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Ritter der Obstschale als 2tbeste Lösung

Gundermann: Alle oder keiner

Eine Revue über Helden, Gras und Kohle von Tom Kühnel

Premiere am Staatsschauspiel Dresden am 9. Oktober 2020

Alle Stücke, die ich schreiben wollte, macht schon der Tom …“ ist als beim Meister entliehenes Eingangs-Zitat in diesem Falle durchaus angebracht, in aller Unbescheidenheit, weil es im Falle der Teichelmauke um genau ein Stück geht, das jener immer schon mal zu Papier bringen wollte und das nun Tom Kühnel vor ihm getan hat.

Mit Bravour, soviel sei vorweggeschickt, und aus meinen hochfliegenden Plänen wäre eh nix geworden, vermutlich, und ich tröste mich nun unter anderem damit, daß auch Profis des Genres die Relevanz von Gundermann für die Theaterbühne erkannt haben.

Meister ist übrigens die Bezeichnung, die wir im Freundeskreis schon seit Jahren für den Gundermann verwenden, und daraus wird zum einen meine Befangenheit in dieser Sache ersichtlich, aber auch die Prägung durch ein inzwischen sechzigsemestriges Studium der Gundermannistik, das leider nur in den ersten Jahren einen starken Praxisbezug aufwies. Will sagen, in Sachen Gundermann macht mir so schnell niemand etwas vor, ich bin aber auch fix beleidigt, wenn etwas nicht meiner Meinung davon entspricht, wie man den Gundermann heute vorstellen muss. So war ich mit dem Spielfilm „Gundermann“ von Andreas Dresen nur halbwegs glücklich, die danach erschienene Doku „Gundermann Revier“ von Grit Lemke schätze ich hingegen sehr. Mit dem halben Dutzend Bands, die sich um den Nachlass von Gundermann verdient machen, von „Die Seilschaft“ über die „Randgruppencombo“ bis hin zu Christian Haase werde ich sehr unterschiedlich warm, aber das tut hier nichts zur Sache und trägt nur zum imaginären Zeilenhonorar bei.

Tom Kühnel ist da vermutlich emotional weniger vorbelastet, und das tat seiner Revue durchaus gut. Mit den musikalischen Leitern Matthias Trippner und Jan Stolterfoht inszenierte er die Gundermann-Stücke in nahezu jeder denkbaren Stilrichtung vom Nina-Hagen-Quietschgesang über einen wirklich guten Blues und über Belcanto bis zum Death Metal, zumeist gelungen und in der Regel auch kongenial interpretiert – von den üblichen Verdächtigen Henriette Hölzel, Jannik Hinsch und Thomas Eisen hatte man das erwartet, positiv zu überraschen wusste auch Betty Freudenberg.

Eine Revue wird naturgemäß weniger von der Handlung getragen, dennoch orientierte man sich biographisch und schilderte Leben und Wirken des Gundermann fast chronologisch. Das hatte durchaus seinen Reiz, auch wenn dem einschlägig Gebildeten manche Szenen aus Film und Doku sehr bekannt vorkamen. Die 1:1 – Übertragung auf die Bühne war sicher nicht die beste Idee des Abends, auch nicht die Playback-Variante von Interview-Sequenzen aus dem sozialistischen Alltag von damals, die nach der ersten Erheiterung schnell ermüdete.

Der Gundermann trat hier in Versechsfachung auf, jeweils mit dem bekannten Fleischerhemd, strähnigen blonden Haaren (Kompliment an die Maske) und Gitarre vor den Hosenträgern, was die spielerische Last gut verteilte, aber neben ihm auch keine andere Figur zuließ, von einigen kurzen Spielszenen mit Ehefrau, früherem Führungsoffizier und damals Bespitzelten abgesehen. Das wiederholte Selbstgespräch zu sechst war da später unausweichlich, und neben einigen Längen, die der Zuschauer durchlitt, trug dies dann doch zur Wahrheitsfindung bei. Zunächst stand man klampfenbewehrt sehr frontal und statisch an der Bühnenkante, auch die Musiker klangen anfangs sehr nach Ostrock, aber es kam danach mit dem Einrollen von dampfenden Kühltürmen in den Bühnenhintergrund Bewegung in die Szenerie, auch musikalisch.

Visuell wurde einiges geboten, eine Filmszene etwa, die mit einer alten Sorbin begann, die den Verlust der eigenen Sprache und des Lebensraums beklagte und dann mit einem weiten Schwenk von oben über die Tagebaukante in eine Mond- und Kraterlandschaft wechselte. Später dann noch die Sprengung eines Großgerätes, das nicht mehr benötigt wurde, sinnigerweise mehrmals vorwärts und rückwärts gezeigt, als ob sich so die Löcher im Himmel wieder schließen könnten. Manchmal zerfaserte das Stück ein wenig zwischen den verschiedenen Stilmitteln, einiges wurde schlicht verkaspert. Die Kenntnis des Gundermann im Allgemeinen und des Dresen-Films über ihn im Besonderen ist in jedem Falle ein Vorteil für den Zuschauer, aber auch, wenn für einen der Gundermann vor allem eine Heilpflanze ist (soweit das in hiesigen Breiten möglich ist), kann man dem Stück sicher vieles abgewinnen.

Eine besonders gute Idee der Inszenierung, die mir nur anfangs etwas seltsam vorkam, war der abrupte Wechsel zwischen der rentnerfarbenen DDR-Tristesse in eine quietschbunte Werbewelt im Beitrittsgebiet. Krach, bumm, neues Leben! In schneller Folge blätterten dann Motive einschlägig bekannter Reklame auf, die den raschen Fortgang der Gundermann-Geschichte nach der Wende, vor allem seine Enttarnung als Stasi-IM, illustrierten. Hello Barbie, tell me aus der Akte … mit der Krönung arbeitet es sich auch leichter auf, selbst wenn in der Bärenmarke-Milchkanne nur ein Täterdokument zu finden ist. Dieser respektlose Rückblick auf die Jahre 90/91 wird nicht jedem Gralshüter gefallen, aber so skurril war das eben manchmal, zumindest in meiner Erinnerung.

Danach fuhr die Drehbühne rückwärts, und in der Fototapetenwelt erkannte man die Banalität des Blöden, die Bühne machte übrigens Jan Pappelbaum.

Zuvor war allerdings noch der intellektuelle Höhepunkt des Stücks zu bestaunen: Die raffinierte Verknüpfung von Christoph Heins „Ritter der Tafelrunde“ mit den Mühen des Gundermann in der Runde der Parteifunktionäre. Das Lancelot-Thema hatte Gundermann ja bereits in seiner ersten, 1988 bei AMIGA erschienenen LP „Männer, Frauen und Maschinen“ verarbeitet, und ob es damals schon irgendwelche Verbindungen gab, kann nur Herr Hein beantworten, aber es war frappierend, wie mühelos sich Heins literarischer Text durch die Sprechblasen der führenden Genossen ersetzen ließ. Ob nun an den Gral oder die hist. Miss. d. AK zu glauben ist, erschien egal, Zweifel war überall Verrat. Allein für diese Viertelstunde hätte sich der Abend schon gelohnt.

Wenn man bei Höhepunkten bleiben will: Emotional setzte diesen Betty Freudenberg mit der Interpretation des inzwischen legendär gewordenen Konzertbeginns in Berlin, als Gundermann seine IM-Tätigkeit bekundete, und des nicht minder bewegenden „Hier bin ich geborn“ im Anschluss.

Auf der anderen Seite der Skala für mich die Nachspielung der klassischen Talkshow-Situation zum Thema „Kumpelschutz oder Naturschutz“, die sich in der Darstellung der bekannten Positionen im Wortsinne erschöpfte. Daß die Schauspieler dabei als Insekten kostümiert waren (das immerhin beeindruckend von Leonie Falke umgesetzt), konnten sich vermutlich nicht alle im Publikum erklären, dafür kam der vorhergehende Verweis auf die Ansicht des Gundermann, Insekten wären für das Leben auf diesem Planeten inzwischen deutlich besser geeignet, ein wenig zu kurz. In einer 90 min – Version des Stücks, die ich für sinnvoll halte, hätte diese Szene keinen Platz mehr für mich.

Das oben schon erwähnte Erstlingswerk von Gundermann hält noch so viel relevantes Material bereit … folgerichtig kam auch fast alles davon zur Aufführung. Manchmal als Teil eines Nummernprogramms, okay, es war eine Revue, manchmal aber auch eingebettet in eine kontextuale Handlung.

Zum Ende hin wurde es dann doch wieder zum Nummernprogramm an der Bühnenkante, vielleicht sollte sich ein Kreis schließen. Aber der schloss sich so unauffällig, daß dann auf einmal Schluss war, während das Publikum weiter im letzten Lied schwelgte. Da sollte dramaturgisch noch nachgeschliffen werden, denn diese Irritation am Ende hat das Stück nicht verdient.

Insgesamt wurde aus der „Sammeltasse Glück“ reichlich zurückgeschüttet ins Publikum, zu anderen Zeiten wäre sicher ein Beifallsorkan durchs Haus gebraust. So machte der Applaus zumindest an Länge wett, was er an Stärke nicht haben konnte, und dies womit? Mit Recht.

Es war ein schöner, wichtiger und wertvoller Beitrag zur Einordnung des ostdeutschen Rockliedermachers ausm Tagebau. Daß Gundermanns Spätwerk im Ganzen ein wenig zu kurz kam, war dabei unvermeidlich, in einer gut zweistündigen Aufführung lässt sich auch unmöglich das gesamte Schaffen unterbringen. Kühnel hat sich für wichtige Ausschnitte entschieden, das ist gut so und lässt auch noch Raum für weitere Versuche (wenn auch nicht von mir).

Das Gesamtphänomen Gundermann kann ohnehin nicht mit einem einzigen Film, einem Konzert oder einem Theaterstück beschrieben werden. Aber alle liefern ein paar Steine zum Mosaik eines viel zu früh Gestorbenen, für den das Bild der „Kerze, die an beiden Enden brennt“, wohl erfunden worden ist.

[Hinweis: Eine gekürzte Fassung dieses Textes wird auch auf dem allgemein sehr zu empfehlenden Portal KULTURA-EXTRA https://www.kultura-extra.de/index.php zu lesen sein.]

Ein Hamsterradio Spezial: GUNDERMANN

Hatte ich schon lange vor, und Andreas Dresens Film gab mir jetzt den letzten Anstoß dazu: Eine Sonderausgabe des Hamsterradio, Gerhard Gundermann gewidmet, ohne Pathos, aber mit der Ernsthaftigkeit, die ihm gebührt. Gut zwei Stunden lang, kürzer haben wir es dafür nicht.

Hier zum Nachhören (jetzt auch ohne vorherrunterladenmüssen):

https://www.dropbox.com/s/tjva9eobaw5kpve/Gundermann%201Sep18.mp3?dl=0

 

 

 

14 Herzblätter

Die Schauspielbrigade Leipzig interpretierte Gundermann im Kleinen Haus des Staatsschauspiels Dresden, 15. November 2015

Fast zwanzig Jahre nach dem Tod von Gerhard Gundermann sind seine Lieder noch immer in aller Ohren und Mündern, man möchte meinen, es nimmt eher zu als ab. Auch an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig sind Gundermann-Lieder fester Bestandteil der Gesangsausbildung, der Schritt zu einem selbst gestalteten Programm war da nicht mehr weit. Dozent Frank Raschke hat dieses geformt und gastierte mit einem vierzehnköpfigen Ensemble aus singenden Schauspielern und aus Musikern in Dresden. Es sei in dieser Form eine Premiere, sagte er in seiner etwas langatmigen Einführung.

Zuvor gab es den „Narrn“, mit Akkordeon von ihm und Gesang von Felix Fdefér, eine Eröffnung, die Hoffnung auf einen großartigen Abend machte. Dass diese dann doch nur teilweise erfüllt wurde, lag schlicht am sehr artifiziellen Ansatz der Interpretationen und leider auch an einem meist einfallslosen Arrangement der Stücke. Unbestritten waren da sehr schöne Stimmen zu hören, aber … man glaubte den sehr jungen Interpretinnen nicht, dass sie wussten, wovon sie sangen. Da hilft dann auch die schauspielerische Ausbildung nicht, Gundermann-Singen spielen ist etwas anderes als Gundermann singen. Auf dem gebohnerten Bühnenparkett verlor sich kein Krümel Kohlenstaub, die Soljanka wurde hier vom Vier-Sterne-Koch serviert, sehr raffiniert, aber ohne das gewisse Etwas.

Dass der Abend nicht völlig misslang, ist dem zweiten Teil zu verdanken. Da wurde auf einmal die Sterilität weggeblasen, wunderbar schräge Nummern waren zu hören, da zeigte das Ensemble, was drin gewesen wäre. Mit „Vogelfrei“ war dann auch bei mir das Eis gebrochen, eine großartige Version, so muss man das machen! Auch „Weißtunoch“ konnte an diese Niveau anknüpfen, und der „Zweitbeste Sommer“ gehört auch in diese Kategorie, ebenso die Zugabe „Gras“. Trotzdem war auch viel statisch Uninspiriertes zu hören, und die vier Streicherinnen wurden auch nicht immer glücklich eingesetzt. Die „Night of the proms“ ist bei Gundermann schlicht fehl am Platze, trotz aller Virtuosität.

Dennoch, es gibt noch einiges Erfreuliche zu berichten: Die singenden Herren waren durchweg gut, Thomas Dehler konnte mit eingebrachter Lebenserfahrung punkten und Felix Fdefér interpretierte sehr klug (so verzieh man auch seine Texthänger). Doch die Krone gebührt dem Schauspielstudenten Jannik Hinsch, der mit seiner schönen und facettenreichen Stimme ebenso begeisterte wie mit dem Charme seines Vortrags.
Also Unentschieden am Ende, immerhin.