Kategorie: Bürgerbühne
Du sollst im Theater nicht beichten
„Die 10 Gebote“ nach DEKALOG von Krzysztof Kieslowski und Krzysztof Piesiwicz, Regie Nuran David Calis, Produktion der Bürgerbühne am Staatsschauspiel Dresden, Premiere am 16. März 2018
Irgendwann, so hoffe ich, ist auch die letzte gruselige Geschichte aus Dresden und Umgebungen von den Opfern selbst (!) auf der Bühne (!!) ganz authentisch (!!!) erzählt, und die Bürgerbühne kann das Niveau der Nachmittags-Shows des Enthüllungsfernsehens wieder verlassen. Um vielleicht dann endlich zu merken, daß das ungeschützte Zurschaustellen von Betroffenen sicher spektakulär, aber noch sicherer unanständig ist.
…
Ein Fernsehfilm ist nicht Theater, und Theater ist – zum Glück – kein Fernsehen. Manchmal lässt sich das Eine in das Andere gut überführen, manchmal aber auch nicht. Vielleicht besonders dann nicht, wenn man einem ohnehin schon komplexen Stoff noch anderthalb Ebenen draufpacken will. Reality TV ist schon schwer erträglich, Reality Theatre ist erst recht kein Format, das man (besser ich) sehen will.
Der ganze traurige Rest hier:
http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/premierenkritik_die10gebote_staatsschauspielDD.php
Hol den Vorschlaghammer!
„Romeo und Julia“ von Shakespeare in einer Fassung von Martin Heckmanns, Regie Miriam Tscholl, Premiere der Bürgerbühne des Staatsschauspiels Dresden am 1. Oktober 2016
Jetzt ausführlich hier:
http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/premierenkritik_romeoundjulia_staatschauspielDD.php
Nicht, daß ein Vorschlaghammer was Schlechtes wäre. Manchmal geht es nicht ohne ihn, und gerade in Dresden, wo die die Drei-Tage-Jubel-Feier der dt. Einheitlichkeit umrahmenden Nestler-Steine ein unschönes Symbol für die hiesigen Denkstrukturen bilden, bräuchte man ihn öfter als anderswo.
Und natürlich kann man ein solches mit Pathos überladenes Drama wie jenes der beiden Königskinder, die aus familiären Gründen nicht zueinander kommen konnten, nicht ganz ohne selbiges in die heutig herrschende Coolness übertragen. Aber im Prinzip gelang das gut, auch wenn vieles dann doch mit dem bewusstseinsstarren Zeigefinger vorgeführt wurde.
Das Stück ist wertvoll, ohne Frage, es passt nach hier, es tut not, wird sein (junges) Publikum hoffentlich in Massen finden und „gut gemeint“ wäre eine sehr unzureichende Beschreibung. Daß der Berichterstatter theatral nicht auf seine Kosten kam? Geschenkt, an der Dramatik z.B. der doppelten Sterbeszene haben sich auch schon Profi-Schauspieler verhoben und die Kampfszenen wirkten (und waren) gut einstudiert.
Der Vorschlaghammer zum Schluss (mit dem „Wir sind Helden“ – Hit) lässt vermuten, daß man hinter der Bühne das Problem der Heroisierung und Denkmalsetzung durchaus erkannt hatte. Ein bißchen von der Frische und Spielfreude dieser Schlussszene mehr in den mitunter doch recht langen 80 Minuten vorher, und es hätte kaum etwas zu nörgeln gegeben.
Ungeschriebene Überschriften zum Abschied
Hartmut Krug befragte am 21. Juni 2015 die Dresdner Intendanz zu ihrer letzten Spielzeit
Am Ende bekannte der von Deutschlandfunk und –radio sowie Nachtkritik bekannte Theaterkritiker, dass ihm der neue Spielplan gefalle. Das war schon deutlich mehr als das übliche „nicht gemeckert ist auch gelobt“ und sicher nicht nur der Höflichkeit des Gastes geschuldet.
Wilfried Schulz und Robert Koall, die offenbar nur als Tandem vorstellbar sind und deren Jahrzehnt am Staatsschauspiel leider unvollendet bleiben wird, ließen sich von Harald Krug in einer Sonntags-Matinee vor immerhin 300 Zuhörerinnen – von denen den meisten das frühe Aufstehen altersbedingt sicher nicht schwergefallen war – zum Programm der kommenden Spielzeit (ihrer letzten hierzulande) befragen. Bei solchen Gelegenheiten verblasst des Kritikers Schärfe, und so waren von Herrn Krug mit Ausnahme der Genugtuung über den Verzicht auf ein Jelinek-Stück nur Freundlichkeiten zu hören. Im Übrigen beschränkte er sich darauf, die passenden Stichworte in den Raum zu stellen, auf dass sich einer der Herren dieser annähme, und – für einen Radiomann erstaunlich – mit dem Mikrofon zu kämpfen. Aber im Sender sind die wohl alle angeschraubt, und auch ein Kritiker hat nur zwei Hände.
So launig, wie es hier klingt, waren die anderthalb Stunden nicht, und das war gut so. In den letzten Monaten passierte nicht viel Spaßiges vor der Tür. Dass das Theater darauf reagiert, war nicht überraschend, gespannt konnte man auf die Mittel sein, mit denen das geschehen wird.
Traditionell gibt es kein Spielzeitmotto in Dresden, aber doch imaginäre Überschriften. In der für die künftige Spielzeit kommen die „Werte“ an maßgebender Stelle vor, auch „verhandelt“ und „befragt“ wird häufig werden. Nicht zuletzt wird auch der Abschied eine Rolle spielen, ohne das jetzt alles in einen Satz pressen zu wollen. Allgemein gäbe es ein großes Bedürfnis im Haus, über Aktuelles zu sprechen, die Beschäftigung mit der Gesellschaft steht wieder im Mittelpunkt, „wie wollen wir leben“ wird oft gefragt werden.
Die gewöhnlich richtungsweisende Saisoneröffnung wird „Maß für Maß“ von Shakespeare sein, ein wenig bekanntes Stück, in dem es um Werte und deren Verhandelbarkeit geht. Tilmann Köhler wird sich in seiner letzten Saison als Hausregisseur (das Adjektiv „letzte“ war das meistgebrauchte an diesem Vormittag) diesem Stoff annehmen.
Damit beginnt auch eine Serie der Gerichtskulissen, ein halbes Dutzend Stücke wird in der nächsten Saison diesen Hintergrund haben. Prominentester Vertreter ist dabei sicher „Terror“ von Ferdinand von Schirach, ein laut Koall „Lehrstück in Meinungsbildung“, das in der nächsten Saison bundesweit häufig inszeniert wird und in Dresden von Burghart Klaußner nicht nur auf die Bühne gebracht, sondern auch in maßgeblicher Rolle gespielt wird. (Von dem anekdotisch erzählten Ansatz, diese Inszenierung im sächsischen Landtag aufzuführen, ist man gottlob wieder abgekommen.)
An weiteren prominenten Namen mangelt es auch in der nächsten Saison nicht: Matthias Hartmann, der vom Burgtheaterhof Gejagte, macht den „Idioten“ von Dostojewski, begibt sich auf die Suche nach dem großen Erzähltheater und berichtet vom schwierigen Bewahren der eigenen Identität. Passt.
Volker Lösch erscheint wieder, belebt seinen Bürgerchor neu und zeigt mit diesem den Aussteiger „Graf Öderland“ von Max Frisch. Er darf sogar den Titel um „Wir sind das Volk“ ergänzen, was zu Dankesworten an den Suhrkamp-Verlag und die Erben führte, die sich offenbar anders als die Brecht-Hintersassen ihrer geistigen Erbschaftssteuer nicht verweigern.
Nicht zuletzt wird Roger Vontobel erneut in Dresden inszenieren, diesmal eine Uraufführung von Martin Heckmanns, „Die Zuschauer“. Um ebenjene soll es gehen, die sich dann von der Bühne aus selbst im Parkett betrachten sollen, in atmosphärischen Szenen mit Sprachfetzen aus dem Foyer, wie Schulz verriet. Das wird eng, nicht nur mit den Karten dafür.
Der Wagner-erprobte Sebastian Baumgarten stellt sich den „Nibelungen“ von Friedrich Hebbel und wirft mit diesem urdeutschen Stoff einen Blick auf die Gegenwart, fragt nach, wie Hass entsteht und eine Gesellschaft zerfällt. Auch wegen seiner mehrfach nachgewiesenen Medienkompetenz darf man sich auf diese Umsetzung freuen.
Ebenfalls – wenn auch andere – Vorfreude erzeugte die Ankündigung des Schwankes „Raub der Sabinerinnen“, nicht nur beim Kritiker Krug. Das Stück sei der Albtraum des Intendanten, weil man das mit Leichtigkeit vor die Wand fahren könne, bekannte Wilfried Schulz. Aber bei der Regisseurin Susanne Lietzow wird das sicher nicht passieren.
Wolfgang Engel hält auch in der kommenden Saison mit einer Inszenierung den Kontakt zum Haus, das er dann interimsweise gemeinsam mit dem KBB-Chef Jürgen Reitzler für eine Spielzeit übernehmen wird. Es gibt – nicht unerwartet – den „Nathan“ im (gar nicht so) Kleinen Haus, eine Abhandlung über Toleranz soll es werden.
Ebenfalls im KH wird gezeigt, was die montags gern prophezeite Islamisierung des Abendlandes bedeuten würde: Michel Houellebecq hat im letzten Jahr mit „Unterwerfung“ eine Satire geschrieben, die für die Bühne freigegeben ist und – trotz anfänglicher Bedenken des französischen Verlags – auch in Dresden gezeigt werden darf.
An diesem Beispiel machte Schulz die „gnadenlose Naivität“ der Dresdner Politik deutlich, der immer noch nicht bewusst wäre, welche Außenwirkung die hiesigen rechtspopulistischen Aufmärsche hätten. Dort glaube man, mit Aussitzen und Verdrängen und dem Verweis auf das Hochkulturetikett die Stadt schon schadfrei zu halten, auch im Diskussionsprozess zur Bewerbung um den Kulturhauptstadttitel. „Wir haben ein Problem“ müsse – wenn überhaupt – die Botschaft lauten (nicht „Mirsinmir“, meint Teichelmauke. Diese Idee kann man ohnehin inzwischen leider nur noch als putzig bezeichnen).
Auch das aktuelle Griechenland-Bashing weitester Teile von Politik und Medien bekam die verdiente Zuschreibung „widerlich“, es lasse sich eigentlich nur mit Kulturlosigkeit begründen. Diese klaren Ansagen von Schulz (und Koall) zur aktuellen Situation werden uns fehlen, die beiden lassen da sehr große Stiefel stehen.
Drei Bürgerbühnen-Projekte wurden noch besonders hervorgehoben: Zum einen (auch hier „zum letzten Mal“) mit „Herr der Fliegen“ ein großes Jugendprojekt, zum anderen mit „Morgenland“ ein Einblick in die andere Welt, die der Weltsprache Arabisch, mit Dresdnern, die diese als Mutter- oder Zweitsprache sprechen.
Einigen Raum nahm noch das geplante Dynamo-Stück ein, welches nun nicht „Leben, lieben, leiden“ heißen wird, weil der Slogan der inzwischen verbotenen Schlägertruppe „Faust des Ostens“ zugerechnet wird. Nicht nur Robert Koall fand aber, dass man sich solche Theatersätze nicht von irgendwelchen Deppen nehmen lassen sollte.
Und vieles konnte nur angerissen werden, wie das „Kohlhaas“-Projekt des Schauspielstudios mit Fabian Gerhardt als Regisseur oder die geplante Passantenbeschimpfung von Christian Lollike in der Dresdner Innenstadt, der zudem noch mit der Uraufführung „Die lebenden Toten“ einen Beitrag zur Flüchtlingsdebatte liefern wird.
Eine Neuigkeit gab es aber noch zu hören: Statt des „Felix Krull“ wird es im Dezember die „Drei Männer im Schnee“ von Erich Kästner geben, ein Abschiedsgeschenk der Intendanz an das Publikum. Ich soll es aber noch nicht verraten.
„Und das Schiff legt ab“ …, so heißt im italienischen Original die letzte Premiere im Schauspielhaus, nach dem Film von Federico Fellini, etwas unglücklich auf „Das Schiff der Träume“ eingedeutscht. Mit dieser Arche würde er dann am liebsten auch in Düsseldorf ankommen, bekannte Schulz.
Hoppla. Was assoziiert man bei Arche? „Nach mir die Sintflut“?
So war das bestimmt nicht gemeint. Herr Schulz hängt schon an dem, was er hier mit Robert Koall, aber auch mit vielen Anderen aufgebaut hat. Völlig zu recht.
Die Farbe der Elbe
„Alles im Fluss“, ein Projekt über die Elbe und den Wandel der Zeit von Uli Jäckle, Produktion der Bürgerbühne am Staatsschauspiel Dresden, Uraufführung am 23. April 2015, gesehen am 9. Mai 2015
…
Mit „normalen“ Theatermaßstäben sind Bürgerbühnen-Stücke kaum zu messen, das trifft diesmal ganz besonders zu. Es war eher eine große Performance von knapp fünfzig Laien unter professioneller Anleitung, mal weniger, meist aber mehr gelungen. Wenn man sich darauf einlässt, macht der Abend Spaß, und man geht erfrischt und beschwingt nach Hause.
http://www.livekritik.de/kultura-extra/theater/spezial/urauffuehrung_ulijaeckle_allesimfluss.php
Soldaten sind Bürger
„Soldaten“, Ein Dokumentartheater von Clemens Bechtel, Produktion der Bürgerbühne am Staatsschauspiel Dresden, Uraufführung am 28. März 2015
Nein, ich will hier nicht Kurt Tucholsky widerlegen.
Der wird damals triftige Gründe gehabt haben für seinen berühmten Satz, und die meisten davon dürften auch heute noch vorhanden sein. Zudem sind Tucholskys Schuhe derart groß, dass ich da bequem drin schlafen könnte, mehr als ein ungenaues Zitieren ist also nicht drin.
Aber darum geht es nicht.
Dieser Bericht handelt von einem weiteren Stück der Bürgerbühne, das sich in dokumentarischer Art mit Randgruppen auseinandersetzt: Nach Demenzkranken und deren Angehörigen, nach Stasi-Opfern und deren Akten und nach Liebenden sowie Midlife-Kreisenden und deren Problemchen ist nun der Berufsstand des Soldaten dran.
Am Ende war das für mich „bedingt aussagefähig“, um einen anderen berühmten Halbsatz zu verballhornen.
…
http://www.livekritik.de/kultura-extra/theater/spezial/urauffuehrung_clemensbechtel_soldaten_buergerbuehne.php
Die verpasste Chance
„Katzelmacher“ von Rainer Werner Fassbinder, Regie Robert Lehniger, Produktion der Bürgerbühne am Staatsschauspiel Dresden, gesehen am 2. März 2015
Eigentlich, liebes Staatsschauspiel, war das eine großartige Idee, Fassbinders Fast-Erstlingsfilm, der mit so wenig Geld auskommen musste, dass sich nicht mal eine Beleuchtung für Nachtszenen bezahlen ließ und der vielleicht auch wegen des Zwangs zur Bescheidung in seiner lakonischen Trostlosigkeit so überragend ausfiel, 45 Jahre später als Mischwerk aus Film und Theater auf die Bühne zu bringen.
Und eigentlich war auch der Ansatz, sich strengstens an die filmische Vorlage zu halten, sehr nachvollziehbar. Gut, des (Versuchs eines) Münchner Dialekts für die Darsteller hätte es nicht gebraucht, aber sonst? Die besten Voraussetzungen für eine grandiose Inszenierung waren zweifellos gegeben.
Mischpoke ist kein Schimpfwort
„Mischpoke“ , eine jüdische Chronik von damals bis heute, Regie David Benjamin Brückel, Texte Dagrun Hintze, Uraufführung der Bürgerbühne am Staatsschauspiel Dresden am 28. Februar 2015
Die müssen sich wirklich nicht wundern.
Wenn man so perfekt sämtliche Vorurteile und Zuschreibungen, die über die Juden existieren, daherbeten kann und das auch noch mit offenkundiger Freude tut … Da können die doch froh sein, dass sich der besorgte Bürger im Moment andere Gruppen sucht, die dran schuld sind.
Aber der Judenhass hat nicht nur hierzulande Tradition, und Bräuche werden nicht nur im Judentum gepflegt. „Ich habe ja nichts gegen Juden, aber …“ die Sprachschablonen sind wiederverwendbar.
Und dann schlagen die uns auch noch Zahlen-Daten-Fakten um die Ohren, dass es nur so knallt. Soso, es gibt also nicht „die“ Juden, sondern viele viele verschiedene, die sich nur darin einig sind, dass sie sich nie einigen können. Trotzdem sind die alle gleich. Als ob Fakten jemals etwas bewiesen hätten.
Besonders perfide ist es, das alles mit soviel Selbstironie und Witz vorzutragen. Das ist ja auch nur eine besonders raffinierte Form der moralischen Erpressung. Dass die noch lachen können, sogar über sich selbst … Die haben gefälligst die Shoa zu betrauern oder sich für Israel zu schämen. Am besten beides zugleich.
Wenn man wie ich auf dem geistigen Schoß von Yassir Arafat aufgewachsen ist und das Palästinensertuch zur pubertären Grundausstattung gehörte, weiß man von Hause aus nicht viel über die älteste der abrahamitischen Religionen. Bis heute ist auch im Dresdner Alltag wenig davon wahrzunehmen (was nicht vor der Sündenbock-Rolle schützen muss), die Synagoge steht zwar mittendrin, ist aber – von den einschlägigen Gedenktagen und der Jüdischen Kulturwoche abgesehen – nicht wirklich dabei. Ein guter Grund für die Bürgerbühne also, sich der Mischpoke anzunehmen.
(Bevor jemand den Korrektenrat anruft: Mischpoke steht im Hebräischen schlicht für „Familie“, der abwertende Unterton kam erst mit der Übernahme in die deutsche Umgangssprache hinzu.)
Es ist immer wieder erstaunlich, wie es der Bürgerbühne gelingt, mit ihren Akteuren ein derart breites Spektrum eines Themas abzudecken. Dabei zählt die jüdische Gemeinde in Dresden nur gut 700 Mitglieder, fast alle sind Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, die Hälfte davon ist im Rentenalter. Trotzdem: Vom israelischen Kriegsdienstverweigerer (was dort bei weitem nicht so smoothie ist wie vor deutschen Musterungskommissionen) über einen jungen deutschen Konvertiten und Zuwanderinnen aus Russland, die vor allem für die Zukunft ihrer Kinder nach Deutschland kamen, bis hin zur Tochter des Kommunisten und Schriftstellers Max Zimmering spannt sich der Bogen der zehn Menschen, „Durchschnitt“ ist keiner von denen. Aber zusammen geben sie ein faszinierendes Bild von dem, was heute Judentum ausmacht.
Zum Glück ist das Gezeigte alles andere als Belehrungstheater, auch wenn man am Ende deutlich klüger hinausgeht. Zehn Biographien, wie sie unterschiedlicher nicht sein können, breiten sich aus, werden überblendet, man ist sich durchaus nicht immer einig auf der Bühne (eigentlich eher selten), aber darüber dann schon. Neben dokumentarischen Erzählungen der Protagonisten gibt es zahlreiche Spielszenen, die meist mehr oder auch mal weniger gut gelingen. Am berührendsten für mich war die Darstellung der Musterung von Ehud Roffe im Zusammenspiel mit Faina Lyubarskaja und Katja Schindler, aber auch die Bühnenpräsenz von Thomas Feske und dem zwölfjährigen Joshua Lautenschläger beeindruckten, nicht minder die Auftritte der Mütter Nichame Eselevskaya und Nataliya Berinberg.
Klar wird, dass die angeborene oder empfundene Zugehörigkeit zum jüdischen Glauben Identität stiftet, auch wenn die Ausländerbehörde keine jüdische Nationalität kennt. Wie man damit umgeht, entscheidet jede und jeder für sich selbst anhand der eigenen Erfahrungen. Und Israel ist für niemanden das „gelobte Land“, auch wenn die Haltungen zur Politik dieses Staates sehr unterschiedlich sind (wie übrigens bei den anderen Deutschen auch).
Die fast schon traurige Pointe: Juden sind wegen ihrer jahrtausendelangen Wanderungsgeschichte und den immer wieder nötigen Anpassungen der Prototyp des modernen Menschen, Kosmopoliten wider Willen, immer in mindestens zweien und damit zwischen allen Welten, mobil, heimatlos und frei, eine Avantgarde umständehalber. Dass das bloß nicht wieder jemandem Angst macht …
David Benjamin Brückel und Dagrun Hintze ist in ihrer jeweils zweiten Arbeit für die Bürgerbühne das Kunststück gelungen, ein äußerst komplexes Thema auf einen lehrreichen und dennoch unterhaltsamen Abend zu komprimieren. Unterstützt wurden sie dabei bestens von einer sehr raffinierten Aufklapp-Bühne (Jeremias Böttcher) und unaufdringlich-stimmiger Musik (Vivan und Ketan Bhatti).
Das Stück kommt (wenn auch ungeplant) zur rechten Zeit, um Herrn Netanjahus Aufruf zur Auswanderung etwas entgegenzusetzen. Nein, alle die hier sind sollen bleiben, egal welcher Religion sie sich zugehörig fühlen. Mehr als Mensch ist man sowieso nirgendwo. Dass sich auch niemand weniger fühlt, ist Aufgabe unserer Gesellschaft.
Tafelrunde – Next Generation
Tafelrunde – Next Generation
„Merlin oder Das wüste Land“ von Tankred Dorst, eine Produktion der Bürgerbühne des Staatsschauspiels Dresden mit Dresdner Jugendlichen, Regie Kristo Šagor, Premiere am 27. September 2014
Hier der Bericht:
http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/premierenkritik_merlin_buergerbuehnedresden.php
Kleingießhübel – Eine Reiseempfehlung
Am Ende der Lindenstraße beginnt die Wildnis, wo das Krümelmonster haust und Glückspilze massakriert werden. Die Wildnis nennt man auch Kleingießhübel, Stadt der Friseure mit der Spezialisierung auf Pechsträhnen. …
„Wildnis“, ein Landschaftstheater mit Bewohnern der Sächsischen Schweiz
Kooperation der Gemeinde Reinhardtsdorf-Schöna, der Bürgerbühne des Staatsschauspiels Dresden und Theater ASPIK
Den großen Spaß, dieses Spektakel anzuschauen, hat man leider nur noch am nächsten Wochenende: Am 13. und 14. September jeweils um 15 Uhr vor Ort in Reinhardtsdorf-Schöna, Sporthalle. Der Shuttle-Bus fährt jeweils 13.30 Uhr vom Staatsschauspiel Dresden.
Dies ist auf absehbare Zeit die letzte Gelegenheit, ein Landschaftstheater in dieser Gegend zu erleben. Es wird dringend zugeraten.
Theater von unten – Zwischenrufe aus dem dunklen Parkett
Eine Sammlung subjektiver Schauspielberichte aus Dresden seit der Spielzeit 2011
Anstelle einer Inhaltsbeschreibung zwei Vorworte:
1. Fiktives Vorwort einer imaginären Fachkraft
Was soll das denn?
Nicht nur, dass sich diese Teichelmauke erdreistet, im Revier der hehren Theaterkritik zu wildern (als eine Art IKEA im gediegenen Möbelmarkt), nun fasst er diese Ärgernisse auch noch digital zusammen und wirft sie in die Welt. Das will doch keiner lesen!
Und wenn doch, entspringt dieser Wille nur mangelnder Ernsthaftigkeit im Umgang mit dem hehren Medium Theater, zu dem man sich nur (!) eine Meinung bilden kann, wenn man zumindest Geisteswissenschaften studiert hat und jedes Stück aus dem Schauspielführer schon mindestens dreimal sah, davon einmal durch die Herren Reinhardt, Peymann, Stein, Konwitschny, Thalheimer, Petras, Kriegenburg, Pollesch oder den vielen Hartmännern inszeniert. Erst dann kann man mitreden.
Diese Teichelmauke (Schon der Name! Albern!) kann dies nicht aufweisen. Er stammt „aus der „Mitte des Parketts“, wie er selber theatervolkstümelnd schreibt. Was soll denn das bringen?
Natürlich spielt das Publikum am Theater eine Rolle. Aber doch keine aktive! Dessen Aufgabe ist es, andächtig zu lauschen und zu schauen, möglichst wenig zu husten und am Ende mit stürmischem Beifall das Stück abzurunden. Auch Bravo-Rufe sind erlaubt, sofern der zuständige Kritiker der Inszenierung seinen Segen gegeben hat. So war es immer, und so soll es bleiben.
Und nun kommt einer daher, der zugegebenermaßen oft im Theater zu finden ist (aber Masse erzeugt noch lange keine Klasse, mein Freund!) und schreibt auf, was er erlebte. Clevererweise nennt er das weder Rezension noch Kritik, trotzdem ist das reine Produktpiraterie. Die Chinesen sind nun also auch im Theater angekommen.
Aber man kann es ja nicht verhindern. Heute kann jeder veröffentlichen, was er will. Und wenn nun auch auf über hundert Seiten über fünfzig Stücke „besprochen“ werden, es wird den Lauf der Theatergeschichte nicht verändern.
2. Vorwort der Teichelmauke
Ja, sicher. Soll es auch nicht. Na und?
Der Ansatz ist auch eher selbstbezogen.
Wenn man – mit steigender Intensität – seit fünfzehn Jahren immer wieder ins Theater geht, kommt irgendwann der Moment, wo man trotz des sich selbst eingestandenen Dilettantismus glaubt, ein bisschen mitreden zu können. Und wenn es dann noch so eine großartige Initialzündung wie den Dresdner „Don Carlos“ gibt, die einen dazu bringt, seine tiefen Eindrücke irgendwie zu Datei zu bringen, kann das durchaus dazu führen, dass man dieses Hobby weiter pflegt, auf verschiedenen Plattformen seine Betrachtungen unters interessierte Volk bringt und sich fürderhin als „Bürgerrezensent“ begreift.
Wenn es eine Bürgerbühne gibt, die Laien zum Spielen bringt, kann es auch so weit kommen, dass Laien über das Theater schreiben. Es ist mit allem zu rechnen, seitdem die Chefredakteure nicht mehr die alleinige Hoheit über das haben, was veröffentlicht wird.
Meine Texte sind Beiträge, nicht mehr. Ich füge meine Meinung den Bewertungen der „offiziellen“ Kritiker hinzu, wenn auch mit geringerer Reichweite. Aber das ist ok, es geht ja nicht um Bekehrung oder um Deutungshoheit. Eigentlich …, eigentlich mach ich das nur für mich. Aber ich lasse andere, die es vielleicht interessiert, daran teilhaben.
Was allerdings vielleicht ein Alleinstellungsmerkmal darstellt, sind meine Bestandskritiken. Wer schreibt schon über Repertoirestücke? Eigentlich aus der Not geboren – ich kann nun mal nicht bei jeder Premiere dabei sein – hat sich dies zu einem netten Hobby entwickelt.
Und nun gibt es halt gesammelte Werke. Der erste Akt ist dem Staatsschauspiel Dresden gewidmet, dessen Hervorbringungen meine theatrale Hauptspeise in den letzten Jahren war. Ein geplanter zweiter Akt soll dann die Gastspiele beleuchten, und das reizvolle weite Umland von Dresden.
Und: Man sollte das alles nicht so hoch hängen. Kunst soll Spaß machen. Und das Schreiben darüber auch.
Ich zumindest hatte den, und das wünsche ich den geneigten Lesern auch.
Hier zu finden:
https://www.xinxii.com/theater-von-unten-p-353248.html