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Im besten Falle harmlos

„All inclusive – Die Kellerkinder transpirieren sinnfreie Sommerhits“, Produktion des Ensemble La Vie im Projekttheater Dresden, gesehen am 7. Juni 2014

Da gab es im letzten Jahr eine großartige Darbietung der Kellerkinder namens „Morbide Moritaten“ am selben Orte, ich habe Tränen gelacht vor Freude, wer mag, kann es hier nachlesen: https://teichelmauke.me/2013/10/12/schrecklichschon-schon-schrecklich/

Was also lag näher, als dem neuesten Werk dieser spaßigen Truppe ebenfalls beizuwohnen? Gestern schon war die Premiere, aber da war ich beim letzten „Drachen“, doch heute sollte es sein.

Angenehm kühl ist es im Saal des Projekttheaters, fast wie in einem Keller. Die Kinder sollen sich offenbar zuhause fühlen.
Eine genervte Jung-Diva schlurft anfangs nölend zur einem Strand nachempfundenen Bühne, im Schlepptau drei Herren, die auch nicht viel besser drauf zu sein scheinen. Das kann ja heiter werden.
Gewollt lustlos wird der eisgekühlte Bommerlunder besungen, auch Carrells Uralt-Frage nach dem richtigen Sommer wird, äh, interpretiert, ehe es mit Michas Farbfilm weitergeht.

Zum Einstieg ist das ganz putzig, nur … es geht dann konsequent so weiter. „Singt das noch einmal, und ich geh“ möchte man mit Nina drohen, aber zumindest variiert das verwurstete Liedgut, wenn auch nicht die Form der Darbietung. Der Scherz mit dem versemmelten Einsatz erschöpft sich spätestens beim dritten Mal, die großen Stimmen auf der Bühne sind leider nur vorgetäuscht, das Ganze zieht sich, produziert erwartbare Pointen.

Ein Bikini allein füllt noch keine Bühne, da kann er seiner Trägerin noch so gut stehen. Ein bisschen mehr Hintersinn darf man dazu durchaus erwarten, wenn das Ensemble neulich die Latte so hoch hängte. Doch dieses Programm ist nur pseudo-witzig, ein dünner Aufguss seines Vorgängers. Keine Spur von einem roten Faden, es sei denn, man nähme die (dehnbare) Zuordnung „Sommerhit“ als solchen. Kein origineller Gedanke weit und breit, gebrauchte Witzchen und einige Peinlichkeiten, mehr ist da nicht. Kein Musikstück, was wirklich in Erinnerung bleibt, höchstens die zweite Zugabe, doch die stammt aus der vorherigen Inszenierung.

Mit dem Kopf wackeln und Grimassen schneiden ersetzt hier die Spielfreude. Die Musiker (Paul Voigt und Benjamin Rietz) müssen zu den Kalauern zuliefern, bleiben aber sonst im Hintergrund. René Rothe sah ich beim letzten Mal viel besser, da gab das Stück allerdings auch deutlich mehr her. Und Jessica Gräber konnte immerhin einmal (mit einer „Carmen“) kurz andeuten, dass sie tatsächlich singen kann, ansonsten aber wenig darstellerische Mittel zeigen.

Die Versuchung ist für ein Ensemble natürlich groß, nach dem beachtlichen Erfolg der letzten Inszenierung noch ein ähnlich angelegtes Stück auf die Bühne zu bringen. Doch der Rahmen allein macht noch keinen Inhalt. Der vollmundigen Ankündigung „verstörend aufregend“ auf dem Flyer möchte ich energisch widersprechen: Ich fand es im besten Falle harmlos, und dazu noch ausgesprochen langweilig.
Der Fairness halber muss ich aber zugeben, dass der Rest des (pfingstsommerlich bedingt spärlich gefüllten) Saals sehr begeistert klatschte. Und so sei auch erwähnt, dass es am Sonntag (8. Juni) um 20 Uhr noch eine Aufführung im Projekttheater zu sehen gibt.

Schrecklichschön / Schön schrecklich

„Kellerkinder extended – Morbide Moritaten“, eine Produktion des Emsemble La Vie, (dann doch) Premiere im Projekttheater Dresden, 12. Oktober 2013

Es wird viel gelitten auf der Bühne – oder auch geleidet – gestöhnt, geheult, getrotzt, gebösartigt, selbst gebrochen, vulgo gekotzt.
Im Saale eher weniger: Dort ist man spätestens nach der zweiten Ballade hin und weg. Am Ende werden die vier da vorne förmlich gezwungen zur zweiten Zugabe. Geschieht ihnen recht.

Eine delikate Sammlung, ein Potpourri „von großer Oper bis dreckigem Punk“, mit Kleinoden der Unterhaltungskunst der letzten Jahrhunderte. Bekanntlich gibt es keine Sterne in Athen, und eine schwere Kindheit kann auch den Start in ein erfülltes Berufsleben bedeuten. Aus einem gebrochenen Zentralorgan werden dann auch mal zwei, die Kraft der zwei Herzen, wie es in der Werbung im ZDF heißen soll.

Paul Voigt und Benjamin Rietz sind das Orchester, das nicht nur den Rahmen bildet, sondern auch selbst zum Frohsinn beiträgt, hollodihi, hollodihi, du wolltest dir doch bloß den Abend vertreiben.

Christin Wehner wischt sich öfter tapfer die Tränen aus dem Gesicht und singt, nein spielt dann Unglaubliches. Selbst wenn sie nach dem Willen der Ärzte durch ein Monster ums Leben gebracht wird, ist das ein schöner Tod. Und wenn Mr. Paul McCartney das gehört hätte, würden die bunten Blätter bald was zu berichten haben.

Ihr Partner / Peiniger / Retter René Rothe ist ein Held in Jogginghosen, der schönste Mann in ganz Prohlis-Nord. Und ein Charmebolzen dazu. Der Beruf des Regisseurs mag ein ehrbarer sein, aber … „diese Mann geherrt auf Biehne“!

Der Berichterstatter kam zur unverdienten Ehre einer Premiere, die eigentliche fiel krankheitsbedingt aus am Vortage. Manchmal hat man eben auch Glück.

Morgen nochmal, am 13. Oktober 2013, 20.00 Uhr, Projekttheater, Louisenstraße 47, 01099 Dresden. Neustadt!
Das ist keine Empfehlung, das ist ein Befehl.

Und dann nie wieder? Kann, will ich mir nicht vorstellen.

PS: Ab jetzt auch in der seriösen Presse zu lesen:
http://www.kultura-extra.de/theater/feull/performance_kellerkinder_ensemblelavier.php

Vive la Guerre, der Tee ist fertig

„Krieg am Biscuit oder Schlacht ab 8“, theatrale Lesung der projekttheater all-stars im gleichnamigen Haus, gesehen am 21.09.13 (Erstaufführung)

Was für ein Kontrast! Gestern noch Soldaten in Afghanistan mit zerfetzten Eingeweiden im Kleinen Haus, heute das Gabelfrühstück der Generäle. Aber es geht um dasselbe: Es geht um Krieg.

Das Projekttheater hat auch ein Wahlprogramm: Ein fast vergessenes Stück von Boris Vian von 1951 wurde adaptiert, neu interpretiert und in einer theatralen Lesung auf die Bühne gebracht. Eine herrlich absurde Komödie, bei der einem irgendwann das Lachen im Halse verreckt.

General Audubon James Wilson de la Petardiere, Chef des Generalstabs, hat sich gut eingerichtet im Frieden, er bewohnt mit maman, die ihm in allen Lebenslagen zur Seite steht, eine großbürgerliche Villa in Paris und freut sich an seiner schmucken Uniform und dem heimlichen Pernod-Genuss.
Da kommt plötzlich dieser Zivilist, Ministerpräsident Plantin, und will Krieg. Der Wirtschaft fehlen Absatzmärkte, und so eine Armee ist doch ein idealer Verbraucher. Er sträubt sich, aber es ist ein Befehl. Also los, Krieg planen, er lädt den Generalstab zum Tee.

Von denen hat jeder seine persönliche Macke und eigentlich auch keine Lust, aber sie sind Soldaten, und ein Befehl ist ein Befehl. Schnell ist ein Schutzheiliger gefunden, es kann losgehen. Doch erst als der Pernod geleert ist und die Gäste gegangen sind, bemerkt mon general, dass etwas fehlt: Der Feind.
Hektisches Telefonieren mit dem Élysée-Palast bringt keine Lösung, die Entente muss helfen. Dscheneräll Jackson, Generrrall Krokilloff und Genelal Ching-Ping-Ting werden einbestellt. Die haben zwar vollstes Verständnis, stehen aber als Gegner wegen anderweitiger Verpflichtungen grad nicht zur Verfügung.

Der große Plan scheint zu scheitern, da hat der Krieger aus dem Reich der Mitte die zündende Idee: Gegen Afrika! Alle sind begeistert. Nun kann es wirklich losgehen.

Zwei Jahre später, der Generalstab sitzt irgendwo hinter der Front in einem Bunker vierzig Meter unter der Erde und hat vor allem die Aufgabe, seinen Truppen die Führer zu erhalten. Das ist insgesamt ein wenig langweilig, und die privaten Vorlieben der Herren passen einfach nicht zueinander. Die Gesellschaftsspiele scheitern schon im Ansatz.
Abwechslung verspricht der Besuch des immer noch Ministerpräsidenten Plantin, der die Generäle der befreundeten Großmächte mitbringt. Ein Höhepunkt im Kriegs-Einerlei! Zumal General Krokiloff ein Spiel kennt, das alle begeistert: Russisch Roulette.
Die Revolvertrommel wird gedreht, die Pistole wandert. Am Ende sind alle tot, als Letzter jedoch General Audubon James Wilson de la Petardiere. Der hat also gewonnen.

Was für ein grandioser Nonsens, hier hat einer Monty Python schon in den Fünfzigern vorweggeahnt. Soldaten kommen in diesem Stück nicht vor, wozu auch: Der Krieg ist mit Biskuit und Pernod am schönsten, nachmittags so gegen Fünf.

Volltreffer, ich fühle mich versenkt. Dem Projekttheater ist da eine wunderbare Miniatur gelungen, auch wenn es zwischendurch etwas holperte, ganz und gar großartig. Ein herzlicher, deutlich zu kurzer Applaus der leider wenigen Gäste.

Morgen (Sonntag, 22.09.13) nochmal, kurz nach der ersten Hochrechnung. Und dann nie wieder? Schade.

[Mit dem Projekttheater und mir verhält es sich übrigens in etwa wie mit dem saftigen Gras und dem angepflockten Schaf. Aber das kann man ja ändern. Sollte ich ändern.]