Kategorie: Michalek
Theater von unten – Zwischenrufe aus dem dunklen Parkett
Eine Sammlung subjektiver Schauspielberichte aus Dresden seit der Spielzeit 2011
Anstelle einer Inhaltsbeschreibung zwei Vorworte:
1. Fiktives Vorwort einer imaginären Fachkraft
Was soll das denn?
Nicht nur, dass sich diese Teichelmauke erdreistet, im Revier der hehren Theaterkritik zu wildern (als eine Art IKEA im gediegenen Möbelmarkt), nun fasst er diese Ärgernisse auch noch digital zusammen und wirft sie in die Welt. Das will doch keiner lesen!
Und wenn doch, entspringt dieser Wille nur mangelnder Ernsthaftigkeit im Umgang mit dem hehren Medium Theater, zu dem man sich nur (!) eine Meinung bilden kann, wenn man zumindest Geisteswissenschaften studiert hat und jedes Stück aus dem Schauspielführer schon mindestens dreimal sah, davon einmal durch die Herren Reinhardt, Peymann, Stein, Konwitschny, Thalheimer, Petras, Kriegenburg, Pollesch oder den vielen Hartmännern inszeniert. Erst dann kann man mitreden.
Diese Teichelmauke (Schon der Name! Albern!) kann dies nicht aufweisen. Er stammt „aus der „Mitte des Parketts“, wie er selber theatervolkstümelnd schreibt. Was soll denn das bringen?
Natürlich spielt das Publikum am Theater eine Rolle. Aber doch keine aktive! Dessen Aufgabe ist es, andächtig zu lauschen und zu schauen, möglichst wenig zu husten und am Ende mit stürmischem Beifall das Stück abzurunden. Auch Bravo-Rufe sind erlaubt, sofern der zuständige Kritiker der Inszenierung seinen Segen gegeben hat. So war es immer, und so soll es bleiben.
Und nun kommt einer daher, der zugegebenermaßen oft im Theater zu finden ist (aber Masse erzeugt noch lange keine Klasse, mein Freund!) und schreibt auf, was er erlebte. Clevererweise nennt er das weder Rezension noch Kritik, trotzdem ist das reine Produktpiraterie. Die Chinesen sind nun also auch im Theater angekommen.
Aber man kann es ja nicht verhindern. Heute kann jeder veröffentlichen, was er will. Und wenn nun auch auf über hundert Seiten über fünfzig Stücke „besprochen“ werden, es wird den Lauf der Theatergeschichte nicht verändern.
2. Vorwort der Teichelmauke
Ja, sicher. Soll es auch nicht. Na und?
Der Ansatz ist auch eher selbstbezogen.
Wenn man – mit steigender Intensität – seit fünfzehn Jahren immer wieder ins Theater geht, kommt irgendwann der Moment, wo man trotz des sich selbst eingestandenen Dilettantismus glaubt, ein bisschen mitreden zu können. Und wenn es dann noch so eine großartige Initialzündung wie den Dresdner „Don Carlos“ gibt, die einen dazu bringt, seine tiefen Eindrücke irgendwie zu Datei zu bringen, kann das durchaus dazu führen, dass man dieses Hobby weiter pflegt, auf verschiedenen Plattformen seine Betrachtungen unters interessierte Volk bringt und sich fürderhin als „Bürgerrezensent“ begreift.
Wenn es eine Bürgerbühne gibt, die Laien zum Spielen bringt, kann es auch so weit kommen, dass Laien über das Theater schreiben. Es ist mit allem zu rechnen, seitdem die Chefredakteure nicht mehr die alleinige Hoheit über das haben, was veröffentlicht wird.
Meine Texte sind Beiträge, nicht mehr. Ich füge meine Meinung den Bewertungen der „offiziellen“ Kritiker hinzu, wenn auch mit geringerer Reichweite. Aber das ist ok, es geht ja nicht um Bekehrung oder um Deutungshoheit. Eigentlich …, eigentlich mach ich das nur für mich. Aber ich lasse andere, die es vielleicht interessiert, daran teilhaben.
Was allerdings vielleicht ein Alleinstellungsmerkmal darstellt, sind meine Bestandskritiken. Wer schreibt schon über Repertoirestücke? Eigentlich aus der Not geboren – ich kann nun mal nicht bei jeder Premiere dabei sein – hat sich dies zu einem netten Hobby entwickelt.
Und nun gibt es halt gesammelte Werke. Der erste Akt ist dem Staatsschauspiel Dresden gewidmet, dessen Hervorbringungen meine theatrale Hauptspeise in den letzten Jahren war. Ein geplanter zweiter Akt soll dann die Gastspiele beleuchten, und das reizvolle weite Umland von Dresden.
Und: Man sollte das alles nicht so hoch hängen. Kunst soll Spaß machen. Und das Schreiben darüber auch.
Ich zumindest hatte den, und das wünsche ich den geneigten Lesern auch.
Hier zu finden:
https://www.xinxii.com/theater-von-unten-p-353248.html
Und jedermann erwartet sich ein Fest
Die Vorschau zur 101. Saison des Staatsschauspiels Dresden in einem empfehlenswerten Magazin.
„Der Rausch der Hundertsten ist vorbei; freuen wir uns auf den Rausch der Hundertundersten.“
http://www.kultura-extra.de/theater/feull/saisoneroeffnung_staatsschauspieldresden2013.php
Die Metaphernschlacht im böhmischen Wald
„Die Räuber“, Friedrich Schiller, in der Regie von Sebastian Baumgarten gesehen am 20. April 2012 im Staatsschauspiel Dresden
Aus Schillers Frühwerk wird in der Regie von Sebastian Baumgarten ein Franz-zentriertes, mit zeitgeschichtlichen Metaphern vollgeladenes Schauspiel. In einer grandiosen Bühne kämpfen die ungleichen Brüder um ihre Rolle im Leben und die Gunst des zweifelnden Vaters. Durch die besondere Heraushebung von Franz und Amalia gewinnt Baumgarten einen eigenen Blick auf die Geschichte, der allerdings von einem Zuviel an Bezügen und Zitaten wieder verstellt wird.
Es ist eher eine Opernausstattung, finde ich, Bühne und Kostüme lassen die Herkunft des Inszenierungsteams erahnen. Was ja nicht schlecht sein muss.
Begonnen wird mit einer fulminanten Überraschung: Der sechsfache Hausknecht verwirrt anfangs, bereichert aber dank seiner / ihrer animalischen Beweglichkeit das Bühnenspiel ungemein. Erstes Bravo.
Man kommt recht schnell zur Sache mit Franzens Intrige. Der alte Graf von Moor will den Einflüsterungen seines Zweitgeborenen, den er immer verachtete und ihn das auch spüren ließ (die klassische schwere Kindheit) aber noch nicht recht lauschen, zumal ihm mit der vorlesenden Schwiegertochter in spe Amalia Angenehmeres winkt. Ob man diese nun unbedingt aus „Emmanuelle“ vortragen lassen muss, sei dahingestellt.
Der Graf wurde diesmal von Albrecht Goette vom Blatt gespielt, Dieter Mann war erkrankt. Aber es war dennoch zu sehen, dass die eingeschmolzene Rolle eines (hierfür überqualifizierten) Gaststars nicht bedurft hätte. Die Handlung trugen andere Figuren.
Noch winkt der „böse“ Franz nach seinen Ausbrüchen verlegen ins Publikum. Das soll sich bald ändern.
Szenenwechsel. In einer Leipziger Drill-Station (Warum eigentlich? Hier folgt doch die Ursache der Wirkung?) erhält der „gute“ Karl den verhängnisvollen Brief, der seine Terroristenkarriere begründet. So weit, so plausibel.
Franz umwirbt derweil mit den Mitteln des Schwanensee die treue Amalia, die aber standhaft bleibt. Deren Figur (Sonja Beißwenger voll gefordert in der anspruchsvollen Rolle) ist stark aufgewertet im Stück, sie verkörpert das Reine und Gute und ist damit in der Unterzahl.
Dennoch hat die Welt sich umgedreht, nur ist der erste Platz in Vaters Herzen derzeit nicht vergeben. Karl muss endgültig weg, das ist klar, und doch will Franz es nicht gern selbst getan haben. Der Plan muss nochmal in die Intrigenschmiede.
Franz als armer Tor? Im Spielplan verrutscht? Auch schön, Faust hatten wir lange nicht am Hause.
Gesucht wird nun ein Werkzeug, ein Pferd aus Troja, um des Vaters Herz zu stürmen. Der Zombie Hermann (muss ich wohl nochmal nachlesen) steht bereit. Zwar glaubt der Alte die Geschichte vom heldenhaften Ableben seines gefühlt einzigen Sohnes, mobbt Franz aber weiter. Und am Tode des armen Karl will er nicht schuld gewesen sein, erst recht nicht Franz, der nur mal kurz Hände waschen muss.
Nun hacken fünf Zwerge Holz im Takt zu Melodien aus Winnetou. (Ja, ich weiß, das Bild soll ein anderes sein, aber das hier ist ja mein Bild) Über den seltsamen Auftritt der Nonnen breiten wir den Mantel des Schweigens. Der Räuber, Brandschatzer und GEZ-Betrüger Karl von Moor wandelte sich wohl zwischenzeitlich zum Stülpner Karl oder allgemeinverständlich zum Robin Hood. Dann sind es sieben, die nach getaner Räuberarbeit friedlich das Abendessen einnehmen, kalorienarm und alkoholfrei. Nur ein Schneewittchen fehlt zum Idyll.
Der alte Mordbube Schufterle muss gehen, er passt nicht mehr zum gelifteten Markenauftritt. Allein, es ist zu spät, die Bande ist umzingelt. Karl ist fortan für die Durchhalteparolen zuständig, und da keiner der Genossen den Chef ausliefern will, kommt es bald zum großen Showdown. Aber erstmal ist Pause.
In der Vermutung, einen erholten Zuschauer vorzufinden, lässt Regisseur Baumgarten dann aus allen Rohren Metaphern in die Menge feuern.
Wir ertragen eine Grundsatzrede des Franz mit den üblichen Versatzstücken. Damit man es auch nicht falsch einordnet, gibt es Bilder von brennenden Büchern und Reichstagen dazu. Aha. Die lauwarme Symbolik des 33-45-89 ist ein erstes Buh wert.
Das zweite gibt es für das simple Bild mit Kampftrommeln und Runenschrift, das allein durch Lautstärke imponiert.
Irgendwann in der ersten Halbzeit wurde der Kapitän ausgewechselt, sprich Graf von Moor ging von uns. Ich gestehe, ich hab es nicht mitbekommen. Jedenfalls steigt jener wieder aus der Gruft und verleitet Amalia zu einer seltsamen Sprecharie. Der mit sauteuren Rosen auf der Szene erscheinenden Franz erhält von ihr mit ebenjenen eine ordentliche Tracht Prügel. Dann wird’s aber unappetitlich. Für alles zusammen Buh Nummer Drei.
Zurück im Wald, Karl ist den Häschern wie auch immer mit geringen Verlusten entronnen. Was den böhmischen Recken nicht glückte, gelingt dann aber einem Paterchen mit einer rührenden Geschichte, die Karl verdammt an die eigene erinnert. Spontan beschließt er, gen Franken, nach Hause zu ziehen.
Eh es untergeht: Das Bühnenbild ist eine wundersame Allzweckkonstruktion, die gefühlt ein Dutzend Szenenbilder ermöglicht. Bravo Zwo ist fast zuwenig des Lobes.
Jenes Bühnenbild muss dann auch irgendwie Afrika abbilden. Hm. Das wird schon alles seinen Sinn haben.
Die Wiederbegegnung mit Amalia findet teil-inkognito mit Karl als Großwildjäger statt. Dann gibt es noch eine angedeutete Titanic-Bug-Szene, ist ja grad Jahrestag. Ich ahne, das nimmt kein gutes Ende.
Zumindest für Spiegelberg, den Vize der Räuberkompanie, tritt dies schnell ein. Seine eigene Meuterei überlebt er nicht. Die Kameraden sind treu wie … ich kenn mich da nicht so aus.
Franz hat offenbar auch eine Farm in Afrika. Aber das bekommt ihm nicht, er wird vor Angst fast wahnsinnig und klärt vorsichtshalber seine Beziehung zur Religion. Richtig weiter bringt ihn das nicht, er bringt sich aus Angst vor dem Tode um. Offiziell heißt das „er richtete sich selbst“, in praxi versaut er erst seine Unterwäsche und haucht nachher recht unspektakulär sein Leben aus. Franz Moor hat seine Schuldigkeit getan, er kann vergehen.
In der Folge setzt ein Massensterben ein, das Geschehen wird unübersichtlich. Der Schweizer ist offenbar eher ein Samurai, Amalia leistet ihren Beitrag zum Thema „Sterbehilfe“, einige andere werden auch noch vermisst. Man weiß nicht recht, wer am Ende noch am Leben ist, aber zum Schlussapplaus sind alle wieder da.
Ist das zu albern? Mag sein, aber mit dem Ausflug nach Afrika ging mir die Ernsthaftigkeit flöten, tut mir leid.
Die unfreiwillige Krönung: Der fiese Räuber Namenlos wird zum Geburtshelfer und nimmt das Kindlein der sterbenden Amalia, nun ja, entgegen. Die angedeutete Entbindung der A. verdient den Peinlichkeitspreis 1. Klasse. Am Nabelschnürchen.
Der alte Moor vergeht nicht und lebet ewiglich, lernen wir in der Schlussszene. Sogar mit neuer Amalia. Aber nun kann uns nichts mehr erschüttern. Ende, der Applaus herzlich, aber nicht so üppig wie gewohnt.
Zu zwei Hauptdarstellern ist noch nichts gesagt worden: Matthias Reichwald hat den ihm gelassenen Raum meist genutzt, die Motive von Karl traten aber nicht so klar zutage, wie ich es mir gewünscht hätte. Das ist aber vor allem eine Frage der Regie.
Wolfgang Michalek war unbestritten der Star des Abends, der die Szenerie dominierte. Die Monologe waren grandios, im Spiel mit den anderen blieb er aber seltsam blass. Dennoch eine hervorragende Leistung.
Nein, es war nicht so, dass ich nur „böhmische Wälder“ verstand, wie Amalia so hübsch sagte. Es ist auch nicht so, dass mir das Stück gar nicht gefallen hätte. Ich hatte mir nur mehr versprochen.
„Die Räuber“ sind Allgemeingut am Theater, selbst ich hab schon drei Inszenierungen davon gesehen. Es ist sicher schwer, noch etwas Neues hineinzuinterpretieren. Aber willkürlich die Zeitgeschichte ins Stück zu pressen, reim dich oder ich fress dich, kann es auch nicht sein. Weniger wär hier mehr gewesen.
Übrigens, auch mal interessant: Vergleichende Rezensionsstudien.
Was sonst nur die Presseabteilung für die hauseigene Wandzeitung macht, hab ich für den Privatgebrauch getan (nein, ich hab nicht abgeschrieben oben, höchstens ganz wenig, und wenn überhaupt, dann nicht mit Absicht).
Erfreulicherweise wird unser Viertelprovinz-Theater immer öfter überregional wahrgenommen, und der Name Baumgarten ist stets für einen Skandal gut. Trotzdem gab es außer den drei üblichen Verdächtigen (SächsZ, DNN und nachtkritik.de) bis dato nur eine Besprechung in der Frankfurter Rundschau (wortgleich in der Berliner Zeitung) und eine in der Freien Presse aus Chemnitz, die ich fand.
Einig sind sich alle, ein opulentes Werk gesehen zu haben und finden Begriffe wie Schauspiel- bzw. Ton-, Musik- und Bildergemälde, Gesamtkunstwerk oder Deutschland-Installation. Allerdings werden auch Bezeichnungen wie inszenatorischer Budenzauber, Symbolwald oder Mammutabend verwendet, die das Unbehagen über ein Zuviel an Metaphern ausdrücken.
JedeR RezensentIn ergeht sich in Lobpreisungen von Wolfgang Michalek, hier soll nur die schönste wiederholt werden: „Er ist ein Böser, der in jedem Moment anders böse ist“. Wirklich unbestritten ist das ein Michalek-Abend, dem allerdings zu Gute kommt, dass das Stück von Regie und Dramaturgie konsequent auf Franz Moor ausgerichtet wurde.
Alle anderen Darsteller laufen mit einem respektvollem Abstand ein, auch der sonst hochgeschätzte Matthias Reichwald und Alt- und Gaststar Dieter Mann. Lediglich die FR sieht Sonja Beißwenger als Amalia auf Augenhöhe und erkennt Facetten, die den Kollegen offenbar verborgen blieben.
Das Gesamturteil der Rezensenten liegt dicht beisammen. Einig ist man sich, dass man immer noch einen Schiller sah (was nicht selbstverständlich sein soll), dessen Vorlage dramaturgisch geschickt in Richtung Franz gedreht wurde. Die aktuellen Bezüge waren nicht immer schlüssig, die Menge an Bezügen und Anspielungen drückte die Handlung teilweise beiseite. Gewisse Längen nach der Pause bemerkten drei der Schreiber, mit der Dauer von immerhin drei Stunden waren alle nicht recht glücklich.
Dennoch ging keiner unzufrieden nach Hause, man sah ein interessantes, diskussionswürdiges Stück und zum Teil erstklassige Schauspielerleistungen.
Tja, wenn man also genug Rezensionen nebeneinander legt und noch die eigene laienhafte Meinung hinzu nimmt, kriegt man fast ein objektives Bild, oder?
Egal, ob Objektivität oder qualifizierte Subjektivität: Ich empfehle hinzugehen und sich selbst ein Bild zu machen. Das nächste Mal .. siehe Spielplan. In diesem Theater.