus welchen Gründen auch immer mitgrölt. Der mag im Einzelfall im normalen Leben durchaus ein netter Mensch sein, ich will das nicht ganz ausschließen.
Aber es soll hier nicht um Gruppendynamik und –rituale gehen, sondern um die Momente, wo man wirklich allein auf sich selbst angewiesen ist. Und da fallen mir eigentlich nur zwei Bereiche ein:
Der des Arbeitsmarktes (also das Suchen nach und das Bestehen in einem Job) einschließlich der Ausbildung dafür ist der Eine. Hier muss man sich als Mensch, als PERSON bewähren, ohne sich in einer Gruppe verstecken zu können, mit der wichtigen Ausnahme, dass man für eine (ungünstige) gesamtwirtschaftliche Situation nicht selbst verantwortlich ist, diese also „nicht persönlich nehmen“ sollte, wenn man deswegen keinen Job findet.
Der zweite große Bereich ist das weite Feld des Zwischenmenschlichen in allen Facetten von Familie, Freundschaften bis hin zur Balz. Hier die in der Überschrift genannte Aufforderung zu befolgen, fiel mir bislang schwer. Denn wie anders kann man denn Entscheidungen von anderen, die die eigene Person betreffen, nehmen, wenn nicht „persönlich“? Das beweist doch schon die Semantik.
Wenn dann aber doch jemand darauf beharrt und das nicht nur als Trostpflaster verstanden wissen will, und man demjenigen das auch gerne glauben und über die angebotene Brücke gehen möchte, was ja letztlich auch besser für das eigene Selbstwertgefühl ist, lohnt es sich ein wenig drüber nachzudenken.
Dies führt dann irgendwann nach dem vierten Grauburgunder zu einer dritten Kategorie: Der ROLLE.
Die muss irgendwo zwischen PERSON und FUNKTION liegen, ob in der Mitte oder eher einer von beiden mehr zugeneigt, hängt sicherlich auch von der konkreten Situation ab. Die ROLLE ist etwas, was man auf Grund seiner PERSON einnehmen kann (nicht jeder ist logischerweise für jede Rolle geeignet), worin man dann aber im Wesentlichen als FUNKTION wahrgenommen wird. Ob man dann auch funktional agiert, möchte ich für mich gerne verneinen, ganz ausschließen kann ich es aber nicht.
In diese ROLLE rutscht man nicht von selbst, sondern durch Fremdwahrnehmung, und – glücklicherweise – ist einem das während des Rollenspiels meist auch gar nicht bewusst. Man selbst fühlt sich als PERSON, doch für das Gegenüber ist man in einer – durch dieses – definierten ROLLE.
Die geneigte Leserin merkt schon, worauf das jetzt hinausläuft: Ein Text zur Bewältigung. Nicht immer ist man ja glücklich mit der einem zugedachten ROLLE, zumal wenn das Spiel anders ausgeht als erhofft. Man sucht den Grund in der PERSON, in sich selbst, nimmt es also persönlich.
Da ist die Begrifflichkeit der ROLLE dann schon eine goldene Brücke zurück zum Selbstbewusstsein. Die ROLLE war halt so angelegt, es wirkten Mechanismen, auf die man keinen Einfluss hatte. Na also.
Und die PERSON, der Mensch also, im konkreten Falle ich, freut sich über wiedergewonnene Stabilität. Es lebe die Dialektik.
ICE mit Tunnelblick oder Der Alibizug
Warum täglich zwei ICE der Deutschen Bahn in Leipzig eine Stadtrundfahrt machen
Leipzig-Engelsdorf, fünf vor zwei am Nachmittag. Mein ICE von Dresden hat Leipzig Hbf fast erreicht, das wird ja heute deutlich früher als im Fahrplan steht? Auch mal schön.
Doch was ist das? Der Zug wird langsamer, biegt nach links ab. Der Güterbahnhof bleibt zurück, wir durchfahren frühlingshaft bunte Stadtviertel wie Anger-Crottendorf und Stötteritz, passieren das Völkerschlachtdenkmal und das imposante MDR-Gebäude. Eine Umleitung? Dann wird es dunkel.
Die S-Bahn-Station Bayerischer Bahnhof zieht vorüber, auch die am Markt, der Zug fährt jetzt sehr langsam, einmal kommt er auch zum Stehen, ehe er dann doch Leipzig Hbf erreicht, pünktlich um 14.08 Uhr, wenn auch 50 Meter tiefer als gewohnt.
Ein Versehen? Nein, das ist jetzt immer so. Leipzig Hbf (tief), wie der Bahnsteig unter der Erde offiziell heißt, bekommt täglich zwei ICE zu Gesicht, neben jenem nach Düsseldorf, in dem ich gerade sitze, auch einen nach Dresden.
Um das zu erklären, muss man mal wieder ein wenig weiter ausholen. Der City-Tunnel Leipzig, der im letzten Dezember feierlich in Betrieb gegangen ist und seitdem das Rückgrat des mitteldeutschen S-Bahn-Netzes bildet, hat eine lange Planungsgeschichte. Anfang der neunziger Jahre, als das Vorhaben dann konkreter wurde, war noch nicht entschieden, ob die geplante Neu- und Ausbaustrecke von Nürnberg nach Halle und Leipzig über Coburg und Erfurt geführt oder einen Weg weiter östlich nehmen würde, der sich eher an den vorhandenen Strecken orientiert hätte. Im zweiten Falle wäre ein Tunnel unter Leipzig, der fast genau von Süd nach Nord verläuft, sehr praktisch gewesen, um den alten Kopfbahnhof schneller zu durchfahren. Der Freistaat Sachsen hatte dies natürlich erkannt und dieses Argument neben den unbestreitbaren Vorteilen für den Nahverkehr taktisch geschickt in die Waagschale geworfen, als es an die Finanzierungsverhandlungen ging. Seitdem heißt der Tunnel eben „City-“ und nicht „S-Bahn-“, und der Bund stimmte zu, einen Teil der Kosten aus dem Topf für Fernverkehrsprojekte zu bezahlen.
Inzwischen ist die Lage eine andere: Die NBS Erfurt – Halle / Leipzig wird im nächsten Jahr in Betrieb gehen, die ABS/NBS Nürnberg – Erfurt folgt zwei Jahre später. Der Fernverkehr der DB zwischen Bayern und Berlin, der heute über den Frankenwald und durch das Saaletal fährt, hat künftig ein Drehkreuz in Erfurt, von einer Führung der Züge über Hof, Zwickau und Altenburg ist keine Rede mehr.
Was aber blieb, ist die Finanzierungsvereinbarung zum City-Tunnel Leipzig. Dort ist Fernverkehr erwähnt, und zumindest eine der Stationen, nämlich der Hbf, wurde ja auch mit entsprechend langen Bahnsteigen ausgestattet. Nur, welcher „weiße Zug“ sollte diese jetzt benutzen?
Man muss diese Finanzierungslogik nicht im Detail verstehen. Letztlich ist es alles Steuergeld, egal, ob es aus EU-Mitteln, vom Bund oder vom Freistaat Sachsen oder von der Stadt Leipzig kommt. Selbst die Gelder der DB AG, die auch zahlreich in das Projekt flossen, sind schlussendlich „Volksvermögen“, wie es früher einmal hieß, da die Deutsche Bahn ja weiterhin in Gänze dem Bund gehört. Welcher der Projektpartner wieviel und warum bei City-Tunnel bezahlt hat, gäbe eine eigene Geschichte her, für diese Erzählung reicht es zu wissen, dass mit dem nichtvorhandenen Fernverkehr im City-Tunnel ein veritables Problem bis hin nach Brüssel entstanden wäre.
Doch es fährt ja ein schneller Zug, sogar deren zwei, werden Bahn, Bund und Freistaat jetzt lächeln. Unstreitig tun sie das, der ICE 1745 um 11.50 Uhr nach Dresden und der ICE 1746 um 14.10 Uhr nach Düsseldorf, sogar der IC 1959 um 17.50 Uhr nach Dresden gibt sich noch die Ehre, es sind also strenggenommen sogar drei! Und am Wochenende gar noch einer obendrauf!
Und so kann auch die strengste Prüferin vom Rechnungshof nichts machen: Der Tunnel ist (auch) für den Fernverkehr gebaut, und es findet (auch) Fernverkehr statt. Alles in bester Ordnung, die sachgerechte Verwendung der Mittel kann testiert werden. Stempel drauf, zu den Akten.
Verkehrlich hat das große Kino, was die DB für Bund und Freistaat hier veranstaltet, jedoch keinen Sinn, es verwirrt eher die Reisenden. Man erwartet den ICE halt „oben“, und die zehn Minuten Fahrzeitverlängerung sind auch nicht wirklich schön.
Aber immerhin muss man zugeben, dass die Bahn das kleinste aller Übel wählte: Es wurde keinem Taktverkehr Gewalt angetan, sondern jenes ICE-Paar für den Alibiverkehr gewählt, das ohnehin „in freier Lage“ verkehrt. Dieses hat seine historischen Wurzeln übrigens in der früheren (InterRegio-) Mitte-Deutschland-Verbindung, die nach der Wende das Ruhrgebiet – damals noch über Gera und Chemnitz – mit Ostsachsen verknüpfte und heute rudimentär mit einigen ICE-Läufen weiterexistiert.
Der Wert umsteigefreier Verbindungen wird inzwischen auch bei der DB wieder anerkannt, zumal die Zielgruppe, also Menschen, die bequem reisen wollen, nicht ganz so zeitsensibel ist. Dies beschert jenen Direktverbindungen dann doch eine gewisse Renaissance und Bestandssicherheit.
Trotzdem ist der Schlenker durch die Leipziger Diaspora ein Ärgernis, nicht nur für die Reisenden. Es kostet schlicht auch mehr, länger und weiter zu fahren als es notwendig ist. Die Energie- und Personalkosten sind höher (auf einem Zug sind mindestens vier Leute am Arbeiten, drei Züge sorgen somit für geschätzt 300 Euro mehr am Tag), was sich im Jahr einschließlich Strom dann sicher schon auf gut 50.000 Euro hochrechnet. Ganz umsonst ist der Spaß also auch für die Bahn nicht.
Dass die DB es dennoch tut, hängt mit den vielfältigen und komplexen Verknüpfungen mit der politischen Landschaft zusammen, die diesem großen Konzern zu Eigen sind. Man muss das nicht grundsätzlich verdammen, als Bürger erwarte ich auch, dass die Politik Einfluss nimmt auf einen Bereich, der täglich die Mobilität von Millionen Menschen sichert, auch außerhalb der direkten Vertragsbeziehungen wie im Nahverkehr. Eine gewisse Transparenz sollte man dabei aber schon erwarten dürfen.
Der ICE im Leipziger S-Bahn-Tunnel hat also Gründe, ob gute, muss jede*r anhand der Fakten für sich entscheiden.
Die Eisenbahn, wie jeder weiß, besteht aus Wagen, Lok und Gleis, nur manchmal ist es eben doch ein wenig komplizierter.
Das Kerngeschäft der FDP ist die Symbolpolitik
Eine Betrachtung
Gleich eingangs muss ich mich korrigieren: Ich spreche von der sächsischen FDP. Von jener auf Bundesebene weiß ich es nicht, sie hat es schwer derzeit, wahrgenommen zu werden. Dafür tuten die sächsischen Freunde umso lauter.
Man kennt das aus dem Wald: Wer sich fürchtet, der pfeift. Je mehr Angst, desto größer der Lärm.
Die Angst bei jenen Sachsen, die sich frei und demokratisch nennen, muss sehr groß sein. Das „demokratisch“ will ich ihnen nicht absprechen (auch wenn die Landesliste zur letzten Bundestagswahl mit fünf Männern an der Spitze doch eine recht altmodische Demokratieauffassung offenbarte), aber frei? Frei von Angst sicher nicht.
Vor knapp fünf Jahren, als der Parteifreund „politische Großwetterlage“ sie mit einem heute kaum fassbaren Ergebnis von mehr als 13 Prozent in die sächsische Regierung spülte, konnte man vor Kraft kaum gehen. Nur Holger Zastrow hat wohl damals schon geahnt, was kommen würde und auf den stolzen Titel „stellvertretender Ministerpräsident“ verzichtet.
Selten zuvor hat sich seitdem eine Partei an der Macht derart entzaubert. Das Justizressort fand in der öffentlichen Wahrnehmung nicht statt, obwohl die sächsische Staatsanwaltschaft einen Skandal nach dem anderen produzierte. Wer kann auf Anhieb sagen, wie der sächsische Justizminister heißt? Eben. Ein gewisser Herr Martens ist es, ich musste auch nachschlagen.
Erst dieser Tage – die Landtagwahl zeigt sich am Horizont – tritt er mit einer hübsch designten Plakat-Kampagne zur modernen Verwaltung ans Licht. Doch diese ist genau das, was man hierzulande von der FDP kennt: Symbolpolitik.
Sein Parteifreund Morlok spielt auf dieser Klaviatur seit geraumer Zeit mit einiger Perfektion. Unsere Menschen haben lange darauf gewartet, an ihre Autos wieder die Kennzeichen aus den frühen Neunzigern zu pappen, als noch jedes Kaff den schönen Titel „Kreisstadt“ trug. Jene Autos können sie nun auch sonntags waschen. Was will man mehr als sächsischer Bürger und Kraftfahrer, wenn einem nun auch noch an Autobahnbaustellen von Smileys die aktuelle Stimmungslage vorgesagt wird? Friede, Freude, Eierkuchen.
Oder besser Eierschecke. Jene wurde PR-wirksam auf Autobahnraststätten vom Minister höchstpersönlich an berufsbedingt wochenendpendelnde Sachsen verteilt, in der vagen Hoffnung, bei diesen Heimatgefühle für dieses Bundesland zu entwickeln, in dem die FDP tapfer gegen den Mindestlohn kämpft. Das Gebäck ist sicher Geschmackssache, aber diese Aktion sorgte bestimmt für einige heitere Anekdoten am neuen Arbeitsplatz im Westen.
Die letzte Wohltat für unseren von Schwarz, Grün, Rot, Mittelrot und Grau (für mich die Farbe der AfD) bedrohten Freistaat: Holger Zastrow und Sven Morlok enthüllen Hinweisschilder an den Autobahnen rund um Dresden, der arme Dirk Hilbert musste auch mit. Auf jenen ist zu lesen, dass man jetzt in der Nähe von Dresden sei. Nun hat zwar jede Kuhbläke seit Jahren so ein Schildchen in schmutzigbraun, aber gerade für Dresden ist dies von immenser Bedeutung: Ich wage zu prophezeien, dass nun bald die ersten Schankwirtschaften hier öffnen werden, selbst Hotels sind schon in Planung. Bald wird sich Dresden nicht mehr retten können vor zufällig Vorbeifahrenden, die die überraschende Altstadtsilhouette angelockt hat. Und wir werden der FDP auf ewig dankbar sein.
Einen Punkt kann Herr Morlok mit Sicherheit auf der Habenseite verbuchen. Er hat den von den seinen Vorgängern schlecht verhandelten Vertrag zum City-Tunnel Leipzig konsequent erfüllt und darf sich nun mit der einzigen bedeutenden Infrastrukturmaßnahme bundesweit schmücken, die zu zwei Dritteln aus Landesmitteln bezahlt wurde. 600 Millionen Euro sind es gewesen, eine stolze Zahl. Dass jene dafür in Restsachsen fehlen und der Schienennahverkehr oftmals unter den Bedürfnissen bleibt (ob etwa der dringend nötige 15 min – Takt auf der S-Bahn-Linie 1 in Dresden jemals kommen wird, steht in den Sternen), nimmt man als sächsischer Patriot doch gern in Kauf.
Geld spielt ohnehin kaum eine Rolle, wenn es um die Parteiinteressen geht. Und so kann Herr Morlok auch eine windige Zusage für eine 90%-Förderung der Albertbrückensanierung in Dresden machen, wenn die im Sinne seines Vorsitzenden und Stadtratsfraktionschefs Zastrow geschieht, ohne jede Rechtsgrundlage übrigens.
Ging dieser Kelch gottlob am Steuerzahlenden nochmal vorüber, hat die Stadt Dresden nun die „Waldschlösschenbrücke“ an der Backe, deren Realisierung sich die hiesige FDP stolz an die Brust heftet (auf Bundesebene, vor allem im Auswärtigen Amt, war es übrigens auffällig still bei diesem international blamablen Thema). Allein die Unterhaltskosten der angeschlossenen Tunnel, die rund um die Uhr bewacht, belüftet und beleuchtet werden müssen, betragen über eine Million Euro im Jahr. Geld, das auch zur Sanierung des Dresdner Straßennetzes (über dessen Zustand die örtliche FDP wohlfeil schimpft) fehlt.
Letzter Geniestreich: Eine Dresdner Straße, die über eine fast durchgängig intakte Gründerzeitsubstanz und teilweise fast über Alleecharakter verfügt, soll für viel Geld zur Stadtschnelltrasse umgebaut werden, weil sie zufällig die kürzeste Verbindung vom (international bedeutungslosen) Flughafen Dresden zum Regierungsviertel darstellt. Auch hier hat sich die FDP weit herausgelehnt und kann und will nun nichts mehr annehmen, nicht einmal Vernunft.
Dass Herr Zastrow die DVB, jenes bundesweit gut angesehene Dresdner Nahverkehrsunternehmen mit hoher Kundenzufriedenheit, regelmäßig zur letzten Bastion des Bolschewismus erklärt, geht da fast als Unterhaltungskunst durch.
Wir wollen uns nicht falsch verstehen: Ein liberale und demokratische Partei hat in der Politik auf jeder Ebene ihre Berechtigung. Doch das, was die sächsische FDP anbietet und sich damit auch von der Mutterpartei abzugrenzen sucht, ist Sozialdarwinismus, vermischt mit Klientelbefriedigung und der erwähnten Symbolpolitik.
„Freiheit“ ist für Holger Zastrow und seine Schar das Recht des Stärkeren. Die Rechnung dafür wird es nach den Wahlen geben. Und die fällt deutlich höher aus als das dafür nötige Porto.
Faust – Macht – Kopf
Unvollendete Gedanken zum Faust
Die wenigsten unter uns werden es wissen (nicht jeder kann ein Eisenbahner sein): „Kopf machen“ bedeutet, die Richtung völlig umzukehren oder zumindest deutlich zu ändern. Ein Zug macht Kopf, wenn er in einen „Sack“-Bahnhof hinein- und wieder hinausfährt. „Sack“ bezieht sich dabei nicht auf die physische Beschaffenheit der bahnhofstypischen Anlagen, sondern auf die Tatsache, dass es am Ende eines Sackes gewöhnlich nicht mehr weitergeht, solange jener intakt ist.
Nachdenken ist dabei erst einmal nicht gemeint.
A Der klassische Faust I als Kurzform in Zitaten und Assoziationen:
1. Verwirren, nicht befriedigen!
2. Vom Himmel durch die Welt zur Hölle
3. Die Kunst ist lang. Und kurz das Leben.
4. Dem Wurme gleiche ich und nicht den Göttern.
5. Ein verfrühter Abgang wird durch Glockengeläut verhindert
6. Botschaft hören, Glaube vermissen, Erde ihn wiederhabend
7. Zwei Seelen, ach, in meiner Brust, die eine will sich trennen
8. Ich bin ein Teil von jener Kraft …
9. Zu alt um nur zu spielen, zu jung um ohne Wunsch zu sein
10. Wenn wir uns drüben wiederfinden, sollst Du mir das Gleiche tun
11. „Augenblick, verweile doch“ … Dann wär’s vorbei
12. Blut ist ein besonderer Saft
13. Die Kraft ist schwach doch die Lust ist groß
14. Hexen – Einsdurcheins
15. Der Helena-Trunk
16. Arm und Geleit angetragen und abgelehnt
17. Verliebter Tor … Beginn des Abwegs
18. Was so ein Mann nicht alles denken kann
19. Ihre Ruh ist hin, ihr Herz ist schwer, … Und ach, sein Kuss!
20. Wie hasst Du? Es? Mit der Religion?
21. Duckt er da, duckt er sonst auch.
22. Fortgang selber denken.
23. Tod und Tod. Und Tod. Der Soldat als Hüter der Moral fällt.
24. (theoret.: Religion als Disziplinierung und Machtsicherung)
25. Walpurgisfatsche, Gretchenvision, Faust bereut ein bisschen.
26. Kerker. Grete ist schon auf dem nächsten Level, zu spät für die Rettung. Es graut ihr ohnehin vorm Heinrich.
27. Die Zweier-Karawane zieht weiter.
B Das meint?
(Man kann den Faust heutiger machen, aber sicher nicht besser. Nur, wenn man ihn nicht heutiger machen würde, wäre er deutlich schlechter.)
Faust macht also Kopf, nachdem er sich nen Kopf gemacht hat, dreht sein Leben um mit Hilfe von Mephisto.
Gretchen ist anfangs keine Gescheiterte. Aber sie wird durch Faust zu einer.
Mephisto ist dabei der hilfreiche Geist, der tut das aber nicht für lau. Faust darf nun nie glücklich werden, sonst ist seine Seele verloren
Und wenn schon. Wer braucht nach dem Tode noch seine Seele?
Faust und Mephisto sind natürlich dieselbe Person.
C Und jetzt?
Der Faust am Anfang ist heute vielleicht
• der erfolgreiche Geschäftsmann mit Selbstzweifeln und einem modischen Burnout, gelangweilt vom Wohlstand, auf der Suche nach dem Kick und nach dem Sinn
• der hochgelobte Schriftsteller, der doch weiß, dass seine Bücher nicht mehr sind als gequirlte Kacke, der den Literaturbetrieb hasst, aber das Einkommen daraus schätzt
• der Gentechniker, der weiß, dass er seine Züchtungen irgendwann nicht mehr beherrschen wird, aber diesen Gedanken im Forschungs- und Erfolgsrausch immer wieder verdrängt
• der Volkspartei-Politiker, der lange schon ahnt, dass seine einfachen Antworten nicht ausreichen, um die komplizierten Fragen zu beantworten, sich aber weiter in Macht und Anerkennung suhlt, weil er zu feige ist, die Wahrheit zu sagen
• der Professor, der routiniert seine Theorien verkündet, obwohl er schon lange nicht mehr daran glaubt, der gerne nochmal von vorn anfangen würde, aber zu viele Verpflichtungen hat
• … also im Prinzip jeder, der sich auf dem falschen Weg fühlt, sich aber nicht traut, die Richtung zu ändern
Mephisto?
Kann der Dealer sein, die Luxushure, der Schamane, das Delirium.
Er ist aber immer das Spiegelbild, die dunkle Seite des Faust.
Aber … gibt es Mephisto überhaupt?
Nein. Er ist nur ein Produkt der überreizten Phantasie von Faust, seine erdachte Legitimation zum Grenzübertritt. Eine Kopfgeburt im wahren Sinne, ein Homunkulus des Faust. Alles Böse, alles Dunkle ist doch in Faust schon drin, er braucht keinen Teufel, nur einen Anstoß, einen Katalysator, einen Vorwand. Und dann zieht er los, was kostet die Welt? Sie gehört doch sowieso schon mir. Das Glück ist auf der Seite des Tüchtigen.
Wo gehobelt wird, fallen Späne, wo verführt, Jungfrauen. Wo die Kraft des Meeres gebändigt werden soll, sind kleine Leute und ihr Häuschen fehl am Platze.
Mit uns zieht die neue Zeit … Es möge sich besser keiner in den Weg stellen.
…
Übrigens:
Gibt es Gott? Nicht den Arne aus dem Radio, sondern Gott?
Wenn es Gott gibt, muss es dann einen Teufel geben? Und wenn es keinen Gott gibt, kann es dann einen Teufel geben? (Auch in „Der Meister und Margherita“ wird das nicht endgültig geklärt.)
Und „Faust“ heute? Der Name ist meist härter als sein Träger.
Faust oder Fäustling? Oder auch Faustan? Das ist hier die Frage, Hamlet.
(Lustig, gerade eben, als ich das schreibe, sitzt das Gretchen aus der letzten „richtigen“ Faust-Inszenierung in Dresden am selben Tresen im Thalia.)
Es wird alles gesagt worden sein
Ein noch unvollendetes Futur – oder: Das Damokles-Motto jeder Beziehung
Am Start erkennt man den Sieger? Mag sein. Aber erkennt man auch die Platzierten und die Verlierer?
„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, weiß der Dichterfürst, und jede Menge Hoffnung.
Und glücklich ist, wer vergisst … was da alles an Problemen ist. Fragt sich nur wie lange. Aber es gibt ja MeisterInnen des Vergessens, des Ausblenden-Könnens zuhauf.
Der Mensch wird komplizierter mit den Jahren. Diesen Lehrsatz kann man wohl kaum bestreiten. Aber wird er auch kompromissbereiter? Meinereiner müsste das verneinen.
„Jeder will ja irgendwo dazugehören“ sagt Bertold im „Armen Tor“. Ein schöner Satz, schlicht und wahrhaft.
Aber um welchen Preis? Selbstaufgabe, zumindest in Teilen, für das schöne Gefühl der Zwei- oder auch Mehrsamkeit? Singen im Chor statt des einsamen Solos vor leeren Reihen?
„Man kann alt werden wie eine Kuh und lernt immer noch dazu.“ Wie alt werden Kühe? Ich glaub, ich hab die meisten Kühe meiner Generation schon überlebt, vielleicht auch verspeist.
Und nu? Ein schlichtes Reset tut es nicht mehr. Neu formatieren, das schon eher. Dummerweise hab ich den Befehl dazu vergessen. Und die graphische Benutzeroberfläche zwingt mich immer in den abgesicherten Modus, wo alles hinterher noch da ist.
„Ich will – wenn es geht – zweimal leben“, sang die Formation Keimzeit vor Jahren.
Ich auch, lieber Norbert. Und all die Erfahrungen, die kann er behalten, der große Gott, bei meinem Neustart.
Das An-Alphabet
Ein ärgerlicher Film von Erwin Wagenhofer
Es beginnt bildmächtig-bedeutungshubernd, ein Pseudo-Wissenschaftsflair zieht sich von Anfang an bis zum Ende durch. Der Film ist erkennbar für den amerikanischen Markt gemacht.
Was soll uns denn das Beispiel China sagen in Bezug auf das Bildungssystem? Ein Mao-Kapitalimus mit unendlich großem Menschenvorrat ist doch nicht vergleichbar. Wer will denn hier ernstlich diesen Abrichtungsapparat übernehmen?
Quälend langsam ist dieser Film. Es soll Tiefe erzeugt werden, wo Sandbänke sind, belangloser small Talk, abgefilmte Lehrgespräche … Na und?
Endlose Blenden auf ein chinesisches Kindergesicht. Dessen Mutter wird vorgeführt im ihrem Stolz. Aussage gleich Null.
Dann ein Neurobiologe. Ein Experte. Merke: Schule im klassischen Sinne führt zu Auschwitz.
Es folgt McKinsey als abschreckendes Beispiel, ein Chakka-Typ hält dagegen.
Und ein selbsterfundener Malpädagoge im hohen Rentenalter schwärmt vom klecksenden Malen als Hauptsache. Alles andere kommt dann schon alleine.
Zum Glück brauchen wir heute keinen technischen Sachverstand mehr, und Medizin auch nicht. Geige spielen muss man nicht üben, und Statik wird ohnehin überschätzt, fragt bitte Alexis Zorbas, der kannte sich da auch aus.
Einiges Wahre dann über (zu frühe) Bildung, die man (noch) nicht braucht. Da wird sicher übertrieben.
Aber ich war damals schon recht froh, als sich meine Stieftochter von ihrem Reisepartner in Neuseeland nach drei Wochen trennte und noch ein halbes Jahr alleine vor sich hatte, dass sie ziemlich gut englisch sprach.
Der Telekomvorstand steht in der Totenstille seines Büros neuerdings an der Intellektuellen Spitze der Gegenbewegung, das machen die Großen heute alle so. Ich hab nur das Gefühl, die bekämpfen einen Gegner, der schon lange verstorben ist. Oder übergelaufen.
Aber alles weiter in einen Topf hinein. Der jugendliche Ausbildungsknecht und der Unternehmensplanspielende mit Karrierehoffnung und Kaufhauspsychologie.
Was ist die Aussage?
Die gequälte Neuntklässlerin klagt über zu wenig Leben. Der Auszubildende über zu wenig Geld. Was sollen sie bezeugen?
Bedenkenswert immerhin: der Telekomiker sagt „Ihr seid doch selber schuld“. Genau. Er aber auch.
Babys gehen immer im Film. Mag die Versuchsanordnung noch so dämlich sein.
Dann noch ein Sammelsurium seltsamer Beispiele.
Was hat jetzt nochmal die Sonderschulpädagogik damit zu tun?
Und Gitarren zu bauen ist nun eine so große Leistung nicht, wenn man so gar nichts anderes will. Da braucht man keine Prüfungen zu bestehen.
Merke nochmal: Der böse Wettbewerb unter den Kindern macht alles kaputt. Der Beweis ist ein herziges Kindlein.
(Fußball, liebe Filmmacher, ist übrigens auch eine Art Wettbewerb, nur mal so nebenbei angesichts des bewundernswerten Down-Geplagten, den ihr auch noch verwursten musstet)
Ach, Darwin! Es ist an der Zeit, im Grabe zu rotieren. Und „es ist nicht gegen die Natur der Maus, gefressen zu werden“ dabei zu rufen.
Zusammengefasst:
Die Armen Kinder, die man retten möchte, werden in diesem Film in hohem Bogen mit dem Bade ausgekippt.
Und schlecht gemacht ist er auch noch.
Doch die Ergebnisse, die gibt es nicht.
Die Auswertung der 3. „Dresdner Debatte“ zum Verkehrsentwicklungsplan am 9. Dezember 2013 im Verkehrsmuseum war gar keine
Eine schöne Veranstaltung, eigentlich. Hatte meine Vorfreude geweckt, fachlich und auch sonst. Kam auch nur fünf Minuten zu spät.
War in diesen fünf Minuten alles Neue bereits verkündet worden? Denn was danach in zwei Stunden folgte, hätte man – mit wenigen Ausnahmen – auch zum Auftakt des Prozesses sagen können.
Sicher, die LH Dresden hat sich mit der gleichnamigen Debatte ein tolles Instrument gegeben, das zu Recht auch überregional Beachtung findet. Die Berichterstattung, wer wann auf welchem Kongress dazu sprach, nahm gefühlt die erste Stunde in Beschlag. Der Moderator mit Architektenhabitus, dessen Namen ich leider nicht behielt, Herr Szuggat und eine Mitarbeiterin seines Amtes lobpreisten sich gegenseitig, sicher auch angebracht, wenn vielleicht nicht unbedingt in dieser epischen Breite. Dann erklärte Dr. Mohaupt, nach welchen Prämissen und mit welchen Szenarien der Verkehrsentwicklungsplan 2025+ aufgestellt würde, auch das keine wirkliche Neuigkeit.
Dann ging es aber doch mal um die Ergebnisse der Debatte. Die Klickzahlen wurden berichtet (4.500), 2.200 Beteiligte seien es gewesen, 1.200 Beiträge gab es, die allermeisten im Block „Infrastruktur“. Inhalte? Fehlanzeige.
Immerhin wurde vom Wunsch-Modal-Split der Teilnehmerinnen berichtet, die inzwischen übliche Vierteiligkeit wird in Dresden noch zugunsten des Fußverkehrs verschoben. Leider beeilte man sich, dieses interessante Ergebnis gleich als „unrealistisch“ zu relativieren.
Erschwert wurde die Verständlichkeit noch, weil man den obligatorischen Beamer zwar dabei hatte, ihn aber so unglücklich platzierte, dass höchstens die erste Reihe des Podiums die eng beschrifteten Folien lesen konnte.
Wenn nicht die etwa 100 Zuhörer gelegentlich etwas Konkretes nachgefragt hätten, wäre die ganze Sache nur an der Oberfläche verblieben. So erfuhr man immerhin, dass die Stadt auch ohne den Segen des Freistaats an der „Straßenbahnlinie 5 aka. 62“ dranbleiben wolle, für die Situation auf der Bautzner (Land-) Straße im Bereich Bühlau kein wirkliches Konzept habe und an einen kostenlosen ÖPNV für alle nicht gedacht sei.
Zwischen den Zeilen war dann noch zu vernehmen, dass man mit der Auswertung der (nach
Aussagen der Bearbeiter äußerst sachlichen und hochwertigen) Beiträge noch nicht durch wäre. Zumindest kam es so rüber, doch siehe unten.
So, und nun? Die geplante Abschlussveranstaltung wurde absolviert, man kann das Häkchen setzen. Dass diese inhaltsarm blieb, wird im Reporting sicher nicht erwähnt.
Aber warum hat man nicht die Größe, eine Veranstaltung dieser Relevanz mal einfach zu verschieben, wenn man sich noch nicht aussagefähig fühlt? Das Weihnachtsfest in Dresden wäre keinen Deut glanzloser ausgefallen deswegen.
Doch, oh Wunder:
Im heimischen Büro angelangt, rief ich die einschlägige Seite auf, (www.dresdner-debatte.de), und was stand da? Ein 89seitiger Abschlussbericht. Mit allen Fakten, die ich in der Veranstaltung so schmerzlich vermisste, sauber aufbereitet. Im Text finden sich so interessante Sätze wie „Die überwiegende Mehrheit der Teilnehmenden sprach sich gegen einen Ausbau aus und forderte eine zweispurige Straße“. Ratet mal, um welche es geht.
Ach Verwaltung, Deine Wege sind manchmal unergründlich.
Doch mein interner Betriebsrat hat heute schon „Feierabend“ gerufen. Deshalb gibt es in den nächsten Tagen noch einen zweiten Teil, „Die Ergebnisse der Dresdner Debatte zum VEP“. Hier, in diesem Theater. Das ist doch schön, oder?
An einem Sonntagabend.
Sie zieht das kurze Kleid an. Eine dicke Strumpfhose darunter, die wärmt und sieht sexy aus.
Sie geht in die Jazzbar im Viertel. Da ist ja immer jemand, und meist auch Musik auf der Bühne.
Sie behält recht. Etwas Gezupftes, Geblasenes, nett, nicht wirklich relevant. Genau das Richtige am Sonntagabend.
Sie wird angesprochen, klar. Kleid, Strumpfhose und blonde Mähne. Das funktioniert immer. Geplänkel.
Sie trinkt Wein. Dann Espresso. Dann wieder Wein. Macht man so.
Sie unterhält sich. Es wird spät. Mit einem kann man richtig reden. Sie tut es.
Sie erschrickt. Es ist halb zwei. Und morgen wieder das Büro.
Und dann doch noch eine Stunde Plaudern, im Mantel.
Sie geht.
Ein Sonntagabend, ganz normal.
