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„Hool“ nach dem Roman von Philipp Winkler, Bühnenfassung und Regie Florian Hertweck, Premiere am Staatschauspiel Dresden am 22. März 2019

Wenn man Mitleid mit dem Pack empfinden würde, für das der Begriff white trash offenkundig erfunden wurde, hätte man am Ende vielleicht schlucken müssen ob der absehbaren Trostlosigkeit des weiteren Daseins der Prügel-Knaben, egal ob nun als lebenslang Behinderter, als kreditabzahlender Reihenhaushöllenbewohner, als wertvolles Fußballvereinsmitglied oder schlicht als perspektivloser Assi. Den Knacks behalten alle, beileibe nicht nur in der Zahnleiste, und das sei ihnen von Herzen gegönnt. …

Jenseits dieser Betrachtungen … ist von einem kraftvollen, adrenalingetränkten und turbulenten Abend zu berichten, in dem sich fünf Schauspieler alle Mühe gaben, mitunter als ein Block von 50 Hools zu erscheinen, was auch öfter gelang….

Wieder mal (nach dem thematisch benachbarten „Neun Tage wach“) eine gelungene theatrale Umsetzung eines aktuellen Romans, die ihr breites Publikum finden wird.

Das ganze Spiel in voller Länge hier:

http://www.kultura-extra.de/theater/veranstaltung/premierenkritik_hool_staatsschauspielDD.php

 

Da hat er alle Zeit der Welt

Jetzt hat es also begonnen, ES, worauf die Welt seit vier Jahren gewartet hat, wenn man dem medialen Getöse der letzten Wochen glauben darf: Die FIFA Fußball-Weltmeisterschaft Brasilien 2014TM. Das „TM“ steht dabei weder für Transfermarkt noch für Transzendentale Meditation, sondern für eine unregistrierte Handelsmarke, der Vorstufe zu einem eingetragenen Warenzeichen. Diese hat zwar (zumindest in Deutschland) noch keine rechtlichen Konsequenzen – das heißt, ich könnte meinen Blog jetzt auch so nennen, ohne mit Herrn Blatter in Konflikt zu geraten – weist aber darauf hin, dass es dabei doch um etwas mehr geht als nur um Fußball.

Nein, das hier wird keine Abhandlung zu den sozialen und wirtschaftlichen Kollateralschäden dieser WM in Brasilien, keine Kampfschrift wider eines der letzten totalitären Systeme dieser Welt namens FIFA, auch keine Enthüllung zu den dubiosen Umständen der Vergabe der Austragung an Katar nebst den unmenschlichen Zuständen auf den Baustellen dort. Das alles ist schon gut recherchiert irgendwo nachzulesen, und doch wird es in den nächsten vier Wochen nur wenige interessieren. König Fußball ist an der Macht, und der teilt diese nicht mit anderen. Absolute Monarchie nennt man das wohl.

Wobei das so ja auch nicht stimmt. Einige Damen und Herren im politischen Betrieb behalten sicher kühlen Kopf und die Fäden in der Hand. Und so darf man gespannt sein, welche heiklen Vorlagen auf den Tagesordnungen diverser Parlamente in den nächsten Wochen erscheinen und welche Verordnungen im großen Schatten des Fußballs in Kraft gesetzt werden.
Immerhin, bei einem hat sich das Volk, der wahre Herrscher, schon im Vorfeld durchgesetzt: Public Viewing zählt jetzt als Sportveranstaltung, was dessen Durchführung auch nach Mitternacht erlaubt, unter deutlich gelockerten Bedingungen für den nächtlichen Lärmschutz. Man muss das nicht verdammen und sich als Spaßbremse betätigen; wenn das öffentliche Interesse daran derart groß ist, wie es scheint, ist eine Regierung klug beraten, hier eine (befristete) Sonderregelung zu schaffen. Jeder Widerstand wäre ohnehin von einer medialen Sturmfront unter Führung der BILD hinweggeblasen worden.

Überhaupt scheint die BILD einer der ersten Gewinner dieser Weltmeisterschaft zu sein. Ihre Sonderausgabe zur WM, die in einer Auflage von 42 Millionen kostenlos und unaufgefordert unter das Volk gebracht wurde, steckte auch in meinem Briefkasten. Das wird sich unter dem Strich sicher gelohnt haben, auch wenn ich leider nicht erzählen kann, was drinstand. Mein Bio-Eimer bedurfte dringend der Leerung, und das ganze große Blatt ging leider für die Entsorgung des Inhalts, der gründlichen Reinigung des Gefäßes und einer vorsorglichen Auspolsterung desselben drauf. Da ich wunschgemäß sonst nie Werbung bekomme, war ich für diese Steilvorlage zur Erhöhung der häuslichen Ordnung und Sauberkeit durchaus dankbar.

Doch es gibt noch weitere potentielle Gewinner, die gar nicht mitspielen. Mein Konsum („Konnsumm“ gesprochen, liebe West-Leser, nicht „Konsuhm“) surft auch auf dieser Welle und will mir Fähnchen und einen Autospiegel-Überzieher in den Nationalfarben verkaufen, auch Gummi-Bälle sind zu haben. Am Tschibo-Regal gibt es zudem Shorts und (ungelogen!) „Zehen-Teiler“ (vulgo als Flip-Flops bekannt) in dieser leider nicht sehr kleidsamen Farbkombination.
Nun unterläuft zwar auch mir gelegentlich ein Spontankauf, doch in diesem Falle wog ich den Nutzen der Erwerbung vorher ab: Es würde die deutsche Sache wohl kaum voranbringen, wenn ich mir fortan ein Fähnlein irgendwohin binden würde, und um die Nationalflagge unter den Füßen zu haben und mit jedem Schritt buchstäblich draufzutreten, hab ich zu viel Respekt vor staatlichen Symbolen.

Ohnehin glaube ich – und da müssen wir alle jetzt sehr tapfer sein – dass das ganze Fahnenschwenken und die tollen Sprechchöre vor der deutschen Großleinwand im fernen Brasilien gar nicht zu sehen resp. zu hören sind. Schweini und wie die alle heißen werden das gar nicht mitbekommen, wenn sich das deutsche Fanvolk am Brandenburger Tor, auf den Elbwiesen und anderswo zur La Ola erhebt. Doch sie werden sicher professionell genug sein, auch ohne diese Anfeuerung engagiert ihrem Beruf nachzugehen.
Aber immerhin das Fernsehen wird dankbar sein für diese Bilder, aus der Heimat für die Heimat, und da es ja meist an Anhängern der gegnerischen Mannschaft mangeln wird, spielt sich die Euphorie in größter Eintracht ab, fast wie bei einem Gottesdienst.

Was aber tun, wenn man nicht diesem Glauben angehört?
Eine seit Jahrzehnten bei Fußballreportern beliebte Wendung, wenn einer mutterseelenallein vor dem Tore steht, ist: „Da hat er alle Zeit der Welt!“ Oftmals folgt dieser Beschreibung dann ein Ausruf der Enttäuschung, wenn jener Eine dann die Zeit nicht sorgsam nutzte, sondern den Ball spontan irgendwo hingeballert hat und eben nicht „reinmachte“ (auch das eine beliebte Wendung). Das soll mir nicht passieren.

Mein Turnierplan ist nämlich fast fertig:
In der Gruppenphase werde ich zunächst mal analog und digital aufräumen. Ich denke, dass ich mich damit für die nächste Runde qualifizieren kann, und sei es mit drei Unentschieden.
Dann denke ich nur noch von Spiel zu Spiel, egal, ob die Gegner aus dem Bereich Theater, Literatur, Kino oder gar dem selbstbetriebenen Sport kommen. Ein ganz harter Brocken wird im Halbfinale auf mich warten, mit einem Arbeitspaket, das ich extra für diese Tage aufgehoben habe.
Und dank meiner gefürchteten Turnierqualitäten werde ich es dann auch in das Finale schaffen, an dem ich – mir zur Belohnung – in der VIP-Lounge der Schankwirtschaft meines Vertrauens teilnehmen werde. So marschier ich durch bis zum Titel.

Ich muss zum Ende kommen, mehr als neunzig Minuten hab ich mir nicht gegeben für dieses Eröffnungsspiel, und die sind eben rum. Brasilien habe gewonnen, höre ich, neben der FIFA, der BILD, dem Einzelhandel und der Gastronomie. Und neben mir.

Und jedermann erwartet sich ein Fest

Die Vorschau zur 101. Saison des Staatsschauspiels Dresden in einem empfehlenswerten Magazin.

„Der Rausch der Hundertsten ist vorbei; freuen wir uns auf den Rausch der Hundertundersten.“

http://www.kultura-extra.de/theater/feull/saisoneroeffnung_staatsschauspieldresden2013.php

Programmhinweis: Mi., 21.08.13, 22.30 Uhr Teichelmaukes Hamsterradio

Für alle, die nicht lesen können (also bitte weitersagen)

http://coloradio.org/site/

oder auch 98,4 & 99,3 MHz, wenn man im gelobten Land wohnt.

Der Arbeitstitel dieser ersten Blamage lautet

Teichelmauke trifft Canaletto trifft Wagner

Es kann noch besser werden, muss aber nicht.

Man hört sich, vielleicht.

Paps ist weg.

In meinem Kunst-Leistungskurs ist jetzt Bild-Interpretation dran. Dazu habe ich mir ein aktuelles Werk ausgesucht, und Frau Binder-Strich war damit einverstanden.

Es handelt sich um eine großformatige Fotografie, die vier Menschen in ihrer Freizeit darstellt. Sie ist gerade häufig zu sehen, z. B. an Bushaltestellen, aber auch auf Plakatwänden. In der Mitte des Bildes, also im Zentrum, Frau Binder-Strich, sitzt ein junger, gutaussehender Mann in einem weißen Sporthemd. Er lächelt fröhlich, doch wenn man länger hinschaut, denkt man, dass er sich fürchtet.

Das liegt sicher an den schwarz gekleideten und tätowierten Männern, die ihn umrahmen. Mein Paps hat gesagt, die sähen alle „underfucked“ aus und dass sich zwei davon mit dieser Situation sicher schon seit Jahren abgefunden hätten und nunmehr ausschließlich Selbstbediener wären. Nur der Taschendieb rechts außen wäre noch spitz, wie er als Psychiater sagen würde. Ich weiß nicht genau, was er damit meint, aber mein Paps ist der Beste der Welt und hat fast immer recht.

Die drei Männer blicken ernst zum Betrachter, man könnte fast drohend sagen. Ich weiß nicht, was ich denen getan haben sollte, aber mein Paps sagt, bei den Hells Angels wäre das nun mal so. Komisch.

Die Szene spielt in einer Gastwirtschaft. Es sind ein Tresen, Gläser und Pokale zu erkennen. Mein Paps hat gesagt, dass es in einer solchen Kneipe nach kaltem Rauch und schalen Bier riechen würde, und nach Männerfüßen, und dass er da früher auch manchmal hingegangen wäre, aber heute nicht mehr. Und für Mädchen wäre das sowieso nichts. Mutsch hat da auf einmal ganz seltsam geguckt.

Der Künstler hat in den rechten unteren Bildrand einen Bierdeckel hineinkopiert. Auf dem steht: „Respekt muss man sich verdienen“. Ich glaube, es geht darum, dass man sich anständig anziehen soll, zum Beispiel, und immer die Wahrheit sagen muss. Paps meint, es ginge da eher um Gewalt, und dass die Leute auf dem Bild eine eindeutige Haltung dazu hätten. Ich weiß das nicht, aber da mein Paps mir verboten hat, in solche Kneipen zu gehen, kann ich das auch nicht herausfinden.

Paps hat dann kurz überlegt und noch gesagt, dass wir alle dem Künstler sehr viel Geld dafür gezahlt hätten, damit er dieses Foto macht. Wir hätten uns das zwar nicht aussuchen können, aber da gäbe es halt Menschen, die das für uns entscheiden, weil sie so einen Job haben und dafür unser Geld bekommen.
Und dass – Paps wurde plötzlich ziemlich laut, was ich sonst gar nicht von ihm kenne – „dieser overfuckte Wichser“ sicher in einem schicken Loft in Berlin säße, seine krokodillederummantelten Füße auf dem Tisch liegen habe, mit der einen Hand einen Joint drehen, mit der anderen sich einen runterholen würde und dabei was von antirezeptiver Bildsprache und unkonventioneller Zielgruppenfokussierung in seinen Milchkaffeebart brabbeln würde. Mutsch sah jetzt sehr erschrocken aus.

Weil das nämlich – Paps sprach immer noch mit sehr lauter Stimme – eigentlich Werbung sei und keine Kunst, was allerdings lächerlich wäre, weil man da auch in Nordkorea für Reis oder bei Drogenabhängigen für Heroin werben könne. Und dass offenbar jeder seinen Ego-Trip auf Kosten der Allgemeinheit ausleben könne, wenn er nur weit oben genug säße.

Und auf einmal ist mein lieber Paps ganz fürchterlich wütend geworden, hat gebrüllt, dass er diesen Dreck nicht mehr sehen wolle und den nagelneuen Flachschirmer aus dem Fenster geworfen. Dabei lief doch grad die „Sportschau“.

Und dann ist mein Paps in den Hobbykeller gegangen, hat die alte Kalaschnikow aus dem Schrank geholt, den Hybrid gestartet, Mutsch und mich traurig angesehen, etwas von „Einer muss es ja machen“ gemurmelt und ist weggefahren.
Ich habe keine Ahnung, was er vor hat. Aber die Mutsch weint seitdem nur noch.

Une petite Marseillaise.

Fünf Tage in Marseille, man hat was zu erzählen.

Le premier jour

Reisen kann durchaus angenehm sein. Zum Beispiel, wenn man im Obergeschoss des TGV in einem bequemen Sessel lümmelt, die südfranzösische Landschaft an sich vorbeiziehen lässt und im Reiseführer blättert. Um nichts in der Welt hätte ich fliegen wollen (die Frage nach dem Auto stellte sich erst gar nicht). Acht Uhr morgens in meinem Quartier abgefahren, noch vor zehn Uhr abends die mediterrane Abendluft gespürt. Ein Tag zum Reisen halt, nicht contre la montre, sondern so, dass die Seele noch mithalten kann.

Marseille also.
Purer Zufall, dass es mich jetzt wieder in die Stadt verschlägt, die ich vor zwanzig Jahren schonmal kurz besuchte, als ich für einen Sprachkurs bei der feindlichen Cousine Aix weilte. Aber ein schöner Zufall.
Unentschlossen zwischen den Schönen und aufregenden Städten in Europa, hätte ich wohl ewig zwischen Istanbul und Barcelona, zwischen Rom und Stockholm und zwischen Athen und Lissabon hin und her geschwankt. Eine sollte es sein in diesem Jahr, mindestens.
Nun entschied man also für mich, und ich folgte dankbar.

In der Hektik der letzten Tage vor der Abreise – die mich dann auch noch den Nachtschlaf kosteten, den ich notdürftig im Zug ab Dresden nachholte – hatte ich es versäumt, mir eine grobe Karte der Region, die ich durchfahren würde zu besorgen. Geographisch war ich bislang in anderen Gegenden zuhause, die „hier unten“ sagten mir nicht viel. Strassbourg am Rhein und im Elsass, OK, aber dann fällt die landschaftliche Zuordnung schon schwer. … Mulhouse in der Bourgogne? Hier kämpf ich grad mächtig mit dem Schlaf, die Klärung entfällt.
Lyon an der … Rhone? Keine Ahnung. Aber schön gelegen auf jeden Fall. Und interessante Gebäude, neue wie alte. „Part-Dieu“ heißt der Bahnhof. Teil-Gott (wie Teil-Auto)? Gottesteil? Halbtagsgott? Mein Französisch ist nicht wirklich verhandlungssicher.

Noch knapp zwei Stunden Fahrt. Heute ist Feiertag in Frankreich, hab ich grad bemerkt. Der 8. Mai, wie früher bei uns, auch aus demselben Grund. Das ist schon mal sehr sympathisch. Warum wird das in Deutschland eigentlich nicht mehr mit einem freien Tag begangen? Ach ja, die Weltmarktfähigkeit.
Morgen dagegen kommen wir zu etwas völlig anderem, Himmelfahrt, l’Ascension, wie das hier heißt. Nur am Freitag ist leider nichts.

Während ich so sinniere, breche ich nebenbei meinen eigenen erdgebundenen Geschwindigkeitsrekord. 298 „Ka-Emm pro Ha“, wie wir Experten sagen, wenn wir uns als solche ausweisen wollen. Und dabei ein Fahrverhalten, dass mich angesichts des hohen Schwerpunkts des Doppelstöckers staunen lässt: Das Ding liegt wie ein Brett auf der Schiene.

Kommen wir wieder zu etwas ganz anderem. Meine erste Begegnung mit der französischen Gastronomie findet zwangsläufig an Bord statt. In meinem Paketpreis war außer dem 1. Klasse – Sitz (was angesichts acht Stunden Fahrt und meiner Überlänge eher Notwendigkeit als Luxus ist) auch ein Imbiss enthalten, zur Selbstabholung. Ich schlängele mich also vom Wagen 1, den ich bewohne, durch die fast voll besetzten anderen beiden Erstklasswagen zum Bistro, bemerke dabei, dass man nur oben durchlaufen kann und stehe dann in einem zweckmäßig eingerichteten Raum ohne großes Brimborium. Man versucht gar nicht erst, einen auf frisch gekocht etc. zu machen, das Angebot kommt aus der Dose, Plasteflasche oder ist eingeschweißt. Aber das ist OK, man sollte bei der Zuggastronomie ohnehin die Kirche im Dorf und die Edelköche in ihren Chalets lassen. Mein Menü ist übersichtlich, aber schmackhaft, und ich darf mir einen Rosé dazu wählen. Noch ein Dreieckssandwich – doch deutlich teurer als bei der DB – und ich trolle mich mit einem niedlichen Pappbeutel in meinen Wagen. Auf der Tüte ist grob die Reiseroute dieses TGV von DB und SNCF dargestellt, Paris wird zwar nicht angefahren, muss aber natürlich mit drauf sein.

Die Berge links und rechts werden höher, riesige Brückenbauwerke für die Eisenbahn, nächster Halt Avignon. Ein Bahnhof in luftiger Höhe. Ich assoziiere Papst, Spatz und Helmfrisur, verfolge die Gedanken aber nicht weiter.
Die Unterwegshalte dauern generell meist länger als beim ICE, ein Zeichen dafür, dass man die berechneten Fahrzeiten in Frankreich etwas großzügiger bemisst. Auch so kann man etwas für die Pünktlichkeit tun.

Gelegentlich sind in der Landschaft große Kühltürme versteckt. Frankreich ist auch das Land der Atomenergie. Die sehr niedrigen und kleinen Windräder wirken dagegen eher niedlich. Die deutsche Debatte um den Ausstieg steht den Franzosen sicher noch bevor. Ohne überheblich zu sein: Manche Dinge gehen rechtsrheinisch einfach schneller, die Berge von Verpackungsmüll, die ich aus den Neunzigern von hier noch in Erinnerung habe, sind heute so sicher auch nicht mehr da.
Nun ist es fast völlig dunkel. Ich presse meine Stirn an die Scheibe, aber es sind nur Schemen zu erkennen. Einige Steinbrüche kann ich noch ausmachen, der schneeweiße Kalkstein scheint begehrt zu sein.
Es geht noch schneller: 315 km/h. Korrekterweise muss ich natürlich sofort an die Energiebilanz denken, aber geil isses schon. On roule …

Aix, ach ja. Aix-en-Provence, so viel Zeit muss sein. Als Student quälte ich mich bei gefühlt 40 Grad durch einen vierwöchigen Sprachkurs hier, aber schön war es trotzdem. Die Ausflüge nach Arles, in die Gorges, in die Höhlen … und die Promenade von Aix. Da muss ich unbedingt nochmal hin.
Den futuristisch-schönen TGV-Bahnhof gab es damals noch nicht, wer mit dem Zug nach Aix wollte, musste über Marseille fahren. Das wird den Aix’ern nicht gefallen haben.

Hier stoße ich auch zum ersten Mal auf „Marseille-Provence 2013 capitale européenne de la culture“. Bisschen sperring vielleicht, aber ordentlich ausgesprochen klingt das nach was. Wobei ein FAZ-Speciàl von voriger Woche mir soufflierte, dass man in Aix der Meinung sei, das gar nicht nötig zu haben und nur pro forma mitmache. Na ja, on verra.

Das Ziel kommt näher, nous arrivons à Marseille-St. Charles … Fünf Tage Zeit, eine Stadt zu entdecken. Allez!

Le deuxieme jour

Ein Nachtrag natürlich noch: Auf die Sekunde pünktlich rollte mein Zug ein, eine milde, warme Nachtlust empfing mich. Gefühlt zwanzig Grad mehr als zuhause. Tout va bien.

Auch der nächste Tag ist wie schon berichtet einer zum Feiern. Erstmal die nähere Umgebung erkunden, schmale Straßen, vierstöckige Häuser, verblichener bürgerlicher Charme. Erste Überraschung: Den Boulevard Longchamp schmückt eine Straßenbahn. Wo vor wenigen Jahren noch der übliche embouteillage (Stau, Eselsbrücke: Flaschenhals) herrschte, wie meine Begleitung berichtet, verkehren jetzt futuristische anmutende Stadtbahnen im Fünf-Minuten-Takt (in der Spitzenstunde). 1:0 für Marseille.
Die nächste Überraschung ereilt auch meine Gastgeberin. Man geht halt nicht mit Touristenaugen durchs Viertel, wenn man hier wohnt. Das Palais Longchamp erstrahlt wie neu, auch der Park dahinter wurde stark aufgewertet. Wirklich sehr hübsch gemacht, wenn man von den bonbonfarbenen Plastiktieren mal absieht.
MP13 zeigt sein segensreiches Wirken. Nein, das ist nicht die übernächste Generation der digitalen Musikspeicherung, „Emm-Pe treize“ ist der griffige Kurzname für alles, was heuer mit der Kulturhauptstadt zu tun hat. Das wird mir noch häufig begegnen.

Wie alle Landratten zieht es mich zum Hafen. Dabei ist die Metro behilflich, jede Station soll hier ein gänzlich anderes Aussehen haben. Na gut, es gibt ja auch nur zwei Linien.
Die Station Cinq Avenues Longchamps beeindruckt mich sehr, eine wirkliche Lichtinstallation. Den Wagen der U-Bahn ist die Herkunft aus den Siebzigern deutlicher anzusehen, die warmen Ockertöne lassen mich an Lockenmähnen und Schlaghosen denken. Wird ja sicher bald wieder modern.
Die Wände allerdings weisen Schäden auf, das Grundwasser drückt rein und wird nur notdürftig im Zaum gehalten. Das wird wohl in Kürze ein bisschen was kosten.

Bis vor einigen Jahren war der Vieux Port von Marseille der Sündenpfuhl in Gomorrha. Nepper, Schlepper, Bauernfänger, schmuddelige Kneipen, Kriminaltango. Das ist vorbei, alles ist jetzt trés chic. Segelboote so weit das Auge reicht, eine mondäne Uferpromenade und „gehobene Gastronomie“. Der Tourist wird jetzt eleganter abgezogen. Aber dazu ist er ja auch da, das ist in der Münzgasse nicht anders.

Ein Muss: Das, nun ja, Sonnendach von Norman Foster an der Stirnseite des Quais. Hat der doch einfach eine Fläche von vielleicht 20 mal 40 Meter auf zehn Meter hohe Säulen gestellt und unten verspiegelt? Tolle Effekte, man kann sich z.B. selbst ins Dekollete gucken. Oder auch anderen.
Wir wandern zum Pharo, einem Viertel links der Hafenausfahrt mit Kastell und Palais. Hübsch. Die Sonne brennt, ein Platz im schattigen Café mit Meerblick tut not. Der Kellner mault, als er bemerkt, dass wir unschlüssig sind, ob wir essen wollen. „Jusqu’ 3 heures seulement pour manger“, oder so ähnlich. Na gut. Geteiltes Menü ist halbes Menü.
Meine erste vollwertige französische Mahlzeit: Eine fangfrische Dorade an geschmortem Gemüse und Reis. So kann es weitergehen. Auch der Rosé schmeckt.

Kommen wir zu etwas ganz anderem: Ein kleiner Elektrobus pendelt entlang der Kais des alten Hafens, niedlich und gut für fußlahme Touries. Die supermoderne Fähre, die den Hafen durchqueren soll, tut dies heute mal wieder nicht. Technische Gründe, ah ja. Meine Begleiterin schimpft mit Marseiller Zunge, ich nicke dazu tapfer.
Das MUCEM ist einerseits das Museum der Mittelmeerregion (das früher – warum auch immer – in Paris beheimatet war) und andererseits der ideelle Mittelpunkt der MP13. Leider ist es noch nicht ganz fertig … Nein, ich verkneife mir jeglichen Querverweis.
Immerhin kann man die bauliche Hülle bewundern, ein transparenter Kubus wird von einer zweiten, organisch anmutenden Haut umgeben und durch einen luftigen Steg mit dem Fort Saint-Jean nebenan verbunden.
Direkter Nachbar ist das „Regionale Zentrum des Mittelmeers“, ein nicht nur statisch interessantes Gebäude, dessen oberste Etage unwirklich weit über das Hafenbecken auskragt.
In der Umgebung gibt es weitere Baulichkeiten, die alle zum Projet Euroméditerranée gehören, einem Entwicklungsprogramm für die von alten Docks und heruntergekommenen Stadthäusern geprägte La Joliette. Dies ist langfristiger angelegt, ein Wahrzeichen ist allerdings schon fertig: Der elegant verdrehte Büroturm der Reederei CMA-CGM, entworfen von Zaha Hadid.

Und wieder etwas ganz anderes, man muss es nicht mehr extra erwähnen: Le Panier, ältestes und verwinkeltes Viertel oberhalb des Hafens. Hier ist der Euro-Fortschritt nicht ganz so offensichtlich. Immerhin, der Place du Lenche hat ein neues Gesicht bekommen. Mein Vorsatz, hier ausschließlich Wein zu trinken, zerschellt am ersten Straßencafé. Pourquoi pas, warum auch nicht, die Franzosen tun’s ja auch.
La Bière erscheint hier mit Akzent, über dem „e“, wird (auch) als pression (mit Druck, also gezapft) getrunken und kostet im Prinzip dasselbe wie in Dresden. Es ist aber leider nur die Hälfte drin im Glas. Auch wenn es überraschend gut schmeckt, selbst jenes, das nicht aus dem Elsass kommt: Der Preis ist schon heftig Aber dafür schließen die Lokale spätestens um Zwei und limitieren somit den Verzehr. Tout va bien.

Abends sind wir im Belsunce, dem Kreuzberg auf nordafrikanisch (auch hier ziehen übrigens die Hipster langsam ein). Ein bzw. das Couscous-Haus, eng, laut, heiß und mit wunderbaren Tagines voll Taboulé. Ich habe mindestens sechs verschiedene Formen von Lammfleisch gesehen. Alkohol gibt es nicht, Allah wäre not amused.

Le troisieme jour

Frühmorgens 12 Uhr (ich hatte verschlafen, vermutlich eine Nachwirkung der Anreise-Vorgeschichte, und den vereinbarten Treffpunkt Station Castellane zu spät erreicht) ein Markt am Prado, einem langen Boulevard in Richtung Süden. Ich kaufe zehn verschiedene Marseiller Seifen und damit höchstens ein Zehntel des Sortiments. Nun muss ich sie nur noch den entsprechenden Empfängern (bzw. deren Charakteren) zuhause zuordnen. Auch meine Begleitung findet einige Wässerchen.

Erstes großes Ziel: La Cité Radieuse. Von Le Corbusier 1952 fertig gestellt, nennt mein Reiseführer das neunetagige Gebäude eine Ikone des Aufbruchs. Ich tituliere es ein vertikales Stadtviertel und bin nicht minder begeistert. Eigentlich dem sozialen Wohnungsbau zuzurechnen, locken die grandiosen architektonischen Ideen des Meisters seit jeher eine Klientel in Haus, die das zu schätzen weiß und eine gewisse Zahlungsbereitschaft mitbringt. 108 qm sind schon für 350.000 Euro zu haben, auf dem Komfortstandard der fünfziger Jahre wohlgemerkt. Aber die scheinen es wert, das Haus bietet neben Wohnraum für etwa 1.000 Menschen unter anderem auch ein Restaurant mit Hotel, eine Laden- und Büroetage, eine Kita unter dem Dach sowie eine Dachterrasse mit Pool, Sporthalle und Gemeinschaftsräumen. Aber auch die Kleinigkeiten sind zu beachten, u.a. die Beleuchtung: indirekt mit Lampen, die an Trillerpfeifen erinnern, so modern, dass sie heute wie noch gar nicht erfunden wirken.
Man muss das unbedingt gesehen haben, auch den kleinen Park, der sich um die Stelzenfüße des eleganten Kolosses windet. Nein, eine Tiefgarage gibt es nicht hier.

Nach soviel Baukultur: Á la Plage! Das zieht zwar eine längere Busfahrt nach sich, weil der Avenue du Prado die längst fällige Straßenbahn noch nicht beschieden wurde, aber immerhin fahren wir mit dem ersten Gelenkbus, den die Stadt angeschafft hat. Kaum vorstellbar, wie die Menschenmengen in der Hauptverkehrszeit transportiert werden sollen (von „befördern“ ist nicht die Rede), wenn schon gegen drei Uhr nachmittags die Stehplätze umkämpft sind.

Das Nahverkehrssystem ist für eine de facto Millionenstadt (es gibt in Frankreich kein richtiges Meldewesen) ohnehin unterdimensioniert. Zwar sind die beiden U-Bahn-Linien klug angelegt und kreuzen sich zweimal am Rande der Innenstadt, zwar sind die beiden Stadtbahnlinien eine sinnvolle Ergänzung und kommen dank eigener Gleiskörper gut durch, zwar gibt es dazu noch siebzig Buslinien, die teils im 4-Minuten-Takt fahren, zwar sind die Bedürfnisse hier vielleicht ein wenig anders, dennoch: Was täglich auf den Straßen rumsteht, hupt und meterweise vorwärts rückt, spricht für einen weiteren Ausbau. Ein S-Bahn-System gibt es bisher gar nicht, die Vorortbahnhöfe werden eher sporadisch bedient, P+R scheint unbekannt. Viel zu tun, Kollegen.
(Übrigens, eben auf der Rückfahrt im TGV noch eingefügt: Die Vielzahl der wirklich schönen neuen Straßenbahnen in fast jeder größeren Stadt, in der wir halten, ist beeindruckend und macht neidisch.)

Zurück zum Strand, etwas völlig anderem. Der Marseiller verfügt dank der Lage seiner Stadt im Halbkreis am Meer über mehrere Badewannen, die schickste ist vielleicht La Plage du Prado im Süden. Es weht ein sanfter Wind, der zehn Meter breite Sandstrand ist schon gut gefüllt, als wir am Pointe Rouge den Bus verlassen. „Die Urlauber liegen wie tote Robben am Strand“, jener Satz, der mir mal an der Ostsee einfiel, passt hier nicht, es aalt sich der Einheimische.
Anfang Mai, so früh im Jahr waren meine Füße noch nie mit Meerwasser in Kontakt. Der restliche Körper muss noch warten, wir wollen mal nicht übertreiben.

Für die Rückfahrt nimmt man hier das Schiff. Stündlich fährt ein Boot, das etwa 100 Leute fasst, von hier zum vieux Port. Man erreicht den Ableger durch einen Marsch entlang der Bootswerften, die die Lieblinge hier im Hochregallager stapeln. Drei übereinander sind normal. Die Schlange ist zum Glück kürzer als hundert Menschen, wir kommen also beim ersten Mal mit, und das Boot fährt auch bald. Tout va bien.

Nicht mehr ganz so gut geht es, als das Hafenbecken verlassen wird. Der Wind ist hier alles andere als sanft. Die Wellen nicht höher als zwei Meter, aber für unsere Nussschale durchaus genug. Wir wurden gewarnt, auf dem Vorderdeck würde es nass, und hatten gelächelt. Und siehe, es wurde nass.
Während mich die regelmäßigen Duschen– in Gegensatz zu den meist quietschenden Mitpassagieren – eher erfreuen als schrecken, macht sich mein Magen ebenso regelmäßig in Richtung des Kopfes auf den Weg. Nur mühsam kann ich ihn an der Flucht hindern und muss dabei immer noch tapfer lächeln, dank meines großen Mauls zuvor.

Die Gefängnisinsel mit dem Château d’If, die wir passieren, soll schon den Grafen von Monte Christo beherbergt haben. Immerhin hatte der da festen Boden unter den Füßen, was man im normalen Leben gar nicht richtig zu schätzen weiß.
Aber auch diese Prüfung nimmt ein Ende.

Abends dann noch ein Bummel durch La Plaine, jenem Quartier, das der Dresdner Neustadt am nächsten kommt.
Neulich beim Männergespräch im Thalia thematisierten wir das Folgende schon: Automatisch den Bauch einziehen, wenn einem eine schöne Frau entgegenkommt, dokumentiert den Beginn einer neuen Lebensphase. Dazu ist reichlich Gelegenheit hier, ich absolviere ein veritables Bauchmuskeltraining.

Erst haben wir wunderbar gegessen, dann gut getrunken, sind dann nett geschlendert – schwarze Schönheiten stöckeln leicht unbeholfen im La Teranga, es gibt eine Modenschau mit Tanzeinlagen – und dann mit dem Roller meiner Gastgeberin wieder heimgefahren.
Diese Roller sind – wenn einem die Bedienung geläufig ist und man ein wenig Mut mitbringt – zumindest abends das beste Fortbewegungsmittel. Der öffentliche Verkehr macht noch vor Eins Feierabend, und Taxis sind in diesem Viertel nicht häufig und zudem teuer.

Letzte Station für diesen Abend. Eine Bar im Quartier. Merke: Alle Menschen sind gleich. Die Kneipe könnte auch in Schöneberg sein. Oder in Pieschönn. Sehr angenehm, trotzdem. Aus dem Wurlitzer dröhnt Johnny Halliday. Tout va bien.

Le quatrieme jour

Wir machen einen Ausflug, nach Arles, mit der Bahn.
Und erstmal eine Erfahrung: Was die SNCF-Homepage verspricht, muss mit der Realität nicht viel zu tun haben. Das Sonderticket zur MP13 gibt es nicht am Automaten, wär ja auch zu einfach, drei Knöpfe drücken, bezahlen, Ticket ziehen. Nein, man muss zum Schalter, wo etwa fünfzig Leute mit vielleicht ähnlichen, aber vielleicht auch ganz anderen Problemen warten.
Erklärt wird einem das mit einer wahrhaft königlichen Herablassung vom schnöseligen Auskunftsbeamten, der auf seinem Podest inmitten der Bahnhofshalle sitzt, nein, thront. Danke fürs Gespräch. Dann also regulär zahlen, zehn Euro mehr pro Nase. Zum Trost werden wir nicht kontrolliert.

Trost spendet auch das mitgenommene Croissant. Im Gegensatz zu den Dingern in l’Allemagne ist dies kein aufgeblasenes Häufchen Nichts, sondern ein vollwertiges Nahrungsmittel, das vor allem nach Butter schmeckt.

Die SNCF bietet übrigens weder im Fern- noch im Nahverkehr einen richtigen Taktfahrplan an, auch wenn sich die Abfahrtsminuten oft gleichen. Aber es gibt empfindliche Lücken am Vor- und Nachmittag und dafür ein paar mehr Züge in den Spitzenstunden. Was nun besser ist, mag ich nicht entscheiden, rechne jedoch ohnehin damit, dass auch bei uns die Lücken am Vormittag wiederkehren werden. Das Geld halt.

Arles an der Rhone, inmitten der Camargue, ist schon sehenswert. Die ersten Spuren hinterließen die Römer, innerhalb der Stadtmauer ist noch viel davon zu sehen. Für mich augenfälligstes Relikt der Vergangenheit: Die Stierkampfarena, die auch heute noch betrieben wird. Ja, zum Stiere abstechen.
Ich will darüber aber nicht groß philosophieren. Wer aus einem Land kommt, wo man Tiere industriell erzeugt und verwertet, sollte bei solchen Themen lieber die Fresse halten. Es ist eine Kultur – wenn auch nicht meine – die schon Jahrhunderte lang Tradition hat. Den Franzosen (und vor allem den Spaniern) jetzt zu erklären, dass die corriere du taureaux ganz und gar nicht geht, bedarf des Sendungsbewusstseins eines gutmenschigen Weltverbesserers, welches mir nicht zur Verfügung steht.

Etwas ganz anderes: Auf dem (viel touristischer geprägten) Markt erstehe ich einen schönen weißen Hut, der mir in der Folge nicht nur in modischen, sondern auch in gesundheitlichen Angelegenheiten gute Dienste leisten wird.
Noch ein Besuch beim Rezeptionisten eines hiesigen Nobelhotels, den man, wenn man ihn wie meine Begleiterin im Nachtleben von Marseille erlebt hat, nicht erkennen würde, so seriös wirkt er, ein kurzer Abstecher an die Rhone und schon geht es zurück. Es wartet nämlich noch l’OM!

Meine Beziehung zum Fußball ist bekanntlich zerrüttet. Früher war es Liebe … Aber Kinderzeit ist lange her, ich erinner mich nicht mehr.
Heute nutze ich diesen Sport vor allem, um mich über sein Publikum und vor allem die mediale Aufbereitung dieser fast täglichen Schicksalsmomente lustig zu machen. „Hier geht es nicht um Leben oder Tod, es geht um mehr“, wie die Sportfreunde (!) Stiller singen.

Aber wenn ich schon mal hier bin … Da kann ich gleich auch gestehen, dass ich dennoch einen Helden habe: Zinédine Zidane. Jener franko-algerische Recke, dem die Ehre von Mutter und Schwester sowie die Bestrafung eines italienischen Flegels wichtiger waren als irgendsoein Weltmeistertitel. Das wird bleiben, auch wenn seine Tore einmal vergessen sind.
M. Zidane stammt aus dem Norden von Marseille, der anderswo Favela oder Slum heißen würde. Außer Fußballer kannst du da Nichts werden, und die wenigsten werden Fußballer. Immerhin, einer hat es ganz nach oben geschafft und wird jetzt wie ein Halbgott verehrt. Sein Sportgeschäft soll gut laufen, sagt man.

Übrigens haben wir keine Karten für das Spiel heute gegen Toulouse. Meine Begleitung verlässt sich voll auf den Schwarzmarkt. Dieser profitiert jedoch sehr davon, dass das ganze Stadion eine Baustelle und somit nur die Hälfte der Plätze verfügbar ist, BWL, 1. Semester. Das Billet bzw. das Reinkommen steht bei 100 €, als wir zehn Minuten vor Spielbeginn in den Handel einsteigen. Im 2. Semester lernt man, was man dann beobachten kann: Einen Preisverfall. Mit dem Anpfiff sind es noch 50 €, Tendenz nach unten. Aber die Tatsache, dass 15 Minuten nach Beginn die Außentore geschlossen werden, fängt den Preis bei 30 € auf (3. Semester).

Wir sind drin, irgendwie. Vorausgegangen waren hektische Diskussionen unseres Schleppers mit den Einlassern und schließlich eine herrisch winkende Hand des Rudelführers. Karten haben wir keine, demzufolge auch keinen Platz, also rein in irgendeinen Block. Ein Ordner fragt uns nach den Tickets, doch wir sprechen leider kein Französisch, und nach einigen Verständigungsversuchen lässt er ab von uns, weil es auf dem Spielfeld grad spannend wird. Wir nehmen auf der Treppe Platz.

Der Fußballklub Olympique de Marseille tritt an in Himmelblau, wie Chemnitz etwa. Meine Absicht, mir ein Trikot mitzubringen, werde ich nochmal überdenken.
Droit Au But? Das ist der Leitspruch des Vereins und klingt gut, heißt letztlich aber nichts anderes als „Recht auf Tor“. Jaja, aber … gleiches Recht für alle! Wie war das nochmal mit Égalité?
Das Spiel geht nach diesem Maßstab ungerecht aus, OM 2, TFC 1, ein Bein haben sich beide nicht ausgerissen dabei. Es geht wohl um nichts mehr, so kurz vor Saisonende. Und Zinédine war auch nicht da.

Was ich aber sehr beachtlich finde: Es ist kaum Polizei zu sehen, auch im Stadionumfeld nicht. Wenn ich daran denke, welche Hundertschaften bei Spielen eines hiesigen zweitklassigen Vereins in Marsch gesetzt werden … Hier hat der Fußball offenbar den Stellenwert, der ihm zukommt. Und nicht mehr.

Place de Lenche, da waren wir schon mal, macht aber nichts, der Restaurants sind viele.
Der Mistral weht die Menschen heute vom Place nach drinnen, es wird zunehmend ungemütlich draußen.
Dann fällt sogar ein Baum aufs Trottoir! Zum Glück, heuresement, liegt niemand drunter, nur einige Tische und Stühle sind Schrott. Eigentlich war der Baum grad frisch umgesetzt und einbetoniert. Le Mistral …
Die Nachricht schafft es sogar in die Sonntagszeitung. Am nächsten Tag ist nur noch die Wurzel da. Ob die anderen Bäume ähnlich gefährdet sind, wird hoffentlich jemand geprüft haben? Ich bin ein wenig peinlich berührt ob meiner Skepsis. Die Franzosen bauen großartige Hochgeschwindigkeitseisenbahnen, da werden sie wohl Bäume am Umfallen hindern können!?

Aber der Mistral bläst einem wirklich das Hirn aus der Birne.

Le cinqieme jour:

Etwas ganz anderes. Ein Ausflug. Diesmal zur Côte Bleue, der heimlichen Côte d’Azur von Marseille. Ähnlich schön wie die berühmten Calanques, aber nicht so überlaufen, wird mir glaubhaft versichert.
Eine schöne Bahnfahrt, wieder unkontrolliert, aber vorbei an den Häfen mit den dicken Kreuzfahrtschiffen und dann eintauchend in eine wilde, felsige Uferlandschaft, die zwischen Steilküste und schmalen Buchten wechselt. Ab und zu quetschen sich Dörfer dazwischen, die vom Land her nur über einen einzigen Weg zu erreichen sind.
Unsere Station heißt La Redonne, dann noch eine Viertelstunde steile Fußwege hoch und runter und wir können auf den Felsen vor einem kleinen Hafen faire un pic-nic. Dummerweise liegt 50 m vor uns der Party-Katamaran aus Marseille mit dröhnender Uffta-Humpta-Musik. Doch noch ehe ich aus dem Wandergepäck einen Torpedo basteln kann, lichtet er den Anker und gleitet von dannen. Sonntägliche Ruhe kehrt ein.

Leider lärmen auch die Zikaden noch nicht, zu früh im Jahr. Dieses Kerngeräusch des Südens müssen wir entbehren. Und der Lavandre blüht auch erst später.
Auf dem Rückweg noch ein Stopp an einem kleinen Strand. Erneuter Fußkontakt mit dem Meer, erneute Beschränkung auf diesen. Und dann noch ein bisschen am Strand liegen, in den Himmel schauen und schließlich une bière in der Hafenkneipe.

Abends dann creolisch, auch das geht hier naturalement. Und es geht gut. Am Sonntag haben nicht viele offen außerhalb der Tourie-Region, aber das zufällig entdeckte kleine Restaurant „Le Port au Prince“ ist alles andere als eine Notlösung. Falls jemand mal in der Nähe ist: 40, rue St. Savournin, 13001 Marseille. Am Ende macht man uns noch mit Rum dumm.

Le sixieme jour:

Nun noch Aix. Der erste unbegleitete Ausflug, ich bin jetzt schon groß. Der Automat der SNCF bereitet mir keine Schwierigkeiten, ob das ein Franzose von jenem der DB auch sagen könnte? Interessant das Prinzip der Bahnsteigzuweisung. Wo fährt mein Zug denn heute? Überraschung … 100 erwartungsfrohe Reisende beobachten gespannt die Anzeigetafel, bis das „C“ fünf Minuten vor Abfahrt erscheint, worauf eine Volksbewegung einsetzt.
Nächste Überraschung: Heute spielt man TGV und kontrolliert die Fahrscheine – die man hier nicht nur kaufen, sondern auch noch „entwerten“ muss (dieses Wort bedeutet übrigens genau das Gegenteil von dem, was eigentlich gemeint ist: Man macht den Fahrschein durch die Stempelei ja erst gültig für die Fahrt) – gleich am Einstieg, mit dem üblichen massiven Personaleinsatz. Das gleicht dann auch die unkontrollierten Fahrten nach Arles und an der Côte Bleu wieder aus.
Nicht, dass ich was gegen viel Personal bei der Bahn hätte, im Gegenteil. Das ist ein ehrbarer Beruf, und die cheminots sind sich ihrer Würde auch bewusst. Ob die Mischung aus mausgrauem Anzug und fliederfarbenem Hemd dazu beiträgt, sei einmal dahingestellt. Aber sie sind ordentlich beschäftigt und entgehen damit der Gefahr, von Sarko et collegues irgendwann weggekärchert zu werden.

Der Zug durchquert die banlieus. Hier wird die Ärmlichkeit nicht mehr von Prunkbauten verdeckt. Marseille, die nördlichste Stadt Afrikas? Kann schon sein. Dennoch, von Straßenschlachten wie in Paris hat man hier nicht gehört bislang.
Steinbrüche bringen den wunderbar leuchtenden Sandstein dieser Gegend zutage. In Kombination mit der südlichen Sonne erzeugt dieser eine unglaublich warme Farbe, die man so an der Elbe nicht zu sehen bekommt.

Angekommen. Der Bahnhof ist unspektakulär, der Weg ins Zentrum aber nicht weit. Die Rotonde hab ich anders in Erinnerung, vielleicht verklärt durch die mehr als fünfzehn Jahre, die seitdem vergangen sind. Eigentlich ist das nur eine schlichte Kreuzung mit Kreisverkehr. Auch die Platanen auf dem Cours Mirabeau waren früher höher, scheint mir.
Aix verhält sich zu Marseille wie Potsdam zu Berlin oder Starnberg zu München. Selbst die Gemüseläden sind hier nobel.
Ein Spaziergang in Richtung meiner früheren Herberge, einem Studentenwohnheim östlich der Altstadt. Den Weg finde ich, aber das Ziel scheint verschwunden. Egal, ich wollte eh keinen Kranz niederlegen.

Auf dem Rückweg passiere ich ein Lycée, da ist grad Pause. Die vorherrschende Herrenmode ist hier der Trainingsanzug. Es ist erst zehn Uhr, Montag, die Innenstadt beginnt grad mit dem Aufwachen. Aber es werden schon erste Besuchergruppen durch die Gassen getrieben. Die Touristen tragen Funktionsbekleidung und außerdem aufgeklebte Nummern, die sie als einer Gruppe zugehörig kenntlich machen. Das ist schön, jeder will ja irgendwo dazugehören.

Aix ist langweilig, beschließe ich, pittoreske Altstädte mit Hunderten von Restaurants hab ich schon genug gesehen. Ich suche das empfohlene Café hinter dem Rathaus. Tatsächlich, sehr hübsch, und die Terrasse bietet zumindest zwei Kaffee lang Schatten, eh die Sonne rumkommt. Zeit genug, l’ordi portable auszupacken und diesen Text hineinzuhacken.
Und dann zurück, den letzten Halbtag in Marseille genießen. Tout va bien, immer noch.

Der Weg zum Bahnhof führt durch die Neue Mitte von Aix. Schick und verwechselbar, H&M ist auch schon da.
Der Bahnhof ist baulich das ganze Gegenteil, aber gemütlich. Neben zahlreichen Beförderungsfällen sind anwesend:
Ein Sicherheitsmann, ein Sicherheitsmann der SNCF, eine Aufsicht (hübsch) und drei Schaffner (der weibliche Teil sehr hübsch). Jeder DB-Controller würde den roten Bleistift wetzen und erstmal zwei Drittel davon streichen. Für den Anfang, um Härten zu vermeiden.

Beim Rückblick aus dem Zug sehe ich endlich Ste. Victoire, jene beeindruckende Bergkette, die meine stärkste Erinnerung an Aix ist und bleibt.

Der Zug ist voll, auch zur Mittagsstunde ein großer Andrang. Die Karten kontrolliert eine vierte Schaffnerin, auch jene ausnehmend attraktiv. Ein Fünfter und Sechster leisten Beistand, als sie charmant eine Fahrpreisnacherhebung durchführt. Nicht bei mir, was ich für einen kurzen Moment bedauere.
Die schlechte Gleislage spüre ich jetzt deutlich im Kreuz. Vermutlich die Strafe für unkeusche Gedanken über Amtspersonen.

Marseille mit seinen Wohntürmen beginnt etwa 20 Minuten vor Ankunft in St. Charles. Plattenbauten soweit das Auge reicht. Auch wenn sie nicht im Taktstrassenverfahren errichtet wurden, es ist kein Unterschied zu Gorbitz. Vielleicht stehen sie etwas aufgelockerter. Und sicher sind sie schon deutlich heruntergekommener. Instandhaltung ist keine südliche Tugend, hab ich neulich mal über Kairo gelesen. Das dürfte aber auch für Marseille gelten.

Das Meer, ach ja. Nur noch heute kann ich den Anblick genießen.
Dann ein erneuter Bummel durch Klein-Marokko, das später nahtlos in Klein-Senegal übergeht. 90 % Männer auf den Strassen, so ist das halt.

Offenbar hat man seitens der Stadtverwaltung das alte Fährboot reaktiviert, nachdem das schicke Neue öfter mal den Dienst am Touristen verweigerte. Für umsonst geht es über das Hafenbecken. Hier ist noch Potential, liebe Stadteltern.

Der (temporäre) Pavillon zur MP13 ist wie Pavillons zu irgendwas halt so sind, ganz hübsche Animationen und Hostessen, Imagefilmchen und ein bisschen Kunst. Die Mischung aus Holz und Plexiglas sieht sehr schick aus, heizt sich aber auch mächtig auf, trotz einer Batterie mobiler Klimamaschinen ist es deutlich wärmer als draußen. Und wir haben erst Mai …
Übrigens, l’Art de Vie wird dort in unzählige Sprachen übersetzt. Deutsch ist nicht darunter.

Ich will nochmal runter zum Mucem. Aber der Fußgänger hat es hier schwer: In langen Serpentinen muss er sich erst von der Leistungsfähigkeit der französischen Bauwirtschaft überzeugen, ehe er unten ankommt.

Am Ende des Kais stehen Bauwerke aus 40-Fuß-Containern, der 17. Arrondissement, jener der Zukunft, auch das natürlich MP13. Marseille hat bisher nur 16 Bezirke, eine niedliche Idee also. Am Nachmittag ist hier noch nicht so viel los, nur einige Artisten seilen sich ab. Einen Abendbesuch schaff ich leider nicht mehr.

Nach dem Treff á dix-huit’ heures mit meiner zur werktätigen Bevölkerung gehörenden Gastgeberin noch ein Ausflug zur Basilika Notre-Dame-de-la-Garde. Diese überragt die Stadt auf einem Hügel, die Anfahrt zu zweit mit dem Motorroller ist eine Herausforderung. Aber nicht er gibt auf, sondern ich, ein Krampf im Oberschenkel zwingt mich zum Absteigen. Vermutlich ähneln sich unsere Grundfrequenzen, und es kam zur Resonanzkatastrophe.
Der Blick von oben ist grandios, die ganze Marseiller Bucht liegt uns zu Füßen. Ein Moloch von Stadt, der bis zum Horizont reicht, darüber ein wunderbares Abendsonnenlicht.
Der Blick nach oben zeigt die Jungfrau mit dem (eigenen) Kind, dieses Grundrätsel der christlichen Kirche, das erst mit Hilfe der Gentechnik einigermaßen befriedigend gelöst werden konnte.
Hui, nun die Schussfahrt in den Hafen!

Dort gibt es ein Restaurant namens „La Treize“ also Dreizehn. Es scheint auch in diesem Jahr erst aufgemacht zu haben, alles neu drinnen. Aber wir wollen ja draußen.
Man verfügt über modernes Equipment, aber das Tablet zur Bestellaufnahme ist mit einem rustikalen Holzrahmen versehen. Ach …
Die zu Ehren des letzten Abends georderten Moules munden hingegen hervorragend.

Endgültig die letzte Einkehr: Longchamp Palace um die Ecke. Sehr angesagt, der Laden, zumindest in gewissen, sympathischen Kreisen. Gewöhnlich holt man sich sein Getränk am Tresen und stellt sich dann wie dreißig Andere aufs Trottoir, drinnen kann man ja nicht rauchen. So ähnlich sähe es in der Neustadt auch aus, wenn man hier genauso streng wäre.

Müde bin ich, geh zur Ruh, gleich falln mir die Augen zu. War wohl zuviel Sonne heute, zuviel Pflaster, zu viele Eindrücke. Morgen geht es nach Hause.

Le dernier jour

Ein scharfer, stechender Schmerz in meiner Brust (wie der Dichter, aber in diesem Falle auch der Internist sagen würde) begleitet mich am nächsten Morgen zum Bahnhof. Körper und Geist bilden halt doch eine Einheit.
Erst in Avignon verschwindet er langsam und ich kann mich an der Reise – erstmal entlang der Rhone, später in Sichtweite mehrerer Mittelgebirge – freuen. Und noch ein wenig sinnieren über diese Tage im Süden.

Wir halten in Aix und Avignon. TGV-Bahnhöfe wie diese außerhalb der Stadt zu bauen, hat zumindest den Vorteil, dass man die Innenstädte ungeschoren lassen kann. Wäre doch auch eine Idee für Stuttgart … Von Freunden lernen.

Außer ein paar Arbeitsdeutschen und Touristen aus aller Herren Länder habe ich in Marseille nur sehr wenige Ausländer gesehen. Ein Ort also, wo sich die Stramm-Ärsche von der NPD etc. wohlfühlen würden. Überall Bürger der Republik, überall nur Franzosen … jedweder Couleur allerdings.

Man muss dennoch nicht alles mögen hier. Dass es trotz manchmal sehr schöner, aufwendig gestalteter Flaschen für jedes denkbare Getränk noch immer kein Pfandsystem gibt und die bouteilles somit bestenfalls im Glascontainer oder auch im Hafenbecken landen, kann ich nur schwer begreifen. Von einem Einweg-Pfand ganz zu schweigen, dann würden die Straßen ja so deutsch aussehen.

Und auch wenn ich hier mit Kennermiene die eine oder andere Vokabel einstreue: Mein Französisch ist nach fünf Tagen noch immer alles andere als perfekt. Was ich inzwischen aber sehr gut kann, ist deutsch mit französischem Akzent zu sprechen. Und zum Sprechen alle Körperteile zu benutzen, das mach ich jetzt auch ein bisschen.
Über die fremden Wörter hier im Text müsste ich auch nochmal rüber, grammatikalisch und orthographisch. Da hab ich jetzt aber keine Lust zu. Und bei mir geht’s neuerdings meistens nach der Lust.

Inzwischen hat der Zug gewechselt, besser gesagt, ich habe ihn gewechselt. Das vertraute Dröhnen des ICE-T umhüllt mich. 17 Uhr ab Frankfurt, es ist richtig voll und wird auch in Fulda nur unwesentlich leerer. Hier werden die Mehrkosten von Stuttgart21 verdient.

Im Waggon gibt es mehr Frauen mit Kopftüchern als ich insgesamt in Marseille gesehen habe. Ein Zufall, sicher, nicht repräsentativ. Und man muss ohnehin aufpassen, dass man hier nicht in die Korrektheitsfalle läuft und besser als die Frauen selbst zu wissen glaubt, was diese wirklich wollen.
In Frankfurt/M. stieß ich übrigens fast mit einer einzelnen Burka-Trägerin zusammen, die mich aus schmalem Sehschlitz anfunkelte. Ob böse oder nicht, kann ich mangels einschlägiger Erfahrung nicht beurteilen. Dabei war sie schuld, was muss sie auch fast rennen und dabei noch eine sms tippen.

Ein pendelndes Businessweibchen hat nun eine Methode gefunden, auch bei beengten Platzverhältnissen die Maus am Rechner zu benutzen: Sie bewegt sie am Oberschenkel auf und ab. Das sieht durchaus erotisch aus und ist es vielleicht auch. Aber liebe Männer, bitte nicht nachmachen, das könnte zu Missverständnissen führen.

Die Mitreisenden kommen mir alle so unentspannt vor, nicht nur die im Anzug. Ich glaube, denen fehlt ein bisschen südliche Sonne.

Und in der nächsten Folge dann: Teischel Mauköh kehrt zurück und bringt den Marseillern savoir-vivre bei. Merci bis hierhin.

Mitleid mit Hoeneß

Zum Interview in der ZEIT vom 02.05.13 mit Uli Hoeneß, Fußballheld, -funktionär und mutmaßlicher Steuerbetrüger

Nein, der Titel ist kein bisschen ironisch zu verstehen. Ich habe wirklich Mitleid mit dem Mann.

Dabei mag ich ihn nicht besonders. Er war mir zu sehr der „Mia san mia“ – Typ, zu arrogant wirkte er meist, zu machtversessen. Respektiert habe ich ihn aber immer, seine deutlichen Worte hoben sich angenehm ab vom üblichen weichgespülten Geschwafel seiner Kollegen. Der Hoeneß war halt einer, den man in Kauf nahm zum FC Bayern, wie Rummenigge und Sammer.

Dann die große Nachricht, breaking news: Hoeneß ist der Steuerhinterziehung verdächtig. Und später: Gegen ihn läuft ein Haftbefehl, der nur gegen eine wahnwitzige Kaution von 5.000.000 Euro außer Vollzug gesetzt wurde.
Die Absetzbewegungen waren fortan im Stundentakt zu verfolgen. Auch Frau Kanzlerin ließ ausrichten, sie sei menschlich enttäuscht.
Und Hoeneß? Saß auf der Tribüne und sagte: Nichts.

Bis heute. Da ließ er die ZEIT kommen und ihn interviewen. Eine kluge Wahl, bei der FAZ oder dem Fokus hätte man vielleicht von Gefälligkeitsjournalismus gesprochen, der SZ und dem Spiegel wollte er diese Story wohl nicht gönnen und von BILD wurde ihm – falls er da nicht selbst draufkam – sicher abgeraten.

Nun also die Edelfedern aus Hamburg. Zwar war so ein Experiment, an der Medienfront wieder in die Offensive zu kommen, beim Guttenberg grandios gescheitert, aber da lag der Fall auch anders.
Nun also spricht der über Nacht vom Paulus zum Saulus gewordene erstmals über „die Sache“. Wenn sich einer wie Hoeneß dabei des moralischen Beistands seines Sohnes und nicht eines hochkarätigen Strafverteidigers versichert, müssen die Dinge wirklich schlimm liegen. Nicht nur materiell, vor allem auch emotional.

Vorweg: Der ZEIT gelingt ein glaubwürdiges, seriöses Interview ohne Anbiederung, aber auch ohne öffentliches Schlachten. Fast wie bei einer Vernehmung wird die Geschichte aufgerollt, von den Anfängen (die Zockerkumpanei mit dem Adidas-Chef) bis zur heutigen Angst vor dem Gefängnis.
Am Ende sitzt einer da, der mit der jahrelangen Verdrängung seines Problems letztlich seine Lebensleistung entwertet und sich in alle Ewigkeit kompromittiert hat. Um dem das nur zu deutlich bewusst ist.

Uli Hoeneß ist krank. Das darf man vermuten, ohne ihm zu nahe zu treten, seitdem Spielsucht in ihren vielen Variationen als psychische Krankheit anerkannt ist. Er selber sieht das nicht so, seine Familie aber durchaus, wie sein Sohn zu Protokoll gibt. Dieser Moment im Interview dürfte sich dem ehemals stolzen Hoeneß eingebrannt haben.

Über Jahrzehnte hat er – zunächst mit fremdem Geld – ein Konto in der Schweiz gehalten und über dieses seine riskanten Börsenspekulationen abgewickelt. Hier war ein ganz anderer Hoeneß am Werk, nicht der erfolgreiche Wurstfabrikant, nicht der toughe, aber urmoralische Bayern-Präsident. Sein Mr. Hyde tobte sich auf dem Parkett aus, nicht ohne auch Unsummen zu verlieren dabei.
Steuern hat er auf seine Schweizer Gewinne nie gezahlt. Diesen Teil seines Lebens hat er – nicht nur bei der Steuererklärung – erfolgreich verdrängt, es sollte ja auch niemand wissen. Hätte nicht ins Bild gepasst.
Das Konto lief übrigens bei der Vontobel-Bank, nicht nur das schreit nach theatralischer Aufarbeitung. „Der Räuber“?, „Aufstieg und Fall des Uli H.“? Roger, übernehmen Sie!

Das Stichwort „Monopoly“ fällt. Ich glaube ihm, dass er das so ähnlich gesehen hat, ein Spiel im Verborgenen, die dunkle, reizvolle Seite des Geldes. Brauchte einer wie Hoeneß solche Kicks? Wenn die These von der Spielsucht zutrifft, dann schon.

Irgendwann hat Hoeneß reinen Tisch gemacht, nachdem das Problem aus seinem Hinterkopf nicht mehr rausging. Drei Steuer-Profis haben seine Selbstanzeige formuliert. Dennoch jetzt der Haftbefehl. Waren sie so schlampig oder ist da noch mehr? Erstaunlich unprofessionell agierte der Verdächtige hier, als die Staatsanwaltschaft eines Morgens an der Villa klingelte, hatte er nicht mal einen Anwalt, der er anrufen konnte.

Inzwischen ist das geklärt und Hoeneß wieder auf freiem Fuß, vorerst. Fluchtgefahr scheint wirklich nicht zu bestehen, wo sollte er auch hin? Sein Gesicht kennt man auf der ganzen Welt.

Ohme mehr als die Aussagen aus dem Interview zu kennen, ist es schwer, sich ein Urteil zu bilden. Egal, ob er bewusst Steuern hinterzog, um noch reicher zu werden oder diesen Teil seines Lebens komplett ausblendete, sein Lebenswerk liegt in Trümmern. Selbst der große FC Bayern ist von der öffentlichen Meinung abhängig, die Tage als Aufsichtsratschef sind sicher gezählt, und ob von seiner Firma noch jemand ein Stück Wurst nimmt? Alles andere als gute Aussichten.

„Menschlich“, um mal so banal zu sein, ist die Sache tragisch. Wie viele andere auch allerdings. Der Beispiele gibt es viele, in ganz unterschiedlicher Art und Größe. Auch die Schwarzarbeit der Putzfrau ist steuerliches Unrecht, und viele von denen, die jetzt die ersten Scheine werfen, sitzen im selben Tresorraum.

Ja, ich habe Mitleid mit Hoeneß. Mitleid deswegen, weil er nicht die Kraft und Weitsicht hatte, schon früher auszusteigen oder gar nicht erst damit anzufangen. Dass er jetzt viel Häme und Spott ob seines vormaligen Saubermann-Images einstecken muss, ist hingegen nur gerecht. Hätte er mal geschwiegen früher, dann wäre er ein einfacher Steuersünder geblieben.

Ich wünsche ihm einen fairen Prozess ohne Promi-Bonus oder –Malus und ohne Medien-Hype (was wohl unrealistisch ist). Und falls er ins Gefängnis muss, familiären Rückhalt und viel Besuch. Und danach ein ruhiges Leben als Rentier, irgendwo in den bayerischen Bergen.

Uli, Du hast ´76 schonmal einen wichtigen Elfmeter verschossen. Diesen jetzt hast Du noch viel weiter in die Tribünen geballert. Und es gibt leider kein Rückspiel.

Who the fuck ist eigentlich dieser Götze?

Der Livekommentar vom Sessel aus, in Facebook festgehalten.

„Man hat sich am deutschen Fußball vergangen“, sagt ein alter Mann mit Brille, der soll wohl populär sein. Das geht ja gut los beim ZDF.
Auch sonst sehr dramatisch.

Schicke Brille hat der Klopp, der Ollie könnte mal zum Friseur.

So ein Wirbel um diesen Bubi? Justin Bieber in sportlich. Dass die Gesetze des Marktes auch und gerade beim Fußball wirken, sollte doch bekannt sein.

„Real weghaun“, genau. Ich geh auch lieber in den Konsum.

So richtig nett sieht eigentlich keiner aus, doch, Mourinho.

Um Gottes Willen, was haben die denn an? Hier vergeht man sich nun wirklich am deutschen Fußball.

„Der Scalp von Klopp fehlt ihm noch“, aha, deswegen die viele Polizei.

Nach 1.52 min beginne ich mich zu langweilen.

Rote Schuhe, schick.

Kann das sein, dass Mourinho dicker geworden ist? Was nimmt der denn?

Auf dem Feld herrscht Freude. Zumindest bei einem Teil der Spieler.

Die himmelblauen Hemdchen haben was. Zumindest deutlich mehr als dieser Design-Unfall in schwarz und gelb.

Die können das Tor so oft zeigen wie sie wollen, es gilt trotzdem nur einmal.

Ich hab den Eindruck, es sind mehr Gelbe als Weiße. Ob das Mourinho merkt? Oder ist das so üblich bei Heimspielen?

Übrigens, Borussia ist der latinisierte Name des ehemaligen deutschen Königreichs Preußen.

Ob das jeder im Stadion weiß? Ist ja auch egal.

Allerdings: Die Borussia – Stiftung und Kulturgemeinschaft Olsztyn / Allenstein ist eine auf kulturellem Gebiet tätige Nichtregierungsorganisation im Nordosten Polens.

Uns so schließt sich schön der Kreis zu den frühen Gastarbeitern in den Ruhrzechen, die heute so schön den deutschen Fußball speisen.

Auf dem Rasen ist nicht so viel los, da kann ich weiter wiki-en.

Auweia, hingefallen isser.

Und so kanns kommen. Viva l’Espagna, viva Don Carlos.

Eigentlich wollte ich schreiben, dass mir bei „Borussia“ auch Diederich Heßling einfällt, obwohl der Teutone war. Egal, derselbe Krempel.

„Kollektiv“, lange nicht gehört, dieses schöne Wort. Nun Pausentee, wie wir Reporter sagen.

Ob der Hoeneß den Götze von der Steuer absetzen kann?

Aha: Die dritte Borussia der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (Hapag) war ein von der Krupp´schen Germaniawerft in Kiel gebautes Einzelschiff, das als Truppentransport- oder Auswandererschiff eingesetzt werden sollte.
Am 22. Oktober 1907 kenterte die Borussia bei der Kohlenübernahme auf dem Tejo nahe Lissabon. Drei Personen kamen dabei ums Leben.
Und wer kommt aus Lissabon? Richtig. Ein schlechtes Omen.

Die schönen Tage von Aranjuez sind für Borussia erstmal vorbei. Können Sie mir folgen?

Der Palacio Real de Aranjuez (span. „Königlicher Palast von Aranjuez“) ist ein Schloss in der gleichnamigen Stadt in Spanien, ca. 50 Kilometer südlich von Madrid.

Was der Löw so erzählt … Was ist der eigentlich von Beruf?

Die Frisur von dem Reus hab ich in den achtziger Jahren mal gesehen.

Viva Polonie! Aber die Bäuche könn’se wieder einpacken bitte.

Wenn man eine gelbe Karte bekommt, kann man die dann behalten?

Hoijoijoi …

Und ne vernünftige Frisur hat er auch, der Reinmacher.

K. S.
Noch ein Tor darf er aber nicht schießen, sonst wird er von Bayern gekauft.

„Ich werde nie zum FC Bayern gehen …“

Ohne seinen Migrationshintergrund sähe der teutsche Fußball ziemlich alt aus.

Der Reporter bemerkt, dass B. noch richtig was draufgelegt hat nach der Pause. Das überrascht mich nun doch.

Drei Ecken, ein Elfmeter. Das würde das Spiel aufwerten, fernsehtechnisch.

Nein, kein Elfmeter, höchstens neun.

Angesichts der wirtschaftlichen Gesamtsituation in Europa wären ein paar spanische Tore nun angebracht.

Zu Zeiten Philip II. war Madrid übrigens der Mittelpunkt der Welt, machtpolitisch gesehen. Ist aber schon eine Weile her.

Herr Reus hätte sich aber „Gelb“ reichlich verdient.

K. M.
Ich lese parallel den live Kommentar von der Konkurrenz – deiner ist amüsanter – nur weiter so 🙂

Ich hätte Don Carlos eingewechselt. Kaka, das klingt ja albern.

Großes Theater. An welches Haus geht der denn in München?

Was den Franzosen die Algerier, ist dem Ruhrpott offenbar Schlesien.

Blöd ist ja, dass man am Ende gar nicht weiß, wer weitergekommen ist. Könn die das nicht gleich ausspielen? Kann mich doch unmöglich nochmal so lange vor die Glotze setzen.

Wenn einer so große Handschuh hat, ist es ja auch kein Wunder, dass der alles hält.

Aha, er hat also schon an drei Paraden teilgenommen.

Wenn einer „Kevin“ heißt, kann man getrost Landsmann zu ihm sagen.

K. M.
Kriegst Du das beim Endspiel als Livestream-Hörbuch hin?

Bei schönen Frauen bin ich willenlos. (Offtopic)

Schieber, Schieber … hab ich früher auch gerufen, als der BFC immer in Dresden gewonnen hat.

„Schluss, aus, vorbei“. Welch überraschende Worte zum Ende. „Der Wahnsinn“. Auch das.

Dann also im Finale doch Preußen gegen Bayern. Dann könn die aber auch in Leipzig spielen. Spart Reisekosten, und die Hütte dort ist eh leer.

Freuen wir uns nun auf das Livekabarett mit Ollie & Ollie.

Ich sollte übrigens auch mal Oliver heißen, der Kelch ging aber an mir vorüber.

Ein 4:1 ist allerdings kein 4:0, das wollte ich nur mal gesagt haben.

Ach, Ollie … Ein Sakko wie von Präsent20 und dann noch reden über Dinge, zu denen Dir der Zugang fehlt … Aber rechnen geht.

„Ja gut, äh …“ Mir hat schon was gefehlt. Obwohl der Froanz gar nicht dabei ist. Das Bullshit-Bingo kann beginnen.

Ollie hat genau beobachtet. Er ist ja auch ZDF-Experte von Beruf.

Und das 2:1 war doch Abseits, sagt der Sessel-Experte.

Tänzerisch ist das 3:1 aber zwei Tore wert, das gleicht sich also wieder aus.

Hat der Welke eigentlich einen Hals? Fällt mir grad so auf.

Wir müssen gucken. Genau. Erst mal gucken, dann mal sehn.

Vollmond, nicht im Fernsehen, sondern draußen. Schön.

Im Gegensatz zum Blödel-TV muss man bei der Quiz-Frage richtig nachdenken. Gab’s zu Netzers Zeiten schon die Champignon-Liga?

Ich bin emotional ein Bayern-Fan. Keine Ahnung warum.

Dante … auch ein schöner Name.

Ach, Rüberie … tu es grand.

Darf man hier „Schweinchenbesteiger“ schreiben? Ich mag den einfach nicht.

Karl-Heinz will sich den FC Bayern nicht ohne Hoeneß vorstellen. Ja gut, äh, aber im Knast hat man doch auch fernsehen?

Herr Mourinho hat es nicht genau gesehen. Hätte TV gucken sollen.

Also: Die Borussia ist nicht vor Lissabon gesunken, Preußens Glanz strahlt durchaus.

Jetzt reicht es aber mit Fußball. Zurück in die Funkhäuser.