Kategorie: Allgemein
Warte auf mich auf dem Grund des Swimmingpools
Warte auf mich auf dem Grund des Swimmingpools
„The Rake’s Progress”, Oper von Igor Strawinsky, in der Inszenierung von Damiano Michieletto und unter musikalischer Leitung von Anthony Bramall, Premiere am 5. April 2014 an der Oper Leipzig (Koproduktion mit dem Teatro La Fenice, Venezia)
Der Link führt zum Bericht auf KULTURA-EXTRA.
Dresdner Debatte: Von Zebrastreifen und der Entwicklung des Verkehrs
Die Vorstellung der Ergebnisse der „Dresdner Debatte“ zum Verkehrsentwicklungsplan 2025+ durch das Stadtplanungsamt am 20. März 2014
Man muss (und will) den Mitarbeiter*innen der Dresdner Stadtverwaltung einmal ein Kompliment machen: Sie haben die dritte Dresdner Debatte, diesmal zum aktuellen Verkehrsentwicklungsplan (VEP) für die Landeshauptstadt mit einem Zeithorizont von 2025 „plus“ professionell organisiert, begleitet und deren Ergebnisse – die sich auch inhaltlich sehen lassen können – kompetent verarbeitet zu einem beispielhaften Stück Bürgerbeteiligung.
Parallel zum „klassischen“ Lauf des Entwurfs des VEP (Erstellung durch das zuständige Stadtplanungsamt, Diskussion in den Fachausschüssen des Stadtrats und den Ortsbei- bzw. –schaftsräten und schließlich Beschluss durch den Stadtrat, der noch in dieser Legislaturperiode erfolgen soll) wurde eine Bürgerbeteiligung in Form der „Dresdner Debatte“ initiiert, die nach den eher lokal bezogenen Einsätzen zur Gestaltung des Neumarkts und der Inneren Neustadt nun erstmals bei einem stadtweit relevanten Thema im Herbst 2013 zum Einsatz kam. Die Methode soll hier nicht im Detail erklärt werden, es wird auf die informative Seite http://dresdner-debatte.de/ verwiesen.
Heraus kamen immerhin 930 Anregungen, die dank ihres Sachbezugs fast alle verwertbar waren. Die Hälfte davon betraf eher operative Themen, die jetzt bei den zuständigen Ämtern auf dem Tisch liegen, aber immerhin 450 davon setzten sich mit den Ziel- und Fragestellungen des Verkehrsentwicklungsplans auseinander. Dass gut 300 davon schon (sinngemäß) dort enthalten waren, muss nicht weiter verwundern: Nicht jede*r hat Zeit und Lust, sich die über 200 Seiten des Entwurfs anzutun. Im Gegenteil, es spricht für die Qualität der Vorlage, diese Einbringungen quasi schon vorweggenommen zu haben.
140 Anregungen waren wirklich neu und wurden in der Sichtung dann wegen inhaltlichen Überschneidungen zu 64 Themen aggregiert. Dennoch blieb eine Menge Arbeit für die Verwaltung, diese zu bewerten und mit einer Empfehlung zur weiteren Behandlung zu versehen. Zwei Drittel davon wurden letztlich als „nicht-übernehmenswert“ klassifiziert, was man nach einer Sichtung der Liste auch (zumeist) nachvollziehen kann. Da tauchten z.B. die Idee eines unterirdischen Netzes für den öffentlichen Verkehr auf, oder eine (verkehrstechnisch kontraproduktive) stadtweite „Tempo-30-Zone“, auch Tunnel für alle Hauptstraßen wurden vorgeschlagen. Die Forderung nach einer generellen Kostenfreiheit des ÖPNV passt nicht in die aktuellen politischen Gegebenheiten und birgt auch eine Menge Folgeprobleme, und der Verpflichtung zum Winterdienst auch auf Radwegen steht leider ein aktueller Stadtratsbeschluss entgegen. (Die aufbereiteten Unterlagen liegen inzwischen unter http://ratsinfo.dresden.de/vo0050.php?__kvonr=8145&search=1 zur Einsicht bereit)
Die Highlights der verbliebenen Vorschläge, die – so der Stadtrat das will – nun in den Verkehrsentwicklungsplan Eingang finden werden, sind z.B. die Einrichtung von (dauerhaften) Schließfächern für Gepäck an öffentlichen Orten, die Schaffung von Park&Bike – Flächen zur Kombination von Auto- und Radverkehr, die konsequente Verkehrsberuhigung im Hechtviertel, eine intensivierte Öffentlichkeitsarbeit zur Verkehrsmittelwahl, die Ausweitung der Echtzeitanzeigen an Haltestellen des ÖPNV und – endlich – der vermehrte Einsatz von „Zebrastreifen“ im Dresdner Stadtraum. Bei letzterem war interessant zu erfahren, dass die benachbarte Stadt Radebeul mit einem Zwanzigstel der Einwohner von Dresden über mehr Lösungen dieser Art verfügt. Das bislang vorgebrachte Argument der verkehrsrechtlichen Schwierigkeit scheint also eher vorgeschoben zu sein. Auch Dresden besteht ja genau betrachtet nur aus vielen Radebeuls.
Einige Anregungen, wie eine verbesserte Radmitnahme im öffentlichen Verkehr oder weitere Restriktionen bei der Parkraumausweisung wurden immerhin als Prüfaufträge übernommen, was auch für technisch innovative Ansätze wie die induktive Stromversorgung von Straßenbahnen zum Verzicht auf die Oberleitung in städtebaulich sensiblen Bereichen gilt.
Insgesamt kann man der Stadt Dresden gratulieren: Ihr neuer Verkehrsentwicklungsplan wird nicht nur von der Verwaltung erstellt und den Gremien beschlossen worden sein, sondern trägt dann auch das Prädikat „unter aktiver Beteiligung der Bürgerschaft“. Mit diesem Schwung plant man die vierte Dresdner Debatte, diesmal zur Aktualisierung des „Integrierten Stadtentwicklungskonzepts“ (INSEK), die im Juni 2014 starten soll. Man darf schon jetzt gespannt sein.
Und ja, die Kosten: Nach Auskunft der Verwaltung hat die 3. Dresdner Debatte 35.000 Euro Haushaltsmittel benötigt, wovon 30% gefördert wurden. Auch wenn die Zeitaufwendungen der eigenen Mitarbeiter*innen hier nicht enthalten sind, scheint dies doch recht preiswert für die ohnehin immer wichtigere Beteiligung der Bürger*innen an den Entscheidungsprozessen ihrer Heimatstadt.
„Es können doch nicht alle rüber!“
„Es können doch nicht alle rüber!“
„Schneckenmühle“, nach dem Roman von Jochen Schmidt für die Bühne eingerichtet von Beret Evensen und Robert Lehniger, Regie Robert Lehniger, gesehen am 17. März 2014 am Staatsschauspiel Dresden
„Es können doch nicht alle rüber!“ ruft verzweifelt der frischgebackene Lagerleiter Jörg, nachdem auch noch seine Vorgängerin türmte, vermutlich über Ungarn. Schon zuvor kamen in unschöner Regelmäßigkeit die Gruppenleiter abhanden, der Sommer des Jahres 89 ist einfach zu bewegt und die tschechoslowakische Grenze zu nah im Kinderferienlager „Schneckenmühle“ bei Liebstadt, Bezirk Dresden. Wie soll man das den Kindern erklären, die doch mit ihrer Pubertät und der Erforschung des antagonistischen Geschlechts mehr als genug zu tun haben?
Mittendrin Jens im Waschbär-Nicki, der als einziger bei der Lagerdisko noch nicht getanzt hat und nicht nur deshalb ein Außenseiter ist in der Horde von Halbstarken. Wenn man sich doch aussuchen könnte wer man ist. Das Küssen wird vorerst mit den Fingern geübt, in der Hoffnung, das dann in echt auch noch was im Kopf passiert.
Doch es gibt noch die Sächsin Peggy, von der Berliner Mehrheit des Lagers zur Miss Piggy ernannt, auch sie ist also draußen. Wie die beiden Verlierer sich sacht annähern und fast auch finden, ist einer der Hauptstränge der wirklich ergreifenden Geschichte von Jochen Schmidt, die nun in Dresden auch auf die Bühne gelangte.
Doch es geht auch um die Wende, um das Verstehen einer Wirklichkeit, die so gar nichts mit den eingelernten Losungen zu tun hat. Die Jugendfreunde stellen Fragen, die ihnen keiner beantworten kann, die kaum Älteren der Lagerleitung haben selber welche.
…
„Der Arbeiter hat kein Vaterland!“ – zur Krim-Frage
So barsch wie ein (mir) unbekannter Kommunist kann man das Thema auch abhandeln, zumindest, wenn man einen klaren Klassenstandpunkt vertritt. Ich habe gewisse Sympathien für diese Sichtweise, glaube aber dennoch, dass auch die Arbeiterin Wert auf etwas Mutterboden legt, und möchte deshalb vor diesem Hintergrund etwas zur Krim zum Besten geben.
Wie zu erwarten war, hat die Bevölkerung der teilautonomen Republik Krim der Ukraine (kann sein, dass der Titel nicht ganz korrekt ist) in einem Referendum dem Beitritt zur Russischen Föderation mit „überwältigender Mehrheit“, wie es auch früher schon so schön hieß, zugestimmt. Nach Vollzug der Formalien hat dann auch theoretisch Russland auf der Krim das Sagen, praktisch wird sich da nichts ändern.
Wenn nicht, … ja, wenn nicht was? Die NATO Russland den Krieg erklärt? Unsinn, so wichtig ist diese Schwarzmeerhalbinsel nicht, und der „Krimskoje Champagner“ genannte Schaumwein von dort war auch schonmal besser. Die wohlfeilen, aber zahnlosen Proteste der letzten Wochen gegen dieses Stück Machtpolitik aus dem Putinschen Lehrbuch werden kurz nochmal anschwellen, ehe dann die nächste Sau durchs Weltendorf getrieben wird.
Und nu? Mal abstrahiert betrachtet: Für den Menschen auf der Krim, egal ob nun russischer oder tatarischer oder sonstwelcher Nationalität, wird sich die nahe Zukunft eher zum Besseren gestalten. Den neuen Pass hat sie womöglich schon, Russland wird sich bemühen, die Krim erblühen zu lassen, und die Sonne wird sicher weiter scheinen.
Die Ukraine hat fortan einen Mitleidsbonus, der sie zügig an die EU heranführen wird. Putin, also Russland, weiß, das er nun mal wieder einige Jahre die Füße stillhalten muss. Die EU geht zur Tagesordnung über (das Freihandelsabkommen ist zu beschließen [bzw. abzulehnen, der Säzzer]), die USA wenden sich andere Spielwiesen zu. So schlimm ist das alles nicht.
Gut, man kann einwenden, dass staatliche Souveränität ein hohes Gut ist. Und die Ukraine nun mal ein völkerrechtlich anerkannter Staat, dem da per Handstreich ein gutes Stück Land abgeknapst wird (Ähnlichkeiten mit Fällen in Vormals-Jugoslawien sind rein zufällig). Nur, wenn man bedenkt, auf welche Weise – nämlich die des Schuhplattlers Nikita – die Krim zur Ukraine gelangte und welche obskuren Kräfte dieselbe grad regieren, mag man sich nicht so weit hinauslehnen in seinem gerechten Zorn.
Will meinen, ich bin unsicher. Einen „richtig Guten“ kann ich in der ganzen Geschichte nicht entdecken. Ist ja auch kein russisches Märchen, Wanja ist schon lange desertiert.
Man kann auch schöne Brücken bauen
In Dresden wurde der 5. Deutsche Brückenbaupreis verliehen
Seit nunmehr neun Jahren wird anlässlich des an der TU Dresden stattfindenden Brückenbausymposiums zweijährlich der „Deutsche Brückenbaupreis“ (http://www.brueckenbaupreis.de/html/index.htm) in den Kategorien Straßen-/Eisenbahnbrücke sowie Fuß-/Radwegbrücke verliehen. Auslober sind die Bundesingenieurkammer und der Verband Beratender Ingenieure, Schirmherr ist das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur mit schönem neuen Namen. Obgleich es sich um einen ideellen Preis handelt, hat sich dieser zum wichtigsten Ingenieurbaupreis in Deutschland entwickelt, der „Oscar“ der Brückenbauer, auch wenn der Glamourfaktor noch nicht an den großen Bruder in Amerika heranreicht.
Der Wettbewerb ist dabei nicht nur für die wirklichen Brückenbauexperten interessant, sondern wegen seiner Leitwirkung in der Branche auch für alle anderen, die mit diesem Thema „irgendwie“ zu tun haben. Und dank einer auch heuer exzellent besetzten Jury (http://www.brueckenbaupreis.de/html/2266.htm) setzt er Trends, die (hoffentlich) über die Fachwelt hinauswirken. Erstmals wurden auch grundhafte Instandsetzungen zum Wettbewerb zugelassen, was schon das erste positive Signal der Veranstaltung war.
Das Verfahren ist zweistufig: Man bewirbt sich als Bauherr oder Planer selbst mit einem in den letzten drei Jahren fertiggestellten Bauwerk, sollte aber sicherlich schon mal vorher informell anklopfen, ob es sich lohnt, den Hut in den Ring zu werfen, um Blamagen zu vermeiden. Nach den Aussagen auf der Preisverleihung waren 37 Projekte vorgeschlagen worden. Ob die „Waldschlösschenbrücke“ darunter war, lässt sich von mir nicht ermitteln, ich vermute aber, die Verursacher des Monstrums hatten genug Selbstreflexion, um sich diese Blamage zu ersparen.
Zumal ein Mittäter diesmal nur noch als Gast dabei war: Aus bekannten Gründen ziert nun ein „Ex-„ den Titel Staatssekretär, mit welchem Jan Mücke bis 2013 versehen war, der diese Veranstaltung natürlich als Heimspiel nutzte, auch wenn er dem Ingenieurwesen eher fern steht. Der diesmalige Grußredner kam immerhin vom Fach, Rainer Bomba ist als beamteter Staatssekretär seit Jahrzehnten im BMV verwurzelt und kann auch an einem Montagabend wunderbare Sonntagsreden halten. Die aktuelle Kommunikations-Marschrichtung der Großen Koalition scheint „problembewusst, aber optimistisch“ zu sein, die desolate Lage vieler Ingenieurbauwerke der öffentlichen Infrastruktur wurde zwar angesprochen, aber man hätte ja einen Sack Geld bereitgestellt. (Dass in Deutschland dennoch – auch im europäischen Vergleich – dramatisch zu wenig insbesondere für die Eisenbahninfrastruktur ausgegeben wird, fand naturgemäß keine Erwähnung.)
Zurück zum Wettbewerb: Aus den Bewerbungen wählte die Jury in den beiden Kategorien jeweils drei Nominierte aus, die dann vor der Verleihung kurz filmisch (http://www.brueckenbaupreis.de/html/2697.htm) vorgestellt wurden.
Mich haben alle sechs Objekte begeistert: Die Baakenhafenbrücke der Hafencity Hamburg zeigt, wie Straßenbrückenbau heute geht. Die Sanierung des Hochbahnviadukts der U2 in Berlin – Prenzlauer Berg ist eine stahlbau- und denkmalschützerische Meisterleistung. Die Max-Gleißner-Brücke in Tirschenreuth kommt als schwebende Holzskulptur daher, und der Bleichwiesensteg in Backnang ist ein Stahlbaukleinod.
Aber mit den Preisträgern hat die Jury alles richtig gemacht:
In der Kategorie Fuß-/Radwegbrücken gewann der ERBA-Steg in Bamberg, der neben seiner ästhetischen Vorzüge vor allem eines als Innovation vorzuweisen hatte: Er diente in seinem kurzen Leben bereits zwei Zwecken, war zuerst eine Behelfsbrücke im Zuge des Ersatzneubaus der Kettenbrücke über den Main-Donau-Kanal und bindet nun die Erba-Halbinsel an das Bamberger Stadtzentrum an. Eine sehr intelligente Lösung, an der sich auch Dresden ein Beispiel hätte nehmen können mit der Albert-Hilfsbrücke. Chapeau!
Den Preis für Straßen- und Eisenbahnbrücken gewann zum zweiten Mal ein Bauwerk der Eisenbahn-Neubaustrecke Nürnberg – Erfurt – Halle/Leipzig, die von Prof. Jörg Schlaich filigran gestaltete Gänsebachtalbrücke bei Buttstädt in Thüringen. Wenn man weiß, wie uninspiriert und gewöhnlich die neugebauten Bahnbrücken „gemäß Rahmenplanung“ im Allgemeinen aussehen, weiß man dieses starke Signal der Jury zu schätzen. Es geht also auch schön und funktional. Für das Dresdner Stadtgebiet kommt das leider etwas spät, die meisten Brücken (zumindest jene im Zuge des S-Bahn-Ausbaus) sind gebaut oder zumindest planfestgestellt. Aber einige sind noch übrig …
Nein, „der Ingenieur strebt nicht zur Hässlichkeit“, wie das in Architektenkreisen gern behauptet wird. Wenn man sie und ihn machen lässt, kann man (nicht nur in Dresden) ein „Blaues Wunder“ erleben.
Wo die Bösen noch richtig böse sind und die Guten wirklich gut
„Corpus Delicti“ von Juli Zeh, eine Inszenierung des Schauspielstudios am Staatsschauspiel Dresden, Regie Susanne Lietzow, gesehen zur Premiere am 1. März 2014
Den Moment, in welchem mir der emotionale Kontakt zum Stoff verloren geht, kann ich sehr exakt beschreiben: Es ist die Deklamation des Manifests von Mia Holl beim Journalisten Würmer. Danach ist nichts mehr wie vorher, aus einer ergreifenden und sehr stilsicheren Studie über Menschen in der Diktatur (die sich hier über das Thema Volksgesundheit rechtfertigt) wird ein Plattitüdenfestival, eine Ansammlung von Klischees, bei dem die Guten schwach, aber heldenhaft sind und die Schurken mächtig und skrupellos. Die letzte halbe Stunde reicht (mir) leider, um den Gesamteindruck zu verderben. Schade, das hat die Inszenierung nicht verdient.
Doch der Reihe nach: Juli Zeh, promovierte Juristin und studierte Schriftstellerin (was nicht böse gemeint ist), zählt zu den festen Größen der neueren deutschen Literatur, ihre Preise hat sie nicht für lau erhalten. Auf das 2007 uraufgeführte Stück „Corpus Delicti“, das 2009 auch als Buch erschien, durfte man sich also durchaus freuen, zumal es sich um eine Aufführung des Schauspielstudios (also der aktuellen Dresdner Klasse der Studierenden der „Bartholdy“-Hochschule für Musik und Theater Leipzig) handelte, deren Qualitäten im allgemeinen (zu erinnern ist hier u.a. an „Die italienische Nacht“) über jeden Zweifel erhaben sind.
Dass der Berichterstatter es dennoch heute vorzog, der Premierenfeier fernzubleiben (was jener sicher keinen Abbruch tat), lag an der Schwäche des Stoffs, die auch eine sehenswerte Ensembleleistung nicht kompensieren konnte.
Dabei ist der Plot nicht uninteressant, im Gegenteil: Wir schreiben das Jahr 2050, (mal wieder) Totalitarismus in Deutschland, der will nur unser Bestes, diesmal die Volksgesundheit. Dafür müssen Opfer gebracht werden, die heißen hier Individualismus, Lebensfreude und Liebe. Neben Ruhe und Ordnung gibt es eine weitere Bürgerpflicht, nämlich sich gesundzuhalten, man kann das wirtschaftlich verstehen, das Medizinwesen ist teuer, und vorbeugen ist besser als nach hinten fallen. Eine Privatheit gibt es nicht mehr, wer bezahlt, der bestimmt, und hat dann auch das Recht, sich der Effizienz seiner volkskörpergesunderhaltenden Maßnahmen zu versichern.
Was heute mit dem Bashing von Rand(?)gruppen wie Rauchern, Alkoholkonsumenten und Extremsportbegeisterten schon üblich ist, hat Juli Zeh in ihrer Geschichte perfektioniert: Jeder trägt einen Chip im Körper, hat sich risikofrei zu verhalten und ein Sportprogramm zu absolvieren. Das Ganze muss natürlich auch überwacht werden, der Mensch ist schwach. Dazu gibt es die „Methode“ als Staatsdoktrin mit dem Anspruch auf Unfehlbarkeit, wie man sie von der katholischen Kirche, vom Nationalsozialismus und von der historischen Mission der Arbeiterklasse kennt, einschließlich gleichgeschalteter Medien und einem perfekten System von Belohnen und Bestrafen. „Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit“, das wurde mir früher auch allen Ernstes gelehrt.
In jenem wächst Mia Holl heran, ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft, nur leider unter dem negativen Einfluss ihres Bruders Moritz stehend, der sich der Normung verweigert. Er hat die dankbare Rolle des Träumers und Verweigerers, die Herzen im Saale fliegen ihm zu. Als Moritz ein fingierter Mord angehängt wird, muss Mia sich entscheiden, verhilft ihm zum Selbstmord in der Zelle und ist fortan von Trauer und Zweifeln geplagt. Doch das System verträgt das nicht, eine lebende Zweiflerin ist gefährlicher als ein toter Gegner, und so gerät auch sie in die Mühlen des Apparats, der sie schließlich zum Einfrieren verurteilt.
Erzählt wird dies aus der Mitte der Handlung heraus, in Rückblenden, und das gelingt wirklich gut. Mia (Nina Gummich) und Moritz (Kilian Land) sind wahrhaftige Charaktere, noch etwas besser sah ich Nadine Quittner als die (eingebildete) ideale Geliebte, ein schöner Kunstgriff der Autorin. Das System wird verkörpert vom Einpeitscher Kramer (Lukas Mundas), Staatsanwalt Bell (Tobias Krüger), Journalist Würmer (Justus Pfannkuch) und Richterin Sophie (Pauline Kästner, meine zweite Hervorhebung), Max Rothbart gibt den idealistischen, aber überforderten Pflichtverteidiger Rosentreter. Land, Rothbart und Krüger sind als Chor der Nachbarinnen das Volk, letzterer ist auch als Frosch sehenswert. All das sind Zutaten zu einem richtig guten Stück, das funktioniert, das macht Spaß (soweit man bei diesem Thema davon sprechen kann) zuzusehen.
Bis zu jenem Moment, wo der aufgerissene Stoff zu einem Ende gebracht werden muss. Und da zeigt sich die große dramaturgische Schwäche der Vorlage, weshalb sie keineswegs in eine Reihe mit ähnlich gelagerten Werken wie „Fahrenheit 451“, „1984“ oder auch „Schöne neue Welt“ gestellt werden kann: Der Autorin fällt nicht mehr ein als ein Agitprop-Ansatz, es wird zur Farce, die Bösen werden richtig böse, die Guten gehen heldenhaft unter. Es ist immer noch gut gespielt, aber ich glaub es nicht mehr.
Der reitende Bote muss am Schluss nicht mehr erscheinen, er ist in der Vereisungskammer schon dabei und entscheidet gnädig auf Weiterleben der Delinquentin und Umerziehung.
Nochmal: Schade drum: Schade um die schönen Regieeinfälle wie die eingespielte „Methoden“-Werbung, die Gerichtsshow (mit einem wundersamen Wutausbruch der Richterin Sophie, mit „Pieps“ garniert, die sie anschließend dazu zwingen, sich selbst eine Ermahnung auszusprechen), die Persiflage des Infotainments, eine tolle Bühnenchoreographie mit ständig mitspielendem Hintergrund, die feinen Zitate aus den vergangenen Diktaturen, die Merksätze aus dem Buch wie „Liebe ist wie dreckige Fingernägel“.
Das Stück startet als großartig inszenierte Studie über Menschen unter Druck und endet als Belehrungstheater. Aha, so sind sie also, die entmenschten Handlanger der Diktatur. Bürger, seid wachsam.
Was kann ich zur Abmilderung dieser vielleicht übertrieben negativen Schilderung anbringen? Einiges.
Da ist zum einen das sehr lesenswerte Programmheft, u.a. mit Beiträgen von Evelyn Finger, Martin Schulz und Juli Zeh selbst, die sich dem Thema „Gesundheitswahn und Wohlverhaltensterror“ deutlich differenzierter annehmen als das Stück es vermag. Da ist auch das wieder hervorragend auf die Premiere eingestellte Ambiente im Kleinen Haus, diesmal sogar mit einer fingierten Ausstellung aus dem Jahr 2050 zum früheren Gesundheitswesen, große Klasse.
Und da ist nicht zuletzt das spielfreudige Schauspielstudio, das einen die inhaltlichen Schwächen des Abends fast vergessen lässt.
Also: Ein klares Unentschieden.
Doch da auch dieser Blog sich irgendwie doch der Belehrung der Menschen verpflichtet fühlt, werfe ich noch ein Zitat hinterher.
„Gestern war ich so wie ihr, jemand der angesehen war. Heut braucht ihr ein Teufelstier und treibt mich zur Arena.
Ihr schraubt mir Hörner in den Kopf, so werde ich zum Vieh. Von euren geilen Fressen tropft der Schaum der Hysterie.
Alle gegen einen, einer gegen alle, alle auf den Beinen und einer in der Falle. Alle gegen mich, schlachte mich Torero mit’m Degenstich.
Schon zeigst du mir das magische Tuch, schon muss ich dir entgegen. Du drehst dich und wie immer sucht nach meinem Herz dein Degen.
Wie dreckig muss es ihnen gehen, dass sie so wie eben ab und zu einen sterben sehen wollen, um zu überleben.
Gestern warst du so wie sie, heut singst du mir das Lied vom Tod und morgen früh bist du vielleicht der Stier.“
Gerhard Gundermann, „Torero“
Ein Blick ins facebook, zwei ins Leben
Zum Thema „soziale Medien versus richtiges Leben“ ist vielleicht schon alles gesagt. Aber definitiv noch nicht von mir. Also, versuchen wir mal, ein dünnes Stimmchen im großen Chor hören zu lassen. Reaktionen sind ausdrücklich erwünscht, der Text scheint mir bei weitem noch nicht fertig, vielleicht ist er auch überfertig, eventuell hab ich mich verhoben am Thema, möglicherweise auch abgeschrieben. Das hier ist die Fassung vom 23. Februar, Zwo-14, Sonntag. (Ort: Thalia, Dresden-Neustadt)
Ich bin ein Freund der These, dass Internet und Mobilkommunikation gemeinsam das Leben der Menschheit deutlich mehr verändern werden als dies Buchdruck, Dampfmaschine, Elektrizität und klassisches Telefon jemals getan haben, von der Anti-Baby-Pille und der Champions League ganz zu schweigen. Dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen, aber man kann zumindest eine Zwischenbilanz ziehen:
Nichts ist mehr wie es war.
Vor fünfzehn Jahren, die Jahrtausendwende stand bevor, war das im deutschen Sprachraum „Handy“ geheißene Mobiltelefon bereits Allgemeingut, schon damals wäre kein Schüler mehr auf die Idee gekommen, sich für den Nachmittag irgendwo fest zum Bäbbeln zu verabreden, wie das „zu meiner Zeit“ (welche böse Wortgruppe) noch nötig war, wollte man nicht seine Mannschaft mühsam zu Fuß zusammenklingeln, an den Haustüren wohlgemerkt. Bereits da hatte ein kultureller Wandel begonnen, doch die Kommunikation war noch bilateral, es wurde sich angerufen oder später auch gesimmst, mit maximal 60 Zeichen, man erinnert sich?
Aus heutiger Sicht mutet das an wie ein Blick aus dem frankfurtmainer Deutsche Bank – Großraumbüro ins Buddenbrooksche Schreibkontor. Die entsprechende Hard- und Software sowie eine großzügige Vernetzung in den Diensten unterstellt, was man ab dem 12. Geburtstag eines Erst- und Zweitweltbewohners wohl getrost tun kann, teilt man seine Aufenthalte und Befindlichkeiten prinzipiell der ganzen Welt mit, auch wenn diese praktisch nur ein Nanoprozent von jener interessieren. (Und sicher auch nur von jenem Teil wahrgenommen werden, aber man weiß ja nie. Bei später erwachtem Interesse geht das auch nachträglich, das System vergisst niemals.)
So weit, so oft durchgekaut. Das dürfte inzwischen Allgemeinwissen sein. Viel wichtiger ist aber, was daraus folgt: Nichts.
Zumindest für die Mehrzahl der Nutzer (mich meist eingeschlossen) scheint es keinen Unterschied zu machen, ob man etwas im Freundeskreis am Lagerfeuer äußert oder es mit dem Status „öffentlich“ in Endgeräte tippt. Ich will das nicht verdammen, bin ja selbst ein Dampfplauderer vor dem Herrn, aber bemerkenswert finde ich es schon.
Ich will das Feld der tschekistischen Wachsamkeit einerseits bzw. der digitalen Inkontinenz auf der anderen Seite aber gleich wieder verlassen. Das muss schon jede für sich entscheiden, es ist allerdings zu hoffen, dass zumindest die Heranwachsenden hier medien- oder besser sozialpädagogische Hilfe bekommen (auch wenn es sicher noch mehr nötig hätten).
Alle anderen Menschen hier sich im Wesentlichen sich selbst und damit den interessierten Anbietern zu überlassen, halte ich übrigens für ein veritables Versäumnis unseres Gemeinwesens, ja, auch und besonders der sogenannten „geistigen Elite“. Wertmaßstäbe dafür zu entwickeln und diese zu diskutieren, wäre doch deren Aufgabe, oder? Kann ja sein, dass dies in den einschlägigen Zirkeln geschieht, doch zu lesen ist davon für Otto Normaluser wenig, einen praktischen Wert einer solchen Debatte gibt es de facto zur Stunde aus meiner Sicht nicht.
(Dass man den Namen des beispielgebenden Herrn auch als „Normal-Loser“ lesen kann, ist auch wieder so ein böser Scherz des Genossen Zufall.)
Bezug meines Pamphlets soll jedoch und dennoch unser ganz konkretes Verhältnis zu den sozialen Medien sein, hier am Beispiel von facebook behandelt, wobei ich davon ausgehe, dass es in den konkurrierenden Diensten nicht viel anders zugeht.
Ich muss noch einmal auf die Einleitung zurückkommen. Erst das mobile Internet schafft den sozialen Medien Reichweite und Bedeutung: Wenn man jedes Bildchen und jede Gefühlsäußerung erst nach Hause tragen müsste, um sie zu posten, wäre der Traffic sicher deutlich geringer. Und umgekehrt machen erst die entsprechenden Dienste die Smartphones zu wirklich aktiven Endgeräten. In Summe haben wir es mit etwas VÖLLIG NEUEM zu tun.
Auch dies sind zwar Allgemeinplätze, sie müssen jedoch dem folgenden Gedanken vorangestellt werden, um jenem die Chance zur Plausibilität zu geben.
Ich behaupte nämlich: Etwas völlig Neuem kann man nicht mit alten Maßstäben begegnen.
Wo steht denn bitte geschrieben, dass man im facebook so wahrhaftig und „seriös“ sein muss, wie man es im tatsächlichen Leben kaum sein mag? Wie kann eine Datenbank zu Freizeitaktivitäten von mir verlangen, mit meinem richtigen Namen anzutreten und auch noch alle Verwandtschaftsverhältnisse offenzulegen, von den Beziehungen ganz zu schweigen? Warum nervt mich das System ständig mit Fragen, was ich wohl gelernt und gelesen hätte? (Zu bevorzugten Sexualpraktiken wollen sie übrigens nichts wissen, der Server steht in den USA.)
Warum soll ich nicht auch mal über- oder untertreiben dürfen, oder was erfinden? (Dass ich vieles weglasse, versteht sich ja hoffentlich von selbst) Das ist doch alles nur ein Spiel!
Einige Begegnungen der jüngeren Zeit lassen mich allerdings daran zweifeln, ob diese Meinung noch mehrheitsfähig ist. Ein heiliger Ernst weht mir da manchmal entgegen, den ich „facebook-Bigotterie“ nenne, und nach meinem Bekenntnis zu einer gewissen Lockerheit im Umgang mit der Wahrheit, sofern sie das im Netz zum Besten Gegebene betrifft, werde ich schon mal wie ein Sittenstrolch behandelt, auch ohne der jeweiligen Dame (es sind erstaunlicherweise nur Damen bislang) physisch zu nahe getreten zu sein.
Ja, Herrschaftszeiten, was ist dieses facebook denn eigentlich, was glaubt es zu sein? Was erlauben Strunz-Zuckerberg?
Eine genial programmierte Datenbank, da sind wir uns schnell einig. Eine Spielwiese, ein Friedhof der Urlaubsbilder, eine Gelegenheit zum verlustfreien Teilen, eine Kleinkunstbühne, ein Ego-Shooter (wenn die Zahl der Likes es hergibt, sonst ein –Dämpfer), ein praktisches Mittel der kulturellen und sozialen Vernetzung, ja, manchmal auch eine ernsthafte Diskussionsplattform, und in zunehmendem Maße ein Werbeträger. Ein Ort zum Ausheulen, ein Kummerkasten? Eher nicht, aber notfalls auch das. Ein Panoptikum, das sicher. Die beste Freundin? Davon würde ich abraten.
Aber nie, nie, nie ist facebook ein Duplikat oder gar ein Ersatz für das soziale Leben. Dessen Regeln gelten hier nur bedingt, begreifen Sie das bitte, Mesdames. Und genauso, wie ich versuche, in der Wirklichkeit meinem Gesprächspartner in die Augen zu schauen, ihm die Wahrheit zu sagen (wenn es denn sein muss, man kann auch mal schweigen) und verlässlich und berechenbar zu bleiben, bin ich im facebook ein Bruder Leichtfuß, ein Dschungelkämpfer der Satire, der Viertelgott der Ironie. Ein Widerspruch? Nur für jene, die dem Medium facebook distanzlos gegenüberstehn.
Vielleicht muss man eine gewisse Lebenserfahrung haben, um das so sehen zu können, die späte DDR mit ihren genormten Verhältnissen erlebt zu haben, hilft sicher auch.
Ich jedenfalls werde mich nicht zwingen lassen, die im puritanischen Amerika ausgedachten Regeln zu befolgen, weder von Herrn Zuckerberg noch durch sozialen Druck.
Dass ich mein Unwesen im facebook auch noch unter meinem richtigen Namen treibe, ist vermutlich aus Sicht der anderen Seite besonders perfide. Kann man bei einem Phantasienamen (wie ich ihn gelegentlich auch mal benutze, vertretungsweise) sofort von Unseriosität ausgehen, ist dem facebook-Michel (oder „der -Michelin“, ohne Sterne, hähä) ein Klarname mit Anarcho-Potential nicht geheuer. Da werden die ungeschriebenen Gesetze übertreten, das gehört sich doch nicht, warum macht denn da keiner was, kann man den nicht abschalten?!
Bedaure. Hier sitze ich, ich kann nicht anders.
Und verbreite weiter fröhliches Chaos, beschwingte Aufschneidereien, lehrreiche Lügengeschichten. Dazwischen auch häufig mal – der Gipfel der Bösartigkeit – zur endgültigen Verwirrung etwas Bitterernstes.
Die Mühe auf sich zu nehmen, das Eine vom Anderen zu unterscheiden, dies erwarte ich von meinen facebook-„Freunden“ schon. Wem das zu viel ist: Glück auf den Weg. Mit zwei Klicks ist man draußen aus meinem Kleinkosmos, noch zwei mehr, und man hört nie wieder von mir. Zumindest nicht in diesem Sozialtheater.
Dar Commandante Teichelmauke kimmt zurick!
Wir alle erinnern uns noch der dramatischen Stunden am Buß- und Bettag des letzten Jahres, als ein Trupp von Freischärlern aus der Oberlausitz unter der Führung von Commandante Teichelmauke aus Langeweile die Radeberger Brauerei eroberte und mit dem „Kommando Klecker-Hans“ das MDR-Funkhaus besetzte. Zumindest zu besetzen glaubte, allerdings hatten die Kämpfer die Adresse verwechselt und waren beim unweit gelegenen freien Sender „coloRadio“ gelandet. Dort war der Widerstand naturgemäß gering, und als das letzte Eibauer gemeinsam getrunken war, zog sich der Stoßtrupp zur Beratung und in die Berge zurück. Und weil auch die Produkte der Radeberger Bierfabrik sich jenen der Äbrlausitz unterlegen zeigten, nutzte die Vulksbefrrreiungsoarmee die Grruppenrrrückfoahrkoarrte und es zog wieder Ruhe ein im Frrrei-, äh, Freistaat.
Doch im Untergrund schwelte es weiter … Und nun scheint der Tag des Aufbegehrens nicht mehr fern zu sein.
Soeben (dreiviertelsieben im Frühfrühling 2014) sendete Al-Hamsterradio (werktags auch coloRadio genannt) auf allen seinen Wellen eine Audio-Botschaft, die einem Live-Mitschnitt der gestrigen Ansprache des verschollen geglaubten Commandante Teichelmauke an seinen engsten Führungszirkel im Inneren des Valtenbergs entstammt. Hier ist exklusiv die erste Abschrift, zum Teil ins Neu-Hochdeutsche übertragen:
(Feuerknistern, Gemurmel, leise Rülpser und Hochrufe, Flaschenbierklingeln, dann feste Schritte zu hören, kurze Stille)
„Genussn, iech hoab anne grußartche Wiesjon fier unsr Vulk.
Ich werde mich nun in Teichelmauke legen und ihr in Bälde als Teichelmaukilus, der Schaum- bzw. Sauerkrautrindfleischbreigeborene entsteigen.
Ich werde die Völker der ehemaligen Kreise Zittau, Löbau, Görlitz, Niesky und Bautzen einen und hinter mir versammeln, auf Dresden marschieren, den Neumarkt verhaften und den Stanislaus besetzen sowie die RRÄ – Räterepublik Äbrlausitz – ausrufen. Wir wählen den Doppelstatus „eingetragener Staat und gGmbH“. Meine Männer graben sich im Anschluss tief in die dortigen Würstchenbuden ein.
Dann boassiert erschtmoal goar nischt.
Als Stanislaus nach zwei Wochen als vermisst gemeldet wird, kann ich ihn dann endlich der örtlichen Polizeidienststelle übergeben. Schon am nächsten Montag beruft er einen Krisenstab ein, der aus Frau von Schorlemer, seiner Gattin und ihm besteht, und bietet Verhandlungen an.
Das mir nach kurzer Zeit angebotene Amt des Semperoper-Intendanten schlage ich wegen Unterforderung und Überbezahlung (oder umgekehrt) aus. Neue Geiseln brauch ich auch nicht, schon gar nicht von der FDP. Die Verhandlungen geraten ins Stocken. Steinmeier droht zu kommen.
Aber die Hilflosigkeit der Regierung rührt mich dann doch noch rechtzeitig, außerdem geht das „Eibauer“ am Neumarkt zur Neige. Deshalb lasse ich mir schließlich Bautzen abhandeln, im Gegenzug kommt die Äbrlausitz in den Grenzen von 1648 frei. Was hätten wir auch mit dem Sorben-Kaff gewollt?
Freies Geleit für meine Truppen und jährlich die Einnahmen des Striezelmarktes für die nächsten 99 Jahre als „Tribut der Freiheit“ sind auch Bestandteil des Gesamtpakets, das Stanislaus und ich am folgenden Sonnabend abend im MDR gegenüber Helene Fischer als „ausgewogen und jeweils gerade noch vertretbar“ bezeichnen. Zum Glück hab ich die Strumpfmaske noch auf, so sieht mein Grinsen keiner.
Das Folgende ist Routine.
Ich lass mich auf der Rückreise an der Autobahnkirche Uhyst zum Eier-Toller wählen und trete mit meinem Volk der Bunten Republik Neustadt (BRN) bei. „Nach meiner Kenntnis gilt das ab sofort“, höre ich mich der Presse antworten. Dann wird es wohl so sein.
Wegen der Vielzahl der Häupter meiner Lieben vereinbaren die Improvisierte Provisorische Regierung der BRN und wir, also ich, eine demokratische Quotenregelung: Die Äbrlausitzer erhalten kein aktives Wahlrecht in der BRN, dafür werde ich Frühstückspräsident auf Lebenszeit.
Dann suche ich mir noch eine Statthalterin aus, die in Zittau für mich regiert, und beziehe meine Dienstsynakirmoschengoge in der (von dr Äbrlausitz aus gesehen) Exklave Neustadt. Nur um Reisekosten zu sparen, lasse ich verlautbaren, das ist ja viel dichter am Verkehrslandeplatz Drässdn Inter-Nazional. Fürs Erste begnüge ich mich dann mit dem „Stellenplan B“, der lediglich 80 Bedienstete und Zofen zur Absicherung der Wahrnehmung meiner Amts- und Repräsentationsgeschäfte vorsieht. Und trete umgehend meinen harten Dienst an.
Ich bitte Euch nun um Zustimmung zu diesem Ploan. Gibt-es-Gegenstimmen-das-ist-nicht-der-Fall. Eenstimmch oagenumm. Ich doanke fiers Vertrrraun.“
(Hochrufe und Flaschenbierklingeln werden deutlich lauter, vereinzelt ist Tischfeuerwerk zu vernehmen, vor der Höhle offenbar Böllerschüsse oder Liquidation der potentiellen Gegenstimmen)
Nach Informationen von Al-Hamsterradio soll sich der Commandante inzwischen in die Teichelmauke begeben haben.
Was Fritzchen nicht lernt – Die Radi-Republik
(Fast ist es mir peinlich, das zu schreiben, aber die Sorgfaltspflicht gebietet es: Mit „Radi“ ist nicht das Fernsehbier gemeint, sondern das nördlich des Weißwurschtäquators als Rettich bekannte Gemüse, das – mit Salz beträufelt und nach einigen Minuten zur Maß und zur Brezen genossen – als „Viagra des Voralpenlandes“ gelten kann. Und schmecken tut es obendrein.)
Hans-Peter Friedrich, im Folgenden – was er sich selber zuzuschreiben hat – Fritzchen genannt, ist in dieser Radi-Republik aufgewachsen und sozialisiert worden. Man kann das nicht als mildernden Umstand gelten lassen, vielen anderen ging das ebenso und sie sind trotzdem gute Demokraten geworden. OK, viele andere auch nicht.
Die Radi-Republik kann man auch als „bairischen Sozialismus“ bezeichnen. Auch hier gibt es noch etwas, was über dem Staat und seinen Organen steht: Die Partei. Und derem Wohl hat ein Staatsdiener zuallererst zu dienen, das wird genauso gepaukt wie der Katechismus. Vermutlich sind diese Erkenntnis fördernde Substanzen (neben vielen anderen) auch im Weißbier drin.
Was soll so ein Fritzchen also machen, wenn ihm als für die Innereien der aus dem Freistaat Bayern und einigen angeschlossenen Gebieten bestehenden Bundesrepublik Deutschland zuständigen Minister, der die ganze Legislatur eher den Watschenmann geben musste, völlig unverdient, versteht sich, zum Ende derselben, nach einem sich abzeichnenden Partnerwechsel an Kanzlerinnens Tisch und Bett, im Oktober auf einmal eine Information zur Kenntnis kommt, die einen erheblichen Einfluss auf das Wohl und Wehe der in Gründung befindlichen Großkoalition haben könnte? Richtig, er funktioniert.
Und sticht durch, dass einer der Hoffnungsträger des Noch-Gegners und Bald-Partners da in Kürze ein Problem haben dürfte. Erzähl mir keiner, dass Gabriel der Einzige war, der damit beglückt wurde. Personalien sind Chefsache, auch bei CSU und CDU, egal, ob sie den eigenen Haufen oder die fremden Heere betreffen.
Die Logik, die dahintersteht, ist einfach: Der Mensch Edathy verliert seinen Anspruch auf Schutz seiner Persönlichkeit und seiner Daten, sobald er sich anschickt, eine größere Rolle im Politikbetrieb zu spielen. Er wird zum Kader, zur Figur im politischen Schachspiel, auch daher die Analogie zum Sozialismus, bayerischer Art natürlich.
Dass ausgerechnet dem amtierenden Innenminister dieser „Lapsus“ unterläuft, sollte man nicht überbewerten. Fritzchen scheint seine Stellenbeschreibung nie gelesen zu haben, wozu auch? Im Zweifel kann man den Parteichef fragen.
Ich möchte gar nicht wissen, welche Panik daraufhin in der SPD ausbrach. Auch diese ist ja mit den Prinzipien der Machtpolitik bestens vertraut. Ausgerechnet jener, der sich mit dem NSU-Untersuchungsausschuss frische und große Meriten erwarb, nun unter diesem Verdacht, der unweigerlich tödlich ist für die weitere politische Karriere, egal, ob es zu einem Verfahren kommt oder nicht … Doch auch im Adenauer-Haus dürfte man not amused gewesen sein, die falsche Nachricht zur falschen Zeit. (Nochmal: Ich wette, dass die Spitze das wusste.)
Alles Weitere kann man einigermaßen verstehen, das war reine Schadensbegrenzung bei einem Thema, bei dem die Öffentlichkeit kein Pardon gibt.
Was Herrn Edathy vorzuwerfen ist, wird sich zeigen, ich maße mir da kein Urteil an. Doch dass Hans-Peter Friedrich gehen musste, auch von dem vergleichsweise unbedeutenden Ministerposten, auf den man ihn wider besseren Wissens gehievt hatte, war von Anfang an klar, als die Sache aufflog.
Bezeichnend für das „System Radi-Republik“ ist nur die Uneinsichtigkeit von F., die offenbar auch nach seiner von der Parteienführung vorformulierten Rücktrittserklärung noch anhält. Was Fritzchen nicht lernt, nämlich die Achtung von Persönlichkeitsrechten, auch gegenüber den Interessen der Regierungspartei, das lernt Friedrich wohl nimmermehr.
Insofern muss man seine Ankündigung „Ich komme wieder“ wohl als Drohung begreifen.
Mit der MoPo zu den Frauen
Dass Dresden immer weltläufiger, offener und moderner wird (die Stadt Leipzig z. B. soll gerade das Beitrittsgesuch formulieren, hört man), erkennt man auch daran, dass die vielfältige Presselandschaft unserer in Sachsen weltgrößten Landeshauptstadt immer mehr an Qualität und Esprit gewinnt. Die fast über vier Lokalzeitungen (allesamt europaweit beachtelt) und die ungezählten Anzeigenwochenblätter liefern sich einen erbitterten Qualitätskampf, der zu einem Feuerwerk von Ideen führt, jeden Tag. Dass man dabei auch zu Mitteln der Satire greift, ist im Zeitungswesen jenseits das 1. April zwar ungewöhnlich, in Dresden allerdings schon sehr lange Brauch, man hat eigens ein Wort dafür eingeführt: „heemdiggsch“.
Eine weitere Eskalationsstufe der erbarmungslosen Ausleseschlacht wurde jetzt von der „Dresdner Morgenpost“ erklommen, jener auch (mehr oder weniger) liebevoll „MoPo“ genannten Boulevardtochter des hiesigen sozialdemokratischen Verlagshauses, eine Stufe, die nur noch zu steigern wäre, wenn die BILD (die es in redaktionellen Resten auch noch in Dresden geben soll) mit der Titelseite des „Stürmers“ vom Tage nach der Bücherverbrennung aufmacht, in Fraktur und Originalgröße. Alles andere wäre nur Nachahmung und müsste verblassen.
Womit hat sich die MoPo nun einen derartigen Vorsprung verschafft? Eigentlich ist es ganz simpel, wie jede große Idee: Man berichtet über eine Veranstaltung des Wochenendes einfach mal im Stil des „Rodgauer Landboten“ vom Ende der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts.
Natürlich soll man Kunstwerke im Ganzen wirken lassen und möglichst von Interpretationen absehen. Naheliegend wäre also es gewesen, hier einfach eine Kopie des Artikels einzufügen und dann mit einigen bewundernden Worten diesen Blogbeitrag zu schließen.
Doch ich fürchte das Urheberrecht, die Kollegen der MoPo werden ihre Kunst schon selbst vermarkten wollen, deshalb soll in der Folge das beschrieben werden, was an sich nicht adäquat zu beschreiben ist.
Während sich die Überschrift „Mit der Mopo zur Frauenmesse“ noch relativ modern gibt, lässt die Übertitelung „Heiße Töpfe, scharfe Wäsche“ den folgenden beißenden Spott schon ahnen. „Frauen aufgepasst“ als Textbeginn ist dann so was von retro, dass auch dem letzten Heimchen am Herd klar wird, wo der Wind her weht. Doch der Autor lässt sich bis zum Ende nichts anmerken, vermutlich musste er beim Schreiben genauso oft prusten wie die Frau von heute beim Lesen. Und in der Kantine der MoPo gab es heute sicher Eierlikör für alle, spendiert von der Frauenbeauftragten ob dieser grandiosen Persiflage.
Es kommt mir kleinem Blogger nicht zu, einen solchen Meister durchgängig zu zitieren, aber ich will dicht an dem bleiben, was in der Zukunft sicher „Schrift“ genannt wird, um das Werk nicht zu beschädigen.
Nein, es geht auf der Frauenmesse diesmal nicht nur ums Kochen, Shoppen und die passenden Dessous, auch das Thema Schuhe ist nun neu dabei. Damit hat man nun wirklich „alles, was Frauen interessiert“ (O-Ton) abgedeckt. [Einziger Vorwurf, der dem bescheiden mit „tyx“ unterzeichnenden Autor zu machen wäre, ist die aus diversen Unterschichtenmedien bekannte gnadenlose Vorführung der Protagonisten, hier der armen Veranstalterin D. K. (37), die mit der zitierten Äußerung „Den Herren würde in der Frauenwelt wohl schnell langweilig“ der Lächerlichkeit preisgegeben wird und sich nun hoffentlich nicht in die Nagelfeile stürzen wird. Doch Satire darf alles, und ein bisschen Schwund ist überall.]
Perfide ergießen sich weiter die Kübel voll Hohn über die arme Frauenmesse (deren Verkaufsgut im Titel ja eindeutig genug beschrieben ist), als aufgezählt wird, was man bzw. besser frau dort alles Schönes erleben kann: Beauty-Workshops, Show-Kochen, Miederwaren, Fitnesstipps und …. Stepptanzen.
Tatsächlich, da steht Stepptanzen. Das ist der dreifache Rittberger der Ironie, der Null-Fehler-Lauf der Satire, der Putin unter den Despoten: Die MoPo ist Olympiasieger!
Dass man mit einen einzigen „p“ so wunderbare Assoziationen erzeugen kann, wie z.B. dass Muddi hinter der Nähmaschine hochtänzelt und nackig steptanzt, wenn Vaddi das will, vom Steppen zum Step … da kann man die Titanic untergehen lassen, den Eulenspiegel dem Spiegel angliedern, die letzten Kabarettisten ausweisen … hier kann nichts mehr kommen. Jedenfalls nichts Besseres.
Die MoPo hat heut 3×2 Freikarten verlost. Ich hab mich nicht getraut anzurufen, hätte kein Wort rausgebracht vor Ehrfurcht.
Deshalb hier schriftlich: MoPo, ich will ein Kind von Dir.
