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Und immer lockt das Grübchen
„Eine für Alle“, ein Sommertheaterspektakel von Peter Förster, gesehen am 12. Juli 2013 im Bärenzwinger Dresden (Premiere)
In letzter Zeit häuft es sich mit den Zufällen. Diesmal war ich bei der von mir erwählten Veranstaltung genau eine Woche zu früh erschienen, und bei der Suche nach Alternativen für den angebrochenen Frühabend stieß ich auf Försters Sommertheater, das ich in den letzten Jahren schon mehrfach goutierte. Dass heute auch noch Premiere war, dafür kann ich nun wirklich nichts.
Das Publikum zur letztlich ausverkauften Uraufführung hebt sich dann doch von jenem ab, was man aus dem Schauspielhaus gewohnt ist. Im Schnitt zehn Jahre jünger, mindestens, der Tautologie auf der Programmkarte, dass die Fläche überdacht sei und man (trotzdem?) bei Regen spiele, hätte es gar nicht bedurft.
Der Titel zielt auf die niederen Instinkte bei weitem nicht nur des männlichen Publikums, und das ist gut so. Wenn das Niveau erstmal unten liegt, kann es nur noch aufwärts gehen.
Schon zum zehnten Male stehe er hier zum ersten Mal auf der Bühne, sagt ein quirliger, sympathischer Peter Förster. Respekt. Auch sonst ist er sehr unterhaltsam. Warum spielt er eigentlich nicht auch selbst?
Artig lobt er die Sponsoren und heißt die Presse willkommen, die in großer Zahl erschienen ist. Es ist unverkennbar ein Heimspiel, das Publikum jubelt schon beim Warmmachen.
Es beginnt, etwas simpel vielleicht am Anfang. Viel wird über die Differenz zwischen drei Musketieren (nach dem Titel von Dumas) und vier Darstellern philosophiert, dabei ließe sich das leicht erklären. Welcher Schriftsteller bringt schon eine Schlusspointe im Titel unter? Aber sei es drum, auch dem Bildungsauftrag wird Genüge getan, der Name kommt vom Muskete tragen. Dass wir es mit einem Mantel-, Degen- und Intrigenstück zu tun haben, hätte eine Erwähnung nicht gebraucht.
Gott erlaube auch das Abhören, wenn es in seinem Interesse sei, sagt ein glänzend gespielter Kardinal Richelieu, Yes We Can. Und geht flugs ans Werk, um – über Bande spielend – erst die Königin Anna mit ihrem Liebhaber und Staatsfeind Buckingham zu desavouieren und damit dann den König zu stürzen. Lady de Winter ist seine Mata Hari, auch jene gut aufgelegt. Man bekommt eine Kurzeinweisung in den europäischen Hochadel zu Zeiten Louis Treize, hier werden Länder geheiratet.
Buckingham (und doppelrollig Porthos) lässt die Erinnerung an Monty Python wach werden, er kann nicht nur unglaublich dämlich gucken. Und beklagt sich über 10 Downing Street, jenes Reihenhaus, in das er als erster Staatsdiener ziehen müsse. Amüsant, das Ganze, es macht Spaß zuzusehen.
Nun wird auch das Rätsel des Stücktitels gelöst. „Eine für Alle“ ist einfach die gendergerechte Form. So einfach kann das manchmal sein. Über „EineR für Alle“ sind wir inzwischen hinaus.
Die drei (!) Musketiere haben zwar kein Programm, aber den festen Willen zum Heldentum. Eine leichte Beute für d’Artagnan, der hier als Revolutionsführer daherkommt und die Mannschaft erstmal ideologisch aufrüstet. Anzeichen von Abweichlertum bekämpft der Gascoigner mit der berühmten Frage, ob man wohl – sinngemäß – nicht für den Frieden sei.
Richelieu hat inzwischen bei seiner schönen Spionin Mühe, dem Zölibat (und damit Gott?) treu zu bleiben, da hilft nur Selbstkasteiung.
Die Texte sind übrigens sehr schön in Versform gebracht, das ist erbaulich.
Affairen müssen geheim bleiben! Deswegen schickt Anna, die in einem schwachen Moment dem Buckingham (unter anderem) ihre Diamanten überließ, die Musketiere aus, sie zurückzuholen, ehe das Fehlen bemerkt wird. Diese dienen zwar dem König, aber d’Artagnan ist dialektisch geschult und bestätigt den Nutzen für die Staatsräson. Außerdem fordert er die Verstaatlichung aller persönlichen Geheimnisse und ist damit seiner Zeit weit voraus.
„Eine kriegt Alle“ hätte es auch heißen können, wenn Anne die Muskeltiere (wie ich als Kind immer mangels besseren Wissens sagte) becirzt.
Aber auch Lady Winter wittert ihre Chance und reist gen Calais. Pause.
Es ist sicher schwer, aus diesem Stoff noch etwas Neues herauszuholen, aber das muss ja auch nicht zwingend sein. Bislang ein flott gespieltes, unterhaltsames Stück, das auch reichlich aktuelle Bezüge bietet.
Shakespeare, der nach dem Untertitel ja auch im Rennen ist, kommt allerdings kaum zur Geltung. Aber wie der Impresario in der Pause die leeren Gläser wegräumt und noch einen Stuhl heranschleppt … so muss Theater zu Shakespeares Zeiten gewesen sein.
Zudem ist es angenehm locker in der Pause, selbst die Schauspieler reihen sich in die Rauchergrüppchen vor der Tür ein.
Der Einstiegsgag mit „Versailles1700“ gefällt mir sehr. Die Motive heute und früher ähneln sich sicher.
Dann wird es handlungstechnisch etwas unübersichtlich. D’Artagnan wird dank einer zufällig übergestreiften Robe von allen für den König gehalten, naja. Immerhin bringt er die Diamanten zu Tage und schließt damit die offene Flanke in der königlichen Ehre. Bevor er allerdings richtig Gefallen an seiner neuen Rolle finden kann, sperrt ihn Richelieu weg. Dabei wollte er doch nur seine eigene Gattin konkukomprimieren? Was alles so verboten ist.
Deswegen muss er dann als Hannibal Lector auftreten, eine eiserne Maske ziert sein Antlitz. Ab in den Keller zur Feuerzangenbowle ohne Bowle.
Buckingham tauscht inzwischen die Diamanten gegen eine kleine Geschichtskorrektur und seinen Job für eine Stelle in der königlichen Garde ein. Dem muss ja echt was an der Dame liegen.
Wie kriegen wir den Kuddelmuddel nun dramaturgisch zu Ende? Relativ elegant. Der echte König erscheint (er war nur kurz mal zur Therapie) und übt Gerechtigkeit, enttarnt das fiese Streben des Richelieu, buchtet jenen mit Maske ein und befördert den Helden d’Artagnan zum Musketier des Königs.
Wie die interessante Dreiecksgeschichte mit Anna und dem Buckingham weitergeht, bleibt uns allerdings verschlossen.
Jubelndes Publikum zum Schluss, viele virtuelle Vorhänge, auch Peter Förster kann sich seinen verdienten Beifall abholen. Ein schönes Stück sommerliches Theater, leicht und erfrischend wie ein Roséwein. Ich nehm noch ´n Glas. Bis Ende August hat der Ausschank noch offen, sechs Tage pro Woche en suite.
PS: Blöderweise hab ich die Programmkarte liegenlassen, einem Profi wär das nicht passiert. So kann ich die Namen der durchweg guten Schauspieler nicht erwähnen, was mir leid tut, aber Gelegenheit gibt, auf die Internetpräsenz hinzuweisen:
http://www.Kammerspiele-Dresden.de
Es war nicht alles faul im Staate Dänemark.
„Hamlet“ von William Shakespeare in der Regie von Roger Vontobel, gesehen am 24. November 2012 im Staatsschauspiel Dresden (Premiere)
Vor dem Hause wird der Budenzauber vorbereitet, drinnen ist er schon in vollem Gange. Eine Bühne in der Bühne, ein Konzert im Stück.
Hamlet kommt ein wenig wie Dirk von Lowtzow daher, eine stolze Mutter und ein leicht genervter Onkel (und nunmehr Stiefvater) im Publikum. Ophelia geht richtig ab beim Requiem der Christian-Friedel-Combo für Hamlet senior, wie viele junge Dinger im Saal.
Die Musik irgendwo zwischen Placebo und Die Art, gar nicht übel.
Rosenkranz und Güldenstern (die erinnern mich an die Zwillinge aus dem Turm, wobei es natürlich andersrum ist) haben einen Auftrag: Hamlet bespaßen und überwachen. Jener scheint als unzuverlässig.
Währenddessen wird Ophelia vom Bruder Laertes über die Gesetze des königlichen Heiratsmarktes aufgeklärt, will aber nicht hören. Ihr Vater Polonius (auf gewohnt hohem Niveau Ahmad Mesgarha) hält Hamlet für einen Schnepfenjäger, das folgende Drama wird musikalisch untermalt. Dieses Stilmittel erschöpft sich langsam, wird aber unverdrossen zum Einsatz gebracht. Wegen zwei Songs lässt man ja auch keine Band kommen.
Auf einmal ist Polonius bekehrt und glaubt an die (wahnsinnige) Liebe des Hamlet zu seinem Töchterlein, warum, wird nicht recht ersichtlich. Aber es gibt sicher schlechtere Gründe für den Wahnsinn.
Hamlet monologisiert, der König schenkt sich nach. Das kann dauern.
Dann noch ein dreihändiges Trauerspiel, langsam reicht es, nicht nur dem König.
Der erste Videoblock, mir hat schon was gefehlt. Polonius petzt. Ophelia soll es beweisen, jetzt macht die Kamera auch Sinn.
Bewiesen wird der (scheinbare) Wahnsinn, nicht aber der Grund. Eine grandiose Szene.
Hamlet soll nun nach England, zur Kur vermutlich.
Aber zuvor noch Auftritt eines angry young man. Hier zeigen sich dann doch die (musikalischen) Grenzen von Christian Friedel. Er rockt das Publikum im Saal, oder macht zumindest das, was er dafür hält. Im zweiten Rang ist man dennoch begeistert.
Der König bricht das Spektakel ab, zurück zum Theater.
Torsten Ranft in einem großen Monolog, nicht nur hier absolut überzeugend. Abgang mit Schunkelmusik, hübsche Ironie.
War Hamlet senior wirklich so ein Goldstück? Egal, seinem Sohnemann wird eindeutig zu kurz getrauert. Der Freund Horatio (Sebastian Wendelin angenehm gelassen) ist pragmatisch, the show must go an. Aber der Unglückswurm Hamlet steigert sich in seinen Verdacht.
„Die Kunst der Bühne“ soll nun den Mörder entlarven, Hamlet hat eine hohe Meinung von der Macht des Theaters. Die Kraniche des Ibykus fliegen mit Hilfe eines musikalischen Intermezzos. Der Tathergang wird nachgestellt, dem König ist das eher unangenehm, mir auch.
Die folgende Beschuldigung widerspricht der Staatsräson, die Bühne verschwindet. Das Bühnenbild insgesamt ein großartiges Werk, an der Idee mit der „Einsitzreserve“ könnte man vielleicht noch feilen.
Der Videobeweis kommt zum Einsatz. Ja, es war Abseits, äh, Mord. Oder? Jeder hat da seine eigene Sicht. Pause zum Nachdenken. Und Hamlet senior mustert finster die Szenerie.
Die Spielfläche hat sich geweitet. Der König geht dahin, wo auch er zu Fuß hingeht. Großes Geschäft. Naja. Schön illustriert dabei der Verfolgungs-Wahn.
Audienz bei Frau Mutter. Es zeigt sich eine Vaterfixierung, die man sonst nur von Mädchen kennt.
Das bekannte Shakespearesche Massensterben beginnt, aber es erwischt erstmal den Falschen. Mesgarha hat Feierabend, bleibt uns aber als Leiche erhalten.
Die Mutter-Sohn-Szene verliert sich auf der nunmehr großen Bühne, überzeugt mich nicht. Hamlets Selbstgerechtigkeit wird immer penetranter, immerhin räumt er seinen Müll weg. „Ich bin grausam, um gut zu sein“, das kennt man auch aus anderen Gefilden.
Auch das ein hübsches Zitat: „ …beliebt bei der verworrnen Menge, die mit dem Aug, nicht mit dem Urteil wählt“. Herr Ranft kann sich das Grinsen zum Glück verkneifen dabei.
Hamlet segelt nun gen England und Ophelia in den Wahnsinn. Ein echter, berührend gespielt von Annika Schilling, der an diesem Hause scheinbar alles gelingt. Ebenbürtig Matthias Reichwald als zurückgekehrter Laertes, und Torsten Ranft komplettiert das Trio zur besten Szene des Abends.
Und nun? Ophelia ertrinkt, die Bühne versinkt.
Auf den Brettern ist man nun noch verlorener. Großes Bravo erster Klasse an Claudia Rohner.
Nie sah ich einen schöneren Totengräber. Der Schädel des Spaßmachers taucht auf, eine lustige Idee, das mit dem Bauchreden. Christian Friedel ist jetzt präziser, fessselnder.
Ein Doppelbegräbnis, der Totenvogel fliegt davon. Sicher nicht für lange.
Nun das Duell, die Zwillinge kamen zuvor unbemerkt abhanden. Christian Friedel spielt und stirbt für alle. Genial. Der beste Einfall, um dieses doch eher peinliche Schlachten abzubilden. Respekt, Herr Vontobel.
Abgang, einer nach dem anderen. Nur Horatio hat überlebt. Und Fortinbras spricht Hamlet posthum von aller Schuld frei. Heftiger, langer Applaus, mit Quietschgeräuschen.
Ich sah ein am Anfang überladenes Stück, das umso mehr gewann, je reduzierter die Mittel wurden. Der Einsatz der Band ist vielleicht marketingtechnisch, aber nicht dramaturgisch sinnvoll, finde ich. Er lenkt schlicht ab, auch wenn man sich bemühte, den Schauspielern akustisch Platz zu machen.
Sicher ist kein Vergleich mit dem genialischen „Don Carlos“ angebracht, aber das Stück ist insgesamt sehenswert. Und die Schauspieler tun das Ihrige, auch Christian Friedel, der mit dem Verlassen der Rockstar-Rolle sich wieder auf seinen Beruf konzentrierte.
Übrigens, es war viel Prominenz im Publikum, ich sah neben der versammelten Schauspielerelite des Hauses Herrn Klaußner, Herrn Tellkamp und zu meiner besonderen Freude Herrn Freytag. Und sicher viele andere mehr, doch die sah und/oder erkannte ich nicht. Auch das MDR-Fernsehen streunte durchs Haus.
Ein kleiner Nachsatz: Im Flur hängt ein Gemälde, das Paul Hoffmann als Hamlet zeigt. Der sieht verdammt aus wie Sebastian Wendelin … 😉