Getagged: GHT

Es kann nur Eine geben
„Maria Stuart“ von Friedrich Schiller, Regie Barbara und Jürgen Esser, Premiere am 17. April 2015 im Gerhard-Hauptmann-Theater Zittau
…
Wenn man dem Regieansatz folgt, die die Königinnen als Männerwerk- und Spielzeug sehen will, ergibt das Ganze inszenatorisch großen Sinn, wenn nicht, muss man zumindest die Stringenz der Regie anerkennen.
…
http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/premierenkritik_mariastuart_ghtzittau.php
Du sollst nicht foltern
„Der Tod und das Mädchen“ von Ariel Dorfman, Regie Dorotty Szalma, Premiere am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz am 13. März 2015
… Ein Vier-Sparten-Ereignis ist angekündigt worden, das düstere Schauspiel angereichert um Musik, Tanz und Oper. Klingt ambitioniert, man durfte gespannt sein, wie das dem GHT gelingt. Vorweg: Auch wenn nicht alles glückte, sehenswert und dramatisch war das allemal, ein schöner Beweis der Sinnhaftigkeit eines Vollspartentheaters.
…
http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/premierenkritik_dertodunddasmaedchen_ght.php

Warten auf das Geld
„Kriegsmutter“, Tragödie von Data Tavadse, Übersetzung Natia Mikeladse-Bachsoliani, Regie Piotr Jedrzejas, deutsche Uraufführung am 20. Februar 2015 im Gerhard-Hauptmann-Theater Zittau
…
Dem Autor gelingen erstaunliche Sätze zum Krieg, Sätze, die wohl nur jemand finden kann, der aus eigenem Erleben schöpft. Sein Ansatz erinnert zuweilen an Beckett, ohne jenen zu plagiieren, da verzeiht man auch einige dramaturgische Unplausibilitäten zum Ende hin. Kammerspielartig wird über die Dialoge vom Krieg erzählt, es braucht keinen Schlachtenlärm dazu, die zurückhaltend-szeneriegerechte Musik von Slawomir Kupczak und die schäbig-raffinierte Bühne von Jan Kozikowski ermöglichen eine Umsetzung auf meist leise Art, das Regieteam vom polnischen Partnertheater leistete eine respektable Arbeit.
…
http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/urauffuehrung_datatavadze_kriegsmutter.php
Vorne Komödie, hinten Drama
„Der nackte Wahnsinn“ von Michael Frayn, Regie Viktor Nagy, Premiere am Gerhart-Hauptmann-Theater Zittau am 17. Oktober 2014
http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/premierenkritik_dernacktewahnsinn_theaterzittau.php

Das Schweigen des Lamms macht Angst
Neuerdings öfter mal in seriösem Rahmen.
http://www.kultura-extra.de/theater/feull/besprechung_yvonne_ght.php
Hiddenseeer Elegien, Teil 3: Von Mynheer Peeperkorn
(Thomas Mann, Zauberberg, klaro. Wir verstehen uns, wir Kulturbeutel.)
In seiner zweiten Lebenshälfte sah dieser Mann aus wie eine Kreuzung aus Goethe und Beethoven. Das ist zwar so ziemlich das Unwichtigste, was man über ihn sagen kann, aber er selbst legte da Wert darauf. Das Gesamtbild sollte stimmen.
Zumindest mein Gesamtbild stimmt morgens wieder, mein Körper entsinnt sich der Charakterzüge des Typen, der ihn bewohnt und bleibt bis Zehn liegen. Danach dann Frühstück vom selbstgemachten Buffet, mit Untermalung von nostalgischen Musik-TV-Sendern. Etwas debil ist das sicher, aber allein die Frisuren von Duran Duran sind es wert.
Eigentlich hatte ich gestern beschlossen, mir für die nun schon letzten drei Tage ein Fahrrad zu leihen, aber beim Frühstück nochmal drüber nachgedacht: Wozu mit einer Rostmähre rumärgern, die mir sowieso zwei Nummern zu klein ist? Das bißchen Insel schaff ich auch zu Fuß, und Gehen ist die vornehmste Art der Fortbewegung, hat mal ein großer Dichter gesagt. Ach nee, das war ja ich. Stimmt aber trotzdem.
Angenehme 22 Grad, ein ganz leichter Sprühregen, so marschiere ich frohgemut los. Einiges Neue gibt es doch zu bewundern im Dorf, das fünfte Malercafé hat eröffnet, es gibt einen Bolzplatz mit Kunstrasen (war das hier auch mal ein Hochwasserschadensgebiet?), der umzäunt ist. Sport ist hier offenbar nur denkbar, wenn ein Zaun drum herum ist.
Und es gibt jetzt einen Hubschrauberlandeplatz. Der wird sicher für den Wahlkampfbesuch von Frau Merkel und drei oder vier Mal im Jahr noch für andere Notfälle gebraucht, das Betreten ist aber ganzjährig verboten. So kenne ich mein deutsches Vaterland.
Ich gehe einem Mann besuchen, der sein Haus zwar nicht mehr direkt bewohnt, wo alles aber noch so ist wie vor achtzig Jahren. Fast alles, ein sehr hübscher Empfangspavillon ist dazugekommen, ein Kleinod, völlig reetfrei und unspektakulär dem Gelände angepasst. Gibt es hier keine Reet-Hisbollah? In Dresden wär dieser Bau in Barock auszuführen gewesen.
Das Sommerhaus von Gerhart Hauptmann, so, nun ist es raus, wird seit den Fünfzigern als Museum betrieben. Nett ist das, auch wenn man gleich mit dem Tode beginnt und jeder Hauptmann –Pups ehrfürchtig dokumentiert wird (seine Wandkrakeleien im Schlafzimmer z.B. hätte man dem geneigten Besucher ersparen sollen). Aber sehenswert, wie sich der König von Hiddensee nach dem Erwerb des Hauses 1930 einen großzügigen Anbau errichten ließ, als Schreibstube und Arbeitszimmer, unterkellert von viel Platz für Wein. Der Fußboden aus einer Art Marmor … Allererste Güte. Leisten konnte er sich das, hatte er doch reich geheiratet und nach dem Literaturnobelpreis 1912 wohl auch ausgesorgt. Auch interessant: Die Schlafzimmer des Ehepaares Hauptmann im Dachgeschoß, seines klein und spartanisch, ihres künstlerisch gestaltet, getrennt von einer türlosen Wand, nur eine kleine Durchreiche gab es. Keine Ahnung, was da durchgereicht wurde.
Ein König war er hier wirklich, der seit Jahrzehnten jeden Sommer wiederkehrte, ein Containerschiff voller Wein im Schlepptau. Das mussten auch Thomas und Katia Mann erleben, die ihn 1924 noch im Hotel „Haus am Meer“ besuchten. Das Duell Haupt- gegen Mann endete eindeutig, es konnte nur einen geben. Als dann noch ein Zickenkrieg zwischen den Damen ausbrach – Hauptmann hatte seine langjährige Geliebte Margarete dann doch geheiratet und ihr seinen vierten Sohn „geschenkt“, wie es in den bunten Blättern heißt – war der große Mann offenbar so pissed, dass er dem großen Hauptmann im Zauberberg ein zweifelhaftes Denkmal setzte, ebenjenen Mynheer Peeperkorn. Danach hing erstmal der Haussegen eine Weile schief im Dichterolymp, aber später vertrug man sich wieder, auch wenn sich sicher keiner der Herren zum Pack hätte zählen wollen.
Über das literarische Werk des Schlesiers kann man geteilter Meinung sein. Unter anderem „Die Weber“, „Die Ratten“, „Bahnwärter Thiel“ und (für mich persönlich die einfühlsamste Dreiecksstudie vor einem bürgerlichen Hintergrund, die ich kenne) „Einsame Menschen“ machen Hauptmann unsterblich. Aber seine beste Zeit hatte er vor seinem Fünfzigsten, nach dem Nobelpreis kam für mich nichts mehr, was dieses Niveau hielt. Und dabei produzierte er noch dreißig Jahre lang …
Es klingt zynisch, aber Schiller zählt auch deshalb zu den Großen, weil er gar keine Chance hatte, sein Erbe zu verschleudern. Und James Dean hätte bestimmt noch eine Menge schlechter Filme gemacht …
Auch ein anderer Makel würde heute nicht an Hauptmann kleben, wäre er – nur so als Idee – in den Zwanzigern vor seinem geliebten Hiddensee in der Ostsee ertrunken.
„Manch großer Geist blieb in ner Hure stecken“ hat Brecht sicher nicht mit Blick auf Hauptmann gedichtet, aber es passt. Nur, dass G. H. sich den Arsch des Führers aussuchte zum Steckenbleiben. Das sei schon ein faszinierender Mann, fand er. Da waren alte Freunde wie Alfred Kerr nicht so wichtig, und die Realität hatte draußen zu bleiben, er war schließlich Dichter. Und hatte Goethe sich nicht auch aus allem herausgehalten?
Aus Sicht der Psychoanalyse kann man das sicher behaupten: Hauptmann hatte einen Goethe-Komplex.
So überwinterte er im Tausendjährigen Reich und wäre – Ironie der Geschichte – fast noch zur Galionsfigur des „neuen Deutschland“ geworden, für das ihn Johannes der Erbrecher geworben hatte. Ein gnädiger Tod nahm ihn vom Feld, ehe er sich zum yogischen Fliegen bekennen konnte.
Von alledem berichtet das Museum: Von einem großen Dramatiker und (deutlich dezenter) von einem großen Arschloch.
Oh, ich wollte mich gar nicht ereifern, bin doch zur Erholung hier.
Und die Realität holt mich auch schnell wieder ein: Am Nebentisch des Fisch-Imbisses sitzt ein fettes Paar mit dickem Kind, das Pommes mit Currywurst frisst und es fertigbringt, in zwei Sätzen über Hauptmann drei Generalfehler unterzubringen.
Und im Radio singt ein Kraftklub, dass die Welt ein bißchen weniger Scheiße wäre, wenn sie ihn küsse … Die Ansprüche sind deutlich gesunken, seitdem ich in dem Alter war. Aber die „unruhevolle Jugend“ von damals hat heute ohnehin ADS.
Es regnet stärker, als ich zurückwandere. English Summer Rain … schön ist es.
Ich betrete den Hubschrauberlandeplatz, sowas von verboten … Ein prickelnder Schauer überzieht meine Haut.
Tanzt! Oder seht es Euch zumindest an!
Die Gala zur Tanzwoche Dresden war ein Augenschmaus
Heute, also gestern, am 22. April. Eigentlich war ich verhindert, aber unglückliche Umstände hielten mich in Dresden fest. Also doch zur Tanzwochen-„Eröffnungs“-Gala. Letztere läuft zwar schon seit Freitag, begann aber nun auch offiziell mit einer Gala im Kleinen Haus. Dresden.
Ich muss vorwegschicken, dass hier ein Blinder von den Farben schwärmt. Mit Tanz hatte ich bislang nicht viel am Hut, außer Respekt für die unglaublichen körperlichen Leistungen brachte ich wenig auf für die Sparte. Mir fehlt schlicht die Gabe, die Choreographien richtig lesen zu können.
Aber auch im hohen Alter kann man noch dazulernen, und da ich große Sympathie für wesentliche Organisatoren hege und einfach die Ästhetik des Tanzens mag, machte ich aus dem Ärgernis eine halbe Tugend und der Gala meine Aufwartung. Zum Glück war ich früh da, der – gar nicht so kleine – Saal wurde voll.
Eine fulminante Eröffnung mit dem Ballet Rossa der Oper Halle, zwanzig Menschen absolut synchron auf der Bühne bei einer Art Stuhltanz, toll. Dann ein Pas de deux aus Görlitz (Gerhart-Hauptmann-Theater), unter aktiver Mitwirkung von zwei Stühlen und einem Tisch. Ich greife vor und erkläre dies zu meinem Lieblingsstück des Abends.
Ich kann gar nicht alles aufzählen, was in der Folge an Beeindruckendem passierte. Die Bolero-Variation aus Schwerin blieb hängen, und die unglaubliche Sprungkraft der Eleven aus Berlin.
Mit Grönemeyers Musik hab ich meine Mühe, deswegen litt vielleicht auch der Eindruck von den Landesbühnen Sachsen aus Radebeul darunter.
Vor der Pause nochmal das Ballet Rossa, großartig, wirklich großartig.
Nach zweieinviertel Stunden enden anderswo Veranstaltungen, hier war erstmal Pause. Und es ging hochkarätig weiter: SchülerInnen der Palucca-Schule Dresden tanzten eine Bach-Bearbeitung, für mich Laien das künstlerisch bedeutendste Stück des Abends.
Dass man zu Wagner auch ohne Musik tanzen kann, bewies ein Duo des Theaters Plauen-Zwickau. Nur das Atmen war zu hören, phantastisches Erlebnis.
Wie richtig klassischer Tanz aussieht, zeigte ein Paar der Semperoper. Ich gestehe, die modernen Formen sind mir lieber. Die Überraschungsgäste vom Gärtnerplatz München waren auch nicht so meins. Originell, aber nicht mehr.
Ein furioses Finale nochmal mit den Landesbühnen, „Carmina Burana“, vor allem im letzten Teil begeisternd.
Und dann eine Bühne voller Tänzer und Tänzerinnen zum Schlussapplaus, insgesamt sechzig waren am Start. Ein wunderschönes Bild.
(Sechzig mal „Sixpack“, das macht einen, der sich kaum die Schuhe im Stehen zubinden kann, schon neidisch)
Eileen Mägel und Boris Michael Gruhl führten durch den Abend, sehr angenehm alle beide, vor allem bei Boris Gruhl hatte man das Gefühl, er hätte nie was anderes gemacht. Auch dies passte ins schöne Bild. Ein wunderbar durchkomponiertes Programm, eine unglaubliche Breite, ein trefflicher Überblick über das, was Tanzkunst ist.
Ich war, ich bin begeistert. Auch wenn der Tanz sicher nicht mehr meine bevorzugte Sparte der darstellenden Künste wird, ich hab mich ihm deutlich genähert. Chapeau!
Ach ja, „Tanzt““ steht an der Scheune geschrieben, manchmal auch einladend illuminiert. Und wer das nicht kann oder will, soll zumindest hingehen und zusehen, wie Boris Gruhl zum Abschied sagte. Dem bleibt nichts hinzuzufügen.
Noch bis zum 29.04.13 läuft die Tanzwoche. Alles Weitere hier:
Schön wärs, wenn man wollen würde was man tut
„Faust in uns“, Regie Andreas Neu, Theaterexperiment der Hochschule Zittau/Görlitz und des freien Theaterensembles Kunst.Bauer.Bühne sowie des Gerhart-Hauptmann-Theaters Zittau am 27.02.13, letzte Vorstellung
Ein Trailer im Netz hat mich gelockt: Eine Faust-Inszenierung in ungewöhnlichem Ambiente, schwungvoll geschnittene Szenen, die neugierig machen. So fahre ich also in die ferne Provinz, im Bewusstsein, dass auch ich eine Art Provinz bewohne.
Der Zug nach Zittau ist gut gefüllt, es möge keiner behaupten, in der Oberlausitz wohnt keiner mehr. Nur mit dem Arbeiten ist es halt schlecht. Die Anzahl der benutzten smartphones übersteigt die der aufgeklappten Bücher beträchtlich, der Fortschritt ist auch hier angekommen. Aber ich höre vertraute Töne, es rrrulllt richtsch. Das Wort „Nato-Plane“ hab ich auch schon lang nicht gehört, man simpelt und facht über den Schutz der Automobile im Winter.
Sobald wir den Dresdner Kessel verlassen, wird es diesig, die Schneehöhe nimmt deutlich zu. Gelegentlich tauchen einige Häuser aus dem weißen Nebel, bis die Dämmerung alles verschluckt.
Warum ich mit dem Zug fahre? Man muss die Frage doch andersrum stellen: Warum fährt man nicht Zug? Im konkreten Fall fällt mir die Entscheidung angesichts der Wetterlage relativ leicht, zudem schafft nur Baron Münchhausen die Strecke in 1.25 h mit dem Auto. Gut, ich muss den letzten Zug um halb Elf kriegen, in Schiebock nochmal umsteigen, aber viertel Eins hat mich die Neustadt wieder. Wenn alles glatt geht.
Zum Thema:
Die Ankündigung des Stücks schlägt einen großen Bogen von der Überbevölkerung und dem immer mehr steigenden Ressourcenverbrauch, von den Grenzen des Wachstums und der unbeherrschbaren Ökonomie hin zur Aussage, dass „Faust … eine negative Figur“ wäre, „eine Karikatur des prometheischen Menschen“. Die Frage nach dem Faust in uns soll gestellt werden, und jene nach unserer Verantwortung in der heutigen Gesellschaft. Unterliegen auch wir dem Faustschen „Ruheverbot“? Sind wir überhaupt noch Herr unser selbst?
Eine Menge Holz, die da zu hacken sein wird.
Rein zufällig habe ich mit dem Thema ja momentan auch ein bisschen zu tun, bin deshalb natürlich besonders neugierig. Dass das Ganze im ehemaligen Labor der Elektrotechnik aufgeführt und von einem Wandflies zum Thema begleitet wird, komplettiert die Reihe von guten Gründen für meine Reise.
Ich hab die letzte Aufführung erwischt, die „Derniere“, wie ich inzwischen gelernt habe. Zehnmal wird es dann gelaufen sein. Nach Kritiken zum Stück zu suchen, hatte ich keine Lust bisher. Aber ich will mir ohnehin mein eigenes Bild machen. Dass das nun niemand mehr überprüfen kann, ist ja nicht meine Schuld.
Es ist noch Zeit bis zum Beginn, ich gönne mir einen Fußmarsch durch das Zentrum der Großen Kreisstadt Zittau. Oder ist es eher eine greise (Ex-) Großstadt? Gegen Sieben sind die Straßen verwaist, der Nebel drückt die wenigen Passanten nieder. Man könnte auch die Dreigroschenoper hier freiluft aufführen, auch wenn der Mond über Soho heute schlecht zu sehen ist, Mackie.
Eine Fußgänger-LSA (vulgo Ampel) am Theaterring (hörthört!) stoppt den spärlichen Menschenfluss, auch wenn weit und breit kein Auto zu sehen ist. Der Oberlausitzer hat noch Respekt vor der Obrigkeit. Meiner ist mir leider abhanden gekommen, ich quere die Straße und spüre empörte Blicke im Rücken.
Ehemals prächtige Fassaden säumen meinen Weg, Zittau war mal eine sehr reiche Stadt und gehörte zum Oberlausitzer Sechsstädtebund, einer Art Hanse. Die Substanz ist heute noch zu sehen, auch wenn die Fenster oftmals vernagelt sind.
Im Kino am Marktplatz gibt es „Stirb langsam“ im x-ten Aufguß. Nein, ich werde jetzt keinen blöden Witz im Zusammenhang mit Bevölkerungsentwicklung und regionalen Perspektiven reißen.
Schon vor geraumer Zeit gestorben ist das Kino „Schauburg“, jedoch gibt es Wiederbelebungsversuche. Leider ist es mir noch nicht gelungen, einmal dabei zu sein, die Dresdner Namensvetterin liegt halt doch günstiger.
Eine knappe Stunde vor Beginn treffe ich am Ereignisort ein. Ich fühl mich in die Studentenzeit zurückversetzt, endlos lange Flure, buntgesprenkelt durch Plakate jedweder Art, der Weg zu Faust ist ausgeschildert. Dann öffnet sich eine Tür, ja, hier wäre ich richtig, es sei ja noch Zeit, aber ich könne gern die Ausstellung ansehen. Und die Bar besuchen. Letzteres geht getreu dem alten Brecht vor.
Die freundliche Dame am Einlass nimmt meine zweite, übriggebliebene Karte zurück und will sie wieder verkaufen, was ihr auch gelingt. Ich bin positiv erschüttert. Die Oberlausitzerin ist freundlich, da merkt man immer wieder. Sympathische Gegend.
Das Zittauer Theater gehört übrigens nicht nur aus landsmännischen Gründen schon länger zu meinen Lieblingen, leider führen wir nur eine Fernbeziehung. Immerhin, eine sehr gute „Kabale und Liebe“ hab ich vor Jahren da gesehen, und an das „Kuckucksnest“ erinnere ich mich mit viel Freude. Und noch einiges mehr, enttäuscht bin ich eigentlich nie worden, auch, weil ich um die finanziellen Gegebenheiten des GHT weiß. Dass Tom Quaas dort inszeniert hat, freut mich sehr, leider habe ich das Stück nicht gesehen. Den fast alljährlichen Kampf um den Bestand des Hauses verfolge ich mit Sorge, dass das Haus nun saniert wurde, gibt ja immerhin ein bisschen Hoffnung auf eine langfristige Perspektive. Und die Premierenfeiern in der Villa Hirche sind um Einiges besser als das, was üblicherweise in Dresden stattfindet.
Nun aber dann doch schon zu dem, was wir sehen werden.
Der kluge Text auf dem Programmflyer ist dank seiner Ausführlichkeit dann doch plausibler als die wenigen Zeilen im Netz. Es wird auf den „Global Player Faust“ von Michael Jäger Bezug genommen, auf dessen Zweifel, ob das Streben an sich erstrebenswert ist angesichts der Folgen. Was ist denn so schlimm am Verweilen? Wenn jeder Ruhepunkt verschwunden ist, sind wir im Ewig-Leeren.
Auch Christoph Binswanger, der bereits in einem anderen Faust-Stück sich zum Thema Geld und der Gier danach äußert, wird zu „Geld und Magie“ zitiert. Die Schaffung des Papiergeldes, schon bei Goethe ein alchemistischer Vorgang, entkoppelt das Geld vom Gold und lädt förmlich ein, unsichere Wetten (da haben wir es wieder!) auf die Zukunft einzugehn.
Das Ambiente mit dem ehemaligen Labor der Fakultät Elektrotechnik darf man genial nennen. Der spröde Charme der Lehreinrichtung wird ergänzt durch Illuminationen und die Theatereinbauten. Die Bühne in ihrer Nüchternheit ist das ideale Podium für eine Sezierung des Faustschen Ansatzes.
Der Saal fasst etwa 150 Besucher, ca. zwei Drittel davon bevölkern ihn. Viel junges Volk, einige davon mit tschechischer oder polnischer Zunge, wir sind im Dreiländereck, angenehme Mischung. Die Getränke kann man mit reinnehmen, domestiziert durch die Dresdner Theater hab ich aus Unkenntnis mein Bier zuvor runtergestürzt. Naja, zur Pause weiß ich dann Bescheid.
Es beginnt etwas rätselhaft. Ein langes musikalisches Vorspiel, dann ein apokalyptischer Text. Faust ist in die heutige Arbeitswelt versetzt, eine Erzählerin beschreibt seine Qualen. Zumal auch das Koks alle ist, immerhin ist noch der Malt da. Burn out as usual, er ist kein Versager, nein, aber er ist tot. Der Wagner-Dialog wird von Pappnasen vorgetragen, Faust windet sich derweil im Krankenbett.
Mephisto, nein, Mephista erscheint, in Latex. Faust wettet, hätt ich auch gemacht.
Dann die Midlife-Crisis wieder im Fokus, ein Arzt mit Flasche beklagt die mangelnde Orientierung heute und erzählt uns seine HIV-Geschichte. Seele weg, alles weg.
Faust glänzt (nicht nur) durch eine beeindruckende Stimme und begibt sich in die Hexenküche, wo ihn eine propere Meerkatze sanft entkleidet. Der Zaubertrank kommt hier aus der Dose und verleiht Jugend. Als Helena muss Marylin herhalten, was ich dann doch etwas anmaßend finde. Hoffentlich werden die Götter nicht böse.
Mephisto sieht nun aus wie der selige Dirk Bach in schlank, beide tragen quietschbunte Hemden wie der Typ aus dem Fernsehen, dessen Namen ich mir zum Glück nicht merken kann.
Das Gretchen wird hier etwas anders kennengelernt, er solle doch „wieviel“ fragen, regt sie an. Faust mag es offenbar klassisch und verzieht sich erstmal.
Dann doch die Gretchenfrage. Eine prima Rollenverteilung, Grete flitzt wie ein Weberschiffchen zwischen den beiden Fäusten hin und her, die abwechselnd versuchen die Frage wegzudefinieren.
Wir springen in den Alltag und in das gefürchtete Beziehungsgespräch. Der Schlips bleibt zu kurz und Mann und Frau passen sowieso nicht zueinander. Köstlich, eine Aufwärtsspirale wie bei Loriot, unaufhaltsam bis zur Explosion. „Leben ist grundsätzlich anstrengend“, versucht er noch auszuweichen, aber sie liest seine Gedanken: „doch mit Dir ganz besonders“. Dabei wollten sie doch nur was gemeinsam unternehmen …
„Ich wäre schon froh, wenn ich immer das wollen würde, was ich tue“, in diesem schlichten Satz manifestiert sich seine Wunschlosigkeit und gesellschaftliche Kompatibilität.
Vor der Pause noch ein Ärgernis, eine Talkshow-Persiflage über die Ratlosigkeit der gesellschaftlichen Institutionen, die leider nicht über Kabarettniveau hinausgeht. Ein Klischee-Stadel, plakativ und verzichtbar die Szene.
Es beginnt wieder mit einem bitteren, sprachgewaltigen Monolog namens Entropie, der dankenswerterweise auf Zettelchen ausliegt. In der Kerkerszene am Ende von Faust I wird sein Text durch Strophen aus Faust II ersetzt, was einen schönen Effekt gibt, Grete und Heinrich reden aneinander vorbei, sie erzählt von Zweisamkeit, er von der großen ganzen Welt. Da ist auch nichts mehr zu retten.
Kofferträger im Gleichschritt leiten zum Kaiser über, der immer nur Gejammer hört. Es fehlt an Geld? „So schaff es denn!“ Des Kaisers Skepsis weicht, als das von Faust/Mephisto „ausgegrabene“ Papiergeld seinen Jecken wohl gefällt und sie zum Konsum anreizt. (Papier-) Geld wird durch Glauben zu Gold.
Wachstum! Wachstum! Noch mehr Wachstum!
Ein sehr guter Dialog zwischen Kaiser und Faust übrigens.
Dann eine Fotosequenz, in blitzartiger Folge werden Bilder von Herrschern und Sonstigen mit Schlag-Halbsätzen kombiniert. Ich erkenne immerhin George W. mit Lügnernase, kann ansonsten aber damit nicht viel anfangen. Das kommt mir zu bedeutungsschwer daher.
Am Ende ist Faust glücklich. Sagt er zumindest, aber so richtig sitzt der neue Text noch nicht. Doch er macht gute Fortschritte, sagt die Therapeutin.
Man muss sich das vorstellen wie in Clockwork Orange, was von den Toten Hosen so kongenial vertont wurde. Alex ist jetzt ein guter Bürger, ein neuer Mensch und systemkonform, die Gehirnwäsche hat funktioniert.
Der Darsteller des Faust (leider sind die Namen nicht den Rollen zuordenbar) hier mit seiner besten Leistung, sehr beklemmender Monolog.
Ein beeindruckendes, aussagekräftiges Schlussbild, dann Dunkelheit, dann Stille.
Herzlicher Applaus, an dem ich mich leider nur kurz beteiligen kann, der Zug wartet nicht. Nach einem straffen Marsch durch die verwaiste Innenstadt treffe ich rechtzeitig am Bahnhof ein, und neunzig Minuten später in Dresden, der Text ist inzwischen fertig.
Ein interessantes Stück, das ich empfehlen würde, wenn es nochmal käme. Eine gute Ensembleleistung, ein passendes Ambiente, ein Theatererlebnis, wie es sein soll. Ich hab den Ausflug nicht bereut.
Nur schade, ich hätte gern früher der geneigten Öffentlichkeit hiervon berichtet. So bleibt mir nur diese postume Würdigung und der Vorsatz, die Projekte der Kunst.Bauer.Bühne künftig aufmerksam zu verfolgen.