Kategorie: Dresden

Routiniert die Leistung abgerufen

Billy Idol am 3. Juli 2014 in der „Jungen Garde“ Dresden

Der Große Garten ist größer, als ich ihn in Erinnerung hatte. Durch den muss ich durch, wenn ich zu Billy Idol will. Doch irgendwie scheint er gewachsen zu sein.
Sich mit den Ohren zu orientieren, klappt auch nicht, eine falsche Fährte lockt: Unweit des Palais tobt auch ein ordentlich lautes Konzert, der Nachwuchs macht Punk-Rock. Nee, hier bin ich falsch, ich will zum Altmeister.

Irgendwie finde ich die Garde dann doch, auch wenn von da aus keine Vorband den Weg weist. Noch durch die Gasse der Bratwurstbierbuden gequält, die auch das Außengelände bespielen, dann stehe ich vor dem gewohnt muskelbepackt gesicherten Eingang. Kurz überlege ich, meine immerhin 55 Euro teure Karte doch noch zu verticken (es handelt sich hierbei um einen Spontankauf, einem nostalgischen Gefühl geschuldet, aber dank einschlägiger Erfahrungen bin ich inzwischen skeptisch geworden, was die alten Heroen angeht). Doch hier sieht niemand so aus, als ob er eine Karte haben wolle. Na gut, dann also rein ins erhoffte Vergnügen.

Das Publikum im oberen Bereich unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum vom Dixieland, auch das Fressbuden-Ambiente erinnert daran. Beim Bier kann man hier wie schon seit Jahren üblich nur zwischen Radeberger und Schöfferhofer wählen, was ich für einen entscheidenden Standortnachteil der ansonsten recht idyllischen Spielstätte halte. Zum Aufwärmen gibt es u.a. die Sisters Of Mercy vom Band, ebenjene, die neulich so grandios im Schlachthof enttäuschten, siehe oben. Ein schlechtes Omen? Mal sehen.

20.30 Uhr, ohne viel Federlesen fängt die Kapelle an, der Meister kommt standesgemäß als letzter und hat erstmal die große Vorbühne ganz für sich allein. Den Platz braucht er aber auch. Hinter ihm agiert ein Brett von vier Gitarrenmännern, welches jedoch alsbald aus der zweiten Reihe geschlossen nach vorne rückt, ein schönes Bild.
„Dancing with myself“ gleich als drittes Stück, spätestens ab da hat Idol den fast vollen Laden im Griff, was beim folgenden Gitarrenriff zum Einstieg in „Fresh For Fantasy“ auch gleich nachdrücklich bewiesen wird. Billy legt den Mantel ab und trägt nun die bekannte offene Weste über dem austrainierten Oberkörper. Auch er ist also noch recht fresh.

Dennoch scheint es tatsächlich selbst auf der Bühne ein bisschen frisch zu sein, zum nächsten Titel kleiden ihn wieder Hemd und Jacke. Dieser ist etwas ruhiger angelegt, was prompt die Schlangen vor den Bierbuden anschwellen lässt.
Die Anzahl der für ein Rockkonzert geeigneten Bühnengesten ist überschaubar (wir sind ja nicht beim Ausdruckstanz). Billy Idol beherrscht sie zwar alle perfekt, ist dann aber doch bald durch durchs Repertoire. Egal, dann wird die Reihenfolge halt neu gemischt.
Doch, das hat schon was, und jünger werden wir alle nicht. Was Idol (immerhin Jahrgang 1955) hier zeigt, kann als starke Leistung gelten.

Seine Sprechstimme übrigens ist auch sehr einprägsam, das merkt man, als er vor seinem Konzertgitarrensolo zu „Sweet 16“ eine kurze Geschichte erzählt. Die Version kommt dann sehr spanisch daher, was ihr unbedingt gut tut.
Idol zieht sich fast öfter um als Madonna, das nächste Mal für „Eyes Without A Face“, die Show läuft jetzt auch lichttechnisch auf Hochtouren. Selbst bei den nicht zum Allgemeingut gehörenden Stücken sackt die Stimmung nur wenig durch, die da vorn verstehen ihr Handwerk.
Und der erste Gitarrist (wie man in der Klassik sagen würde) Steve Stevens überzeugt dann noch mit einem fingerfertigen Solo, irgendwo zwischen Flamenco, Classic Rock und Bach. Ja, Bach, zumindest glaubte ich den zu hören zwischendurch.

Der Rest der Band hat sich gut erholt derweil und zieht – mit einem frisch umgekleideten Idol – das Tempo wieder an. Die Gitarren kommen jetzt auch mal über die Außenlinie, großer Sport ist das. Idol lässt dann so etwas wie Pappteller ins Publikum fliegen, vielleicht waren die beim Catering übrig.
Der gefühlte Druck von der Bühne lässt zwischenzeitlich etwas nach, aber das Publikum bleibt dankbar und begeistert. Die Spielanteile der Leadgitarre wachsen, Idol kommt jetzt eher aus dem Mittelfeld. Doch dann spendet er zu „Rebel Yell“ sein T-Shirt für die erste Reihe, da wird wieder klar, wer der Chef auf dem Platz ist.
Sänger und Publikum versichern sich gegenseitig, dass sich all right fühlen, das scheint auch plausibel, selbst wenn die Midnight Hour noch lange nicht erreicht ist.
Trotzdem soll es das dann aber schon gewesen sein nach dem Spielplan, immerhin, neunzig Minuten plus Nachspielzeit sind vorbei.

Auch wenn es über den Sieger keinen Zweifel gibt, geht es wunschgemäß in eine Verlängerung, welche mit einer schönen unplugged-Variante von „White Wedding“ eingeleitet wird. Start again brüllt das Stadion, und Idol lässt sich nicht lumpen. Er nimmt gar ein Bad in der Menge, nach dem der Torhüter resp. Schlagzeuger mit einem kurzen Solo auch noch was Eigenes zu tun bekommt.
Dass die Verlängerung, auch Zugabe genannt, nur fünfzehn Minuten währt, sei verziehen, selbst wenn sie auch noch die Verlesung der Mannschaftsaufstellung beinhaltet. So erfahre ich immerhin, dass auch ein Keyboarder dabei war, was während des Spiels ein wenig unterging.

Recht plötzlich ist dann Schluss, die Bühne wird hell erleuchtet, die Roadies bauen ab, keine Diskussion, der Schiedsrichter hat gepfiffen. Die Menge trollt sich ohne großes Gemurre, für viele ist der Heimweg sicher noch weit.
Meiner führt wieder durch den Großen Garten, der jetzt nicht nur wirklich groß, sondern auch sehr dunkel ist. Wider besseres Wissen vertraue ich meinem Orientierungssinn und komme tatsächlich ohne größere Haken am anderen Ende an, wo die 13 wartet.
Insgesamt ein guter Abend, auch wenn seit der CD „Devil’s Playground“ aus dem Jahre 2005 nichts Neues mehr von Billy Idol zu hören war. Doch das in fünfundzwanzig Jahren angehäufte Repertoire reicht locker für ein mitreißendes Konzert, und gut in Form ist er auch noch. Das Häkchen auf der „Noch-sehen-wollen-Liste“ mach ich ohne Reue.

„Und wer entschuldigt sich dafür?“

„Ein Exempel, Mutmaßungen über die sächsische Demokratie“ von Lutz Hübner und Sarah Nemitz, Regie: Jan Gehler, gesehen am 27. Juni 2014 im Staatsschauspiel Dresden

Die Frage nach der Verantwortlichkeit, die der Hauptakteur A. am Ende, nachdem er seinen Prozess dann doch irgendwie erfolgreich überstanden hat, den Mitspielern stellt, vermag niemand zu beantworten. Freundin und Kind weg, Job verloren, seelisch zerrüttet, aber …. So richtig daran schuld ist keiner. Alle haben nur ihre Pflicht getan, im Durchschnitt, die einen mehr, die anderen weniger.

Lutz Hübner und Sarah Nemitz rekonstruieren anhand eines fiktiven Falls die Geschehnisse des Februar 2011 in Dresden, als anlässlich des alljährlichen Naziaufmarsches die Gewalt auf allen Seiten eskalierte, und deren rechtliche Aufarbeitung.

Hübner und Nemitz gebührt in vielerlei Hinsicht Dank. Nicht nur, dass sie ein sehr aktuelles politisches Thema aufgreifen, es gelingt ihnen auch, die Komplexität des Stoffes zu reduzieren und dennoch nicht zu sehr zu vereinfachen, von wenigen verzichtbaren Klamauk-Elementen abgesehen. Man sieht keine Schwarz-Weiß-Malerei, sondern eine sehr genaue Beschreibung einer Situation, in die (fast) jeder geraten kann. Das Stück liefert keine vorgefertigten Antworten, aber es stellt die richtigen Fragen.

Der komplette Text auf Kultura-Extra:
http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/urauffuehrung_einexempel_staatsschauspieldresden.php

Theater von unten – Zwischenrufe aus dem dunklen Parkett

Eine Sammlung subjektiver Schauspielberichte aus Dresden seit der Spielzeit 2011

Anstelle einer Inhaltsbeschreibung zwei Vorworte:

1. Fiktives Vorwort einer imaginären Fachkraft

Was soll das denn?
Nicht nur, dass sich diese Teichelmauke erdreistet, im Revier der hehren Theaterkritik zu wildern (als eine Art IKEA im gediegenen Möbelmarkt), nun fasst er diese Ärgernisse auch noch digital zusammen und wirft sie in die Welt. Das will doch keiner lesen!

Und wenn doch, entspringt dieser Wille nur mangelnder Ernsthaftigkeit im Umgang mit dem hehren Medium Theater, zu dem man sich nur (!) eine Meinung bilden kann, wenn man zumindest Geisteswissenschaften studiert hat und jedes Stück aus dem Schauspielführer schon mindestens dreimal sah, davon einmal durch die Herren Reinhardt, Peymann, Stein, Konwitschny, Thalheimer, Petras, Kriegenburg, Pollesch oder den vielen Hartmännern inszeniert. Erst dann kann man mitreden.

Diese Teichelmauke (Schon der Name! Albern!) kann dies nicht aufweisen. Er stammt „aus der „Mitte des Parketts“, wie er selber theatervolkstümelnd schreibt. Was soll denn das bringen?
Natürlich spielt das Publikum am Theater eine Rolle. Aber doch keine aktive! Dessen Aufgabe ist es, andächtig zu lauschen und zu schauen, möglichst wenig zu husten und am Ende mit stürmischem Beifall das Stück abzurunden. Auch Bravo-Rufe sind erlaubt, sofern der zuständige Kritiker der Inszenierung seinen Segen gegeben hat. So war es immer, und so soll es bleiben.

Und nun kommt einer daher, der zugegebenermaßen oft im Theater zu finden ist (aber Masse erzeugt noch lange keine Klasse, mein Freund!) und schreibt auf, was er erlebte. Clevererweise nennt er das weder Rezension noch Kritik, trotzdem ist das reine Produktpiraterie. Die Chinesen sind nun also auch im Theater angekommen.

Aber man kann es ja nicht verhindern. Heute kann jeder veröffentlichen, was er will. Und wenn nun auch auf über hundert Seiten über fünfzig Stücke „besprochen“ werden, es wird den Lauf der Theatergeschichte nicht verändern.

2. Vorwort der Teichelmauke

Ja, sicher. Soll es auch nicht. Na und?
Der Ansatz ist auch eher selbstbezogen.

Wenn man – mit steigender Intensität – seit fünfzehn Jahren immer wieder ins Theater geht, kommt irgendwann der Moment, wo man trotz des sich selbst eingestandenen Dilettantismus glaubt, ein bisschen mitreden zu können. Und wenn es dann noch so eine großartige Initialzündung wie den Dresdner „Don Carlos“ gibt, die einen dazu bringt, seine tiefen Eindrücke irgendwie zu Datei zu bringen, kann das durchaus dazu führen, dass man dieses Hobby weiter pflegt, auf verschiedenen Plattformen seine Betrachtungen unters interessierte Volk bringt und sich fürderhin als „Bürgerrezensent“ begreift.
Wenn es eine Bürgerbühne gibt, die Laien zum Spielen bringt, kann es auch so weit kommen, dass Laien über das Theater schreiben. Es ist mit allem zu rechnen, seitdem die Chefredakteure nicht mehr die alleinige Hoheit über das haben, was veröffentlicht wird.

Meine Texte sind Beiträge, nicht mehr. Ich füge meine Meinung den Bewertungen der „offiziellen“ Kritiker hinzu, wenn auch mit geringerer Reichweite. Aber das ist ok, es geht ja nicht um Bekehrung oder um Deutungshoheit. Eigentlich …, eigentlich mach ich das nur für mich. Aber ich lasse andere, die es vielleicht interessiert, daran teilhaben.

Was allerdings vielleicht ein Alleinstellungsmerkmal darstellt, sind meine Bestandskritiken. Wer schreibt schon über Repertoirestücke? Eigentlich aus der Not geboren – ich kann nun mal nicht bei jeder Premiere dabei sein – hat sich dies zu einem netten Hobby entwickelt.

Und nun gibt es halt gesammelte Werke. Der erste Akt ist dem Staatsschauspiel Dresden gewidmet, dessen Hervorbringungen meine theatrale Hauptspeise in den letzten Jahren war. Ein geplanter zweiter Akt soll dann die Gastspiele beleuchten, und das reizvolle weite Umland von Dresden.

Und: Man sollte das alles nicht so hoch hängen. Kunst soll Spaß machen. Und das Schreiben darüber auch.
Ich zumindest hatte den, und das wünsche ich den geneigten Lesern auch.

Hier zu finden:
https://www.xinxii.com/theater-von-unten-p-353248.html

Links oben, wo die BRN ist

Beilegeblatt zur Sendung am 11. Juni 2014, 22 Uhr: Teichelmaukes Hamsterradio #25a „ coloBRadioN – Gebrauchsanweisung zur BRN“

Präambel BRN 2014

Die Bunte Republik Neustadt, der Freitag und der Moooooooooond

Es war einmal ein Vollmond! Und die Schwafelrunde (ohne Ritter) schaute mit offenem Mund in den unglaublichen Nachthimmel, der sich über unserer fast ebenso unglaublichen Republik wölbt. Schade, dachten wir, schade, dass es bei der BRN keinen Vollmond gibt. Aber warum eigentlich nicht, dachten wir. Was nicht ist, das kann doch werden.
Und so haben wir bei der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen und dem Kulturamt der Stadt Dresden Geld beantragt und der Sternwarte der TU unter der Hand soviel davon abgegeben, dass die damit alle Fünfe gerade und den Mann im Mond einen guten sein lassen konnten.
Es wird Vollmond geben! Am Freitag der diesjährigen Festivitäten zur Feier unserer Republik wird er mit Unterstützung von Wissenschaft und Forschheit unsere Wege und Plätze ausleuchten. Leider gibt es aber auch in diesem Falle einen Pferdefuß: Um das Glück eines Vollmondes rechtfertigen zu können, wurde uns auf der anderen Seite das vielfache Pech eines Freitags des Dreizehnten zugeteilt. Was für ein Zufall!
Jetzt können wir uns am Festwochenende zwischen Voll und Mond, Frei und Tag, Hell und Dunkel, Glück und Pech bewegen, wie im richtigen Leben eben. Aber lasst es uns zu unserem persönlichen und privaten Vollmond machen. Lasst uns heulen, liebe Meute.
Und am Ende singen wir, dass es vorbei ist mit dem Junimond. Und weinen wieder.
(Copyright: Schwafelrunde (ohne Ritter), http://brn-schwafelrunde.de/)

Trailer:

Veranstaltungsplan:
http://bunterepublikneustadt.de/
http://www.neustadt-ticker.de/brn/brn-programm-2014

Zur generellen mentalen Vorbereitung:
http://brn-schwafelrunde.de/

Diplomaten-Reise:
http://radfahren-in-dresden.de/2014/06/die-brn-schickt-diplomaten-auf-die-reise/

Aktion Preibisch: Neue BRN-Flagge
http://www.neustadt-ticker.de/30230/aktuell/nachrichten/termine/der-preibisch-will-brn-stempeln
http://www.fischbild.de/

Ausgewählte Orte:
Lustgarten: http://kulturaktiv.org/
Oosteinde http://www.oosteinde.de/
Veränderbar http://www.artderkultur.de/
Atelier Schwartz / Keller Nr. 3: http://atelier-schwartz.de/main/kellernr-3
Scheune: http://www.scheune.org/
Katy’s Garage: http://katysgarage.de/
Sabotage http://www.sabotage-dresden.de/
Thalia http://www.thalia-dresden.de/index.php
Straßenball Talstraße https://www.facebook.com/events/685078091551373/?ref_dashboard_filter=calendar

BRN-Zeitung „Aus die Maus“:
http://klausheidemann.blogspot.de/2014/06/fertig-brn-zeitung-aus-die-maus.html

Und immer dran denken:
BRN ist immer. Die Schweiz ist schließlich auch immer.
Was jetzt kommt, ist nur die Geburtstagsfeier.

Im besten Falle harmlos

„All inclusive – Die Kellerkinder transpirieren sinnfreie Sommerhits“, Produktion des Ensemble La Vie im Projekttheater Dresden, gesehen am 7. Juni 2014

Da gab es im letzten Jahr eine großartige Darbietung der Kellerkinder namens „Morbide Moritaten“ am selben Orte, ich habe Tränen gelacht vor Freude, wer mag, kann es hier nachlesen: https://teichelmauke.me/2013/10/12/schrecklichschon-schon-schrecklich/

Was also lag näher, als dem neuesten Werk dieser spaßigen Truppe ebenfalls beizuwohnen? Gestern schon war die Premiere, aber da war ich beim letzten „Drachen“, doch heute sollte es sein.

Angenehm kühl ist es im Saal des Projekttheaters, fast wie in einem Keller. Die Kinder sollen sich offenbar zuhause fühlen.
Eine genervte Jung-Diva schlurft anfangs nölend zur einem Strand nachempfundenen Bühne, im Schlepptau drei Herren, die auch nicht viel besser drauf zu sein scheinen. Das kann ja heiter werden.
Gewollt lustlos wird der eisgekühlte Bommerlunder besungen, auch Carrells Uralt-Frage nach dem richtigen Sommer wird, äh, interpretiert, ehe es mit Michas Farbfilm weitergeht.

Zum Einstieg ist das ganz putzig, nur … es geht dann konsequent so weiter. „Singt das noch einmal, und ich geh“ möchte man mit Nina drohen, aber zumindest variiert das verwurstete Liedgut, wenn auch nicht die Form der Darbietung. Der Scherz mit dem versemmelten Einsatz erschöpft sich spätestens beim dritten Mal, die großen Stimmen auf der Bühne sind leider nur vorgetäuscht, das Ganze zieht sich, produziert erwartbare Pointen.

Ein Bikini allein füllt noch keine Bühne, da kann er seiner Trägerin noch so gut stehen. Ein bisschen mehr Hintersinn darf man dazu durchaus erwarten, wenn das Ensemble neulich die Latte so hoch hängte. Doch dieses Programm ist nur pseudo-witzig, ein dünner Aufguss seines Vorgängers. Keine Spur von einem roten Faden, es sei denn, man nähme die (dehnbare) Zuordnung „Sommerhit“ als solchen. Kein origineller Gedanke weit und breit, gebrauchte Witzchen und einige Peinlichkeiten, mehr ist da nicht. Kein Musikstück, was wirklich in Erinnerung bleibt, höchstens die zweite Zugabe, doch die stammt aus der vorherigen Inszenierung.

Mit dem Kopf wackeln und Grimassen schneiden ersetzt hier die Spielfreude. Die Musiker (Paul Voigt und Benjamin Rietz) müssen zu den Kalauern zuliefern, bleiben aber sonst im Hintergrund. René Rothe sah ich beim letzten Mal viel besser, da gab das Stück allerdings auch deutlich mehr her. Und Jessica Gräber konnte immerhin einmal (mit einer „Carmen“) kurz andeuten, dass sie tatsächlich singen kann, ansonsten aber wenig darstellerische Mittel zeigen.

Die Versuchung ist für ein Ensemble natürlich groß, nach dem beachtlichen Erfolg der letzten Inszenierung noch ein ähnlich angelegtes Stück auf die Bühne zu bringen. Doch der Rahmen allein macht noch keinen Inhalt. Der vollmundigen Ankündigung „verstörend aufregend“ auf dem Flyer möchte ich energisch widersprechen: Ich fand es im besten Falle harmlos, und dazu noch ausgesprochen langweilig.
Der Fairness halber muss ich aber zugeben, dass der Rest des (pfingstsommerlich bedingt spärlich gefüllten) Saals sehr begeistert klatschte. Und so sei auch erwähnt, dass es am Sonntag (8. Juni) um 20 Uhr noch eine Aufführung im Projekttheater zu sehen gibt.

Vom Aufstieg und Fall des Albert Ue.

Soeben als Teichelmaukes eBook veröffentlicht:
Eine fiktive Geschichte über zwei Amateurkritiker, die am und im Theater spielt

Ein älterer Ex-Manager und Theaterfreund (Albert), der schon bessere Tage gesehen hat, lebt ein ereignisarmes Leben in seinem Viertel, pendelt zwischen Arbeit, Kneipen und gelegentlichen Kurzliebschaften. Ansonsten spielt nur das Theater eine wesentliche Rolle in seinem Leben.

Eines Tages ärgert er sich so über die Kritik in einer renommierten Zeitung über ein von ihm als phantastisch empfundenes Stück, dass er selbst anfängt, Rezensionen zu schreiben. Diese veröffentlicht er erst nur auf seiner facebook-Seite, später dann auch auf der des Theaters und auf einer Kulturplattform. Er stößt damit in eine „Marktlücke“ und wird eine Zeitlang vom Theater und der Öffentlichkeit als Bürger-Kritiker gehypt.

Parallel passiert Ähnliches mit einem späten Fräulein (Grete), die sich von Alberts Beiträgen anregen lässt, ebenfalls ihre Meinung aufzuschreiben und zu veröffentlichen. Beide steigern sich in der Folge in einen Rezensions-Wettbewerb hinein, der anfangs von vielen aufmerksam verfolgt wird, zumal eine große Boulevardzeitung mit einem fiesen Trick das Pseudonym des Fräuleins enthüllt und ihr damit viele Sympathien zutreibt.

Grete und Albert werden eine Zeitlang als frische Stimmen im Chor der Kritiker wahrge­nommen und finden ein gewisse Resonanz. Aber beide übertreiben es in der Folge, die Adressaten sind zunehmend genervt von der Menge und dem Stil der veröffentlichten Beiträge.

Der Stern der Neu-Kritiker sinkt, was vor allem bei Albert auf wütenden Trotz stößt. Auch seine Annäherung an Grete scheitert. Eine ganz neue Idee soll nun seinen Ruhm wiederherstellen ..

A U S Z U G

1 Grete

Grete Zwanziger war nicht gerade das, was man gewöhnlich eine Schönheit nennen würde. Sie gab sich auch keine große Mühe mehr, als solche zu erscheinen, wissend um die Aussichtslosigkeit des Unterfangens. Was sie inzwischen zu dick war, war sie immer noch nicht groß genug und würde dies sicher auch nicht mehr werden. Ihre Haare schimmerten auf eine Weise, die man mausfarben nennen musste, aber immerhin lächelte sie schön, wenn auch selten.
In den knapp vierzig Jahren ihrer Existenz hatte sie lernen müssen, dass es am Ende doch die äußere Hülle war, die die größte Bedeutung im Spiel der Geschlechter besaß. Und da sie wenig in die Wiege gelegt bekam (was sie bald begriff und wofür sie – neben einigem anderen – ihre Mutter hasste), hatte sie es sich abgewöhnt, sich gemeint zu fühlen, wenn es hinter ihr auf der Straße pfiff.
Grete lebte ein ereignisloses Leben zwischen der Arbeit und der mehr oder weniger vertändelten Freizeit. Früher hatte sie noch Ehrgeiz hinein gesteckt, ihre Wohnung als Schmuckstück, als gemütliches Nest zu präsentieren. Mangels Publikum war ihr aber auch darauf inzwischen die Lust vergangen. Sie hielt sich in dieser Wohnung auf, weil es keinen anderen Ort gab, an dem sie sich lieber aufgehalten hätte, auch wenn dieser Ort gar nicht so viel hätte bieten müssen. Die Wohnung war halt da, und besagter anderer Ort nicht.
Eine wesentliche Errungenschaft in ihrem Dasein wollen wir nicht verschweigen: Grete hatte einen Computer, der in den letzten Jahren vor allem dazu diente, ihre Steuererklärung zu fertigen und die jährliche Urlaubsreise (sanfter Tourismus mit Kulturprogramm) zu buchen. Eine Arbeits-Freundin (Grete wäre nie so weit gegangen, diese wirklich als Freundin zu bezeichnen, davon hatte sie ganz andere Vorstellungen, die sich leider selten erfüllten bisher) hatte ihr in einer ruhigen Stunde in der Kanzlei (der Chef war „beim Mandanten“, wie er seine Besuche im nahegelegenen Bordell nannte, in der irrigen Annahme, dass seine Kanzleidamen ihm das schon glauben würden) das Universum von Facebook nahezubringen versucht. Und Grete fand Gefallen daran, lächelte zwar über den inflationär verwendeten Begriff „Freund“, erahnte aber doch die vielfältigen Möglichkeiten für eine wie sie.
Leider beging Grete den Fehler, sich am selben Abend kurz vor Mitternacht noch schnell anmelden zu wollen. Pedantisch wie sie war, untersuchte sie akribisch nach dem Login unter einem Pseudonym (wie ihr geraten worden war) alle Möglichkeiten, die sich ihr boten, lud Fotos hoch, suchte nach ihren Lieblingsfilmen, um der Welt mitzuteilen, dass diese auch ihr gefielen, stöberte Schulfreunde auf. Als sie das nächste Mal zur Uhr sah, war es Fünf.
Dem ersten Reflex folgend, fuhr sie erschrocken den Rechner herunter, um dann, sich der alten Weisheit erinnernd, dass kein Schlaf besser wäre als zwei Stunden Schlaf (praktisch hatte sie das seit Jahrzehnten nicht ausprobiert), das Gerät wieder zu starten und sich als Luise Miller wieder einzuloggen. Luise Miller deshalb, weil die Luise ihr immer als der natürliche Gegenpol zur Grete erschien und Miller dann die passende Ergänzung war. Facebook nahm keinen Anstoß daran, und so war ihre neue Existenz geboren.
Die erste Nacht mit dem neuen Spielzeug endete, und Grete fühlte sich der Welt irgendwie mehr verbunden als noch am Tag zuvor.

2 Albert

Im Leben von Albert Ueberzahl gab es inzwischen nichts mehr, was einer besonderen Erwähnung wert gewesen wäre. Er hatte sich mehr oder weniger gut eingerichtet zwischen einem anspruchslosen Job, der ihm immerhin ein passables Einkommen sicherte, seinen Touren durch die Neustadt, wo er hätte als Alterspräsident gelten können, wenn es nicht noch einige Bejahrtere gegeben hätte (aber mit seinen vierundfünfzig – die man inzwischen auch sehen konnte – war er schon ein Exot im Revier, auch wenn man ihn das selten spüren ließ und außerdem als umsatzstarken Gast schätzte) und seinen irritierend häufigen Theaterbesuchen, die er inzwischen als seinen Lebensinhalt empfand. Die Fragwürdigkeit der Bezeichnung „Lebensinhalt“ war ihm dabei durchaus bewusst, spätestens seitdem ein gewisser Herr Lehmann darüber philosophiert hatte, aber ihm war bislang kein besserer Begriff eingefallen und außerdem fühlte sich das Leben tatsächlich manchmal als Flasche an. Fand er.
Albert hatte aufgehört, über seine Rolle in der Neustadt, jenem „Szene-, Künstler- und Kneipenviertel“ (der Name, auf den sich die Reiseführer letztlich geeinigt zu haben schienen), das gern so tat, als ob es ganz woanders wäre, tiefer nachzudenken. Vor gut zehn Jahren, als er herkam, flüchtend aus einer bürgerlichen Existenz, sich in ein neues Leben mit einer neuen Frau stürzend, war alles noch wahnsinnig aufregend, spannend und inspirierend. Er hatte sogar selbst angefangen, „irgendwas mit Kunst“ zu machen, nach Feierabend, bis er den Dilettantismus seiner Bemühungen einsah. Das Ganze hielt ein paar Jahre an, dann verschwanden erst der Zauber und kurz danach die Frau. Er war trotzdem hier klebengeblieben, ohne Kraft und Mut für einen weiteren Neuanfang.

In seinem Dreieck fühlte er sich einigermaßen geborgen und sicher, und was sollte auch groß noch kommen? „Schon deutlich älter als die DaDaEr geworden ist aber immer noch alles im Griff“, wie er gerne selbstbetrügend sagte, wenn er dann doch mal am Tresen eine Art Gespräch führte. An besseren Tagen gefiel er sich dann in der Rolle desjenigen, der sein schweres Schicksal mannhaft trug, an den anderen brauchte es die helfende Hand der Oberkellnerin, bis er den Frust schließlich hinweggespült hatte.
„Ich bemerke, dass ich selbst auch Spuren hinterlasse, jeden Tag z.B. mit der Kaffeetasse“, diesen Zynismus der Formation „Die Sterne“ aus seiner späten Jugend sang er dann am nächsten Morgen oft vor sich hin, im Rhythmus des Songs, wie er zumindest glaubte.
Es war nicht so, dass er gänzlich alleine war. Mit seiner Halb-Intellektualität und dem Einziehen seines inzwischen nicht mehr nur Ansatz zu nennenden Bauches konnte er schon gelegentlich mittelalte Damen spät abends davon überzeugen, dass es eine gute Idee wäre, mit ihm temporär das Lager zu teilen. Diese Meinung – in der Regel auch von diversen Alkoholika befeuert – hielt bei der Auserwählten jedoch selten länger an, und auch seine Begeisterung schwand meist rapide. Man trennte sich dann im Guten und grüßte sich fortan freundlich auf der Straße, wenn man sich sah.

Das eigentliche Problem bestand darin, dass Albert der Überzeugung war, ein Loser zu sein, sich an einem entscheidenden Punkt im Leben falsch entschieden zu haben und nun die Konsequenzen ausbaden zu müssen. Davon brachte ihn nichts ab, und sein Alter Ego, der Albert von früher, Enddreißiger mit Frau, Kindern und Haus, der partout nicht älter werden wollte und ihm immer, wenn er in der Badewanne saß, im Geiste gnadenlos die Wahrheit vorhielt, bestärkte ihn noch darin:
„Merkst Du was? Du bist einer der Wenigen, die alleine im Alaunpark herumlungern. Und die alleine ins Theater gehen. Und alleine in der Kneipe sitzen. Was hast Du denn erreicht mit deiner großen Selbstverwirklichung?“
Tja. Es ist eben wie es ist. Lonely Irgendwas. Nur in den besseren Momenten fühlte sich das abenteuerlich an.

Albert hatte dennoch nicht wirklich das Gefühl, etwas ändern zu müssen. Er hatte nämlich die Erfahrung gemacht, dass jegliche Veränderung bei ihm seit fünfzehn Jahren immer nur zum Schlechteren geführt hatte, und er hing schon noch ein bisschen an seiner jetzigen Existenz, vor allem auch, um die nächsten Premieren am Theater nicht zu verpassen.
Jenes Theater verursachte bei ihm dank langjähriger Verbundenheit inzwischen Heimatgefühle. War er anfangs noch reserviert gewesen gegenüber dem Theatervolk, das so anders schien als er, gewöhnte er sich langsam an den Umgang, erleichtert auch durch einige Begegnungen auf Premierenpartys, bei denen er einfach so lange geblieben war, bis schließlich auch er wahrgenommen wurde. Ein flüchtiger Beobachter hätte ihn inzwischen zum Personal gezählt, sicher nicht auf der Bühne, aber irgendwo dahinter. Und es kam sogar vor, dass er in der Kantine nur den Mitarbeiterpreis für das Bier zahlen musste, weil sein Gesicht inzwischen allen vertraut war. Dies waren dann die besseren Abende in Alberts Leben.
Umso fassungsloser war er, als der berühmte und von ihm eigentlich geschätzte Großkritiker einer noch berühmteren Großzeitung, der schon häufig sehr viel Freundliches über sein Theater geschrieben hatte, das jüngste Stück, das Albert ausnehmend gut gefallen hatte, ohne Gnade und mit deutlich lesbarer Freude verriss.
Diese Unverfrorenheit weckte in ihm ungeahnte Kräfte. Kaum gelesen, hockte er sich an den Tresen seines Lieblingsitalieners und hämmerte voller Wut eine „Richtigstellung“ in seinen Kleinrechner. Er sandte sie ab mit dem guten Gefühl, zumindest ein kleines Stück Welt heute Nacht gerettet zu haben.
Die Reaktion der Großzeitung war enttäuschend. Eine freundlich-standardisierte Eingangsbestätigung, dann eine Woche später magere drei Zeilen auf der Leserbriefseite, fast zusammenhanglos und entsprechend dämlich klingend. Und dann noch mit seinem Namen und denunzierend mit seinem Wohnort unterschrieben und ihn damit als lokalen Eiferer bloß stellend.
Albert war erschüttert, tief getroffen, schwer gekränkt in seinem sicheren Gefühl der Theaterkompetenz, erworben in fast zwanzig langen Zuschauerjahren. Aber was nun tun?
In seiner Not entsann er sich des Spielzeugs Facebook. Wenigstens hier sollte die Welt seine Gegenmeinung lesen können. Nachdem er zunächst mit den technischen Gegebenheiten kämpfte (er hatte in letzter Zeit ohnehin häufiger das Gefühl, dem technischen Fortschritt nicht mehr überall folgen zu können), gelang es ihm, den Text auf seiner Seite zu platzieren. Nun konnte die Welt Anteil nehmen. Zumindest der Teil der Welt, der sich für seine Hervorbringungen interessierte und realistisch betrachtet nicht gerade bedeutend war.
Als aber nach drei Tagen der Text immer noch jungfräulich auf dem Bildschirm prangte (offenbar gefiel er nicht mal denen, die sonst immer alles liken), zündete er die nächste Stufe. So sehr er sich einredete, dass das alles nur dem guten Zweck der Verteidigung seines Theaters diente, so klar war ihm insgeheim, dass es inzwischen um seine gekränkte Eitelkeit ging. Zurücksetzung und Ignoranz war er inzwischen auf vielen Feldern gewohnt und hatte gelernt damit zu leben. Aber das Schauspiel war die letzte Bastion seiner intellektuellen Würde, hier wollte er bitteschön ernst genommen werden!
Also: Auch das Theater hatte eine eigene Seite, und ob so gewollt oder zufällig, auch er konnte hier Texte einstellen. Das tat er, und siehe, immerhin eine umgehende freundliche Reaktion der Marketingabteilung war die Folge. Ging doch! Albert war erst mal beschwichtigt.

3 Der Erstling

Irgendwie schien sich sein Text von der Theaterseite aus weit verbreitet zu haben. Zwei Tage später standen ein Dutzend zustimmende Kommentare darunter, meist in der Facebook-üblichen Knappheit, die er nicht immer verstand, zudem prangten an die hundert Däumchen auf ihm. Das Theater hatte eine beachtliche internet-affine Fangemeinde, die sich offenbar ebenso wie er über den Verriss des Leitmediums geärgert hatte, zumal andere Zeitungen darauf aufgesprungen waren. Problem verschärfend kam hinzu, dass der blutjunge Hauptdarsteller, der jedoch schon einige Filme vorweisen konnte und seit neuestem seine Anhängerschar auch mit einer eigenen Band erfreute (von der beginnenden DJ-Karriere wollen wir gar nicht reden), ebenfalls schlecht wegkam in den Traktaten, was den Eifer der überwiegend weiblichen Theaterfans noch anstachelte. Albert war geschmeichelt über so viel Zuspruch, auch wenn er den Unterschied zwischen Koch und Kellner kannte.
Selbst der Intendant, der offensichtlich auch erbost war über den Verriss seines Lieblingsprojektes, zitierte ihn und die Internet-Debatte in der nächsten Theaterzeitung, mit dem süffisanten Hinweis, dass Berufskritiker nicht immer recht haben müssen und sein Publikum das Stück schon verstanden habe.

Hier geht es zum eBook:

https://www.xinxii.com/vom-aufstieg-und-fall-des-albert-ue-p-353150.html

Etwas hat sich in Gang gesetzt

„…, und nichts kann es mehr aufhalten“, um einen Slogan des Deutschen Theaters Berlin, das mit seinem Jungen Theater hier ebenfalls vertreten sein wird, zu zitieren. Das erste deutsch-europäische Bürgerbühnenfestival hat am 17. Mai 2014 in Dresden begonnen, und zumindest in den nächsten sieben Tagen wird es den Rhythmus dieser Stadt maßgeblich bestimmen.

Sonnabendnachmittag, kurz vor 17 Uhr, es wuselt und quirlt derart vor und im Foyer des Kleinen Hauses, dass man eine erste Ahnung davon bekommt, welch logistischer Aufwand hinter diesem Festival steckt. …

Es dauert, ehe das Völkchen sich im Saal eingefunden hat, doch viertel sechs (für die Gäste: Viertel nach Fünf) geht es dann endlich los: Ein Chor aus siebzig Akteurinnen und Akteuren der Dresdner Bürgerbühne, in seiner Besetzung repräsentativ für die volle Breite der Spielenden, eröffnet mit einem Lied über dieselbe das Festival, gewohnt begeisterungsfähig und selbstironisch. „Party und Partizipation“ heißt das Motto, und man wagt auch den Blick in die Zukunft, wenn die Bürgerbühne erst zehn Jahre alt sein wird, steht bestimmt auch die erste Welttournee an. …

(Die gesehenen Stücke: „Die Klasse“ vom jungen theater basel und „Die letzten Zeugen“ vom Burgtheater Wien)

Der ganze Text:
http://www.livekritik.de/kultura-extra/theater/spezial/buergerbuehnenfestival2014_dererstetag.php

Den im Nebel sieht man am besten

„kurz & gut I“, am 23. April 2014 im Rahmen der Tanzwoche Dresden im Projekttheater

Heute wäre Fußball, lässt mich der Biergarten nebenan wissen. Ok, doch zum einen ist das eine Tautologie, Sportsfreunde, Fußball ist nämlich immer, und zum anderen interessiere ich mich selbst außerhalb der Tanzwoche nicht für Männer in kurzen Hosen. Also auf ins Projekttheater, Teil 3 meiner passiven Tanzerfahrung steht an.

Beim Einlass begreife ich endlich die seltsame Frage nach den Rückenproblemen an der Kasse. Zum Glück hab ich nicht gewohnheitsmäßig gelogen, sondern mich verdutzt zur Volkskrankheit bekannt und darf somit im Saal Platz nehmen. Andere Tapfere hocken im Schneidersitz links und rechts der Bühne und bekommen mein Mitgefühl.

préSUITE_2 bespielt die ersten Reihen, deswegen der Terz. Aber einen richtigen Zugang bekomme ich nicht zur Darbietung, sehr abstrakt, arg verkopft und wenig aufschlussreich. Höflicher Beifall.

Variation_on Monsters von Johanna Roggan beginnt sehr düster, zuvor durften die Gesunden auch ins Parkett. Eine unheimliche Atmosphäre, ein tonlos eingesprochener Text, der im rätselhaften Satz „Dort, wo die Vernunft nicht weiter weiß, träumt sie süß von Ungeheuern“ gipfelt. Doch das Ganze nimmt Fahrt auf, sie tanzt äußerst ausdrucksstark, ein kluger Videoeinsatz ergänzt, dann nochmal der Text zum Ende. Ein spannender Ausschnitt aus ihrem Projekt, das in einigen Monaten Premiere haben wird.

Fast artistisch und clownesk dann „Manque avec“, ein Paar sucht sich zu übertrumpfen, am Ende geht gar ein Wortgewitter auf die Zuschauer nieder. Viele schöne Details, eine willkommene Auflockerung.
Zum Pausenfinale dann „Meet me as a stanger“ von Adriana & Micky, herzzerreißend, fast schon klassisch mit „richtiger“ Musik und einem wirklichen pas de deux. Verdienter Jubel im Publikum.

Die deutlich kürzere zweite Hälfte läutet „Outline“ ein, zwei Tänzerinnen und eine E-Gitarre, letztere hat wahrnehmbar die Hosen an, ansonsten bleibt bei mir nicht viel hängen.

Dann noch eine Umbaupause. Sollte hier wieder der Lichterstuhl von vorgestern …? Ja, der Nebel schwallt, Yaron Shamir aus Israel zeigt nochmal seine Tanzperformance „Dream F.H.“, die ich am Montag beim Ivanovic Clan schon sah. Meine Begeisterung ist ungebrochen, eine phantastische Nummer. Ende gut, alles gut.

War sonst noch was? Fußball vielleicht. Aber Fußball ist immer, und die Tanzwoche geht nur noch bis zum 29. April. Ich rate zur Teilnahme.

Alles ist gewesen aber nichts ist wahr

„Umgegend. Tanz und Performance Parcours“ im Rahmen der Tanzwoche Dresden auf dem Ostrale-Gelände, gesehen am 21. April 2014

 Einem schönen Rücken zu folgen, ist immer eine gute Idee. Zumal, wenn dieser (bzw. dessen Besitzerin) einen zu verwunschenen Orten führt, an denen getanzte Pretiosen zu sehen sind.

Das Gelände der Ostrale (ganz ganz früher mal die städtischen Schlachthöfe im Ostra-Gehege, heute notdürftig erhaltene Ruinen) wurde – soweit ich das überblicke – erstmals durch die Tanzwoche bespielt, hinterher kann man zwar immer sagen, das war doch naheliegend, nur muss auch jemand darauf kommen.

Neben einem österlichen Brunch respektive Lunch gab es am Sonntag und Montag jeweils zwei Aufführungen des Ivanovic Clan um die Choreografin Jelena Ivanovic, der hier aus fast zwei Dutzend Tänzern, Sängerinnen und Performern besteht. Ein Parcours ist zu durchschreiten, unter Führung und Begleitung zweier geheimnisvoller Damen, die die – am Ostermontagmittag überschaubare – Besuchergruppe während der eindreiviertelstündigen Aufführung nicht aus den Augen lassen.

 Es beginnt vor den Ställen, ein einsamer Solist mit sparsam-traurigen Bewegungen, dann räkeln sich zwei Damen gelangweilt auf zwei Etagen. Auch Zwiebeln schneiden ist eine zu Tränen rührende Kunst, und nebenan scheint jemand um Einlass zu flehen, während Paare im Obergeschoss beim Tango schwelgen.

Noch findet dies alles in tiefer Stille statt, nur die Vögel hört man zwitschern auf dem weitläufigen Gelände.

 Man betritt nun die Hallen, wird ins Obergeschoss gewiesen, Dunkelheit, Musik ertönt, ein interessantes Bild taucht auf: Paare eilen mit Einkaufs- statt mit Kinderwagen. Eine Familienszene wird performt, nun sind auch Worte zu hören, dazu noch traumhaft schöner Gesang (Eva-Maria Falk), es folgt ein mitreißender Pas de deux, mit Möhre, einem von mir bisher künstlerisch unterschätzten Gemüse. Auf dem Wege nach unten wieder dieser phantastische Sopran.

 Im Erdgeschoss gebiert ein seltsames Wesen im blattgrünen Kleid einen zweiten Kopf, das ist wundersam anzuschauen, auch wenn die schützende Hülle am Ende fällt. Einen dadaistischen Ohrwurm nehme ich mit „la-la, la-la-la“ mit und die Beobachtung eines versuchten Ausbruchs aus dem niedlichen Einerlei und der resignierten Rückkehr.

 Mein Lieblingsbild an diesem Nachmittag: Sängerin und Tänzer vor einer Kühlhaussilhouette, balancierend auf einem Stapel von Balken.

Noch einmal geht es ins Haus, dort nimmt eine Dame ein Bad, duscht mit Mineralwasser und pflegt sich im Widerhall der Werbebotschaften. Zuvor noch ein Solo der namensgebenden Clanchefin, vor dem videoprojektierten eigenen Rücken und diesmal mit einer knallroten Paprika als Staffage. Auch wenn man es nicht wirklich erklären kann, das alles ist von einer berückenden Ästhetik.

Was auch für Yaron Shamir gilt: Er beschließt den Reigen mit einer selbst entwickelten und getanzten Choreographie um, auf und mit einem fahrbaren Stuhl, der mit Punktstrahlern unterschiedlicher Größe versehen ist. Què és l‘amor …? Nicht nur musikalisch ein Höhepunkt zum Schluss.

 Eine „verwunschene, entrückte Welt, wo alles tanzt und nichts still steht, wo alles gewesen aber nichts wahr ist …“ sei hier zu besuchen, versprach das Programmheft. Nach der Runde durch die alten Schlachthöfe halte ich das für leicht untertrieben. Ein phänomenales poetisches Erlebnis war es, man fühlt sich gehoben und schwebt fortan ein wenig durch den Tag.

Dancer in the waste

„Wasser marsch (Cocktail ungeklärt)“, Produktion der Kurz&Lang Dance Company, Uraufführung im Rahmen der Tanzwoche Dresden am 20. April 2014

Wasser ist Leben. So simpel sind manchmal die Wahrheiten.
Präziser wäre allerdings: Sauberes Wasser ist Leben. Doch mit dem (kostenlosen) Zugang zu selbigem sieht es bald schlecht aus, wenn sich Großkonzerne wie Nestlé der Wasservorräte bemächtigen. Und auch die sprichwörtliche Reinheit des Wassers ist durch die inzwischen unüberschaubar gewordenen Müllberge und die damit verbundene Eintragung von immer mehr Kunststoffen in die Gewässer bedroht, von denen niemand weiß, welche Langfristwirkungen diese haben.

Ein weit gespanntes Thema also, das in collageartigen Szenen und Momentaufnahmen in einer Choreographie von Jule Oeft, getanzt von ihr selbst sowie von Wiebke Bickhardt und Vera Ilona Stierli, bearbeitet wird. Aber das gelingt glänzend, es wird ein tänzerischer Bogen geschlagen von der Machtgier der Konzerne über den allgegenwärtigen Plastikmüll in unserem Leben bis hin zu den Gefahren, die in den unbekannten Stoffen lauern. Sehr wandlungsfähige Tänzerinnen (Ausstattung Hannah Schmider) führen uns zur Musik von Daniel Williams vor Augen, wie es sich verhält mit dem Mensch und dem Wasser. Da wird hemmungslos Müll produziert, bis man darin baden und tanzen kann, und andererseits das Wasser als stylishes Trendprodukt vermarktet. Da wird so lang erfolgreich experimentiert, bis der böse Geist aus der Flasche kommt und nicht wieder hinein will.

Und das Ganze wird in einem äußerst erfrischenden, unkonventionellen Stil dargeboten, der auch kurze Dialoge der Tänzerinnen einschließt und einen Ausflug ins Publikum, um ein Foto von einer vom Plastesack strangulierten Schildkröte herumzuzeigen.
Der kurze Abend endet mit einer der denkbaren Apokalypsen: Die Laborantin verliert die Kontrolle, die Stoffe bemächtigen sich ihrer. Unhappy End.

Kein klassisch schöner Abend, aber dennoch ein schöner. Und ein wichtiger, ergreifender. Den frenetischen Beifall erntet die junge Company völlig zu Recht.

Wer das nicht glaubt, soll es doch selber sehen. Und wer es glaubt, erst recht: Im Rahmen der Tanzwoche nochmal am 23. und 24. April, jeweils 19 Uhr im Projekttheater Dresden. Und danach hoffentlich auch anderswo.