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Kriminelle Marokkaner sind in Deutschland Einzelfälle?
Die Sächsische Zeitung weiß es besser
Guten Tag Herr Oliver Reinhard,
Sie sind – so ist zu vermuten – ausgebildeter Journalist und als solcher bei der Sächsischen Zeitung gelegentlich auch für den Kommentar auf Seite 1 verantwortlich, sicher einer der wichtigeren Beiträge des Blattes. Gestern (am 10.12.16) war nun die Tatsache zu bewerten, daß „postfaktisch“ zum Wort des Jahres gekürt wurde. Da kann man sicher geteilter Meinung sein, auch wenn ich das Gegenargument „akademisch und volksmittenfern“ abwegig finde (es geht hier ja nicht um den Grand Prix der Volksmusik). Geschenkt, dazu ist ein Kommentar da, daß er Meinung vertritt.
Aber etwas anderes schlägt mir aufs Gemüt: Um den Lesern nahezubringen, um was es eigentlich geht, schreiben Sie anfangs Ihres Beitrages vier Sätze auf, die Sie dann im nächsten Absatz als „sämtlich falsch“ verdammen. Bei den ersten drei können wir uns sicher einigen, auch wenn die Welt sich nur selten in einem Satz erklären lässt. Nur der vierte besteht in der hier gewählten Überschrift, wenn auch ohne Fragezeichen.
Wenn dieser Satz, Herr Reinhard, falsch ist, wird vermutlich die Umkehrung richtig sein? „Kriminelle Marokkaner sind in Deutschland der Regelfall“, oder zugespitzt: „Der Marokkaner in Deutschland ist kriminell“.
Das haben Sie nicht so gemeint? „Gut geschrieben ist gut gedacht“ hat mal Kurt Tucholsky gesagt, hier gilt natürlich auch der Umkehrschluss.
Oder gehört das zur schon seit Monaten spürbaren Strategie der SZ, den Teil der Leserschaft, der sich auch mal montags im Stadtzentrum sehen lässt, wenn Vati wieder seinen Lebensfrust Gassi führen will, nicht zu verprellen? Dann wäre es mehr als nur ärgerlich, nämlich schäbig.
Die Pointe, Herr Reinhard, findet sich jedoch im gleichen Blatt, auf Seite 4, oberhalb des Impressums: „Geert Wilders wegen Diskriminierung von Marokkanern verurteilt“ heißt es da. Wenn der CvD das mit Absicht gemacht hat: Chapeau! Wenn nicht, wacht dann vielleicht doch ein guter Geist über der Ostra-Allee und verhindert manchmal das Schlimmste.

Gewogen und Befunden
„360 Gramm Dresden“, eine neue Zeitschrift aus Dresden auf der Waage
Mut hamseja, die jungen Leute … Allseits wird der Niedergang der Print-Medien beklagt und vorauseilend vollzogen, da gründen die eine Zeitschrift. Auf Papier, oder Totholz, wie der Digital-Schnösel sagt.
…
Trotzdem: Ein gelungenes Experiment, dem ein langer Atem zu wünschen ist. Das zweite (bzw. nächste) Heft ist immer das Schwerste, aber es lohnt den Versuch. Nicht nur, weil es sich so bezaubernd anfasst.
Der ganze Text hier:
http://www.kultura-extra.de/literatur/spezial/kurzportrait_360gramm.php
So geht Sächsische Zeitung
Nichts ist so ärgerlich wie die Zeitung von gestern
Eigentlich geht der Spruch anders, aber angesichts des nachträglichen Durchblätterns der „Sächsischen Zeitung“ vom Freitag, dem 4. März 16 schien mir diese Form angebrachter.
Man ist ja einiges gewohnt vom Bezirksorgan, aber eine derartige Häufung von Fehlleistungen und Anbiederungen ist schon bemerkenswert: Kann man den Kurzbericht über den Antrag der Linksfraktion im Landtag zur Beendigung der eindeutige Assoziationen hervorrufenden Image-Kampagne „So geht sächsisch“ noch informativ nennen, auch weil CDU-Generalsekretär mit seiner ganzen argumentativen Kraft gegenhalten darf („die Idee war damals richtig und ist heute immer noch richtig“), nimmt man den Rest des Blattes mit einer Mischung aus Unbehagen, Belustigung und Mitleid zur Kenntnis.
Natürlich hängt auch die SZ ihr Mäntelchen in den Shitstorm gegen Minister Dulig, der schlicht neben der Würdigung der Leistungen der Polizei ein paar richtige Fragen gestellt hat. Da darf ihm jeder einschließlich des Kommentators, der ein „in-die-Hose-gehen“ bescheinigt, mal ans Bein pinkeln (um auf diesem sprachlichen Niveau zu bleiben). CDU-Fraktionschef Kupfer wünscht sich bei dieser Gelegenheit ein härteres Durchgreifen, ein anderer harter Mann aus der Fraktion stellt fest, daß Dulig als Minister gar nicht zuständig wäre (und demzufolge den Mund zu halten habe?). Auch die Gewerkschaften der Polizei kommen zu Wort, daß eine davon sich ihrer Empörung in der „Jungen Freiheit“ Luft machte, scheint der SZ nicht erwähnenswert. Passend dazu wird Dresdens neuer Polizeichef mit der Aussage umschwärmt, daß er sich „als Chef der schlagkräftigen Truppe (SEK) im Pflastersteinhagel der Neustadt“ bewährt habe und auf solche Erfahrungen nun wohl zurückgreifen müsse. Na dann, Visier runter und Knüppel frei, und Waidmanns Heil auf allen Wegen.
Im Artikel darüber wird dann die Inhaberin einer „Lockvogel-Agentur“ porträtiert, das Thema hatte die MoPo schon vor Wochen durchgekaut, aber Recycling ist ja etwas Gutes.
Ich gebe zu, ich bin ein wenig voreingenommen. Aber wenn mir auf der Titelseite ein in Dresden weltbekanntes Doppelkinn unter der vollen Pracht seines Haupthaares entgegenschmunzelt, auf Augenhöhe mit einem von mir geschätzten Autor, und sich aus dem Text ergibt, daß beide nun wechselweise eine Kolumne unter dem Titel „Besorgte Bürger“ schreiben werden, darf ich auf Verständnis hoffen für meine Übellaunigkeit. Zumal Patzelt sich in seinem Beitrag wiedermal als Allgemeinplatzwart der politischen Diskussion erweist und sich an den Begriffen „Gutmensch“ und „besorgter Bürger“ wunddefiniert, aber wenig Sachdienliches beizutragen hat. Mal sehen, was Michael Bittner (der seinen Mitkolumnisten laut SZ schätzen soll) am nächsten Freitag gegenhält, sonderlich hoch hängt die Latte ja nicht.
Die Laune wird auch nicht besser, wenn man die halbe Seite liest, die die SZ dem AfD-Stadtrats-Fraktionschef Vogel einräumt und es dabei fertigbringt, nicht eine einzige kritische (Nach-) Frage zu stellen. So darf Vogel ungerührt behaupten, daß in Dresden eine ungleiche Behandlung von Extremen herrsche (ja, der meint das tatsächlich andersrum) und daß er zwar keine Berührungsängste mit Pegida habe, Bachmann und Festerling aber nicht bewerten wolle, weil das ja keine Dresdner seien. Und einerseits erklärt sich der seltsame Vogel (nur) für Kommunales zuständig, fordert aber andererseits härtere Strafen für Drogendelikte. Daß er einen aus Niedersachsen stammenden Stadtpolitiker als „Beispiel von nicht gelungener Integration“ bezeichnen darf, entspricht vermutlich zumindest dem Humorniveau der SZ. Und in Monaco sei es sehr sauber, deswegen müsse auch die Neustadt videoüberwacht werden. Ah, ja.
Kulturell war die SZ – von Ausnahmen abgesehen – nie eine große Leuchte. Daß es ihr aber gelingt, im Vorbericht zur Premiere von „Unterwerfung“ den Autor Michel Houellebecq und die vertriebene Frau Steinbach in einem Atemzug zu nennen, macht schon fassungslos. Zumal die Beschreibungen wie geschmacklos oder hetzerisch für deren ekelhaften Twitter-Beitrag im Konjunktiv geschildert und auf eine Stufe mit den Vorwürfen gegen das im vorigen Jahr erschienene Buch gestellt werden. Auf so eine dämliche Idee muss man erstmal kommen. Zumindest das nötigt mir fast schon wieder Respekt ab.
Der Vorteil einer Zeitung gegenüber dem Radio ist es, daß man damit auch eine störende Fliege bei Bedarf erschlagen kann. Im Falle der Sächsischen Zeitung spricht vieles dafür, die Fliege in Kauf zu nehmen.

Paps ist weg.
In meinem Kunst-Leistungskurs ist jetzt Bild-Interpretation dran. Dazu habe ich mir ein aktuelles Werk ausgesucht, und Frau Binder-Strich war damit einverstanden.
Es handelt sich um eine großformatige Fotografie, die vier Menschen in ihrer Freizeit darstellt. Sie ist gerade häufig zu sehen, z. B. an Bushaltestellen, aber auch auf Plakatwänden. In der Mitte des Bildes, also im Zentrum, Frau Binder-Strich, sitzt ein junger, gutaussehender Mann in einem weißen Sporthemd. Er lächelt fröhlich, doch wenn man länger hinschaut, denkt man, dass er sich fürchtet.
Das liegt sicher an den schwarz gekleideten und tätowierten Männern, die ihn umrahmen. Mein Paps hat gesagt, die sähen alle „underfucked“ aus und dass sich zwei davon mit dieser Situation sicher schon seit Jahren abgefunden hätten und nunmehr ausschließlich Selbstbediener wären. Nur der Taschendieb rechts außen wäre noch spitz, wie er als Psychiater sagen würde. Ich weiß nicht genau, was er damit meint, aber mein Paps ist der Beste der Welt und hat fast immer recht.
Die drei Männer blicken ernst zum Betrachter, man könnte fast drohend sagen. Ich weiß nicht, was ich denen getan haben sollte, aber mein Paps sagt, bei den Hells Angels wäre das nun mal so. Komisch.
Die Szene spielt in einer Gastwirtschaft. Es sind ein Tresen, Gläser und Pokale zu erkennen. Mein Paps hat gesagt, dass es in einer solchen Kneipe nach kaltem Rauch und schalen Bier riechen würde, und nach Männerfüßen, und dass er da früher auch manchmal hingegangen wäre, aber heute nicht mehr. Und für Mädchen wäre das sowieso nichts. Mutsch hat da auf einmal ganz seltsam geguckt.
Der Künstler hat in den rechten unteren Bildrand einen Bierdeckel hineinkopiert. Auf dem steht: „Respekt muss man sich verdienen“. Ich glaube, es geht darum, dass man sich anständig anziehen soll, zum Beispiel, und immer die Wahrheit sagen muss. Paps meint, es ginge da eher um Gewalt, und dass die Leute auf dem Bild eine eindeutige Haltung dazu hätten. Ich weiß das nicht, aber da mein Paps mir verboten hat, in solche Kneipen zu gehen, kann ich das auch nicht herausfinden.
Paps hat dann kurz überlegt und noch gesagt, dass wir alle dem Künstler sehr viel Geld dafür gezahlt hätten, damit er dieses Foto macht. Wir hätten uns das zwar nicht aussuchen können, aber da gäbe es halt Menschen, die das für uns entscheiden, weil sie so einen Job haben und dafür unser Geld bekommen.
Und dass – Paps wurde plötzlich ziemlich laut, was ich sonst gar nicht von ihm kenne – „dieser overfuckte Wichser“ sicher in einem schicken Loft in Berlin säße, seine krokodillederummantelten Füße auf dem Tisch liegen habe, mit der einen Hand einen Joint drehen, mit der anderen sich einen runterholen würde und dabei was von antirezeptiver Bildsprache und unkonventioneller Zielgruppenfokussierung in seinen Milchkaffeebart brabbeln würde. Mutsch sah jetzt sehr erschrocken aus.
Weil das nämlich – Paps sprach immer noch mit sehr lauter Stimme – eigentlich Werbung sei und keine Kunst, was allerdings lächerlich wäre, weil man da auch in Nordkorea für Reis oder bei Drogenabhängigen für Heroin werben könne. Und dass offenbar jeder seinen Ego-Trip auf Kosten der Allgemeinheit ausleben könne, wenn er nur weit oben genug säße.
Und auf einmal ist mein lieber Paps ganz fürchterlich wütend geworden, hat gebrüllt, dass er diesen Dreck nicht mehr sehen wolle und den nagelneuen Flachschirmer aus dem Fenster geworfen. Dabei lief doch grad die „Sportschau“.
Und dann ist mein Paps in den Hobbykeller gegangen, hat die alte Kalaschnikow aus dem Schrank geholt, den Hybrid gestartet, Mutsch und mich traurig angesehen, etwas von „Einer muss es ja machen“ gemurmelt und ist weggefahren.
Ich habe keine Ahnung, was er vor hat. Aber die Mutsch weint seitdem nur noch.