Kategorie: Wirtschaft
Die Geister, die ich rief … Rückenwind für den Dresdner Stadtrat
Auswertung der vierten „Dresdner Debatte“ zum Integrierten Stadtentwicklungskonzept am 29. Oktober 2014 im Kulturrathaus
Die „Dresdner Debatte“ ist eine relativ neue Form der Bürgerbeteiligung bei Planungsprozessen, die sich wesentlich auf eine Online-Plattform (http://dresdner-debatte.de/) stützt, aber auch auf einige klassische Veranstaltungen und eine Info-Box, den markanten roten Container, der an relevanten Plätzen während der Laufzeit der Debatte aufgestellt und mit fachkundigem Personal besetzt wird, um die Anregungen der Bürger*innen aufzunehmen.
Die Landeshauptstadt hat hierfür schon einiges an Lob erhalten, die Methodik des öffentlichen Dialogs zwischen Politik, Planung und Bevölkerung – ursprünglich für abgegrenzte Planungsräume wie den Neumarkt oder die Innere Neustadt vorgesehen – scheint sich nun auch bei stadtweiten Themen zu bewähren. Und so wurde nach der Diskussion des Verkehrsentwicklungsplanes im letzten Jahr nun das derzeit in Aktualisierung befindliche INSEK behandelt.
INSEK ist weder eine Sondereinheit der Polizei noch der Verband der Insektenfreunde, sondern die verwaltungstechnische Kurzform des „Integrierten Stadtentwicklungskonzepts“, ein Strategiepapier der Landeshauptstadt, das die inhaltliche Richtung der weiteren Entwicklung der Stadt beschreibt und somit den fachlichen Einzelplänen übergeordnet ist, ohne eine rechtliche Verbindlichkeit zu haben. Letztmalig wurde das Konzept im Jahr 2002 beschlossen, bei einem Planungshorizont von zehn Jahren ist es somit höchste Zeit, ein neues zu erarbeiten.
Dies hat die Verwaltung getan und diesen Entwurf im Juni 2014 für vier Wochen den Bürger*innen der Stadt zur Kenntnis und Bewertung gegeben. Am 29. Oktober wurden nun die ersten Ergebnisse durch Baubürgermeister Marx und die mit dem Thema befassten Experten vorgestellt.
Im zur Diskussion gestellten Entwurf sind vier „Zukunftsthemen“ für Dresden definiert worden: Kulturstadt in Europa, Stadt mit Leistungskraft, Lebenswerte sowie Ressourcenschonende Stadt.
Diese wurden mit 30 Zielen der Stadtentwicklung untersetzt und auf 17 definierte Schwerpunkträume von der Innenstadt bis Hellerau angewandt, wobei nicht jedes Thema in jedem Raum eine Rolle spielt. In den einzelnen Schwerpunkträumen wurden auch noch „Schlüsselprojekte“ benannt, die für deren Entwicklung wesentlich sind. Nachlesbar ist das alles auf den Internetseiten der Debatte (http://dresdner-debatte.de/node/1757/informieren) und muss hier nicht im Detail aufgeführt werden.
Die Beteiligung der Bürger*innen wurde ein wenig verklausuliert dargestellt: Knapp 55.000 Seitenaufrufe habe es gegeben, diese allerdings nur von 4.000 verschiedenen IP-Adressen respektive Nutzern (ich nehme aber an, dass ein heimischer Rechner auch manchmal von mehreren Menschen benutzt wurde, insofern waren es vielleicht auch 5.000 Teilnehmer). Jeder Nutzer rief also nach dieser Rechnung im Schnitt die Seiten elfmal auf, was auf eine intensive Beschäftigung mit der Materie schließen lässt.
Durch die Nutzer wurden gut 500 Beiträge hinterlassen (also durch jeden zehnten) und diese Beiträge 650 mal kommentiert sowie 2.700 mal (ähnlich dem sattsam bekannten „Like“) positiv bewertet. Die Verwaltung betrachtete die hohe Anzahl an Kommentaren als Beleg dafür, dass die Plattform auch als Diskussionsforum wahrgenommen wird, dem ist sicher nicht zu widersprechen.
Die Hälfte aller Beiträge wurde dem Thema „Lebenswerte Stadt“ zugeordnet, mit der Schonung der Ressourcen befassten sich rund 20% und mit kulturellen Themen immerhin 15%. Der Rest von 9% betraf die (wirtschaftliche) Leistungskraft der Stadt. Dass in mehr als der Hälfte der Schwerpunkträume die dort definierten Schlüsselprojekte überhaupt nicht thematisiert wurden, sollte den Planern zu denken geben, nur als Zustimmung lässt sich das sicher nicht interpretieren.
Die Auswertung der Beiträge läuft noch, Anfang 2015 soll ein zusammenfassender Bericht vorgelegt werden. Bislang wurden 163 Ideen bzw. Vorschläge heraus aggregiert, wobei die Hälfte davon als nicht relevant für das INSEK oder die Fachverwaltungen bezeichnet wurde. 82 Anregungen sind somit noch in der Prüfung, ob sie Eingang in das Konzept finden sollen.
Natürlich lobte die Stadtverwaltung die fachliche Qualität der Beiträge, alles andere wär auch arg unhöflich gewesen gegenüber den Bürger*innen. Aber dies scheint kein Lippenbekenntnis zu sein: Wie schon bei den vorangegangenen Debatten geben zumindest die im Kurzbericht (http://dresdner-debatte.de/sites/default/files/content-fragment/downloads/abschlussbericht_insek_debatte_kurzfassung_internet.pdf) veröffentlichten Hinweise ein nahezu komplettes Bild der aktuellen Diskussionslage in der Stadt zur weiteren Entwicklung. Und die Vorschläge sind bei weitem nicht als Zustimmung zur bisherigen Stadtpolitik zu bezeichnen, im Gegenteil: In Summe wird ein konsequentes Umsteuern in Richtung von Nachhaltigkeit, sozialer Ausgewogenheit, Ressourcenschonung und Zukunftsfähigkeit gefordert, fast schon verblüffend ist die hohe inhaltliche Übereinstimmung mit den Eckpunkten der Kooperationsvereinbarung der neuen rotgrünroten Gestaltungsmehrheit im Dresdner Stadtrat. (Insofern scheint der Ausgang der Stadtratswahlen doch kein „Betriebsunfall“ zu sein, wie neulich ein CDU-Stadtrat meinte, und diese Bewertung eher einem Wunschdenken zu entspringen.)
Beispielhaft werden einige der allgemeinen Wünsche genannt: Die Förderung lokaler und zeitgenössischer Kunst und Kultur soll ebenso ausgeweitet werden wie jene von bedarfsgerechtem und nutzungsgebundenem Wohnungsbau. Städtische Brachen sollen nicht verbaut, sondern als Grünflächen entwickelt werden und auch für „urban gardening“ zur Verfügung stehen. Die lokale Ökonomie soll bessere Bedingungen erhalten, auch durch alternative Wirtschafts- und Kreislaufsysteme. Die soziale Infrastruktur soll mit dem Neubau von Kinderspiel- und anderen Bewegungsplätzen verbessert werden. Beim Verkehr wurde vor allem der notwendige Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur in allen Aspekten, die Ausweisung von „shared spaces“ sowie die anzustrebende Barrierefreiheit thematisiert, aber auch die Förderung von Carsharing und ähnlichen Modellen.
Allgemein wurde oftmals auch eine höhere Planungskultur in der Stadt mit früherer und breiterer Bürgerbeteiligung angemahnt.
Konkret heißt das dann zum Beispiel, dass in der Innenstadt ein zentraler Busbahnhof errichtet und eine durchgehende Fußgängerzone bis zur Neustadt geschaffen werden soll. Grünflächen sind ebenso auszuweiten wie das Angebot an preiswertem Wohnraum. Mit einer Gestaltungssatzung soll die Entwicklung der Innenstadt besser gelenkt werden. Im Schwerpunktraum Friedrichstadt / Löbtau / Plauen wird die Einrichtung eines Kreativquartiers ebenso verlangt wie die Ausweitung des Weißeritz-Grünzuges in die Stadtteile hinein.
In der Leipziger Vorstadt geht es um den notwendigen Verzicht auf anhängige Großprojekte wie Hafencity und Globus und um bezahlbaren Wohnraum. Im „Umstrukturierungsgebiet Pieschen“ werden die Hufewiesen als Grünfläche sowie der Bau eines Freibades gefordert.
Die Entwicklung des „Campus Dresden“ soll räumlich begrenzt, die Verkehrsverhältnisse vor allem für den Radverkehr verbessert werden. Im „Schwerpunktraum Elbe / Elbwiesen und -altarm“ ist die Freihaltung von Bebauung das wichtigste Thema, aber auch ein Flussschwimmbad wird gefordert.
Diskutiert wurde im mit etwa 150 Zuhörern recht gut gefülltem Saal unter anderem die Frage, ob 4.000 (oder nach meiner Rechnung 5.000) Teilnehmer an der Debatte nun viel oder wenig wären. Auch wenn die Zahl bescheiden klingt, immerhin entspricht sie der Besucherzahl von ca. 100 Bürgerversammlungen. So gerechnet sind auch die 50.000 Euro pro Dresdner Debatte nicht allzu viel.
Dennoch deutete Bürgermeister Marx an, dass die Fortsetzung dieser Beteiligungsform auch eine Frage der Kosten und der städtischen Kapazitäten wäre. Sollen hier die gerufenen Geister wieder heimgeschickt werden, weil man der Vielzahl der Ideen nicht mehr Herr zu werden glaubt?
Da müssen die Alarmglocken läuten in den interessierten Kreisen, denn besser als mit diesem Instrument kommt man kaum an das Gold in den Köpfen der Bürger. Natürlich wird das immer nur ein relativ kleiner, aber aktiver Teil der Bevölkerung sein, der sich hier einbringt, doch das ist bei den klassischen Formen nicht anders und die Zugangshemmnisse sind bei der Online-Debatte deutlich geringer.
Und auch andere Formen haben weiter ihre Berechtigung, so wurde zum Beispiel das in Eigeninitiative entwickelte „Stadt-Camp“ mehrfach erwähnt, und ohne Bürgerversammlungen wird es auch künftig nicht gehen. Dennoch, die Methodik ist sinnvoll, vergleichsweise kostengünstig und ausbaufähig. Und warum sollte ein ähnliches Modell nicht auch zur Meinungsbildung in grundsätzlichen oder konkreten Fragen auf Landes- oder Bundesebene genutzt werden können?
Ein Aspekt darf dabei allerdings nicht vernachlässigt werden: Politik wird damit nicht ersetzt, sondern nur unterstützt. In der Stadt gibt es den demokratisch legitimierten Stadtrat sowie zahlreiche Ortschaftsräte bzw. -beiräte. Dort müssen letztendlich die Entscheidungen getroffen werden, dazu wählen wir die Volksvertreter.
Nur können diese Entscheidungen durch eine vorlaufende Bürgerbeteiligung deutlich besser untersetzt und vorbereitet werden. Dazu ist allerdings ein entsprechender Zeitablauf zu organisieren, der die Hinweise der Bürger*innen nicht erst beisteuert, wenn die Behandlung des Entwurfs bereits in den städtischen Gremien erfolgt, wie beim Verkehrsentwicklungsplan wohl geschehen.
Aus der vierten Dresdner Debatte kommt also offensichtlich ein starker Rückenwind für die aktuelle Stadtratsmehrheit. Nun müssen die konkreten Vorschläge bewertet und gegebenenfalls in das INSEK eingearbeitet werden. Die dabei von der Verwaltung zugesagte Transparenz ist Voraussetzung dafür, dass sich auch bei der nächsten Debatte zahlreiche Menschen beteiligen werden.
Reif für die Inseln
„Schöne neue Welt“ nach dem Roman von Aldous Huxley (Theaterfassung von Robert Koall) am Staatsschauspiel Dresden, Regie Roger Vontobel, Uraufführung am 12. September 2014
…
Was war dies nun?
Die Uraufführung eines Stücks Weltliteratur am Theater – schon das ist Grund zur Freude.
Die stimmige Übertragung dieses Textes auf die Bühne – man kann dabei gern von großer Werktreue sprechen.
Ein sinnliches Ereignis? Teils. Die Musik trug sehr zur Atmosphäre bei, das Bühnenbild bot manchmal Überraschendes, die Kostüme hatten ihre eigene Sprache, aber es fehlte die große Linie dahinter.
Die Interpretation eines immerhin achtzig Jahre alten Stoffes unter Verarbeitung der Weltgeschichte seitdem? Nein. Das bleibt folgenden Produktionen vorbehalten.
…
Dancer in the waste
„Wasser marsch (Cocktail ungeklärt)“, Produktion der Kurz&Lang Dance Company, Uraufführung im Rahmen der Tanzwoche Dresden am 20. April 2014
Wasser ist Leben. So simpel sind manchmal die Wahrheiten.
Präziser wäre allerdings: Sauberes Wasser ist Leben. Doch mit dem (kostenlosen) Zugang zu selbigem sieht es bald schlecht aus, wenn sich Großkonzerne wie Nestlé der Wasservorräte bemächtigen. Und auch die sprichwörtliche Reinheit des Wassers ist durch die inzwischen unüberschaubar gewordenen Müllberge und die damit verbundene Eintragung von immer mehr Kunststoffen in die Gewässer bedroht, von denen niemand weiß, welche Langfristwirkungen diese haben.
Ein weit gespanntes Thema also, das in collageartigen Szenen und Momentaufnahmen in einer Choreographie von Jule Oeft, getanzt von ihr selbst sowie von Wiebke Bickhardt und Vera Ilona Stierli, bearbeitet wird. Aber das gelingt glänzend, es wird ein tänzerischer Bogen geschlagen von der Machtgier der Konzerne über den allgegenwärtigen Plastikmüll in unserem Leben bis hin zu den Gefahren, die in den unbekannten Stoffen lauern. Sehr wandlungsfähige Tänzerinnen (Ausstattung Hannah Schmider) führen uns zur Musik von Daniel Williams vor Augen, wie es sich verhält mit dem Mensch und dem Wasser. Da wird hemmungslos Müll produziert, bis man darin baden und tanzen kann, und andererseits das Wasser als stylishes Trendprodukt vermarktet. Da wird so lang erfolgreich experimentiert, bis der böse Geist aus der Flasche kommt und nicht wieder hinein will.
Und das Ganze wird in einem äußerst erfrischenden, unkonventionellen Stil dargeboten, der auch kurze Dialoge der Tänzerinnen einschließt und einen Ausflug ins Publikum, um ein Foto von einer vom Plastesack strangulierten Schildkröte herumzuzeigen.
Der kurze Abend endet mit einer der denkbaren Apokalypsen: Die Laborantin verliert die Kontrolle, die Stoffe bemächtigen sich ihrer. Unhappy End.
Kein klassisch schöner Abend, aber dennoch ein schöner. Und ein wichtiger, ergreifender. Den frenetischen Beifall erntet die junge Company völlig zu Recht.
Wer das nicht glaubt, soll es doch selber sehen. Und wer es glaubt, erst recht: Im Rahmen der Tanzwoche nochmal am 23. und 24. April, jeweils 19 Uhr im Projekttheater Dresden. Und danach hoffentlich auch anderswo.
ICE mit Tunnelblick oder Der Alibizug
Warum täglich zwei ICE der Deutschen Bahn in Leipzig eine Stadtrundfahrt machen
Leipzig-Engelsdorf, fünf vor zwei am Nachmittag. Mein ICE von Dresden hat Leipzig Hbf fast erreicht, das wird ja heute deutlich früher als im Fahrplan steht? Auch mal schön.
Doch was ist das? Der Zug wird langsamer, biegt nach links ab. Der Güterbahnhof bleibt zurück, wir durchfahren frühlingshaft bunte Stadtviertel wie Anger-Crottendorf und Stötteritz, passieren das Völkerschlachtdenkmal und das imposante MDR-Gebäude. Eine Umleitung? Dann wird es dunkel.
Die S-Bahn-Station Bayerischer Bahnhof zieht vorüber, auch die am Markt, der Zug fährt jetzt sehr langsam, einmal kommt er auch zum Stehen, ehe er dann doch Leipzig Hbf erreicht, pünktlich um 14.08 Uhr, wenn auch 50 Meter tiefer als gewohnt.
Ein Versehen? Nein, das ist jetzt immer so. Leipzig Hbf (tief), wie der Bahnsteig unter der Erde offiziell heißt, bekommt täglich zwei ICE zu Gesicht, neben jenem nach Düsseldorf, in dem ich gerade sitze, auch einen nach Dresden.
Um das zu erklären, muss man mal wieder ein wenig weiter ausholen. Der City-Tunnel Leipzig, der im letzten Dezember feierlich in Betrieb gegangen ist und seitdem das Rückgrat des mitteldeutschen S-Bahn-Netzes bildet, hat eine lange Planungsgeschichte. Anfang der neunziger Jahre, als das Vorhaben dann konkreter wurde, war noch nicht entschieden, ob die geplante Neu- und Ausbaustrecke von Nürnberg nach Halle und Leipzig über Coburg und Erfurt geführt oder einen Weg weiter östlich nehmen würde, der sich eher an den vorhandenen Strecken orientiert hätte. Im zweiten Falle wäre ein Tunnel unter Leipzig, der fast genau von Süd nach Nord verläuft, sehr praktisch gewesen, um den alten Kopfbahnhof schneller zu durchfahren. Der Freistaat Sachsen hatte dies natürlich erkannt und dieses Argument neben den unbestreitbaren Vorteilen für den Nahverkehr taktisch geschickt in die Waagschale geworfen, als es an die Finanzierungsverhandlungen ging. Seitdem heißt der Tunnel eben „City-“ und nicht „S-Bahn-“, und der Bund stimmte zu, einen Teil der Kosten aus dem Topf für Fernverkehrsprojekte zu bezahlen.
Inzwischen ist die Lage eine andere: Die NBS Erfurt – Halle / Leipzig wird im nächsten Jahr in Betrieb gehen, die ABS/NBS Nürnberg – Erfurt folgt zwei Jahre später. Der Fernverkehr der DB zwischen Bayern und Berlin, der heute über den Frankenwald und durch das Saaletal fährt, hat künftig ein Drehkreuz in Erfurt, von einer Führung der Züge über Hof, Zwickau und Altenburg ist keine Rede mehr.
Was aber blieb, ist die Finanzierungsvereinbarung zum City-Tunnel Leipzig. Dort ist Fernverkehr erwähnt, und zumindest eine der Stationen, nämlich der Hbf, wurde ja auch mit entsprechend langen Bahnsteigen ausgestattet. Nur, welcher „weiße Zug“ sollte diese jetzt benutzen?
Man muss diese Finanzierungslogik nicht im Detail verstehen. Letztlich ist es alles Steuergeld, egal, ob es aus EU-Mitteln, vom Bund oder vom Freistaat Sachsen oder von der Stadt Leipzig kommt. Selbst die Gelder der DB AG, die auch zahlreich in das Projekt flossen, sind schlussendlich „Volksvermögen“, wie es früher einmal hieß, da die Deutsche Bahn ja weiterhin in Gänze dem Bund gehört. Welcher der Projektpartner wieviel und warum bei City-Tunnel bezahlt hat, gäbe eine eigene Geschichte her, für diese Erzählung reicht es zu wissen, dass mit dem nichtvorhandenen Fernverkehr im City-Tunnel ein veritables Problem bis hin nach Brüssel entstanden wäre.
Doch es fährt ja ein schneller Zug, sogar deren zwei, werden Bahn, Bund und Freistaat jetzt lächeln. Unstreitig tun sie das, der ICE 1745 um 11.50 Uhr nach Dresden und der ICE 1746 um 14.10 Uhr nach Düsseldorf, sogar der IC 1959 um 17.50 Uhr nach Dresden gibt sich noch die Ehre, es sind also strenggenommen sogar drei! Und am Wochenende gar noch einer obendrauf!
Und so kann auch die strengste Prüferin vom Rechnungshof nichts machen: Der Tunnel ist (auch) für den Fernverkehr gebaut, und es findet (auch) Fernverkehr statt. Alles in bester Ordnung, die sachgerechte Verwendung der Mittel kann testiert werden. Stempel drauf, zu den Akten.
Verkehrlich hat das große Kino, was die DB für Bund und Freistaat hier veranstaltet, jedoch keinen Sinn, es verwirrt eher die Reisenden. Man erwartet den ICE halt „oben“, und die zehn Minuten Fahrzeitverlängerung sind auch nicht wirklich schön.
Aber immerhin muss man zugeben, dass die Bahn das kleinste aller Übel wählte: Es wurde keinem Taktverkehr Gewalt angetan, sondern jenes ICE-Paar für den Alibiverkehr gewählt, das ohnehin „in freier Lage“ verkehrt. Dieses hat seine historischen Wurzeln übrigens in der früheren (InterRegio-) Mitte-Deutschland-Verbindung, die nach der Wende das Ruhrgebiet – damals noch über Gera und Chemnitz – mit Ostsachsen verknüpfte und heute rudimentär mit einigen ICE-Läufen weiterexistiert.
Der Wert umsteigefreier Verbindungen wird inzwischen auch bei der DB wieder anerkannt, zumal die Zielgruppe, also Menschen, die bequem reisen wollen, nicht ganz so zeitsensibel ist. Dies beschert jenen Direktverbindungen dann doch eine gewisse Renaissance und Bestandssicherheit.
Trotzdem ist der Schlenker durch die Leipziger Diaspora ein Ärgernis, nicht nur für die Reisenden. Es kostet schlicht auch mehr, länger und weiter zu fahren als es notwendig ist. Die Energie- und Personalkosten sind höher (auf einem Zug sind mindestens vier Leute am Arbeiten, drei Züge sorgen somit für geschätzt 300 Euro mehr am Tag), was sich im Jahr einschließlich Strom dann sicher schon auf gut 50.000 Euro hochrechnet. Ganz umsonst ist der Spaß also auch für die Bahn nicht.
Dass die DB es dennoch tut, hängt mit den vielfältigen und komplexen Verknüpfungen mit der politischen Landschaft zusammen, die diesem großen Konzern zu Eigen sind. Man muss das nicht grundsätzlich verdammen, als Bürger erwarte ich auch, dass die Politik Einfluss nimmt auf einen Bereich, der täglich die Mobilität von Millionen Menschen sichert, auch außerhalb der direkten Vertragsbeziehungen wie im Nahverkehr. Eine gewisse Transparenz sollte man dabei aber schon erwarten dürfen.
Der ICE im Leipziger S-Bahn-Tunnel hat also Gründe, ob gute, muss jede*r anhand der Fakten für sich entscheiden.
Die Eisenbahn, wie jeder weiß, besteht aus Wagen, Lok und Gleis, nur manchmal ist es eben doch ein wenig komplizierter.
Das Kerngeschäft der FDP ist die Symbolpolitik
Eine Betrachtung
Gleich eingangs muss ich mich korrigieren: Ich spreche von der sächsischen FDP. Von jener auf Bundesebene weiß ich es nicht, sie hat es schwer derzeit, wahrgenommen zu werden. Dafür tuten die sächsischen Freunde umso lauter.
Man kennt das aus dem Wald: Wer sich fürchtet, der pfeift. Je mehr Angst, desto größer der Lärm.
Die Angst bei jenen Sachsen, die sich frei und demokratisch nennen, muss sehr groß sein. Das „demokratisch“ will ich ihnen nicht absprechen (auch wenn die Landesliste zur letzten Bundestagswahl mit fünf Männern an der Spitze doch eine recht altmodische Demokratieauffassung offenbarte), aber frei? Frei von Angst sicher nicht.
Vor knapp fünf Jahren, als der Parteifreund „politische Großwetterlage“ sie mit einem heute kaum fassbaren Ergebnis von mehr als 13 Prozent in die sächsische Regierung spülte, konnte man vor Kraft kaum gehen. Nur Holger Zastrow hat wohl damals schon geahnt, was kommen würde und auf den stolzen Titel „stellvertretender Ministerpräsident“ verzichtet.
Selten zuvor hat sich seitdem eine Partei an der Macht derart entzaubert. Das Justizressort fand in der öffentlichen Wahrnehmung nicht statt, obwohl die sächsische Staatsanwaltschaft einen Skandal nach dem anderen produzierte. Wer kann auf Anhieb sagen, wie der sächsische Justizminister heißt? Eben. Ein gewisser Herr Martens ist es, ich musste auch nachschlagen.
Erst dieser Tage – die Landtagwahl zeigt sich am Horizont – tritt er mit einer hübsch designten Plakat-Kampagne zur modernen Verwaltung ans Licht. Doch diese ist genau das, was man hierzulande von der FDP kennt: Symbolpolitik.
Sein Parteifreund Morlok spielt auf dieser Klaviatur seit geraumer Zeit mit einiger Perfektion. Unsere Menschen haben lange darauf gewartet, an ihre Autos wieder die Kennzeichen aus den frühen Neunzigern zu pappen, als noch jedes Kaff den schönen Titel „Kreisstadt“ trug. Jene Autos können sie nun auch sonntags waschen. Was will man mehr als sächsischer Bürger und Kraftfahrer, wenn einem nun auch noch an Autobahnbaustellen von Smileys die aktuelle Stimmungslage vorgesagt wird? Friede, Freude, Eierkuchen.
Oder besser Eierschecke. Jene wurde PR-wirksam auf Autobahnraststätten vom Minister höchstpersönlich an berufsbedingt wochenendpendelnde Sachsen verteilt, in der vagen Hoffnung, bei diesen Heimatgefühle für dieses Bundesland zu entwickeln, in dem die FDP tapfer gegen den Mindestlohn kämpft. Das Gebäck ist sicher Geschmackssache, aber diese Aktion sorgte bestimmt für einige heitere Anekdoten am neuen Arbeitsplatz im Westen.
Die letzte Wohltat für unseren von Schwarz, Grün, Rot, Mittelrot und Grau (für mich die Farbe der AfD) bedrohten Freistaat: Holger Zastrow und Sven Morlok enthüllen Hinweisschilder an den Autobahnen rund um Dresden, der arme Dirk Hilbert musste auch mit. Auf jenen ist zu lesen, dass man jetzt in der Nähe von Dresden sei. Nun hat zwar jede Kuhbläke seit Jahren so ein Schildchen in schmutzigbraun, aber gerade für Dresden ist dies von immenser Bedeutung: Ich wage zu prophezeien, dass nun bald die ersten Schankwirtschaften hier öffnen werden, selbst Hotels sind schon in Planung. Bald wird sich Dresden nicht mehr retten können vor zufällig Vorbeifahrenden, die die überraschende Altstadtsilhouette angelockt hat. Und wir werden der FDP auf ewig dankbar sein.
Einen Punkt kann Herr Morlok mit Sicherheit auf der Habenseite verbuchen. Er hat den von den seinen Vorgängern schlecht verhandelten Vertrag zum City-Tunnel Leipzig konsequent erfüllt und darf sich nun mit der einzigen bedeutenden Infrastrukturmaßnahme bundesweit schmücken, die zu zwei Dritteln aus Landesmitteln bezahlt wurde. 600 Millionen Euro sind es gewesen, eine stolze Zahl. Dass jene dafür in Restsachsen fehlen und der Schienennahverkehr oftmals unter den Bedürfnissen bleibt (ob etwa der dringend nötige 15 min – Takt auf der S-Bahn-Linie 1 in Dresden jemals kommen wird, steht in den Sternen), nimmt man als sächsischer Patriot doch gern in Kauf.
Geld spielt ohnehin kaum eine Rolle, wenn es um die Parteiinteressen geht. Und so kann Herr Morlok auch eine windige Zusage für eine 90%-Förderung der Albertbrückensanierung in Dresden machen, wenn die im Sinne seines Vorsitzenden und Stadtratsfraktionschefs Zastrow geschieht, ohne jede Rechtsgrundlage übrigens.
Ging dieser Kelch gottlob am Steuerzahlenden nochmal vorüber, hat die Stadt Dresden nun die „Waldschlösschenbrücke“ an der Backe, deren Realisierung sich die hiesige FDP stolz an die Brust heftet (auf Bundesebene, vor allem im Auswärtigen Amt, war es übrigens auffällig still bei diesem international blamablen Thema). Allein die Unterhaltskosten der angeschlossenen Tunnel, die rund um die Uhr bewacht, belüftet und beleuchtet werden müssen, betragen über eine Million Euro im Jahr. Geld, das auch zur Sanierung des Dresdner Straßennetzes (über dessen Zustand die örtliche FDP wohlfeil schimpft) fehlt.
Letzter Geniestreich: Eine Dresdner Straße, die über eine fast durchgängig intakte Gründerzeitsubstanz und teilweise fast über Alleecharakter verfügt, soll für viel Geld zur Stadtschnelltrasse umgebaut werden, weil sie zufällig die kürzeste Verbindung vom (international bedeutungslosen) Flughafen Dresden zum Regierungsviertel darstellt. Auch hier hat sich die FDP weit herausgelehnt und kann und will nun nichts mehr annehmen, nicht einmal Vernunft.
Dass Herr Zastrow die DVB, jenes bundesweit gut angesehene Dresdner Nahverkehrsunternehmen mit hoher Kundenzufriedenheit, regelmäßig zur letzten Bastion des Bolschewismus erklärt, geht da fast als Unterhaltungskunst durch.
Wir wollen uns nicht falsch verstehen: Ein liberale und demokratische Partei hat in der Politik auf jeder Ebene ihre Berechtigung. Doch das, was die sächsische FDP anbietet und sich damit auch von der Mutterpartei abzugrenzen sucht, ist Sozialdarwinismus, vermischt mit Klientelbefriedigung und der erwähnten Symbolpolitik.
„Freiheit“ ist für Holger Zastrow und seine Schar das Recht des Stärkeren. Die Rechnung dafür wird es nach den Wahlen geben. Und die fällt deutlich höher aus als das dafür nötige Porto.
Das An-Alphabet
Ein ärgerlicher Film von Erwin Wagenhofer
Es beginnt bildmächtig-bedeutungshubernd, ein Pseudo-Wissenschaftsflair zieht sich von Anfang an bis zum Ende durch. Der Film ist erkennbar für den amerikanischen Markt gemacht.
Was soll uns denn das Beispiel China sagen in Bezug auf das Bildungssystem? Ein Mao-Kapitalimus mit unendlich großem Menschenvorrat ist doch nicht vergleichbar. Wer will denn hier ernstlich diesen Abrichtungsapparat übernehmen?
Quälend langsam ist dieser Film. Es soll Tiefe erzeugt werden, wo Sandbänke sind, belangloser small Talk, abgefilmte Lehrgespräche … Na und?
Endlose Blenden auf ein chinesisches Kindergesicht. Dessen Mutter wird vorgeführt im ihrem Stolz. Aussage gleich Null.
Dann ein Neurobiologe. Ein Experte. Merke: Schule im klassischen Sinne führt zu Auschwitz.
Es folgt McKinsey als abschreckendes Beispiel, ein Chakka-Typ hält dagegen.
Und ein selbsterfundener Malpädagoge im hohen Rentenalter schwärmt vom klecksenden Malen als Hauptsache. Alles andere kommt dann schon alleine.
Zum Glück brauchen wir heute keinen technischen Sachverstand mehr, und Medizin auch nicht. Geige spielen muss man nicht üben, und Statik wird ohnehin überschätzt, fragt bitte Alexis Zorbas, der kannte sich da auch aus.
Einiges Wahre dann über (zu frühe) Bildung, die man (noch) nicht braucht. Da wird sicher übertrieben.
Aber ich war damals schon recht froh, als sich meine Stieftochter von ihrem Reisepartner in Neuseeland nach drei Wochen trennte und noch ein halbes Jahr alleine vor sich hatte, dass sie ziemlich gut englisch sprach.
Der Telekomvorstand steht in der Totenstille seines Büros neuerdings an der Intellektuellen Spitze der Gegenbewegung, das machen die Großen heute alle so. Ich hab nur das Gefühl, die bekämpfen einen Gegner, der schon lange verstorben ist. Oder übergelaufen.
Aber alles weiter in einen Topf hinein. Der jugendliche Ausbildungsknecht und der Unternehmensplanspielende mit Karrierehoffnung und Kaufhauspsychologie.
Was ist die Aussage?
Die gequälte Neuntklässlerin klagt über zu wenig Leben. Der Auszubildende über zu wenig Geld. Was sollen sie bezeugen?
Bedenkenswert immerhin: der Telekomiker sagt „Ihr seid doch selber schuld“. Genau. Er aber auch.
Babys gehen immer im Film. Mag die Versuchsanordnung noch so dämlich sein.
Dann noch ein Sammelsurium seltsamer Beispiele.
Was hat jetzt nochmal die Sonderschulpädagogik damit zu tun?
Und Gitarren zu bauen ist nun eine so große Leistung nicht, wenn man so gar nichts anderes will. Da braucht man keine Prüfungen zu bestehen.
Merke nochmal: Der böse Wettbewerb unter den Kindern macht alles kaputt. Der Beweis ist ein herziges Kindlein.
(Fußball, liebe Filmmacher, ist übrigens auch eine Art Wettbewerb, nur mal so nebenbei angesichts des bewundernswerten Down-Geplagten, den ihr auch noch verwursten musstet)
Ach, Darwin! Es ist an der Zeit, im Grabe zu rotieren. Und „es ist nicht gegen die Natur der Maus, gefressen zu werden“ dabei zu rufen.
Zusammengefasst:
Die Armen Kinder, die man retten möchte, werden in diesem Film in hohem Bogen mit dem Bade ausgekippt.
Und schlecht gemacht ist er auch noch.
Doch die Ergebnisse, die gibt es nicht.
Die Auswertung der 3. „Dresdner Debatte“ zum Verkehrsentwicklungsplan am 9. Dezember 2013 im Verkehrsmuseum war gar keine
Eine schöne Veranstaltung, eigentlich. Hatte meine Vorfreude geweckt, fachlich und auch sonst. Kam auch nur fünf Minuten zu spät.
War in diesen fünf Minuten alles Neue bereits verkündet worden? Denn was danach in zwei Stunden folgte, hätte man – mit wenigen Ausnahmen – auch zum Auftakt des Prozesses sagen können.
Sicher, die LH Dresden hat sich mit der gleichnamigen Debatte ein tolles Instrument gegeben, das zu Recht auch überregional Beachtung findet. Die Berichterstattung, wer wann auf welchem Kongress dazu sprach, nahm gefühlt die erste Stunde in Beschlag. Der Moderator mit Architektenhabitus, dessen Namen ich leider nicht behielt, Herr Szuggat und eine Mitarbeiterin seines Amtes lobpreisten sich gegenseitig, sicher auch angebracht, wenn vielleicht nicht unbedingt in dieser epischen Breite. Dann erklärte Dr. Mohaupt, nach welchen Prämissen und mit welchen Szenarien der Verkehrsentwicklungsplan 2025+ aufgestellt würde, auch das keine wirkliche Neuigkeit.
Dann ging es aber doch mal um die Ergebnisse der Debatte. Die Klickzahlen wurden berichtet (4.500), 2.200 Beteiligte seien es gewesen, 1.200 Beiträge gab es, die allermeisten im Block „Infrastruktur“. Inhalte? Fehlanzeige.
Immerhin wurde vom Wunsch-Modal-Split der Teilnehmerinnen berichtet, die inzwischen übliche Vierteiligkeit wird in Dresden noch zugunsten des Fußverkehrs verschoben. Leider beeilte man sich, dieses interessante Ergebnis gleich als „unrealistisch“ zu relativieren.
Erschwert wurde die Verständlichkeit noch, weil man den obligatorischen Beamer zwar dabei hatte, ihn aber so unglücklich platzierte, dass höchstens die erste Reihe des Podiums die eng beschrifteten Folien lesen konnte.
Wenn nicht die etwa 100 Zuhörer gelegentlich etwas Konkretes nachgefragt hätten, wäre die ganze Sache nur an der Oberfläche verblieben. So erfuhr man immerhin, dass die Stadt auch ohne den Segen des Freistaats an der „Straßenbahnlinie 5 aka. 62“ dranbleiben wolle, für die Situation auf der Bautzner (Land-) Straße im Bereich Bühlau kein wirkliches Konzept habe und an einen kostenlosen ÖPNV für alle nicht gedacht sei.
Zwischen den Zeilen war dann noch zu vernehmen, dass man mit der Auswertung der (nach
Aussagen der Bearbeiter äußerst sachlichen und hochwertigen) Beiträge noch nicht durch wäre. Zumindest kam es so rüber, doch siehe unten.
So, und nun? Die geplante Abschlussveranstaltung wurde absolviert, man kann das Häkchen setzen. Dass diese inhaltsarm blieb, wird im Reporting sicher nicht erwähnt.
Aber warum hat man nicht die Größe, eine Veranstaltung dieser Relevanz mal einfach zu verschieben, wenn man sich noch nicht aussagefähig fühlt? Das Weihnachtsfest in Dresden wäre keinen Deut glanzloser ausgefallen deswegen.
Doch, oh Wunder:
Im heimischen Büro angelangt, rief ich die einschlägige Seite auf, (www.dresdner-debatte.de), und was stand da? Ein 89seitiger Abschlussbericht. Mit allen Fakten, die ich in der Veranstaltung so schmerzlich vermisste, sauber aufbereitet. Im Text finden sich so interessante Sätze wie „Die überwiegende Mehrheit der Teilnehmenden sprach sich gegen einen Ausbau aus und forderte eine zweispurige Straße“. Ratet mal, um welche es geht.
Ach Verwaltung, Deine Wege sind manchmal unergründlich.
Doch mein interner Betriebsrat hat heute schon „Feierabend“ gerufen. Deshalb gibt es in den nächsten Tagen noch einen zweiten Teil, „Die Ergebnisse der Dresdner Debatte zum VEP“. Hier, in diesem Theater. Das ist doch schön, oder?
Fidel Zastrow, der Heilige Holger des Lohndumpings
Unbestritten: Es wird sich einiges ändern durch den Mindestlohn.
Obskure Geschäftsmodelle werden zusammenbrechen, eine Marktbereinigung wird stattfinden. Ist das schlimm?
Nein. Das ist notwendig. Wir leben in Mitteleuropa, nicht in einem sog. „Lohnparadies“. Wenn man hier nicht von seiner Arbeit leben kann, wo dann?
Und, das bitte nicht zu vergessen: Vierzig Jahre Arbeit zum heute angepeilten Mindestlohn führen noch nicht einmal zur Mindestrente. Worüber diskutieren wir hier eigentlich?
Ich glaube, es geht schlicht um Menschenwürde. Ein stolzes Wort. Taucht das irgendwo auf, in einem Parteiprogramm rechts der „Mitte“?
Herr Zastrow hat sich entschieden, für den Status quo zu kämpfen. Solchen Entscheidungen gebührt gewöhnlich Respekt, die sich gegen den Mainstream richten, weil man es besser zu wissen glaubt.
Aber hier wird ihn ein beginnender gesellschaftlicher Konsens überrollen, und mit Pizza-Dienst-Betreibern und Low-Budget-Services aller Art allein wird auch die sächsische FDP die nächsten Wahlen kaum überstehen.
Aber das ist völlig in Ordnung so, denn dann wird auch der autosuggestive Selbstbetrug der Sachsen-FDP auffliegen, dass man mit Klientelpolitik a la Zastrow die Partei im Parlament gehalten hätte.
Und dies ist ja nun wiederum gut so.
Die Wahrheit ist hart, Mann!
Vive la Guerre, der Tee ist fertig
„Krieg am Biscuit oder Schlacht ab 8“, theatrale Lesung der projekttheater all-stars im gleichnamigen Haus, gesehen am 21.09.13 (Erstaufführung)
Was für ein Kontrast! Gestern noch Soldaten in Afghanistan mit zerfetzten Eingeweiden im Kleinen Haus, heute das Gabelfrühstück der Generäle. Aber es geht um dasselbe: Es geht um Krieg.
Das Projekttheater hat auch ein Wahlprogramm: Ein fast vergessenes Stück von Boris Vian von 1951 wurde adaptiert, neu interpretiert und in einer theatralen Lesung auf die Bühne gebracht. Eine herrlich absurde Komödie, bei der einem irgendwann das Lachen im Halse verreckt.
General Audubon James Wilson de la Petardiere, Chef des Generalstabs, hat sich gut eingerichtet im Frieden, er bewohnt mit maman, die ihm in allen Lebenslagen zur Seite steht, eine großbürgerliche Villa in Paris und freut sich an seiner schmucken Uniform und dem heimlichen Pernod-Genuss.
Da kommt plötzlich dieser Zivilist, Ministerpräsident Plantin, und will Krieg. Der Wirtschaft fehlen Absatzmärkte, und so eine Armee ist doch ein idealer Verbraucher. Er sträubt sich, aber es ist ein Befehl. Also los, Krieg planen, er lädt den Generalstab zum Tee.
Von denen hat jeder seine persönliche Macke und eigentlich auch keine Lust, aber sie sind Soldaten, und ein Befehl ist ein Befehl. Schnell ist ein Schutzheiliger gefunden, es kann losgehen. Doch erst als der Pernod geleert ist und die Gäste gegangen sind, bemerkt mon general, dass etwas fehlt: Der Feind.
Hektisches Telefonieren mit dem Élysée-Palast bringt keine Lösung, die Entente muss helfen. Dscheneräll Jackson, Generrrall Krokilloff und Genelal Ching-Ping-Ting werden einbestellt. Die haben zwar vollstes Verständnis, stehen aber als Gegner wegen anderweitiger Verpflichtungen grad nicht zur Verfügung.
Der große Plan scheint zu scheitern, da hat der Krieger aus dem Reich der Mitte die zündende Idee: Gegen Afrika! Alle sind begeistert. Nun kann es wirklich losgehen.
Zwei Jahre später, der Generalstab sitzt irgendwo hinter der Front in einem Bunker vierzig Meter unter der Erde und hat vor allem die Aufgabe, seinen Truppen die Führer zu erhalten. Das ist insgesamt ein wenig langweilig, und die privaten Vorlieben der Herren passen einfach nicht zueinander. Die Gesellschaftsspiele scheitern schon im Ansatz.
Abwechslung verspricht der Besuch des immer noch Ministerpräsidenten Plantin, der die Generäle der befreundeten Großmächte mitbringt. Ein Höhepunkt im Kriegs-Einerlei! Zumal General Krokiloff ein Spiel kennt, das alle begeistert: Russisch Roulette.
Die Revolvertrommel wird gedreht, die Pistole wandert. Am Ende sind alle tot, als Letzter jedoch General Audubon James Wilson de la Petardiere. Der hat also gewonnen.
Was für ein grandioser Nonsens, hier hat einer Monty Python schon in den Fünfzigern vorweggeahnt. Soldaten kommen in diesem Stück nicht vor, wozu auch: Der Krieg ist mit Biskuit und Pernod am schönsten, nachmittags so gegen Fünf.
Volltreffer, ich fühle mich versenkt. Dem Projekttheater ist da eine wunderbare Miniatur gelungen, auch wenn es zwischendurch etwas holperte, ganz und gar großartig. Ein herzlicher, deutlich zu kurzer Applaus der leider wenigen Gäste.
Morgen (Sonntag, 22.09.13) nochmal, kurz nach der ersten Hochrechnung. Und dann nie wieder? Schade.
[Mit dem Projekttheater und mir verhält es sich übrigens in etwa wie mit dem saftigen Gras und dem angepflockten Schaf. Aber das kann man ja ändern. Sollte ich ändern.]
