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Käse von Frau Antje
„Warst Du nicht fett und rosig? Warst Du nicht glücklich? Bis auf die Beschwerlichkeiten, mit den anderen Kindern streiten, mit Papa und Mama … Wo fing es an und wann? Was hat Dich irritiert? Was hat Dich bloss so ruiniert?“ (Die Sterne, „Was hat Dich bloss so ruiniert?“)
Es ist hier nicht der Ort, über die körperliche Beschaffenheit von Antje Hermenau zu diskutieren. Das geht außer Ihr niemanden etwas an und trägt auch nicht zur Wahrheitsfindung bei. Daß aber etwas Relevantes geschehen sein müsse, damit Frau Antje sich heute so äußert wie sie es tut, das kann man schon vermuten und deshalb den guten alten Gassenhauer vorweg zitieren.
Frau Hermenau war lange die wichtigste Person der Grünen in Sachsen, nach zehn Jahren im Bundestag führte sie die grüne Fraktion im sächsischen Landtag als Sprecherin durch zwei Legislaturperioden, um dann Ende 2014 – obwohl wieder als Spitzenkandidatin in den Landtag gewählt – auf ihr Mandat zu verzichten, als die Partei ihren schwarzgrünen Bemühungen nicht folgen wollte. Heute ist sie Politik- und Unternehmensberaterin und seit einiger Zeit für die Freien Wähler Sachsen als Geschäftsführerin tätig.
Letzteres ist wohl eher Wirkung als Ursache des Sinneswandels, den sie in ihrem Buch „Ansichten aus der Mitte Europas. Wie Sachsen die Welt sehen“ dokumentiert. Erscheinen wird das Werk am 14. März 2019 in der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig, einer honorigen Institution, die sich nach ihrer Selbstdarstellung „die Pflege der evangelischen bzw. protestantischen Theologie und Tradition und die Offenheit für Fragen des Zeitgeschehens sowie aktuelle Entwicklungen in Gemeinde und Kirche“ auf die Fahne geschrieben hat.
Vielleicht ist es auch dem Einfluss des Verlags zu verdanken, daß die Leipziger Volkszeitung mit den Dresdner Neuesten Nachrichten im Schlepptau aus dem Erscheinen des Buches ein veritables Ereignis machen wollte und ihrer Leserschaft von Donnerstag bis Sonnabend drei Vorabdrucke aus dem Buch präsentierte, eingeleitet von einem zweidrittelseitengroßen Interview mit Frau Hermenau am ersten Tage. Die Zeitungen werden sich das überlegt haben, und ein kleines Skandälchen schadet nicht, grad kurz vor der Leipziger Buchmesse ist man dafür dankbar. Und, nicht zu verachten: So kommt auch meine Wenigkeit in den Genuss der Hermenauschen Betrachtungen, für die ich sonst sicher nicht die zehn Euro angelegt hätte, die das Büchlein kosten wird.
Und dies wiederum gibt mir Gelegenheit, darüber ein wenig zu reflektieren und endlich zum Thema zu kommen.
„Wer offene Grenzen will, schafft den Sozialstaat ab“ ist das Interview überschrieben. Dieser Satz steht sinngemäß auch im Buch und im Gespräch erläutert Frau Hermenau, daß es Menschen gäbe, „die sagen, sie wollen offene Grenzen für alle“. So richtig klar wird dabei nicht, wen sie meint, und genauso, wie es Menschen gibt, die um Sachsen herum eine Mauer bauen wollen, gibt es sicher auch jene, für die Grenzen prinzipiell unnatürlich sind. Die Frage ist halt, wieviel Einfluss diese Gruppen haben und welche Reichweite. Aber wenn man sich einen solchen Popanz aufbläst, kann man natürlich dann wacker drauf eindreschen und dabei die Stimme der Vernunft geben. Es wirkt halt nur ein bißchen billig.
Überhaupt beschränkt sich Frau Hermenau eher auf die preiswerten Teile der Volkswirtschaftslehre, in dem sie Monokausalitäten zwischen Rentenniveau und Zuwanderung herstellt oder darauf verweist, mit den „100 Milliarden Integrationskosten … heute leistungsstarkes Internet bis zu jeder Milchkanne durch finanziert“ gehabt zu haben. Ramsauer, Dobrindt und Scheuer werden dankbar sein, daß ihre mangelnde Performance in dieser Sache auf einmal finanzielle Gründe hat. Ähnlich übersichtlich sind ihre anderen Wirtschaftsweisheiten, der Mythos vom faulen Ausländer wird bemüht, es wird beklagt, daß „doch wirklich wenige Flüchtlinge in hoch qualifizierten Jobs“ sind (was man denen nun wirklich mal trotz jahrelang unterbrochener Ausbildung und eines Neuanfangs in fremder Sprache und Kultur ordentlich um die Ohren hauen sollte, nur keine falsche Scham) und auf die Frage, ob sie nicht zu schablonenhaft argumentiere, hält sie entgegen: „Nein, denn ich rede mit vielen Unternehmern, die mir ihre realen Erlebnisse schildern.“ Bei diesem Monopol auf die Wahrheit wüsste ich was Besseres als nur Bücher zu schreiben, aber das kann ja alles bei Frau Hermenau noch kommen.
Der zweite Schwerpunkt von Frau Hermenau sind die Sachsen, die unverstandenen, fehlinterpretierten, an- und bodenständigen, heimatliebenden, nicht dummen und es-satt-habenden Sachsen, die „nicht tot gequatscht werden“ wollen. „Loofen musses“ für diese, und ähnliche sprachliche Pretiosen enthält das Buch viele, wenn man den Auszügen trauen kann. „An den Freien Wählern gefällt (ihr), dass die in Berlin und Brüssel keinen Hintern haben, den sie abküssen müssen“. Soviel Schlichtheit im Geiste ist angesichts von zwanzig Jahren als Berufspolitikerin schon entzückend.
Und nein, das Interview scheint nicht besonders zugespitzt zu sein im Vergleich zum Buch. Der erste Auszug beginnt wie folgt:
„Fragt man in Sachsen danach, wer regieren und was die Regierung machen sollte, kann schon mal die Antwort kommen: „Is mr eechentlich egal, wer ohm den Gassbr machd, aber loofen musses.“ Darin liegt tiefe Weisheit. Vor allem klärt der Spruch eindeutig, wer die Arbeit macht und die Mäuse für alle verdient. Kleiner Tipp: „Der Kasper da oben“ ist es nicht. …
Im Folgenden wird dann von einem Geschäftsführer der Sachsen GmbH gefaselt, und die beschränkte Haftung gesteht man Frau Hermenau dann sicher auch im Weiteren zu.
Noch ein Zitat? „Sogar Schießbefehle aus Berlin gibt es wieder. Die fetten Kugeln nennen sich „failed state“, „Nazis“ und „Dunkeldeutsche“. Und dann gibt es da noch jede Menge Kleinschrot für die Kartätschen: „abgehängt“ oder „Pack“. …“ Was freundlich interpretiert noch als bemühte Komik durchgehen könnte, erscheint im Gesamtkontext des Absatzes als Beschwörung des unfehlbaren Sachsen, der ob seiner 1.000-jährigen Geschichte nicht irren könne und für den jede Kritik an seinem Verhalten als anmaßend erscheint. So ist das offenbar auch wirklich gemeint, das Hohe Lied der sächsischen Nation wird gesungen: „Sachsen ist eine Art kleine Nation: Wir haben ein Staatsvolk, eine Staatsgrenze, eine Staatsgewalt, einen Staatsschatz, eine Hochkultur auf Weltniveau (gegenwärtig vor allem in Musik und Malerei) und einen Staatsdialekt.“
Wenn Frau Hermenau so weiter macht, muss Uwe Steimle bald Autohäuserjubiläen moderieren (falls er das nicht schon macht) und die Nationalkasperstelle beim MDR wird endlich weiblich besetzt.
Man könnte über diesen Unsinn traurig schmunzeln und ihn beiseite legen, aber es wird dann auch noch ganz tief ins Klo der ausländerfeindlichen Hetze gegriffen, das soll nicht unwidersprochen bleiben:
„Zudem müssen die mindestens 100 Milliarden Euro bis 2020 für die Zuwanderer auch erwirtschaftet werden. … Was denkt eine Frau, die arbeiten musste, weil ein Gehalt nicht reichte … wenn sie im Fernsehen sieht, wie ein syrischer Familienvater mit zwei Frauen und geschätzten zehn Kindern voll versorgt wird?“
Frau Hermenau, das ist wirklich ein Problem. Aber wissen Sie denn nicht, daß im Koran steht, jeder ordentliche Muslim müsse mindestens einmal im Leben die heiter blühenden Landschaften des Morgenlands mit Frauen und Kindern verlassen, um für mindestens sieben Jahre in die deutschen Sozialsysteme einzusickern? So erklärt sich das doch ganz einfach.
Tut mir leid, aber auf diesen Schmarrn kann ich nur mit Geblödel reagieren, auch wenn Fasching nun vorbei ist.
Zum Ende sei noch einer Befürchtung Ausdruck verliehen: Mit Zitaten wie dem folgenden „Die Verfemung eines ganzen Bundeslandes, das sich nicht einfach so anpassen will, führt u. a. dazu, dass wir von manchen gemieden werden“ wird sich Frau Hermenau vermutlich für zahlreiche zweitklassige Fernseh-Talkshows qualifiziert haben, um dort die Sachsen-Erklärerin zu geben. Vielleicht ist dies auch der tiefere Sinn des Buches.
Für diesen Fall möchte ich zu Protokoll geben, daß Frau Antje Hermenau nicht bevollmächtigt ist, für mich als gebürtigen und wohnhaften Sachsen zu sprechen oder mich zu erklären. Vielleicht kann man das jeweils unten im Bilde einblenden, als Laufschrift. Dankeschön.
P.S.: Noch ein helfender Hinweis zu einem Satz aus dem Interview: „Ich möchte mit dem Buch endlich das Fenster aufmachen und frische Luft reinlassen.“ Gnä‘ Frau, das wäre auch ohne Buch gegangen, es sei denn, Sie wollten die Scheibe einwerfen.
FeinFeuerStaubWerk
Ein Diskussionsbeitrag.
https://www.dropbox.com/s/15dsifxb597dpck/Feuerfeinstaubwerkrohfassung.mp3?dl=0
Teichelmaukes Hamsterradio #100 vom Februar 2018
Wer es unbedingt nochmal nachhören muss … na gut.
https://www.dropbox.com/s/fv6bzfln48yx3rb/TM%20HaRa%200302018.mp3?dl=0
brautlie präservatiert von coloRadio.
Und am Ende schuf Gott das Happy-End
„Hiob“ nach dem Roman von Joseph Roth in der Fassung von Koen Tachelet, Regie Nurkan Erpulat, Premiere am 18. Februar 2017 am Staatsschauspiel Dresden
Jahwe hat – wen wundert’s – jiddischen Humor. Ausgerechnet seinem treuesten Knecht Mendel Singer, der als Tora-Lehrer nun wirklich im Sinne des Herrn wirkt und sich auch sonst nichts zu Schulden kommen lässt im Glauben wie im Leben, gibt er in seinem Remake des Alten Testaments, das nunmehr im Galizien des beginnenden 20. Jahrhunderts und später in New York spielt, die Rolle des Hiob. Da kann man schon vom Glauben abfallen, wenn der eine Sohn zu den Kosaken geht, der andere rübermacht über den großen Teich, die Tochter eine Art Lily Marleen für Kosaken wird und dann das Nesthäkchen auch noch behindert ist, von der nörgligen Gemahlin ganz zu schweigen. Oder?
Wie es ausgeht, steht hier:
http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/premierenkritik_hiob_staatsschauspielDD.php

Alternative Fakten zum gestrigen Abend
„Amphitryon“ von Heinrich von Kleist, Regie Wolfgang Engel, Premiere am 4. Februar 2017 am Staatsschauspiel Dresden
„Wer oder was bin ich?“, ganz ohne Robert Lembke, dafür deutlich existenzieller. Göttervater Jupiter fühlt sich von Alkmene, der schönen Gattin des Königs von Theben Amphitryon, in religiöser Hinsicht unzureichend wertgeschätzt und steigt herab sowie in des Königs Kleider und Körper, um dies auf sehr irdische Art zu kompensieren. Die Freude an der Bestrafung ist beiderseits, doch treten in der Folge einige psychologische Kollateralschäden auf, die wohl selbst Jupiter so nicht vorhersah. Dabei werden die Identitäts- und Sinnkrise erfunden und die Grundlagen für das heute florierende Handwerk des Psychotherapeuten sowie das Filmmaterial von Woody Allen geschaffen.
Das Ganze hier:
http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/premierenkritik_amphitryon_staatsschauspielDD.php
Die Formel des Hasses entschlüsseln
„Gott wartet an der Haltestelle“, von Maya Arad Yasur, Regie Pinar Karabulut, deutsche Erstaufführung am 9. Dezember 2016 am Staatsschauspiel Dresden
Nicht weniger als die Formel des Hasses, der seit vier Generationen zwischen Palästinensern und Israelis herrscht, mit ihrem Stück zu entschlüsseln, nahm sich die junge (israelische) Autorin Yasur laut dem im Netz nachlesbaren Interview vor. Eine veritable Vermessung des ganzen Elends hat sie auf jeden Fall abgeliefert. Ob hier eine Entschlüsselung überhaupt noch nötig ist, mag angesichts des alttestamentarischen „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ jeder*r selber entscheiden.
Für jeden Zuschauer, da bin ich bereit zu wetten, kommt irgendwann im Stück der Moment, wo man einfach nur noch rausrennen will, allein der Zeitpunkt dürfte von der emotionalen Grunddisposition und der Tagesform abhängen. Selbst wenn man halbwegs vorbereitet in den Abend geht, sind Stück und Spiel der fünf Akteur*innen derart niederdrückend, das man dem nicht entgehen kann. …
Der Rest hier:
http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/premierenkritik_gottwartet_staatsschauspielDD.php
Hol den Vorschlaghammer!
„Romeo und Julia“ von Shakespeare in einer Fassung von Martin Heckmanns, Regie Miriam Tscholl, Premiere der Bürgerbühne des Staatsschauspiels Dresden am 1. Oktober 2016
Jetzt ausführlich hier:
http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/premierenkritik_romeoundjulia_staatschauspielDD.php
Nicht, daß ein Vorschlaghammer was Schlechtes wäre. Manchmal geht es nicht ohne ihn, und gerade in Dresden, wo die die Drei-Tage-Jubel-Feier der dt. Einheitlichkeit umrahmenden Nestler-Steine ein unschönes Symbol für die hiesigen Denkstrukturen bilden, bräuchte man ihn öfter als anderswo.
Und natürlich kann man ein solches mit Pathos überladenes Drama wie jenes der beiden Königskinder, die aus familiären Gründen nicht zueinander kommen konnten, nicht ganz ohne selbiges in die heutig herrschende Coolness übertragen. Aber im Prinzip gelang das gut, auch wenn vieles dann doch mit dem bewusstseinsstarren Zeigefinger vorgeführt wurde.
Das Stück ist wertvoll, ohne Frage, es passt nach hier, es tut not, wird sein (junges) Publikum hoffentlich in Massen finden und „gut gemeint“ wäre eine sehr unzureichende Beschreibung. Daß der Berichterstatter theatral nicht auf seine Kosten kam? Geschenkt, an der Dramatik z.B. der doppelten Sterbeszene haben sich auch schon Profi-Schauspieler verhoben und die Kampfszenen wirkten (und waren) gut einstudiert.
Der Vorschlaghammer zum Schluss (mit dem „Wir sind Helden“ – Hit) lässt vermuten, daß man hinter der Bühne das Problem der Heroisierung und Denkmalsetzung durchaus erkannt hatte. Ein bißchen von der Frische und Spielfreude dieser Schlussszene mehr in den mitunter doch recht langen 80 Minuten vorher, und es hätte kaum etwas zu nörgeln gegeben.
Kapitulation, aus persönlichen Gründen
„Unterwerfung“ nach dem Roman von Michel Houellebecq, für die Bühne eingerichtet von Janine Ortiz, Regie Malte C. Lachmann, Premiere am Staatsschauspiel Dresden am 5. März 2016
…
Am Ende, auf der Treppe nach unten, fragte mich die Fernsehreporterin, ob ich mir das Szenario auch real vorstellen könne und ob das Stück in Dresden aufzuführen wohl etwas Besonderes sei. Nein, muss ich gestammelt haben, und nochmal nein, man solle die Situation in Dresden nicht auf die Montage reduzieren. Daß diese „Bewegung“ intellektuell auf einer gänzlich anderen Ebene spiele, konnte ich leider nicht mehr anbringen, das wäre zur Erläuterung aber doch notwendig gewesen. Die literarische und theatrale Auseinandersetzung mit einer möglichen Ausbreitung der islamischen Religion hat mit den Montagspöbeleien soviel zu tun wie … ach, was weiß ich. Jedenfalls nicht viel.
14 Herzblätter
Die Schauspielbrigade Leipzig interpretierte Gundermann im Kleinen Haus des Staatsschauspiels Dresden, 15. November 2015
Fast zwanzig Jahre nach dem Tod von Gerhard Gundermann sind seine Lieder noch immer in aller Ohren und Mündern, man möchte meinen, es nimmt eher zu als ab. Auch an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig sind Gundermann-Lieder fester Bestandteil der Gesangsausbildung, der Schritt zu einem selbst gestalteten Programm war da nicht mehr weit. Dozent Frank Raschke hat dieses geformt und gastierte mit einem vierzehnköpfigen Ensemble aus singenden Schauspielern und aus Musikern in Dresden. Es sei in dieser Form eine Premiere, sagte er in seiner etwas langatmigen Einführung.
Zuvor gab es den „Narrn“, mit Akkordeon von ihm und Gesang von Felix Fdefér, eine Eröffnung, die Hoffnung auf einen großartigen Abend machte. Dass diese dann doch nur teilweise erfüllt wurde, lag schlicht am sehr artifiziellen Ansatz der Interpretationen und leider auch an einem meist einfallslosen Arrangement der Stücke. Unbestritten waren da sehr schöne Stimmen zu hören, aber … man glaubte den sehr jungen Interpretinnen nicht, dass sie wussten, wovon sie sangen. Da hilft dann auch die schauspielerische Ausbildung nicht, Gundermann-Singen spielen ist etwas anderes als Gundermann singen. Auf dem gebohnerten Bühnenparkett verlor sich kein Krümel Kohlenstaub, die Soljanka wurde hier vom Vier-Sterne-Koch serviert, sehr raffiniert, aber ohne das gewisse Etwas.
Dass der Abend nicht völlig misslang, ist dem zweiten Teil zu verdanken. Da wurde auf einmal die Sterilität weggeblasen, wunderbar schräge Nummern waren zu hören, da zeigte das Ensemble, was drin gewesen wäre. Mit „Vogelfrei“ war dann auch bei mir das Eis gebrochen, eine großartige Version, so muss man das machen! Auch „Weißtunoch“ konnte an diese Niveau anknüpfen, und der „Zweitbeste Sommer“ gehört auch in diese Kategorie, ebenso die Zugabe „Gras“. Trotzdem war auch viel statisch Uninspiriertes zu hören, und die vier Streicherinnen wurden auch nicht immer glücklich eingesetzt. Die „Night of the proms“ ist bei Gundermann schlicht fehl am Platze, trotz aller Virtuosität.
Dennoch, es gibt noch einiges Erfreuliche zu berichten: Die singenden Herren waren durchweg gut, Thomas Dehler konnte mit eingebrachter Lebenserfahrung punkten und Felix Fdefér interpretierte sehr klug (so verzieh man auch seine Texthänger). Doch die Krone gebührt dem Schauspielstudenten Jannik Hinsch, der mit seiner schönen und facettenreichen Stimme ebenso begeisterte wie mit dem Charme seines Vortrags.
Also Unentschieden am Ende, immerhin.

Kein Gott, nirgends.
„Ichglaubeaneineneinzigengott.“, Monolog von Stefano Massini, deutschsprachige Erstaufführung in der Regie von Nora Otte am Staatsschauspiel Dresden, 14. November 2015
Auch an anderen Tagen wäre man aus dieser Inszenierung nicht beschwingt hinausgegangen. Heute bedurfte es sogar einer Erklärung des Intendanten Wilfried Schulz vorab, warum man auf die Premiere ausgerechnet dieses Stückes am Tage nach einem Terroranschlag entsetzlichen Ausmaßes nicht verzichtet habe. Die Frage, die sich das Theater heute vormittag stellte, war genauso berechtigt wie die Entscheidung richtig: Man muss sich auseinandersetzen, auch wenn es schmerzhaft war und ist.
Stefano Massini, dessen theatrale Dokumentation der Familiengeschichte der Lehmann-Brüder nach deren Auswanderung ins gelobte Land Amerika (eine klassische Mischform von Wirtschaftsflucht und Emigration aus Furcht vor Verfolgung übrigens) erst unlängst an diesem Theater Erfolg hatte, befasst sich in seinem Monolog von drei Personen mit dem Dauerkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Das Thema wird aus zwei diametralen Blickwinkeln beleuchtet, jenem der jüdischen Geschichtsprofessorin Eden Golan, die zumindest anfangs an Verständigung und Versöhnung glaubt, und jenem der palästinensisch-muslimischen Studentin Shirin Akhras, die in ihrem kurzen Leben nichts anderes als Unterdrückung und Terror kennengelernt hat. Die dritte Person, die amerikanische Soldatin Mina Wilkinson, hat vor allem die Funktion, die Handlung zusammenzuhalten und die grausame Schlusspointe zu erzählen.
Alle drei wurden gespielt von Cathleen Baumann, der phasenweise die Anspannung an diesem auf so unerwartete Weise besonderen Tage anzumerken war und die dennoch auf anrührende und ergreifende Art in drei verschiedenen Körpersprachen, Stimmlagen und Mimiken brillierte. Unterstützt wurde ihre Performance von der Kostümbildnerin Lisa Edelmann, die nur wenige Requisiten brauchte, um die Personen unterscheidbar zu machen, und von der kargen Bühne aus verschraubten Verstrebungen, die eine Arena andeuteten, phasenweise von einer von oben auf das Geschehen blickenden Kamera unterstützt.
Die Regisseurin Nora Otte verzichtete – von der Detonation der ersten Bombe abgesehen – auf alle „special effects“ und vertraute der Geschichte, den klug gesetzten musikalischen Sentenzen von Ludwig Bauer und vor allem ihrer Darstellerin. Das Ergebnis gab ihr recht.
Erklärt wurde in diesem Stück wenig, der Fanatismus der Studentin wurde ebenso vorausgesetzt und fortgeschrieben wie die Abgebrühtheit der Soldatin. Nur die Professorin wurde als Person kenntlicher, wenn sie nach ihrer Traumatisierung durch einen er- und überlebten Selbstmordanschlag ihre Prinzipien mehr und mehr in Frage stellte.
Dramaturgisch geschickt kreuzten sich die Lebens- bzw. Todeslinien der Palästinenserin und der Jüdin zuerst nur scheinbar: Während die eine auf der zweiten Stufe ihrer Märtyrerkarriere ihre beiden besten Freundinnen – die ihr hier einen Schritt voraus waren – und ein vollbesetztes Lokal zum Chanukka-Fest in die Luft sprengte, tafelte die andere entgegen der anfänglichen Vermutung dann doch ein paar Straßen weiter, das erste Mal seit dem Anschlag vor mehreren Monaten.
Doch fast unvermeidlich fanden beide im Tode zusammen, die eine wie die andere von amerikanischen Scharfschützen wie Mina Wilkinson getötet, wegen des mitgeführten Rucksacks voller Sprengstoff bzw. weil das Schultertuch wegen des Regens unglücklich über den Kopf gebunden war. Zur falschen Zeit am falschen Ort, sagt man da wohl.
Von einem Gott, an den man glauben könnte, war nirgendwo etwas zu sehen.
Als sich das Publikum vom Schock einigermaßen erholt hatte, gab es kräftigen Beifall für Cathleen Baumann und das Inszenierungsteam.
Tja, und nun? Dass das Stück zur richtigen Zeit kommt (auch wenn die Gemengelage in Mitteleuropa eine andere ist), ist wohl unstrittig. Ob das Provinzhauptstädtchen Dresden der richtige Ort ist, um sich mit Terrorismus auseinanderzusetzen in diesen Tagen?
Ja und nein. Ja, weil dieses Thema unsere Gesellschaft seit Jahren begleitet (wobei der islamistische Terror nur eine von mehreren Ausprägungen ist, wenn auch derzeit dominierend), nein, weil der Terror hier ein ganz anderes Gesicht hat und vorzugsweise Flüchtlingsunterkünfte anzündet. Insofern könnte man sagen, dass wir hier andere, dringendere Probleme haben, aber das Theater ist nicht die Tagesschau, und so können und sollen auch Themen abgehandelt werden, die außerhalb unseres aktuellen Tellerrands liegen.
So oder so wird der pegidistische Hassprediger und Montags-Schwarzmaler mit seiner Ortsbauernführer-Schläue die tragischen Ereignisse vom Freitagabend nutzen, um seine Gefolgschaft weiter zu radikalisieren.
Damit ist sich auseinanderzusetzen, und Theater allein reicht dagegen sicher nicht aus, aber es ist ein Beitrag, die Vernunft zu stärken, auch und gerade in der schmerzhaften Auseinandersetzung mit Gründen und Ursachen. Und dazu kann man „ichglaubeaneineneinzigengott“ definitiv zählen.