Kategorie: Handball

Die theatralen Aspekte des Handballsports

Herr Mauke war Sport gucken

Dresden ist eine Sportstadt, sagt das kommunale Marketing gern. Dresden ist natürlich auch eine Kunst-, Kultur-, Barock-, Roland-Kaiser-, Einkaufs-, Auto-, Straßenbahn- sowie Pegida- und Schwurblerstadt, unter anderem, aber letzteres sagt das Marketing nicht so gerne.

Nun gibt es zwar einige Dutzend Kilometer elbabwärts noch eine Stadt, die sich mit diesem sportlichen Titel schmückt und auch sonst nicht viel mehr zu bieten hat, deshalb ist es ein bißchen gemein, das zu behaupten, aber im Haifischteich des regionalen Wettbewerbs werden vermutlich keine Gefangenen gemacht.

Begründet wird diese Zueignung unter anderem mit der Anwesenheit diverser Berufssport­vereine, z.B. erstrangigem Volleyball, drittklassigem Fußball und noch einigen anderen Sponsor-verwöhnten Gruppensportarten sowie damit, daß die Innenstadt gefühlt an jedem zweiten Wochenende der wärmeren Jahreshälfte mit Massenlaufveranstaltungen lahmgelegt wird. Nun ist die City dem Autor Mauke nicht so lieb, daß ihn das wirklich stören würde, aber es stürzt damit regelmäßig der städtische ÖPNV ins Chaos, und da hört der Spaß auf.

Handball gibt es auch in Dresden, und da Handball neulich auch reichlich im Fernsehen stattfand und Mauke in seiner zarten Jugend diesem edlen Sporte intensiv frönte, formte sich das alles zu einem wahrnehmbaren Verlangen, sich so etwas mal wieder in echt anzuschauen.

„Mal wieder“ meint dabei, solche Ereignisse bisher von der Auswechselbank oder gelegentlich von der Platte, wie wir Experten sagen, verfolgt zu haben, was zwar deutlich anstrengender, aber schon Jahrzehnte her ist, so daß der einhergehende Muskelkater inzwischen verflog. Das (erst aus späterer Sicht als wohlmeinend empfundene) Schicksal verwehrte dem Sportfreund Mauke das Erreichen irgendeines Kaders, die schon damals reichlich vorhandene Faulheit sperrte ihm den Weg ins richtige Leben frei. Aber das ist eine andere Geschichte.

Es begab sich also, daß am Freitag, dem 9. des Februars anno 2024 der hiesige Handballverein ein sog. „Pflichtspiel“ in der eigenen Halle austrug – wobei man sich fragen kann, ob hier nicht Pflicht und Willen (zum Broterwerb) Hand in Hand gehen, was eine angesichts der Sportart zwar naheliegende, aber trotzdem schräge Metapher ist. Gehen wir in der Folge mal davon aus, daß alle freiwillig dabei waren, nicht nur auf besagter Platte, sondern auch und vor allem auf den Tribünen.

Zweieinhalbtausend Menschen tummelten sich da, eine Zahl, für die das unweit gelegene Staatsschauspiel ein dreitägiges Christian-Friedel-Festival veranstalten müsste. Allerdings kamen die Menschen weniger des „Bildens und Besserns“ wegen, was im Theater ja generell stattfinden soll, sondern, um ihrer Mannschaft in der 2. Bundesliga bei der Arbeit zuzusehen.

Diese war gegen den ASV Hamm zu verrichten, der im vorigen Jahr noch eine Klasse weiter oben spielte, aber es müssen halt immer zwei absteigen. Wenn einen Verein dieses Los ereilt, fällt er entweder kadermäßig komplett auseinander oder berappelt sich sehr schnell, um wieder nach oben zu kommen. Für den ASV gilt letzteres, und so schwante dem Experten Mauke, daß dieser Dresdner Weg kein leichter werden würde, wie der deutsche Schlager singt.

Die ersten Schritte darauf wurden den heimischen Recken aber durchaus leicht gemacht. Mit einem Bohei, das an das Halbfinale der EM unlängst erinnerte, durften diese einzeln nacheinander das Parkett betreten, das obligatorische Kindchen aus dem Nachwuchs an der Hand, mit Getöse, Lichtershow und einem Conferencier, der sich kaum einbekam vor Glück, diesem Einmarsch beiwohnen zu dürfen. Wir im Publikum sollten auch alle die Nachnamen der Heroen rufen, und es gab wie in der Oper Obertitel dafür, so daß selbst Mauke dies hätte leisten können, wenn er denn gewollt hätte.

Im Unterschied zur Oper übrigens gibt es keine Publikums-Garderoben in der Sporthalle, was Zeit und Personal spart, aber irgendwie auch ungemütlich ist. Besagte Halle bytheway ist ein durchaus gelungener Sportbau, 2017 eröffnet und privat finanziert von einem lokalen Medizintechnik-Unternehmer, der dann sogar der Versuchung widerstand, seinen Namen dem Verein zu schenken, dessen Präsident er ist. Es gibt sie noch, die schönen Geschichten, und so spielt ein erst 2006 gegründeter Sportverein nun schon seit sieben Jahren stabil in der zweiten Liga und niemand sieht den sportlichen Geist resp. den Marktanteil in Gefahr. In anderen Sportarten mag das anders sein.

Zurück zum Bohei: Bei Mauke kam da bald der Verdacht auf, in einem Mehr-Sterne-Lokal zu weilen, mit einer stattlichen Reihe von Kellnernden im Fracke im Anmarsch, wo sich nach dem Lupfen der Tellerbedeckungen das raffinierte Gericht „Bockwurst an Senf im Dialog mit Brötchen“ zeigt. Ganz so groß war die Fallhöhe dann nicht, es wurde auch Kartoffelsalat gereicht und der Senf kam nicht nur aus Bautzen, um im Bilde zu bleiben, aber die maximale Eventisierung solcher Ereignisse geht ihm massiv auf den Wurfarm.

Zum Glück unterblieb das Absingen der Nationalhymne, aber der Einheizer war dennoch weiter sehr bewegt, dabei sein zu dürfen. Auf sein Geheiß hin sollten dann alle „Ha-Zeh“ rufen, und dann noch „Elbflorenz“. Ersteres hat Mauke nicht verstanden, und die zweite Wortschöpfung hängt ihm seit Jahren meilenweit zum Halse raus, so ausgenudelt wie sie ist. („Ausgenudelt“, „Florenz“, Italia, capito? Toller Witz.)

Dummerweise heißt der gastgebende Verein aber „HC Elbflorenz“, was an diesem Abend zu zahlreichen Wiederholungen der gefürchteten Vokabel führte. Natürlich ist das immer noch deutlich besser als „H.C. Strache“, aber „HC Medizin“ oder „HC Saegeling“ gängen doch auch und wären genauso leicht zu brüllen.

Apropos „brüllen“: Gebt kleinen Glatzköpfen kein Mikro in die Hand, die müssen alle was kompensieren!

Leider wurde diese Weisheit nicht beachtet, und so waren es nicht nur das halbe Dutzend Pauken und eine halbwegs ordentlich gespielte B-Trompete, die an den Nerven zerrten, sondern auch ein Schreihals mit unnötig verstärktem Organ.

Die Darsteller (es war übrigens eine reine Männerbesetzung wie zu Shakespeares Zeiten) waren das offenbar gewohnt und ließen sich in ihren Darbietungen nicht stören. Vor der Pause plätscherte das Geschehen munter vor sich hin, mal waren wie im richtigen Leben die Schwarzen vorn, mal die Roten und an die Wand gespielt wurde niemand. „Geschlossene Emsembleleistung“ nennt man das.

Man konnte sogar mittendrin Bier kaufen! Also nicht wirklich mittendrin, sondern nur an den Stirnseiten im ersten Rang, und es war auch nicht direkt Bier, sondern die Plörre aus Freiberg, aber immerhin. Da kann sich das Regietheater noch ein Scheibchen abschneiden.

In der Pause gab es Kleinkunst, ein älterer Herr wurde vom diensthabenden Brüllaffen angeschrien, daß er den 90. Geburtstag gehabt habe. Dann wurde den Sponsoren gehuldigt und um Spenden für einen Ausflug des Nachwuchses nach Spanien gebettelt. Der Hauptsponsor aus der Mikroelektronik ließ sich zwar nicht lumpen und hatte schon einige Chips bereitgestellt, aber es reichte wohl noch nicht. Für die milde Gabe darf er übrigens beim nächsten Spiel eine Job-Börse in der Halle veranstalten, der Kampf um die Köpfe ist auch in Dresden im vollen Gange.

Entgegen einer normalen Dramaturgie wuchs die Spannung nicht im zweiten Akt, sondern es wurde vorgeführt, wie wichtig eine gute Abwehr gerade auswärts ist. Insofern entwickelte sich der Abend zum Lehrstück, wenn auch nicht ganz ohne klassische Heldenfiguren.

Ein Siegfried mit Oberlippenbärtchen und Dauerwelle z.B. eroberte erst heldenhaft den Ball vor der eigenen Burg, um diesen dann ohne erkennbaren Dolchstoß in seinen Rücken in Feindesland kampflos wieder herzugeben. Ein anderer, nennen wir ihn Ajax, marschierte vor den gegnerischen Rittern lange auf und ab, um dann unvermittelt den Rundkörper in die fremde Scheune zu werfen. Zwillinge, wie üblich in identischer Kleidung, konnten trotz Kleinwüchsigkeit allein mit dem Spiel ihrer Schalmeien die Herden dirigieren. Ein meist geduckt gehender Merlin verstand es, sein Gegenüber etwa siebzehnmal für kurze Zeit in ein Handballerdenkmal zu verwandeln und konnte so unbehelligt sein Geschäft verrichten. Der jugendliche Held schließlich kam wie bei Lukas Rietzschel von rechtsaußen, begann aber erst mit den Heldentaten, als der Vorhang sich schon senkte.

Das war alles nett anzuschauen, und auch das Gebrüll von der Seitenlinie wurde ergebnisgerecht gegen Ende leiser, flammte aber nach dem Schlussapplaus noch einmal auf, um die nächste Premiere (mit erwähnter Job-Börse) anzupreisen.

Großes Theater gab es dann als Zugabe: Da herzten sich die Männer auf der Bühne, daß es eine Freude war. Auf der einen Seite wurden Rundtänze aufgeführt, auf der anderen Seite immerhin den Technikern applaudiert, so wie es sich gehört. Und ganz ohne Unterscheidung der getragenen Farbe gab es freundliche Abschiedsklapse in langer Reihe.

Nur ein Co-Regisseur zeigte sich übellaunig, dabei hatte er es doch selber versäumt, sich und den Seinen eine Auszeit zu gönnen, als es noch geholfen hätte. Einen Darsteller karnevalsgerecht in ein albernes Tigerkostüm zu stecken und diesen dann das Publikum durch übergriffige Nähe belästigen zu lassen, war allerdings eher Schmierentheater, so viel sei kritisch zu dem insgesamt gelungenen Abend angemerkt.