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Die Geister, die ich rief … Rückenwind für den Dresdner Stadtrat

Auswertung der vierten „Dresdner Debatte“ zum Integrierten Stadtentwicklungskonzept am 29. Oktober 2014 im Kulturrathaus

Die „Dresdner Debatte“ ist eine relativ neue Form der Bürgerbeteiligung bei Planungsprozessen, die sich wesentlich auf eine Online-Plattform (http://dresdner-debatte.de/) stützt, aber auch auf einige klassische Veranstaltungen und eine Info-Box, den markanten roten Container, der an relevanten Plätzen während der Laufzeit der Debatte aufgestellt und mit fachkundigem Personal besetzt wird, um die Anregungen der Bürger*innen aufzunehmen.
Die Landeshauptstadt hat hierfür schon einiges an Lob erhalten, die Methodik des öffentlichen Dialogs zwischen Politik, Planung und Bevölkerung – ursprünglich für abgegrenzte Planungsräume wie den Neumarkt oder die Innere Neustadt vorgesehen – scheint sich nun auch bei stadtweiten Themen zu bewähren. Und so wurde nach der Diskussion des Verkehrsentwicklungsplanes im letzten Jahr nun das derzeit in Aktualisierung befindliche INSEK behandelt.

INSEK ist weder eine Sondereinheit der Polizei noch der Verband der Insektenfreunde, sondern die verwaltungstechnische Kurzform des „Integrierten Stadtentwicklungskonzepts“, ein Strategiepapier der Landeshauptstadt, das die inhaltliche Richtung der weiteren Entwicklung der Stadt beschreibt und somit den fachlichen Einzelplänen übergeordnet ist, ohne eine rechtliche Verbindlichkeit zu haben. Letztmalig wurde das Konzept im Jahr 2002 beschlossen, bei einem Planungshorizont von zehn Jahren ist es somit höchste Zeit, ein neues zu erarbeiten.
Dies hat die Verwaltung getan und diesen Entwurf im Juni 2014 für vier Wochen den Bürger*innen der Stadt zur Kenntnis und Bewertung gegeben. Am 29. Oktober wurden nun die ersten Ergebnisse durch Baubürgermeister Marx und die mit dem Thema befassten Experten vorgestellt.

Im zur Diskussion gestellten Entwurf sind vier „Zukunftsthemen“ für Dresden definiert worden: Kulturstadt in Europa, Stadt mit Leistungskraft, Lebenswerte sowie Ressourcenschonende Stadt.
Diese wurden mit 30 Zielen der Stadtentwicklung untersetzt und auf 17 definierte Schwerpunkträume von der Innenstadt bis Hellerau angewandt, wobei nicht jedes Thema in jedem Raum eine Rolle spielt. In den einzelnen Schwerpunkträumen wurden auch noch „Schlüsselprojekte“ benannt, die für deren Entwicklung wesentlich sind. Nachlesbar ist das alles auf den Internetseiten der Debatte (http://dresdner-debatte.de/node/1757/informieren) und muss hier nicht im Detail aufgeführt werden.

Die Beteiligung der Bürger*innen wurde ein wenig verklausuliert dargestellt: Knapp 55.000 Seitenaufrufe habe es gegeben, diese allerdings nur von 4.000 verschiedenen IP-Adressen respektive Nutzern (ich nehme aber an, dass ein heimischer Rechner auch manchmal von mehreren Menschen benutzt wurde, insofern waren es vielleicht auch 5.000 Teilnehmer). Jeder Nutzer rief also nach dieser Rechnung im Schnitt die Seiten elfmal auf, was auf eine intensive Beschäftigung mit der Materie schließen lässt.
Durch die Nutzer wurden gut 500 Beiträge hinterlassen (also durch jeden zehnten) und diese Beiträge 650 mal kommentiert sowie 2.700 mal (ähnlich dem sattsam bekannten „Like“) positiv bewertet. Die Verwaltung betrachtete die hohe Anzahl an Kommentaren als Beleg dafür, dass die Plattform auch als Diskussionsforum wahrgenommen wird, dem ist sicher nicht zu widersprechen.
Die Hälfte aller Beiträge wurde dem Thema „Lebenswerte Stadt“ zugeordnet, mit der Schonung der Ressourcen befassten sich rund 20% und mit kulturellen Themen immerhin 15%. Der Rest von 9% betraf die (wirtschaftliche) Leistungskraft der Stadt. Dass in mehr als der Hälfte der Schwerpunkträume die dort definierten Schlüsselprojekte überhaupt nicht thematisiert wurden, sollte den Planern zu denken geben, nur als Zustimmung lässt sich das sicher nicht interpretieren.

Die Auswertung der Beiträge läuft noch, Anfang 2015 soll ein zusammenfassender Bericht vorgelegt werden. Bislang wurden 163 Ideen bzw. Vorschläge heraus aggregiert, wobei die Hälfte davon als nicht relevant für das INSEK oder die Fachverwaltungen bezeichnet wurde. 82 Anregungen sind somit noch in der Prüfung, ob sie Eingang in das Konzept finden sollen.
Natürlich lobte die Stadtverwaltung die fachliche Qualität der Beiträge, alles andere wär auch arg unhöflich gewesen gegenüber den Bürger*innen. Aber dies scheint kein Lippenbekenntnis zu sein: Wie schon bei den vorangegangenen Debatten geben zumindest die im Kurzbericht (http://dresdner-debatte.de/sites/default/files/content-fragment/downloads/abschlussbericht_insek_debatte_kurzfassung_internet.pdf) veröffentlichten Hinweise ein nahezu komplettes Bild der aktuellen Diskussionslage in der Stadt zur weiteren Entwicklung. Und die Vorschläge sind bei weitem nicht als Zustimmung zur bisherigen Stadtpolitik zu bezeichnen, im Gegenteil: In Summe wird ein konsequentes Umsteuern in Richtung von Nachhaltigkeit, sozialer Ausgewogenheit, Ressourcenschonung und Zukunftsfähigkeit gefordert, fast schon verblüffend ist die hohe inhaltliche Übereinstimmung mit den Eckpunkten der Kooperationsvereinbarung der neuen rotgrünroten Gestaltungsmehrheit im Dresdner Stadtrat. (Insofern scheint der Ausgang der Stadtratswahlen doch kein „Betriebsunfall“ zu sein, wie neulich ein CDU-Stadtrat meinte, und diese Bewertung eher einem Wunschdenken zu entspringen.)

Beispielhaft werden einige der allgemeinen Wünsche genannt: Die Förderung lokaler und zeitgenössischer Kunst und Kultur soll ebenso ausgeweitet werden wie jene von bedarfsgerechtem und nutzungsgebundenem Wohnungsbau. Städtische Brachen sollen nicht verbaut, sondern als Grünflächen entwickelt werden und auch für „urban gardening“ zur Verfügung stehen. Die lokale Ökonomie soll bessere Bedingungen erhalten, auch durch alternative Wirtschafts- und Kreislaufsysteme. Die soziale Infrastruktur soll mit dem Neubau von Kinderspiel- und anderen Bewegungsplätzen verbessert werden. Beim Verkehr wurde vor allem der notwendige Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur in allen Aspekten, die Ausweisung von „shared spaces“ sowie die anzustrebende Barrierefreiheit thematisiert, aber auch die Förderung von Carsharing und ähnlichen Modellen.
Allgemein wurde oftmals auch eine höhere Planungskultur in der Stadt mit früherer und breiterer Bürgerbeteiligung angemahnt.

Konkret heißt das dann zum Beispiel, dass in der Innenstadt ein zentraler Busbahnhof errichtet und eine durchgehende Fußgängerzone bis zur Neustadt geschaffen werden soll. Grünflächen sind ebenso auszuweiten wie das Angebot an preiswertem Wohnraum. Mit einer Gestaltungssatzung soll die Entwicklung der Innenstadt besser gelenkt werden. Im Schwerpunktraum Friedrichstadt / Löbtau / Plauen wird die Einrichtung eines Kreativquartiers ebenso verlangt wie die Ausweitung des Weißeritz-Grünzuges in die Stadtteile hinein.
In der Leipziger Vorstadt geht es um den notwendigen Verzicht auf anhängige Großprojekte wie Hafencity und Globus und um bezahlbaren Wohnraum. Im „Umstrukturierungsgebiet Pieschen“ werden die Hufewiesen als Grünfläche sowie der Bau eines Freibades gefordert.
Die Entwicklung des „Campus Dresden“ soll räumlich begrenzt, die Verkehrsverhältnisse vor allem für den Radverkehr verbessert werden. Im „Schwerpunktraum Elbe / Elbwiesen und -altarm“ ist die Freihaltung von Bebauung das wichtigste Thema, aber auch ein Flussschwimmbad wird gefordert.

Diskutiert wurde im mit etwa 150 Zuhörern recht gut gefülltem Saal unter anderem die Frage, ob 4.000 (oder nach meiner Rechnung 5.000) Teilnehmer an der Debatte nun viel oder wenig wären. Auch wenn die Zahl bescheiden klingt, immerhin entspricht sie der Besucherzahl von ca. 100 Bürgerversammlungen. So gerechnet sind auch die 50.000 Euro pro Dresdner Debatte nicht allzu viel.
Dennoch deutete Bürgermeister Marx an, dass die Fortsetzung dieser Beteiligungsform auch eine Frage der Kosten und der städtischen Kapazitäten wäre. Sollen hier die gerufenen Geister wieder heimgeschickt werden, weil man der Vielzahl der Ideen nicht mehr Herr zu werden glaubt?
Da müssen die Alarmglocken läuten in den interessierten Kreisen, denn besser als mit diesem Instrument kommt man kaum an das Gold in den Köpfen der Bürger. Natürlich wird das immer nur ein relativ kleiner, aber aktiver Teil der Bevölkerung sein, der sich hier einbringt, doch das ist bei den klassischen Formen nicht anders und die Zugangshemmnisse sind bei der Online-Debatte deutlich geringer.
Und auch andere Formen haben weiter ihre Berechtigung, so wurde zum Beispiel das in Eigeninitiative entwickelte „Stadt-Camp“ mehrfach erwähnt, und ohne Bürgerversammlungen wird es auch künftig nicht gehen. Dennoch, die Methodik ist sinnvoll, vergleichsweise kostengünstig und ausbaufähig. Und warum sollte ein ähnliches Modell nicht auch zur Meinungsbildung in grundsätzlichen oder konkreten Fragen auf Landes- oder Bundesebene genutzt werden können?

Ein Aspekt darf dabei allerdings nicht vernachlässigt werden: Politik wird damit nicht ersetzt, sondern nur unterstützt. In der Stadt gibt es den demokratisch legitimierten Stadtrat sowie zahlreiche Ortschaftsräte bzw. -beiräte. Dort müssen letztendlich die Entscheidungen getroffen werden, dazu wählen wir die Volksvertreter.
Nur können diese Entscheidungen durch eine vorlaufende Bürgerbeteiligung deutlich besser untersetzt und vorbereitet werden. Dazu ist allerdings ein entsprechender Zeitablauf zu organisieren, der die Hinweise der Bürger*innen nicht erst beisteuert, wenn die Behandlung des Entwurfs bereits in den städtischen Gremien erfolgt, wie beim Verkehrsentwicklungsplan wohl geschehen.

Aus der vierten Dresdner Debatte kommt also offensichtlich ein starker Rückenwind für die aktuelle Stadtratsmehrheit. Nun müssen die konkreten Vorschläge bewertet und gegebenenfalls in das INSEK eingearbeitet werden. Die dabei von der Verwaltung zugesagte Transparenz ist Voraussetzung dafür, dass sich auch bei der nächsten Debatte zahlreiche Menschen beteiligen werden.

Fast das halbe Sachsen

Immerhin: Fast jeder zweite Mensch in Sachsen, der dazu berechtigt war, unterzog sich der Mühe, an einem August-Sonntag, dem letzten der Sommerferien, sich in eines der etwa 4.000 Wahllokale zu begeben und an der politischen Willensbildung teilzunehmen. Beziehungsweise tat er das schon früher per Briefwahl, eine Form, die immer beliebter zu werden scheint (in Dresden tat dies ein knappes Sechstel aller Wahlberechtigten).
Wenn man noch die ungültigen (Listen-) Stimmen herausrechnet, wurde der neue sächsische Landtag von gerade mal 48 Prozent der Bevölkerung gewählt.

Am Ende entschieden dabei wenige hundert Stimmen über das Unterschreiten der Fünf-Prozent-Hürde durch die NPD und auch über deren (finanzielles) Schicksal. Den Ärger über die zeitweilige Rettung der Strukturen der Neo-Nazis hat sich der Freistaat knapp erspart, und auch deren Kosten.

Die CDU möge das nicht feiern: Ihr ist es zu verdanken, dass der Wahltermin an das Ende der Ferien fiel. Still und geräuschlos sollten Wahl und Wahlkampf ablaufen, dafür nahm man auch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung in Kauf, die tendenziell eher den kleinen Parteien nutzt.
Während ihr Lieblingskoalitionspartner jedoch auch diese Hilfestellung nicht nutzen konnte und die AfD sich letztlich in ganz anderen Regionen bewegte, hätten die Christdemokraten sich nun fast den Titel „Steigbügelhalter der NPD“ verdient, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollen.

Die FDP, deren Vorsitzender Zastrow sich am Wahlabend ratlos zeigte, was man noch mehr hätte unternehmen können, scheiterte letztlich deutlich, auch wenn man sich noch so deutlich vom Bund und „von Berlin“ abgrenzte, die Marketing-Maschine in den letzten Wochen auf Hochtouren lief und das FDP-geführte Wirtschafts- und Verkehrsministerium zuletzt die Förderbescheide öffentlichkeitswirksam im gefühlten Stundentakt ausreichte und noch jeden neu gebauten Papierkorb feierlich einweihte. Da wurde ein totes Pferd geritten, um in der Sprache der Werber zu bleiben.
Man darf gespannt sein, ob in den nächsten fünf Jahren ein Wiederaufbau gelingt und vor allem in welche Richtung er geht. Auch die kommunalpolitische Basis ist deutlich schmaler geworden, und die AfD steht sicher bereit, die Insolvenzmasse zu übernehmen.

Erfahrung mit Insolvenzen hat sie in Sachsen ja, auch wenn diese Anmerkung nicht ganz fair ist. Wer zehn Prozent holt, der muss schon ernst genommen werden, selbst wenn er inhaltlich kaum greifbar ist und eher vom diffusen Unbehagen des Wahlvolks lebt. Der zweite Einzug in ein Parlament nach dem der EU ist sehr ärgerlich, war aber zu befürchten, und er wird sicher auch nicht der letzte bleiben. Dennoch, in welche Dschungel man als Rechtspopulist geraten kann, lässt sich aktuell an Ronald Schill betrachten, die AfD wäre nicht die erste Shooting-Star-Partei, die sich im politischen Alltag schnell entzaubert.
Die Tatsache, dass die Sitze rechts der CDU seit heute verdoppelt haben, ist jedoch eindeutig die schlechteste Nachricht des Abends.

Überhaupt, die CDU: Die hat vor allem die Weisheit berücksichtigt, dass man, wenn man nichts mache, dann auch nichts Falsches täte, und ist mit dem Landesvati-Image von Herrn Tillich gut gefahren. Dennoch schmolzen auch deren Wählerstimmen, vor allem in absoluten Zahlen, langfristig weist der Trend stetig nach unten. Da wird man sich etwas einfallen lassen müssen in fünf Jahren, das über die Ball-Halten-Taktik hinausgeht.

Aber erstmal kann man sich den neuen Koalitionspartner aussuchen. Es dürfte in der CDU einige geben, die nicht die Natter Dulig am Regierungsbusen nähren wollen, der seiner SPD einen Zuwachs von über zwei Prozent bescherte, was in Sachsen immerhin ein Viertel des bisherigen Ergebnisses bedeutet. Man kommt dort aus einem tiefen Keller, aber es ist zu erwarten, dass ein Minister Dulig in fünf Jahren nochmal deutlich zulegen könnte.
Die Grünen hingegen sind in dieser Beziehung weniger gefährlich, aber inhaltlich deutlich sperriger. Nach einem Wahlergebnis, das man auch beim besten Willen nicht als Erfolg bezeichnen kann, vom Wiedereinzug ins Parlament vielleicht abgesehen, der auch nicht ganz sicher war, werden sie vsich wohl kaum der Zerreißprobe aussetzen wollen, die eine Koalition mit der in Sachsen besonders konservativen CDU bedeuten würde.
Aber nun wird erstmal verhandelt.

„Außen vor“, wie der Wessi sagt, bleibt dabei die Linke. Trotz eines stabilen Ergebnisses von knapp 20 Prozent fehlt ihr anders als in Thüringen dank der Schwäche der potentiellen Partner eine Machtoption. So stellte man sich schon kurz nach der Wahl weiter als DIE Opposition in Sachsen dar und richtet sich auch für die nächsten fünf Jahre in dieser Rolle ein, die zumindest keine unpopulären Entscheidungen erfordert.
Die Piraten bewegen sich inzwischen auf dem Niveau der Tierschutzpartei, ihre großen Zeiten sind wohl endgültig vorbei. Freie Wähler können in Sachsen weiterhin nicht landen, und auch alle anderen Parteien spielen keine Rolle.

Wenn man – natürlich rein theoretisch – die AfD als eine Kreuzung aus FDP und NPD begreift, hat sich in Sachsen so gut wie nichts geändert an diesem Abend. Nur der Juniorpartner der CDU wird ein neuer werden.

„Und wer entschuldigt sich dafür?“

„Ein Exempel, Mutmaßungen über die sächsische Demokratie“ von Lutz Hübner und Sarah Nemitz, Regie: Jan Gehler, gesehen am 27. Juni 2014 im Staatsschauspiel Dresden

Die Frage nach der Verantwortlichkeit, die der Hauptakteur A. am Ende, nachdem er seinen Prozess dann doch irgendwie erfolgreich überstanden hat, den Mitspielern stellt, vermag niemand zu beantworten. Freundin und Kind weg, Job verloren, seelisch zerrüttet, aber …. So richtig daran schuld ist keiner. Alle haben nur ihre Pflicht getan, im Durchschnitt, die einen mehr, die anderen weniger.

Lutz Hübner und Sarah Nemitz rekonstruieren anhand eines fiktiven Falls die Geschehnisse des Februar 2011 in Dresden, als anlässlich des alljährlichen Naziaufmarsches die Gewalt auf allen Seiten eskalierte, und deren rechtliche Aufarbeitung.

Hübner und Nemitz gebührt in vielerlei Hinsicht Dank. Nicht nur, dass sie ein sehr aktuelles politisches Thema aufgreifen, es gelingt ihnen auch, die Komplexität des Stoffes zu reduzieren und dennoch nicht zu sehr zu vereinfachen, von wenigen verzichtbaren Klamauk-Elementen abgesehen. Man sieht keine Schwarz-Weiß-Malerei, sondern eine sehr genaue Beschreibung einer Situation, in die (fast) jeder geraten kann. Das Stück liefert keine vorgefertigten Antworten, aber es stellt die richtigen Fragen.

Der komplette Text auf Kultura-Extra:
http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/urauffuehrung_einexempel_staatsschauspieldresden.php

Etwas hat sich in Gang gesetzt

„…, und nichts kann es mehr aufhalten“, um einen Slogan des Deutschen Theaters Berlin, das mit seinem Jungen Theater hier ebenfalls vertreten sein wird, zu zitieren. Das erste deutsch-europäische Bürgerbühnenfestival hat am 17. Mai 2014 in Dresden begonnen, und zumindest in den nächsten sieben Tagen wird es den Rhythmus dieser Stadt maßgeblich bestimmen.

Sonnabendnachmittag, kurz vor 17 Uhr, es wuselt und quirlt derart vor und im Foyer des Kleinen Hauses, dass man eine erste Ahnung davon bekommt, welch logistischer Aufwand hinter diesem Festival steckt. …

Es dauert, ehe das Völkchen sich im Saal eingefunden hat, doch viertel sechs (für die Gäste: Viertel nach Fünf) geht es dann endlich los: Ein Chor aus siebzig Akteurinnen und Akteuren der Dresdner Bürgerbühne, in seiner Besetzung repräsentativ für die volle Breite der Spielenden, eröffnet mit einem Lied über dieselbe das Festival, gewohnt begeisterungsfähig und selbstironisch. „Party und Partizipation“ heißt das Motto, und man wagt auch den Blick in die Zukunft, wenn die Bürgerbühne erst zehn Jahre alt sein wird, steht bestimmt auch die erste Welttournee an. …

(Die gesehenen Stücke: „Die Klasse“ vom jungen theater basel und „Die letzten Zeugen“ vom Burgtheater Wien)

Der ganze Text:
http://www.livekritik.de/kultura-extra/theater/spezial/buergerbuehnenfestival2014_dererstetag.php

ICE mit Tunnelblick oder Der Alibizug

Warum täglich zwei ICE der Deutschen Bahn in Leipzig eine Stadtrundfahrt machen

Leipzig-Engelsdorf, fünf vor zwei am Nachmittag. Mein ICE von Dresden hat Leipzig Hbf fast erreicht, das wird ja heute deutlich früher als im Fahrplan steht? Auch mal schön.
Doch was ist das? Der Zug wird langsamer, biegt nach links ab. Der Güterbahnhof bleibt zurück, wir durchfahren frühlingshaft bunte Stadtviertel wie Anger-Crottendorf und Stötteritz, passieren das Völkerschlachtdenkmal und das imposante MDR-Gebäude. Eine Umleitung? Dann wird es dunkel.
Die S-Bahn-Station Bayerischer Bahnhof zieht vorüber, auch die am Markt, der Zug fährt jetzt sehr langsam, einmal kommt er auch zum Stehen, ehe er dann doch Leipzig Hbf erreicht, pünktlich um 14.08 Uhr, wenn auch 50 Meter tiefer als gewohnt.
Ein Versehen? Nein, das ist jetzt immer so. Leipzig Hbf (tief), wie der Bahnsteig unter der Erde offiziell heißt, bekommt täglich zwei ICE zu Gesicht, neben jenem nach Düsseldorf, in dem ich gerade sitze, auch einen nach Dresden.

Um das zu erklären, muss man mal wieder ein wenig weiter ausholen. Der City-Tunnel Leipzig, der im letzten Dezember feierlich in Betrieb gegangen ist und seitdem das Rückgrat des mitteldeutschen S-Bahn-Netzes bildet, hat eine lange Planungsgeschichte. Anfang der neunziger Jahre, als das Vorhaben dann konkreter wurde, war noch nicht entschieden, ob die geplante Neu- und Ausbaustrecke von Nürnberg nach Halle und Leipzig über Coburg und Erfurt geführt oder einen Weg weiter östlich nehmen würde, der sich eher an den vorhandenen Strecken orientiert hätte. Im zweiten Falle wäre ein Tunnel unter Leipzig, der fast genau von Süd nach Nord verläuft, sehr praktisch gewesen, um den alten Kopfbahnhof schneller zu durchfahren. Der Freistaat Sachsen hatte dies natürlich erkannt und dieses Argument neben den unbestreitbaren Vorteilen für den Nahverkehr taktisch geschickt in die Waagschale geworfen, als es an die Finanzierungsverhandlungen ging. Seitdem heißt der Tunnel eben „City-“ und nicht „S-Bahn-“, und der Bund stimmte zu, einen Teil der Kosten aus dem Topf für Fernverkehrsprojekte zu bezahlen.

Inzwischen ist die Lage eine andere: Die NBS Erfurt – Halle / Leipzig wird im nächsten Jahr in Betrieb gehen, die ABS/NBS Nürnberg – Erfurt folgt zwei Jahre später. Der Fernverkehr der DB zwischen Bayern und Berlin, der heute über den Frankenwald und durch das Saaletal fährt, hat künftig ein Drehkreuz in Erfurt, von einer Führung der Züge über Hof, Zwickau und Altenburg ist keine Rede mehr.
Was aber blieb, ist die Finanzierungsvereinbarung zum City-Tunnel Leipzig. Dort ist Fernverkehr erwähnt, und zumindest eine der Stationen, nämlich der Hbf, wurde ja auch mit entsprechend langen Bahnsteigen ausgestattet. Nur, welcher „weiße Zug“ sollte diese jetzt benutzen?

Man muss diese Finanzierungslogik nicht im Detail verstehen. Letztlich ist es alles Steuergeld, egal, ob es aus EU-Mitteln, vom Bund oder vom Freistaat Sachsen oder von der Stadt Leipzig kommt. Selbst die Gelder der DB AG, die auch zahlreich in das Projekt flossen, sind schlussendlich „Volksvermögen“, wie es früher einmal hieß, da die Deutsche Bahn ja weiterhin in Gänze dem Bund gehört. Welcher der Projektpartner wieviel und warum bei City-Tunnel bezahlt hat, gäbe eine eigene Geschichte her, für diese Erzählung reicht es zu wissen, dass mit dem nichtvorhandenen Fernverkehr im City-Tunnel ein veritables Problem bis hin nach Brüssel entstanden wäre.

Doch es fährt ja ein schneller Zug, sogar deren zwei, werden Bahn, Bund und Freistaat jetzt lächeln. Unstreitig tun sie das, der ICE 1745 um 11.50 Uhr nach Dresden und der ICE 1746 um 14.10 Uhr nach Düsseldorf, sogar der IC 1959 um 17.50 Uhr nach Dresden gibt sich noch die Ehre, es sind also strenggenommen sogar drei! Und am Wochenende gar noch einer obendrauf!
Und so kann auch die strengste Prüferin vom Rechnungshof nichts machen: Der Tunnel ist (auch) für den Fernverkehr gebaut, und es findet (auch) Fernverkehr statt. Alles in bester Ordnung, die sachgerechte Verwendung der Mittel kann testiert werden. Stempel drauf, zu den Akten.

Verkehrlich hat das große Kino, was die DB für Bund und Freistaat hier veranstaltet, jedoch keinen Sinn, es verwirrt eher die Reisenden. Man erwartet den ICE halt „oben“, und die zehn Minuten Fahrzeitverlängerung sind auch nicht wirklich schön.
Aber immerhin muss man zugeben, dass die Bahn das kleinste aller Übel wählte: Es wurde keinem Taktverkehr Gewalt angetan, sondern jenes ICE-Paar für den Alibiverkehr gewählt, das ohnehin „in freier Lage“ verkehrt. Dieses hat seine historischen Wurzeln übrigens in der früheren (InterRegio-) Mitte-Deutschland-Verbindung, die nach der Wende das Ruhrgebiet – damals noch über Gera und Chemnitz – mit Ostsachsen verknüpfte und heute rudimentär mit einigen ICE-Läufen weiterexistiert.
Der Wert umsteigefreier Verbindungen wird inzwischen auch bei der DB wieder anerkannt, zumal die Zielgruppe, also Menschen, die bequem reisen wollen, nicht ganz so zeitsensibel ist. Dies beschert jenen Direktverbindungen dann doch eine gewisse Renaissance und Bestandssicherheit.

Trotzdem ist der Schlenker durch die Leipziger Diaspora ein Ärgernis, nicht nur für die Reisenden. Es kostet schlicht auch mehr, länger und weiter zu fahren als es notwendig ist. Die Energie- und Personalkosten sind höher (auf einem Zug sind mindestens vier Leute am Arbeiten, drei Züge sorgen somit für geschätzt 300 Euro mehr am Tag), was sich im Jahr einschließlich Strom dann sicher schon auf gut 50.000 Euro hochrechnet. Ganz umsonst ist der Spaß also auch für die Bahn nicht.

Dass die DB es dennoch tut, hängt mit den vielfältigen und komplexen Verknüpfungen mit der politischen Landschaft zusammen, die diesem großen Konzern zu Eigen sind. Man muss das nicht grundsätzlich verdammen, als Bürger erwarte ich auch, dass die Politik Einfluss nimmt auf einen Bereich, der täglich die Mobilität von Millionen Menschen sichert, auch außerhalb der direkten Vertragsbeziehungen wie im Nahverkehr. Eine gewisse Transparenz sollte man dabei aber schon erwarten dürfen.

Der ICE im Leipziger S-Bahn-Tunnel hat also Gründe, ob gute, muss jede*r anhand der Fakten für sich entscheiden.
Die Eisenbahn, wie jeder weiß, besteht aus Wagen, Lok und Gleis, nur manchmal ist es eben doch ein wenig komplizierter.

Das Kerngeschäft der FDP ist die Symbolpolitik

Eine Betrachtung

 Gleich eingangs muss ich mich korrigieren: Ich spreche von der sächsischen FDP. Von jener auf Bundesebene weiß ich es nicht, sie hat es schwer derzeit, wahrgenommen zu werden. Dafür tuten die sächsischen Freunde umso lauter.

 Man kennt das aus dem Wald: Wer sich fürchtet, der pfeift. Je mehr Angst, desto größer der Lärm.

Die Angst bei jenen Sachsen, die sich frei und demokratisch nennen, muss sehr groß sein. Das „demokratisch“ will ich ihnen nicht absprechen (auch wenn die Landesliste zur letzten Bundestagswahl mit fünf Männern an der Spitze doch eine recht altmodische Demokratieauffassung offenbarte), aber frei? Frei von Angst sicher nicht.

 Vor knapp fünf Jahren, als der Parteifreund „politische Großwetterlage“ sie mit einem heute kaum fassbaren Ergebnis von mehr als 13 Prozent in die sächsische Regierung spülte, konnte man vor Kraft kaum gehen. Nur Holger Zastrow hat wohl damals schon geahnt, was kommen würde und auf den stolzen Titel „stellvertretender Ministerpräsident“ verzichtet.

 Selten zuvor hat sich seitdem eine Partei an der Macht derart entzaubert. Das Justizressort fand in der öffentlichen Wahrnehmung nicht statt, obwohl die sächsische Staatsanwaltschaft einen Skandal nach dem anderen produzierte. Wer kann auf Anhieb sagen, wie der sächsische Justizminister heißt? Eben. Ein gewisser Herr Martens ist es, ich musste auch nachschlagen.

Erst dieser Tage – die Landtagwahl zeigt sich am Horizont – tritt er mit einer hübsch designten Plakat-Kampagne zur modernen Verwaltung ans Licht. Doch diese ist genau das, was man hierzulande von der FDP kennt: Symbolpolitik.

 Sein Parteifreund Morlok spielt auf dieser Klaviatur seit geraumer Zeit mit einiger Perfektion. Unsere Menschen haben lange darauf gewartet, an ihre Autos wieder die Kennzeichen aus den frühen Neunzigern zu pappen, als noch jedes Kaff den schönen Titel „Kreisstadt“ trug. Jene Autos können sie nun auch sonntags waschen. Was will man mehr als sächsischer Bürger und Kraftfahrer, wenn einem nun auch noch an Autobahnbaustellen von Smileys die aktuelle Stimmungslage vorgesagt wird? Friede, Freude, Eierkuchen.

 Oder besser Eierschecke. Jene wurde PR-wirksam auf Autobahnraststätten vom Minister höchstpersönlich an berufsbedingt wochenendpendelnde Sachsen verteilt, in der vagen Hoffnung, bei diesen Heimatgefühle für dieses Bundesland zu entwickeln, in dem die FDP tapfer gegen den Mindestlohn kämpft. Das Gebäck ist sicher Geschmackssache, aber diese Aktion sorgte bestimmt für einige heitere Anekdoten am neuen Arbeitsplatz im Westen.

 Die letzte Wohltat für unseren von Schwarz, Grün, Rot, Mittelrot und Grau (für mich die Farbe der AfD) bedrohten Freistaat: Holger Zastrow und Sven Morlok enthüllen Hinweisschilder an den Autobahnen rund um Dresden, der arme Dirk Hilbert musste auch mit. Auf jenen ist zu lesen, dass man jetzt in der Nähe von Dresden sei. Nun hat zwar jede Kuhbläke seit Jahren so ein Schildchen in schmutzigbraun, aber gerade für Dresden ist dies von immenser Bedeutung: Ich wage zu prophezeien, dass nun bald die ersten Schankwirtschaften hier öffnen werden, selbst Hotels sind schon in Planung. Bald wird sich Dresden nicht mehr retten können vor zufällig Vorbeifahrenden, die die überraschende Altstadtsilhouette angelockt hat. Und wir werden der FDP auf ewig dankbar sein.

 Einen Punkt kann Herr Morlok mit Sicherheit auf der Habenseite verbuchen. Er hat den von den seinen Vorgängern schlecht verhandelten Vertrag zum City-Tunnel Leipzig konsequent erfüllt und darf sich nun mit der einzigen bedeutenden Infrastrukturmaßnahme bundesweit schmücken, die zu zwei Dritteln aus Landesmitteln bezahlt wurde. 600 Millionen Euro sind es gewesen, eine stolze Zahl. Dass jene dafür in Restsachsen fehlen und der Schienennahverkehr oftmals unter den Bedürfnissen bleibt (ob etwa der dringend nötige 15 min – Takt auf der S-Bahn-Linie 1 in Dresden jemals kommen wird, steht in den Sternen), nimmt man als sächsischer Patriot doch gern in Kauf.

 Geld spielt ohnehin kaum eine Rolle, wenn es um die Parteiinteressen geht. Und so kann Herr Morlok auch eine windige Zusage für eine 90%-Förderung der Albertbrückensanierung in Dresden machen, wenn die im Sinne seines Vorsitzenden und Stadtratsfraktionschefs Zastrow geschieht, ohne jede Rechtsgrundlage übrigens.

Ging dieser Kelch gottlob am Steuerzahlenden nochmal vorüber, hat die Stadt Dresden nun die „Waldschlösschenbrücke“ an der Backe, deren Realisierung sich die hiesige FDP stolz an die Brust heftet (auf Bundesebene, vor allem im Auswärtigen Amt, war es übrigens auffällig still bei diesem international blamablen Thema). Allein die Unterhaltskosten der angeschlossenen Tunnel, die rund um die Uhr bewacht, belüftet und beleuchtet werden müssen, betragen über eine Million Euro im Jahr. Geld, das auch zur Sanierung des Dresdner Straßennetzes (über dessen Zustand die örtliche FDP wohlfeil schimpft) fehlt.

 Letzter Geniestreich: Eine Dresdner Straße, die über eine fast durchgängig intakte Gründerzeitsubstanz und teilweise fast über Alleecharakter verfügt, soll für viel Geld zur Stadtschnelltrasse umgebaut werden, weil sie zufällig die kürzeste Verbindung vom (international bedeutungslosen) Flughafen Dresden zum Regierungsviertel darstellt. Auch hier hat sich die FDP weit herausgelehnt und kann und will nun nichts mehr annehmen, nicht einmal Vernunft.

 Dass Herr Zastrow die DVB, jenes bundesweit gut angesehene Dresdner Nahverkehrsunternehmen mit hoher Kundenzufriedenheit, regelmäßig zur letzten Bastion des Bolschewismus erklärt, geht da fast als Unterhaltungskunst durch.

 

 Wir wollen uns nicht falsch verstehen: Ein liberale und demokratische Partei hat in der Politik auf jeder Ebene ihre Berechtigung. Doch das, was die sächsische FDP anbietet und sich damit auch von der Mutterpartei abzugrenzen sucht, ist Sozialdarwinismus, vermischt mit Klientelbefriedigung und der erwähnten Symbolpolitik.

„Freiheit“ ist für Holger Zastrow und seine Schar das Recht des Stärkeren. Die Rechnung dafür wird es nach den Wahlen geben. Und die fällt deutlich höher aus als das dafür nötige Porto.

 

Der leuchtende Pfad der wahren FDP und eine Freilandgurkentruppe für Deutschland

Das werden sie also sein, die uns im sächsischen Wahlkampf neben den Neo-Altnazis auf dem rechten Flügel begegnen werden:

Ein Haufen alter (oder auch junger) Naiver, die sich hinter lucky Lucke versammeln, um Deutschland im Allgemeinen und ihre Sparbücher im Besonderen zu retten.

Und ein Tross machetenschwingender Wirtschaftskrieger, die – endlich befreit von jedem menschelnden großbürgerlichen Westliberalismus – nun endlich mal das Darwinsche Erkenntnisgebäude live ausprobieren wollen.

 

Eigentlich, was beide aber vehement abstreiten würden, passen die ganz gut zusammen (von den Dritten im Bunde will ich es dann doch nicht behaupten). Zumal die Neugründung ja de facto Fleisch vom Fleische ist, aus einer Rippe der FDP gemacht, wenn auch beleibe nicht aus der schönsten. Und wenn man Zastrow et. al. so hört, spricht auch nichts gegen eine Wieder-Vereinigung, ganz ohne Zwang.

 Aber das steht noch nicht an. Später vielleicht, wenn die wahre FDP in hohem Bogen aus dem Landtag geflogen ist (und die AfD hoffentlich wieder eine hübsche 4,9 hingelegt hat (die B-Note zählt nicht)).

Aber dann ist wahrscheinlicher, dass Commandante Holger in den Untergrund des Marketings geht und nie wieder auftaucht daraus. Eine versemmelte Europawahl zuvor könnte man ja noch dem unlängst gekürten Spitzenkandidaten Krahmer in die Schuhe schieben (der zu nichts besser geeignet ist), aber danach gibt es keine Ausreden mehr. Und Nicht-Antreten als Klatschevermeidung scheidet auch aus.

Um den hinterlassenen Trümmerhaufen namens sächsische FDP müssen sich dann andere kümmern.

 Wahltaktisch kann man sich das vom grünen Hochsitz aus gelassen anschauen:

In Sachsen sind neben der Reinheitspartei CDU (die, um nun doch mal einen immerhin noch informell maßgeblichen FDP-Vertreter zu zitieren, „auch einen Altkleidercontainer aufstellen könne“ – und ich ergänze, dies in einigen Fällen wohl auch schon getan hat) alle klein, und wenn sich im Spektrum rechts der Mittelmäßigkeit noch mehr Bewerber tummeln, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass alle draußen bleiben.

(Parteientheoretisch ist das Problem auf der anderen Seite [„links“ hört man ja manchmal nicht so gern] allerdings sehr ähnlich, auch wenn man da auf eine größere Grundgesamtheit setzt.)

 Dennoch, liebe Freundinnenunfreunde, wäre es grundfalsch, die da drüben machen zu lassen und nun vorzugsweise auf die ohnehin schon mit ihrem hiesigen Personal gestraften Mitbewerber links einzudreschen. Die zerlegen sich schon selbst.

 Doch wenn der FDP und auch der AfD in Sachsen niemand etwas entgegenhält – die CDU um Vati Tillich wird das nicht tun, sondern schlicht versuchen, bis zum Wahltermin nichts Konkretes mehr von sich zu geben, das irgendjemand nicht gut finden könnte – hält man das irgendwann für Sachsenvolkes Stimme, und alles rutscht unweigerlich ein Stück nach rechts, im Gleichschritt marsch. Und dann haben wir zwar den linken Teich fast für uns allein, aber er dürfte dann nur noch wenig Wasser führen.

 Also:

Natürlich muss man die CDU stellen, wo man kann, auch wenn es oft dem Pudding-an-die-Wand-nageln ähnelt. Und ebenso natürlich muss man sich von den beiden „R“ abgrenzen, wo es notwendig ist.

Dennoch, „der Feind steht rechts“, um mal einen Klassiker zu zitieren.

 Zastrows kalter Darwinismus ist in Sachsen (und anderswo) ebenso wenig tauglich wie die deutschzentrierten Proseminarssprüche der Retter von rechts. Wer anders sollte diese frohe, notwendige Botschaft zum Volke bringen als die Grünen?

  

Ach ja, der „leuchtende Pfad“:

Der ist auch als sendero luminoso bekannt und war eine der berüchtigtsten Terrororganisationen in Lateinamerika. Wer ständig die Machete im Munde führt, muss sich nicht beklagen, wenn man ihn beim Wort nimmt.

 

Heute vor fünfundsiebzig Jahren begann die Zerstörung Dresdens

Der neunte November 2013

 Johannes Lohmeyer, mit dem ich selten einer Meinung bin, hat heute diesen Satz verwendet. Egal, ob dies schon einmal jemand so sagte, für diese Äußerung gebührt ihm uneingeschränkter Respekt.

 Man muss sicher niemandem erklären, was es mit diesem Datum auf sich hat. Spätestens die frisch geputzten und mit Blumen und Kerzen geschmückten Stolpersteine stoßen auch den Letzten mit der Nase darauf, dass heute vor 75 Jahren in einem Land mitten in Europa Menschen ihre Mitmenschen überfielen, beraubten, erschlugen und ihre Gotteshäuser anzündeten. Gemeinhin wird dafür der verharmlosende Begriff „Kristallnacht“ verwendet, manche geben ihm mit dem Zusatz „Reichs-„ gar noch einen amtlichen Anstrich.

 Aber man muss das Pogrom nennen, genauso wie die vielen ähnlichen Untaten in den Jahrhunderten zuvor, in Deutschland und anderswo. Oder auch den Beginn des Holocaust.

 Es ist kein Trost, dass nicht nur das deutsche Volk in Abständen dem Verlangen folgt, einen Teil der Bevölkerung zu massakrieren. Man kann Verbrechen nicht miteinander aufrechnen. Und wenn auch in Polen, Ungarn und anderswo solche Gräuel vorkamen, dann ist das eine Schande für diese Völker. Wir Deutsche haben uns mit unserer eigenen Geschichte auseinanderzusetzen.

 Und da haben wir einiges zu „bieten“. Nicht nur einen perfekt organisierten Überfall auf eine Volksgruppe einschließlich eines Stillhaltebefehls an die Feuerwehren (nur in Halberstadt hatte man die Synagoge nicht angezündet, aus Angst um die umstehenden Fachwerkhäuser), sondern in der Folge auch den weltweit ersten industriellen Massenmord. Der Tod wurde zum Meister aus Deutschland, zum Diplom-Ingenieur des Menschenentsorgungswesens.

 Mich erfüllt tiefe Scham, nicht nur für die Generation meiner Großeltern, auch (fremd) für alle, die heute nichts dabei finden, das alles zu relativieren und den berühmten Schlussstrich ziehen wollen. Mord verjährt nicht, auch nicht Massenmord unter staatlicher Legitimation.

 Ja, heute vor fünfundsiebzig Jahren begann die Zerstörung von Dresden, am Hasenberg.

 

Schneeberg, Ort der Vielfalt

Eine Stadt kämpft um ihren Ruf

  

„Schneeberg, Ort der Vielfalt“. Doch, das steht da wirklich am Rathaus. Das Leben schreibt die besten Pointen.

Das Schild dürfte schon länger hängen, die Bundesregierung hat manchmal lustige Kampagnen auf Lager. Wer hätte wohl damals beim Anschrauben gedacht, dass das mal eine solche Bedeutung erlangen könnte?

 

Wer die Vorgeschichte nicht kennt:

Die freistaatlich-sächsische Verwaltung hatte vor einiger Zeit, als es Probleme zwischen verschiedenen Nationalitäten im „Auffanglager“ Chemnitz gab, die an sich gar nicht falsche Idee, den tschetschenischen Teil der Asylbewerber (etwa 500 Menschen, zwei Drittel davon Frauen und Kinder) in die 15.000-Einwohner-Stadt Schneeberg im Erzgebirge zu verlegen, wo es nach dem Rückzug der Bundeswehr mit der Jägerkaserne mehr als genug geeignete Infrastruktur gibt (wen man die bundesdeutsche Art der Unterbringung als sinnvoll ansieht). Nur hielt man es in seiner Borniertheit offenbar nicht für notwendig, Bevölkerung und Verwaltung vor Ort ausreichend und rechtzeitig darüber zu informieren und darf sich nun ein gerüttelt Maß Mitschuld an der zwischenzeitlichen Eskalation geben lassen.

 

Die Nazis (ich weigere mich, „Neo“ davorzusetzen, ich wüsste nicht, was an denen neu sein sollte) sind gerade in Sachsen dankbar für solche Steilvorlagen. Nächstes Jahr ist Landtagswahl.

Und so kam es am 19. Oktober zu einem von der NPD angemeldeten „Lichtellauf“ mit Fackeln gegen das Asylbewerberheim, wo neben den üblichen Verdächtigen auch ein erschreckend großer Teil der Schneeberger Bevölkerung zu sehen war. „Wir sind das Volk“ soll man auch gebrüllt haben, womit der Bogen vom Reichsparteitag über die DDR-Gründung bis zu deren Auflösung geschlagen werden konnte. Der deutsche Michel ist halt überall dabei.

 

Zum Glück gibt es in Schneeberg auch noch reichlich Gerechte, und nachdem bereits am Montag danach ein Friedensgebet initiiert wurde, fand am vorgestrigen Sonnabend ein Familienfest in Schneeberg statt, das die Flüchtlinge einbezog und insgesamt von etwa 1.000 Menschen besucht wurde, in etwa so viele, wie auch zum Fackelmarsch gekommen waren.

 

Und am heutigen (28.10.) Montag dann das zweite Friedensgebet, gefolgt von einer Kundgebung. Es ergab sich günstig für mich, eine ausgefallene Aufführung und ein Diensttermin in der richtigen Richtung versetzten mich in die Lage, mir selbst ein Bild zu machen.

 

Ich bin nun sehr angerührt von der Ernsthaftigkeit und der Herzensgüte, die heute abend allerorten zu spüren war.

Schon das ökumenische Friedensgebet mit einer geschliffenen Predigt, die sich auf Matthäus bezog („was du dem geringsten meiner Brüder tust“ …) und den klugen Fürbitten war eine bewegende Veranstaltung, die dann noch mit einer Kundgebung vor dem Rathaus gekrönt wurde.

Auch wenn der Vertreter der neuen Initiative „Schneeberg für Menschlichkeit“ sich ein wenig verrannte in seinem Eifer, der Bürgermeister (Frieder Stimpel von der CDU, das geht also auch) strahlte im Anschluss Weisheit aus, nicht mehr und nicht weniger. Und Monika Lazar, grüne MdB aus Leipzig, wies zum Ende noch nach, dass die Schneeberger nicht die Einzigen sind, die von den Nazis instrumentalisiert werden sollen.

 

Morgen wird es also in Schneeberg die längst überfällige Informationsveranstaltung der Landesbehörden geben, hoffentlich ohne Störungen, und dann? Die Hälfte der Flüchtlinge, so ist zu hören, sei klammheimlich schon wieder nach anderswo verbracht worden. Man könnte glauben, die zuständige Behörde sei NPD-unterwandert, so wie sie denen die Erfolge organisiert.

 

Und für den Sonnabend ist nun wieder ein „Lichtellauf“ angemeldet.

Man wird sehr genau hinschauen müssen, wer dort marschiert. Dass die sächsische NPD durchaus ein internes Mobilisierungspotential hat, ist bekannt, und sicher sind da auch einige Volksdarsteller darunter.

 

Aber, was werden die Schneeberger tun?

Wieder mit Kind und Kegel mitlaufen? Aus Angst um …, ja worum? Um den eigenen Partner, die Bodenschätze, die klare Erzgebirgsluft, den Parkplatz, die Südfrüchte bei Netto?

Wer in Schneeberg wohnt und in den letzten Tagen nicht begriffen hat, dass er von den Nazis als nützlicher Idiot gebraucht wird, dem ist nicht mehr zu helfen. Der macht dann nicht gemeinsame Sache mit Volksverhetzern, sondern er (oder auch sie) gehört dazu.

Man sollte es niemandem vorwerfen, beim ersten Mal mitgelatscht zu sein, zumal wenn die Hintergründe einem nicht erklärt wurden. Gott liebt die reuigen Sünder. Aber nochmal: Jetzt ist die Situation eine andere. Niemand kann sagen, ersiees hätte es nicht gewusst.

 

 

Schneeberg wird am Wochenende eine wichtige Weiche stellen. Ich hoffe, das ist auch allen bewusst hier. Wenn man einmal den Ruf als „Nazi-Nest“ weg hat, wird man den nur sehr schwer wieder los. Dann bleiben die Busse weg, und das berühmte Lichter-Fest kann man in sehr kleinem Kreis feiern. Die Lichter gehen dann langsam aus, es gibt ein Berggeschrey der anderen Art, und wer ist schuld? Klar, die Ausländer.

  

Der Bürgermeister hat dann auch noch gesagt, jetzt gehe es erst einmal darum, den Kindern in der Kaserne Spielzeug zu besorgen, für die wäre es nämlich am schwersten im Moment.

OK, irgendwo wird es hier sicher einen Laden geben. Den find ich morgen früh. Denn vom Artikel schreiben allein wird die Welt ja auch nicht besser.

 

Der Kot Napoleon

„Du bist tot!“

Als Kinder haben wir das gerufen, wenn wir Krieg gespielt haben. Manchmal fiel der andere dann wirklich um, manchmal war er auch der Meinung, er sei schneller gewesen beim Ziehen. Dann musste das geklärt werden. Bis einer heulte.

 

Beim „Re-Ennactment“ dürfte dieses Problem nicht auftreten, die Sache ist streng durchchoreographiert. Erwachsene Menschen (allermeist Männer) kleiden sich in die Waffentracht einer vergangenen Zeit und geben lebend Bilder.

Ich hoffe, dass sie drunter etwas Moderneres tragen, aus dem Sanitätsfachhandel, falls doch mal was abgeht dabei, vor Angst oder vor Lust. Wäre doch schade um die teure Uniform.

 

Der Mensch kriegt ja vieles fertig, früher ließ er seinesgleichen gegen Löwen kämpfen wegen dem Unterhaltungswert, verbrannte seinesgleichen auf Scheiterhaufen, wenn rote Haare grad mal nicht in Mode waren, rottet(e) seinesgleichen auch stammweise aus, wenn die auf Land herumlungerten, das einem höheren Zwecke bestimmt war.

In diesem Kontext fallen ein paar Deppen, die die Schlachten vergangener Tage folkloristisch und keimfrei nachschlagen, kaum ins Gewicht.

 

Dem Bauernjungen aus einem der vielen sächsischen Friedersdorf damals, der auf dem Feld der Ehre verreckte, dürfte relativ egal gewesen sein, für wen er das tat (historisch gesehen – was gerne vergessen wird – für Napoleon). Trotzdem kann man es ihm posthum nochmal spielerisch erklären, es fallen doch auch sonst so viele Säcke Reis um.

 

 

Aber man kann das Spektakel natürlich auch mit „heutigen“ Maßstäben messen, moralischen, mein ich. Und da stellt sich mir schon die Frage, welch Geistes Kind die Leute sind, die bekunden, „hier nur einfache Soldaten zu sein“ und damit die Aussage zu Sinn und Zweck des Ganzen verweigern.

Ist der Mensch dann doch ein Lemming? Fühlt er sich in einer Herde am wohlsten, wo man selber nicht mehr denken muss? Ist das der Ur-Trieb von uns allen?

 

Dann wäre das Modell aber ausbaufähig. Warum nicht mal das Ertrinken vor Lampedusa nachstellen, Markkleeberg hat doch jetzt schöne Seen? Oder das Schlachten einer Herde Rindviecher, bei Tönnies in Weißenfels? Auch die amerikanisch-mexikanische Grenze bietet schöne Schauplätze, vielleicht gibt es ja noch einige Mauerreste zum Bespielen.

 

Und die vielen schönen Jubiläen der nächsten Jahre, 75 Jahre Stalingrad, 100 Jahre Verdun, auch der Genozid an den Armeniern oder der in Deutsch-Südwestafrika bedarf einer reenactischen Aufarbeitung. Guido Knopp hilft bestimmt gerne.

 

Man sollte hier aber keine Verbotsdebatte führen. Zwar ist Kriegsverherrlichung eine Straftat, aber der Verein wird so clever sein, sich nicht dabei erwischen zu lassen. Und das sind doch alles unbescholtene Bürger, die haben eben einfach zu viel Zeit. Und zu wenig Hirn.

 

Auch wenn der historische Kontext nur halbwegs korrekt ist: Ich wünschte, es würde Nacht oder die Preußen kommen. Mit echten Kanonen.