Kategorie: Dresden
Schöner sterben mit Budur
Diesmal auf diesem Wege:
http://www.kultura-extra.de/theater/feull/urauffuehrung__fastganzneu_staatsschauspieldresden.php
Vive la Guerre, der Tee ist fertig
„Krieg am Biscuit oder Schlacht ab 8“, theatrale Lesung der projekttheater all-stars im gleichnamigen Haus, gesehen am 21.09.13 (Erstaufführung)
Was für ein Kontrast! Gestern noch Soldaten in Afghanistan mit zerfetzten Eingeweiden im Kleinen Haus, heute das Gabelfrühstück der Generäle. Aber es geht um dasselbe: Es geht um Krieg.
Das Projekttheater hat auch ein Wahlprogramm: Ein fast vergessenes Stück von Boris Vian von 1951 wurde adaptiert, neu interpretiert und in einer theatralen Lesung auf die Bühne gebracht. Eine herrlich absurde Komödie, bei der einem irgendwann das Lachen im Halse verreckt.
General Audubon James Wilson de la Petardiere, Chef des Generalstabs, hat sich gut eingerichtet im Frieden, er bewohnt mit maman, die ihm in allen Lebenslagen zur Seite steht, eine großbürgerliche Villa in Paris und freut sich an seiner schmucken Uniform und dem heimlichen Pernod-Genuss.
Da kommt plötzlich dieser Zivilist, Ministerpräsident Plantin, und will Krieg. Der Wirtschaft fehlen Absatzmärkte, und so eine Armee ist doch ein idealer Verbraucher. Er sträubt sich, aber es ist ein Befehl. Also los, Krieg planen, er lädt den Generalstab zum Tee.
Von denen hat jeder seine persönliche Macke und eigentlich auch keine Lust, aber sie sind Soldaten, und ein Befehl ist ein Befehl. Schnell ist ein Schutzheiliger gefunden, es kann losgehen. Doch erst als der Pernod geleert ist und die Gäste gegangen sind, bemerkt mon general, dass etwas fehlt: Der Feind.
Hektisches Telefonieren mit dem Élysée-Palast bringt keine Lösung, die Entente muss helfen. Dscheneräll Jackson, Generrrall Krokilloff und Genelal Ching-Ping-Ting werden einbestellt. Die haben zwar vollstes Verständnis, stehen aber als Gegner wegen anderweitiger Verpflichtungen grad nicht zur Verfügung.
Der große Plan scheint zu scheitern, da hat der Krieger aus dem Reich der Mitte die zündende Idee: Gegen Afrika! Alle sind begeistert. Nun kann es wirklich losgehen.
Zwei Jahre später, der Generalstab sitzt irgendwo hinter der Front in einem Bunker vierzig Meter unter der Erde und hat vor allem die Aufgabe, seinen Truppen die Führer zu erhalten. Das ist insgesamt ein wenig langweilig, und die privaten Vorlieben der Herren passen einfach nicht zueinander. Die Gesellschaftsspiele scheitern schon im Ansatz.
Abwechslung verspricht der Besuch des immer noch Ministerpräsidenten Plantin, der die Generäle der befreundeten Großmächte mitbringt. Ein Höhepunkt im Kriegs-Einerlei! Zumal General Krokiloff ein Spiel kennt, das alle begeistert: Russisch Roulette.
Die Revolvertrommel wird gedreht, die Pistole wandert. Am Ende sind alle tot, als Letzter jedoch General Audubon James Wilson de la Petardiere. Der hat also gewonnen.
Was für ein grandioser Nonsens, hier hat einer Monty Python schon in den Fünfzigern vorweggeahnt. Soldaten kommen in diesem Stück nicht vor, wozu auch: Der Krieg ist mit Biskuit und Pernod am schönsten, nachmittags so gegen Fünf.
Volltreffer, ich fühle mich versenkt. Dem Projekttheater ist da eine wunderbare Miniatur gelungen, auch wenn es zwischendurch etwas holperte, ganz und gar großartig. Ein herzlicher, deutlich zu kurzer Applaus der leider wenigen Gäste.
Morgen (Sonntag, 22.09.13) nochmal, kurz nach der ersten Hochrechnung. Und dann nie wieder? Schade.
[Mit dem Projekttheater und mir verhält es sich übrigens in etwa wie mit dem saftigen Gras und dem angepflockten Schaf. Aber das kann man ja ändern. Sollte ich ändern.]
Es geht auch ohne dass man spricht
„Faust ohne Worte“, eine Produktion der Theaterzirkus Dresden gGmbH im Palais im Großen Garten Dresden, gesehen am 15. September 2013, Regie Tom Quaas, Co-Regie Lionel Menard (Wiederaufnahme-Premiere)
Beethoven ohne Musik? Eine Oper ohne Sänger? All das haben wir noch vor uns, vielleicht auch Fußball ohne Ball oder Merkel ohne Programm. Ach nee, letzteres gibt es ja schon.
Doch zuvor die Wiederaufnahme des „Faust“, ganz ohne Worte. Das geht? Und wie das geht! Ich nehme es vorweg: Ich habe den sinnlichsten Faust meines Zuschauerlebens gesehen.
Zuvor will noch die Liste der Gönner und Förderer verlesen werden, endlos lang, doch jeder gebührt Ehre, die dieses Projekt unterstützt. Impressario Quaas tut dies mit Grandezza.
Der Einstieg ist eine Art Kurzfassung von Rainer König (sonst Gott), mir persönlich zu derb, aber als Anheizer mag dies gehen. Doch man muss den Faust schon gut kennen, um folgen zu können.
Ohnehin empfiehlt es sich, Faust I zuvor mal durchzublättern, doch ich finde, das ist nicht zuviel verlangt.
Dann geht es richtig los, Faust (Wolfram von Bodecker) baut an seinem mannshohen Sockel, eine beeindruckende Körperlichkeit, nicht nur bei ihm, das ganze Ensemble ist phantastisch drauf. Dann bricht der Sockel weg, doch das ficht ihn nicht an, einer wie er kann auch über Wasser gehen, da ist Schweben doch kein Problem.
Die Werktreue ist frappierend, manchmal fühlt man sich fast aufgefordert, die passenden Zeilen hineinzurufen, zum Glück kann ich den Impuls unterdrücken.
Der Erdgeist erscheint wie der Sandwurm bei Luke Skywalker, doch der Wagner (großartig Louis Terver) platzt in die Szene. Das Bühnenbild ist nicht nur hier absolut stimmig, Tilo Schiemenz hat’s gemacht.
Faust wird nun ordnungsgemäß gerettet vorm Freitod. Ein sehr charmanter Osterspaziergang, die Kostüme (Sigrid Herfurth) sind ein Gedicht, und nicht nur die. Ein Fest der Sinne.
Der Pudel (Alexander Neander, später dann auch als Mephisto like Gründgens) zeigt Willensstärke, statt seiner apportiert Wagner. Und des Pudels Kern zeigt sich effektvoll. Überhaupt, die Effekte … Henrik Forberg am Licht sei hier stellvertretend für alle belobigt.
Auftritt eines Schülers (Tim Schreiber), am Ende wird das Wissen gerupft, ein hübsches Spektakel. Und dann Auerbachs Keller, sehr witzig, nicht nur hier ist das Schlagwerk (Bernd Sikora) voll auf der Höhe.
Die restliche Musik kommt vom Band, eine solche Produktion kostet ein Schweinegeld, und live ist nun mal teuer. Vielleicht gelingt es ja noch, das Gesamtkunstwerk, ich würd auch gern ein Scherflein dazu beitragen.
Eine nackte Schönheit eröffnet nach der Pause, aha, Hexenküche. Gott wird zur alten Roma, das mag sicher auch die Oma, die NPD wohl weniger.
Eine Verwandlung wie bei Kafka, nur andersrum. Ein junger, strahlend schöner Faust entsteigt dem Pott, er sieht Mephisto verdammt ähnlich.
Gretchen tritt auf, und die Schmetterlinge fliegen. Faust bekommt das erstmal gar nicht gut, aber er ist jetzt hartnäckig und zielfokussiert. Bald ist er in Gretchens Kammer, mit Kette und Ohrringen kriegt man jede rum.
Marthe (Kati Klasse, äh, Grasse) ist hacke, warum nicht. Sie versucht sich eine Zigarre, nun ja, einzuführen, was schließlich unter Beifall auch gelingt. Und Gretchen (becircend Katja Langnäse) ist rollig, anders kann man das nicht nennen.
Mephisto überbringt die Todesnachricht von Marthes Verflossenen, kurze Betroffenheit, doch das letzte Hemd des teuren Toten hat keine Taschen, die Trauer findet so ein schnelles Ende.
Marthens Garten, Mephisto muss und Marthe will. Beim jungen Paar wollen beide, ein Spektakulum der Liebe. Sie kriegen sich herzerweichend, die Gretchen-Frage wird vorerst vertagt. Und dann schläft die Mutter Schlafes Bruder … Yes, they did.
Doch die Bibel wird zum Sarg, und Lieschen (Rebecca Jefferson) zeigt, was passieren kann und wird. Die Musik (Michael Kaden) illustriert kongenial die Entfremdung Fausts von Gretchen, so hab ich das noch nie gesehen.
Da steht sie nun da, künftig alleinerziehend, geächtet, Hartz Vier. Der, der den ersten Stein wirft, ist ihr Bruder Valentin (Renat Safiullin). Fast freut man sich über den tödlichen Stich, den Mephisto ihm verpasst, im Duell mit dem Mädchenverderber Faust.
Und nun? Wir kommen zur persönlichen Schande des Rezensenten: Er verließ den Saal vor der Zeit, bemüht leise, aber voller Scham. Die Premiere im Kleinen Haus lockte (zu Recht, wie sich herausstellte), aber das geht gar nicht.
Eine falsche Zeitplanung, so simpel ist das manchmal. Er gelobt Besserung und wird den Schluss nachsitzen.
Was soll man da am Ende schreiben? Es wurde immer besser, und ich musste gehen. Doch selbst, wenn das Finale versemmelt worden wäre, was ich nicht glaube: Ein großartiger Faust, voller Emotion, voller Leben, voller Magie. Es braucht wirklich keine Worte.
Ganz großes Theater. Muss man gesehen haben.
Die nächsten Gelegenheiten:
17. bis 22. September in Dresden a.a.O.,
27. Oktober in der Theaterfabrik Sachsen in Leipzig.
Und Näheres hier: http://www.faust-ohne-worte.de/index.html
Und alles wegen dieser blöden Töle.
„Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone“, nach dem Roman von Mark Haddon in einer Bühnenfassung von Simon Stephens, Regie Jan Gehler, deutschsprachige Uraufführung, gesehen am Staatsschauspiel Dresden am 15. September 2013 (Premiere)
Ein Händchen hat dieser Koall!
Der Stoff war schon in Hollywood, lag auf Brad Pitts Stapel, ehe der Buchautor Haddon seine Liebe zum Theater entdeckte und in Stephens einen kongenialen Übertrager fand. Und Robert Koall hat das Ding nach Dresden geholt, als deutsche Uraufführung, in die sächsische Provinz, wo Kultur gemeinhin in Übernachtungszahlen gemessen wird. Respekt, Mann!
Es liegt mir (heute) fern, die Handlung nachzuerzählen. Das muss sich schon jede selbst anschauen. Nur ein paar Anmerkungen dazu:
Metaphern sind Lügen, vor allem in der Welt des Aspergers, einer Unterart des Autismus.
Der wäre gern ein (un)lustiger Astronaut, ganz allein da oben, keine Menschen um ihn, nur Zahlen und Computer.
Auf einer Tetris-Bühne (Sabrina Rox) glänzt der Video-Einsatz (Sami Bill) ganz besonders.
Das Drama, eine Geschichte von Überforderung, enthüllt sich nur langsam, aber lavaartig unaufhaltbar. Love changes everything. Doch ein Autist ist eine Belastung, überall, ein klassischer Beziehungskiller.
Ich geb ja zu, ich lass mich auch sonst gerne rühren, zu gerne, aber die Tränchen flossen am Ende in Strömen, und ich konnte nichts dagegen tun. Ein Happy-End, nicht mehr für möglich gehalten.
Aus einer starken Ensembleleistung jemanden hervorzuheben, ist doof. Ich mach es trotzdem. Thomas Eisen als grundanständiger, aufopferungsvoller, verzweifelter, enttäuschter und am Ende wieder hoffnungsvoller Vater, Ina Piontek als Erzählerin und liebevolle Betreuerin Siobhan, Jan Maak, der sich als Spezialist für oberflächlich gute, aber schmierige Charaktere zu entwickeln scheint, Anna-Katharina Muck in drei grundverschiedenen, gut ausgefüllten Rollen, Cathleen Baumann als lebenshungrige und mit diesem Sohn überforderte Judy, die trotzdem noch „die Kurve kriegt“, … Ok, das waren sie ja schon alle.
Bis auf einen: Jonas Friedrich Leonhardi, 23 Jahre alt. Schon in Lollikes „Körper und Kampfplatz“ fiel er mir auf, und nun das. Mag sein, dass manche Rollen einem auf den Leib geschneidert scheinen, aber auch Elfmeter muss man noch verwandeln (Uli Hoeneß ist da mehr als einmal dran gescheitert). Leonhardi nimmt die Pille, legt sie kurz zurecht und drischt sie ohne Anlauf volley rein, mittenmang.
Wenn ich künftig mal eine Frage zu Autismus habe, werde ich ihn anrufen.
Wenn einem so was Gutes widerfährt, ist das doch einen Asperger Uralt wert, oder?
Das verlegene Lächeln der Minderheit
„100 Prozent Dresden“, eine Produktion von Rimini-Protokoll am Staatsschauspiel Dresden am 14. September 2013 (Premiere)
Man kennt sich im Saal, heute noch mehr als sonst. Einhundert Dresdner werden auf der Bühne stehen, die haben ihren Anhang mitgebracht, und in unserem Dorf kennt ohnehin jeder jede über drei Ecken. Wir sind also ganz unter uns.
Am Anfang fränkelt es mächtig, die Chefin des statistischen Landesamtes erklärt die Regeln. Sie macht das sehr souverän, ein paar schöne Spitzen hat sie dabei, insgesamt ist das aber viel zu lang gehalten.
Es wurden also per „Kettenreaktion“ (jede bestimmt ihren Nächsten) Menschen ausgewählt, die Dresden repräsentieren sollen. Dann der Einzelauftritt, jeder hat ein paar Worte zu sich zu sagen, das zieht sich über fast eine halbe Stunde, ist mal witzig, mal albern, auch mal ziemlich peinlich. Im Selbstmarketing ist nicht jeder bewandert, „von Beruf Verschiedenes“ bleibt bei mir hängen, auch die Tupperware-Dealerin und die Vielzahl der Rentner. Eine gute Idee ist es, den fehlenden alten Klotzscher Mann mit einem Schauspielstudenten zu besetzen, 68, NPD, Modelleisenbahn im Keller, einige Leichen vielleicht auch.
Dann die Fragen, von je einer aus der Mitte gestellt, die Gruppe der 100 gibt dazu lebende Bilder. Optisch ist das nett, schön beleuchtet und abgefilmt, aber … irrelevant. Dresden in Zahlen halt. Und, liebes Rimini-Protokoll, fragt bitte mal bei der Bürgerbühne, wie man Laien-Akteure auf der Bühne vor sich selber schützt. Oder geht Euch der Effekt über alles?
Hängen bleibt bei mir der Ausländeranteil in Dresden: Gefährliche fünf Prozent. Ich erkenne, dass wir kurz vor der Überfremdung stehen und stimme insofern dem Klotzscher Wittwer zu.
Manchmal blitzen bei den einzelnen Fragen Geschichten auf, versinken aber sofort wieder in der Beliebigkeit. Das mit dem Tagesablauf ist hübsch, aber austauschbar. Der Herr Dozent muss nachts raus zum Pullern, aha. Dennoch gehört die Szene zu den Besseren des Stücks.
Wenn Relevanz aufkommt, dann hat das mit Sozialem und Persönlichem zu tun. Es gehört Mut dazu, sich als „Hartzer“ zu bekennen, die Ex-Drogenabhängige erntet einen verdienten und herzlichen Beifall, als sie von ihrem Ausstieg erzählt, und auch, sich nicht zu den Heteros zu stellen, ist schwieriger als man glauben mag. Doch diese Momente bleiben leider Ausnahmen.
Eine Frage geht dann auch noch schief, und die Kriegsdefinition von Rimini-Protokoll ist offenbar dergestalt, dass Deutschland dabei sein muss, sonst gilt das nicht als Krieg. „Ich hab die Frage nicht verstanden“, mein Lieblingssatz des Abends.
Anonym tut dem Inhalt gut, clever gelöst mit Dunkelheit und Taschenlampen. Fast alle haben schon mal geklaut. Ja. Ich auch. Ich hätte mir aber auch noch ein paar andere Fragen vorstellen können.
Dann spielen die Bagels, was sicher auch einen Grund hat. Aber sie machen das gut.
Ich ertappe mich dabei, immer öfter auf die Uhr zu sehn. Jetzt ist „Open Mic“, jeder darf fragen, was sie will, selbst das Publikum. Kurzbeschreibung: albern, belanglos, peinlich, doof.
Dann ein Liegestützwettkampf auf der Bühne, hossa, man muss das Muskelpaket also nicht nur rechts haben, sondern auch links.
Geht es noch schlimmer? Ja. Mann darf den Hintern ins Publikum halten. Aufhören!!!
Ein Rettungsversuch mit der Visualisierung von Randgruppen, na gut, das ist sehenswert. Dann ist Schluss, ein tosender Applaus, Dresden feiert mal wieder sich selbst.
Für die 100 auf der Bühne mag das eine tolle Erfahrung gewesen sein, für einige vielleicht auch eine gute Therapie. Für die Freunde und Bekannten davor sicher ein Höhepunkt, den Lieben mal auf der großen Bühne zu sehn.
Für Rimini-Protokoll ist es die finanziell erfolgreiche, routinierte Umsetzung eines bewährten Geschäftsmodells (Start war 2008 in Berlin, seitdem tingelt man durch die Welt, Dresden ist die 15. Station), da bemüht man sich offenbar nicht mal auf die Bühne zur Premiere.
Das Ganze funktioniert theatertechnisch (ich schreibe hier bewusst nicht „künstlerisch“) aber nur, weil da oben so viele sind, die da unten noch so viele mehr kennen. Das reicht für vier gut gefüllte Vorstellungen.
Für den gewöhnlichen Zuschauer ist es ein belangloser Abend.
Sieben Leben hat der Sachse
„King Arthur“, Semiopera von John Dryden und Henry Purcell, Regie Tilmann Köhler, musikalische Leitung Felice Venanzoni, eine Kooperation mit der Semperoper Dresden, gesehen am Staatsschauspiel Dresden am 13. September 2013 (Premiere)
Nachtrag vorweg:
Der Text musste korrigiert werden, zum Glück. Ich war einem Irrtum erlegen: Christian Erdmann hat seinen Aussetzer so perfekt gespielt, dass er mich damit völlig überzeugt hatte. Mea culpa.
Die Szene bleibt großartig, ich fürchte nur, sie wird Teile des Publikums genauso überfordern wie mich.
Endlich mal eine richtige Publikumsbeschimpfung!
Matthias Reichwald lässt im Prolog von Armin Petras nichts aus. Dabei haben die armen Leute schon einiges hinter sich: Eine gute Rede des Intendanten Wilfried Schulz, ein Grußwort-Geseier des Ministerpräsidentendarstellers und kluge Reflexionen der Jüngsten (Lea Ruckpaul) und des Dienstältesten (Albrecht Goette) am Haus. Es war endlich DAS Jubiläum, hundert Jahre Schauspielhaus Dresden, taggenau. Nun haben wir es geschafft und können uns wieder der Zukunft zuwenden.
(Das jener Herr Tillich nach seinem verlesenen Referentenentwurf, in dem man sich auch nicht entblödete, von einem Fenstersturz zu schwafeln, nein, nicht von jenem von Erich Loest, sofort das Weite suchte, ist mir allerdings eine Anmerkung wert. Selbst der sächsische König hatte es vor hundert Jahren immerhin bis zur Pause ausgehalten.)
Zurück zur Kunst. Nach der Schlacht ist vor der Schlacht. Das Gehoppel auf den imaginären Pferden ist kein bisschen peinlich, und jeder, der aus der Szene geht, gesellt sich zu den zahlreich herumliegenden Toten, das ist schon mal ein ordentlicher Einstieg.
Zwei Männer, eine Frau, wie gehabt, und da jene Männer mit Macht versehen sind, ist das Unheil nicht weit. Der verliebte Sachse ist einer der gefährlichsten.
Wir müssen alle Opfer bringen, bei den Sachsen sind es heute sogar drei, die Kraft kehrt damit sichtbar in deren König Oswald zurück. Es geht nun wieder gegen Engeland.
Der Krieg findet in Zeitlupe statt, Freund und Feind sind kaum zu unterscheiden. Überall liegen Leichen, der Luftgeist Philidel (Sonja Beißwenger mit einer neuen Facette, aber wieder großartig) irrt darin verzweifelt herum und wird vom herab fahrenden Merlin (Albrecht Goette) unter Vertrag genommen. Philidel, ein deutscher Deserteur.
Ein Zaubererhimmel aus gehängten Latten, das Bühnenbild (Karolyi Risz) ist nicht nur dabei wonderful, auch bei den güldenen Tüchern – die mal eine wärmende Hülle sind und mal ein Flammenmeer – und bei noch viel mehr. Und der Chor (Leitung Christiane Büttig) singt nicht nur, er spielt, z. B. himmlische Heerscharen und die des Teufels. Great.
Die Briten (u.a. Holger Hübner und André Kaczmarczyk) sind ein wenig zu siegessicher, und König Arthur (Matthias Reichwald, dem ich später noch einen Kranz winden werde) ist sich des blinden, schönen Fräuleins Emmeline (Yohanna Schwertfeger bringt eine neue Klangfarbe ins Ensemble, ein absoluter Gewinn) gewiss. Doch die Sachsen sind nicht totzukriegen.
Christian Erdmann gibt einen zweifelnden Sachsenkönig, der sehr höflich Emmeline entführt, als sich zufällig die Gelegenheit ergibt. Er ist wie so oft eine der Stützen des Abends.
Krieg ist das Geschäft der Könige, vorerst also business as usual, aber dann kommen die blöden Gefühle ins Spiel. Eine amour fou, die Dame wird vorerst nicht gefragt dabei.
Oswald steht Osmond zur Seite, ein „sächsischer Zauberer“, wie das Programmheft weiß. Was das wohl sein soll? Egal, Benjamin Pauquet gibt jenen mit der bei ihm gewohnten Distanz zur Figur und läuft zu großer Form auf, als er sich an die Macht putscht.
Doch vorerst verhindert der von ihm geschaffene feindliche Zauberwald die Befreiung der Jungfer durch King Arthur, selbst der große Merlin ist machtlos und wird intern in Frage gestellt. Und Philidel geht in die Falle von Grimbald, einem erdgeistigen Handlanger der Sachsen. Doch wie er/sie/es sich da wieder rauswindet, ist großes Kino.
„Zauber gegen Zauber“, vorerst unentschieden, auch wenn es Merlin gelingt, Arthur und Philidel in die sächsische Burg zu schmuggeln, wo Emmeline als Gefangene und potentielle Gespielin des Oswald schmort. Diese erhält bei der Gelegenheit ihre Sehkraft zurück, und wie sie nun das Licht der Welt erblickt und dann auch noch sich selbst im Spiegel, ist pure Poesie.
Ein Moment der Glückseligkeit, aber nicht für lange, Arthur und die Seinen müssen fort, ohne Emmeline, der Gegenzauber ist zu stark.
„Lieben oder die Lieb ertragen“, diese Alternativen bieten sich jetzt Emmeline. Ein durchgeknallter Osmond hat Oswald abgesägt und begehrt nun selbst die Gunst der Dame. Trotz der vorherigen Blindheit müssen deren Augen ordentlich blingbling machen können, das Scheusal ist genauso angefixt wie die Herren vor ihm.
Der Jahrtausendhit aus diesem Stück, die Arie des Grimbald (Peter Lobert), kommt dann aber seltsam kraftlos daher, schade. Generell braucht man auch manchmal viel Geduld mit der Oper, und Verständnis für das Plakative.
Fast eine Titanic-Szene nachher, wenn auch ohne Kerl. Osmond lässt folgend voller Liebespein die Hosen runter, das Biest und die Schöne, das Ganze balanciert auf dem schmalen Grat zwischen großartig und peinlich und fällt dann doch auf der falschen Seite runter. Pause.
King Arthur ist nun auf Befreiungstour, fast ein bisschen wie Odysseus. Sirenengesang (Romy Petrick, Arantza Ezenarro) im Zauberwald, he is amused. Auch choreographisch ein Genuss, in dieser Farbenpracht sowieso, wie die schönen Monster herankriechen, immer enger, immer dichter. Doch nur die Liebe zählt, Arthur der Engelartige macht sich frei.
Die nächste Prüfung: Eine Art Emmeline im Baum. Fast wäre er in ihr versunken, doch Philidel erscheint rechtzeitig und enttarnt den wahren Baumbewohner, Grimbald ist es in seiner ganzen Hässlichkeit.
(Dass man im Orchestergraben durchaus gefährlich lebt, zeigt ein fliegender Zauberstab, der sich in den Rücken der Flötistin bohrt, ohne bleibende Schäden gottlob. Man sieht so was gut vom zweiten Rang, Stehplatz.)
Am Ende ein Duell. Oswald ist wieder im Rennen, nachdem sein Stürzer Osmond gekniffen hat. Ziemlich desolat tritt er an, was soll Arthur da passieren? Das geht sicher über höchstens zwei Runden.
Doch was ist das? Der Favorit strauchelt, fällt! Griechenland, äh, Sachsen ist Europameister! Alle sind verblüfft, einschließlich des Siegers. Ein absurd-geniales Ende.
Dennoch geht alles den geplanten Gang, nur der Sieger-Darsteller ist nun halt ein anderer. Er erhält Tochter und Königreich, erstere zeigt sich professionell, letzteres darf singen. Das neue königliche Paar wirkt erst wie Queen Elisabeth mit Prinzgemahl, dann wie die Spelunken-Jenny und Macheath, als es die letzten Arien über sich ergehen lässt.
Da wird zwar versucht, die noch mit etwas Handlung zu untersetzen, sexuelle Verirrungen überall, so richtig spannend ist das aber nicht. Verzichtbar, die letzten zwanzig Minuten, obgleich das Schlussbild noch einmal großartig ist. Ein feierndes Volk, ex-King Arthur steht irgendwo hinten rechts alleine rum. Die Bühnenmaschine zeigt noch einmal, was sie kann, ein Epilog von Petras, der das alles fein nach heute transportiert, dann ist Schluss.
Fast zehn Minuten heftiger, tosender Beifall, viele Bravos, gut verteilt. Gelungen das Ganze, ob man nun die erste Saisonpremiere oder gar die „100 Jahre Schauspielhaus“ als Bezug nimmt.
Hab ich was vergessen? Ja, Matthias Reichwaldens Kranz. Er ist King Arthur mit jeder Faser seines Körpers und ist es dann auch wieder nicht, weil auch er diese Distanz zur Rolle hat, die einen Großen auszeichnet. Er ist absolut geerdet, alles was er macht, ist völlig unspektakulär, und gerade das ist das Umwerfende. Ich erkläre mich erneut und gerne zum Fan.
Die „Halb-Oper“ ist ein interessantes Format, auch wenn Schauspiel und Gesang oft auch nebeneinanderherlaufen, ist es doch ein Erlebnis. Das Libretto bzw. die Geschichte ist in diesem Falle doch mehr Theater als Oper, zum Glück, das füllt schon einen Abend. Ein bisschen mehr Mut zum Kürzen, gerade am Ende, und die Sache wär perfekt gewesen.
Und jedermann erwartet sich ein Fest
Die Vorschau zur 101. Saison des Staatsschauspiels Dresden in einem empfehlenswerten Magazin.
„Der Rausch der Hundertsten ist vorbei; freuen wir uns auf den Rausch der Hundertundersten.“
http://www.kultura-extra.de/theater/feull/saisoneroeffnung_staatsschauspieldresden2013.php
Das kommt alles weg
Wie immer, wenn der Hase der Realität irgendwo angehechelt kommt, ist der Theater-Igel schon da:
http://www.kultura-extra.de/theater/feull/satirischerrueckblick_artus_theaterruine.php
Das Hechtfest ist jetzt auch immer.
Natürlich, liebe junge Eltern, man kann den teuren Kinderwagen auch als Räumpanzer einsetzen, vor allem, wenn man beruflich in dieser Richtung vorbelastet ist. Es gehört sich nur nicht.
Natürlich, liebe Radfahrerdraußen, man kann auch einen Highspeed-Slalom auf der Leo versuchen zur Rush-hour. Aber man begibt sich dann in die Gefahr, nach Freiburg i.B. abgeschoben und der Gruppe Tocotronic zum Fraß vorgeworfen zu werden. Do you know what I mean?
Das soll es aber auch schon gewesen sein mit Genörgel. Es war Hechtfest am Wochenende, und trotz der feierlichen Inbetriebnahme einer neuen Buslinie stromaufwärts kamen die Massen „ins Hecht“, wie wir Auskenner sagen.
Am Freitag schilderte ich bereits live ein interessantes Tennismatch zwischen dem Hecht und einer gewissen Brückenmücke, meine Facebook-Freunde (wie reiht sich dieser Status eigentlich in die bekannte Kette Feind – Todfeind – Parteifreund ein?) werden sich erinnern. Für alle anderen nochmal kurz zusammengefasst anbei:
o Pfandsystem. Schnelles 1:0 für das Hecht. — hier: HechtFest | Freitag | 23.08.2013.
o Blechlawine (sic!). Zweinull. — Ebenda. Die Folgenden auch.
o Bisher kam ich immer pünktlich zum letzten Lied oder die Technik versagte grade. 2:1
o Den Ausdruckstänzer vom Piranha gibt’s auch vor dem Leonardo. Voller Treffer.
o Und J. B. Nutsch kann gar nicht singen. Hecht liegt hinten.
o Geile Reggaemugge im Gras. Oder auch mit. Das Hecht kann wieder ausgleichen.
o Doppelschlag!! Zwei tolle Galerien kurz hintereinander! 5:3, Satzball. Brückenmücke darf jetzt nichts mehr falsch machen.
o Aber schon isses vorbei. Der Verein schänkt mir einen ein und schlägt damit ein As. Der erste Satz geht 6:3 an das Hecht. Die Oroschina is not amused.
o Tja, liebe Sportsfreunde, das war noch nicht das erhoffte große Tennis. Nach souveränem Beginn hat das Hecht die Brückenmücke wohl nicht mehr ernst genommen und diese konnte sich heranpieken. Am Ende war es aber doch eine ziemlich klare Sache.
Wegen des Einbruchs der Dunkelheit werden die folgenden Sätze morgen ausgespielt. Aber eines ist jetzt schon klar: Brückenmücke muss kräftig zulegen, um hier nicht unterzugehen.
Zurück in die angeschlossenen Funkhäuser. . — hier: HechtFest | Freitag | 23.08.2013
Brückenmücke trat am nächsten Tage nicht mehr an, sie war wohl kurzfristig verhindert. Aber so blieb mehr Zeit, sich den schönen Dingen des Lebens zu widmen, von denen im Folgenden zu berichten sein wird. Den Sonnabend lassen wir mal weg, da war für den Berichterstatter nicht viel Schönes dabei, er war woanders.
Der Sonntag Mittag, entspannter Auftakt am TiR Na N’OG im Außendienst. Eine schöne Stimme hat sie, Country-Klassiker, das ist gut und überfordert keinen. Aber als sie Truck Stop interpretiert, wendet sich der Gast mit Grausen.
Jindrich Stajdl auf der Leo-Bühne ist da ein anderes Kaliber. Er hat seinen Sekretär Prochazka und zwei weitere Führungskräfte seines Unternämmens mitgebracht, dazu ein scheisse Blau, ein scheisse Rot, das Weiss ist auch nicht viel besser … Bemmisch Frieschoppen. Manitschka fehlt leider. Aber es fällt ihm dennoch leicht zu beweisen, dass die U-Musik ein Meister aus Böhmen ist. Becherovka!
Ganz nebenbei beweisen die Herren Bürger und Winkler et. al., dass ausgezeichnete Musiker nicht zwingend humorlos sein müssen.
Eine Zugabe, ok. Wenn das Publikum auch so blöd ist, nicht „Zugaben“ zu rufen …
Sie gehen mit Bravour vom Fischfest und ich zum Hecht.Grün, jenem verwunschenen Garten direkt am Bischofsplatz. Eine Kräuterlimo in der Hand, schaukele ich wie in Kindertagen und bin restlos glücklich. Doch irgendwann treibt der Hunger mich wieder raus.
Chicken Dings kann ich nicht mehr sehen, aber es gibt genug Alternativen. Ich schlendere und denke, so muss dass bei der BRN auch mal gewesen sein, irgendwann, weit vor dem Krieg.
Ein Caipi brasil … Eujeujeujeujeujeu. Beschwingt trägt es mich vor den Stand von Quilombo, wo ich endlich einiger dieser großartigen Plakatmotive habhaft werde. „Vorproduzieren lass ich meine Sachen in Deutschland. Die arbeiten da Tag und Nacht. Und sind spottbillig.“ Meine Texte werde ich künftig in Indien vorschreiben lassen.
„Taint it love“ in scottish folk und all die anderen Klassiker, doch, das hat was. Ich lasse mich für ein paar Minuten bei den „Celtic Cousins“ nieder und stehe Stunden später wieder auf. Vor der Bühne tanzen glückliche junge Väter in den späten Vierzigern mit ihrem Nachwuchs. Anything gonna be allright. Auch die versuchte Publikumsdressur tut dem keinen Abbruch.
Ein führendes Glasbiergeschäft mit kommunistischer Vergangenheit versorgt mich mit neuem Treibstoff.
Ich trete ein in den Dom resp. die St.-Pauli-Ruine. Ein Hochamt wird gefeiert. Welche Akustik! Welche Musik. Welche Stimme … Rookfly, unbedingt zu merken. Voller Ergriffenheit vergesse ich zu essen und zu trinken, kann den folgenden Ast aber gleich vor Ort absägen.
Warum wird die Dresdner Philharmonie nicht auf 40 Planstellen gekürzt und in diese Ruine versetzt? Dann könnte der Kulti bzw. das Grundstück drunter doch an USD verkauft werden? Und ins generelle Bild passen würde es auch. (Herr Vorjohann, ich krieg 10 Prozent vom Brutto)
Draußen laufe ich einem GEZ-Gegner in die Arme, der Unterschriften sammelt für eine Petition. Ja, im Prinzip d’accord, aber da er zwar sehr genau weiß, wogegen er ist, aber weniger, wofür, kann ich mich nicht durchringen.
An den (wenigen) Tresen, die ich besuche, werde ich gesiezt. Früher hätte mich das genervt, aber seitdem ich „Die Siezgelegenheit“, jenes großartige Chanson meiner Lieblingslolita kenne, steh ich da drüber.
Dunkeln tut’s inzwischen. Ich gedenke der zu fütternden Katze (welche übrigens gefühlt das Doppelte ihres Körpergewichts täglich scheißt) und wende mich heimwärts. Eine handbestrichene Fettstulle nehm ich noch mit von der Fichtestraße – der grandiose Vodka to go vom Freitag war leider schon alle – entgehe knapp der Wasserschlacht (Peace!) und passiere eine Hebebühne for all. Das passende Bibelzitat behalt ich bei mir, und auch sonst alles, obwohl ein „WC royal“ lockt.
Tja, das Hecht. Logisch wissen wir Kern-Neustädter alle, dass dies feiertechnisch viel cooler als die BRN ist. Nur zugeben würden wir es nie. Und es besteht ja auch noch Hoffnung:
Spieglein, Spieglein an der Frauenkirchen-Wand,
wer hat das schönste Fest im ganzen Land?
Natürlich Ihr, Monarchin de l’Orosz, kein Wunder bei dem vielen Bier …
Aber drüben, hinter den viel zu vielen Brücken, gibt es ein Fest, da ist es noch tausendmal schöner als hier.
Und die Oroschina erbleichte, wurde fürchterlich wütend und schickte im nächsten Jahr ihre Bierwagen.
PS: Zur gewohnt seltsamen Überschrift gilt es zu erklären, dass das angeblich unabhängige Wurst- und Käseblatt der BRN in diesem Jahr erklärte, dass die BRN immer wäre. Die Schweiz wäre ja auch immer.
Man kann da wenig entgegenhalten, nur betonen: Das Hecht ist jetzt auch immer.
