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Vorsicht: Wahlkampf!
Die Fortsetzung der Betrachtung zur Unabhängigkeit von Dirk Hilbert (FDP)
Vorab ein Verbraucherhinweis: Im folgenden Text ist Wahlkampf drin. Wahlkampf kann Sie zum Nachdenken bringen, klüger machen und im schlimmsten Falle sogar Ihre Entscheidungen beeinflussen.
Ich halte diesen Hinweis für notwendig, weil in den dankenswert zahlreichen Reaktionen auf meinen Beitrag „Eine ganz spezielle Form des Wahlbetrugs“ gelegentlich der Vorwurf aufkam, das wäre Wahlkampf.
Ja Herrschaftszeiten, was denn sonst? Eine Neuinterpretation der Verse von Walther von der Vogelweide? Eine Sammlung Kochrezepte? Fußballer-Philosophie?
Zudem ist es seltsam, „Wahlkampf“ als Vorwurf zu gebrauchen. Gehört sich das nicht? Ist Wahlkampf (zumindest der von den anderen) unanständig? Und, verehrter Herr Hilbert, wenn Sie in Ihrer Anmerkung auf Facebook meinem Beitrag „Wahlkampfrhetorik“ zuerkennen, wäre es schön, wenn Sie diese dritte Art der Rhetorik (ich kenne bislang nur gute oder schlechte) auch erklären. Ist das etwa eine, wo man es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen muss …? Ich will da nichts unterstellen, aber da fällt mir das Stichwort „Vollbeschäftigung“ ein.
Die bisherigen Reaktionen auf meine Einlassung auf den verschiedenen Kanälen waren, wenn sie als Text formuliert wurden, meist Widersprüche (die in Summe etwa dreißig Likes nehm ich trotzdem gern zur Kenntnis). Das ist auch nicht weiter verwunderlich, für Widerworte ist auch bei mir der Antrieb höher.
Prinzipiell lassen sich die Argumente in drei Punkten zusammenfassen: Dirk Hilbert hätte 1. als Vertreter von Frau Orosz einen guten Job gemacht und es wäre 2. doch egal, ob er sein Parteibuch schamhaft verstecke. 3. schließlich wäre es dringend notwendig, der rotgrünroten Stadtratsmehrheit einen Bremsklotz zu verabreichen.
Zu 1. kann man sicher geteilter Meinung sein: Für mich hat Hilbert in dieser Zeit das Mutti-Prinzip konsequent angewendet, viel vorangekommen ist (auch) in dieser Zeit nicht. Und wie er künftig zu agieren gedenkt, konnte man an seinem Veto zum Thema Lustgarten gut erkennen. Mit dem von mir kritisierten Sachverhalt hat diese Tatsache allerdings rein gar nichts zu tun.
Herr Hilbert, soviel zu Punkt 2, ist auf dem FDP-Ticket Bürgermeister geworden und es auf FDP-Ticket (und durch einen taktischen Rückzug für den zweiten Wahlgang) vor sieben Jahren geblieben. Dass er nun, kurz vor der Wahl, sein politisches Coming-Out erlebt, seine Unabhängigkeit entdeckt und die Parteifreunde auf Distanz hält, weil mit derem Label kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist, halte ich für Etikettenschwindel.
Herr Zastrow hat mit seinem ungeschickten Gruppen-Selfie dankenswert klar gemacht, wer im Windschatten von Herrn Hilbert in die Stadtspitze einziehen würde. Und ich persönlich bin sehr froh, dass Holger Zastrow sowohl im Land als auch in der Stadt seinen Einfluss verloren hat.
Herr Hilbert schreibt übrigens in seiner Replik: „… Genauso begeistert unterstützen mich Handwerker, Kleingärtner, Künstler, Sportler usw. – sprich Dresdens Bürger!“ Nun kann man die FDP sicher für eine Berufsvereinigung oder einen Freizeitclub halten, nur bislang fungiert sie als politische Partei. Das sollte ein „unabhängiger Kandidat“ wissen.
Der Kern ist allerdings der letzte Punkt. FDP (und CDU) betrachten die letzte Wahl zum Stadtrat immer noch als Betriebsunfall, der sie unrechtmäßig von der ihnen hier zustehenden Macht in der Stadt abklemmte. Und so versucht man bis zur nächsten Wahl soviel wie möglich an Veränderungen zu verhindern, ob nun mit den Bemühungen, Bürgerentscheide zu initiieren oder mit der Besetzung des OB-Sessels. Das ist natürlich nachvollziehbar, aber ob es im Interesse der Stadtentwicklung ist, glaube ich nicht.
Alle, die meinen, die Stadtratsmehrheit bräuchte ein Gegengewicht, schätzen den Unterhaltungswert des Rates wohl höher als seine Gestaltungsfunktion. Aber ein Patt ist in der Demokratie kein guter Zustand, da passiert nämlich nicht viel.
Ich persönlich wünsche mir, dass Dresden in den nächsten Jahren die Chance hat, durch eine Gestaltungsmehrheit aus Bürgermeistern und Stadtrat jene Entscheidungen zu treffen, für die sie gewählt worden sind.

Eine sehr spezielle Form von Wahlbetrug
Der unabhängige Kandidat Dirk Hilbert und die Dresdner FDP
Nein, dass die Herren der Dresdner FDP nicht clever wären und ihre Schritte nicht (vor allem werbe-) strategisch sorgfältig planen würden, habe ich nie behauptet. So glaube ich auch nicht an einen Zufall, der Herrn Holger Zastrow am 13. Mai auf facebook fröhlich vom „Liberalen Maifest“ in einem Dresdner Mittelklassehotel grüßen ließ, mit einem Gruppen-Selfie, wie man das heute halt so macht.
Das Fest sei ihm gegönnt, so viel zu lachen hat man als FDP-Mitglied heutzutage nicht mehr, und den Mienen einiger Abgebildeter nach gab es ja auch etwas Anständiges zu trinken, wenn nicht gar zu rauchen.
Interessant war allerdings, welcher Begleittext das Gruppenfoto zierte: „Viele Grüße vom Liberalen Maifest der FDP Dresden mit unserem OB-Kandidaten Dirk Hilbert. Gewohnt kämpferisch und nicht nur angesichts aktueller Umfragen bestens gestimmt, gehts in die heiße Phase im Dresdner OB-Wahlkampf. Läuft! #obwdd #FDP“.
Moment mal. Meint er jenen Dirk Hilbert, der laut amtlicher Veröffentlichung der Landeshauptstadt Dresden einen Tag zuvor bis zum Stichtag genug Unterstützerunterschriften gesammelt habe, um als Kandidat zur OB-Wahl zugelassen zu werden? Der als Erster Bürgermeister seine Parteimitgliedschaft ruhen lässt, um ein Kandidat für alle Dresdner zu sein? Dessen Wahlplakate in den Dresdner Stadtfarben gehalten sind, aber jeglichen Parteiverweis vermissen lassen?
Ich hab nochmal nachgesehen, vorsichtshalber, man will ja nichts Falsches behaupten. Aber es gibt tatsächlich nur einen Dirk Hilbert unter den sechs Bewerber_innen für das Amt. Dann wird er es wohl doch sein.
Nun wird die Dresdner FDP wissen, dass sie als Stadtratspartei ohne weiteres einen Kandidaten zur Wahl hätte aufstellen können, ohne mühevoll 240 Unterschriften einzutreiben. Daran kann es nicht liegen.
Doch erinnern wir uns: Herr Zastrow kommt aus der werbenden Zunft und hat schon oft das schlechte Bild „der Marke FDP“ beklagt (völlig zu Recht übrigens, auch wenn wir über die Gründe sicher sehr verschiedener Ansicht sind). Logisch, dass man dieses tote Pferd nicht reiten will im Wahlkampf. Zumal in einem, in dem die FDP – durch welch seltsame Fügungen auch immer – die Chance hat, einen OB-Posten in einer Halbmillionenstadt mit einem Parteimitglied zu besetzen.
Also ist Camouflage angesagt. Der Kandidat gibt sich überparteilich und unabhängig – die Parteilogistik wird er sicher dennoch in Anspruch nehmen. Und nachdem der Text auf dem Wahlzettel feststeht (Herr Hilbert tritt unter dem schönen Titel „Unabhängige Bürger für Dresden“ an), kann man am Tag danach die Katze auch aus dem Sack lassen.
Nun weiß ich über die Abhängigkeiten des Menschen Dirk Hilbert recht wenig, es ist ihm zu wünschen, dass sich jene in (legalen) Grenzen halten, und gutes Essen – wie sein Körperbau nahelegt – ist eine lässliche Sucht. Der Politiker Hilbert hat da aber dann doch einige Verpflichtungen, so ein Wahlkampf will bezahlt werden und das Salär eines Bürgermeisters ist nicht eben fürstlich. Da kommt eine Partei wie die immer noch recht vermögende FDP im Hintergrund sicher recht.
Nur wird damit die Beschreibung auf dem Wahlzettel zur Mogelpackung, wo Hilbert draufsteht, ist FDP drin. Seit dem Trojanischen Krieg weiß man um die Wirksamkeit solcher Tarnungen, und auch wenn es mir fernliegt, Herrn Hilbert mit einem hohlen Holzpferd zu vergleichen, entspricht dies sicher nicht dem Geist des Wahlgesetzes. Deswegen auch die harte Zueignung einer „sehr speziellen Form des Wahlbetrugs“, denn „Schummelei“ klingt mir dann doch zu harmlos. Vermutlich mag das alles halbwegs rechtens sein (und wenn nicht, wie im Fall Töberich, scheint es den FDP-Protagonisten auch egal), aber sauber ist es nicht.
Dresden ist ja immer für eine Provinzposse gut, und so könnte es durchaus dazu kommen, dass die FDP eine wichtige Wahl gewinnt, weil sich ihr Kandidat alle Mühe gibt, nicht mit ihr in Verbindung gebracht zu werden. Über seine fachliche Eignung mag man streiten, für mich hat er in immerhin schon vierzehn Jahren Wirtschaftsbürgermeister nicht viel gerissen, Dresden hängt inzwischen deutlich hinter Leipzig zurück. Richtig große Schnitzer sind ihm aber auch nicht unterlaufen (wenn man von den Querelen um die Besetzung des Amtsleiters für Wirtschaftsförderung mal absieht), er hat sich offenbar seine Strategie bei Mutti (Merkel) und Vati (Tillich) abgeschaut.
Und da Zwerg Ulberich erkennbar wenig Ambitionen hat, das zünftige Amt des kommandierenden Innen-Generals für Sachsen für den anstrengenden Job eines Dresdner Oberbürgermeisters aufzugeben und seine Rolle als Adabei gefunden zu haben scheint, der traurige Vogel von der AfD und die Tatjana aus dem Land der Finsterlinge sich um den Protestwähleranteil streiten werden und Lara Liqueurs Freibier sicher nicht für eine Mehrheit reicht, bleibt nur Eva-Maria Stange, dieses Szenario zu verhindern.
Jene tritt übrigens auch als Vertreterin einer Wählerinitiative an, macht aber keinen Hehl daraus, welche Parteien sie unterstützen. Und da jene auch die Mehrheit im Stadtrat bilden, wäre ihre Wahl nicht nur wünschenswert, sondern auch hilfreich für eine funktionierende Stadtregierung. Anderenfalls wird künftig jede Stadtratssitzung zur Kraftprobe zwischen dem OB und der Ratsmehrheit, Entscheidungen werden da sicher selten fallen.
PS vom 15.05. zu den Kommentaren:
Im Normalfall bin ich der Ansicht, dass sich jeder für sich selbst blamiert mit seinem Beitrag. Zwei hab ich dann aber doch gelöscht, von einem wirr scheinenden Herrn mit Hut und dem Titel 15. OB-Kandidat und einen, der Frau Stange was mit der SED-Keule überbraten wollte. Das war mir dann doch zu doof.
Zu allem Weiteren gibt es einen neuen Beitrag.
Eine Frau sieht rotgrünrot
Zur Einlassung der Architektin Regine Töberich in der MOPO24 am 13. März 2015
Frau Töberich hat am gestrigen Freitag (dass es ein 13. war, spielt hier wohl keine Rolle) die Welt darüber informiert, dass sie in Bälde den Elbradweg, der über ihr Grundstück am Pieschener Hafen verläuft, dort für die öffentliche Benutzung sperren wird.
Dass sie dies über eine Anzeige in der „MOPO24“, dem Online-Ableger der Dresdner Morgenpost tat, lässt vermuten, dass sie die Hoheit über das Geschriebene behalten wollte, vielleicht weil sie Journalisten keine objektive Berichterstattung zutraut. Dass diese Anzeige täuschend ähnlich einem redaktionellen Beitrag layoutet wurde, wirft allerdings zum einen die Frage auf, ob das extra kostete und zum anderen, was dieser neue Stern am Dresdner Medienhimmel für ein Selbstverständnis hat.
Man merkt aber recht schnell, dass der Beitrag nicht von Redakteuren stammt: So lang sind deren Texte dort nicht und Bilder sind auch keine dabei. Auf immerhin im pdf-Format drei A4-Seiten teilt Frau Töberich ihre Sichtweise zur Bebauung des umstrittenen Geländes mit, was sich in der Schilderung durchaus plausibel liest. Regine Töberich als Besitzerin der Fläche, auf der ihr „Marina Garden“ entstehen soll, fühlt sich getäuscht und hintergangen von der Stadtverwaltung und der neuen rotgrünroten Mehrheit des Stadtrates.
Zweifellos gab es bis vor wenigen Wochen einen gültigen Aufstellungsbeschluss des Stadtrates für einen Bebauungsplan aus dem Jahr 2010, der die Bebauung mit hochwertigem Wohnungen erlaubt hätte. Eine „Jahrhundert“-Flut und eine intensive Diskussion über das Gebiet des Pieschener Hafens später wurde dieser im Januar 2015 durch einen neuen ersetzt, der zugunsten des Hochwasserschutzes und verbleibender Freiräume die Bebauungsmöglichkeiten stark einschränkt.
Frau Töberich nennt das „kriminell“ und beklagt zudem ihre mangelnde Information durch die Stadtverwaltung. Sie setzt diese Tatsache mit einer Enteignung gleich und wirft rot-rot-grünen Politikern „Allmachtsfantasien“ und denen sowie Teilen der Stadtverwaltung „bewusste Täuschung und Betrug“ bzgl. der Hochwasserschutzes vor. (In ihrer Argumentation weist sie ihr Projekt übrigens als einzig wirkliches Bollwerk gegen die GLOBUS-Ansiedlung aus, was dialektisch geschickt ist, und schmiert der Linken und Herrn Hilbert, die man gewiss nicht unter einer Decke vermuten würde, de facto Korruption aufs Schnittchen.)
Man fragt sich natürlich, warum die Frau nicht zur Polizei geht damit, zumal einige Missetäter ihr ja auch namentlich bekannt sind. Sicherlich mag man Bürgermeister Hilbert ungern als einen der Aufrichtigsten unter der Sonne bezeichnen, und wer die stadtverwaltenden Prozesse ein wenig kennt, glaubt ihr die Nicht-Einbeziehung unbesehen.
Dennoch, Demokratie ist, wenn die Mehrheit entscheidet, und für die Folgen daraus gibt es letztlich Gerichte. Ein Gemeinwesen muss sich auch korrigieren dürfen.
Manch privater Grundstückseigentümer mag beklagen, dass die Planungshoheit für Bebauungen bei der kommunalen Verwaltung liegt und Entscheidungen durch gewählte Vertreter_innen des Volkes getroffen werden und nicht nach finanziellem Interesse durch die Immobilienbesitzer selber. Wer das möchte, muss sich anderswo wirtschaftlich betätigen, sollte sich aber etwaiger Transaktionskosten bewusst sein, die in hiesigen Gefilden nur im Ausnahmefall auftreten.
Wenn Frau Töberich einen wirklichen Anspruch auf Entschädigung für eine verlorene Planung und den entgangenen Gewinn hat, wird sie diese auch erhalten, wenn vielleicht auch einige Jahre und Instanzen später. Ohne detaillierte Kenntnis aller Fakten mag ich das nicht beurteilen.
Doch das wird sie wissen, und darum scheint es auch gar nicht zu gehen: Wie weiland Michael Kohlhaas will Regine Töberich „Gerechtigkeit“, oder das, was sie dafür hält. Und mit der Unterbrechung des Elbradwegs auf ihrem Grundstück plant sie eine Strafaktion mit pädagogischem Anspruch, lockt aber zugleich mit der Schenkung des fraglichen Abschnitts an die Stadt, sobald „die massiven Vorwürfe … geklärt sind“ und „Verwaltung und Politik endlich rechtskonform handeln“.
Eine Frau sieht also rotgrünrot. Zum Glück verfügt sie weder über den Körperbau von Charles Bronson noch über dessen filmisches Waffenarsenal, aber Geld immerhin scheint vorhanden zu sein, trotz des anzunehmenden Wertverlustes ihrer Liegenschaften.
Vielleicht sollte sie aber jenes Geld besser für andere Dinge ausgeben, denn bisher wird sie entweder gar nicht oder äußerst schlecht beraten. Ihr persönlicher Rachefeldzug gegen Dirk Hilbert (den die Elbradsperrung kaum persönlich betreffen wird) und Dr. Christian Korndörfer sowie die Politiker_innen der neuen Stadtratsmehrheit, von denen nur Thomas Löser die Ehre einer Erwähnung erfährt, ist zwar im Moment noch unterhaltsam, wird ihr aber nicht nutzen, sondern sie dauerhaft beschädigen. Mit Schaum vor dem Mund setzt man keine Projekte um, das gilt nicht nur für Marina Garden.
Bei Michael Kohlhaas ging die Sache für ihn tragisch aus, immerhin bekam er zuvor seine Gäule zurück. Aber wenn sich Geschichte wiederholt, dann als Farce, und um Leib und Leben geht es hier gottlob nicht.
Freuen wir uns also auf die nächsten Folgen, stellen Popcorn bereit und schalten wieder ein, wenn es heißt: „Frau Töberich schaltet eine Annonce“.
Ach, übrigens, wegen dem Elberadweg, gnä’ Frau: Im Grundgesetz steht „Eigentum verpflichtet“ … Aber wie schon Martin Buchholz fortsetzte, „natürlich zu gar nichts“. Mit solcher Verfassungsfolklore will ich Sie nicht behelligen.
Die Geister, die ich rief … Rückenwind für den Dresdner Stadtrat
Auswertung der vierten „Dresdner Debatte“ zum Integrierten Stadtentwicklungskonzept am 29. Oktober 2014 im Kulturrathaus
Die „Dresdner Debatte“ ist eine relativ neue Form der Bürgerbeteiligung bei Planungsprozessen, die sich wesentlich auf eine Online-Plattform (http://dresdner-debatte.de/) stützt, aber auch auf einige klassische Veranstaltungen und eine Info-Box, den markanten roten Container, der an relevanten Plätzen während der Laufzeit der Debatte aufgestellt und mit fachkundigem Personal besetzt wird, um die Anregungen der Bürger*innen aufzunehmen.
Die Landeshauptstadt hat hierfür schon einiges an Lob erhalten, die Methodik des öffentlichen Dialogs zwischen Politik, Planung und Bevölkerung – ursprünglich für abgegrenzte Planungsräume wie den Neumarkt oder die Innere Neustadt vorgesehen – scheint sich nun auch bei stadtweiten Themen zu bewähren. Und so wurde nach der Diskussion des Verkehrsentwicklungsplanes im letzten Jahr nun das derzeit in Aktualisierung befindliche INSEK behandelt.
INSEK ist weder eine Sondereinheit der Polizei noch der Verband der Insektenfreunde, sondern die verwaltungstechnische Kurzform des „Integrierten Stadtentwicklungskonzepts“, ein Strategiepapier der Landeshauptstadt, das die inhaltliche Richtung der weiteren Entwicklung der Stadt beschreibt und somit den fachlichen Einzelplänen übergeordnet ist, ohne eine rechtliche Verbindlichkeit zu haben. Letztmalig wurde das Konzept im Jahr 2002 beschlossen, bei einem Planungshorizont von zehn Jahren ist es somit höchste Zeit, ein neues zu erarbeiten.
Dies hat die Verwaltung getan und diesen Entwurf im Juni 2014 für vier Wochen den Bürger*innen der Stadt zur Kenntnis und Bewertung gegeben. Am 29. Oktober wurden nun die ersten Ergebnisse durch Baubürgermeister Marx und die mit dem Thema befassten Experten vorgestellt.
Im zur Diskussion gestellten Entwurf sind vier „Zukunftsthemen“ für Dresden definiert worden: Kulturstadt in Europa, Stadt mit Leistungskraft, Lebenswerte sowie Ressourcenschonende Stadt.
Diese wurden mit 30 Zielen der Stadtentwicklung untersetzt und auf 17 definierte Schwerpunkträume von der Innenstadt bis Hellerau angewandt, wobei nicht jedes Thema in jedem Raum eine Rolle spielt. In den einzelnen Schwerpunkträumen wurden auch noch „Schlüsselprojekte“ benannt, die für deren Entwicklung wesentlich sind. Nachlesbar ist das alles auf den Internetseiten der Debatte (http://dresdner-debatte.de/node/1757/informieren) und muss hier nicht im Detail aufgeführt werden.
Die Beteiligung der Bürger*innen wurde ein wenig verklausuliert dargestellt: Knapp 55.000 Seitenaufrufe habe es gegeben, diese allerdings nur von 4.000 verschiedenen IP-Adressen respektive Nutzern (ich nehme aber an, dass ein heimischer Rechner auch manchmal von mehreren Menschen benutzt wurde, insofern waren es vielleicht auch 5.000 Teilnehmer). Jeder Nutzer rief also nach dieser Rechnung im Schnitt die Seiten elfmal auf, was auf eine intensive Beschäftigung mit der Materie schließen lässt.
Durch die Nutzer wurden gut 500 Beiträge hinterlassen (also durch jeden zehnten) und diese Beiträge 650 mal kommentiert sowie 2.700 mal (ähnlich dem sattsam bekannten „Like“) positiv bewertet. Die Verwaltung betrachtete die hohe Anzahl an Kommentaren als Beleg dafür, dass die Plattform auch als Diskussionsforum wahrgenommen wird, dem ist sicher nicht zu widersprechen.
Die Hälfte aller Beiträge wurde dem Thema „Lebenswerte Stadt“ zugeordnet, mit der Schonung der Ressourcen befassten sich rund 20% und mit kulturellen Themen immerhin 15%. Der Rest von 9% betraf die (wirtschaftliche) Leistungskraft der Stadt. Dass in mehr als der Hälfte der Schwerpunkträume die dort definierten Schlüsselprojekte überhaupt nicht thematisiert wurden, sollte den Planern zu denken geben, nur als Zustimmung lässt sich das sicher nicht interpretieren.
Die Auswertung der Beiträge läuft noch, Anfang 2015 soll ein zusammenfassender Bericht vorgelegt werden. Bislang wurden 163 Ideen bzw. Vorschläge heraus aggregiert, wobei die Hälfte davon als nicht relevant für das INSEK oder die Fachverwaltungen bezeichnet wurde. 82 Anregungen sind somit noch in der Prüfung, ob sie Eingang in das Konzept finden sollen.
Natürlich lobte die Stadtverwaltung die fachliche Qualität der Beiträge, alles andere wär auch arg unhöflich gewesen gegenüber den Bürger*innen. Aber dies scheint kein Lippenbekenntnis zu sein: Wie schon bei den vorangegangenen Debatten geben zumindest die im Kurzbericht (http://dresdner-debatte.de/sites/default/files/content-fragment/downloads/abschlussbericht_insek_debatte_kurzfassung_internet.pdf) veröffentlichten Hinweise ein nahezu komplettes Bild der aktuellen Diskussionslage in der Stadt zur weiteren Entwicklung. Und die Vorschläge sind bei weitem nicht als Zustimmung zur bisherigen Stadtpolitik zu bezeichnen, im Gegenteil: In Summe wird ein konsequentes Umsteuern in Richtung von Nachhaltigkeit, sozialer Ausgewogenheit, Ressourcenschonung und Zukunftsfähigkeit gefordert, fast schon verblüffend ist die hohe inhaltliche Übereinstimmung mit den Eckpunkten der Kooperationsvereinbarung der neuen rotgrünroten Gestaltungsmehrheit im Dresdner Stadtrat. (Insofern scheint der Ausgang der Stadtratswahlen doch kein „Betriebsunfall“ zu sein, wie neulich ein CDU-Stadtrat meinte, und diese Bewertung eher einem Wunschdenken zu entspringen.)
Beispielhaft werden einige der allgemeinen Wünsche genannt: Die Förderung lokaler und zeitgenössischer Kunst und Kultur soll ebenso ausgeweitet werden wie jene von bedarfsgerechtem und nutzungsgebundenem Wohnungsbau. Städtische Brachen sollen nicht verbaut, sondern als Grünflächen entwickelt werden und auch für „urban gardening“ zur Verfügung stehen. Die lokale Ökonomie soll bessere Bedingungen erhalten, auch durch alternative Wirtschafts- und Kreislaufsysteme. Die soziale Infrastruktur soll mit dem Neubau von Kinderspiel- und anderen Bewegungsplätzen verbessert werden. Beim Verkehr wurde vor allem der notwendige Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur in allen Aspekten, die Ausweisung von „shared spaces“ sowie die anzustrebende Barrierefreiheit thematisiert, aber auch die Förderung von Carsharing und ähnlichen Modellen.
Allgemein wurde oftmals auch eine höhere Planungskultur in der Stadt mit früherer und breiterer Bürgerbeteiligung angemahnt.
Konkret heißt das dann zum Beispiel, dass in der Innenstadt ein zentraler Busbahnhof errichtet und eine durchgehende Fußgängerzone bis zur Neustadt geschaffen werden soll. Grünflächen sind ebenso auszuweiten wie das Angebot an preiswertem Wohnraum. Mit einer Gestaltungssatzung soll die Entwicklung der Innenstadt besser gelenkt werden. Im Schwerpunktraum Friedrichstadt / Löbtau / Plauen wird die Einrichtung eines Kreativquartiers ebenso verlangt wie die Ausweitung des Weißeritz-Grünzuges in die Stadtteile hinein.
In der Leipziger Vorstadt geht es um den notwendigen Verzicht auf anhängige Großprojekte wie Hafencity und Globus und um bezahlbaren Wohnraum. Im „Umstrukturierungsgebiet Pieschen“ werden die Hufewiesen als Grünfläche sowie der Bau eines Freibades gefordert.
Die Entwicklung des „Campus Dresden“ soll räumlich begrenzt, die Verkehrsverhältnisse vor allem für den Radverkehr verbessert werden. Im „Schwerpunktraum Elbe / Elbwiesen und -altarm“ ist die Freihaltung von Bebauung das wichtigste Thema, aber auch ein Flussschwimmbad wird gefordert.
Diskutiert wurde im mit etwa 150 Zuhörern recht gut gefülltem Saal unter anderem die Frage, ob 4.000 (oder nach meiner Rechnung 5.000) Teilnehmer an der Debatte nun viel oder wenig wären. Auch wenn die Zahl bescheiden klingt, immerhin entspricht sie der Besucherzahl von ca. 100 Bürgerversammlungen. So gerechnet sind auch die 50.000 Euro pro Dresdner Debatte nicht allzu viel.
Dennoch deutete Bürgermeister Marx an, dass die Fortsetzung dieser Beteiligungsform auch eine Frage der Kosten und der städtischen Kapazitäten wäre. Sollen hier die gerufenen Geister wieder heimgeschickt werden, weil man der Vielzahl der Ideen nicht mehr Herr zu werden glaubt?
Da müssen die Alarmglocken läuten in den interessierten Kreisen, denn besser als mit diesem Instrument kommt man kaum an das Gold in den Köpfen der Bürger. Natürlich wird das immer nur ein relativ kleiner, aber aktiver Teil der Bevölkerung sein, der sich hier einbringt, doch das ist bei den klassischen Formen nicht anders und die Zugangshemmnisse sind bei der Online-Debatte deutlich geringer.
Und auch andere Formen haben weiter ihre Berechtigung, so wurde zum Beispiel das in Eigeninitiative entwickelte „Stadt-Camp“ mehrfach erwähnt, und ohne Bürgerversammlungen wird es auch künftig nicht gehen. Dennoch, die Methodik ist sinnvoll, vergleichsweise kostengünstig und ausbaufähig. Und warum sollte ein ähnliches Modell nicht auch zur Meinungsbildung in grundsätzlichen oder konkreten Fragen auf Landes- oder Bundesebene genutzt werden können?
Ein Aspekt darf dabei allerdings nicht vernachlässigt werden: Politik wird damit nicht ersetzt, sondern nur unterstützt. In der Stadt gibt es den demokratisch legitimierten Stadtrat sowie zahlreiche Ortschaftsräte bzw. -beiräte. Dort müssen letztendlich die Entscheidungen getroffen werden, dazu wählen wir die Volksvertreter.
Nur können diese Entscheidungen durch eine vorlaufende Bürgerbeteiligung deutlich besser untersetzt und vorbereitet werden. Dazu ist allerdings ein entsprechender Zeitablauf zu organisieren, der die Hinweise der Bürger*innen nicht erst beisteuert, wenn die Behandlung des Entwurfs bereits in den städtischen Gremien erfolgt, wie beim Verkehrsentwicklungsplan wohl geschehen.
Aus der vierten Dresdner Debatte kommt also offensichtlich ein starker Rückenwind für die aktuelle Stadtratsmehrheit. Nun müssen die konkreten Vorschläge bewertet und gegebenenfalls in das INSEK eingearbeitet werden. Die dabei von der Verwaltung zugesagte Transparenz ist Voraussetzung dafür, dass sich auch bei der nächsten Debatte zahlreiche Menschen beteiligen werden.
Die Stadtbahn kommt: Löbtau – Plauen – Strehlen
Eine Veranstaltung des Stadtplanungsamtes Dresden und der Dresdner Verkehrsbetriebe AG am 7. April 14 im Potthoff-Bau der TU
Im Rahmen der von ca. 100 Menschen (offenbar meist Fachpublikum im Audi Max der ehemaligen HfV) besuchten Veranstaltung wurde das Projekt Löbtau – Plauen/Südvorstadt – Strehlen des Stadtbahnprogramms 2020 vorgestellt. Moderiert wurde von Amtsleiter Stefan Szuggat, vorgetragen haben Jan Bleis und Andreas Neukirch von der DVB.
Die Grundlagen:
Aktuell geht die Stadt von einer Einwohnerzahl im Jahr 2025 von 550.000 aus, die größten Zunahmen werden dabei bei den Schülern (um 40.000) und bei den Älteren über 65 Jahre (um 20.000) erwartet.
Für die von der Planung betroffenen Stadtteile werden durchweg Zuwächse an Einwohnern prognostiziert: Cotta + 11%, Löbtau + 15%, Plauen/Südvorstadt + 7%. Zu berücksichtigen dabei ist auch das neue Gymnasium Südvorstadt (1.300 Schüler) und die Verlegung der 46. Mittelschule (450 Schüler) hierher.
Wesentlicher Faktor für die Verkehrsplanung in diesem Bereich ist zudem die TU Dresden mit aktuell 35.000 Studenten und 6.000 Beschäftigten.
Durch die sehr enge Fixierung der Schüler auf wenige Spitzenstunden und das stark schwankende Verkehrsaufkommen der Studenten ist die Dimensionierung des verkehrlichen Angebots in diesem Korridor nicht ganz einfach und möglichst flexibel zu gestalten. Infrastrukturell benötigt man aber in jedem Falle eine Auslegung an den Spitzenwerten des öffentlichen Verkehrs.
Der Bus (Linie 61) hat trotz des zeitweisen 3-min-Taktes seine Systemgrenze erreicht bzw. (spürbar zum Beispiel zu Vorlesungsbeginn im Wintersemester) überschritten. Eine Stadtbahn wird durch die LHD und die DVB als einzig sinnvolle Lösung der Malaise gesehen.
Nach den aktuellen Berechnungen mit den gängigen Modellen spart die Einführung der Stadtbahn auf dieser Relation durch die Verlagerungseffekte vom MIV (3.800 Fahrgäste mehr am Tag netzweit) vier Millionen Pkw-km pro Jahr, was 1.900 Tonnen CO2 entspricht. Die DVB würde dabei auch noch deutlich wirtschaftlicher produzieren, da sie zehn Busse und (durch eine Neuordnung der Linien) sogar drei Straßenbahnen einspart.
Finanziert wird das Projekt durch eine Bundesförderung, das „Stadtbahnprogramm“, das teilweise das alte GVFG (GemeindeVerkehrsFinanzierungsGesetz) abgelöst hat. Dessen Förderperiode läuft allerdings nur bis 2019, bis dahin müssen die Projekte (in Dresden noch die Umverlegung der Strab zum S-Bahn-Haltepunkt Strehlen und der Wiederaufbau Bühlau – Weißig) abgeschlossen sein.
Zumindest ist das aus heutiger Sicht so, aber da es sich nicht um ein Naturgesetz handelt, wird es sehr darauf ankommen, wie 2018 die politische Situation in Berlin sein wird. Ich hab aber noch nie davon gehört, dass ein begonnenes Projekt dann nicht zu Ende finanziert worden wäre, wenn es die politisch gesetzten Termine gerissen hat.
Die – sinnvolle – Verlängerung des Straßenbahn-Neubaus im weiteren Verlauf der Linie 61 bis zumindest Gruna wird von der DVB bis 2025 angestrebt, hier ist jedoch noch kein Beschluss der Stadt ergangen, geschweige denn ein Topf mit Geld gefunden.
Interessant dabei auch: Ein gemeinsam von Strab und Kfz genutzter Bahnkörper würde (im Allgemeinen) nicht vom Bund gefördert werden, da müssten das Land oder die Stadt einspringen. Das könnte nochmal wichtig werden, siehe die Details später.
Die Umsetzung:
Aktuell läuft die Vorplanung des Projektes, man hat dazu drei Abschnitte gebildet:
N Löbtau bis Fritz-Förster-Platz
Z Zellescher Weg
C Caspar-David-Friedrich-Straße
Mit dem Bau will man Ende 2017 beginnen und (etappenweise) spätestens bis Ende 2019 fertig sein, wegen der Finanzierung.
Die künftige Bedienung soll – sehr elegant, finde ich – in der derzeit favorisierten Variante durch Umverschwenkungen von bereits vorhandenen Linien erfolgen: Die 7 nimmt künftig vom Hauptbahnhof aus den Weg nach Gorbitz nicht mehr über das WTC, sondern über das Nürnberger Ei, die 9 fährt ebenfalls ab dem Hbf über den Zelleschen Weg nach Prohlis. Wichtigste Haltestelle im Bereich wird damit der Nürnberger Platz, es entstehen zahlreiche neue Direktverbindungen zur TU. Dazu bleibt die bisherige Linie 61 im 10-min-Takt erhalten, um den Durchgangsverkehr aufzunehmen. (Die weiteren Auswirkungen im Liniennetz wurden nicht im Detail dargestellt, die 8 dürfte dabei aber einen neuen Endpunkt erhalten.)
Eine andere Variante sieht die Einführung einer neuen Linie 14 von Löbtau nach Strehlen vor, diese wirkt aber etwas systemfremd und bekäme erst mit der Verlängerung nach Gruna einen Sinn.
Die Planungsdetails:
Innerhalb der drei Abschnitte wurde eine grobe Variantenbetrachtung der generell möglichen Querschnitte durchgeführt. In den Abschnitten N und Z wurde die Mittellage der Straßenbahn gegenüber einer Seitenlage präferiert, in der Vorplanung werden nun jeweils zwei prinzipielle Auslegungen untersucht: eigener Bahnkörper für die Strab oder gemeinsame zweite Spur für Strab und Kfz. Erstere hat einen deutlich höheren Platzbedarf, wenn man daneben zwei Kfz-Spuren anordnet, ist aber verkehrstechnisch zu bevorzugen.
Jedoch ist neu eine Variante mit lediglich einer (überbreiten) Kfz-Spur ins Spiel gebracht worden, die im Vergleich zur Zweispurigkeit insgesamt drei Meter sparen würde (zwei normale Spuren à 3,50 m vs. überbreite Spur mit 5 m, das Ganze zweimal). Das hat auch deshalb große Bedeutung, weil man inzwischen festgestellt hat, dass die zu DDR-Zeiten auf dem schon immer für eine Straßenbahn freigehaltenen Mittelstreifen des Zelleschen Wegs mangels Realisierungschance eher aus Verlegenheit gepflanzten Bäume sich prächtig entwickelt haben und nun durchaus erhaltenswert sind. Es gibt inzwischen sogar schon eine Vorplanungsvariante mit besagter überbreiter Kfz-Spur, die die Bäume ungeschoren lässt.
Hier könnte Dresden einmal zeigen, dass die verkehrswissenschaftliche Fakultät nicht nur zufällig in der Stadt beheimatet ist. Bedarfsgerechter Rückbau von Straßeninfrastruktur ist inzwischen nicht nur was für Sonntagsreden, das öffentliche Geld ist knapp, auch und vor allem für den Unterhalt von Straßen, und der Zellesche Weg hat bei weitem nicht mehr die verkehrliche Bedeutung wie vor Eröffnung der BAB 17.
Ein weiterer planerischer Schwerpunkt ist der Nürnberger Platz, vor allem die Anordnung der Haltestellen dort. Hier hat jede der drei Hauptvarianten Vor- und Nachteile, es ist fast schon eine verkehrstechnische Geschmacksfrage, welche man präferiert.
Durch den schmalen Querschnitt der CDF-Straße sind dort auch die planerischen Spielräume gering, der vorgesehene von Kfz befahrbare Bahnkörper wird in diesem Ausnahmefall auch vom Bund finanziert und für die Gestaltung des Wasaplatzes läuft schon das planrechtliche Verfahren, Spektakuläres habe ich nicht entdecken können in der gezeigten Folie.
Erwähnenswert ist natürlich noch die erhebliche Verbesserung für den Fahrradverkehr auf dem Zelleschen Weg, die mit dem Projekt durch die Anlage normgerechter Radverkehrsstreifen einhergeht.
Wichtig ist auch, dass das Projekt natürlich auf der kompletten Strecke einschließlich der Anbindungen an den Bestand als „wesentliche Änderung“ im Sinne der BImSchV gilt und die Anwohner Anspruch auf Lärmschutz haben. Dies wird in der Entwurfsplanung dann durch detaillierte Schallgutachten konkretisiert.
Die konkreten Planungen müssen zu gegebener Zeit alle noch vom Stadtrat beschlossen werden, hier (und in der Bürgerbeteiligung) ist also noch reichlich Gelegenheit zur Einflussnahme.
Dresdner Debatte: Von Zebrastreifen und der Entwicklung des Verkehrs
Die Vorstellung der Ergebnisse der „Dresdner Debatte“ zum Verkehrsentwicklungsplan 2025+ durch das Stadtplanungsamt am 20. März 2014
Man muss (und will) den Mitarbeiter*innen der Dresdner Stadtverwaltung einmal ein Kompliment machen: Sie haben die dritte Dresdner Debatte, diesmal zum aktuellen Verkehrsentwicklungsplan (VEP) für die Landeshauptstadt mit einem Zeithorizont von 2025 „plus“ professionell organisiert, begleitet und deren Ergebnisse – die sich auch inhaltlich sehen lassen können – kompetent verarbeitet zu einem beispielhaften Stück Bürgerbeteiligung.
Parallel zum „klassischen“ Lauf des Entwurfs des VEP (Erstellung durch das zuständige Stadtplanungsamt, Diskussion in den Fachausschüssen des Stadtrats und den Ortsbei- bzw. –schaftsräten und schließlich Beschluss durch den Stadtrat, der noch in dieser Legislaturperiode erfolgen soll) wurde eine Bürgerbeteiligung in Form der „Dresdner Debatte“ initiiert, die nach den eher lokal bezogenen Einsätzen zur Gestaltung des Neumarkts und der Inneren Neustadt nun erstmals bei einem stadtweit relevanten Thema im Herbst 2013 zum Einsatz kam. Die Methode soll hier nicht im Detail erklärt werden, es wird auf die informative Seite http://dresdner-debatte.de/ verwiesen.
Heraus kamen immerhin 930 Anregungen, die dank ihres Sachbezugs fast alle verwertbar waren. Die Hälfte davon betraf eher operative Themen, die jetzt bei den zuständigen Ämtern auf dem Tisch liegen, aber immerhin 450 davon setzten sich mit den Ziel- und Fragestellungen des Verkehrsentwicklungsplans auseinander. Dass gut 300 davon schon (sinngemäß) dort enthalten waren, muss nicht weiter verwundern: Nicht jede*r hat Zeit und Lust, sich die über 200 Seiten des Entwurfs anzutun. Im Gegenteil, es spricht für die Qualität der Vorlage, diese Einbringungen quasi schon vorweggenommen zu haben.
140 Anregungen waren wirklich neu und wurden in der Sichtung dann wegen inhaltlichen Überschneidungen zu 64 Themen aggregiert. Dennoch blieb eine Menge Arbeit für die Verwaltung, diese zu bewerten und mit einer Empfehlung zur weiteren Behandlung zu versehen. Zwei Drittel davon wurden letztlich als „nicht-übernehmenswert“ klassifiziert, was man nach einer Sichtung der Liste auch (zumeist) nachvollziehen kann. Da tauchten z.B. die Idee eines unterirdischen Netzes für den öffentlichen Verkehr auf, oder eine (verkehrstechnisch kontraproduktive) stadtweite „Tempo-30-Zone“, auch Tunnel für alle Hauptstraßen wurden vorgeschlagen. Die Forderung nach einer generellen Kostenfreiheit des ÖPNV passt nicht in die aktuellen politischen Gegebenheiten und birgt auch eine Menge Folgeprobleme, und der Verpflichtung zum Winterdienst auch auf Radwegen steht leider ein aktueller Stadtratsbeschluss entgegen. (Die aufbereiteten Unterlagen liegen inzwischen unter http://ratsinfo.dresden.de/vo0050.php?__kvonr=8145&search=1 zur Einsicht bereit)
Die Highlights der verbliebenen Vorschläge, die – so der Stadtrat das will – nun in den Verkehrsentwicklungsplan Eingang finden werden, sind z.B. die Einrichtung von (dauerhaften) Schließfächern für Gepäck an öffentlichen Orten, die Schaffung von Park&Bike – Flächen zur Kombination von Auto- und Radverkehr, die konsequente Verkehrsberuhigung im Hechtviertel, eine intensivierte Öffentlichkeitsarbeit zur Verkehrsmittelwahl, die Ausweitung der Echtzeitanzeigen an Haltestellen des ÖPNV und – endlich – der vermehrte Einsatz von „Zebrastreifen“ im Dresdner Stadtraum. Bei letzterem war interessant zu erfahren, dass die benachbarte Stadt Radebeul mit einem Zwanzigstel der Einwohner von Dresden über mehr Lösungen dieser Art verfügt. Das bislang vorgebrachte Argument der verkehrsrechtlichen Schwierigkeit scheint also eher vorgeschoben zu sein. Auch Dresden besteht ja genau betrachtet nur aus vielen Radebeuls.
Einige Anregungen, wie eine verbesserte Radmitnahme im öffentlichen Verkehr oder weitere Restriktionen bei der Parkraumausweisung wurden immerhin als Prüfaufträge übernommen, was auch für technisch innovative Ansätze wie die induktive Stromversorgung von Straßenbahnen zum Verzicht auf die Oberleitung in städtebaulich sensiblen Bereichen gilt.
Insgesamt kann man der Stadt Dresden gratulieren: Ihr neuer Verkehrsentwicklungsplan wird nicht nur von der Verwaltung erstellt und den Gremien beschlossen worden sein, sondern trägt dann auch das Prädikat „unter aktiver Beteiligung der Bürgerschaft“. Mit diesem Schwung plant man die vierte Dresdner Debatte, diesmal zur Aktualisierung des „Integrierten Stadtentwicklungskonzepts“ (INSEK), die im Juni 2014 starten soll. Man darf schon jetzt gespannt sein.
Und ja, die Kosten: Nach Auskunft der Verwaltung hat die 3. Dresdner Debatte 35.000 Euro Haushaltsmittel benötigt, wovon 30% gefördert wurden. Auch wenn die Zeitaufwendungen der eigenen Mitarbeiter*innen hier nicht enthalten sind, scheint dies doch recht preiswert für die ohnehin immer wichtigere Beteiligung der Bürger*innen an den Entscheidungsprozessen ihrer Heimatstadt.
Doch die Ergebnisse, die gibt es nicht.
Die Auswertung der 3. „Dresdner Debatte“ zum Verkehrsentwicklungsplan am 9. Dezember 2013 im Verkehrsmuseum war gar keine
Eine schöne Veranstaltung, eigentlich. Hatte meine Vorfreude geweckt, fachlich und auch sonst. Kam auch nur fünf Minuten zu spät.
War in diesen fünf Minuten alles Neue bereits verkündet worden? Denn was danach in zwei Stunden folgte, hätte man – mit wenigen Ausnahmen – auch zum Auftakt des Prozesses sagen können.
Sicher, die LH Dresden hat sich mit der gleichnamigen Debatte ein tolles Instrument gegeben, das zu Recht auch überregional Beachtung findet. Die Berichterstattung, wer wann auf welchem Kongress dazu sprach, nahm gefühlt die erste Stunde in Beschlag. Der Moderator mit Architektenhabitus, dessen Namen ich leider nicht behielt, Herr Szuggat und eine Mitarbeiterin seines Amtes lobpreisten sich gegenseitig, sicher auch angebracht, wenn vielleicht nicht unbedingt in dieser epischen Breite. Dann erklärte Dr. Mohaupt, nach welchen Prämissen und mit welchen Szenarien der Verkehrsentwicklungsplan 2025+ aufgestellt würde, auch das keine wirkliche Neuigkeit.
Dann ging es aber doch mal um die Ergebnisse der Debatte. Die Klickzahlen wurden berichtet (4.500), 2.200 Beteiligte seien es gewesen, 1.200 Beiträge gab es, die allermeisten im Block „Infrastruktur“. Inhalte? Fehlanzeige.
Immerhin wurde vom Wunsch-Modal-Split der Teilnehmerinnen berichtet, die inzwischen übliche Vierteiligkeit wird in Dresden noch zugunsten des Fußverkehrs verschoben. Leider beeilte man sich, dieses interessante Ergebnis gleich als „unrealistisch“ zu relativieren.
Erschwert wurde die Verständlichkeit noch, weil man den obligatorischen Beamer zwar dabei hatte, ihn aber so unglücklich platzierte, dass höchstens die erste Reihe des Podiums die eng beschrifteten Folien lesen konnte.
Wenn nicht die etwa 100 Zuhörer gelegentlich etwas Konkretes nachgefragt hätten, wäre die ganze Sache nur an der Oberfläche verblieben. So erfuhr man immerhin, dass die Stadt auch ohne den Segen des Freistaats an der „Straßenbahnlinie 5 aka. 62“ dranbleiben wolle, für die Situation auf der Bautzner (Land-) Straße im Bereich Bühlau kein wirkliches Konzept habe und an einen kostenlosen ÖPNV für alle nicht gedacht sei.
Zwischen den Zeilen war dann noch zu vernehmen, dass man mit der Auswertung der (nach
Aussagen der Bearbeiter äußerst sachlichen und hochwertigen) Beiträge noch nicht durch wäre. Zumindest kam es so rüber, doch siehe unten.
So, und nun? Die geplante Abschlussveranstaltung wurde absolviert, man kann das Häkchen setzen. Dass diese inhaltsarm blieb, wird im Reporting sicher nicht erwähnt.
Aber warum hat man nicht die Größe, eine Veranstaltung dieser Relevanz mal einfach zu verschieben, wenn man sich noch nicht aussagefähig fühlt? Das Weihnachtsfest in Dresden wäre keinen Deut glanzloser ausgefallen deswegen.
Doch, oh Wunder:
Im heimischen Büro angelangt, rief ich die einschlägige Seite auf, (www.dresdner-debatte.de), und was stand da? Ein 89seitiger Abschlussbericht. Mit allen Fakten, die ich in der Veranstaltung so schmerzlich vermisste, sauber aufbereitet. Im Text finden sich so interessante Sätze wie „Die überwiegende Mehrheit der Teilnehmenden sprach sich gegen einen Ausbau aus und forderte eine zweispurige Straße“. Ratet mal, um welche es geht.
Ach Verwaltung, Deine Wege sind manchmal unergründlich.
Doch mein interner Betriebsrat hat heute schon „Feierabend“ gerufen. Deshalb gibt es in den nächsten Tagen noch einen zweiten Teil, „Die Ergebnisse der Dresdner Debatte zum VEP“. Hier, in diesem Theater. Das ist doch schön, oder?

Mirsinmir.
Albertbrücke, Ende offen
Die Antwort der FDP-Fraktion, die wiederum recht schnell kam, bin ich noch schuldig, und auch einige Anmerkungen dazu, die ich heute auch per mail an Herrn Hintze geschickt habe. Der vorherige mailwechsel findet sich in diversen Blockbeiträgen der letzten zwei Wochen.
Sehr geehrter Herr Hintze,
zwar soll man sich anspruchsvolle Ziele setzen, aber ich bin nicht davon ausgegangen, mit meinen beiden mails ein Umdenken zu bewirken bei der FDP. Davon unabhängig war ich aber doch – pardon – ein wenig überrascht, dass die Ihrerseits vertretene Meinung kompetent mit Fakten untersetzt wurde, auch wenn man bei deren Interpretation durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann.
Es zeigt sich hier aber sehr deutlich, dass in der Politik die grundsätzliche Ausrichtung das (nahezu) Alleinentscheidende ist, wonach man Sachverhalte bewertet. Eine Kostendifferenz von 10 Mio. Euro kann viel oder wenig sein, je nachdem, welchen Maßstab man ansetzt und welche Fördertöpfe man unterstellt. Und die Bedeutung einer Brücke hängt nicht nur von Belegungszahlen ab, sondern auch von einmal postulierten Standpunkten.
Das Thema ist für mich noch lange nicht „durch“, auch weil ich davon ausgehe, dass die „FDP-Variante“ sich als technische Pandorabüchse entpuppen wird, aber es bringt m. E. im Moment nichts, die gleichen Argumente in immer neuer Schüttung und Formulierung auszutauschen. Warten wir also den nächsten Akt ab in dieser Tragikomödie.
Auf einige Fakten möchte ich aber noch einmal näher eingehen:
Der Antwort ist zu entnehmen, dass der Zuschlag im Vergabeverfahren ohnehin nicht hätte erteilt werden können, da bis dato weder eine Förderzusage noch eine Unbedenklichkeitserklärung des SMWAV bzw. der Landesdirektion vorlagen. So sind also alle Beteiligten sehenden Auges auf einen Knall zugesteuert, ohne dieses Thema im Vorfeld klären zu können. Dies spricht nicht für seriöses Verwaltungshandeln, auf beiden Seiten wohlgemerkt. Der Knall ist nun auf andere Art eingetreten, aber rühmlich ist dies nicht zu nennen. Zu lange waren das Thema und vor allem die Probleme dabei bekannt.
Dass die Förderung von Infrastrukturprojekten immer (auch) politischen Überlegungen gehorcht, ist unstrittig. Ich sehe aber weiter die Gefahr, dass sich das derzeit errichtete Finanzierungs-Konstrukt – ob nun durch Eingriffe des Rechnungshofs oder eine Änderung der politischen Gegebenheiten im Freistaat – in Luft auflösen wird, wenn es „zum Schwur kommt“. Die Zeche zahlt dann Dresden, bzw. wir alle werden dies tun müssen.
Die allgemeinen Ausführungen zur Rolle der DVB in der Stadt in der Antwort reizen mich aber dann doch zu massivem Widerspruch. Offenbar sieht die FDP das städtische Verkehrsunternehmen als „Drachen“ wie in Jewgeni Schwarz gleichnamigem Werk, das die Stadt beherrscht, terrorisiert und ihr stetig Opfer abpresst, und sich selbst als Lancelot, der jenem Drachen die Köpfe abschlagen und die Stadt damit befreien will.
Dies ist – mit Verlaub – Unfug. Die DVB hat eine immens wichtige Aufgabe in Dresden, der sie auch meist mehr oder manchmal auch weniger gut nachkommt, nämlich die innerstädtische Mobilität zu sichern. Und dies bei weitem nicht nur für ihre Fahrgäste, sondern auch für den Individualverkehr, dem sie durch die Ersparnis von Millionen Pkw-Fahrten im Jahr die Straßen freihält. Denn das die Bürger ihre persönliche Freiheit, das Auto stehenzulassen, hier verhältnismäßig oft in Anspruch nehmen, kommt ja nicht von ungefähr, sondern davon, dass es attraktive Alternativen gibt.
Sicher kann man über verkehrstechnische Lösungen im Einzelfall unterschiedlicher Meinung sein, aber wer den Stellenwert des ÖPNV scheinbar auf der Ebene des Taxigewerbes sieht, muss sich fragen lassen, ob er sich nicht doch von Ideologie leiten lässt. Dass dem öffentlichen Verkehr ein Vorrecht zusteht in der Nutzung der zur Verfügung stehenden Verkehrsinfrastruktur und bei der Verteilung der knappen Mittel, ist verkehrswissenschaftlich seit Jahrzehnten eine Binsenweisheit, die (verkehrlichen, ökologischen und auch wirtschaftlichen) Gründe dafür sind so oft schon beschrieben und belegt worden, dass ich sie mir hier ersparen kann.
Und so sind die angeblichen (Sonder-) Wünsche der DVB z.B. bei der Gestaltung der Bautzner Straße oder auch beim Stadtbahnprogramm keine Profilierungssucht der maßgeblichen Vertreter dort, sondern schlicht die Notwendigkeiten, die sich aus den Verkehrsbedürfnissen einer wirtschaftlich starken und weiter wachsenden Stadt ergeben. Neben dem Bau von Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen ist eine der städtischen Hauptaufgaben der nächsten Jahre, die Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs zu erhalten und auszubauen, um wettbewerbsfähig zu bleiben und die hiesige hohe Lebensqualität zu sichern. Dresden hat bislang – und es ist bedauerlich, dass damit nicht offensiv geworben wird – bundesweit die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit des MIV aufzuweisen, und dies hat auch mit einem gut ausgebauten Straßennetz, aber vor allem mit einem attraktiven ÖPNV-Angebot zu tun. Ich empfehle allen, die an der Sinnhaftigkeit des Ausbaus des öffentlichen Verkehrs zweifeln, sich Städte ähnlicher Größe in den alten Bundesländern, aber auch in Westeuropa anzuschauen. Auch wenn man dort von einem anderen Level kommt und Stadtbahnsysteme erst in den letzten Jahren entstanden sind, sind die Effekte für die verkehrliche Situation und auch für die innerstädtische Lebensqualität durchweg sehr beeindruckend.
Dass in Dresden auf dem Zelleschen Weg z.B. auch heute noch lediglich Busse fahren, ist ein Anachronismus, der sich nur mit der hiesigen sehr speziellen Situation erklären lässt. Der Bund hat ein „Stadtbahnprogramm 2020“ aufgelegt, und die LH Dresden hat dafür gute und wichtige Projekte angemeldet. Wir sollten froh darüber sein und nicht die nötigen Eigenmittel „einsparen“, die zwanzigfach als Investitionen in die Stadt zurückfließen.
Die Anmerkung übrigens, dass es in den Technischen Werken und den eingeschlossenen Gesellschaften keine Kontrolle der Mittelverwendung gäbe, ist angesichts der Besetzung der Aufsichtsräte dieser Unternehmen schon erstaunlich zu nennen und dürfte auch den dort vertretenen Stadträten nicht nur der FDP nicht behagen.
Ich will am Ende dieses Disputs noch einmal dafür plädieren, die ominöse „Variante 1“ wieder hervorzuholen. Mit einer vergleichsweise kurzen Bauzeit, einem geringstmöglichen Mitteleinsatz und dem weitestgehenden Vermeiden von Baurisiken könnte Dresden sich hier mit einem vernünftigen Kompromiss profilieren, den man leider viel zu oft vermisst hat in der Stadtpolitik der letzten Jahre.
Auch diesen „letzten Akt“ werde ich auf meinem Blog (teichelmauke.me) dokumentieren und unterstelle dabei Ihr Einverständnis.
Bezug: Antwort der FDP-Fraktion vom 30.07.13:
…
vielen Dank für Ihre Antwort und dafür, dass Sie sich die Zeit genommen haben, sich auch mit unseren Argumenten auseinanderzusetzen. Wie Sie ganz richtig feststellen, kann man am Ende einer Diskussion und in der Abwägung der einzelnen Argumente alles im Wesentlichen auf die Frage der verkehrspolitischen Bedeutung und den Auswirkungen einer Vollsperrung herunter brechen. Aus unserer Sicht ist Ihre Schlussfolgerung zur Variante 1 aber durchaus folgerichtig, wenn die Hauptargumente eine möglichst schnelle und preiswerte Sanierung sind (allerdings wäre das für die DVB aufgrund von Umleitungen und Ersatzverkehr sehr kostspielig, weshalb gerade Teile des linksgrünen Stadtrates nicht bereit sind, ihre eigene Argumentation konsequent zu Ende zu denken – dieser politischer Seitenhieb sei mir gestattet). An dieser Stelle sind und bleiben wir aber der Meinung, dass die Brücke zu wichtig ist, um sie voll zu sperren. Wir werden also hier nicht einer Meinung sein, was aber auch nicht notwendig ist.
Ich möchte Ihnen allerdings noch einmal antworten, um Ihnen noch einige Zahlen nachzuliefern, nach denen Sie indirekt noch gefragt haben bzw. Ihnen noch ein paar Argumente zu Ihren Ausführungen geben.
Zum einen sind die in meiner eMail verwendet Zahlen zu 100 Prozent aus den offiziellen Dokumenten der Stadt und nicht durch uns erstellt. Dies betrifft die Kostenschätzungen genauso wie Berechnung der KfZ-Ausweichkilometer in den einzelnen Varianten. Was Ihre Anmerkung zur Entlastung der Albertbrücke nach der Fertigstellung der Waldschlößchenbrücke (WSB) angeht, so habe ich die von Ihnen angesprochene Prognose Zahlen vorliegen. Mit der Eröffnung der WSB werden noch rund 26.000 KfZ über die Albertbrücke fahren (als sogenannter Nullfall, wenn keine Einschränkungen vorliegen). Die wesentlichste Entlastung durch die WSB erfolgt auf dem Blauen Wunder und der Carolabrücke. Die Carolabrücke soll mit der Eröffnung der WSB um über 10.000 Autos am Tag entlastet werden. Sollte parallel die Albertbrücke allerdings gesperrt werden, wird sich diese Entlastung der Carolabrücke in eine Belastung um noch einmal 1.000 Fahrzeuge umkehren. Da die Carolabrücke bereits heute mit über 51.000 Fahrzeugen belastet ist und im Berufsverkehr besonders auf der Neustädter Seite zu massiver Staubildung neigt, wäre eine weitere Mehrbelastung durch Fahrzeuge der Albertbrücke ein Staugarant. Dass die wesentlichen Verkehrsströme der Albertbrücke (bei einer Vollsperrung) eben nicht über die WSB, sondern über die Carolabrücke abfließen, liegt wiederum an der angesprochenen verkehrstechnischen Bedeutung der Albertbrücke, denn diese verbindet eben Neustadt und Altstadt. Der Nord-Süd-Verkehr wird im Wesentlichen heute bereits über die Carolabrücke abgewickelt.
Für die Förderung durch den Freistaat von Gewicht sind neben den aktuellen Verkehrsbelegungszahlen, die aus unserer Sicht die Bedeutung durchaus erklären, die langfristige Bedeutung der Albertbrücke und vor allem ihre Bedeutung auch im zukünftigen Verkehrsplan. So besagt die Verkehrsprognose 2025 der Landeshauptstadt für die Albertbrücke eine Nutzung von rund 30.000 Fahrzeugen voraus (die Verkehrsprognose 2020 besagte noch 29.500). In beiden Prognosen ist die WSB berücksichtigt. In dieser Hinsicht ist aber auch die Förderzusage zu betrachten. Wie von Ihnen ganz richtig dargelegt, besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Planfeststellungsbescheid und dem Fördermittelbescheid. Wenn der Planfeststellungsbescheid allerdings quasi als Grundlage und Begründung für den Fördermittelbescheid benutzt wird, spielen eben doch beide Sachverhalte ineinander, so auch in diesem Fall. Das SMWAV hat sich dazu bereits schriftlich positioniert und der Landeshauptstadt als Antragsteller mitgeteilt, dass es hier rechtliche Bedenken sieht, die vor einem Fördermittelbescheid stehen. Diese Bedenken müssen vor der Erteilung eines förderunschädlichen Maßnahmenbeginns ausgeräumt werden. Auch aus diesem Grund wäre ein Baubeginn nicht mehr möglich gewesen. Die widersprüchlichen Antragsunterlagen der Landeshauptstadt selbst hätten dies verhindert. Im Übrigen enthält nach unserem aktuellen Wissensstand der Fördermittelantrag trotz der Aufforderung der Rechtsaufsicht keine Vorteilsausgleichsvereinbarung mit der DVB. Dies ist ebenfalls kritisch zu hinterfragen.
Ihren Argumenten zur Finanzierung der DVB möchte ich an dieser Stelle nur sehr kurz etwas hinzufügen, weil diese Diskussion hier viel zu weit gehen und jeglichen Rahmen sprengen würde (finanzpolitisch, steuerrechtlich und haushaltsrechtlich). Lassen Sie es mich so ausdrücken: In der öffentlichen Diskussion sind Kosten der DVB immer dann, wenn es um Sonderwünsche der DVB geht „nur“ das Geld der DREWAG und kein städtisches Geld (Beispiel Sanierung Bautzner Straße). Wenn es allerdings um Wünsche der Stadt / des Stadtrates für andere Verkehrsteilnehmer geht, ist es immer „städtisches Geld“ (Beispiel Mehrkosten DVB für Albertbrücke). Sehr interessant wird diese Diskussion und Argumentation, wenn es in den kommenden Jahren zur Finanzierung des Stadtbahnprogrammes, der Oskarstraße und anderer DVB-Wünsche kommt. Für all diese Wünsche im Wert von mehreren hundert Millionen Euro ist kein einziger Cent in der Stadt als Eigenanteil vorgesehen. Es wird interessant sein zu beobachten, wessen Geld es dann sein wird, der diese Wünsche bezahlen soll. – Wobei in der gesamten Diskussion die Auslegung des „Steuerzahlers“ hier immer sehr stark mit dem „Stromkunden“ verwechselt wird. Auf die Neigung eines Teils des Stadtrates, immer mehr Leistungen (wie die Bäder GmbH) in die TWD zu transferieren, weil es dort eben keine Kontrolle und keine „Steuergelder“, sondern nur Gewinne gibt, sei auch nur kurz verwiesen.
… vielen Dank noch einmal für die konstruktive Diskussion. Ich kann Ihnen versichern, dass die große Mehrzahl der an der Diskussion Beteiligten aktuell Beleidigungen mit Argumenten verwechselt. Sollte Sie noch weitere Fragen haben oder gern einige Unterlagen sehen wollen, können Sie sich gern an mich wenden.
Mit freundlichen Grüßen
Steffen Hintze
FDP-Fraktion im Dresdner Stadtrat
Une petite Marseillaise.
Fünf Tage in Marseille, man hat was zu erzählen.
Le premier jour
Reisen kann durchaus angenehm sein. Zum Beispiel, wenn man im Obergeschoss des TGV in einem bequemen Sessel lümmelt, die südfranzösische Landschaft an sich vorbeiziehen lässt und im Reiseführer blättert. Um nichts in der Welt hätte ich fliegen wollen (die Frage nach dem Auto stellte sich erst gar nicht). Acht Uhr morgens in meinem Quartier abgefahren, noch vor zehn Uhr abends die mediterrane Abendluft gespürt. Ein Tag zum Reisen halt, nicht contre la montre, sondern so, dass die Seele noch mithalten kann.
Marseille also.
Purer Zufall, dass es mich jetzt wieder in die Stadt verschlägt, die ich vor zwanzig Jahren schonmal kurz besuchte, als ich für einen Sprachkurs bei der feindlichen Cousine Aix weilte. Aber ein schöner Zufall.
Unentschlossen zwischen den Schönen und aufregenden Städten in Europa, hätte ich wohl ewig zwischen Istanbul und Barcelona, zwischen Rom und Stockholm und zwischen Athen und Lissabon hin und her geschwankt. Eine sollte es sein in diesem Jahr, mindestens.
Nun entschied man also für mich, und ich folgte dankbar.
In der Hektik der letzten Tage vor der Abreise – die mich dann auch noch den Nachtschlaf kosteten, den ich notdürftig im Zug ab Dresden nachholte – hatte ich es versäumt, mir eine grobe Karte der Region, die ich durchfahren würde zu besorgen. Geographisch war ich bislang in anderen Gegenden zuhause, die „hier unten“ sagten mir nicht viel. Strassbourg am Rhein und im Elsass, OK, aber dann fällt die landschaftliche Zuordnung schon schwer. … Mulhouse in der Bourgogne? Hier kämpf ich grad mächtig mit dem Schlaf, die Klärung entfällt.
Lyon an der … Rhone? Keine Ahnung. Aber schön gelegen auf jeden Fall. Und interessante Gebäude, neue wie alte. „Part-Dieu“ heißt der Bahnhof. Teil-Gott (wie Teil-Auto)? Gottesteil? Halbtagsgott? Mein Französisch ist nicht wirklich verhandlungssicher.
Noch knapp zwei Stunden Fahrt. Heute ist Feiertag in Frankreich, hab ich grad bemerkt. Der 8. Mai, wie früher bei uns, auch aus demselben Grund. Das ist schon mal sehr sympathisch. Warum wird das in Deutschland eigentlich nicht mehr mit einem freien Tag begangen? Ach ja, die Weltmarktfähigkeit.
Morgen dagegen kommen wir zu etwas völlig anderem, Himmelfahrt, l’Ascension, wie das hier heißt. Nur am Freitag ist leider nichts.
Während ich so sinniere, breche ich nebenbei meinen eigenen erdgebundenen Geschwindigkeitsrekord. 298 „Ka-Emm pro Ha“, wie wir Experten sagen, wenn wir uns als solche ausweisen wollen. Und dabei ein Fahrverhalten, dass mich angesichts des hohen Schwerpunkts des Doppelstöckers staunen lässt: Das Ding liegt wie ein Brett auf der Schiene.
Kommen wir wieder zu etwas ganz anderem. Meine erste Begegnung mit der französischen Gastronomie findet zwangsläufig an Bord statt. In meinem Paketpreis war außer dem 1. Klasse – Sitz (was angesichts acht Stunden Fahrt und meiner Überlänge eher Notwendigkeit als Luxus ist) auch ein Imbiss enthalten, zur Selbstabholung. Ich schlängele mich also vom Wagen 1, den ich bewohne, durch die fast voll besetzten anderen beiden Erstklasswagen zum Bistro, bemerke dabei, dass man nur oben durchlaufen kann und stehe dann in einem zweckmäßig eingerichteten Raum ohne großes Brimborium. Man versucht gar nicht erst, einen auf frisch gekocht etc. zu machen, das Angebot kommt aus der Dose, Plasteflasche oder ist eingeschweißt. Aber das ist OK, man sollte bei der Zuggastronomie ohnehin die Kirche im Dorf und die Edelköche in ihren Chalets lassen. Mein Menü ist übersichtlich, aber schmackhaft, und ich darf mir einen Rosé dazu wählen. Noch ein Dreieckssandwich – doch deutlich teurer als bei der DB – und ich trolle mich mit einem niedlichen Pappbeutel in meinen Wagen. Auf der Tüte ist grob die Reiseroute dieses TGV von DB und SNCF dargestellt, Paris wird zwar nicht angefahren, muss aber natürlich mit drauf sein.
Die Berge links und rechts werden höher, riesige Brückenbauwerke für die Eisenbahn, nächster Halt Avignon. Ein Bahnhof in luftiger Höhe. Ich assoziiere Papst, Spatz und Helmfrisur, verfolge die Gedanken aber nicht weiter.
Die Unterwegshalte dauern generell meist länger als beim ICE, ein Zeichen dafür, dass man die berechneten Fahrzeiten in Frankreich etwas großzügiger bemisst. Auch so kann man etwas für die Pünktlichkeit tun.
Gelegentlich sind in der Landschaft große Kühltürme versteckt. Frankreich ist auch das Land der Atomenergie. Die sehr niedrigen und kleinen Windräder wirken dagegen eher niedlich. Die deutsche Debatte um den Ausstieg steht den Franzosen sicher noch bevor. Ohne überheblich zu sein: Manche Dinge gehen rechtsrheinisch einfach schneller, die Berge von Verpackungsmüll, die ich aus den Neunzigern von hier noch in Erinnerung habe, sind heute so sicher auch nicht mehr da.
Nun ist es fast völlig dunkel. Ich presse meine Stirn an die Scheibe, aber es sind nur Schemen zu erkennen. Einige Steinbrüche kann ich noch ausmachen, der schneeweiße Kalkstein scheint begehrt zu sein.
Es geht noch schneller: 315 km/h. Korrekterweise muss ich natürlich sofort an die Energiebilanz denken, aber geil isses schon. On roule …
Aix, ach ja. Aix-en-Provence, so viel Zeit muss sein. Als Student quälte ich mich bei gefühlt 40 Grad durch einen vierwöchigen Sprachkurs hier, aber schön war es trotzdem. Die Ausflüge nach Arles, in die Gorges, in die Höhlen … und die Promenade von Aix. Da muss ich unbedingt nochmal hin.
Den futuristisch-schönen TGV-Bahnhof gab es damals noch nicht, wer mit dem Zug nach Aix wollte, musste über Marseille fahren. Das wird den Aix’ern nicht gefallen haben.
Hier stoße ich auch zum ersten Mal auf „Marseille-Provence 2013 capitale européenne de la culture“. Bisschen sperring vielleicht, aber ordentlich ausgesprochen klingt das nach was. Wobei ein FAZ-Speciàl von voriger Woche mir soufflierte, dass man in Aix der Meinung sei, das gar nicht nötig zu haben und nur pro forma mitmache. Na ja, on verra.
Das Ziel kommt näher, nous arrivons à Marseille-St. Charles … Fünf Tage Zeit, eine Stadt zu entdecken. Allez!
Le deuxieme jour
Ein Nachtrag natürlich noch: Auf die Sekunde pünktlich rollte mein Zug ein, eine milde, warme Nachtlust empfing mich. Gefühlt zwanzig Grad mehr als zuhause. Tout va bien.
Auch der nächste Tag ist wie schon berichtet einer zum Feiern. Erstmal die nähere Umgebung erkunden, schmale Straßen, vierstöckige Häuser, verblichener bürgerlicher Charme. Erste Überraschung: Den Boulevard Longchamp schmückt eine Straßenbahn. Wo vor wenigen Jahren noch der übliche embouteillage (Stau, Eselsbrücke: Flaschenhals) herrschte, wie meine Begleitung berichtet, verkehren jetzt futuristische anmutende Stadtbahnen im Fünf-Minuten-Takt (in der Spitzenstunde). 1:0 für Marseille.
Die nächste Überraschung ereilt auch meine Gastgeberin. Man geht halt nicht mit Touristenaugen durchs Viertel, wenn man hier wohnt. Das Palais Longchamp erstrahlt wie neu, auch der Park dahinter wurde stark aufgewertet. Wirklich sehr hübsch gemacht, wenn man von den bonbonfarbenen Plastiktieren mal absieht.
MP13 zeigt sein segensreiches Wirken. Nein, das ist nicht die übernächste Generation der digitalen Musikspeicherung, „Emm-Pe treize“ ist der griffige Kurzname für alles, was heuer mit der Kulturhauptstadt zu tun hat. Das wird mir noch häufig begegnen.
Wie alle Landratten zieht es mich zum Hafen. Dabei ist die Metro behilflich, jede Station soll hier ein gänzlich anderes Aussehen haben. Na gut, es gibt ja auch nur zwei Linien.
Die Station Cinq Avenues Longchamps beeindruckt mich sehr, eine wirkliche Lichtinstallation. Den Wagen der U-Bahn ist die Herkunft aus den Siebzigern deutlicher anzusehen, die warmen Ockertöne lassen mich an Lockenmähnen und Schlaghosen denken. Wird ja sicher bald wieder modern.
Die Wände allerdings weisen Schäden auf, das Grundwasser drückt rein und wird nur notdürftig im Zaum gehalten. Das wird wohl in Kürze ein bisschen was kosten.
Bis vor einigen Jahren war der Vieux Port von Marseille der Sündenpfuhl in Gomorrha. Nepper, Schlepper, Bauernfänger, schmuddelige Kneipen, Kriminaltango. Das ist vorbei, alles ist jetzt trés chic. Segelboote so weit das Auge reicht, eine mondäne Uferpromenade und „gehobene Gastronomie“. Der Tourist wird jetzt eleganter abgezogen. Aber dazu ist er ja auch da, das ist in der Münzgasse nicht anders.
Ein Muss: Das, nun ja, Sonnendach von Norman Foster an der Stirnseite des Quais. Hat der doch einfach eine Fläche von vielleicht 20 mal 40 Meter auf zehn Meter hohe Säulen gestellt und unten verspiegelt? Tolle Effekte, man kann sich z.B. selbst ins Dekollete gucken. Oder auch anderen.
Wir wandern zum Pharo, einem Viertel links der Hafenausfahrt mit Kastell und Palais. Hübsch. Die Sonne brennt, ein Platz im schattigen Café mit Meerblick tut not. Der Kellner mault, als er bemerkt, dass wir unschlüssig sind, ob wir essen wollen. „Jusqu’ 3 heures seulement pour manger“, oder so ähnlich. Na gut. Geteiltes Menü ist halbes Menü.
Meine erste vollwertige französische Mahlzeit: Eine fangfrische Dorade an geschmortem Gemüse und Reis. So kann es weitergehen. Auch der Rosé schmeckt.
Kommen wir zu etwas ganz anderem: Ein kleiner Elektrobus pendelt entlang der Kais des alten Hafens, niedlich und gut für fußlahme Touries. Die supermoderne Fähre, die den Hafen durchqueren soll, tut dies heute mal wieder nicht. Technische Gründe, ah ja. Meine Begleiterin schimpft mit Marseiller Zunge, ich nicke dazu tapfer.
Das MUCEM ist einerseits das Museum der Mittelmeerregion (das früher – warum auch immer – in Paris beheimatet war) und andererseits der ideelle Mittelpunkt der MP13. Leider ist es noch nicht ganz fertig … Nein, ich verkneife mir jeglichen Querverweis.
Immerhin kann man die bauliche Hülle bewundern, ein transparenter Kubus wird von einer zweiten, organisch anmutenden Haut umgeben und durch einen luftigen Steg mit dem Fort Saint-Jean nebenan verbunden.
Direkter Nachbar ist das „Regionale Zentrum des Mittelmeers“, ein nicht nur statisch interessantes Gebäude, dessen oberste Etage unwirklich weit über das Hafenbecken auskragt.
In der Umgebung gibt es weitere Baulichkeiten, die alle zum Projet Euroméditerranée gehören, einem Entwicklungsprogramm für die von alten Docks und heruntergekommenen Stadthäusern geprägte La Joliette. Dies ist langfristiger angelegt, ein Wahrzeichen ist allerdings schon fertig: Der elegant verdrehte Büroturm der Reederei CMA-CGM, entworfen von Zaha Hadid.
Und wieder etwas ganz anderes, man muss es nicht mehr extra erwähnen: Le Panier, ältestes und verwinkeltes Viertel oberhalb des Hafens. Hier ist der Euro-Fortschritt nicht ganz so offensichtlich. Immerhin, der Place du Lenche hat ein neues Gesicht bekommen. Mein Vorsatz, hier ausschließlich Wein zu trinken, zerschellt am ersten Straßencafé. Pourquoi pas, warum auch nicht, die Franzosen tun’s ja auch.
La Bière erscheint hier mit Akzent, über dem „e“, wird (auch) als pression (mit Druck, also gezapft) getrunken und kostet im Prinzip dasselbe wie in Dresden. Es ist aber leider nur die Hälfte drin im Glas. Auch wenn es überraschend gut schmeckt, selbst jenes, das nicht aus dem Elsass kommt: Der Preis ist schon heftig Aber dafür schließen die Lokale spätestens um Zwei und limitieren somit den Verzehr. Tout va bien.
Abends sind wir im Belsunce, dem Kreuzberg auf nordafrikanisch (auch hier ziehen übrigens die Hipster langsam ein). Ein bzw. das Couscous-Haus, eng, laut, heiß und mit wunderbaren Tagines voll Taboulé. Ich habe mindestens sechs verschiedene Formen von Lammfleisch gesehen. Alkohol gibt es nicht, Allah wäre not amused.
Le troisieme jour
Frühmorgens 12 Uhr (ich hatte verschlafen, vermutlich eine Nachwirkung der Anreise-Vorgeschichte, und den vereinbarten Treffpunkt Station Castellane zu spät erreicht) ein Markt am Prado, einem langen Boulevard in Richtung Süden. Ich kaufe zehn verschiedene Marseiller Seifen und damit höchstens ein Zehntel des Sortiments. Nun muss ich sie nur noch den entsprechenden Empfängern (bzw. deren Charakteren) zuhause zuordnen. Auch meine Begleitung findet einige Wässerchen.
Erstes großes Ziel: La Cité Radieuse. Von Le Corbusier 1952 fertig gestellt, nennt mein Reiseführer das neunetagige Gebäude eine Ikone des Aufbruchs. Ich tituliere es ein vertikales Stadtviertel und bin nicht minder begeistert. Eigentlich dem sozialen Wohnungsbau zuzurechnen, locken die grandiosen architektonischen Ideen des Meisters seit jeher eine Klientel in Haus, die das zu schätzen weiß und eine gewisse Zahlungsbereitschaft mitbringt. 108 qm sind schon für 350.000 Euro zu haben, auf dem Komfortstandard der fünfziger Jahre wohlgemerkt. Aber die scheinen es wert, das Haus bietet neben Wohnraum für etwa 1.000 Menschen unter anderem auch ein Restaurant mit Hotel, eine Laden- und Büroetage, eine Kita unter dem Dach sowie eine Dachterrasse mit Pool, Sporthalle und Gemeinschaftsräumen. Aber auch die Kleinigkeiten sind zu beachten, u.a. die Beleuchtung: indirekt mit Lampen, die an Trillerpfeifen erinnern, so modern, dass sie heute wie noch gar nicht erfunden wirken.
Man muss das unbedingt gesehen haben, auch den kleinen Park, der sich um die Stelzenfüße des eleganten Kolosses windet. Nein, eine Tiefgarage gibt es nicht hier.
Nach soviel Baukultur: Á la Plage! Das zieht zwar eine längere Busfahrt nach sich, weil der Avenue du Prado die längst fällige Straßenbahn noch nicht beschieden wurde, aber immerhin fahren wir mit dem ersten Gelenkbus, den die Stadt angeschafft hat. Kaum vorstellbar, wie die Menschenmengen in der Hauptverkehrszeit transportiert werden sollen (von „befördern“ ist nicht die Rede), wenn schon gegen drei Uhr nachmittags die Stehplätze umkämpft sind.
Das Nahverkehrssystem ist für eine de facto Millionenstadt (es gibt in Frankreich kein richtiges Meldewesen) ohnehin unterdimensioniert. Zwar sind die beiden U-Bahn-Linien klug angelegt und kreuzen sich zweimal am Rande der Innenstadt, zwar sind die beiden Stadtbahnlinien eine sinnvolle Ergänzung und kommen dank eigener Gleiskörper gut durch, zwar gibt es dazu noch siebzig Buslinien, die teils im 4-Minuten-Takt fahren, zwar sind die Bedürfnisse hier vielleicht ein wenig anders, dennoch: Was täglich auf den Straßen rumsteht, hupt und meterweise vorwärts rückt, spricht für einen weiteren Ausbau. Ein S-Bahn-System gibt es bisher gar nicht, die Vorortbahnhöfe werden eher sporadisch bedient, P+R scheint unbekannt. Viel zu tun, Kollegen.
(Übrigens, eben auf der Rückfahrt im TGV noch eingefügt: Die Vielzahl der wirklich schönen neuen Straßenbahnen in fast jeder größeren Stadt, in der wir halten, ist beeindruckend und macht neidisch.)
Zurück zum Strand, etwas völlig anderem. Der Marseiller verfügt dank der Lage seiner Stadt im Halbkreis am Meer über mehrere Badewannen, die schickste ist vielleicht La Plage du Prado im Süden. Es weht ein sanfter Wind, der zehn Meter breite Sandstrand ist schon gut gefüllt, als wir am Pointe Rouge den Bus verlassen. „Die Urlauber liegen wie tote Robben am Strand“, jener Satz, der mir mal an der Ostsee einfiel, passt hier nicht, es aalt sich der Einheimische.
Anfang Mai, so früh im Jahr waren meine Füße noch nie mit Meerwasser in Kontakt. Der restliche Körper muss noch warten, wir wollen mal nicht übertreiben.
Für die Rückfahrt nimmt man hier das Schiff. Stündlich fährt ein Boot, das etwa 100 Leute fasst, von hier zum vieux Port. Man erreicht den Ableger durch einen Marsch entlang der Bootswerften, die die Lieblinge hier im Hochregallager stapeln. Drei übereinander sind normal. Die Schlange ist zum Glück kürzer als hundert Menschen, wir kommen also beim ersten Mal mit, und das Boot fährt auch bald. Tout va bien.
Nicht mehr ganz so gut geht es, als das Hafenbecken verlassen wird. Der Wind ist hier alles andere als sanft. Die Wellen nicht höher als zwei Meter, aber für unsere Nussschale durchaus genug. Wir wurden gewarnt, auf dem Vorderdeck würde es nass, und hatten gelächelt. Und siehe, es wurde nass.
Während mich die regelmäßigen Duschen– in Gegensatz zu den meist quietschenden Mitpassagieren – eher erfreuen als schrecken, macht sich mein Magen ebenso regelmäßig in Richtung des Kopfes auf den Weg. Nur mühsam kann ich ihn an der Flucht hindern und muss dabei immer noch tapfer lächeln, dank meines großen Mauls zuvor.
Die Gefängnisinsel mit dem Château d’If, die wir passieren, soll schon den Grafen von Monte Christo beherbergt haben. Immerhin hatte der da festen Boden unter den Füßen, was man im normalen Leben gar nicht richtig zu schätzen weiß.
Aber auch diese Prüfung nimmt ein Ende.
Abends dann noch ein Bummel durch La Plaine, jenem Quartier, das der Dresdner Neustadt am nächsten kommt.
Neulich beim Männergespräch im Thalia thematisierten wir das Folgende schon: Automatisch den Bauch einziehen, wenn einem eine schöne Frau entgegenkommt, dokumentiert den Beginn einer neuen Lebensphase. Dazu ist reichlich Gelegenheit hier, ich absolviere ein veritables Bauchmuskeltraining.
Erst haben wir wunderbar gegessen, dann gut getrunken, sind dann nett geschlendert – schwarze Schönheiten stöckeln leicht unbeholfen im La Teranga, es gibt eine Modenschau mit Tanzeinlagen – und dann mit dem Roller meiner Gastgeberin wieder heimgefahren.
Diese Roller sind – wenn einem die Bedienung geläufig ist und man ein wenig Mut mitbringt – zumindest abends das beste Fortbewegungsmittel. Der öffentliche Verkehr macht noch vor Eins Feierabend, und Taxis sind in diesem Viertel nicht häufig und zudem teuer.
Letzte Station für diesen Abend. Eine Bar im Quartier. Merke: Alle Menschen sind gleich. Die Kneipe könnte auch in Schöneberg sein. Oder in Pieschönn. Sehr angenehm, trotzdem. Aus dem Wurlitzer dröhnt Johnny Halliday. Tout va bien.
Le quatrieme jour
Wir machen einen Ausflug, nach Arles, mit der Bahn.
Und erstmal eine Erfahrung: Was die SNCF-Homepage verspricht, muss mit der Realität nicht viel zu tun haben. Das Sonderticket zur MP13 gibt es nicht am Automaten, wär ja auch zu einfach, drei Knöpfe drücken, bezahlen, Ticket ziehen. Nein, man muss zum Schalter, wo etwa fünfzig Leute mit vielleicht ähnlichen, aber vielleicht auch ganz anderen Problemen warten.
Erklärt wird einem das mit einer wahrhaft königlichen Herablassung vom schnöseligen Auskunftsbeamten, der auf seinem Podest inmitten der Bahnhofshalle sitzt, nein, thront. Danke fürs Gespräch. Dann also regulär zahlen, zehn Euro mehr pro Nase. Zum Trost werden wir nicht kontrolliert.
Trost spendet auch das mitgenommene Croissant. Im Gegensatz zu den Dingern in l’Allemagne ist dies kein aufgeblasenes Häufchen Nichts, sondern ein vollwertiges Nahrungsmittel, das vor allem nach Butter schmeckt.
Die SNCF bietet übrigens weder im Fern- noch im Nahverkehr einen richtigen Taktfahrplan an, auch wenn sich die Abfahrtsminuten oft gleichen. Aber es gibt empfindliche Lücken am Vor- und Nachmittag und dafür ein paar mehr Züge in den Spitzenstunden. Was nun besser ist, mag ich nicht entscheiden, rechne jedoch ohnehin damit, dass auch bei uns die Lücken am Vormittag wiederkehren werden. Das Geld halt.
Arles an der Rhone, inmitten der Camargue, ist schon sehenswert. Die ersten Spuren hinterließen die Römer, innerhalb der Stadtmauer ist noch viel davon zu sehen. Für mich augenfälligstes Relikt der Vergangenheit: Die Stierkampfarena, die auch heute noch betrieben wird. Ja, zum Stiere abstechen.
Ich will darüber aber nicht groß philosophieren. Wer aus einem Land kommt, wo man Tiere industriell erzeugt und verwertet, sollte bei solchen Themen lieber die Fresse halten. Es ist eine Kultur – wenn auch nicht meine – die schon Jahrhunderte lang Tradition hat. Den Franzosen (und vor allem den Spaniern) jetzt zu erklären, dass die corriere du taureaux ganz und gar nicht geht, bedarf des Sendungsbewusstseins eines gutmenschigen Weltverbesserers, welches mir nicht zur Verfügung steht.
Etwas ganz anderes: Auf dem (viel touristischer geprägten) Markt erstehe ich einen schönen weißen Hut, der mir in der Folge nicht nur in modischen, sondern auch in gesundheitlichen Angelegenheiten gute Dienste leisten wird.
Noch ein Besuch beim Rezeptionisten eines hiesigen Nobelhotels, den man, wenn man ihn wie meine Begleiterin im Nachtleben von Marseille erlebt hat, nicht erkennen würde, so seriös wirkt er, ein kurzer Abstecher an die Rhone und schon geht es zurück. Es wartet nämlich noch l’OM!
Meine Beziehung zum Fußball ist bekanntlich zerrüttet. Früher war es Liebe … Aber Kinderzeit ist lange her, ich erinner mich nicht mehr.
Heute nutze ich diesen Sport vor allem, um mich über sein Publikum und vor allem die mediale Aufbereitung dieser fast täglichen Schicksalsmomente lustig zu machen. „Hier geht es nicht um Leben oder Tod, es geht um mehr“, wie die Sportfreunde (!) Stiller singen.
Aber wenn ich schon mal hier bin … Da kann ich gleich auch gestehen, dass ich dennoch einen Helden habe: Zinédine Zidane. Jener franko-algerische Recke, dem die Ehre von Mutter und Schwester sowie die Bestrafung eines italienischen Flegels wichtiger waren als irgendsoein Weltmeistertitel. Das wird bleiben, auch wenn seine Tore einmal vergessen sind.
M. Zidane stammt aus dem Norden von Marseille, der anderswo Favela oder Slum heißen würde. Außer Fußballer kannst du da Nichts werden, und die wenigsten werden Fußballer. Immerhin, einer hat es ganz nach oben geschafft und wird jetzt wie ein Halbgott verehrt. Sein Sportgeschäft soll gut laufen, sagt man.
Übrigens haben wir keine Karten für das Spiel heute gegen Toulouse. Meine Begleitung verlässt sich voll auf den Schwarzmarkt. Dieser profitiert jedoch sehr davon, dass das ganze Stadion eine Baustelle und somit nur die Hälfte der Plätze verfügbar ist, BWL, 1. Semester. Das Billet bzw. das Reinkommen steht bei 100 €, als wir zehn Minuten vor Spielbeginn in den Handel einsteigen. Im 2. Semester lernt man, was man dann beobachten kann: Einen Preisverfall. Mit dem Anpfiff sind es noch 50 €, Tendenz nach unten. Aber die Tatsache, dass 15 Minuten nach Beginn die Außentore geschlossen werden, fängt den Preis bei 30 € auf (3. Semester).
Wir sind drin, irgendwie. Vorausgegangen waren hektische Diskussionen unseres Schleppers mit den Einlassern und schließlich eine herrisch winkende Hand des Rudelführers. Karten haben wir keine, demzufolge auch keinen Platz, also rein in irgendeinen Block. Ein Ordner fragt uns nach den Tickets, doch wir sprechen leider kein Französisch, und nach einigen Verständigungsversuchen lässt er ab von uns, weil es auf dem Spielfeld grad spannend wird. Wir nehmen auf der Treppe Platz.
Der Fußballklub Olympique de Marseille tritt an in Himmelblau, wie Chemnitz etwa. Meine Absicht, mir ein Trikot mitzubringen, werde ich nochmal überdenken.
Droit Au But? Das ist der Leitspruch des Vereins und klingt gut, heißt letztlich aber nichts anderes als „Recht auf Tor“. Jaja, aber … gleiches Recht für alle! Wie war das nochmal mit Égalité?
Das Spiel geht nach diesem Maßstab ungerecht aus, OM 2, TFC 1, ein Bein haben sich beide nicht ausgerissen dabei. Es geht wohl um nichts mehr, so kurz vor Saisonende. Und Zinédine war auch nicht da.
Was ich aber sehr beachtlich finde: Es ist kaum Polizei zu sehen, auch im Stadionumfeld nicht. Wenn ich daran denke, welche Hundertschaften bei Spielen eines hiesigen zweitklassigen Vereins in Marsch gesetzt werden … Hier hat der Fußball offenbar den Stellenwert, der ihm zukommt. Und nicht mehr.
Place de Lenche, da waren wir schon mal, macht aber nichts, der Restaurants sind viele.
Der Mistral weht die Menschen heute vom Place nach drinnen, es wird zunehmend ungemütlich draußen.
Dann fällt sogar ein Baum aufs Trottoir! Zum Glück, heuresement, liegt niemand drunter, nur einige Tische und Stühle sind Schrott. Eigentlich war der Baum grad frisch umgesetzt und einbetoniert. Le Mistral …
Die Nachricht schafft es sogar in die Sonntagszeitung. Am nächsten Tag ist nur noch die Wurzel da. Ob die anderen Bäume ähnlich gefährdet sind, wird hoffentlich jemand geprüft haben? Ich bin ein wenig peinlich berührt ob meiner Skepsis. Die Franzosen bauen großartige Hochgeschwindigkeitseisenbahnen, da werden sie wohl Bäume am Umfallen hindern können!?
Aber der Mistral bläst einem wirklich das Hirn aus der Birne.
Le cinqieme jour:
Etwas ganz anderes. Ein Ausflug. Diesmal zur Côte Bleue, der heimlichen Côte d’Azur von Marseille. Ähnlich schön wie die berühmten Calanques, aber nicht so überlaufen, wird mir glaubhaft versichert.
Eine schöne Bahnfahrt, wieder unkontrolliert, aber vorbei an den Häfen mit den dicken Kreuzfahrtschiffen und dann eintauchend in eine wilde, felsige Uferlandschaft, die zwischen Steilküste und schmalen Buchten wechselt. Ab und zu quetschen sich Dörfer dazwischen, die vom Land her nur über einen einzigen Weg zu erreichen sind.
Unsere Station heißt La Redonne, dann noch eine Viertelstunde steile Fußwege hoch und runter und wir können auf den Felsen vor einem kleinen Hafen faire un pic-nic. Dummerweise liegt 50 m vor uns der Party-Katamaran aus Marseille mit dröhnender Uffta-Humpta-Musik. Doch noch ehe ich aus dem Wandergepäck einen Torpedo basteln kann, lichtet er den Anker und gleitet von dannen. Sonntägliche Ruhe kehrt ein.
Leider lärmen auch die Zikaden noch nicht, zu früh im Jahr. Dieses Kerngeräusch des Südens müssen wir entbehren. Und der Lavandre blüht auch erst später.
Auf dem Rückweg noch ein Stopp an einem kleinen Strand. Erneuter Fußkontakt mit dem Meer, erneute Beschränkung auf diesen. Und dann noch ein bisschen am Strand liegen, in den Himmel schauen und schließlich une bière in der Hafenkneipe.
Abends dann creolisch, auch das geht hier naturalement. Und es geht gut. Am Sonntag haben nicht viele offen außerhalb der Tourie-Region, aber das zufällig entdeckte kleine Restaurant „Le Port au Prince“ ist alles andere als eine Notlösung. Falls jemand mal in der Nähe ist: 40, rue St. Savournin, 13001 Marseille. Am Ende macht man uns noch mit Rum dumm.
Le sixieme jour:
Nun noch Aix. Der erste unbegleitete Ausflug, ich bin jetzt schon groß. Der Automat der SNCF bereitet mir keine Schwierigkeiten, ob das ein Franzose von jenem der DB auch sagen könnte? Interessant das Prinzip der Bahnsteigzuweisung. Wo fährt mein Zug denn heute? Überraschung … 100 erwartungsfrohe Reisende beobachten gespannt die Anzeigetafel, bis das „C“ fünf Minuten vor Abfahrt erscheint, worauf eine Volksbewegung einsetzt.
Nächste Überraschung: Heute spielt man TGV und kontrolliert die Fahrscheine – die man hier nicht nur kaufen, sondern auch noch „entwerten“ muss (dieses Wort bedeutet übrigens genau das Gegenteil von dem, was eigentlich gemeint ist: Man macht den Fahrschein durch die Stempelei ja erst gültig für die Fahrt) – gleich am Einstieg, mit dem üblichen massiven Personaleinsatz. Das gleicht dann auch die unkontrollierten Fahrten nach Arles und an der Côte Bleu wieder aus.
Nicht, dass ich was gegen viel Personal bei der Bahn hätte, im Gegenteil. Das ist ein ehrbarer Beruf, und die cheminots sind sich ihrer Würde auch bewusst. Ob die Mischung aus mausgrauem Anzug und fliederfarbenem Hemd dazu beiträgt, sei einmal dahingestellt. Aber sie sind ordentlich beschäftigt und entgehen damit der Gefahr, von Sarko et collegues irgendwann weggekärchert zu werden.
Der Zug durchquert die banlieus. Hier wird die Ärmlichkeit nicht mehr von Prunkbauten verdeckt. Marseille, die nördlichste Stadt Afrikas? Kann schon sein. Dennoch, von Straßenschlachten wie in Paris hat man hier nicht gehört bislang.
Steinbrüche bringen den wunderbar leuchtenden Sandstein dieser Gegend zutage. In Kombination mit der südlichen Sonne erzeugt dieser eine unglaublich warme Farbe, die man so an der Elbe nicht zu sehen bekommt.
Angekommen. Der Bahnhof ist unspektakulär, der Weg ins Zentrum aber nicht weit. Die Rotonde hab ich anders in Erinnerung, vielleicht verklärt durch die mehr als fünfzehn Jahre, die seitdem vergangen sind. Eigentlich ist das nur eine schlichte Kreuzung mit Kreisverkehr. Auch die Platanen auf dem Cours Mirabeau waren früher höher, scheint mir.
Aix verhält sich zu Marseille wie Potsdam zu Berlin oder Starnberg zu München. Selbst die Gemüseläden sind hier nobel.
Ein Spaziergang in Richtung meiner früheren Herberge, einem Studentenwohnheim östlich der Altstadt. Den Weg finde ich, aber das Ziel scheint verschwunden. Egal, ich wollte eh keinen Kranz niederlegen.
Auf dem Rückweg passiere ich ein Lycée, da ist grad Pause. Die vorherrschende Herrenmode ist hier der Trainingsanzug. Es ist erst zehn Uhr, Montag, die Innenstadt beginnt grad mit dem Aufwachen. Aber es werden schon erste Besuchergruppen durch die Gassen getrieben. Die Touristen tragen Funktionsbekleidung und außerdem aufgeklebte Nummern, die sie als einer Gruppe zugehörig kenntlich machen. Das ist schön, jeder will ja irgendwo dazugehören.
Aix ist langweilig, beschließe ich, pittoreske Altstädte mit Hunderten von Restaurants hab ich schon genug gesehen. Ich suche das empfohlene Café hinter dem Rathaus. Tatsächlich, sehr hübsch, und die Terrasse bietet zumindest zwei Kaffee lang Schatten, eh die Sonne rumkommt. Zeit genug, l’ordi portable auszupacken und diesen Text hineinzuhacken.
Und dann zurück, den letzten Halbtag in Marseille genießen. Tout va bien, immer noch.
Der Weg zum Bahnhof führt durch die Neue Mitte von Aix. Schick und verwechselbar, H&M ist auch schon da.
Der Bahnhof ist baulich das ganze Gegenteil, aber gemütlich. Neben zahlreichen Beförderungsfällen sind anwesend:
Ein Sicherheitsmann, ein Sicherheitsmann der SNCF, eine Aufsicht (hübsch) und drei Schaffner (der weibliche Teil sehr hübsch). Jeder DB-Controller würde den roten Bleistift wetzen und erstmal zwei Drittel davon streichen. Für den Anfang, um Härten zu vermeiden.
Beim Rückblick aus dem Zug sehe ich endlich Ste. Victoire, jene beeindruckende Bergkette, die meine stärkste Erinnerung an Aix ist und bleibt.
Der Zug ist voll, auch zur Mittagsstunde ein großer Andrang. Die Karten kontrolliert eine vierte Schaffnerin, auch jene ausnehmend attraktiv. Ein Fünfter und Sechster leisten Beistand, als sie charmant eine Fahrpreisnacherhebung durchführt. Nicht bei mir, was ich für einen kurzen Moment bedauere.
Die schlechte Gleislage spüre ich jetzt deutlich im Kreuz. Vermutlich die Strafe für unkeusche Gedanken über Amtspersonen.
Marseille mit seinen Wohntürmen beginnt etwa 20 Minuten vor Ankunft in St. Charles. Plattenbauten soweit das Auge reicht. Auch wenn sie nicht im Taktstrassenverfahren errichtet wurden, es ist kein Unterschied zu Gorbitz. Vielleicht stehen sie etwas aufgelockerter. Und sicher sind sie schon deutlich heruntergekommener. Instandhaltung ist keine südliche Tugend, hab ich neulich mal über Kairo gelesen. Das dürfte aber auch für Marseille gelten.
Das Meer, ach ja. Nur noch heute kann ich den Anblick genießen.
Dann ein erneuter Bummel durch Klein-Marokko, das später nahtlos in Klein-Senegal übergeht. 90 % Männer auf den Strassen, so ist das halt.
Offenbar hat man seitens der Stadtverwaltung das alte Fährboot reaktiviert, nachdem das schicke Neue öfter mal den Dienst am Touristen verweigerte. Für umsonst geht es über das Hafenbecken. Hier ist noch Potential, liebe Stadteltern.
Der (temporäre) Pavillon zur MP13 ist wie Pavillons zu irgendwas halt so sind, ganz hübsche Animationen und Hostessen, Imagefilmchen und ein bisschen Kunst. Die Mischung aus Holz und Plexiglas sieht sehr schick aus, heizt sich aber auch mächtig auf, trotz einer Batterie mobiler Klimamaschinen ist es deutlich wärmer als draußen. Und wir haben erst Mai …
Übrigens, l’Art de Vie wird dort in unzählige Sprachen übersetzt. Deutsch ist nicht darunter.
Ich will nochmal runter zum Mucem. Aber der Fußgänger hat es hier schwer: In langen Serpentinen muss er sich erst von der Leistungsfähigkeit der französischen Bauwirtschaft überzeugen, ehe er unten ankommt.
Am Ende des Kais stehen Bauwerke aus 40-Fuß-Containern, der 17. Arrondissement, jener der Zukunft, auch das natürlich MP13. Marseille hat bisher nur 16 Bezirke, eine niedliche Idee also. Am Nachmittag ist hier noch nicht so viel los, nur einige Artisten seilen sich ab. Einen Abendbesuch schaff ich leider nicht mehr.
Nach dem Treff á dix-huit’ heures mit meiner zur werktätigen Bevölkerung gehörenden Gastgeberin noch ein Ausflug zur Basilika Notre-Dame-de-la-Garde. Diese überragt die Stadt auf einem Hügel, die Anfahrt zu zweit mit dem Motorroller ist eine Herausforderung. Aber nicht er gibt auf, sondern ich, ein Krampf im Oberschenkel zwingt mich zum Absteigen. Vermutlich ähneln sich unsere Grundfrequenzen, und es kam zur Resonanzkatastrophe.
Der Blick von oben ist grandios, die ganze Marseiller Bucht liegt uns zu Füßen. Ein Moloch von Stadt, der bis zum Horizont reicht, darüber ein wunderbares Abendsonnenlicht.
Der Blick nach oben zeigt die Jungfrau mit dem (eigenen) Kind, dieses Grundrätsel der christlichen Kirche, das erst mit Hilfe der Gentechnik einigermaßen befriedigend gelöst werden konnte.
Hui, nun die Schussfahrt in den Hafen!
Dort gibt es ein Restaurant namens „La Treize“ also Dreizehn. Es scheint auch in diesem Jahr erst aufgemacht zu haben, alles neu drinnen. Aber wir wollen ja draußen.
Man verfügt über modernes Equipment, aber das Tablet zur Bestellaufnahme ist mit einem rustikalen Holzrahmen versehen. Ach …
Die zu Ehren des letzten Abends georderten Moules munden hingegen hervorragend.
Endgültig die letzte Einkehr: Longchamp Palace um die Ecke. Sehr angesagt, der Laden, zumindest in gewissen, sympathischen Kreisen. Gewöhnlich holt man sich sein Getränk am Tresen und stellt sich dann wie dreißig Andere aufs Trottoir, drinnen kann man ja nicht rauchen. So ähnlich sähe es in der Neustadt auch aus, wenn man hier genauso streng wäre.
Müde bin ich, geh zur Ruh, gleich falln mir die Augen zu. War wohl zuviel Sonne heute, zuviel Pflaster, zu viele Eindrücke. Morgen geht es nach Hause.
Le dernier jour
Ein scharfer, stechender Schmerz in meiner Brust (wie der Dichter, aber in diesem Falle auch der Internist sagen würde) begleitet mich am nächsten Morgen zum Bahnhof. Körper und Geist bilden halt doch eine Einheit.
Erst in Avignon verschwindet er langsam und ich kann mich an der Reise – erstmal entlang der Rhone, später in Sichtweite mehrerer Mittelgebirge – freuen. Und noch ein wenig sinnieren über diese Tage im Süden.
Wir halten in Aix und Avignon. TGV-Bahnhöfe wie diese außerhalb der Stadt zu bauen, hat zumindest den Vorteil, dass man die Innenstädte ungeschoren lassen kann. Wäre doch auch eine Idee für Stuttgart … Von Freunden lernen.
Außer ein paar Arbeitsdeutschen und Touristen aus aller Herren Länder habe ich in Marseille nur sehr wenige Ausländer gesehen. Ein Ort also, wo sich die Stramm-Ärsche von der NPD etc. wohlfühlen würden. Überall Bürger der Republik, überall nur Franzosen … jedweder Couleur allerdings.
Man muss dennoch nicht alles mögen hier. Dass es trotz manchmal sehr schöner, aufwendig gestalteter Flaschen für jedes denkbare Getränk noch immer kein Pfandsystem gibt und die bouteilles somit bestenfalls im Glascontainer oder auch im Hafenbecken landen, kann ich nur schwer begreifen. Von einem Einweg-Pfand ganz zu schweigen, dann würden die Straßen ja so deutsch aussehen.
Und auch wenn ich hier mit Kennermiene die eine oder andere Vokabel einstreue: Mein Französisch ist nach fünf Tagen noch immer alles andere als perfekt. Was ich inzwischen aber sehr gut kann, ist deutsch mit französischem Akzent zu sprechen. Und zum Sprechen alle Körperteile zu benutzen, das mach ich jetzt auch ein bisschen.
Über die fremden Wörter hier im Text müsste ich auch nochmal rüber, grammatikalisch und orthographisch. Da hab ich jetzt aber keine Lust zu. Und bei mir geht’s neuerdings meistens nach der Lust.
Inzwischen hat der Zug gewechselt, besser gesagt, ich habe ihn gewechselt. Das vertraute Dröhnen des ICE-T umhüllt mich. 17 Uhr ab Frankfurt, es ist richtig voll und wird auch in Fulda nur unwesentlich leerer. Hier werden die Mehrkosten von Stuttgart21 verdient.
Im Waggon gibt es mehr Frauen mit Kopftüchern als ich insgesamt in Marseille gesehen habe. Ein Zufall, sicher, nicht repräsentativ. Und man muss ohnehin aufpassen, dass man hier nicht in die Korrektheitsfalle läuft und besser als die Frauen selbst zu wissen glaubt, was diese wirklich wollen.
In Frankfurt/M. stieß ich übrigens fast mit einer einzelnen Burka-Trägerin zusammen, die mich aus schmalem Sehschlitz anfunkelte. Ob böse oder nicht, kann ich mangels einschlägiger Erfahrung nicht beurteilen. Dabei war sie schuld, was muss sie auch fast rennen und dabei noch eine sms tippen.
Ein pendelndes Businessweibchen hat nun eine Methode gefunden, auch bei beengten Platzverhältnissen die Maus am Rechner zu benutzen: Sie bewegt sie am Oberschenkel auf und ab. Das sieht durchaus erotisch aus und ist es vielleicht auch. Aber liebe Männer, bitte nicht nachmachen, das könnte zu Missverständnissen führen.
Die Mitreisenden kommen mir alle so unentspannt vor, nicht nur die im Anzug. Ich glaube, denen fehlt ein bisschen südliche Sonne.
Und in der nächsten Folge dann: Teischel Mauköh kehrt zurück und bringt den Marseillern savoir-vivre bei. Merci bis hierhin.