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Hiddenseeer Elegien, Teil 3: Von Mynheer Peeperkorn
(Thomas Mann, Zauberberg, klaro. Wir verstehen uns, wir Kulturbeutel.)
In seiner zweiten Lebenshälfte sah dieser Mann aus wie eine Kreuzung aus Goethe und Beethoven. Das ist zwar so ziemlich das Unwichtigste, was man über ihn sagen kann, aber er selbst legte da Wert darauf. Das Gesamtbild sollte stimmen.
Zumindest mein Gesamtbild stimmt morgens wieder, mein Körper entsinnt sich der Charakterzüge des Typen, der ihn bewohnt und bleibt bis Zehn liegen. Danach dann Frühstück vom selbstgemachten Buffet, mit Untermalung von nostalgischen Musik-TV-Sendern. Etwas debil ist das sicher, aber allein die Frisuren von Duran Duran sind es wert.
Eigentlich hatte ich gestern beschlossen, mir für die nun schon letzten drei Tage ein Fahrrad zu leihen, aber beim Frühstück nochmal drüber nachgedacht: Wozu mit einer Rostmähre rumärgern, die mir sowieso zwei Nummern zu klein ist? Das bißchen Insel schaff ich auch zu Fuß, und Gehen ist die vornehmste Art der Fortbewegung, hat mal ein großer Dichter gesagt. Ach nee, das war ja ich. Stimmt aber trotzdem.
Angenehme 22 Grad, ein ganz leichter Sprühregen, so marschiere ich frohgemut los. Einiges Neue gibt es doch zu bewundern im Dorf, das fünfte Malercafé hat eröffnet, es gibt einen Bolzplatz mit Kunstrasen (war das hier auch mal ein Hochwasserschadensgebiet?), der umzäunt ist. Sport ist hier offenbar nur denkbar, wenn ein Zaun drum herum ist.
Und es gibt jetzt einen Hubschrauberlandeplatz. Der wird sicher für den Wahlkampfbesuch von Frau Merkel und drei oder vier Mal im Jahr noch für andere Notfälle gebraucht, das Betreten ist aber ganzjährig verboten. So kenne ich mein deutsches Vaterland.
Ich gehe einem Mann besuchen, der sein Haus zwar nicht mehr direkt bewohnt, wo alles aber noch so ist wie vor achtzig Jahren. Fast alles, ein sehr hübscher Empfangspavillon ist dazugekommen, ein Kleinod, völlig reetfrei und unspektakulär dem Gelände angepasst. Gibt es hier keine Reet-Hisbollah? In Dresden wär dieser Bau in Barock auszuführen gewesen.
Das Sommerhaus von Gerhart Hauptmann, so, nun ist es raus, wird seit den Fünfzigern als Museum betrieben. Nett ist das, auch wenn man gleich mit dem Tode beginnt und jeder Hauptmann –Pups ehrfürchtig dokumentiert wird (seine Wandkrakeleien im Schlafzimmer z.B. hätte man dem geneigten Besucher ersparen sollen). Aber sehenswert, wie sich der König von Hiddensee nach dem Erwerb des Hauses 1930 einen großzügigen Anbau errichten ließ, als Schreibstube und Arbeitszimmer, unterkellert von viel Platz für Wein. Der Fußboden aus einer Art Marmor … Allererste Güte. Leisten konnte er sich das, hatte er doch reich geheiratet und nach dem Literaturnobelpreis 1912 wohl auch ausgesorgt. Auch interessant: Die Schlafzimmer des Ehepaares Hauptmann im Dachgeschoß, seines klein und spartanisch, ihres künstlerisch gestaltet, getrennt von einer türlosen Wand, nur eine kleine Durchreiche gab es. Keine Ahnung, was da durchgereicht wurde.
Ein König war er hier wirklich, der seit Jahrzehnten jeden Sommer wiederkehrte, ein Containerschiff voller Wein im Schlepptau. Das mussten auch Thomas und Katia Mann erleben, die ihn 1924 noch im Hotel „Haus am Meer“ besuchten. Das Duell Haupt- gegen Mann endete eindeutig, es konnte nur einen geben. Als dann noch ein Zickenkrieg zwischen den Damen ausbrach – Hauptmann hatte seine langjährige Geliebte Margarete dann doch geheiratet und ihr seinen vierten Sohn „geschenkt“, wie es in den bunten Blättern heißt – war der große Mann offenbar so pissed, dass er dem großen Hauptmann im Zauberberg ein zweifelhaftes Denkmal setzte, ebenjenen Mynheer Peeperkorn. Danach hing erstmal der Haussegen eine Weile schief im Dichterolymp, aber später vertrug man sich wieder, auch wenn sich sicher keiner der Herren zum Pack hätte zählen wollen.
Über das literarische Werk des Schlesiers kann man geteilter Meinung sein. Unter anderem „Die Weber“, „Die Ratten“, „Bahnwärter Thiel“ und (für mich persönlich die einfühlsamste Dreiecksstudie vor einem bürgerlichen Hintergrund, die ich kenne) „Einsame Menschen“ machen Hauptmann unsterblich. Aber seine beste Zeit hatte er vor seinem Fünfzigsten, nach dem Nobelpreis kam für mich nichts mehr, was dieses Niveau hielt. Und dabei produzierte er noch dreißig Jahre lang …
Es klingt zynisch, aber Schiller zählt auch deshalb zu den Großen, weil er gar keine Chance hatte, sein Erbe zu verschleudern. Und James Dean hätte bestimmt noch eine Menge schlechter Filme gemacht …
Auch ein anderer Makel würde heute nicht an Hauptmann kleben, wäre er – nur so als Idee – in den Zwanzigern vor seinem geliebten Hiddensee in der Ostsee ertrunken.
„Manch großer Geist blieb in ner Hure stecken“ hat Brecht sicher nicht mit Blick auf Hauptmann gedichtet, aber es passt. Nur, dass G. H. sich den Arsch des Führers aussuchte zum Steckenbleiben. Das sei schon ein faszinierender Mann, fand er. Da waren alte Freunde wie Alfred Kerr nicht so wichtig, und die Realität hatte draußen zu bleiben, er war schließlich Dichter. Und hatte Goethe sich nicht auch aus allem herausgehalten?
Aus Sicht der Psychoanalyse kann man das sicher behaupten: Hauptmann hatte einen Goethe-Komplex.
So überwinterte er im Tausendjährigen Reich und wäre – Ironie der Geschichte – fast noch zur Galionsfigur des „neuen Deutschland“ geworden, für das ihn Johannes der Erbrecher geworben hatte. Ein gnädiger Tod nahm ihn vom Feld, ehe er sich zum yogischen Fliegen bekennen konnte.
Von alledem berichtet das Museum: Von einem großen Dramatiker und (deutlich dezenter) von einem großen Arschloch.
Oh, ich wollte mich gar nicht ereifern, bin doch zur Erholung hier.
Und die Realität holt mich auch schnell wieder ein: Am Nebentisch des Fisch-Imbisses sitzt ein fettes Paar mit dickem Kind, das Pommes mit Currywurst frisst und es fertigbringt, in zwei Sätzen über Hauptmann drei Generalfehler unterzubringen.
Und im Radio singt ein Kraftklub, dass die Welt ein bißchen weniger Scheiße wäre, wenn sie ihn küsse … Die Ansprüche sind deutlich gesunken, seitdem ich in dem Alter war. Aber die „unruhevolle Jugend“ von damals hat heute ohnehin ADS.
Es regnet stärker, als ich zurückwandere. English Summer Rain … schön ist es.
Ich betrete den Hubschrauberlandeplatz, sowas von verboten … Ein prickelnder Schauer überzieht meine Haut.
Und immer lockt das Grübchen
„Eine für Alle“, ein Sommertheaterspektakel von Peter Förster, gesehen am 12. Juli 2013 im Bärenzwinger Dresden (Premiere)
In letzter Zeit häuft es sich mit den Zufällen. Diesmal war ich bei der von mir erwählten Veranstaltung genau eine Woche zu früh erschienen, und bei der Suche nach Alternativen für den angebrochenen Frühabend stieß ich auf Försters Sommertheater, das ich in den letzten Jahren schon mehrfach goutierte. Dass heute auch noch Premiere war, dafür kann ich nun wirklich nichts.
Das Publikum zur letztlich ausverkauften Uraufführung hebt sich dann doch von jenem ab, was man aus dem Schauspielhaus gewohnt ist. Im Schnitt zehn Jahre jünger, mindestens, der Tautologie auf der Programmkarte, dass die Fläche überdacht sei und man (trotzdem?) bei Regen spiele, hätte es gar nicht bedurft.
Der Titel zielt auf die niederen Instinkte bei weitem nicht nur des männlichen Publikums, und das ist gut so. Wenn das Niveau erstmal unten liegt, kann es nur noch aufwärts gehen.
Schon zum zehnten Male stehe er hier zum ersten Mal auf der Bühne, sagt ein quirliger, sympathischer Peter Förster. Respekt. Auch sonst ist er sehr unterhaltsam. Warum spielt er eigentlich nicht auch selbst?
Artig lobt er die Sponsoren und heißt die Presse willkommen, die in großer Zahl erschienen ist. Es ist unverkennbar ein Heimspiel, das Publikum jubelt schon beim Warmmachen.
Es beginnt, etwas simpel vielleicht am Anfang. Viel wird über die Differenz zwischen drei Musketieren (nach dem Titel von Dumas) und vier Darstellern philosophiert, dabei ließe sich das leicht erklären. Welcher Schriftsteller bringt schon eine Schlusspointe im Titel unter? Aber sei es drum, auch dem Bildungsauftrag wird Genüge getan, der Name kommt vom Muskete tragen. Dass wir es mit einem Mantel-, Degen- und Intrigenstück zu tun haben, hätte eine Erwähnung nicht gebraucht.
Gott erlaube auch das Abhören, wenn es in seinem Interesse sei, sagt ein glänzend gespielter Kardinal Richelieu, Yes We Can. Und geht flugs ans Werk, um – über Bande spielend – erst die Königin Anna mit ihrem Liebhaber und Staatsfeind Buckingham zu desavouieren und damit dann den König zu stürzen. Lady de Winter ist seine Mata Hari, auch jene gut aufgelegt. Man bekommt eine Kurzeinweisung in den europäischen Hochadel zu Zeiten Louis Treize, hier werden Länder geheiratet.
Buckingham (und doppelrollig Porthos) lässt die Erinnerung an Monty Python wach werden, er kann nicht nur unglaublich dämlich gucken. Und beklagt sich über 10 Downing Street, jenes Reihenhaus, in das er als erster Staatsdiener ziehen müsse. Amüsant, das Ganze, es macht Spaß zuzusehen.
Nun wird auch das Rätsel des Stücktitels gelöst. „Eine für Alle“ ist einfach die gendergerechte Form. So einfach kann das manchmal sein. Über „EineR für Alle“ sind wir inzwischen hinaus.
Die drei (!) Musketiere haben zwar kein Programm, aber den festen Willen zum Heldentum. Eine leichte Beute für d’Artagnan, der hier als Revolutionsführer daherkommt und die Mannschaft erstmal ideologisch aufrüstet. Anzeichen von Abweichlertum bekämpft der Gascoigner mit der berühmten Frage, ob man wohl – sinngemäß – nicht für den Frieden sei.
Richelieu hat inzwischen bei seiner schönen Spionin Mühe, dem Zölibat (und damit Gott?) treu zu bleiben, da hilft nur Selbstkasteiung.
Die Texte sind übrigens sehr schön in Versform gebracht, das ist erbaulich.
Affairen müssen geheim bleiben! Deswegen schickt Anna, die in einem schwachen Moment dem Buckingham (unter anderem) ihre Diamanten überließ, die Musketiere aus, sie zurückzuholen, ehe das Fehlen bemerkt wird. Diese dienen zwar dem König, aber d’Artagnan ist dialektisch geschult und bestätigt den Nutzen für die Staatsräson. Außerdem fordert er die Verstaatlichung aller persönlichen Geheimnisse und ist damit seiner Zeit weit voraus.
„Eine kriegt Alle“ hätte es auch heißen können, wenn Anne die Muskeltiere (wie ich als Kind immer mangels besseren Wissens sagte) becirzt.
Aber auch Lady Winter wittert ihre Chance und reist gen Calais. Pause.
Es ist sicher schwer, aus diesem Stoff noch etwas Neues herauszuholen, aber das muss ja auch nicht zwingend sein. Bislang ein flott gespieltes, unterhaltsames Stück, das auch reichlich aktuelle Bezüge bietet.
Shakespeare, der nach dem Untertitel ja auch im Rennen ist, kommt allerdings kaum zur Geltung. Aber wie der Impresario in der Pause die leeren Gläser wegräumt und noch einen Stuhl heranschleppt … so muss Theater zu Shakespeares Zeiten gewesen sein.
Zudem ist es angenehm locker in der Pause, selbst die Schauspieler reihen sich in die Rauchergrüppchen vor der Tür ein.
Der Einstiegsgag mit „Versailles1700“ gefällt mir sehr. Die Motive heute und früher ähneln sich sicher.
Dann wird es handlungstechnisch etwas unübersichtlich. D’Artagnan wird dank einer zufällig übergestreiften Robe von allen für den König gehalten, naja. Immerhin bringt er die Diamanten zu Tage und schließt damit die offene Flanke in der königlichen Ehre. Bevor er allerdings richtig Gefallen an seiner neuen Rolle finden kann, sperrt ihn Richelieu weg. Dabei wollte er doch nur seine eigene Gattin konkukomprimieren? Was alles so verboten ist.
Deswegen muss er dann als Hannibal Lector auftreten, eine eiserne Maske ziert sein Antlitz. Ab in den Keller zur Feuerzangenbowle ohne Bowle.
Buckingham tauscht inzwischen die Diamanten gegen eine kleine Geschichtskorrektur und seinen Job für eine Stelle in der königlichen Garde ein. Dem muss ja echt was an der Dame liegen.
Wie kriegen wir den Kuddelmuddel nun dramaturgisch zu Ende? Relativ elegant. Der echte König erscheint (er war nur kurz mal zur Therapie) und übt Gerechtigkeit, enttarnt das fiese Streben des Richelieu, buchtet jenen mit Maske ein und befördert den Helden d’Artagnan zum Musketier des Königs.
Wie die interessante Dreiecksgeschichte mit Anna und dem Buckingham weitergeht, bleibt uns allerdings verschlossen.
Jubelndes Publikum zum Schluss, viele virtuelle Vorhänge, auch Peter Förster kann sich seinen verdienten Beifall abholen. Ein schönes Stück sommerliches Theater, leicht und erfrischend wie ein Roséwein. Ich nehm noch ´n Glas. Bis Ende August hat der Ausschank noch offen, sechs Tage pro Woche en suite.
PS: Blöderweise hab ich die Programmkarte liegenlassen, einem Profi wär das nicht passiert. So kann ich die Namen der durchweg guten Schauspieler nicht erwähnen, was mir leid tut, aber Gelegenheit gibt, auf die Internetpräsenz hinzuweisen:
http://www.Kammerspiele-Dresden.de
Das Gute trägt Hochwasserhosen
„Der Parasit“ von Friedrich Schiller nach Louis Picard, Regie Stefan Bachmann, (zweite) Premiere am Staatsschauspiel Dresden, 28. Juni 2013 (die 108. n.u.S.)
Mit diesen Frisuren kann man ja nichts werden. Vater und Sohn Firmin (Lars Jung und Matthias Luckey als Tandem ähnlich wie beim „Baumeister Solness“) räsonieren anfangs über das missgünstige Schicksal, das Karriere und Brauteroberung verhindert. La Roche tritt auf, ein geschlagener Mann, der seine Stelle verlor und dies dem Selicour anlastet. Tja, immer der Erste zu sein im Büro, hilft offenbar auch nicht, wenn es Raffiniertere gibt. Torsten Ranft gibt ihn (später) als Furie und ist sich des Publikumsjubels sicher.
Der La Roche schwört Rache und redet sich in Fahrt. Auch an Papier kann man sich böse schneiden. Die ersten Lacher landet er durch Spucken, na gut. Die altmodische Sprache hindert ein wenig am Verständnis, aber der allgemein Beschimpfte scheint ein Cleverle zu sein. Die von La Roche angebotene Rächung als Zwangsbeglückung lehnen die beiden grundanständig-langweiligen Firmins aber vorerst ab.
Die raffinierte Drehbühne (Olaf Altmann) bringt dann einen Minister sowie dessen Mutter und Tochter zu Tage, es passiert aber eigentlich nicht viel, auch wenn jeder Halbsatz belacht wird.
Erst mit dem Erscheinen des übel beleumundeten Selicour ändert sich das, er bringt Bewegung ins Beamtenmikado, scheinbar der einzige richtige Mensch zwischen diesen Karikaturen. Zunächst becirct er die Mutter (Hannelore Koch) des verehrten (Neu-) Ministers, er weiß wie es geht. Die bedauernswerte Ines Marie Westernströer muss das Dummchen von Tochter geben, noch mehr Mitleid verdient Christian Clauß, dem man den alten, zittrigen Kammerdiener aufgezwungen hat. Beide erledigen das professionell.
Solicour tanzt, tänzelt durch die Winkel des Ministeriums, berauscht von seinen Plänen. Ein wunderbarer Ahmad Mesgarha ganz in seinem Element, eine großartige Leistung, jede Facette des Hochstaplers wird glaubwürdig gezeigt und ausgeleuchtet. Ich habe ihn schon früher, als ich mich noch nicht berufen fühlte, meine Meinung breit zu streuen, u.a. zweimal als großartigen Mephisto erlebt, einmal im Faust und einmal mit dem Decknamen Hendrik Höfgen, das erwähne ich hier sehr gern.
Philipp Lux hingegen muss den Deppen von Minister machen, den eine Teetasse und ein Leistenbruch auszeichnen. Mein Beileid.
Die erste Rache-Attacke von La Roche scheitert und fällt auf ihn zurück. Solicour zeigt sich im Triumph großzügig, herzt den La Roche, der Minister will im Bunde der Dritte sein. La Roche entzieht sich, winselt, schauspielerisch sehenswert, dramaturgisch … ach, lassen wir das.
Der Schleimer ist kein Schleimer, wenn man’s nicht beweisen kann. Aber Solicour erhält trotz seines Etappensiegs zwei schwierige Aufgaben, die Fertigung eines Sonetts und eines Wahlprogramms, die ihn beide deutlich überfordern würden, wenn er sich nicht zu helfen wüsste.
Und so luchst (nicht luxt) er den Firmins ihre Werke ab und verkauft sie als die seinen.
Zwischendurch tritt noch Benjamin Höppner als Vetter auf, im Wesentlichen aufs Rülpsen reduziert. Auch er kann Selicour nicht in ernstliche Gefahr bringen.
Die Dreh-Bühne bietet hübsche Einblicke ins Geschehen, das Lied vom Tod ist dann aber doch etwas übertrieben für die Begegnung von La Roche und Selincour. Ungleiche Gegner.
Nichts ist überwältigender als ein Lob, Selincour weiß damit umzugehn. Offenbar ist er der Einzige hier, der Eier und (!) Verstand hat.
Die Handlung schleppt sich dahin, das Fräulein Tochter soll nun den Selicour ehelichen, was ihr Grauen beschert, ganz im Gegensatz zur Frau Großmama. Soll die doch …
Alle spielen großartig, man wünscht sich, sie hätten ein Stück, bei dem sich das auch lohnen würde.
Dann das Finale. La Roche versucht es diesmal mit den Waffen des Selicour, und, oh Wunder, er gewinnt. Jener ist vorverurteilend mit Buratino-Nase gekennzeichnet und verheddert sich im Gestrüpp des angeblichen Minister-Fehltritts. Trotzdem kommt die Wende etwas plötzlich, der Minister wechselt für mich all zu schnell die Seiten.
Auch in diesem Märchen siegt also das Gute, so simpel und bieder es auch daher kommt, das Publikum ist’s zufrieden.
Dann aber noch eine böse Entgleisung: Der entlarvte Solicour wird splitternackt durch den Saal getrieben, Johlen und Jubeln im Publikum. Merken die nicht, wie widerlich das ist? Hat ein schlechter Mensch kein Recht auf seine Würde? So fangen Pogrome an. Kotzen könnte ich.
Die Sieger sind nicht besser als der Besiegte, zwar dümmer, aber in der Überzahl.
Der Gast würde sich gern mit Grausen wenden, als der (beneidenswert gut gebaute) nackte Mesgarha so von links nach rechts gehetzt wird, aber die Höflichkeit siegt. Und so werden die mahnenden Schillerschen Worte, dass die Gerechtigkeit meist nur auf der Bühne siegen würde, auch noch mitgenommen, ehe es in den tosenden Beifall geht.
Es ist – das sei angemerkt – eine second Hand – Premiere. Die erste fand vor einer Woche für die Internationalen Schillertage im Nationaltheater Mannheim statt und wurde wohl frenetisch bejubelt. Von mir aus gerne, aber … einen Einwand habe ich dann doch.
Dieses Stück, das Schiller nur widerwillig (und ich weiß nun auch warum) auf Geheiß des Weimarer Herzogs Karl August 1803 aus dem Französischen übertrug, wie das Programmheft verrät, unterliegt zwei Grundirrtümern:
1. Alles Gute kommt von oben, ein gütiger Herrscher sorgt am Ende schon für Gerechtigkeit. Schmarrn!
2. In einem Apparat wie dem beschriebenen gibt es zwar ein schwarzes Schaf, aber alle anderen sind grundgütig, treu und doof. Nochmal Schmarrn.
Die gewohnte Schillersche Tiefe vermisse ich völlig. Eine simple Parabel von einem enttarnten Plagiator, mehr nicht.
Was soll das heute auf der Bühne? Was will uns das sagen? Warum muss man das so inszenieren, dass es auch zu Schillers Zeiten aufführbar gewesen wäre?
Man hätte es dekonstruieren können, filetieren, vom Ende her aufbauen, was weiß ich, es gibt so viele Möglichkeiten. Bachmann wollte, konnte oder durfte nicht. Schade.
So bleibt ein unnützer Abend, der nur durch die teils großartigen Schauspielerleistungen einer Erwähnung wert ist.
Wir haben keine Chance. Vielen Dank.
„Koma“, ein Stück der „die bühne – Theater der TU Dresden“, Regie Romy Lehmann, gesehen am 25.06.13 in der Groovestation Dresden
Die Überschrift gibt die letzten Worte des Stücks wieder, die von allen drei Darstellern zeitlich versetzt rezitiert werden. Eigentlich ist damit schon alles gesagt.
Es ist nicht das erste Stück, das sich mit jugendlicher Perspektivlosigkeit und den manchmal daraus folgenden Konsequenzen beschäftigt, aber in dieser drastischen Form hab ich das noch nicht erlebt. Doch fangen wir von vorne an.
Eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn ahne ich noch nicht, dass ich wenig später ziemlich erschüttert vor einer improvisierten Bühne sitzen werde. Beim Scrollen durch das hiesige Abendprogramm bleibt mein Auge am „Kneipentheater“ hängen, das sehr schön meine Interessensschwerpunkte zusammenbringt, auch wenn die Reihenfolge sonst eine andere ist. Auf in die Groovestation, hier in der Neustadt ist ja alles nicht weit.
Der kleine Saal ist nochmal halbiert, auf der Ebene, wo sonst die Bands schrammeln, steht eine Batterie Bierkästen. Mühsam, sich im Dreivierteldunkel einen Platz zu suchen, die etwa dreißig Stühle füllen sich schnell, man rückt zusammen. Ich habe keine Ahnung, was gespielt wird, trau mich aber auch nicht zu fragen. Sehn alle wie Insider aus hier, man blamiert sich doch nicht gern.
Drei Darsteller betreten die Bühne, alle Anfang zwanzig. Das Mädchen eröffnet, ein düsterer Albtraum von Schule und Familie wird erzählt. Gräulich genug das Ganze, aber beeindruckend vorgetragen.
Die Kleinfamilie umschlingt sich, liebt man oder würgt man sich? Der Bühnenumbau ohne Hast, zu melancholischer Musik werden gemessenen Schrittes die Kästen zu einem Bilderrahmen aufgetürmt, in welchem ein glückliches Elternpaar sich dann gegenseitig versichert, dass man ja lebe, immerhin.
Der Junior stammelt die Geschichte dazu, alltäglicher Druck, die Innenansicht des Kleinbürgeridylls entpuppt sich als ein Blick in den Vorhof der Hölle. Aber man darf sich doch nicht beklagen … Wenigstens der Konsum macht doch temporär glücklich. (Konsuhm, nicht Konnsum!)
Der folgende Text wird im Dunkeln gesprochen, eine gute Idee, so die Angst zu illustrieren. Das Fest bei kleinen Leuten besteht aus einem Sonderangebotsbraten, zwölf verschiedenen Schokoladetafeln und Käsespießchen, bis man kotzen muss. Aber wir haben uns lieb, zumindest zwei von dreien. Ein fesselndes Theater bis hierhin.
Doch es kommt noch besser. Zu Marylin Manson (sic!) liefern sich die drei Protagonisten eine veritable Schlägerei auf der Bühne, jede gegen jeden, auch körperlich eine große Szene.
Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Auf einmal sind wir in Erfurt, Guttenberg-Gymnasium. Ein Kloß im Hals entsteht.
Und der wächst und wächst, als die kalte Statistik dieser Abschlachtung vorgetragen wird. Zwei Drittel der verschossenen Patronen waren Treffer, 2,56% davon Kopfschüsse. Was haben Sie denn, Sie sind so blass?
Die Chronik des Massakers wird erzählt, dem Zuschauer bleibt nichts erspart. Dem Leser schon, ich beschränke mich darauf zu berichten, dass sich der Täter verdoppelt, ja verdreifacht im Verlauf der Szene. „Höhepunkt“ ist die Hinrichtung der Direktorin, dass die erschossenen Lehrer alle Namen bekommen, macht das Grauen erst recht plastisch.
Darf man bei einem solchen Thema sagen, dass die Form der theatralischen Umsetzung großartig war? Stellenweise wähne ich mich bei „Titus Andronicus“, jenem bluttriefenden Abend im Kleinen Haus, nur das hier alles bloß im Kopf stattfindet.
Die versetzte dreistimmige Lesung des Endes (auch diese vor allem von Romy Lehmann, der Regisseurin, die diesmal auch selbst spielte, in einer großartigen Diktion) krönt ein packendes Theaterstück. Langer Beifall, völlig zu recht, auch für die beiden anderen Akteure Timo Raddatz und Mario Pannach.
Bekanntlich gibt es Worte, die von vorn und hinten gelesen dieselbe Bedeutung haben. Für „Koma“, den Titel des Stückes, trifft dies nicht zu. Oder doch?
Es gibt so Zufälle … Dieser heute bescherte mir eine fesselnde Vorstellung eines Dresdner Laientheaters und die erneute Gewissheit, dass es auch abseits der großen Bühnen viel Gutes zu erleben gibt.
Weitere Termine und andere Stücke der Studentenbühne sind hier zu finden:
http://www.die-buehne.net/
Zur Rolle der Bürgerbühne
Einige Gedanken nach meiner ersten Saison
Ich gebe zu, ich bin direkt betroffen. Zwiefach, als langjährig begeisterter Theatergänger und seit November 2012 als glücklich ausgewählter Darsteller in einer Bürgerbühnenproduktion. Und damit befangen? Das wertet meine Meinung eher auf, denke ich. Schließlich hab ich nun beide Perspektiven.
Die Bürgerbühne ist natürlich kein Theater im klassischen Sinne. Sie ist vielleicht auch ein wenig dem Zeitgeist geschuldet, Partizipation ist chic im Moment.
Die entscheidende Frage ist aber: Was kann sie, was klassische Theaterformen nicht können?
Sie bringt Sichtweisen hinein, die aus dem „realen Leben“ resultieren (ohne zu vergessen, dass auch das Theaterleben wirklich ist). Und sie erschließt dem Theater idealerweise neue Zuschauerkreise, die sonst nie im Saal säßen.
Im ungünstigen Fall würde sie jedoch Produktionen ersetzen, die eigentlich mit (freien) Profis gemacht werden sollten und trüge damit zur Verschlechterung deren Situation bei.
Es sollte deshalb immer einen triftigen und genau beschreibbaren Grund geben, eine Produktion ausgerechnet mit Laien zu machen. Niemand kann an einer Dreigroschenoper Interesse haben, die klassisch inszeniert wird, wo sich aber Laien auf der Bühne tummeln. Das bringt keinen Erkenntnisgewinn, und man täte den Darstellern dabei keinen Gefallen.
Die „Jungfrau von Orleans“ in Dresden ist in diesem Sinne ein Grenzfall. Durch die Jugendlichkeit der Spieler und eine für sie angepasste Bühnenfassung war dies dennoch einer der Höhepunkte der diesjährigen Bürgerbühnensaison.
Die Kernkompetenz der Bürgerbühne ist jedoch m. E. etwas anderes: Die Stück-Entwicklung mit authentischen Menschen aus dem Alltag „da draußen“, die etwas zu erzählen haben, und die Schaffung eines tragfähigen Rahmens dafür. Zu Probenbeginn existiert dabei allerhöchstens ein grobes Konzept für den Inhalt, der rote Faden muss erst noch ausgerollt werden. „Ja, ich will“, „Cash“ und der „Arme Tor“ sind dabei ideale Beispiele.
Der Ablauf der Stückentstehung, diese Mischung aus Improvisieren, Vertiefen und Verwerfen, die harte Arbeit an Text und Form ist übrigens aus meiner Sicht für die Mitwirkenden noch spannender als das spätere Rampenlicht. Man ist über ein Vierteljahr Bestandteil eines kreativen künstlerischen Prozesses, wer hat das im Alltag sonst schon?
Ein besonderer Aspekt sind dabei die zahlreichen Clubs der Bürgerbühne, deren wöchentliche Arbeit mit einer oder zwei Aufführungen beim Clubfestival den Höhepunkt findet. Hier ist der Weg noch mehr das Ziel.
Was mich persönlich immer wieder überrascht und fasziniert, ist das kreative und darstellerische Potential, dass aus dieser doch nur Halbmillionenstadt erwächst. Als hätten hier Hunderte nur darauf gewartet, wachgeküsst zu werden.
Die Bürgerbühne Dresden ist – nach dem vierten Jahr ihres Bestehens darf man das konstatieren – eine wirkliche Erfolgsgeschichte. Es bedurfte dazu einer grandiosen Idee und noch mehr des Mutes, diese umzusetzen, eine handlungsfähige Struktur dafür zu schaffen und diese auch mit den Mitteln auszustatten, um „richtiges“ Theater zu machen.
Dass die Stücke der Bürgerbühne gleichberechtigt auf dem Spielplan stehen und von Technik und Kostümerie genau wie die Großen betreut werden, ist keine Selbstverständlichkeit. Und das ist wohl das eigentlich Revolutionäre am Dresdner Modell: die nahezu vollständige Integration dieser „Laienspieler“ ins Haus.
Aus heutiger Sicht (aber „aus heutiger Sicht“ gab es damals nicht) hätte das auch schiefgehen können: die Stücke Flops, verkopft oder Bauerntheater, die Kritiken vernichtend, das Interesse gering, das Geld zum Fenster hinausgeworfen. Hätte alles passieren können.
Dass es nicht so kam, ist der harten und kreativen Arbeit der künstlerischen Leitung um Miriam Tscholl zu verdanken, und einem Intendanten Wilfried Schulz, der genug Mut und Vertrauen hatte.
Die Saat scheint nun auch bundes-, wenn nicht gar europaweit aufzugehen. Bereits im Januar 2013 gab es in Dresden eine hochspannende Tagung zum Modell Bürgerbühne, im November wird in Mannheim eine Art Folgeveranstaltung stattfinden. Immer mehr Theater probieren Formen der Zuschauer- bzw. Bürgerbeteiligung aus, auch wenn die Dresdner Dimension wohl nirgendwo erreicht werden wird.
Warum? Es fehlt an Geld.
Man muss sich natürlich im Klaren sein, dass auch im Kulturetat jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann. Gerade wenn dieser Etat immer weiter schrumpft (oder im Extremfall wie in Eilsleben gestrichen werden soll), muss die Frage gestellt werden, ob das knappe Geld nicht besser komplett jenen zugute kommen sollte, die das Theater als Beruf (und Berufung) betreiben und schlicht davon leben müssen und wollen. Ist der Kulturetat nicht zu schade dafür, die Freizeit von gewöhnlich mitten im Leben stehenden Menschen aufzupeppen?
Das wichtigste Argument dagegen: Das Theater ist nicht für das Theater da, sondern für die Gesellschaft. Und wenn es in dieser Gesellschaft das wahrnehmbare Bedürfnis gibt, sich selbst in irgendeiner Form theatralisch zu betätigen, muss die Institution Theater auch (!) diesem nachkommen.
Aber natürlich ist das in der Theorie leicht gesagt, die konkrete Ausgestaltung muss immer lokal bestimmt werden.
Es ist auch noch auf das Verhältnis der (staatlich alimentierten) Bürgerbühne zu den freien Theatern und den Laienspielgruppen der Stadt einzugehen. Vereinfachend gesagt, wird hier oft eine Wettbewerbsverzerrung in finanzieller und personeller Hinsicht beklagt. Ob die Bürgerbühne den anderen Theatern Fördermittel abgräbt, kann ich nicht beurteilen, dazu kenne ich die Strukturen zu wenig. Für die Rekrutierung von Darstellern ist es aber natürlich ein Problem, wenn ein derart attraktives und breites Alternativ-Angebot existiert. Und wer sich schon einmal im Amateurtheater betätigt hat, ist sicher froh, weder die Kulissen selber schieben noch die Eintrittskarten verkaufen zu müssen, von Marketing, Kostüm und Technik ganz zu schweigen.
Wird damit die Laienspielszene ausgetrocknet? Ich denke eher, nach einem Abschwung wird sie sich wieder aufrappeln und vielleicht über ganz neue Kräfte verfügen.
Denn das Prinzip der Bürgerbühne (auch wenn es gelegentlich durchbrochen wird) ist: „Jeder nur einmal“. Und selbst wenn es im Einzelfall schade ist, sollte man daran festhalten. Ein stehendes Ensemble aus sich fast wie Profis fühlenden Amateuren ist nicht Sinn der Sache. Die Bürgerbühne lebt von immer neuem Input aus dem wahren Leben, und ich kann nicht erkennen, dass dieser Strom abreißen würde.
Aber wo soll der nunmehr Infizierte nun hin mit seiner entdeckten Spiellust und -freude? Genau. Ich prophezeie, die Laientheater werden allgemein einen deutlichen Zufluss erfahren in den nächsten Jahren. Und dass die neuen Mitwirkenden dann vieles besser (zu) wissen (glauben) als die Etablierten, wird man schon aushalten.
Etwa 700 Menschen haben in diesen vier Jahren die verschiedenen Angebote der Bürgerbühne aktiv wahrgenommen, die Zuschauerzahl dürfte deutlich fünfstellig sein. Allein das wäre Grund genug, alle Beteiligten zu beglückwünschen.
„Mein“ Stück hat es übrigens in die nächste Saison geschafft. Also noch ein Jahr länger kann ich gelegentlich in diesen Mikrokosmos eintauchen, die ausgeklügelte Logistik von Vorstellungen und Proben bewundern, einen Blick der vielen schönen Schauspielerinnen erhaschen, mit der Technik ein Bier trinken nach der Vorstellung und mich ein bisschen zugehörig fühlen zu diesem wunderbaren, einzigartigen Konstrukt Theater.
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Jedes Wort hat seine Zeit
„Vom Wandel der Wörter. Ein Deutschlandbericht“ von Ingo Schulze, Regie Christoph Frick, Uraufführung am Staatsschauspiel Dresden, gesehen am 21. Juni 2013
Eine Erzählung in Form eines Briefes, ein junger Schriftsteller schreibt an den Museumsdirektor des „Deutschland-Gerätes“, einer Installation von Reinhard Mucha. Es geht um seine Beziehung zu B.C., einem namhaften, ausgebürgerten DDR-Schriftsteller und um dessen „Ernährerin“ Elzbieta. Und zugleich geht es um ein Vierteljahrhundert deutscher Geschichte.
Am Anfang betrachten drei Schulzes (kenntlich gemacht durch den prägnanten Wuschelkopf) das Werk aus Buchstaben, schon vor Beginn des Stückes. Zögerlich, skeptisch sind sie. Die ersten Textfetzen flattern aus dem Off durch den Raum, es beginnt eine Dekonstruktion einschließlich Neuaufbau, ganz neue Wörter entstehen. Ein erstes starkes Bild. Schließlich bricht der ganze Haufen zusammen.
Man ahnt bald schon, worauf es hinausläuft. B.C., eine fiktive Figur, vielleicht ein bisschen an Biermann angelehnt, wird nach seinem ersten Buch gegen seinen Willen aus der DDB ausgebürgert und anfangs im Westen als Dissident hofiert. Als er aber beginnt, sich auch zu westdeutschen Zuständen zu äußern, ist es mit dem guten Willen vorbei, fortan ist er nirgendwo zuhause, zudem fehlt ihm die Reibefläche. Der Kapitalismus ist halt viel elastischer …
C. leidet an seinem Bedeutungsverlust, veröffentlicht kaum mehr etwas. Zwar wird er von der Ärztin Elzbieta materiell und auch sonst aufgefangen, aber Vollgas gibt er nur noch im Leerlauf. Und die Aufregung ist auch gar nicht gut für seine Gesundheit.
Trotz eines assoziationsreichen, starken Bühnenbildes (Alexander Wolf) aus einer hydraulisch betriebenen schiefen Ebene, die mit einem flauschigen DDR-Fahnen-Teppich mit fehlendem Emblem bedeckt ist, kann man die Aufführung sicher noch als szenische Lesung beschreiben. Und diese lebt von großartigen Schauspielern, die ihre Figuren zum Leben erwecken. Holger Hübner als mal selbstgefälliger, mal kleinmütiger, mal wütender B.C., Matthias Reichwald als Ich-Erzähler mit einer glaubhaften Wandlung von Anbetung zu kritischer Distanz und ganz besonders die frisch gekürte Erich-Ponto-Preisträgerin Sonja Beißwenger, deren Elzbieta sich von einer in Betrachteraugen fast zwielichtigen Figur in einem fulminanten Monolog zur wahrhaften Muse des B.C. emanzipiert.
Die Schilderung des Mit-Leidens des C., als er ´89 nicht dabei sein kann, in Leipzig, Plauen und anderswo, und wie er schließlich wie so viele Intellektuelle vom weiteren Ablauf der Ereignisse mehr und mehr enttäuscht wird, gehört zu den besten Passagen des ohnehin starken Textes. Der Anpassungsdruck, dem er fortan unterliegt, lässt sich fast körperlich spüren. Er weigert sich, seine Sätze „von früher“ zu wiederholen, weil die heute etwas anderes bedeuten als damals. Der „Unrechtsstaat“ war ein legitimer Begriff vor der Wende, heute ist er zu undifferenziert. Aber das versteht die Medienwelt nicht. Als Kronzeuge ist er nicht mehr zu gebrauchen.
C. hat das Gefühl, er müsse seine Bücher umschreiben, die Wörter stimmen alle nicht mehr. Doch ehe er das ernsthaft beginnen kann, nimmt ein gnädiger Tod ihm die Schreibmaschine aus der Hand.
Wird der Ich-Erzähler seinen Faden aufnehmen? Man möchte es zu gern glauben.
Ingo Schulze hat diesen Text für das Staatsschauspiel Dresden wenn nicht geschrieben, so doch für die Bühne bearbeitet. Ein Geschenk zum Hundertsten, sozusagen. Nach „Adam und Evelyn“, das in der Inszenierung deutlich opulenter, aber nicht weniger packend war, ein neues Meisterwerk. Wir haben zu danken.
Die regionalen Besprechungen der Premiere waren dennoch nicht sehr freundlich, lediglich die Süddeutsche war begeistert. Und ich jetzt auch.
Kunst hat keine Wirkung
„KapiTal der Puppen“ von René Pollesch, Uraufführung am Staatsschauspiel Dresden, gesehen am 18. Juni 2013
Man spielt auf der Hinterbühne im Kleinen Haus, locker-flockige Wohlfühlmusik zum Anfang, nur ein bisschen Gewusel, alles betont unaufgeregt. Die quietschbunte Bühne steht einfach so rum, aber man ahnt schon deren Beweglichkeit.
Die Video-Übertragung des Theaterflurklatsches ist so eine Art Beginn, Verschwörungstheorien der lustigen Art werden dargeboten. Hat der alte Hexenmeister von Regisseur sich kurz einmal wegbegeben, … dreht seine Crew einfach einen Film, was jener als Kränkung empfindet. Die Regisseursrolle kreist, jeder ist mal dran, Theater über das Theater, das ist mäßig interessant, aber ganz witzig, auch wenn der Text etwas hölzern daherkommt.
In der anschließenden Wiederholung auf der Bühne klingt er besser, die Satzfetzen prasseln hernieder wie weiland 1954 der Regen in Bern. Der aktuelle Regisseursdarsteller hat den Faden … verloren diesmal, aus dem Hintergrund könnte eine Kamera kommen und kommt.
Der Regisseur ist hier ein 1-Alpha-Brüllaffe, der völlig zu Recht hintergangen wird. Also so läuft das am Theater. Zumindest am Pollesch-Theater.
Der Kronleuchter erhebt dann den blonden Vamp (Cathleen Baumann stark, aber mit Textlücken am Ende, kein Wunder bei der Vorlage) in den Theaterhimmel, das ist hübsch anzuschauen. Der in seinem Pseudo-Ernst sehr witzige Benjamin Pauquet ist in seinem neuen, nun ja, Anzug kaum zu sehen vor dem gleich schrecklichen Bühnenbild, das ist schade. Antje Trautmann hält hochschwanger mit, ohne wie sonst öfter herauszuragen, Sascha Göpel ebenso, auch wenn der nicht in gesegneten Umständen ist. Knapper „Gewinner“ für mich Thomas Eisen, dem der gekränkte Regisseur am besten gelang.
Die Rotation der Rollen verlangt hohe Konzentration, sowohl auf der Bühne als auch auf den Rängen. Wenn man das Tempo mithält, macht es Spaß. Interessante Fragen werden aufgeworfen, zur Dankbarkeit, zur Wirklichkeit am Theater, der Glaube als Spielplatz, ein Diskurs-Stakkato. Nach und nach verläuft sich die Debatte aber im Metaphernwald, ich beginne mich zu langweilen.
Witzig dann die Großaufnahmen mit Zuschauern im Hintergrund, das ist fast Slapstick. Alles, wirklich alles hat mit dem Licht zu tun, d’accord.
Scheitern ist … Mittelstand. Aha. Und noch eine Debattenschleife, es ist zwar alles gesagt, aber noch nicht von jedem. Eine Abstrakterale beginnt, ohne größere Relevanz. Die Abschaffung des Todes ist zu fordern, mir persönlich würde die des schlechten Wetters erstmal reichen. Kunst hat keine Wirkung, wird festgestellt, ich widerspreche in mich hinein entschieden, hab aber grad kein Gegenbeispiel.
„Das ist hier der Horror“, nein, so schlimm nun auch nicht. Ein kleiner Fluchtfilm, nach kommoden 70 Minuten ist es dann vorbei.
Der Gott des Theatergemetzels hat nun seine Visitenkarte in Dresden abgegeben. Ja, es ist zweifellos ein ganz eigener Stil. Ich hätt nur gern ein Stück dazu gesehen.
Auf die Ohren gab es reichlich, zum Teil auch auf die Augen. Ein Spektakulum. Gut, wer das mag … warum nicht. Mir persönlich geht diese Bedeutungshuberei eher auf den Zeiger. Zumindest mit diesem Stück hat sich Herr Pollesch nicht in mein Herz geschlichen.
Mein damalige Verlobte, halb sorbisch und vom Lande stammend, sagte Anfang der neunziger Jahre mal, als die großeweite Welt der Kulinaristik auch über den Osten hereingebrochen war und wir diese ausgiebig testeten, sie wolle jetzt endlich mal wieder „Fleisch, Kartoffeln und Soße“. Mit einem ähnlichen Gefühl verließ ich heute den Saal, reaktionärer Sack, der ich nun mal bin.
Keen Kind nich jehabt
„Die Ratten“ von Gerhard Hauptmann, Regie Susanne Lietzow, Dramaturgie Beret Evensen, Inszenierung am Staatsschauspiel Dresden, gesehen am 13. Juni 2013
Man kann den Schimmel der Wohnhöhle förmlich riechen, die von einer Art von Menschen bevölkert ist, zu der man Lumpenproletariat sagen würde, wenn es die p.c. zuließe. Die Sonne scheint hier nur für die feinen Leute.
Zu diesen gehört Frau Henriette John sicher nicht, auch wenn sie sich durch die Stellung ihres Mannes – Maurerpolier im fernen Altona – von den übrigen Bewohnern abhebt. Viel besser geht es ihr dabei aber auch nicht, seit dem frühen Tode ihres Säuglings vor drei Jahren leidet sie unter ständigem Phantomschmerz.
Da kommt ein verzweifeltes Nicht-mehr-Fräulein Pauline, die Deutsch als Fremdsprache nur in der Praxis studieren konnte, gerade recht. Sie schwatzt der Hochschwangeren das Baby ab, 123 Reichsmark sind ein fairer Preis. Der Gatte ist erfreut über den Nachwuchs und glaubt ihre Geschichte. Es könnte sich zum kleinen Idyll fügen.
Im Hause hat sich noch ein Impressario (im Moment stellungslos) mit seinem Kostümfundus eingemietet. Für den Lebensunterhalt, nein, aus Güte den jungen Leuten gegenüber, gibt er Schauspielunterricht. Sein Töchterlein lässt er von einem angehenden Theologen unterrichten, was den schönen Effekt hat, dass jener nichts mehr von der Theologie und umso mehr vom Fräulein Tochter wissen will. Und Schauspieler will er nun werden. Und absurde Ideen zum Spiel hat er auch noch. Es bahnt sich Ärger an.
Der ist im Parterre schon lange da. Kaum entbunden, besinnt sich Pauline auf ihr verhindertes Mutterglück und fordert den verlorenen Sohn. Noch kann Frau John sie abwehren …
Die erwähnte Höhle ist riesig, sie wird durch eine raffinierte Lichtgestaltung stets in die gebotene Stimmung versetzt. Die kluge Positionierung der Personen trägt zum gelungenen Bühnenbild bei, in welchem sich ständig Türen öffnen und schließen. Immer muss man gewahr sein, dass gleich einer kommen könnte, eine Privatsphäre gibt es hier nicht.
Dass die Pauline mit der tschechischen Opernsängerin Marie Smolka besetzt wurde, ist zum einen ein gelungener Coup, was die gebrochene Sprache des Dienstmädchens angeht und eröffnet andererseits große musikalische Gestaltungsmöglichkeiten, die bestens genutzt werden. Ich hab die Gänsehäute nicht gezählt bei mir, aber es waren einige.
Die Handlung hat inzwischen an Dramatik gewonnen. Im Nebenstrang kommt es zu einer Debatte zwischen dem Direktor Hassenreuter und seinem neuen Schüler und Ex-Theologen Spitta über die rechte Art zu inszenieren. Werktreue mit großer Geste oder Naturalismus, das war damals die Frage vor 100 Jahren. In ähnlicher Form wird die auch heute noch diskutiert, wobei ich gar nicht weiß, was „Regietheater“ sein soll. Regie ist doch immer?
Die Streithähne können sich nicht einigen, dass die Liaison von Spitta mit der Tochter Walburga (trotz des Namens ist Annika Schilling in ihrer letzten Dresdner Rolle wieder bezaubernd) bekannt wird und Pfaffen-Vater Spitta aus der Provinz auftaucht, macht es nicht besser. Da sind jetzt zwei erstmal obdachlos.
Die sichtbar minütlich panischer werdende Mutter John weiß sich gegen die immer aggressiver kämpfende Pauline nicht anders zu helfen, als ihr den missratenen Bruder Bruno (Jonas Friedrich Leonardi zum Fürchten, was unbedingt ein Kompliment ist) auf den Hals zu hetzen, zur Einschüchterung. Der erledigt das auf seine Weise, hinterher treibt Pauline im Landwehrkanal. (Dass sie auf der Bühne ins Waschbecken gestopft wurde … nun ja. Geschmackssache.)
Das Haus hat aber tausend Ohren, und auch als das Ablenkungsmanöver mit dem – bald darauf toten – Baby der unlustigen Witwe Knobbe von nebenan zu nichts führt, kommt der Dreck langsam hoch.
Herr John kommt von Montage, Frau John ist mit dem gemeinsamen Sprößling zur Sommerfrische. Der schmierige Hausmeister Quaquaro (ein wirklich widerlicher Jan Maak) brieft ihn, danach gibt es für John ein paar Fragen. Der will nämlich seßhaft werden, sozusagen ein Vater von heute.
Die Vertreter der Unterschicht sprechen übrigens allesamt ein schlesisch gefärbtes Berlinerisch. Gut, besser als Sächsisch allemal, aber es ist schon anstrengend für alle Beteiligten.
Eine rührende Szene des verstoßenen jungen Paars (Thomas Braungardt als Erich Spitta mit Licht und Schatten), deren Beisammensein von einem großen Menschenauflauf gestört wird.
John stellt seine Frau zur Rede, während draußen schon die Polizei nach dem Bruder sucht, und nach einigem Hin und Her muss er erkennen, dass seine Abwesenheit in den letzten Jahren wohl doch keine gute Idee war.
Ein grelles Licht der Erkenntnis, und während es im Bürgertum eine Art Happy End gibt, der Direktor hat einen neuen Posten in Strasbourg und verzeiht den verstoßenen Kindern, ist die Lage im Proletariat aussichtslos.
Zeugin der Anklage ist schließlich Selma, das verwahrloste Kind-Mädchen von nebenan (auch diese Rolle von Lea Ruckpaul wieder hundertprozentig genau gespielt) bringt Jette John zum Geständnis. Nein, nie kein Kind gehabt nicht. Entsetzen aller Orten, nur Frau Direktor (Christine Hoppe faszinierend in ihrer Abgehobenheit) kapiert nichts.
Das Kind soll nun ins Heim. Aber bevor sich das jemand greift, zieht Henriette einen Revolver. Sechs Schüsse knallen, danach ist es dunkel.
Ein heftiger, langer Beifall brandet durchs nicht ganz gefüllte Große Haus. Völlig zu recht.
Der Stoff ist an sich zeitlos, finde ich. Man kann ihn im Anfang des 20. Jahrhunderts belassen, so wie hier, könnte ihn aber auch in andere Zeiten und Orte setzen, wo sich verschiedene soziale Schichten in die Quere kommen. Letztlich geht es – von den vielen Nebensträngen abgesehen, in die G. Hauptmann zum Teil auch viel Herzblut gesteckt haben muss (z.B. die Theaterformdiskussion) – im Wesentlichen um die unerfüllte Kindessehnsucht einer Frau und das Dramatische, was daraus aus ungünstigen Rahmenbedingungen entstehen kann.
Die Inszenierung setzte für mich auch deutlich diesen Schwerpunkt, das Schicksal und die Schuld der Henriette John. Dank einer exzellenten Rosa Enskat, der man beim physischen und psychischen Verfall wirklich genau zusehen konnte und musste, war diese Entscheidung definitiv richtig. Kongenial dazu agierte Thomas Eisen, dessen John anfangs ein schlichtes, ehrliches Gemüt ziert, der im Laufe der Erkenntnis aber immer fassungsloser, wütender und brutaler wird. Ganz große Leistung auch von ihm.
Und Albrecht Goette brachte das Kunststück fertig, aus Hassenreuter keine Witzfigur zu machen, sondern ihn als eitlen, etwas aus der Zeit gefallenen, aber Anteilnahme erweckenden alternden Impressario darzustellen.
Nach „Die Firma dankt“, jenem sehenswerten Gegenwartsstück von Lutz Hübner, hat Susanne Lietzow erneut eine hervorragende Arbeit in Dresden abgeliefert. Sollte man sich anschaun.
Butler, Kopf, Tür.
„Der Menschenfeind“ von Molière in der Inszenierung von Barbara Frey, Gastspiel des Schauspielhauses Zürich in Dresden, gesehen am 8. Juni 2013
Buckliger Butler tritt auf, murmelt irgendwas, geht ab und schlägt mit dem Kopf an den Türpfosten. Und das Ganze etwa zehnmal verteilt über das Stück. Mögen Sie diese Art von Humor? Dann hätten Sie heute abend viel Spaß gehabt.
Dabei war das noch nicht einmal der armseligste Regieeinfall, den das Stück zu erdulden hatte. „Eigentlich“ ist das eine feine Parabel über Ehrlichkeit und gesellschaftliche Konventionen, aber auch über die Unfähigkeit zum Glücklichsein. Jedoch der Regisseurin gelingt es, daraus ein hyperflaches Spektakel zu machen, wie man es nicht mal auf einer Provinzbühne sehen könnte.
Während auf dem Theaterplatz die Klassikverwertungsmaschinerie auf Hochtouren läuft, blättere ich durch das Programmheft. Das ist schnell geschafft, auch inhaltlich ist es übersichtlich. Positiv ausgedrückt: Lesbar. Aber auf zertifiziertem Öko-Papier, das schon.
Wilfried Schulz findet am Anfang warme Worte für alle, die das Gastspiel dann doch möglich machten. Nur eine Versenkung wird auf der Bühne nicht stattfinden, die Unterbühne darf noch nicht. Am Ende ist mir klar, dass die Inszenierung sich auch so versenkt.
Eine dramatische Pause tritt ein, eh es dunkelt. Das Bühnenbild erhellt sich dann langsam, ganz langsam, schweizerisch. Auch der erste Auftritt quälend langsam.
Dann startet es aber doch durch, im Stile einer Boulevardkomödie. Das Interieur lässt mich fin de siecle vermuten, auch wenn der später zum Einsatz kommende Staubsauger einer anderen Zeit entstammt.
Alceste tritt auf, die Hose ist einen Tick zu kurz, und wird von Philinte in einen Disput über gesellschaftliche Spielregeln verwickelt. Jener ist mit Thomas Loibl solide besetzt, ein Lichtblick. Michael Maertens in der Hauptrolle hingegen nervt bald mit seinem Getöse, alles muss gebrüllt werden, ein klassischer Knattermime.
Alberne Italo-Witzchen folgen, auch sonst sehr preiswerte Komik. Der erste Impuls zu gehen kommt mir nach 25 Minuten, aber die Neugier siegt.
Oronte (Matthias Bundschuh wird mir einem unglaublich dämlichen Figuransatz von der Regisseurin für was auch immer bestraft) trägt ein Sonett vor, Alceste muss sich die Ohren zuhalten, damit wir auch begreifen, dass es ihm nicht gefällt. Danke.
Der schon erwähnte Staubsauger soll dann dem ersten Dialog mit Célimène untermalen und schlägt ihn doch tot. Yvon Jansen bemüht sich sichtlich, ist aber stimmlich sehr schwach und hat nur eine einzige großartige Szene. Dazu später.
Die übrige Gesellschaft tritt auf, eine demonstrative Sitzordnung im Salon, auch dies überdeutlich. Jede Rolle eine Karikatur vom Kostüm bis zur Gestik, man möchte heulen vor Fremdscham.
Ich sitze im Parkett, mittendrin. Soll ich …? Nein, das tu ich nun doch nicht, wir sind gastfreundlich. Und die Schauspieler können ja nichts dafür.
Eine kleine Belohnung ist Christian Baumbach als ältliches Fräulein Clitandre. Eine hübsche Szene mit Célimène, schön verpackte Gehässigkeiten, er reißt Yvon Jansen zu großartigem Spiel mit.
Aber dann muss er dramaturgisch rülpsen, das Strohfeuer erlischt.
Jeder billige Effekt ist zu sehen. Angeblich soll Alceste ja dennoch sympathisch sein. Hier aber nicht. Er ist eher der Typ, der jeden anzeigt, der bei Rot über die Ampel geht. Empathie weckt er nicht, nur Widerwillen.
Olivia Grigolli, früher auch in Dresden zu sehen, hat als Éliante erst in der zweiten Hälfte mehr von der Bühne. Sie ist gut, wenn auch nicht überragend. Fraglich, ob sie eine Chance dazu gehabt hätte.
Das Beziehungsgespräch der Hauptfiguren ist dann mal ganz unterhaltsam, man merkt, was der Text hergibt. Aber viel besser wird es nicht, umständlich hangelt sich das Stück dem Ende entgegen. Hier fehlt dann auch noch der Mut zum Kürzen.
Am Ende ist Célimène gesellschaftlich ruiniert, fast scheint es, als ob sie nun reif wäre für Alceste. Doch der winkt ab, fürchtet sich wohl auch ein bisschen vorm Glück.
Im Finale kommt so etwas wie Spannung auf, Happy End? Nein, es kriegt sich keiner, jeder geht alleine ab. Zum Schluss klimpert das Klavier, die Lichter gehen nacheinander aus. Dann ist es wieder dunkel. Geschafft.
Mit dem Zünden der Saalbeleuchtung bricht eine Euphorie aus, die mich betroffen macht. Haben die dasselbe Stück gesehen? Tapfer bleibe ich bis zum Ende der Vorhänge sitzen.
„Der Mensch wär gut, anstatt so roh, doch die Verhältnisse, die sind nicht so.“ In ähnlicher Form hat das Molière schon früher gewusst. Da wäre richtig was draus zu machen gewesen. Schade.
Dem Staatsschauspiel kann man hier wohl kaum einen Vorwurf machen: Man kaufte die Katze im Sack, die Premiere war erst im Januar diesen Jahres. Ob das klug war, … na gut, es ist wie es ist. Jedenfalls fiel dieses Gastspiel deutlich ab gegenüber den anderen, Switzerland, zero points.
Faust: 1, Mephisto: 2
„Faust 1 + 2“ von Johann Wolfgang v. Goethe, Inszenierung des Thalia-Theaters Hamburg in der Regie von Nicolas Stemann, Gastspiel am Staatsschauspiel Dresden, 25./26. Mai 2013
Faust 1: Nur wetten kann man nicht alleine
Nein, heute keine Nacherzählung. Ich verweise auf die allgemeine Schulbildung und/oder Besuche anderer Stücke dieses Namens.
Allerdings, wer beides nicht nachweisen konnte, hatte schlechte Karten im Saal. Stemann lässt seine drei phantastischen Schauspieler (Patrycia Ziolkowska, Sebastian Rudolph und Philipp Hochmair) nacheinander antreten, nur selten miteinander. Und so muss man sich schon ein wenig auskennen im Stoff, um dem – zugegeben perfekten – Rollenzapping der Drei folgen zu können. Ein Ausblick auf das Neue Deutsche Budgettheater (als „Baddsched“ auszusprechen)? Einer spielt alles? Ich hoffe nicht.
Die erste ernstzunehmende Regie-Idee: Faust als eine Art Jonathan Meese in der Schaffenskrise. Das ist sehenswert, das erzielt Wirkung. Er baut sich nach und nach zum Wahnsinn auf, greift zum Benzinkanister, wird doch nicht … das Haus ist doch fast frisch renoviert! Nein, Wagner (Haha, schöner Joke in Dresden) kommt und verhindert das Schlimmste.
Das ominöse Fläschchen ist hier eine Pistole. Aber auch hier bewahren die Osterglocken den latent Suizidgefährdeten vor dem Abgang. Osterspaziergang zum Teil auf plattdütsch, warum nicht. Die Übertragung ins Sächsische hat man uns erspart.
Auftritt eines Pudels namens Mephisto. Der ist ein Zwilling von Faust, nicht neu, die Idee, aber gut. Jener holt schnell auf im Text und übernimmt. Der alte Faust/Mephisto/Wagner/Gott/3xErzengel/Theaterdirektor usw. schleicht sich, schaut noch ein bisschen zu, hat aber ersichtlich Pause.
Ein ergreifender Gesang von Friederike Harmsen (Microport oder Playback? Egal. Wunderschön.), dann die Wette. Das kann man nicht alleine, es kommt erstmals zum Dialog und dann zu Intimitäten unter Männern. „Und ach, sein Kuß …“, die IG Schauspiel dürfte kurz den Atem angehalten haben, aber das war eine großartige Szene.
Auerbachs Keller als Schwulenbar, OK, passt ja im Anschluss, ist auch gut gemacht, toller Video-Einsatz.
Nun Gretchen, aber nicht nur, auch Faust, Mephisto, Marthe. Sie lernt sich sozusagen selber kennen und will sich selbst heim begleiten, lehnt das aber ab (und geht dann doch mit sich selber mit, höhö. Auch diese Form hat also Grenzen.). Nur die Beleuchtung muss sie nicht selbst machen. Das Stilmittel erschöpft sich und mich. Gretchen ist übrigens am bestens als: Überraschung, Gretchen.
Genug genörgelt. Das Stück wird sofort um Klassen besser, wenn miteinander gespielt wird. Faustens Schuld ist hervorragend bebildert, bei der Gretchenfrage muss ihm Mephisto soufflieren, sie ist also in der Unterzahl, was ihr aber zumindest amourös gesehen nicht missfällt.
Berührend der Zwinger, die Walpurgisnacht wird mit der Nacht zuvor vermischt, Gretchens Defloration ist eher nebensächlich, Musik und Video sind wieder großartig. Der Kerker schließlich ist am Anfang ergreifend, nur, da muss man sich ohnehin schon viel Mühe geben, diese Lehrbuch-Szene zu versemmeln. Doch Stemann gelingt das fast mit einem zwanghaft modernen Ende.
Fazit dieses Teils: In der Summe toll, wenn man sich auf den Regieansatz einlassen will. Aber es ist dann doch ein Elitentheater, eines für Deutschlehrer, für Theaterroutiniers, eins fürs Feuilleton, für das Umfeld des Theatertreffens. Selbst in Hamburg wird nicht jeder den Faust auswendig können, und dies schränkt dann den Genuss schon ein. Dennoch, ein Erlebnis.
Faust 2: Der Vieles bringt
Am Anfang die Umkehrung der Situation: Zwei Herren – die einer beliebten Unsitte folgend sich nicht vorstellen – erläutern den Inhalt, allerdings derart unbeholfen, dass mich Mitleid überkommt.
Dann eine Art „Was in den letzten Folgen geschah“. Glaubt man, es sind Zuschauer hinzu gekommen? Goethe tritt im langen Kleid auf, sie zählt die Zeilen fortan mit und hakt ab. Eine alberne Vorstellung der restlichen Akteure folgt, die Verse plätschern bei moderner Klassik so dahin. Etwa achttausend haben wir noch vor uns. Ungestrichen, ja, wir haben’s dann beim vierten Mal auch kapiert.
Der Kaiser hält eine Rede mit visueller Kurvendiskussion, die Lage ist nicht gut. Mummenschanz folgt, irgendwie –tainment, weiß nur nicht welches. Aus Protest wird „Konsum“ an die Wand geschrieben, was in Dresden lustig ist. Das Volk im Blaumann protestiert gegen irgendetwas, aber das Großstadttheater traut sich dann lustigerweise nur, „Sch..e“ in den Übertitel zu schreiben. Da helfe ich doch gerne: Scheiße. Scheiße. So leicht geht das. Einfach nachmachen: Scheiße.
Man tastet und kalauert sich durch den Text. Wenn man mit dem schon nichts anzufangen weiß, kann man ihn immerhin noch verarschen. Eine schwierige Lage, bis das Papiergeld erfunden wird. Von Mephisto, klar. Da haben alle was davon. Helena tritt düster auf und wieder ab. Auch ein Affe ist immer dabei. Der erste Akt, eine Stunde, null Effekt.
Im zweiten Akt wird es nicht viel besser. Eine Knäbin liest mit Eifer, einige Requisiten aus Teil 1 tauchen auf. Die Postdramatik wird erklärt von einem Macher der ersten Stunde, der im Pflegeheim residiert, man ist also zur Selbstironie fähig, ein Pluspunkt.
Muppets übernehmen das Kommando, man muss selber lachen auf der Bühne. Spielt man jetzt auf Zeit? Man liegt doch gar nicht in Führung!
Faust krümmt sich auf der Bühne, ich mich in meinem Sessel, als ein absurder, sturzdummer Dialog über Goethe in Dresden beginnt. Nun ist der Tiefpunkt erreicht.
Ich überlege, womit ich werfen soll, aus dem 2. Rang täte das seine Wirkung, aber … im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist. Und hier ist man immer höflich.
Der Glaskasten ist an sich eine gute Idee, manchmal blitzen auch andere auf, nur die Wüste bleibt trocken trotz dieser Tropfen. Vor der Pause noch was zur Klampfe, no, no, nono. Genau.
(Für meinen verbalen Ausrutscher in einem mehr oder weniger sozialen Medium um diese Zeit möchte ich mich aber in aller Form entschuldigen)
Erstaunlicherweise sind noch viele da nach der Pause. Und die werden belohnt. Trotz der wieder gestammelten Erläuterung zur griechischen Geschichte nimmt die Angelegenheit Fahrt auf, ein ganz anderer Stil, reduziert in den Mitteln, konzentriert auf den Text. Ich reibe mir die Augen. Ist das die gleiche Inszenierung? Die Kulisse dröhnt bedrohlich, Helena und Faust kriegen sich mit unlauterer Hilfe von Mephisto, jetzt passt das auch, auch wenn ein buntes Potpourri am Ende wieder einen Rückfall befürchten lässt.
Dann verdingen sich Faust und Mephisto als Söldner, gewinnen einen Krieg für den Kaiser, Helena ist schwanger, familiäres Idyll am Buddelkasten (mit schönem Gretchenfragen-Dialog), dann aber der Absturz, als der gemeinsame Sohn zu Tode stürzt. Helena entschwindet nach dem Begräbnis.
Der letzte Teil ist zweifellos der beste. Das macht nun richtig Spaß. Faust in großer Pose. Hitler? Ich bin mir nicht sicher. Im Video eine Kakophonie von Gelehrten, die einem alle den Faust erklären wollen.
Ein Gezeitenkraftwerk soll es nun werden als bleibende Tat, dafür müssen Menschen weichen. Es trifft ein altes Paar, bei der Umsiedlung geht leider ihr Haus in Flammen auf, die alten Leutchen gleich mit. Mephisto ist nur der Vollstrecker des Faustschen Willens.
Dieser Faust ist nun alt, es geht ins Endspiel. Nein, kein Graben wird das, es wird ein Grab. In jeder Art ist er verloren. Sieben Schauspieler rezitieren im Chor seine letzten Verse. Schön. Dankeschön. Ein guter Schluss.
Trotzdem geht es noch ein bisschen weiter. Der Kampf der Heerscharen (himmlisch und höllisch) muss noch geschildert werden.
Mephisto erliegt dem Charme der Engel, ist kurz unaufmerksam, schon ist die Seele weg, zum Himmel entschwunden. Alles war umsonst.
Ein honigsüßes Ende, passend mit einem Schlager vertont, großes Finale. Schön die Verlesung der Beteiligten, wie bei der großen Samstagabendshow.
Begeisterung dort, wo die Zuschauer sitzen, Jubelstürme. Es hat gefallen, das Ende war die Wende.
In diesem Sinne: Danke für den Besuch, Thalia. Gern mal wieder.
Ach so, die Überschrift. Ich denke, Faust ist eher so Dortmund. Er mag der Sieger der Herzen sein, aber die Abendkasse hat Mephisto an sich genommen. Jede Wette.
