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Am Beispiel des Kühlschranks oder Es geht ein Riss durch den Saal

„Wir sind auch nur ein Volk“ nach Jurek Becker am Staatsschauspiel Dresden, 8. September 2018, Uraufführung der Spielfassung von Tom Kühnel (Regie) und Kerstin Behrens

Vorweg: Nachdem der erste große Ärger über einen völligen Missgriff nach der Pause verraucht ist, kann ich insgesamt doch einen guten Abend bescheinigen. Zum „sehr gut“ fehlt die Haltung, und die mitunter überzogene Ostalgie mag „breite Kreise der Bevölkerung“ (um im Duktus zu bleiben) zufriedenstellen, mich nervt sie eher. Dennoch begeistern die Vielzahl an durchdachten und gut inszenierten Szenen, das Bühnenbild, ganz besonders die perfekt getroffenen Kostüme, die Musikauswahl von im Prinzip auch (selbst wenn sie weh tat) und die Live-Kamera, die der Enge der Grimmschen Wohnung Ausdruck gab, bekommt ein Sonderlob.

Hier:  http://www.kultura-extra.de/theater/veranstaltung/premierenkritik_WirSindAuchNurEinVolk_staatsschauspielDD.php

 

Ein Hamsterradio Spezial: GUNDERMANN

Hatte ich schon lange vor, und Andreas Dresens Film gab mir jetzt den letzten Anstoß dazu: Eine Sonderausgabe des Hamsterradio, Gerhard Gundermann gewidmet, ohne Pathos, aber mit der Ernsthaftigkeit, die ihm gebührt. Gut zwei Stunden lang, kürzer haben wir es dafür nicht.

Hier zum Nachhören (jetzt auch ohne vorherrunterladenmüssen):

https://www.dropbox.com/s/tjva9eobaw5kpve/Gundermann%201Sep18.mp3?dl=0

 

 

 

Du sollst im Theater nicht beichten

„Die 10 Gebote“ nach DEKALOG von Krzysztof Kieslowski und Krzysztof Piesiwicz, Regie Nuran David Calis, Produktion der Bürgerbühne am Staatsschauspiel Dresden, Premiere am 16. März 2018

Irgendwann, so hoffe ich, ist auch die letzte gruselige Geschichte aus Dresden und Umgebungen von den Opfern selbst (!) auf der Bühne (!!) ganz authentisch (!!!) erzählt, und die Bürgerbühne kann das Niveau der Nachmittags-Shows des Enthüllungsfernsehens wieder verlassen. Um vielleicht dann endlich zu merken, daß das ungeschützte Zurschaustellen von Betroffenen sicher spektakulär, aber noch sicherer unanständig ist.

Ein Fernsehfilm ist nicht Theater, und Theater ist – zum Glück – kein Fernsehen. Manchmal lässt sich das Eine in das Andere gut überführen, manchmal aber auch nicht. Vielleicht besonders dann nicht, wenn man einem ohnehin schon komplexen Stoff noch anderthalb Ebenen draufpacken will. Reality TV ist schon schwer erträglich, Reality Theatre ist erst recht kein Format, das man (besser ich) sehen will.

Der ganze traurige Rest hier:

http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/premierenkritik_die10gebote_staatsschauspielDD.php

 

Das An-Alphabet

Ein ärgerlicher Film von Erwin Wagenhofer

Es beginnt bildmächtig-bedeutungshubernd, ein Pseudo-Wissenschaftsflair zieht sich von Anfang an bis zum Ende durch. Der Film ist erkennbar für den amerikanischen Markt gemacht.

Was soll uns denn das Beispiel China sagen in Bezug auf das Bildungssystem? Ein Mao-Kapitalimus mit unendlich großem Menschenvorrat ist doch nicht vergleichbar. Wer will denn hier ernstlich diesen Abrichtungsapparat übernehmen?

Quälend langsam ist dieser Film. Es soll Tiefe erzeugt werden, wo Sandbänke sind, belangloser small Talk, abgefilmte Lehrgespräche … Na und?
Endlose Blenden auf ein chinesisches Kindergesicht. Dessen Mutter wird vorgeführt im ihrem Stolz. Aussage gleich Null.

Dann ein Neurobiologe. Ein Experte. Merke: Schule im klassischen Sinne führt zu Auschwitz.

Es folgt McKinsey als abschreckendes Beispiel, ein Chakka-Typ hält dagegen.
Und ein selbsterfundener Malpädagoge im hohen Rentenalter schwärmt vom klecksenden Malen als Hauptsache. Alles andere kommt dann schon alleine.
Zum Glück brauchen wir heute keinen technischen Sachverstand mehr, und Medizin auch nicht. Geige spielen muss man nicht üben, und Statik wird ohnehin überschätzt, fragt bitte Alexis Zorbas, der kannte sich da auch aus.

Einiges Wahre dann über (zu frühe) Bildung, die man (noch) nicht braucht. Da wird sicher übertrieben.
Aber ich war damals schon recht froh, als sich meine Stieftochter von ihrem Reisepartner in Neuseeland nach drei Wochen trennte und noch ein halbes Jahr alleine vor sich hatte, dass sie ziemlich gut englisch sprach.

Der Telekomvorstand steht in der Totenstille seines Büros neuerdings an der Intellektuellen Spitze der Gegenbewegung, das machen die Großen heute alle so. Ich hab nur das Gefühl, die bekämpfen einen Gegner, der schon lange verstorben ist. Oder übergelaufen.

Aber alles weiter in einen Topf hinein. Der jugendliche Ausbildungsknecht und der Unternehmensplanspielende mit Karrierehoffnung und Kaufhauspsychologie.
Was ist die Aussage?

Die gequälte Neuntklässlerin klagt über zu wenig Leben. Der Auszubildende über zu wenig Geld. Was sollen sie bezeugen?

Bedenkenswert immerhin: der Telekomiker sagt „Ihr seid doch selber schuld“. Genau. Er aber auch.

Babys gehen immer im Film. Mag die Versuchsanordnung noch so dämlich sein.

Dann noch ein Sammelsurium seltsamer Beispiele.
Was hat jetzt nochmal die Sonderschulpädagogik damit zu tun?
Und Gitarren zu bauen ist nun eine so große Leistung nicht, wenn man so gar nichts anderes will. Da braucht man keine Prüfungen zu bestehen.

Merke nochmal: Der böse Wettbewerb unter den Kindern macht alles kaputt. Der Beweis ist ein herziges Kindlein.
(Fußball, liebe Filmmacher, ist übrigens auch eine Art Wettbewerb, nur mal so nebenbei angesichts des bewundernswerten Down-Geplagten, den ihr auch noch verwursten musstet)

Ach, Darwin! Es ist an der Zeit, im Grabe zu rotieren. Und „es ist nicht gegen die Natur der Maus, gefressen zu werden“ dabei zu rufen.

Zusammengefasst:
Die Armen Kinder, die man retten möchte, werden in diesem Film in hohem Bogen mit dem Bade ausgekippt.
Und schlecht gemacht ist er auch noch.

Mehr als Berlin: Müller’s Haifischteich

Hai-Alarm am Müggelsee“, ein Film von Leander Haußmann und Sven Regener, 2013, gesehen in der Schauburg Dresden

Ich bin – wie so oft vorher –skeptisch. Der hl. Franziskus der deutschen Filmkritik hatte sich sehr abfällig geäußert, und es macht sicher keinen Spaß, einem halben Dutzend Leute, die sich durch „Herr Lehmann“ unsterblich gemacht haben, dann doch beim künstlerischen Tod zusehen zu müssen. Aber ich bin auch neugierig.
Zudem bin ich heute abend stolzer Besitzer einer ausgewachsenen schlechten Laune, das Traumpaar Regener / Haußmann hat also nicht die besten Voraussetzungen. Doch sie sollen ihre faire Chance kriegen.

Zu allem Überfluss wird die Latte im Werbeblock hochgehangen: Almodovar hat jetzt eine Komödie gedreht, „Fliegende Liebende“ heißt sie und macht einen sehr sympathischen Eindruck im Trailer.
Und dann noch ein Fehlstart: Film mit Ton ist ok, aber mit Bild wär er noch schöner.

Schließlich beginnt es doch. Friedrichshagen am Müggelsee. Ein Mann geht ins Wasser. Kurze Zeit später fehlt ihm eine Hand.
Auf der anderen Seite der Welt wird ein Hippie-Haifischjäger mit selbstgebastelter Greencard durch smarte Cops verhört: Wie foltert man Haie? Mit Waterboarding natürlich. Ich muss erstmals grinsen.
Selbiger wird ausgewiesen und schippert mit seinem Hausboot dann über die Weltmeere, nach Hause, zum Müggelsee. Das ist hübsch gezeichnet, bislang gibt es nichts zu meckern am Film.

Michael Gwisdek als Badeverhinderungsmeister. Szenen mit ihm können gar nicht schlecht sein.
Snake Müller, so heißt der Großfischjäger und Surfpaddler, bekommt sein Bier macchiato. Eine erste zarte Annäherung an das Fräulein vom Amt, jenem für Stadtmarketing.
Frank Castorf gibt sich auch die Ehre und säuft mit einem lieben Kollegen Ouzo beim Griechen.

Krisensitzung im Rathaus, es wurde eine herrenlose Hand gefunden. Henry Hübchen – auch einer aus der Kategorie Gwisdek – als stuhlklebender und wahlkämpfender Bürgermeister von Friedrichshagen präsidiert einer Versammlung des Grauens aus der ganz normalen Kommunalpolitik, vom schleimigen Großbesitzer (Benno Fürmann) bis hin zur stillwütigen Übermutter. Detlev Buck gibt das, was er am allerbesten kann, den ständig überforderten Polizisten Müller, und komplettiert das unfehlbare Trio.

Wer über den Gemeinderat nicht lachen kann, hat nie einen solchen erlebt. Vera vom Stadtmarketing (Anna Maria Hirsch) öffnet den Werkzeugkoffer und spielt Bullshit-Bingo. Von den drei Varianten bleibt erstmal b) übrig, wir machen weiter wie bisher. Später wird das präzisiert, weiter wie bisher, aber mit Arbeitskreis.

Die Handlung selbst ist nicht wirklich wichtig. Es reihen sich Szenen an Szenchen, jede mit schrägem Witz versehen, mal besser, mal ganz gut. Haußmann und Regener geben als running Gag ein musizierendes Polizistenduo und sind omnipräsent, auch als unparteiisches Taucher-Duo und als Kreuzberger Haifischimitate.

Man kann auch einiges lernen: Casablanca gibt es jetzt in Farbe und 3D, ein Lagerfeuer am Strand wird größer, wenn man die zugehörige Gitarre reinschmeisst. Haie kann man mit Bier fernhalten. Und Zigaretten-holen-gehen ist für einen Nichtraucher dasselbe wie Scheidung.

Der Friedrichshagener ist der Italiener Berlins, auch das ein Merksatz. Der Witz erschließt sich erst, wenn man jenen verschnarchten Teil von Köpenick (und damit auch irgendwie von Berlin) näher kennt.

Gabi Müller (Annika Kuhl), Historikerin und die Ex vom Snake (Uwe Dag Berlin spielt sich vermutlich selbst und muss sich gar keine Mühe geben, großartig zu sein) findet heraus, wie der Hai in den See gelangte: Ein RGW-Ringtausch bescherte der DDR einen kubanischen Zierhai im Tausch gegen Schafskäse, der (über die Zoffjets) von den Bulgaren erworben wurde. Und wenn das liebe Haustier größer wird, landet es halt in der freien Wildbahn, das kennen wir ja auch von anderen Arten … Der Fischexperte Müller von der HU (Tom Schilling rollenbedingt etwas eindimensional, aber gut) staunt.

Die Auslösung des Hai-Alarms ist nur noch Sache eines Formulars. Die gelbe Flagge wird gehisst, der Müggelsee wird großräumig zum Sperrgebiet erklärt. Der Bürgermeister, natürlich auch er ein Müller, trägt Helm und freut sich über die Wahlkampfhilfe.
Sogar die Rainbow Warrior wird gesichtet, sie kommt – dank eines Übermittlungsfehlers – wegen den Walen. Der Bürgermeister versteht natürlich „Wahlen“ und bekommt feuchte Hände.
Katharina Thalbach als wirre Alte ergänzt kongenial das bunte Treiben, es macht einfach Spaß zuzusehen.

Wenn wir schon Hai-Alarm haben, können wir auch das Straßenfest im sicheren Teil der Krisenregion wiederholen. Und es läuft und läuft und läuft … Der Gemeinderat besäuft und schlägt sich.

Soweit ist also alles in Ordnung, man hat sich im Ausnahmezustand eingerichtet. Aber der (nicht nur) Strandbadbesitzer tanzt am Ufer einen Zorbasschen Sirtaki, der gesperrte Müggeldamm versteppt langsam. Eine Gegenbewegung gründet sich, „Hopp hopp hopp, Hai-Alarm Stopp!“. Bürgermeister Müller-Wendig stellt sich an die Spitze derselben und fordert vom Drachen- oder besser Haifischtöter Snake Müller Taten oder zumindest das Eingeständnis eines Fehlalarms, sonst fluten die Wutbürger den Müggelsee mit Bier.

Showdown an Bord des Hausboots. Eigentlich hat man sich schon friedlich geeinigt, aber Marketing-Maus Vera (die sich, nachdem sie sich vom Fischersmann ins Netz wickeln ließ, einen veritablen Zickenkrieg mit dessen Ex liefert) hat ein wenig manipuliert: Statt weißem steigt roter Rauch auf, das Bier ergießt sich in Strömen. Schaum-Alarm! Viel Schaum um ganz viel Nichts! Das kommt marketingmäßig ganz wunderbar.

Snake Müller hat nun die Schnauze voll und will zurück nach Hawaii. Der kurze Kampf zwischen der kühlen Ex und der siegestrunkenen Maid um die freie Koje ist schnell entschieden, letztere geht über Bord.
Und die beiden schippern in den Sonnenuntergang, aus dem Unterdeck taucht noch der falsche Grieche, der Wirt vom Castorf auf, auch er ein Müller, wie Snake ein Teil des haifischaussetzenden Brüderpaars von damals.
Und der Müggelsee ist schaumbedeckt.

Es lässt sich ahnen (und ließ sich vorher auch auf facebook mitverfolgen), wie viel Spaß die Crew beim Drehen hatte. Das überträgt sich auf den Saal, selbst meine hartnäckige schlechte Laune verzieht sich klammheimlich.
Die Musik fällt ein bisschen ab, da ist man Besseres gewohnt vom Regener. Aber was will man mehr von einem Film? Ich meine, von einem, der unterhalten will und nicht die Lösung der Weltprobleme verspricht? Ich bin’s zufrieden.

Das bunte Leben in schwarz-weiß

Oh Boy,

Ein Berlinfilm wie man ihn noch nicht gesehen hat.
Eine Wiedergeburt des Film Noir. Fast jedenfalls.

„Das Einzige was ich noch für dich tun kann ist nichts mehr für dich zu tun“. Sagt der Vater und hat vermutlich recht.

Wie nicht von dieser Welt irrlichtert ein hauchzarter Nico (Tom Schilling) durch Berlin, ohne Studienplatz, ohne Job, ohne Ziel.

Es kommen vor:
Ein sexuell frustrierter Nachbar mit Mitteilungsdrang.
Eine Debilkorrekte Filmproduktion.
Eine Fahrscheinkontrolle mit internen Problemen.
Ein Koksservice mit lieber Oma.
Ein Schrei- und Stöhntheater mit empfindsamem Chroreographen.
Eine Jugendbande mit schwerer Kindheit.
Eine Psychotante mit demselben Problem, aber einer scheinbar netten Lösung.

Berlin halt.

Gwisdek in gewohnter großer Rolle, „aus heutiger Sicht gab es damals nicht“.
Dann Charité.  Dann Tod.

Und richtigen Kaffee gibt es nicht für Nico.
Sonst passiert eigentlich nicht viel.

Muss auch nicht. Tolles Kino.

Von Jan Ole Gerster. Noch nie gehört. Geht auch nicht. War sein erster.