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Ins Fäustchen gedacht

„Faust I + II“ von oder besser nach J.W. v. Goethe; Regie Enrico Lübbe, Schauspiel Leipzig, gesehen am 5. Oktober 2018 (zweite Vorstellung)

Mal wieder Faust im Ganzen, den Rezipienten freut es. In vier Teilen wurde das sog. National-Poem in Leipzig geboten, und so soll auch berichtet werden.

 

Teil 1: Requiem für Gretchen

Wer vieles bringt, hat noch lange kein Konzept. Der Teil 1, der Lübbes Variante von Faust I in knapp zwei Stunden auf die Bühne brachte, war herzlich schlecht insgesamt, auch wenn es natürlich auch Sehenswertes gab. Aber das wog die als modern kostümierte Biederkeit nicht auf. Nicht jeder Blödsinn ist auch Dadaismus, ein Marionettentheater mit Menschen ist auf Dauer langweilig, und hat der Rasche nicht ein Theater-Patent auf die Drehscheibe? Vieles sah dann doch sehr nach dem Basler „Woyzeck“ aus.

Ein 28-köpfiger Chor war dabei im Einsatz: Anfangs ganz großartig, mit einer mitreißenden Ver- bzw. Zertonung der bekannten Verse, beim zweiten Auftritt grad noch artig und in der Folge vor allem nervig. Ein Chor ist nun mal keine Schauspielbrigade, jedenfalls nicht von selbst. Daß Stiefelgetrappel gegen Chorgesang akustisch obsiegt, sollte zudem am Theater bekannt sein. Schade um die verschenkten Möglichkeiten, die man am Ende des Abends im Faust II dann kurz aufblitzen sah.

Die Spielfassung des Faust I wirkte letztlich, als wäre sie im Stadium der Improvisation zu Probenbeginn steckengeblieben. Visuell spektakulär, insbesondere in der Auftrennung des Heinrich Faust in seine diversen Persönlichkeiten, die den Mephisto ersetzen sollten, der doch tatsächlich (hörthört, Theaterwelt!) hier gestrichen war – klar, man kann Suppe auch ohne Salz kochen, es ist nur keine gute Idee -, aber in der Textauswahl willkürlich, ohne Figurenentwicklung und ohne dramaturgischen Einfall. So hat es selbst die noch recht gute Julia Preuß schwer, am Ende des ersten Teils einigermaßen glaubhaft einen großen Gretchen-Monolog zu geben, nachdem sie zuvor wahlweise rumstehen oder im Kreis latschen musste mit vielen anderen Margarethen.

Kein Konzept, nirgends. Fast schon war dies ein Best Of der belanglosesten Szenen aus dem Faust, und diese wurden dann auch noch schlecht umgesetzt. Faust ist hier vor allem müde, mürrisch und schlecht gelaunt, übt sich am Ende (als er seinen Gretchen-Missbrauch begreift, wie wir aus dem Originaltext wissen) im Schattenboxen gegen seinen alten Ego im Viererpack und wirkt dabei wie ein Luftgitarrist bei der Metal-Runde in der Dorfdisko. Wenzel Banneyer beim Spielen zuzusehen, ist leider kein Vergnügen, tut mir leid.

 

Teil 2: Kaschperletheater

Nach der unnötig langen Pause folgt im Saal ein Intermezzo mit Puppenspiel. In Auerbachs Keller gleich nebenan feiert sowas sicher Erfolge und stößt auf Begeisterung bei den Touristen, aber an einem Stadttheater der oberen Liga hab ich so etwas Dämliches schon lange nicht mehr gesehen. Zum Inhalt schweigt des Sängers Höflichkeit.

Nur ein hübsch gemachtes Filmchen über die Herren Goethe auf den eigenen Spuren will ich erwähnen. Doch was ist ein Einbruch in eine Bibliothek gegen die Gründung einer solchen? Man hätte es beim Film bewenden lassen können.

Und am Ende gibt es Wein für das Publikum, aber der reicht nicht für alle. Irgendwie passt das.

 

Teil 3: Ins Freie!

Drei Touren hat man nunmehr angesetzt, „Die Umsiedler“ am Völkerschlachtdenkmal, „Schöpfungsträume“ im Institut für Anatomie der Universität Leipzig und „Die Erfindung des Reichtums“ quer durch das Zentrum zur Alten Handelsbörse. Nur von letzterem kann ich berichten, und tue das mit Respekt, auch wenn mir der Titel unpassend scheint für den präsentierten Inhalt. Mit aufwändiger Logistik, Audio-Guide und zahlreichen Lotsen wird man über Geldgeschichte und -philosophie belehrt, das ist meist interessant und nur manchmal arg simpel. Durch den Festsaal des Alten Rathauses geht es in die Alte Handelsbörse, wo eine Pfarrerin (weil per Definition in allen Dingen zuständig) und ein Geschichtsprofessor über den Besitz und dessen Abbildung im Leben (z.B. als Papiergeld) plaudern. Das plätschert dahin, auf dem Rückweg zum Theater gibt es noch Klangkunst auf die Kopfhörer, man wird durch die Mädler-Passage gelotst und darf des Dr. Jürgen Schneider gedenken, der Abend ist wunderbar mild, die Straßen sind voller geputzter Menschen … fast ist man versöhnt mit dem Ganzen. Das willkürliche Auseinanderreißen von Sitz-Gruppen durch uneinheitliche Investments mit dem „Pudel-Geld“ verdirbt einem aber gleich wieder die freundlichen Gedanken.

 

Teil 4: Es muss ein Ende haben

Damit sich alle auch wieder finden, hat man noch eine dreiviertel Stunde Faust II im Großen Haus angesetzt. Nun ja, von allem Theatralen war das noch das Gelungenste, trotz der zur Unverständlichkeit gekürzten Fassung mit erschwerender Beigabe von anderen Texten aus dem Faust II, die parallel auf der die schon bekannte Drehscheibe überdeckenden Fläche eingeblendet wurden, gänzlich ohne Beziehung zum Geschehen. Zu erkennen waren die allerdings nur aus den ersten Reihen – somit schadeten sie zumindest nicht.

Das versammelte Schauspielstudio durfte sich im abwechselnden Deklamieren von Textbruchteilen an der Rampe üben (eine Fähigkeit, die sie später hoffentlich selten brauchen werden), die Scheibe wirkte mitunter wie eine Weihnachtspyramide mit reichlich Engelei, auf ihr wurden unablässig Stühle gerückt und irgendwie dabei die Szene mit Philemon und Baucis gegeben. Dramatische Musik hatte es auch, und die Glocken läuteten deutlich zu oft.

Dann nochmal zurück auf Anfang des Faust I, aber zum Glück nur als Zitat, der Wackere darf nun versterben, und wo kein Mephisto, kann auch keiner um seinen Lohn betrogen werden. Es wird schön gesungen am Ende, aber auch dies reicht nur für einen mittelprächtigen, erleichterten Beifall, es geht auf Mitternacht.

 

Tja, und nun, das Urteil?

Als gefühlt 75te Inszenierung des Faust im Ganzen in den letzten Jahren: krachend gescheitert.

Als Event-Theater: Kann man machen. Nur sollten Aufwand und Ertrag mehr miteinander zu tun haben.

Doch das Leipziger Schauspiel bleibt ein Gesamtkunstwerk aus Theater, Ambiente, Gastro, Umgebung und Stadt, daran ändert auch ein solcher Abend nichts.

Theater von unten – Zwischenrufe aus dem dunklen Parkett

Eine Sammlung subjektiver Schauspielberichte aus Dresden seit der Spielzeit 2011

Anstelle einer Inhaltsbeschreibung zwei Vorworte:

1. Fiktives Vorwort einer imaginären Fachkraft

Was soll das denn?
Nicht nur, dass sich diese Teichelmauke erdreistet, im Revier der hehren Theaterkritik zu wildern (als eine Art IKEA im gediegenen Möbelmarkt), nun fasst er diese Ärgernisse auch noch digital zusammen und wirft sie in die Welt. Das will doch keiner lesen!

Und wenn doch, entspringt dieser Wille nur mangelnder Ernsthaftigkeit im Umgang mit dem hehren Medium Theater, zu dem man sich nur (!) eine Meinung bilden kann, wenn man zumindest Geisteswissenschaften studiert hat und jedes Stück aus dem Schauspielführer schon mindestens dreimal sah, davon einmal durch die Herren Reinhardt, Peymann, Stein, Konwitschny, Thalheimer, Petras, Kriegenburg, Pollesch oder den vielen Hartmännern inszeniert. Erst dann kann man mitreden.

Diese Teichelmauke (Schon der Name! Albern!) kann dies nicht aufweisen. Er stammt „aus der „Mitte des Parketts“, wie er selber theatervolkstümelnd schreibt. Was soll denn das bringen?
Natürlich spielt das Publikum am Theater eine Rolle. Aber doch keine aktive! Dessen Aufgabe ist es, andächtig zu lauschen und zu schauen, möglichst wenig zu husten und am Ende mit stürmischem Beifall das Stück abzurunden. Auch Bravo-Rufe sind erlaubt, sofern der zuständige Kritiker der Inszenierung seinen Segen gegeben hat. So war es immer, und so soll es bleiben.

Und nun kommt einer daher, der zugegebenermaßen oft im Theater zu finden ist (aber Masse erzeugt noch lange keine Klasse, mein Freund!) und schreibt auf, was er erlebte. Clevererweise nennt er das weder Rezension noch Kritik, trotzdem ist das reine Produktpiraterie. Die Chinesen sind nun also auch im Theater angekommen.

Aber man kann es ja nicht verhindern. Heute kann jeder veröffentlichen, was er will. Und wenn nun auch auf über hundert Seiten über fünfzig Stücke „besprochen“ werden, es wird den Lauf der Theatergeschichte nicht verändern.

2. Vorwort der Teichelmauke

Ja, sicher. Soll es auch nicht. Na und?
Der Ansatz ist auch eher selbstbezogen.

Wenn man – mit steigender Intensität – seit fünfzehn Jahren immer wieder ins Theater geht, kommt irgendwann der Moment, wo man trotz des sich selbst eingestandenen Dilettantismus glaubt, ein bisschen mitreden zu können. Und wenn es dann noch so eine großartige Initialzündung wie den Dresdner „Don Carlos“ gibt, die einen dazu bringt, seine tiefen Eindrücke irgendwie zu Datei zu bringen, kann das durchaus dazu führen, dass man dieses Hobby weiter pflegt, auf verschiedenen Plattformen seine Betrachtungen unters interessierte Volk bringt und sich fürderhin als „Bürgerrezensent“ begreift.
Wenn es eine Bürgerbühne gibt, die Laien zum Spielen bringt, kann es auch so weit kommen, dass Laien über das Theater schreiben. Es ist mit allem zu rechnen, seitdem die Chefredakteure nicht mehr die alleinige Hoheit über das haben, was veröffentlicht wird.

Meine Texte sind Beiträge, nicht mehr. Ich füge meine Meinung den Bewertungen der „offiziellen“ Kritiker hinzu, wenn auch mit geringerer Reichweite. Aber das ist ok, es geht ja nicht um Bekehrung oder um Deutungshoheit. Eigentlich …, eigentlich mach ich das nur für mich. Aber ich lasse andere, die es vielleicht interessiert, daran teilhaben.

Was allerdings vielleicht ein Alleinstellungsmerkmal darstellt, sind meine Bestandskritiken. Wer schreibt schon über Repertoirestücke? Eigentlich aus der Not geboren – ich kann nun mal nicht bei jeder Premiere dabei sein – hat sich dies zu einem netten Hobby entwickelt.

Und nun gibt es halt gesammelte Werke. Der erste Akt ist dem Staatsschauspiel Dresden gewidmet, dessen Hervorbringungen meine theatrale Hauptspeise in den letzten Jahren war. Ein geplanter zweiter Akt soll dann die Gastspiele beleuchten, und das reizvolle weite Umland von Dresden.

Und: Man sollte das alles nicht so hoch hängen. Kunst soll Spaß machen. Und das Schreiben darüber auch.
Ich zumindest hatte den, und das wünsche ich den geneigten Lesern auch.

Hier zu finden:
https://www.xinxii.com/theater-von-unten-p-353248.html