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Schöne, nicht ganz neue Welt
Die Saisonvorschau 2014/15 des Staatsschauspiels Dresden
Es ist Gründonnerstag, ein Journalistenfeiertag, wie man jetzt auch im Staatsschauspiel Dresden weiß und deshalb die Pressekonferenz zur kommenden Saison um einen Tag vorzog. Die Vorstellung vor den interessierten Publikumskreisen (zwei Vereine und einige Abweichler) konnte aber am geplanten Tag verbleiben, die meisten im mit 200 Gästen gut gefüllten Foyer sind ohnehin im Rentenalter.
Ich beschließe, den rar gewordenen Moment, zum jüngsten Viertel der Besucher zu gehören, ausgiebig auszukosten und lasse mir die Laune auch nicht durch die witzelnde Einleitung des Vereinsmeiers Eins verderben. Dessen Zumutungen lässt Intendant Wilfried Schulz locker abtropfen und hat gleich ein ärztliches Bulletin zu verkünden: Ja, Lea Ruckpaul habe sich den Fuß gebrochen, aber bei den jungen Leuten wachse sowas schnell wieder zusammen. Sie würde heute trotzdem die Titelrolle in Antigone spielen, im Sitzen, und ihre Wege würde jemand anderes gehen, was grad noch auf der Bühne geprobt würde, weswegen man mit der Spielplanvorstellung ins Foyer ausgewichen sei.
Das klingt verdammt interessant, wie schlümmstes Berliner Regietheater, auch wenn ich das Stück überhaupt nicht und die aktuelle Inszenierung auch nicht besonders mag. Ich bleib dann aber doch nicht zur Vorstellung, die Welt (oder zumindest ein Milliardstel davon) wartet auf meinen Bericht. Also:
Die „geistige Stütze“ des 61-jährigen Schulz (um den Vereinsmeier Eins zur Strafe zu zitieren), Chefdramaturg Robert Koall, weilt im fernen Amerika, um auch dort Gutes zu tun, zumindest an einigen Studierenden. Wie man ihn kennt, wird er eine Uraufführung mitbringen.
Wilfried Schulz muss heute also alleine die durchaus wohlwollende Halbfachwelt (Fachhalbwelt?) bespielen, aber dies gelingt prächtig. Die gute Stunde vergeht wie im Fluge, nur am Anfang sind es ein paar Fußballmetaphern zu viel, das hat er gar nicht nötig, zumal er gelegentlich einen Zwischenruf bekommt, den er als Steilpass aufnimmt und dem Rufer postwendend ins eigene Netz knallt. (Jaja, ich kann das auch mit den Metaphern.)
Genug geblödelt.
Es wird eine schöne Welt werden im Dresdner Theater, wenn auch keine völlig neue. Doch man startet mit einer Uraufführung, besagter „Schönen neuen Welt“ nach Aldous Huxley, die – siehe oben – Robert Koall eingesammelt und für die Bühne aufbereitet hat. Und dann führt auch noch der seit dem Dresdner „Don Carlos“ zur allerersten Reihe gehörende Roger Vontobel Regie, der diesen beängstigend-großartigen Stoff sicher in faszinierender Weise umsetzen wird. Da freu ich mich schon sehr drauf, und wenn es für den 12. September schon Karten gegeben hätte, würde eine jetzt mir gehören.
Also mal kein Klassiker zur Eröffnung, aber vielleicht wird es ja einer.
Dafür folgt dann ein richtiger: Tschechow. Das brachte Herrn Schulz zum Sinnieren, wo denn die Sehnsuchtsorte heute so wären, da ja „nach Moskau …“ nur mehr bedingt gelten würde. Die Frage blieb offen. (Ich hätte Hiddensee und das Schützenhaus in Wehlen zu bieten, aber das ist jetzt vielleicht zu banal.)
Regie wird Tilman Köhler führen, was unbedingt eine gute Idee ist, wie laut Schulz auch das Ensemble findet. Drei Dutzend Bewerber*innen hätte er auf elf Rollen … Dass er bei dieser Gelegenheit auch noch so cool ist, über sein sicher nicht unbeträchtliches Gehalt zu witzeln (und einen Teil davon als Schmerzensgeld zu definieren), zeigt eine Souveränität, die in den fünf Jahren seines Vertrags stetig gewachsen ist.
Wilfried Schulz hat inzwischen in Dresden verlängert, was ebenfalls eine gute Idee ist, und beginnt nun seine sechste Spielzeit. In dieser wird es – auch wenn „Klaus im Schrank“ noch wie geschnitten Brot geht – ein neues Kinder- und Familienstück geben, „Das Gespenst von Canterville“ nach Oscar Wilde. Auch wenn die Geschichte eigentlich jeder kennt, wird interessant sein, wie Susanne Lietzow dies auf die Bühne bringt. Dass Herr Schulz wortreich erklärte, warum nun Frau Lietzow schon wieder „sowas“ machen würde, sagt leider einiges über das Ansehen dieser Gattung in Fachkreisen aus, was einerseits schade ist, mir aber andererseits auch wurscht, denn selbst wenn es die großartigen „Ratten“ nicht gegeben hätte, würde ich ihre Arbeit dennoch schätzen.
Der Faust kommt immer wieder, das kann ich bestätigen. Nach der werktreuen Fassung von Holk Freytag vor einigen Jahren (mit einem phänomenalen Gespann Glodde/Mesgarha, ich erinnere mich gut und gern) kommt nun der hierzulande noch nicht tätig gewesene Intendant aus Uppsala, Linus Tunström, der auch als Choreograph arbeitet, und kündigt eine freie Interpretation an. Es soll irgendwie retrospektiv werden und die Best-Ager im Ensemble dürfen sich schon mal warmlaufen. Auch das klingt spannend.
Die darstellende Jugend ist dann bei „Wie es euch gefällt“ gefragt, das Jan Gehler, Hausregisseur Nr. 2, erstmals auf der großen Bühne inszeniert. Dies sei nicht mit „Was ihr wollt“ zu verwechseln, tat Schulz kund, und bescheinigte einem „Hoffentlich!“ Rufenden dann eleganter, als ich das hier widergeben kann, mangelnde geistige Reichweite. Doch auch den hier nicht mehr ganz so gut gelittenen Andreas Kriegenburg ereilte bei dieser Gelegenheit ein Schulzscher Ordnungsruf: 30 Minuten zu lang sei es geraten.
(Schulz ist da übrigens ganz meiner Meinung, den fast einhelligen Verriss der diesjährigen Inszenierung teile auch ich mitnichten.)
Egal. Kriegenburg (oder besser Dresden?) bekommt eine neue Chance, „Bernarda Albas Haus“ von Lorca wird im April 2015 premierieren und fast das gesamte weibliche Ensemble auf der Bühne versammeln, was allein schon Grund genug wäre hinzugehen. Davor gibt es noch einen unbekannten Schiller („Die Verschwörung des Fiesko zu Genua“) des hier auch noch nicht so populären Regisseurs Jan Philipp Gloger und Kafkas „Amerika“, das Wolfgang Engel, auf andere Art ein Hausregisseur, inszenieren wird, mit Olaf Altmann als Bühnenbildner.
Irgendwie (vermutlich beim Stichwort Gloger) kam dann die Sprache auf die Semperoper und die „dort noch verbliebenen Kollegen“, die sich der guten Wünsche aus dem neuschwesterlichen Hause sicher sein könnten. Respekt, noch nie hat sich ein offizieller Vertreter der Kultur im Freistaat so deutlich erbost über den Rauswurf von Serge Dorny geäußert wie Wilfried Schulz heute. Aus anderen Landeshauptstädten, z.B. in Bindestrich-Ländern, hört man derzeit eher Ergebenheitsadressen an die Ministerien.
Gut, er hat frisch verlängert, einen weiteren Rauswurf eines Intendanten wegen Majestätsbeleidigung würde Frau von Minister politisch weder durchbekommen noch überstehen, dennoch: Diese klare Positionierung ist dankenswert, zumal sie einen Bogen schlug nach Wien und nach Düsseldorf, wo auch grad große Tanker schlingern.
Zurück zu einer anderen Art von Theater: Im Großen Haus sind noch die „Lehman Brothers“ zu erwähnen, die die Geschichte des Kapitalismus über 150 Jahre erzählen werden, kleiner haben wir es hier nicht. Das Stück stammt vom Italiener Stefano Massini und kommt als deutschsprachige Erstaufführung. Regie führt der Kölner Intendant Stefan Bachmann, der damit auch die große Umbaupause in Köln überbrückt. Und Friederike Heller wird „Dantons Tod“ von Büchner inszenieren, die Premiere ist im Mai 2015 geplant.
Das Kleine Haus und die Bürgerbühne kommen dann zeitbedingt recht kurz weg. Mit Philipp Löhle gibt es einen neuen Gegenwartsautor, den Barbara Bürk inszenieren wird. Der letzte Roman von Monika Maron, „Zwischenspiel“, wird vom Jung-Regisseur Malte Schiller verarbeitet, die Hauptrolle übernimmt Hannelore Koch, eine schöne Konstellation.
Ein Stück zum NSU wird es geben, von Thomas Freyer in der Regie von Tilman Köhler, fragend angelegt, wie Schulz erklärte. Und Roger Vontobel wird mit der „Panne“ von Dürrenmatt seine zweite Dresdner Produktion in dieser Saison machen und seine allererste eines Schweizer Autors auch. Arthur Miller steht mit „Alle meine Söhne“ auf dem Programm (Regie Sandra Strunz), und Martin Heckmanns wird sich mit den Qualen der Eltern bei den ersten sexuellen Erfahrungen der Kinder befassen, ein Stück ganz nach dem Geschmack des Intendanten, wie er bekundete.
Und dann kommt noch ein Musikstück von und mit Clemens Sienknecht, „Superhirn oder wie ich die Photonenklarinette erfand“. Wilfried Schulz ist sicher nicht rachsüchtig, merkt sich aber alles, und so wurde der arme Zwischenrufer von vorhin mit „nichts Ernsthaftes, also nichts für Sie!“ angesprochen. Er wird das sicher nie wieder tun.
Ach ja, und dann steht noch was Geheimes ins Kleine Haus, mit „Ein neuer Text“ umschrieben. Immerhin der Regisseur ist mit Jan Gehler schon fixiert, was dann auf die Bühne kommt, soll erst zur Frankfurter Buchmesse verraten werden. So macht man das heute.
Die beiden hiesigen Lokalzeitungen stiegen dennoch in ihrer Berichterstattung nicht darauf ein, bei der einen ist man ohnehin nicht verwöhnt, und die andere setzte den Schwerpunkt auf die Aussagen zum „Fall Dorny“. Hier kann man sich also noch investigativ betätigen, so man dies möchte oder muss.
Die Bürgerbühne ist inzwischen Normalität, was schön ist, ihr aber in solchen Veranstaltungen auch keine Extrawurst mehr beschert. Fünf neue Inszenierungen sind zu erwarten, auf jene zur jüdischen Identität in Dresden, inspiriert durch die „letzten Zeugen“ des Burgtheaters, die zum Bürgerbühnenfestival im Mai hier gastieren werden, sei besonders verwiesen. Und auf das nunmehr dritte Landschaftstheater, wieder von Uli Jäckle.
Es ist – Phrasendrescher an – ein „reicher Spielplan“, mit einer klareren inhaltlichen Trennung zwischen Großem und Kleinem Haus, wie mir scheint. Die Saison trägt kein eigenes Motto, aber dem – nicht nur wegen der ungewöhnlichen Schauspielerportraits – gelungenen Spielzeitheft ist ein Zitat von Wolfgang Herrndorf vorweggestellt:
„Wir waren unterwegs, und wir würden immer unterwegs sein, und wir sangen vor Begeisterung mit“
Ja, meinereiner kommt mit, und selbst das Mitsingen kann ich mir vorstellen, wenn das alles so eintritt.
Die Veranstaltung beschließt Vereinsmeier Zwei, kalauernd wie Nr. Eins, aber immerhin hat er Blumen dabei. Und dann ist Ostern.
Furie im Schlachthaus
„Elektra“, tragische Oper von Richard Strauss, in einer Inszenierung von Barbara Frey und unter musikalischer Leitung von Christian Thielemann gesehen und gehört an der Semperoper Dresden am 31. Januar 2014
Mit Iphigenie hat alles angefangen.
Auch wenn der Name an diesem Abend nicht fällt und sich das Libretto von Hugo von Hofmannsthal konsequent dieser Tatsache verweigert, „Elektra“ und die Orestie allgemein sind nicht begreifbar ohne den Beginn des Trojanischen Krieges.
Agamemnon, dessen Totenkult die Tochter Elektra bis zur Selbstaufgabe betreibt und für dessen Ermordung sie ihre Mutter Klytämnestra bestraft sehen will, hatte damals für günstigen Wind ihre ältere Schwester Iphigenie geopfert und seine Frau als de facto Alleinerziehende zurückgelassen für mehr als zehn Jahre. Als er schließlich siegreich aus dem Felde zurückkehrt (übrigens mit der Trojerin Kassandra als Beute), muss er dies büßen und findet mit Hilfe des Strohwitwentrösters Aegisth ein blutiges Ende im eigenen Badezimmer. Der Stammhalter Orest wird daraufhin abgeschoben aufs Land, die Töchter Elektra und Chrysothemis verbleiben am Hofe, der nun unter neuer Leitung steht.
Aus solchem Stoff werden Psychothriller gemacht.
Straussens (und Hofmannthals) „Elektra“ steigt ein geschätztes Jahrzehnt später mit der Handlung ein. Die Schwestern werden wie Gefangene gehalten, doch während Chrysothemis sich den Willen zum Leben und zum Glück bewahrt hat, gefällt sich Elektra, die ihren geschlachteten Vater abgöttisch verehrt und sich als Vergeltungsgöttin inszeniert, in der Märtyrerinnenrolle. Keine leidet schöner als sie, aber ihre Wahrheit ist genauso relativ wie die Gerechtigkeit, Rache ist Blutlust.
Der verschollene Bruder Orest soll es richten, später, als die (fingierte) Kunde von seinem Tode kommt, will sie auch selbst zum Beil greifen. Aber Orest lebt, was man kurze Zeit später von seiner Mutter und deren Geliebtem nicht mehr sagen kann. Zuvor noch eine ergreifende Wiedererkennung zwischen Brüderlein und Schwesterlein.
Die Gewaltspirale hat sich am Ende ein Stück weitergedreht, was Elektra – ihrer selbstgesetzten Aufgabe entledigt – zusammenbrechen lässt.
Das Haus Agamemnon steht nun wieder unter neuer Leitung.
(Dass Orest wenig Freude an seiner neuen Würde haben wird, weiß man, doch die Oper endet an dieser Stelle.)
Man sollte es sich dennoch nicht zu leicht machen mit der Beurteilung des Stoffes. Dem Werk Verherrlichung von Gewalt und Rache zu unterstellen, greift zu kurz, dafür werden – trotz der scheinbar eindeutigen Parteinahme von Komponist und Librettist – die Charaktere und deren Gefangenheit in einem mörderischen Schicksal zu gut ausgeleuchtet. Vor allem die Dialoge zwischen den Schwestern und zwischen Mutter Klytämnestra und Tochter Elektra sind von großer psychologischer Tiefe.
Dennoch, ein Geschmäckle bleibt, wenn man diesen vor fast genau 105 Jahren an selber Stelle uraufgeführten Stoff aus heutiger Sicht betrachtet: Sicher ist es nicht üblich, mit Opern ähnlich zu verfahren wie mit Theaterstoffen, das Genre setzt da engere Grenzen. Aber denkbar wäre es für mich schon, zumindest mit theatralen Mitteln eine gewisse Distanzierung vom hier fast als „Happy End“ erscheinenden Muttermord und des Fanatismus allerorten zu erzeugen.
Gut, das ist die Meinung eines Laien. Das klassische Opernpublikum ist da sicher anderer Auffassung.
Bleiben wir bei den Fakten.
Und da gibt es – auch wenn es zur Beurteilung deutlich Berufenere gibt – von einer Staatskapelle zu berichten, die einen wunderbar stimmigen Klangteppich ausbreitete, ein Genuss vor dem Herrn (Thielemann). Eine mit Urgewalt und unglaublich schön singende Evelyn Herlitzius als Elektra ist zu erwähnen, der auch darstellerisch alles gelang. René Pape als Orest hat mich mit seinem kräftigen und klaren Bass begeistert, und Anne Schwanewilms als Chrysothemis stand sängerisch der Titelpartie in nichts nach. Alle anderen Gesangsrollen fand ich respektabel, wenn auch ohne die Glanzlichter der drei Erwähnten. Bühne und Kostüme waren unspektakulär, passend, aber ohne eigene Akzente zu setzen, fast schon etwas bieder.
Von Barbara Freys Regie blieb mir der hübsche Einfall mit dem Kinderpaar Elektra und Orest im Hintergrund in der Wiedererkennungsszene der beiden in Erinnerung, aber auch eine gewisse Statik der Handelnden in vielen Bildern. Unbedingt zu nennen ist das hervorragende Programmheft, unter anderem mit einer tiefsinnigen Stückanalyse der Regisseurin und der Dramaturgin Micaela v. Marcard, die auch eine lesenswerte geschichtliche Einordnung beisteuert.
(Ach, und meiner boulevardesken Neigung folgend: Prof. Udo Zimmermann bin ich auch wieder begegnet, wir sehen uns inzwischen so oft, dass man glauben könnte, wir wären verwandt.)
Ein viertelstündiger, jubelnder Beifall am Ende, mit ungezählten Bravo’s und zahlreichen Vorhängen. Wie man hört, war es die letzte Aufführung in dieser illustren Besetzung, ich darf mich in Summe glücklich schätzen, dabei gewesen zu sein.

Sieben Leben hat der Sachse
„King Arthur“, Semiopera von John Dryden und Henry Purcell, Regie Tilmann Köhler, musikalische Leitung Felice Venanzoni, eine Kooperation mit der Semperoper Dresden, gesehen am Staatsschauspiel Dresden am 13. September 2013 (Premiere)
Nachtrag vorweg:
Der Text musste korrigiert werden, zum Glück. Ich war einem Irrtum erlegen: Christian Erdmann hat seinen Aussetzer so perfekt gespielt, dass er mich damit völlig überzeugt hatte. Mea culpa.
Die Szene bleibt großartig, ich fürchte nur, sie wird Teile des Publikums genauso überfordern wie mich.
Endlich mal eine richtige Publikumsbeschimpfung!
Matthias Reichwald lässt im Prolog von Armin Petras nichts aus. Dabei haben die armen Leute schon einiges hinter sich: Eine gute Rede des Intendanten Wilfried Schulz, ein Grußwort-Geseier des Ministerpräsidentendarstellers und kluge Reflexionen der Jüngsten (Lea Ruckpaul) und des Dienstältesten (Albrecht Goette) am Haus. Es war endlich DAS Jubiläum, hundert Jahre Schauspielhaus Dresden, taggenau. Nun haben wir es geschafft und können uns wieder der Zukunft zuwenden.
(Das jener Herr Tillich nach seinem verlesenen Referentenentwurf, in dem man sich auch nicht entblödete, von einem Fenstersturz zu schwafeln, nein, nicht von jenem von Erich Loest, sofort das Weite suchte, ist mir allerdings eine Anmerkung wert. Selbst der sächsische König hatte es vor hundert Jahren immerhin bis zur Pause ausgehalten.)
Zurück zur Kunst. Nach der Schlacht ist vor der Schlacht. Das Gehoppel auf den imaginären Pferden ist kein bisschen peinlich, und jeder, der aus der Szene geht, gesellt sich zu den zahlreich herumliegenden Toten, das ist schon mal ein ordentlicher Einstieg.
Zwei Männer, eine Frau, wie gehabt, und da jene Männer mit Macht versehen sind, ist das Unheil nicht weit. Der verliebte Sachse ist einer der gefährlichsten.
Wir müssen alle Opfer bringen, bei den Sachsen sind es heute sogar drei, die Kraft kehrt damit sichtbar in deren König Oswald zurück. Es geht nun wieder gegen Engeland.
Der Krieg findet in Zeitlupe statt, Freund und Feind sind kaum zu unterscheiden. Überall liegen Leichen, der Luftgeist Philidel (Sonja Beißwenger mit einer neuen Facette, aber wieder großartig) irrt darin verzweifelt herum und wird vom herab fahrenden Merlin (Albrecht Goette) unter Vertrag genommen. Philidel, ein deutscher Deserteur.
Ein Zaubererhimmel aus gehängten Latten, das Bühnenbild (Karolyi Risz) ist nicht nur dabei wonderful, auch bei den güldenen Tüchern – die mal eine wärmende Hülle sind und mal ein Flammenmeer – und bei noch viel mehr. Und der Chor (Leitung Christiane Büttig) singt nicht nur, er spielt, z. B. himmlische Heerscharen und die des Teufels. Great.
Die Briten (u.a. Holger Hübner und André Kaczmarczyk) sind ein wenig zu siegessicher, und König Arthur (Matthias Reichwald, dem ich später noch einen Kranz winden werde) ist sich des blinden, schönen Fräuleins Emmeline (Yohanna Schwertfeger bringt eine neue Klangfarbe ins Ensemble, ein absoluter Gewinn) gewiss. Doch die Sachsen sind nicht totzukriegen.
Christian Erdmann gibt einen zweifelnden Sachsenkönig, der sehr höflich Emmeline entführt, als sich zufällig die Gelegenheit ergibt. Er ist wie so oft eine der Stützen des Abends.
Krieg ist das Geschäft der Könige, vorerst also business as usual, aber dann kommen die blöden Gefühle ins Spiel. Eine amour fou, die Dame wird vorerst nicht gefragt dabei.
Oswald steht Osmond zur Seite, ein „sächsischer Zauberer“, wie das Programmheft weiß. Was das wohl sein soll? Egal, Benjamin Pauquet gibt jenen mit der bei ihm gewohnten Distanz zur Figur und läuft zu großer Form auf, als er sich an die Macht putscht.
Doch vorerst verhindert der von ihm geschaffene feindliche Zauberwald die Befreiung der Jungfer durch King Arthur, selbst der große Merlin ist machtlos und wird intern in Frage gestellt. Und Philidel geht in die Falle von Grimbald, einem erdgeistigen Handlanger der Sachsen. Doch wie er/sie/es sich da wieder rauswindet, ist großes Kino.
„Zauber gegen Zauber“, vorerst unentschieden, auch wenn es Merlin gelingt, Arthur und Philidel in die sächsische Burg zu schmuggeln, wo Emmeline als Gefangene und potentielle Gespielin des Oswald schmort. Diese erhält bei der Gelegenheit ihre Sehkraft zurück, und wie sie nun das Licht der Welt erblickt und dann auch noch sich selbst im Spiegel, ist pure Poesie.
Ein Moment der Glückseligkeit, aber nicht für lange, Arthur und die Seinen müssen fort, ohne Emmeline, der Gegenzauber ist zu stark.
„Lieben oder die Lieb ertragen“, diese Alternativen bieten sich jetzt Emmeline. Ein durchgeknallter Osmond hat Oswald abgesägt und begehrt nun selbst die Gunst der Dame. Trotz der vorherigen Blindheit müssen deren Augen ordentlich blingbling machen können, das Scheusal ist genauso angefixt wie die Herren vor ihm.
Der Jahrtausendhit aus diesem Stück, die Arie des Grimbald (Peter Lobert), kommt dann aber seltsam kraftlos daher, schade. Generell braucht man auch manchmal viel Geduld mit der Oper, und Verständnis für das Plakative.
Fast eine Titanic-Szene nachher, wenn auch ohne Kerl. Osmond lässt folgend voller Liebespein die Hosen runter, das Biest und die Schöne, das Ganze balanciert auf dem schmalen Grat zwischen großartig und peinlich und fällt dann doch auf der falschen Seite runter. Pause.
King Arthur ist nun auf Befreiungstour, fast ein bisschen wie Odysseus. Sirenengesang (Romy Petrick, Arantza Ezenarro) im Zauberwald, he is amused. Auch choreographisch ein Genuss, in dieser Farbenpracht sowieso, wie die schönen Monster herankriechen, immer enger, immer dichter. Doch nur die Liebe zählt, Arthur der Engelartige macht sich frei.
Die nächste Prüfung: Eine Art Emmeline im Baum. Fast wäre er in ihr versunken, doch Philidel erscheint rechtzeitig und enttarnt den wahren Baumbewohner, Grimbald ist es in seiner ganzen Hässlichkeit.
(Dass man im Orchestergraben durchaus gefährlich lebt, zeigt ein fliegender Zauberstab, der sich in den Rücken der Flötistin bohrt, ohne bleibende Schäden gottlob. Man sieht so was gut vom zweiten Rang, Stehplatz.)
Am Ende ein Duell. Oswald ist wieder im Rennen, nachdem sein Stürzer Osmond gekniffen hat. Ziemlich desolat tritt er an, was soll Arthur da passieren? Das geht sicher über höchstens zwei Runden.
Doch was ist das? Der Favorit strauchelt, fällt! Griechenland, äh, Sachsen ist Europameister! Alle sind verblüfft, einschließlich des Siegers. Ein absurd-geniales Ende.
Dennoch geht alles den geplanten Gang, nur der Sieger-Darsteller ist nun halt ein anderer. Er erhält Tochter und Königreich, erstere zeigt sich professionell, letzteres darf singen. Das neue königliche Paar wirkt erst wie Queen Elisabeth mit Prinzgemahl, dann wie die Spelunken-Jenny und Macheath, als es die letzten Arien über sich ergehen lässt.
Da wird zwar versucht, die noch mit etwas Handlung zu untersetzen, sexuelle Verirrungen überall, so richtig spannend ist das aber nicht. Verzichtbar, die letzten zwanzig Minuten, obgleich das Schlussbild noch einmal großartig ist. Ein feierndes Volk, ex-King Arthur steht irgendwo hinten rechts alleine rum. Die Bühnenmaschine zeigt noch einmal, was sie kann, ein Epilog von Petras, der das alles fein nach heute transportiert, dann ist Schluss.
Fast zehn Minuten heftiger, tosender Beifall, viele Bravos, gut verteilt. Gelungen das Ganze, ob man nun die erste Saisonpremiere oder gar die „100 Jahre Schauspielhaus“ als Bezug nimmt.
Hab ich was vergessen? Ja, Matthias Reichwaldens Kranz. Er ist King Arthur mit jeder Faser seines Körpers und ist es dann auch wieder nicht, weil auch er diese Distanz zur Rolle hat, die einen Großen auszeichnet. Er ist absolut geerdet, alles was er macht, ist völlig unspektakulär, und gerade das ist das Umwerfende. Ich erkläre mich erneut und gerne zum Fan.
Die „Halb-Oper“ ist ein interessantes Format, auch wenn Schauspiel und Gesang oft auch nebeneinanderherlaufen, ist es doch ein Erlebnis. Das Libretto bzw. die Geschichte ist in diesem Falle doch mehr Theater als Oper, zum Glück, das füllt schon einen Abend. Ein bisschen mehr Mut zum Kürzen, gerade am Ende, und die Sache wär perfekt gewesen.
Und jedermann erwartet sich ein Fest
Die Vorschau zur 101. Saison des Staatsschauspiels Dresden in einem empfehlenswerten Magazin.
„Der Rausch der Hundertsten ist vorbei; freuen wir uns auf den Rausch der Hundertundersten.“
http://www.kultura-extra.de/theater/feull/saisoneroeffnung_staatsschauspieldresden2013.php

Programmhinweis: Mi., 21.08.13, 22.30 Uhr Teichelmaukes Hamsterradio
Für alle, die nicht lesen können (also bitte weitersagen)
oder auch 98,4 & 99,3 MHz, wenn man im gelobten Land wohnt.
Der Arbeitstitel dieser ersten Blamage lautet
Teichelmauke trifft Canaletto trifft Wagner
Es kann noch besser werden, muss aber nicht.
Man hört sich, vielleicht.
Klassik trifft Peinlichkeit
Konzert der Dresdner Philharmonie zur Eröffnung des Stadtfests Dresden, 16. Aug. 2013
Oder eher umgekehrt: Die Peinlichkeit trifft die Klassik, und zwar unter der Gürtellinie. Traurig, das Ganze. Aber fangen wir mit dem Anfang an.
Das Stadtfest Dresden ist natürlich das Schönste, Größte, Tollste und whatever, mindestens weltweit, wenn man den Gute-Laune-Terroristen vom Radio Dresden – Morgenprogramm, die heute mal moderieren dürfen, glauben mag. In Dresden sind wir alle weltberühmt, ich zitiere mich mal selbst.
Auf dem Theaterplatz (selbstverständlich der schönste unserer Galaxie) wird das Stadtfest eröffnet, mit Hochkultur. Das ist ein guter Ansatz.
Es beginnt auch entsprechend, aus einem Warmspielen („Die Musiker stimmen!“ – „Na, ich hab sie nicht gezählt.“; vgl. Herricht&Preil) wächst die „Ode an die Freude“. Immer mehr Musiker steigen ein, das Ganze ohne Dirigent (Finanzbürgermeister aufgemerkt! Geht auch ohne!), dann auch noch die Chöre. Wenn ich der Meinung wäre, Ahnung zu haben, würde ich vielleicht wie Reinhard C. Brembeck formulieren: „Originell, aber etwas verwaschen im Abgang“. Aber so sag ich einfach: Nett.
Über die folgenden fünfundzwanzig Minuten, bis es dann endlich zum Konzert kommt, breiten wir gnädig den Mantel des Schweigens bzw. berichten an anderer Stelle. Ich konzentriere mich auf die Philharmonie.
Natürlich muss es zu Beginn der mottogebende Wagner sein. Ob aber die Tannhäuser-Ouvertüre so eine gute Idee ist? Es donnert dabei nur selten wagnerisch, die vielen Feinheiten bringen, nun ja, den Bierbudenlärm ringsum gut zur Geltung. Offenbar hat niemand die Bespielbarkeit des Platzes zuvor geprüft. Harfe und Bratwurst, das passt nun mal nicht.
Mir kommt das alles auch seltsam und ungewohnt schwunglos vor, nach gutem Start fällt das Stück erstaunlich schnell in sich zusammen, keine Spannung mehr. Wie Zuckerwatte. Und einmal raus ist immer raus, man spielt es halt zu Ende, mäßig. Sehr mäßig. Stadtfest.
Mozart jetzt, KV 385 „Haffner“. Das klingt ordentlich, auch wenn der Dirigent Markus Poschner für meinen Geschmack deutlich zu suggestiv ins Orchester hineinwirkt. Das wirkt wenig souverän. Das Ganze ist solides Handwerk, mehr nicht.
Dann kommen die Trolls vom Radio zurück, staunen, wie viele Musiker in so einem Orchester sitzen, wollen vom Dirigenten die genaue Zahl haben, bekommen die aber nicht, weil jener wohl über die Dämlichkeit der Frage zu entsetzt ist, als noch denken zu können. Der Herr im Anzug liest sie dann vom Spickzettel, 116 in Vollbesetzung, aha. Der Roland braucht da weniger Personal.
Aber es geht noch schlimmer. Während sich die Pressefotografen sich schon beim Mozart zum Affen machten vor der Bühne und das hier wohl mit den Puhdys am Hutberg verwechseln, dürfen sich nun auch noch alle anderen blamieren. Eine Riesen-Tuba (aus dem Museum in Markneukirchen) wird auf die Bühne gerollt, Prof. Jörg Wachsmuth muss sich zunächst einer hochnotpeinlichen Befragung unterziehen, die im Wesentlichen von seiner Zungenfertigkeit in allen Lebenslagen handelt, und verkündet dann, den „Hummelflug“ von Rimski-Korsakow auf Wunsch des allgegenwärtigen Sponsors in unter 54 Sekunden zu spielen darauf.
„Wozu?“, ist man geneigt zu fragen, aber seitdem der Opernball im Februar an selber Stelle eine guinnessbuchtaugliche Dressur des Außen-Publikums zelebrierte, sind die Dämme des Geschmacks wohl allesamt gebrochen.
Es beginnt, der Dirigent soll die Zeit nehmen. Klingen tut es in etwa wie „gurgel, gurgel-gurgel, gurgel-gurgelgurgel, gurgel“, aber die Zeit läuft, Prof. Wachsmuth hat sicher die beste Zwischenzeit von allen und rettet sich ins Ziel. Aber was ist das? Die Uhr läuft weiter … Entsetzen auf der Bühne, davor eher Erleichterung. Der schöne Weltrekord ist im Arsch.
Man mag nun trefflich spekulieren, was Herrn Poschner bewegt hat, den Knopf anderthalb Sekunden zu spät zu drücken. Eine kleine Gemeinheit unter Kollegen? Dirigenten mögen es im Allgemeinen nicht, wenn einer von hinten im Licht steht. Oder war sein Künstlerherz durch diese Situation so beleidigt, dass er deswegen sabotierte? Im diesem Falle knie ich voller Respekt nieder.
Egal, der Weltrekord muss her, der Sponsor hat bezahlt. Im redlichen Versuch, die Lage zu retten, erklärt der Bläser, dass es ja eigentlich gar nicht anders ginge, als exakt nach 53,xy Sekunden fertigzuwerden. Ein wunderschönes Eigentor, das die Absurdität des Ganzen noch mal toll beleuchtet. 0:3, für Union vermutlich. Auch die haben eine namensgebende Brauerei im Hintergrund.
But the show must go on. Und so wird er flugs zum Sieger (der Terzen?) erklärt, das Orchester muss nun die Produkte eines Bierherstellers aus dem Dresdner Umland verzehren. Meinen Glückwunsch, aber Vorsicht: Nach dem zweiten davon krieg ich immer Kopfschmerzen.
Während sich der GF der Plörrenbude in seinem Auftritt sonnt und Prof. Wachsmuth sich hinter der Bühne vor Scham vermutlich in die Tuba stürzt, geht es vorne weiter, mit Richard Strauss, „Till Eulenspiegels lustige Streiche“. Honi soi qui mal y pense. Ich sehe Herrn Poschner grinsen.
Musiker sind feinsinnige Menschen. Sie spüren, dass man so nicht von der Bühne gehen kann. Und sie machen fast alles wieder wett, das Ehrentor ist verdient. Es wird nämlich nochmal sehr gut, und Gott ist ein Musikant, er lässt die vorletzte Minute des Stücks kongenial von den Glocken der Hofkirche begleiten. Wie weiland bei Egon Olsens Bruch in Kopenhagen knallt es zuvor auch richtig, so geht Musik.
Besagtes Stück ist übrigens jenes, aus dem das Klassik-Radio (das, was man als intellektuell Bessergestellter gerne zufällig anhat, wenn nobler Besuch kommt) seine Jingles zieht. Der vorschnelle Beifall zum vermuteten Ende ist angesichts des Ambientes verzeihlich, und der tosende zum richtigen Ende wirklich verdient. Leider wird er von den Radioten (deren Namen man sich nicht merken muss, nur das Kleid der Dame wird mir in Erinnerung bleiben) abgewürgt. Jetzt kommt doch gleich LIFT, und die Stühle vor der Bühne sind zu räumen, es gibt Rock.
Ich halte es für besser, mir meine Erinnerungen zu bewahren und verlasse die Veranstaltung.
Tja, was soll man sagen? Erstaunlich, wofür sich auch Klassiker heute so hergeben. Müssen, wollen? Keine Ahnung, aber es gehören immer zwei dazu.
Nächste Woche spielt die Philharmonie zur Eröffnung der Waldschlösschenbrücke. Ich fürchte, die Talsohle ist noch nicht erreicht und empfehle etwas aus dem Repertoire zum 13. Februar.
Tanzt! Oder seht es Euch zumindest an!
Die Gala zur Tanzwoche Dresden war ein Augenschmaus
Heute, also gestern, am 22. April. Eigentlich war ich verhindert, aber unglückliche Umstände hielten mich in Dresden fest. Also doch zur Tanzwochen-„Eröffnungs“-Gala. Letztere läuft zwar schon seit Freitag, begann aber nun auch offiziell mit einer Gala im Kleinen Haus. Dresden.
Ich muss vorwegschicken, dass hier ein Blinder von den Farben schwärmt. Mit Tanz hatte ich bislang nicht viel am Hut, außer Respekt für die unglaublichen körperlichen Leistungen brachte ich wenig auf für die Sparte. Mir fehlt schlicht die Gabe, die Choreographien richtig lesen zu können.
Aber auch im hohen Alter kann man noch dazulernen, und da ich große Sympathie für wesentliche Organisatoren hege und einfach die Ästhetik des Tanzens mag, machte ich aus dem Ärgernis eine halbe Tugend und der Gala meine Aufwartung. Zum Glück war ich früh da, der – gar nicht so kleine – Saal wurde voll.
Eine fulminante Eröffnung mit dem Ballet Rossa der Oper Halle, zwanzig Menschen absolut synchron auf der Bühne bei einer Art Stuhltanz, toll. Dann ein Pas de deux aus Görlitz (Gerhart-Hauptmann-Theater), unter aktiver Mitwirkung von zwei Stühlen und einem Tisch. Ich greife vor und erkläre dies zu meinem Lieblingsstück des Abends.
Ich kann gar nicht alles aufzählen, was in der Folge an Beeindruckendem passierte. Die Bolero-Variation aus Schwerin blieb hängen, und die unglaubliche Sprungkraft der Eleven aus Berlin.
Mit Grönemeyers Musik hab ich meine Mühe, deswegen litt vielleicht auch der Eindruck von den Landesbühnen Sachsen aus Radebeul darunter.
Vor der Pause nochmal das Ballet Rossa, großartig, wirklich großartig.
Nach zweieinviertel Stunden enden anderswo Veranstaltungen, hier war erstmal Pause. Und es ging hochkarätig weiter: SchülerInnen der Palucca-Schule Dresden tanzten eine Bach-Bearbeitung, für mich Laien das künstlerisch bedeutendste Stück des Abends.
Dass man zu Wagner auch ohne Musik tanzen kann, bewies ein Duo des Theaters Plauen-Zwickau. Nur das Atmen war zu hören, phantastisches Erlebnis.
Wie richtig klassischer Tanz aussieht, zeigte ein Paar der Semperoper. Ich gestehe, die modernen Formen sind mir lieber. Die Überraschungsgäste vom Gärtnerplatz München waren auch nicht so meins. Originell, aber nicht mehr.
Ein furioses Finale nochmal mit den Landesbühnen, „Carmina Burana“, vor allem im letzten Teil begeisternd.
Und dann eine Bühne voller Tänzer und Tänzerinnen zum Schlussapplaus, insgesamt sechzig waren am Start. Ein wunderschönes Bild.
(Sechzig mal „Sixpack“, das macht einen, der sich kaum die Schuhe im Stehen zubinden kann, schon neidisch)
Eileen Mägel und Boris Michael Gruhl führten durch den Abend, sehr angenehm alle beide, vor allem bei Boris Gruhl hatte man das Gefühl, er hätte nie was anderes gemacht. Auch dies passte ins schöne Bild. Ein wunderbar durchkomponiertes Programm, eine unglaubliche Breite, ein trefflicher Überblick über das, was Tanzkunst ist.
Ich war, ich bin begeistert. Auch wenn der Tanz sicher nicht mehr meine bevorzugte Sparte der darstellenden Künste wird, ich hab mich ihm deutlich genähert. Chapeau!
Ach ja, „Tanzt““ steht an der Scheune geschrieben, manchmal auch einladend illuminiert. Und wer das nicht kann oder will, soll zumindest hingehen und zusehen, wie Boris Gruhl zum Abschied sagte. Dem bleibt nichts hinzuzufügen.
Noch bis zum 29.04.13 läuft die Tanzwoche. Alles Weitere hier:
In Dresden sind wir alle weltberühmt
Es gibt sicher niemanden (von der Familie Wettin mal abgesehen), der über die Tatsache, dass es derzeit im Freistaat Sachsen keinen König gibt, trauriger ist als die Unterhaltungsredaktion des Mitteldeutschen Rundfunks. Dem amtierenden Freistaatsoberhaupt merkt man seine Abstammung von sorbischen Ackerbürgern leider dann doch an, der Glamourfaktor ist vernachlässigbar.
Schmerzlich bewusst wird uns dieses bei Gelegenheiten wie dem nach eigener Aussage bedeutendsten deutschen Ball (wie misst man das eigentlich?): dem SemperOpernball. Seit 2006 wird diese Festivität vom Verein „Semper OpernBall e.V.“ zelebriert, es ist also eine private Veranstaltung, was gern vergessen wird. Kopf des Vereins ist der in Dresden gut bekannte Hans-Joachim Frey, bis 2007 Operndirektor am Hause. Sein weiteres Wirken als Intendant am Theater Bremen war nicht von Glück begleitet, nach dem Versenken von 2,5 Mio. Euro nahm er dort 2010 den Hut.
Besser läuft da schon der Dresdner Opernball, hier ist man dankbar für jeden Hauch der großen weiten Welt, auch wenn man nicht immer ein glückliches Händchen mit seinen Stargästen hat. Jene werden durch die Verleihung eines absonderlichen Preises (seit 2010 „St. Georgs Orden“) angelockt, auf welchem der Hl. Georg zu Pferde sowie der Sinnspruch „Gegen den Strom“ (lateinisch, damit es nicht so peinlich ist) zu sehen sind. Den haben inzwischen so bekannte Gegen-den-Strom-Schwimmer wie Kurt Biedenkopf, Henry Maske, Roman Herzog und – das ist sicher bekannt – Wladimir der Demokratische erhalten, auch Michael Jackson, ja, kleiner hammer’s nicht. Jener konnte sich allerdings nicht mehr wehren, der Preis wurde ihm posthum hinterhergeworfen, eine seiner zahlreichen Schwestern vertrat ihn würdig.
„Herausragende Persönlichkeiten, die sich um Deutschland … und um Sachsen verdient gemacht haben“ werden ausgezeichnet. Interessanter Denksport, was wohl Roger Moore und Ornella Muti da zu bieten haben. Auch bei José Carreras fällt mir nicht gleich was ein, bei Putin ist die Sache allerdings klar: Schließlich hat er einige Jahre in Dresden für Ruhe und Ordnung gesorgt.
Noch eine Nörgelei gefällig? Genau zwei der fünfundzwanzig bisher Bedachten waren Frauen (und sind es vermutlich immer noch). Das erreicht bestes CSU-Niveau, und wenn das Verhältnis im Parkett ähnlich aussähe, müssten sich doch viele Männer bunte Tücher um den Arm binden und sich dann Mühe geben, nicht zu führen beim Walzer. Aber das tun sie ja meist ohnehin nicht.
Aber, wie schon gesagt: Es ist eine private Veranstaltung, es ist auch ein privater Preis, und seine Jodeldiplome kann jeder verleihen, an wen er möchte. Eigentlich.
Nun ist es aber so, dass dieser Ball durch die Anwesenheit des und durch die Eröffnung durch den sächsischen Ministerpräsidenten eine quasi-staatliche Bedeutung erhält. Auch schritten bereits eine Reihe von Bundespräsidenten den roten Teppich entlang, zuletzt Herr Wulff, und heuer ist „Berlin“ mit Peter Ramsauer vertreten, der bestimmt auch irgendwie zuständig ist und sein stählernes Lächeln mitgebracht hat.
Warum diese Vorrede? Weil es Dresden bzw. der Ballveranstalter wieder mal geschafft haben, mit dem Arsch ins Fettfass zu plumpsen. Selbst bis ins provinzielle Dresden sollte es sich herumgesprochen haben, dass jener Monsieur Depardieu, den man als Star- und Überraschungsgast gewonnen hat, derzeit eine kleinere steuerliche Auseinandersetzung mit seinem Geburtsland Frankreich hat und deswegen sozusagen fiskalisches Asyl bei einem vorherigen Preisträger beantragte. Dies ist mitnichten seine Privatsache, wenn ihm sogleich dieser Orden an den aufgedunsenen Leib geheftet wird. Und war da nicht eben noch was mit 50 Jahre Elysée-Vertrag? Gut, die Feiern sind vorbei, da wollen wir mal wieder Francois ein bisschen ärgern. Fingerspitzengefühl in Dresden und Berlin? Haben wir gar nicht nötig.
Ich hoffe sehr, dass jetzt M. Hollande Christian Wulff zum Ritter der Ehrenlegion ernennt, dann wären wir quitt.
Aber mit diesen abwegigen Gedanken werden sich die Gäste in und vor der Semperoper nicht plagen. Man muss anerkennen, dass das Management recht clever ist: Das Ding mit den Elefanten war nicht mehr zu kontrollieren, man weiß ja, wozu diese Tierschützer fähig sind, nöch? Das hätte hässliche Bilder gegeben, selbst der MDR hätte nicht drumrum filmen können. Also kurzfristig gecancelt, Respekt.
Wirtschaftlich brummt das Ding offenbar, die Karten scheinen alle weg zu sein, bei Preisen von 1.900 Euro bis runter zu 250 Euro (2. Klasse, Stehplatz) nicht unbedingt selbstverständlich. Wie viele werden die Karten wohl selbst bezahlt haben?
Man darf dabei durchaus fragen, ob es zu den Aufgaben des MP gehört, private Feiern zu eröffnen. Und selbst wenn – was ich in diesem Fall noch nachvollziehen kann – wäre der Preis für die Eintrittskarten für ihn und Frau Gemahlin doch als geldwerter Vorteil zu versteuern, wenn den der Freistaat bezahlt hat? Oder gab es gar keine Rechnung? Dann wär es Vorteilsnahme. Auweia, wenn das jemand liest …
Bei Herrn Bundesminister kann mir niemand glaubhaft machen, dass er „Verkehr, Bau und Stadtentwicklung“ an diesem Abend wesentlich voranbringt. Aber vielleicht hat ihn Frau Merkel geschickt, um oben genannten Fauxpas auch bundesamtlich zu beglaubigen. Dann wäre er aus Gründen der Staatsräson da.
Die übrigen Gäste sind klug ausgewählt. Herr Ballack kann seinen Werbe-Marktwert etwas aufpolieren, was sicher nur noch im Osten funktioniert, Herr Winterkorn lässt sich feiern, dass er in Sachsen weiter Autos bauen lässt und das Piech-Denkmal am Großen Garten nicht schleift, M. Juncker holt sich seinen ihm zustehenden Orden und dankt schon im Voraus auf der Website artig, wenn auch inhaltlich etwas schräg. Und Lauterbach lässt sich von seinem Zwilling im Geiste namens Ochsenknecht lobhudeln, im nächsten Jahr erleben wir das Traumpaar des schlechten Geschmacks vielleicht andersrum.
Zu Gerard Depardieu fällt mir noch ein, dass es in den Technischen Sammlungen am 4. und 5. April „Die letzte Metro“ gibt, ein Meisterwerk von Truffaut mit Catherine Deneuve und ebenjenem Spätverblödeten.
Prinzipiell, liebe Leser, hab ich nichts gegen sowas wie Opernbälle. Es soll doch jeder nach seiner Facon selig werden. Solange die freistaatliche Semperoper nicht auf den Kosten sitzenbleibt und den Einnahmeausfall (immerhin blockiert der Ball vier Tage lang das Haus) ersetzt bekommt, sollnse doch machen. Die Polizei tritt leider wie sonst auch kostenlos an, wenn auch nicht umsonst. Und die DVB wird ja wohl die Umleitungsaufwendungen in Rechnung stellen.
Auch die wirtschaftlichen Aspekte sind sicher nicht zu unterschätzen, grade im hochpreisigen Segment. Und die Arbeitsplätze in diesen Tagen. Und der Imagefaktor … Jaja.
Aber man kann sich ja trotzdem drüber lustig machen.
Zum Beispiel über die Bedeutungshuberei der Medien. Bei den bunten Blättern kann man das verstehen, das ist ja ihr Kerngeschäft, aber das vermeintlich rationale Zeitungen an der Spitze der Bewegung stehen, ist schon seltsam. Die SächsZ hat einen Twitterkanal geschalten und berichtet alles, was ihr so auf- und einfällt. Frau Derek ist ohne Mann da! Ich überlege kurz, doch noch hinzufahren. Und entscheide mich positiv. Mal sehen, was da so für Leute sind.
Es nieselt, manchmal schüttet es auch.
Die üblichen Verdächtigen schlurfen durch ein schmales Spalier von Schaulustigen und durchs Foyer, sicher steckt eine ausgeklügelte Logistik dahinter, die Hackordnung zu beachten und jedem Sternchen genug Aufmerksamkeitszeit zu schenken.
Zwar bin ich nicht im Besitz eines Fernsehgerätes, könnte mir also später nicht mal in einem Maso-Anfall den Rest der vierstündigen Hofberichterstattung des MDR ansehen. Aber ich erlebe die erste Stunde live mit und kann mir gut vorstellen, was noch kommt.
Witzig ist das, was auf dem Theaterplatz stattfindet. „SemperOpenairball“, auf so einen Namen muss man erstmal kommen.
Man kann dort: Sich langsam einregnen lassen, am Public Viewing vom Ballsaal teilnehmen, Bratwurst essen, den Jubelperser geben, mitgebrachten oder überteuerten Alkohol verzehren, die Aufstellung eines Weltrekords „wagen“ (nämlich dem Auf-glattem-Pflaster-so-tun-als-ob-man-Walzer-tanzt in einer noch nienienie dagewesenen ganz großen Gruppe), oder – Höhepunkt! – mit Gotthilf Fischer-Dübel und Roberto „Blacky“ Blanco ein Lied einüben! Es handelt sich dabei um das bekannte deutsche Volkslied „Moskau, Moskau“, womit wir erstens wieder bei Putin wären und zweitens endlich den Grund in diesem Meer von Schwachsinn erreicht haben, was mit dem neuen Text des Siegelschen Gassenhauers auch bewiesen wird.
Die genannten Herren zu kritisieren, gehört sich nicht. Schlimm genug, wenn man in diesem Alter noch arbeiten muss, zumal man sich sichtlich mit gerontotypischen Krankheiten rumschlägt. Ich bedecke diese Kadaver des Niveaus mit einem großen Tuch voller Barmherzigkeit und Milde.
Zwei euphorisierte Moderatoren auf der Bühne vor der Oper mühen sich nach Kräften, das doch ziemlich zahlreich erschienene Volk bei Laune zu halten, damit es seiner Hauptaufgabe nachkommen kann: Den Promis zuzujubeln. So wird auch ein schlichter Ballbeginn zu einem Ereignis, dass der Jahrtausendwende in nichts nachsteht.
So wie es Berufsbetroffene gibt, gibt es auch Berufsprominente. Einer, der dazu auf bestem Wege ist, wird vor das Mikrofon gezerrt. Michael Ballack ist solo da, Sensation! Und er will gar nicht tanzen! Das geht ja wohl gar nicht. „Ok, notfalls tanz ich mit meiner Mam“, hoffentlich hat das die Dame nicht gehört.
Flanierkarteninhaberinnen, aufgepasst. Hier geht was …
Wolfgang Stumph hat Geburtstag, na so ein Glück. Auch er darf sein Gesicht ins Fernsehen halten.
Auftritt Herr Tillich nebst Gattin. Völlig überraschend fällt die Reporterin über ihn her und fragt das Übliche. Nein, Herr Tillich, es gibt Sprechblasen, die nicht überall passen. „Mit der Unterstützung der Menschen hier draußen“ lässt sich ein Eröffnungswalzer nicht überstehen. Aber es wird schon gehn, ist ja nicht das erste Mal.
Ebenjene Menschen hier draußen sind äußerst gutwillig, machen brav alles, was die Moderatoren verlangen. Ihr da drin, wir hier draußen, das geht schon in Ordnung. Ein bisschen was vom Glanze fällt sicher ab.
Selbst das sturzdumme Liedchen wird mitgebrüllt und bejubelt, wenn es schon nichts mit dem Massenwalzerrekord werden sollte, zumindest den bei Peinlichkeit pro Quadratmeter haben wir erreicht.
Dann endlich ist es Neune. Emmer-wieder-Emmerlich eröffnet, das ist sein Parkett, hier ist er souverän. Das Girlie an seiner Seite kenn ich nicht, aber ein schönes Kleid hat sie an.
Einmarsch der Ehrengäste. Ballack zusammen mit Juncker, vielleicht geht ja auch da was. Frau Ferres und Herr Maschmeyer, ich überlege kurz, wie vielen hier draußen er wohl die Ersparnisse geleichtert hat. Waldi Hartmann, keine Feier ohne Meier, am Arm einen Ochsenknecht. Lauterbach gelackt wie immer, Bo Derek sieht von weitem noch recht frisch aus. Zum Schluss das Letzte: Ein früherer Sympathieträger namens Depardieu. Mon Dieu.
Dann gibt es ein bisschen Zirkus, wie vermeldet ohne Elefanten, was natürlich keiner erwähnt beim MDR.
Und nu? Eigentlich wollte ich bis halb Elf bleiben, wenn das Frischfleisch in den Saal gelassen wird. Aber was mach ich bis dahin? Die Laudatoren kann ich mir unmöglich anhören, ich würde auf dem Theaterplatz zur geistigen Revolution aufrufen müssen, was natürlich keiner befolgen würde bzw. könnte. Also kurzentschlossen Abmarsch. Feiert euren Ball doch alleene, ich hab genug gesehn.
Das Fazit:
Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Aber nehmt Euch bitte nicht so wichtig.
Vielleicht schlachte ich ja doch mein Sparschwein und kauf mir im nächsten Jahr auch einen Logenplatz. In meinem Bekanntenkreis gibt es genug Damen, denen Kleider sehr gut stehen und die auf diese Festivität abfahren. Dann kann ich beim DressurTanzen der DebütantInnen zusehen (bestimmt lecker) und komm ins Fernsehen. Vielleicht kann ich auch einer anderen Dame weismachen, ein C-Promi zu sein, gibt ja genug Fernsehsender, die kann man unmöglich alle gucken.
Dann würde ich mir aber wünschen, dass diesmal der große Rainer Brüderle, unser Handtaschen-Berlusconi in der Pfälzer-Leberwurst-Edition, einen Preis bekommt. Verdient hätte er den mit Sicherheit.
Drüben (ich bin wieder auf der anderen Elbseite angelangt) ist das Festival der Irrelevanz nun in vollem Gange. Ich kann mir vorstellen, so nach Zwei kann es ganz nett dort sein. Naja, hier ist es auch schön.