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Götter fallen vom Himmel

„Kleider machen Bräute – Ein Shakespeare von den Amazonen“, Buch und Regie Peter Förster, gesehen am 31. Juli 2014 im Bärenzwinger Dresden

Das ausdauerndste Sommertheater Dresdens (rekordverdächtig mit 42 Aufführungen in siebeneinhalb Wochen) hat auch in diesem Jahr ein neues Stück auf Lager, die bewährte Rezeptur lautet Vermischung von (mindestens) zwei Klassikern, gut verrührt mit reichlich Blödelei und einer Prise aktueller Bezüge. Der Impresario Peter Förster hat mit den Werken der letzten Jahre (herausragend für mich „Zar und Zimmermädchen“ aus 2011 und „Eine für Alle“ vom Vorjahr) die Latte sehr hoch gehängt, was diese besondere Art von Theater angeht. Aber jedes Mal Weltmeister werden ist schwierig, wie man an diesem Abend merkt.

Diesmal also ein Potpourri der griechischen Sagen, die Geschichte dreht sich im Wesentlichen um Zeugung und Heldentaten des Herkules. Mit etwas gutem Willen lässt sich auch Shakespeare mit dem „Sommernachtstraum“ als Pate ansehen, insofern geht der Untertitel des Stücks dann doch irgendwie in Ordnung, obwohl Förster bei seiner gewohnt launigen Einführung jedweden Bezug zum Inhalt verneint und stattdessen auf Marketing-Notwendigkeiten verweist. Die Geschichte von der Saalrunde, die beim Telefonklingeln fällig wäre und die bislang als Einziger der Meister selber zahlen musste, ist – wenn schon nicht wahr – dann zumindest sehr gut ausgedacht. Dass man zuvor die Karten am Einlass beim Direktor höchstselbst kaufen konnte, macht einen Teil des Charmes dieses Sommertheaters aus, und der (seit einigen Jahren überdachte) Innenhof des Bärenzwingers ist eine ideale Spielstätte für diesen Zweck.

Außer Tobias Wollschläger ist niemand mehr vom letzten Jahr dabei, was jenen seine Haupt- und Platzhirschrolle gebührend herausstreichen lässt zu Beginn. Doch die vier anderen können mithalten, Benjamin Elstner muss bei der Vorstellung einen albernen Witz über seine Herkunft („aus dör Nöhe von Ölsterwörda“) erdulden, den Damen Guylaine Hemmer, Christine Scheibe und Cathrein Unger bleibt solche Pein gottlob erspart. Alle liefern eine solide Leistung und werden (fast zu) oft mit Szenenapplaus des lachfreudigen Publikums im nahezu vollbesetzten Rund belohnt.

Nur das Stück selbst kommt irgendwie nicht in die Gänge. In Theben erscheint Zeus der Alkmene in Gestalt ihres vom Einsatz in Troja zurückerwarteten Gatten Amphitryon und zeugt bei dieser Gelegenheit Herakles, auch als Herkules bekannt. Hera (die in dieser Interpretation erst später von Zeus geehelicht wird) hat ihn zuvor in der Asservatenkammer des Olymp passend eingekleidet. Die Täuschung fliegt schnell auf, als der richtige Amphitryon heimkehrt und seine Hausschuhe begehrt, doch die normative Kraft des Faktischen wirkt auch hier, Sohnemann Herkie weiß nichts von seiner höheren Abstammung und hat Vati und Mutti lieb.
Dessen Geburt erfolgt anfangs unter dem Kommando einer mehr als resoluten Hebamme, die dann aber lieber hinwirft und Ernährungsberaterin wird, nicht ohne zuvor allen überbesorgten Müttern beiderlei Geschlechts noch ordentlich eins mitzugeben. Stellenweise ist das witzig, aber es fehlt an einer Story, die Szenen stehen nur nebeneinander.
Dass Zeus sich dann während der Werbung um Hera dem Publikum gegenüber als „Meister der Flitterwochen“ bekennt, der den Brautstrauß bei der Hochzeit immer selber fängt und mit dem „Danach“ nichts mehr zu tun haben möchte, zählt zu den hübschesten Momenten im Stück. Nur Hera ahnt davon noch nichts und wiegt sich in den Illusionen einer Götterbraut.
Bis zur Pause finden noch einige preiswerte Witzchen ihr dankbares Publikum.

Danach geht es mit Mitmachtheater weiter, die (korrekt zitierten) zwölf Aufgaben des Herkules, die die verschnupfte Hera dem Zeus’schen Balg stellt, sollen und wollen mit „Ah“, „Oh“ und „Hmm“ gewürdigt werden. Das funktioniert hervorragend.
Im Gegensatz zur klassischen Vorlage darf der Held die Reihenfolge frei wählen, und nachdem – wir springen dramaturgisch ein wenig – elf bewältigt wurden, bleibt als letzte die Beibringung des Gürtels der Amazonenkönigin übrig.
Ein feudales Frauenbild (Zeus) trifft auf gender mainstreaming (Herkules), die Schauspielerinnen haben dann Gelegenheit zum Kostümwechsel und zu einem fulminanten Chorauftritt von aggro bis spirituell. Die eigentlich dem Paris zukommende Fangfrage nach der Schönsten von den Dreien wird hier Herkules gestellt, als Schnäppchen gibt es dazu wahlweise die Weltherrschaft, die Weisheit oder die Liebe zu gewinnen. Herkules versucht sich in Pluralismus und erfindet die Schwarmschönheit („Ihr Drei seid die Schönste“). Gute Idee, aber leider nicht praxistauglich. Oder die Welt ist noch nicht bereit, wie Tocotronic schon vor Jahrzehnten treffend feststellten.

Zeus hängt inzwischen in der automatisierten Warteschleife des Orakels von Delphi („Ich habe Sie leider nicht verstanden“), für mich die beste Szene des Stücks.
Irgendwie fügt sich alles aber doch, Herkules kehrt mit dem Gürtel heim, in welchen sich noch die in Liebe zu ihm entbrannte Amazonenkönigin Hyppolyte befindet. Beim großen Finale werden die Familienverhältnisse geklärt, Herkules wird zum Halbgott befördert, lehnt dies aber aus moralischen Gründen ab und bekennt sich zum Stiefpapa Amphitryon. Zeus, Gott und Mistkerl in Personalunion, hat jetzt einen schweren Stand, und während Hyppolyte und Herkules sich zum Happy-End finden und Hera und Athene einfach so weitermachen, droht er vom Himmel zu stürzen.
Aber so heiß wird das sicher nicht gegessen, und mit einem versöhnlichen Goethe-Vers zum Thema endet das Spektakel.

Sehr heftiger Beifall einschließlich des gefürchteten Im-Takt-Klatschens erschallt. Der Begeisterung kann ich mich jedoch nur bedingt anschließen. Sicher, der Abend ist stellenweise unterhaltsam, die schauspielerischen Leistungen sind sehenswert, aber es gab dann doch auch große Längen, ein Handlungsfaden war kaum erkennbar.
Doch man kann sich gern selbst ein Bild machen: Noch bis zum 7. September täglich außer Montag, immer 20 Uhr im Bärenzwinger unterhalb der Brühlschen Terrasse.

Und immer lockt das Grübchen

„Eine für Alle“, ein Sommertheaterspektakel von Peter Förster, gesehen am 12. Juli 2013 im Bärenzwinger Dresden (Premiere)

In letzter Zeit häuft es sich mit den Zufällen. Diesmal war ich bei der von mir erwählten Veranstaltung genau eine Woche zu früh erschienen, und bei der Suche nach Alternativen für den angebrochenen Frühabend stieß ich auf Försters Sommertheater, das ich in den letzten Jahren schon mehrfach goutierte. Dass heute auch noch Premiere war, dafür kann ich nun wirklich nichts.

Das Publikum zur letztlich ausverkauften Uraufführung hebt sich dann doch von jenem ab, was man aus dem Schauspielhaus gewohnt ist. Im Schnitt zehn Jahre jünger, mindestens, der Tautologie auf der Programmkarte, dass die Fläche überdacht sei und man (trotzdem?) bei Regen spiele, hätte es gar nicht bedurft.

Der Titel zielt auf die niederen Instinkte bei weitem nicht nur des männlichen Publikums, und das ist gut so. Wenn das Niveau erstmal unten liegt, kann es nur noch aufwärts gehen.
Schon zum zehnten Male stehe er hier zum ersten Mal auf der Bühne, sagt ein quirliger, sympathischer Peter Förster. Respekt. Auch sonst ist er sehr unterhaltsam. Warum spielt er eigentlich nicht auch selbst?
Artig lobt er die Sponsoren und heißt die Presse willkommen, die in großer Zahl erschienen ist. Es ist unverkennbar ein Heimspiel, das Publikum jubelt schon beim Warmmachen.

Es beginnt, etwas simpel vielleicht am Anfang. Viel wird über die Differenz zwischen drei Musketieren (nach dem Titel von Dumas) und vier Darstellern philosophiert, dabei ließe sich das leicht erklären. Welcher Schriftsteller bringt schon eine Schlusspointe im Titel unter? Aber sei es drum, auch dem Bildungsauftrag wird Genüge getan, der Name kommt vom Muskete tragen. Dass wir es mit einem Mantel-, Degen- und Intrigenstück zu tun haben, hätte eine Erwähnung nicht gebraucht.

Gott erlaube auch das Abhören, wenn es in seinem Interesse sei, sagt ein glänzend gespielter Kardinal Richelieu, Yes We Can. Und geht flugs ans Werk, um – über Bande spielend – erst die Königin Anna mit ihrem Liebhaber und Staatsfeind Buckingham zu desavouieren und damit dann den König zu stürzen. Lady de Winter ist seine Mata Hari, auch jene gut aufgelegt. Man bekommt eine Kurzeinweisung in den europäischen Hochadel zu Zeiten Louis Treize, hier werden Länder geheiratet.
Buckingham (und doppelrollig Porthos) lässt die Erinnerung an Monty Python wach werden, er kann nicht nur unglaublich dämlich gucken. Und beklagt sich über 10 Downing Street, jenes Reihenhaus, in das er als erster Staatsdiener ziehen müsse. Amüsant, das Ganze, es macht Spaß zuzusehen.

Nun wird auch das Rätsel des Stücktitels gelöst. „Eine für Alle“ ist einfach die gendergerechte Form. So einfach kann das manchmal sein. Über „EineR für Alle“ sind wir inzwischen hinaus.

Die drei (!) Musketiere haben zwar kein Programm, aber den festen Willen zum Heldentum. Eine leichte Beute für d’Artagnan, der hier als Revolutionsführer daherkommt und die Mannschaft erstmal ideologisch aufrüstet. Anzeichen von Abweichlertum bekämpft der Gascoigner mit der berühmten Frage, ob man wohl – sinngemäß – nicht für den Frieden sei.
Richelieu hat inzwischen bei seiner schönen Spionin Mühe, dem Zölibat (und damit Gott?) treu zu bleiben, da hilft nur Selbstkasteiung.
Die Texte sind übrigens sehr schön in Versform gebracht, das ist erbaulich.

Affairen müssen geheim bleiben! Deswegen schickt Anna, die in einem schwachen Moment dem Buckingham (unter anderem) ihre Diamanten überließ, die Musketiere aus, sie zurückzuholen, ehe das Fehlen bemerkt wird. Diese dienen zwar dem König, aber d’Artagnan ist dialektisch geschult und bestätigt den Nutzen für die Staatsräson. Außerdem fordert er die Verstaatlichung aller persönlichen Geheimnisse und ist damit seiner Zeit weit voraus.
„Eine kriegt Alle“ hätte es auch heißen können, wenn Anne die Muskeltiere (wie ich als Kind immer mangels besseren Wissens sagte) becirzt.
Aber auch Lady Winter wittert ihre Chance und reist gen Calais. Pause.

Es ist sicher schwer, aus diesem Stoff noch etwas Neues herauszuholen, aber das muss ja auch nicht zwingend sein. Bislang ein flott gespieltes, unterhaltsames Stück, das auch reichlich aktuelle Bezüge bietet.
Shakespeare, der nach dem Untertitel ja auch im Rennen ist, kommt allerdings kaum zur Geltung. Aber wie der Impresario in der Pause die leeren Gläser wegräumt und noch einen Stuhl heranschleppt … so muss Theater zu Shakespeares Zeiten gewesen sein.
Zudem ist es angenehm locker in der Pause, selbst die Schauspieler reihen sich in die Rauchergrüppchen vor der Tür ein.

Der Einstiegsgag mit „Versailles1700“ gefällt mir sehr. Die Motive heute und früher ähneln sich sicher.
Dann wird es handlungstechnisch etwas unübersichtlich. D’Artagnan wird dank einer zufällig übergestreiften Robe von allen für den König gehalten, naja. Immerhin bringt er die Diamanten zu Tage und schließt damit die offene Flanke in der königlichen Ehre. Bevor er allerdings richtig Gefallen an seiner neuen Rolle finden kann, sperrt ihn Richelieu weg. Dabei wollte er doch nur seine eigene Gattin konkukomprimieren? Was alles so verboten ist.
Deswegen muss er dann als Hannibal Lector auftreten, eine eiserne Maske ziert sein Antlitz. Ab in den Keller zur Feuerzangenbowle ohne Bowle.
Buckingham tauscht inzwischen die Diamanten gegen eine kleine Geschichtskorrektur und seinen Job für eine Stelle in der königlichen Garde ein. Dem muss ja echt was an der Dame liegen.

Wie kriegen wir den Kuddelmuddel nun dramaturgisch zu Ende? Relativ elegant. Der echte König erscheint (er war nur kurz mal zur Therapie) und übt Gerechtigkeit, enttarnt das fiese Streben des Richelieu, buchtet jenen mit Maske ein und befördert den Helden d’Artagnan zum Musketier des Königs.
Wie die interessante Dreiecksgeschichte mit Anna und dem Buckingham weitergeht, bleibt uns allerdings verschlossen.

Jubelndes Publikum zum Schluss, viele virtuelle Vorhänge, auch Peter Förster kann sich seinen verdienten Beifall abholen. Ein schönes Stück sommerliches Theater, leicht und erfrischend wie ein Roséwein. Ich nehm noch ´n Glas. Bis Ende August hat der Ausschank noch offen, sechs Tage pro Woche en suite.

PS: Blöderweise hab ich die Programmkarte liegenlassen, einem Profi wär das nicht passiert. So kann ich die Namen der durchweg guten Schauspieler nicht erwähnen, was mir leid tut, aber Gelegenheit gibt, auf die Internetpräsenz hinzuweisen:
http://www.Kammerspiele-Dresden.de