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Puppen weinen doch

„Madama Butterfly“ von Giacomo Puccini, musikalische Leitung Anthony Bramall, Inszenierung Aron Stiehl, Premiere an der Oper Leipzig am 14. März 2015

Puccini bediente mit seiner Oper das Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa erwachte Interesse für Japan, wählte aber ein für dieses Genre schwieriges Thema, die käufliche oder besser mietbare Liebe unter de facto kolonialistischen Verhältnissen. Fortsetzen lässt sich das Sujet bis hin zum Sextourismus der heutigen Tage, was das wiederum erstklassige Programmheft auch tut. Trotz des schweren Stoffes ist die Oper pures Sopranistinnen- und Tenorfutter, neben der bereits beschwärmten Karah Son nutzt auch Gaston Rivero die Gelegenheit sich auszuzeichnen. Die weiteren Hauptpartien sind mit Susanne Gritschneder als Suzuki und Mathias Hausmann als Konsul ebenso hervorragend besetzt, …

http://www.kultura-extra.de/musik/spezial/premierenkritik_madamebutterfly_operleipzig.php

Warte auf mich auf dem Grund des Swimmingpools

Warte auf mich auf dem Grund des Swimmingpools

„The Rake’s Progress”, Oper von Igor Strawinsky, in der Inszenierung von Damiano Michieletto und unter musikalischer Leitung von Anthony Bramall, Premiere am 5. April 2014 an der Oper Leipzig (Koproduktion mit dem Teatro La Fenice, Venezia)

Der Link führt zum Bericht auf KULTURA-EXTRA.

Furie im Schlachthaus

„Elektra“, tragische Oper von Richard Strauss, in einer Inszenierung von Barbara Frey und unter musikalischer Leitung von Christian Thielemann gesehen und gehört an der Semperoper Dresden am 31. Januar 2014

Mit Iphigenie hat alles angefangen.
Auch wenn der Name an diesem Abend nicht fällt und sich das Libretto von Hugo von Hofmannsthal konsequent dieser Tatsache verweigert, „Elektra“ und die Orestie allgemein sind nicht begreifbar ohne den Beginn des Trojanischen Krieges.

Agamemnon, dessen Totenkult die Tochter Elektra bis zur Selbstaufgabe betreibt und für dessen Ermordung sie ihre Mutter Klytämnestra bestraft sehen will, hatte damals für günstigen Wind ihre ältere Schwester Iphigenie geopfert und seine Frau als de facto Alleinerziehende zurückgelassen für mehr als zehn Jahre. Als er schließlich siegreich aus dem Felde zurückkehrt (übrigens mit der Trojerin Kassandra als Beute), muss er dies büßen und findet mit Hilfe des Strohwitwentrösters Aegisth ein blutiges Ende im eigenen Badezimmer. Der Stammhalter Orest wird daraufhin abgeschoben aufs Land, die Töchter Elektra und Chrysothemis verbleiben am Hofe, der nun unter neuer Leitung steht.
Aus solchem Stoff werden Psychothriller gemacht.

Straussens (und Hofmannthals) „Elektra“ steigt ein geschätztes Jahrzehnt später mit der Handlung ein. Die Schwestern werden wie Gefangene gehalten, doch während Chrysothemis sich den Willen zum Leben und zum Glück bewahrt hat, gefällt sich Elektra, die ihren geschlachteten Vater abgöttisch verehrt und sich als Vergeltungsgöttin inszeniert, in der Märtyrerinnenrolle. Keine leidet schöner als sie, aber ihre Wahrheit ist genauso relativ wie die Gerechtigkeit, Rache ist Blutlust.
Der verschollene Bruder Orest soll es richten, später, als die (fingierte) Kunde von seinem Tode kommt, will sie auch selbst zum Beil greifen. Aber Orest lebt, was man kurze Zeit später von seiner Mutter und deren Geliebtem nicht mehr sagen kann. Zuvor noch eine ergreifende Wiedererkennung zwischen Brüderlein und Schwesterlein.

Die Gewaltspirale hat sich am Ende ein Stück weitergedreht, was Elektra – ihrer selbstgesetzten Aufgabe entledigt – zusammenbrechen lässt.
Das Haus Agamemnon steht nun wieder unter neuer Leitung.

(Dass Orest wenig Freude an seiner neuen Würde haben wird, weiß man, doch die Oper endet an dieser Stelle.)

Man sollte es sich dennoch nicht zu leicht machen mit der Beurteilung des Stoffes. Dem Werk Verherrlichung von Gewalt und Rache zu unterstellen, greift zu kurz, dafür werden – trotz der scheinbar eindeutigen Parteinahme von Komponist und Librettist – die Charaktere und deren Gefangenheit in einem mörderischen Schicksal zu gut ausgeleuchtet. Vor allem die Dialoge zwischen den Schwestern und zwischen Mutter Klytämnestra und Tochter Elektra sind von großer psychologischer Tiefe.

Dennoch, ein Geschmäckle bleibt, wenn man diesen vor fast genau 105 Jahren an selber Stelle uraufgeführten Stoff aus heutiger Sicht betrachtet: Sicher ist es nicht üblich, mit Opern ähnlich zu verfahren wie mit Theaterstoffen, das Genre setzt da engere Grenzen. Aber denkbar wäre es für mich schon, zumindest mit theatralen Mitteln eine gewisse Distanzierung vom hier fast als „Happy End“ erscheinenden Muttermord und des Fanatismus allerorten zu erzeugen.

Gut, das ist die Meinung eines Laien. Das klassische Opernpublikum ist da sicher anderer Auffassung.

Bleiben wir bei den Fakten.
Und da gibt es – auch wenn es zur Beurteilung deutlich Berufenere gibt – von einer Staatskapelle zu berichten, die einen wunderbar stimmigen Klangteppich ausbreitete, ein Genuss vor dem Herrn (Thielemann). Eine mit Urgewalt und unglaublich schön singende Evelyn Herlitzius als Elektra ist zu erwähnen, der auch darstellerisch alles gelang. René Pape als Orest hat mich mit seinem kräftigen und klaren Bass begeistert, und Anne Schwanewilms als Chrysothemis stand sängerisch der Titelpartie in nichts nach. Alle anderen Gesangsrollen fand ich respektabel, wenn auch ohne die Glanzlichter der drei Erwähnten. Bühne und Kostüme waren unspektakulär, passend, aber ohne eigene Akzente zu setzen, fast schon etwas bieder.
Von Barbara Freys Regie blieb mir der hübsche Einfall mit dem Kinderpaar Elektra und Orest im Hintergrund in der Wiedererkennungsszene der beiden in Erinnerung, aber auch eine gewisse Statik der Handelnden in vielen Bildern. Unbedingt zu nennen ist das hervorragende Programmheft, unter anderem mit einer tiefsinnigen Stückanalyse der Regisseurin und der Dramaturgin Micaela v. Marcard, die auch eine lesenswerte geschichtliche Einordnung beisteuert.
(Ach, und meiner boulevardesken Neigung folgend: Prof. Udo Zimmermann bin ich auch wieder begegnet, wir sehen uns inzwischen so oft, dass man glauben könnte, wir wären verwandt.)

Ein viertelstündiger, jubelnder Beifall am Ende, mit ungezählten Bravo’s und zahlreichen Vorhängen. Wie man hört, war es die letzte Aufführung in dieser illustren Besetzung, ich darf mich in Summe glücklich schätzen, dabei gewesen zu sein.

Heissa Hopsasa in Salastros Tempel

„Die Zauberflöte“ von W.A. Mozart, Regie Rudolf Frey, gesehen am 13. April 2013 im Landestheater Eisenach

Die Geschichte, wie ich in diese Aufführung gelangte, wär auch was für die Oper, muss aber aus Datenschutzgründen unerzählt bleiben. Nur soviel: Sechs Stunden zuvor wähnte ich mich noch am Abend bei einem gemütvollen Konzert der Musikformation Tocotronic in Dresden. Doch es kam anders.

Strandest Du in Eisenach, Fremder, hast Du zwei Möglichkeiten. Du kannst Dich zur Wartburg hochquälen, welche 18 Uhr schließt, und Dich nachher der gutbürgerlichen Thüringer Küche widmen oder durch die erstaunlich gesichtslose Innenstadt schlendern und hoffen, dass es am Abend Kultur gibt.

Ja, gibt es. Das Theater kenne ich, ohgottohgott, von vor fast zwanzig Jahren, die „Maßnahme“ vom Brecht hab ich hier gesehen. Die Zauberflöte ist nur bedingt vergleichbar.
Doch es sei.

Das Theater hat sich kaum verändert, im Gegensatz zu mir. Vor drei Wochen war Premiere, ausverkauft und umjubelt hoffe ich, aber auch heute ist der Saal gut gefüllt.

Vorneweg: Ich habe von Oper schlicht keine Ahnung. Aber ich kann auch nicht kochen. Darf ich deshalb nicht sagen, ob es mir schmeckt?

Das Werk ist ein Klassiker: Wie üblich hält eine Humbug-Story die Arien notdürftig zusammen.
Ohne die Geschichte zu wichtig zu nehmen, sollte man doch mal anmerken, dass es sich bei den „Eingeweihten“ um eine Sekte handeln muss, die erst das Töchterlein der Königin der Nacht entführt und dann noch den männlichen Haupthelden das Hirn mit 60 Grad wäscht. Die Massenhochzeit am Ende passt dann auch ins Bild.
Insofern sind meine Sympathien eindeutig verteilt, zumal die wunderschöne Königin (Elif Aytekin) herzzerreißend singt.

Eine recht kleine Bühne, als Hotelzimmer gestaltet. Ein Paar, das sich sichtlich nichts mehr zu sagen hat,kommt an und geht gemeinsam getrennt zu Bett. Man wird eine Weile brauchen, um diesen Regieeinfall zu verstehen.
Prinz Tamino, der männliche Part dieses Idylls (Häh? Warum reist der mit Dame?) hat schwere Träume. Er wird von einer Schlange mit dicken Brüsten bedroht, was wohl Freud dazu sagen würde?
Ein Damenteam rettet ihn, aber den Dank bekommt Papageno ab, der aus dem Schrank auftaucht. Dann erscheint noch die Königin der Nacht, zeigt ein Bildchen des entführten Töchterchens und vergattert den Prinzen zur Rettung. Dazu erhält er u.a. die Zauberflöte. Der Vogelfänger wird Knappe wider Willen.
Zur Plausibilität des Librettos hatte ich mich ja schon geäußert.

Beide marschieren dann getrennt, geraten aber fast gemeinsam in Gefangenschaft und werden blitzschnell umgedreht. Die Königin ist nämlich böse, ihr faktenschaffend das Sorgerecht zu entziehen ist eigentlich eine gute Tat. Soso.
Eine echte böse Mutter zur Abwechslung also, sonst spielt sich sowas ja eher im Patchworkbereich ab.

Erfolgreich gewendet, sollen die beiden nun der Sekte beitreten. Wenn sie denn die Aufnahmeprüfungen bestehen.
Pause.

Der zweite Aufzug, der Beginn ist langweilig. Lächerliches Outfit bestraft die Helden, die Kostüme sind grausam, Tamino in knielangen Hosen und Halbschuhen, aua!
Sie haben Prüfungen zu bestehen, danach erfolgt die Frauenzuteilung durch Salastro, der offenbar einen Stock verschluckt hat.

Die Hässlichkeit des Monostatos wird mit einem Faschingskostüm illuminiert, sein BlackFace würde anderswo Diskussionen auslösen. Der Versuch der sexuellen Nötigung wird vom Hohepriester damit begründet, dass seine Seele so schwarz sei wie sein Gesicht. Auweia. Wenn das mal keine Spiegel-Story gibt.

Die Königin ist trotz einem tantchenhaftem Kostüm in ihrem letzten Auftritt großartig, ja, der mit der berühmten Arie. Heftiger Szenenapplaus.

Eine der Prüfungen ist das Schweigegebot, anderswo Omertá genannt. Das sollte für Männer doch kein Problem sein?
Es folgen Albernheiten und leider sehr dünne Knabenstimmen. Eine naheliegende Pantomime hätte Pamina viel Kummer erspart, die ist doch gestraft genug mit ihrem Kostüm in Schweinchenfarbe.

Papageno gleitet immer mehr in eine Karikatur ab, ist aber sängerisch stark. Dann folgen noch ein paar Altenwitze.

Finale. Wer bläst welche Flöte hinterm Vorhang? Nee, auf solche Ideen kommt man hier sicher nicht. Die Protagonisten kriegen sich ordnungsgemäß.

Schöne Schlusspointe, man landet wieder im Hotelzimmer vom Anfang, Pamina ist die frustrierte Ehefrau.
Leider endet es dann doch mit einem Happy End.

Das Stück wird über die Saison in einer (fast) Doppelbesetzung gegeben, ich sah die andere (zweite möchte ich nicht sagen) Mannschaft. Leider lag dem Programmheft kein tagesaktueller Besetzungszettel bei, manchmal bin ich also auf Vermutungen angewiesen.
Für mich herausragend: Neben der erwähnten Elif Aytekin Maria Rosendorfsky als Pamina (auch schauspielerisch) sowie Ernst Garstenauer als Sarastro und Francis Bouyer als Papageno, erkennbar auch der Publikumsliebling. Xu Chang als Tamino fiel leider etwas ab, auch weil man seine Sprechtexte kaum verstand.

Was bleibt? Ein insgesamt schöner Abend, kein Ersatz für Tocotronic, aber ein Trost.
Die schlechtesten Kostüme ever, aber vieles, was den Gesamteindruck über Null riss. Und nach langem Suchen eine Kneipe namens Schorschl, in der man solche Texte in Ruhe schreiben kann.