Kategorie: Dresden

Ein Denkmal für die fehlende Barmherzigkeit

In Dresden, am Neustädter Markt, gibt es das Blockhaus. Nach der Zerstörung im Krieg schon in der DDR wiederaufgebaut, gehört es heute dem Freistaat Sachsen, der seine Akademien der Künste und der Wissenschaft sowie die Stiftung Natur und Umwelt dort untergebracht hat. Das (wirklich schöne) Haus besitzt einen repräsentativen Saal, der gern und oft für Empfänge und Veranstaltungen genutzt wird.

Dies wurde wohl (mindestens) einem Obdachlosen zum Verhängnis, der seit einiger Zeit das windgeschützte Portal des Hauses „bewohnte“. Dank zweier Bänke links und rechts der Treppe war dies sicher ein komfortables Lager.

Damit ist es nun vorbei: Der Hausherr hat je zwei Querbalken auf den Absätzen anbringen lassen, dem Denkmalschutz gehorchend natürlich aus Sandstein. Mit der Bequemlichkeit ist es nun vorbei.

Ich wurde durch eine Postkarte von Tobias Stengel, die in einigen Neustädter Lokalen ausliegt, darauf aufmerksam und schaute mir die Sache heute mit eigenen Augen an. Lang kann die Baumaßnahme noch nicht vollendet sein, der Mörtel unter den Balken wirkte recht frisch.

 

So weit, so sachlich zur Tatsache. Nunmehr begeben wir uns in den Bereich der subjektiven Meinung.

Ist euch denn gar nichts zu peinlich, ihr freistaatlichen Hausverwalter? Muss man seine Abneigung gegen den wohnungslosen Abschaum derart deutlich demonstrieren? Habt ihr Angst, eure Gäste mit (einem Teil) der Dresdner Realität zu konfrontieren? Mich erfasst die berühmte Fremdscham. Ich kann nichts dafür, ich wohn nun mal hier und hab mir diese Regierung mit ihrem Apparat nicht ausgesucht. Aber ein Mindestmaß an Anstand und Empathie hätte ich mir von einer christlich (!!) und liberal (!) geführten Verwaltung doch erwartet.

Wir wollen uns nicht missverstehen: Sozialromantik ist mir fremd, ich weiß auch, dass selbst mit mehr Geld (was sicher bitter nötig ist) das Problem der Obdachlosigkeit nicht vollständig zu lösen ist. Aber manchmal geht es eben auch um Symbolik, um Botschaften. Und hier versagt der Freistaat mit schöner Regelmäßigkeit jämmerlich.

Eine nicht-beweisbare Boshaftigkeit: Dieselben Leute, die die Anbringung dieser Pennersperren angeordnet haben, stehen sicher mit reinem Herzen in der Menschenkette am 13. Februar. Das ist ja auch was ganz anderes, wohlfeil und tut nicht weh.

Ich versuche mir vorzustellen, wie das gelaufen sein mag am Blockhaus. Wer hat wohl den ersten Stein geworfen? „Schaffen Sie den mal diskret weg, unsere Gäste wollen so was nicht sehen.“

Danach vielleicht der Form halber eine Umfrage unter den Mietern:
„Rein wissenschaftlich betrachtet sind Obdachlose eine verschwindende Minderheit, in erster Näherung existieren sie gar nicht.“
„Aus künstlerischer Sicht ist die Beschäftigung mit dem Thema Armut hochinteressant, aber die Lagerung dieses Herrn von unserer Tür kann keinesfalls als Performance gewertet werden, dazu fehlt es an den berichtenden Medien.“
„Nach Durchsicht unserer Unterlagen müssen wir Ihnen mitteilen, dass die Spezies „Obdachloser“ auf keiner Schutzliste zu finden ist. Aus umweltfachlicher Sicht bestehen deshalb keine Bedenken zur Umquartierung“.

War es so? Fast fürchte ich, ja.

Also trat eines grauen Morgens ein Trupp Handwerker an, lud die zuvor zurechtgeschnittenen Balken ab und machte sich ans Werk. Ob jener Bewohner dabei vor Ort war, weiß man nicht. Wenn ja: Im Umfeld gibt es genug Ministerien, deren Wachen sicher nichts gegen eine kleine Abwechslung hatten.
Die ganze Sache brauchte sicher kaum einen halben Vormittag, auf unsere Handwerkskunst sind wir Sachsen stolz. Und das Leben geht für (fast) alle ganz normal weiter.

 

Und nun haben wir also ein neues Kunstwerk in Dresden. Danke.
Es thematisiert die fehlende Barmherzigkeit der offiziellen Gesellschaft, das Verdrängen-Wollen von unangenehmen Zivilisationserscheinungen aus dem öffentlichen Raum. Mit einer schlichten, aber wirkungsvollen Symbolik – nicht mehr als vier Sandsteinbalken, die quer zu früher als Schlafplatz genutzten Bänken angebracht wurden – vermittelt uns der Künstler eine klare Botschaft: „Die“ sind hier nicht erwünscht.
Selten hat ein öffentlich finanziertes Werk eine solch präzise Aussage vorzuweisen. Gesellschaftskritik kommt hier in unauffälliger Form daher, niemand wird konfrontiert mit dem Thema, aber jeder ist eingeladen, darüber nachzudenken.
Man darf sich auf weitere Werke dieses begabten Künstlers freuen.

Unsere tägliche Schuld gib uns heute

„Die Fliegen“ von Jean-Paul Sartre in der Regie von Andreas Kriegenburg, gesehen am 8. Februar 2013 im Staatsschauspiel Dresden (Premiere), 95. n.u.S.

  

Wie zu erwarten beginnt es mit einer Überraschung. Franko-Pop, Playback-Show des Orest, die Erinnyen tanzen in schwarz. Über allen thront ein Bildnis des Erdmann Jupiter, die Sache entwickelt sich – nächste Überraschung – zum Slapstick mit Witwe.

Dann der Auftritt der Fliegen, mit Menschen dran, eine hübsche Idee. Jupiter erscheint nun wirklich. Er ist der Einzige, der nicht leichenblass ist.

 

Pünktlich zum hiesigen Totensonntag erscheinen Orest und sein pädagogischer Begleiter in seinem Heimatkaff Argos. Was sie hier wollen, wissen sie selbst nicht so richtig. Lautsprechertürme bilden die karge Bühne, in der Mitte besagtes Jupiter-Bildnis.

Elektra, eine fraugewordene E-Gitarre, tanzt mit den Müllsäcken, kurzzeitig sieht die Bühne aus wie die BRN frühmorgens. Aber das wird schnell weggefegt. Schwesterchen hat Brüderchen noch nicht erkannt.

 

Auf einmal ist man mittendrin in der Familienhölle. Schön die Puppen, das ermöglicht viele Zeitsprünge hin und zurück. Der Fluch des Verbrechens lastet auf der Mutter Klytämnestra, in ihrer Tochter hasst sie eigentlich sich selbst.

Die Bürger von Argos sind alle Untote, sie stürmen das Parkett. Reihe 16 ist manchmal durchaus ein Vorteil. Es ist dann viel los auf der Bühne, Bürger und Masken von Bürgern vermischen sich, durchaus mitreißend.

Das Volk hat jährlich 24 Stunden mit seinen lieben Verblichenen zu verbringen, eine nette Idee. Die Angst davor frisst schon mal die Seele auf. Hier ist die Reue Masochismus, der Mensch ist schuldig, so lange er lebt. In Summe wirkt das alles staatstragend.

 

Die Feier beginnt. Der Große Priester (Tom Quaas) und Ägist (Benjamin Höppner) ziehen die übliche Show ab, eine faszinierende Szene. Man fühlt sich selbst fast ein bisschen schuld.

 

Auftritt Elektra, Auftritt Sonja Beißwenger, zweifellos eine der Attraktionen des Abends. Sie tanzt. Und wie sie tanzt. Aber noch hat sie den Bruder nicht erkannt. Eine indirekte Diskussion, was wäre, wenn Orest auf einmal da wäre … Aber der will nicht so recht. Frieden ist ein hohes Gut.

Dann fällt die Maske. Aber Elektra ist mäßig begeistert. Was ist mit dem Fluch der Atriden? Ist er denn kein echter Atrid? Er soll endlich gehen. Aber er geht nicht. Er kann nicht.

 

Gibt es einen Zwang zur Rache? Ist die Vendetta schon erfunden? Elektra weiß alles vorher, ohne Kassandra zu sein. Und kann es doch nicht verhindern.

Die Wandlung des Orest zum finsteren Rächer kommt ein wenig überraschend. Aber jetzt geht’s lo-hos.

Die Wachen im Palast vollführen einen Slapstick und suchen nach dem Attentäter. Wir kriegenburgen euch! Der Fliegenschmuck des einen hält nicht stand, die Szene insgesamt ist auch verzichtbar.

 

Der amtierende König Ägist tanzt mit der Fliegenklatsche und glaubt seine eigenen Märchen. Ein letzter Walzer des hohen Paares. Nele Rosetz als Klytämnestra ist dazu verdammt, öfter einen affektierten, hohen Ton anzuschlagen, der manchmal nervt, ist ansonsten in ihrer Rolle aber sehr stimmig.

Oh-oh, Orest. Man ahnt das drohende Unheil. Er wird die Tat nicht bereuen, und das nutzt Jupiter nichts. „Die Menschen sind frei, nur sie wissen es nicht“, außer Orest eben. Deswegen hat Gott keine Macht über ihn, deswegen steuert er nach Kräften gegen. Aber auch er hat keine Allmacht. Ägist ist müde. Soll der doch …

 

Dann wird in epischer Breite geschlachtet, bisschen zu breit für meinen Geschmack. Ein Spritzer vom Blut benetzt Elektras Kleid und löst hysterische Reaktionen aus. Fortan kehren sich die Rollen um.

 

 

Nach der Pause finden wir einen feucht-glitschigen Untergrund vor, Elektra und Orest liegen im Schlafe mittendrin. Die nunmehr weißgewandeten Erinnyen empfangen ihre neue Bluttaufe, es ist Frischfleisch da.

Wie die Weberschiffchen flitzen die Greisinnen auf der nassen Bühne hin und her und verwünschen dabei das Geschwisterpaar. Und tatsächlich, bei Elektra werden die toten Augen ihrer Mutter diagnostiziert.

Elektra beginnt zu bereuen, das Paar droht getrennt zu werden. Eine große Szene, vor allem wegen der Körperlichkeit der Beteiligten. Jupiter schließlich legt sie flach, rein metaphorisch verstanden.

An Orest aber beißt er sich die Zähne aus, am Ende bettelt er um Gehorsam, weil sonst doch die Welt aus den Fugen geriete. Aber das Geschöpf, was er erschaffen hat, folgt ihm nicht. Orest hat seine eigene, ganz persönliche Freiheit, an der er festhält.

 

Christian Erdmanns Jupiter ist für mich der rote Faden des Stücks, auch wenn man ihm ein lächerliches Kostüm aufgezwungen hat, beherrscht er die Szenerie. In allen Phasen ist er souverän, fast wird das Stück zur Jupiterie.

Die Rolle des Orest dominiert an sich die Aufführung. Diesem Anspruch ist Christian Clauß nicht ganz gewachsen, er ist auf Augenhöhe in den Massenszenen, aber seine Monologe geraten für meinen Geschmack zu eindimensional mit dem fortwährenden Gebrüll. Hier verschenkt er Gestaltungsmöglichkeiten, die auch der Körpereinsatz nicht wettmachen kann. Eine sicher gute Leistung, die aber an Beißwenger und Erdmann nicht heranreicht.

 

Inzwischen erhielt Elektra ihre Bluttaufe und verschwindet endgültig im Volk von Argos.

Noch ein großer Dialog, nochmal großartige Bilder. Orest wird mit Blut bespuckt, die Erinnyen wird er nie mehr los.

Flucht? Nein. Orest tritt vor seinen Palast und lässt sich steinigen für das und von dem Volk, das er doch befreien wollte.

 

(In der ursprünglichen Orestie gibt es am Ende ein Gottesgericht, jene berücksichtigt aber auch den Anfang der Geschichte, mit Iphigenie und dem gar nicht so strahlenden Helden Agamemnon. Insofern ist das schwer zu vergleichen.)

 

 

Das im Wortsinne am Ende glatte Dresdner Parkett hat Andreas Kriegenburg gut gemeistert, nicht nur beim üppigen Schlussapplaus. Vielleicht hätte man ihm da auch einen roten und vor allem rutschfesten Teppich ausrollen können, verdient hätten er und das Ensemble es allemal. Und dem Arbeitsschutz wäre auch Genüge getan.

 

Während der Intendant hinterher von einem „blutigen Abend“ sprach und seine Schauspieler berechtigt lobte – dabei allerdings über den Regisseur kein Wort verlor – bezeichnete jener in der SächsZ vom selben Tage das Stück als „nebenbei geprobt“. Nun ja, ich weiß nicht, wie die Schauspieler das empfinden, aber dann möchte ich gern mal ein richtig geprobtes Stück von Herrn Kriegenburg sehen.

Mit dieser Inszenierung zeigt er auf jeden Fall, dass er einen eigenen, deutlich erkennbaren Stil hat. Sie reiht sich in die obere Klasse der Aufführungen der letzten Jahre ein, ohne darüber hinauszuschießen. Die Formulierung „der K. kocht auch nur mit Wasser“ wäre sicher zu billig, aber eine Offenbarung hat das Staatsschauspiel Dresden an diesem Abend nicht erlebt. Dazu ist hier wohl auch das allgemeine Niveau zu hoch.

 

In Dresden sind wir alle weltberühmt

Es gibt sicher niemanden (von der Familie Wettin mal abgesehen), der über die Tatsache, dass es derzeit im Freistaat Sachsen keinen König gibt, trauriger ist als die Unterhaltungsredaktion des Mitteldeutschen Rundfunks. Dem amtierenden Freistaatsoberhaupt merkt man seine Abstammung von sorbischen Ackerbürgern leider dann doch an, der Glamourfaktor ist vernachlässigbar.

 

Schmerzlich bewusst wird uns dieses bei Gelegenheiten wie dem nach eigener Aussage bedeutendsten deutschen Ball (wie misst man das eigentlich?): dem SemperOpernball. Seit 2006 wird diese Festivität vom Verein „Semper OpernBall e.V.“ zelebriert, es ist also eine private Veranstaltung, was gern vergessen wird. Kopf des Vereins ist der in Dresden gut bekannte Hans-Joachim Frey, bis 2007 Operndirektor am Hause. Sein weiteres Wirken als Intendant am Theater Bremen war nicht von Glück begleitet, nach dem Versenken von 2,5 Mio. Euro nahm er dort 2010 den Hut.

 

Besser läuft da schon der Dresdner Opernball, hier ist man dankbar für jeden Hauch der großen weiten Welt, auch wenn man nicht immer ein glückliches Händchen mit seinen Stargästen hat. Jene werden durch die Verleihung eines absonderlichen Preises (seit 2010 „St. Georgs Orden“) angelockt, auf welchem der Hl. Georg zu Pferde sowie der Sinnspruch „Gegen den Strom“ (lateinisch, damit es nicht so peinlich ist) zu sehen sind. Den haben inzwischen so bekannte Gegen-den-Strom-Schwimmer wie Kurt Biedenkopf, Henry Maske, Roman Herzog und – das ist sicher bekannt – Wladimir der Demokratische erhalten, auch Michael Jackson, ja, kleiner hammer’s nicht. Jener konnte sich allerdings nicht mehr wehren, der Preis wurde ihm posthum hinterhergeworfen, eine seiner zahlreichen Schwestern vertrat ihn würdig.

 

Herausragende Persönlichkeiten, die sich um Deutschland … und um Sachsen verdient gemacht haben“ werden ausgezeichnet. Interessanter Denksport, was wohl Roger Moore und Ornella Muti da zu bieten haben. Auch bei José Carreras fällt mir nicht gleich was ein, bei Putin ist die Sache allerdings klar: Schließlich hat er einige Jahre in Dresden für Ruhe und Ordnung gesorgt.

Noch eine Nörgelei gefällig? Genau zwei der fünfundzwanzig bisher Bedachten waren Frauen (und sind es vermutlich immer noch). Das erreicht bestes CSU-Niveau, und wenn das Verhältnis im Parkett ähnlich aussähe, müssten sich doch viele Männer bunte Tücher um den Arm binden und sich dann Mühe geben, nicht zu führen beim Walzer. Aber das tun sie ja meist ohnehin nicht.

 

Aber, wie schon gesagt: Es ist eine private Veranstaltung, es ist auch ein privater Preis, und seine Jodeldiplome kann jeder verleihen, an wen er möchte. Eigentlich.

Nun ist es aber so, dass dieser Ball durch die Anwesenheit des und durch die Eröffnung durch den sächsischen Ministerpräsidenten eine quasi-staatliche Bedeutung erhält. Auch schritten bereits eine Reihe von Bundespräsidenten den roten Teppich entlang, zuletzt Herr Wulff, und heuer ist „Berlin“ mit Peter Ramsauer vertreten, der bestimmt auch irgendwie zuständig ist und sein stählernes Lächeln mitgebracht hat.

Warum diese Vorrede? Weil es Dresden bzw. der Ballveranstalter wieder mal geschafft haben, mit dem Arsch ins Fettfass zu plumpsen. Selbst bis ins provinzielle Dresden sollte es sich herumgesprochen haben, dass jener Monsieur Depardieu, den man als Star- und Überraschungsgast gewonnen hat, derzeit eine kleinere steuerliche Auseinandersetzung mit seinem Geburtsland Frankreich hat und deswegen sozusagen fiskalisches Asyl bei einem vorherigen Preisträger beantragte. Dies ist mitnichten seine Privatsache, wenn ihm sogleich dieser Orden an den aufgedunsenen Leib geheftet wird. Und war da nicht eben noch was mit 50 Jahre Elysée-Vertrag? Gut, die Feiern sind vorbei, da wollen wir mal wieder Francois ein bisschen ärgern. Fingerspitzengefühl in Dresden und Berlin? Haben wir gar nicht nötig.

Ich hoffe sehr, dass jetzt M. Hollande Christian Wulff zum Ritter der Ehrenlegion ernennt, dann wären wir quitt.

 

Aber mit diesen abwegigen Gedanken werden sich die Gäste in und vor der Semperoper nicht plagen. Man muss anerkennen, dass das Management recht clever ist: Das Ding mit den Elefanten war nicht mehr zu kontrollieren, man weiß ja, wozu diese Tierschützer fähig sind, nöch? Das hätte hässliche Bilder gegeben, selbst der MDR hätte nicht drumrum filmen können. Also kurzfristig gecancelt, Respekt.

 

Wirtschaftlich brummt das Ding offenbar, die Karten scheinen alle weg zu sein, bei Preisen von 1.900 Euro bis runter zu 250 Euro (2. Klasse, Stehplatz) nicht unbedingt selbstverständlich. Wie viele werden die Karten wohl selbst bezahlt haben?

 

Man darf dabei durchaus fragen, ob es zu den Aufgaben des MP gehört, private Feiern zu eröffnen. Und selbst wenn – was ich in diesem Fall noch nachvollziehen kann – wäre der Preis für die Eintrittskarten für ihn und Frau Gemahlin doch als geldwerter Vorteil zu versteuern, wenn den der Freistaat bezahlt hat? Oder gab es gar keine Rechnung? Dann wär es Vorteilsnahme. Auweia, wenn das jemand liest …

Bei Herrn Bundesminister kann mir niemand glaubhaft machen, dass er „Verkehr, Bau und Stadtentwicklung“ an diesem Abend wesentlich voranbringt. Aber vielleicht hat ihn Frau Merkel geschickt, um oben genannten Fauxpas auch bundesamtlich zu beglaubigen. Dann wäre er aus Gründen der Staatsräson da.

 

Die übrigen Gäste sind klug ausgewählt. Herr Ballack kann seinen Werbe-Marktwert etwas aufpolieren, was sicher nur noch im Osten funktioniert, Herr Winterkorn lässt sich feiern, dass er in Sachsen weiter Autos bauen lässt und das Piech-Denkmal am Großen Garten nicht schleift, M. Juncker holt sich seinen ihm zustehenden Orden und dankt schon im Voraus auf der Website artig, wenn auch inhaltlich etwas schräg. Und Lauterbach lässt sich von seinem Zwilling im Geiste namens Ochsenknecht lobhudeln, im nächsten Jahr erleben wir das Traumpaar des schlechten Geschmacks vielleicht andersrum.

Zu Gerard Depardieu fällt mir noch ein, dass es in den Technischen Sammlungen am 4. und 5. April „Die letzte Metro“ gibt, ein Meisterwerk von Truffaut mit Catherine Deneuve und ebenjenem Spätverblödeten.

 

 

Prinzipiell, liebe Leser, hab ich nichts gegen sowas wie Opernbälle. Es soll doch jeder nach seiner Facon selig werden. Solange die freistaatliche Semperoper nicht auf den Kosten sitzenbleibt und den Einnahmeausfall (immerhin blockiert der Ball vier Tage lang das Haus) ersetzt bekommt, sollnse doch machen. Die Polizei tritt leider wie sonst auch kostenlos an, wenn auch nicht umsonst. Und die DVB wird ja wohl die Umleitungsaufwendungen in Rechnung stellen.

Auch die wirtschaftlichen Aspekte sind sicher nicht zu unterschätzen, grade im hochpreisigen Segment. Und die Arbeitsplätze in diesen Tagen. Und der Imagefaktor … Jaja.

Aber man kann sich ja trotzdem drüber lustig machen.

 

Zum Beispiel über die Bedeutungshuberei der Medien. Bei den bunten Blättern kann man das verstehen, das ist ja ihr Kerngeschäft, aber das vermeintlich rationale Zeitungen an der Spitze der Bewegung stehen, ist schon seltsam. Die SächsZ hat einen Twitterkanal geschalten und berichtet alles, was ihr so auf- und einfällt. Frau Derek ist ohne Mann da! Ich überlege kurz, doch noch hinzufahren. Und entscheide mich positiv. Mal sehen, was da so für Leute sind.

 

Es nieselt, manchmal schüttet es auch.

Die üblichen Verdächtigen schlurfen durch ein schmales Spalier von Schaulustigen und durchs Foyer, sicher steckt eine ausgeklügelte Logistik dahinter, die Hackordnung zu beachten und jedem Sternchen genug Aufmerksamkeitszeit zu schenken.

Zwar bin ich nicht im Besitz eines Fernsehgerätes, könnte mir also später nicht mal in einem Maso-Anfall den Rest der vierstündigen Hofberichterstattung des MDR ansehen. Aber ich erlebe die erste Stunde live mit und kann mir gut vorstellen, was noch kommt.

 

Witzig ist das, was auf dem Theaterplatz stattfindet. „SemperOpenairball“, auf so einen Namen muss man erstmal kommen.

Man kann dort: Sich langsam einregnen lassen, am Public Viewing vom Ballsaal teilnehmen, Bratwurst essen, den Jubelperser geben, mitgebrachten oder überteuerten Alkohol verzehren, die Aufstellung eines Weltrekords „wagen“ (nämlich dem Auf-glattem-Pflaster-so-tun-als-ob-man-Walzer-tanzt in einer noch nienienie dagewesenen ganz großen Gruppe), oder – Höhepunkt! – mit Gotthilf Fischer-Dübel und Roberto „Blacky“ Blanco ein Lied einüben! Es handelt sich dabei um das bekannte deutsche Volkslied „Moskau, Moskau“, womit wir erstens wieder bei Putin wären und zweitens endlich den Grund in diesem Meer von Schwachsinn erreicht haben, was mit dem neuen Text des Siegelschen Gassenhauers auch bewiesen wird.

 

Die genannten Herren zu kritisieren, gehört sich nicht. Schlimm genug, wenn man in diesem Alter noch arbeiten muss, zumal man sich sichtlich mit gerontotypischen Krankheiten rumschlägt. Ich bedecke diese Kadaver des Niveaus mit einem großen Tuch voller Barmherzigkeit und Milde.

 

Zwei euphorisierte Moderatoren auf der Bühne vor der Oper mühen sich nach Kräften, das doch ziemlich zahlreich erschienene Volk bei Laune zu halten, damit es seiner Hauptaufgabe nachkommen kann: Den Promis zuzujubeln. So wird auch ein schlichter Ballbeginn zu einem Ereignis, dass der Jahrtausendwende in nichts nachsteht.

 

So wie es Berufsbetroffene gibt, gibt es auch Berufsprominente. Einer, der dazu auf bestem Wege ist, wird vor das Mikrofon gezerrt. Michael Ballack ist solo da, Sensation! Und er will gar nicht tanzen! Das geht ja wohl gar nicht. „Ok, notfalls tanz ich mit meiner Mam“, hoffentlich hat das die Dame nicht gehört.

Flanierkarteninhaberinnen, aufgepasst. Hier geht was …

 

Wolfgang Stumph hat Geburtstag, na so ein Glück. Auch er darf sein Gesicht ins Fernsehen halten.

Auftritt Herr Tillich nebst Gattin. Völlig überraschend fällt die Reporterin über ihn her und fragt das Übliche. Nein, Herr Tillich, es gibt Sprechblasen, die nicht überall passen. „Mit der Unterstützung der Menschen hier draußen“ lässt sich ein Eröffnungswalzer nicht überstehen. Aber es wird schon gehn, ist ja nicht das erste Mal.

 

Ebenjene Menschen hier draußen sind äußerst gutwillig, machen brav alles, was die Moderatoren verlangen. Ihr da drin, wir hier draußen, das geht schon in Ordnung. Ein bisschen was vom Glanze fällt sicher ab.

Selbst das sturzdumme Liedchen wird mitgebrüllt und bejubelt, wenn es schon nichts mit dem Massenwalzerrekord werden sollte, zumindest den bei Peinlichkeit pro Quadratmeter haben wir erreicht.

 

Dann endlich ist es Neune. Emmer-wieder-Emmerlich eröffnet, das ist sein Parkett, hier ist er souverän. Das Girlie an seiner Seite kenn ich nicht, aber ein schönes Kleid hat sie an.

Einmarsch der Ehrengäste. Ballack zusammen mit Juncker, vielleicht geht ja auch da was. Frau Ferres und Herr Maschmeyer, ich überlege kurz, wie vielen hier draußen er wohl die Ersparnisse geleichtert hat. Waldi Hartmann, keine Feier ohne Meier, am Arm einen Ochsenknecht. Lauterbach gelackt wie immer, Bo Derek sieht von weitem noch recht frisch aus. Zum Schluss das Letzte: Ein früherer Sympathieträger namens Depardieu. Mon Dieu.

 

Dann gibt es ein bisschen Zirkus, wie vermeldet ohne Elefanten, was natürlich keiner erwähnt beim MDR.

Und nu? Eigentlich wollte ich bis halb Elf bleiben, wenn das Frischfleisch in den Saal gelassen wird. Aber was mach ich bis dahin? Die Laudatoren kann ich mir unmöglich anhören, ich würde auf dem Theaterplatz zur geistigen Revolution aufrufen müssen, was natürlich keiner befolgen würde bzw. könnte. Also kurzentschlossen Abmarsch. Feiert euren Ball doch alleene, ich hab genug gesehn.

 

Das Fazit:

Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Aber nehmt Euch bitte nicht so wichtig.

 

Vielleicht schlachte ich ja doch mein Sparschwein und kauf mir im nächsten Jahr auch einen Logenplatz. In meinem Bekanntenkreis gibt es genug Damen, denen Kleider sehr gut stehen und die auf diese Festivität abfahren. Dann kann ich beim DressurTanzen der DebütantInnen zusehen (bestimmt lecker) und komm ins Fernsehen. Vielleicht kann ich auch einer anderen Dame weismachen, ein C-Promi zu sein, gibt ja genug Fernsehsender, die kann man unmöglich alle gucken.

 

Dann würde ich mir aber wünschen, dass diesmal der große Rainer Brüderle, unser Handtaschen-Berlusconi in der Pfälzer-Leberwurst-Edition, einen Preis bekommt. Verdient hätte er den mit Sicherheit.

 

 

Drüben (ich bin wieder auf der anderen Elbseite angelangt) ist das Festival der Irrelevanz nun in vollem Gange. Ich kann mir vorstellen, so nach Zwei kann es ganz nett dort sein. Naja, hier ist es auch schön.

Der Himmel ist unteilbar

„Der geteilte Himmel“ nach Christa Wolf in der Regie von Tilman Köhler, für die Bühne bearbeitet von ihm und Felicitas Zürcher, gesehen am 19. Januar 2013 im Staatsschauspiel Dresden (94. Premiere n.u.S.)

Ich nehme es vorweg: Schon lang nicht mehr hat mich ein Stück derart angerührt und begeistert.

Die Geschichte nachzuerzählen, ist in diesem Landstrich wohl eher albern. Ich beschränke mich auf einige Schlaglichter.
Zuerst die Bühne (Karoly Risz): Mal hängt der Himmel ganz tief, mal lässt er etwas Luft zum Atmen. Dann wird der feste Boden unter den Füßen plötzlich schräg und schräger, die Protagonisten haben Mühe, sich zu halten. Ein sparsamer Videoeinsatz (Michael Gööck) ergänzt dies kongenial.
Die Musik (Jörg-Martin Wagner): Eine einzige Geige auf der Bühne, gespielt von Maria Stosiek, ersetzte ein ganzes Orchester. Großartig.
Klug ausgewählte Kostüme (Susanne Uhl) setzen ihre eigenen Höhepunkte.

Schon der Prolog ist ein kluger Schachzug: Mit Texten u.a. aus „Stadt der Engel“ wird das Thema in die Zeiten eingeordnet. Dies bleibt aber die einzige Aktualisierung, ansonsten erleben wir die Handlung im Wechselspiel zwischen Ritas Krankenhausaufenthalt und dem eigentlichen Geschehen.

Die dramaturgische Idee, Rita in drei Personen aufzuteilen, eine vor und eine nach „dem Anschlag auf sich selbst“ und eine, die sich viel später daran erinnert, ist der Grundstock der Inszenierung. Und was für einer! Man kann Felicitas Zürcher dazu nur beglückwünschen.
Aber die Abgrenzung ist kein Dogma, die Ritas werfen sich die Bälle zu, wenn es um das Erzählen der Geschichte geht.

Überhaupt: Eine elegante, zum Teil indirekte Behandlung des Stoffes durch die Schauspieler bringt den Roman zum Klingen auf der Bühne.
Albrecht Goette, Ahmad Mesgarha und Philipp Lux brillieren in verschiedenen Rollen, sind mal Arbeiter, mal Chemiker, mal Familie. Hannelore Koch merkt man die Identifikation mit der älteren Rita deutlich an, und auch als Frau Herrfurth ist sie überzeugend.
Annika Schilling spielt die kranke Rita, den Punkt, von dem aus sich die Geschichte letztlich aufbaut. In ihrer letzten größeren Arbeit in Dresden (Gott sei es geklagt) setzt sie wiederum ein Glanzlicht. Wir werden sie vermissen.
Ich gebe zu, ich bin ein Fan von Matthias Reichwald. Dessen unprätentiöse, aber unglaublich energiegeladene Spielweise hab ich noch in jeder Rolle bewundert. Auch diesmal war er ein Ereignis.
Und, die größte Ehre zuletzt, Lea Ruckpaul. Ich gebe zu, ich war skeptisch, als ich sie auf den Plakaten sah. So jung und so eine Rolle …? Aber ich tue Buße: Diese Bühnenpräsenz, diese Klarheit im Ausdruck, diese Verletzlichkeit und Stärke … Die Nachricht, die sich auf den hinteren Programmheftseiten versteckte, ist nur folgerichtig: Ab der nächsten Saison gehört sie fest zum Ensemble.

Tilman Köhler als Regisseur gelingt es, dies alles zu einem Gesamtkunstwerk zusammenzufügen. Er ist – für mich – wieder auf dem Niveau der „Hl. Johanna“, auch wenn die Arbeiten dazwischen auch nicht schlecht waren.

Der Inhalt des Stückes bzw. des Romans? Ist doch schon tausendmal diskutiert und besprochen worden, ich wüsste nicht, was ich da hinzufügen könnte. Letztlich muss jeder selber sehen, wie er sich zu der Grundfrage des Textes stellt. In dieser Form tritt jene heute ohnehin nicht mehr auf. Oder gibt es noch eine Ideologie, für die es sich lohnt, eine Liebe scheitern zu lassen?

Bedaure, ich habe nichts zu bekritteln. Ein ganz großer Wurf.

Oben geblieben ist noch keiner

„Baumeister Solness“ von Henrik Ibsen in der Regie von Burghart Klaußner, gesehen am 17. Januar 2013 im Staatsschauspiel Dresden (93. Premiere n.u.S. [nach unserer Schulzrechnung])

Man muss schon viel guten Willen mitbringen, um die storyline des Stücks nicht als hanebüchen zu bezeichnen:

Da bootet ein talentloser Architekt seinen Chef aus, um ihn dann später anzustellen. Da brennt das Elternhaus der verehrten Gemahlin nieder und schafft Bauplätze, die wiederum dem Architekten zur Karriere verhelfen. Da ist besagte Gemahlin derart verzweifelt ob des Verlusts von Haus und Puppen, dass ihr die Muttermilch sauer wird und sie damit die neugeborenen Zwillinge vergiftet. Dies alles beschert beiden Elternteilen eine handfeste Psychose und eine andauernde Ehehölle.

Da wirft der Ex-Chef auch noch seinen Sohn dem Konkurrenten zum Fraße vor. Da erscheint das Fräulein Braut des Sohnes im Büro und verfällt augenblicklich dem Baumeister (man begreift nicht warum). Da bettelt der gebrochene und todkranke Ex-Chef den Baumeister um eine Karrierechance für seinen Sohn an, offenbar unter Verdrängung seiner eigenen Geschichte. Da erscheint schließlich Hilde, die im zarten Alter von zwölf Jahren vom Baumeister geküsst und der ein Königreich versprochen wurde, um nach Ablauf der Frist von zehn Jahren ebenjenes einzufordern.

Auch auf RTL II würde dies wohl eher im Nachmittagsprogramm laufen.

Ein grober Klotz also, an welchem feine Werkzeuge nicht angebracht sind. Diese kommen auch kaum zum Einsatz.

Der Vorhang hebt sich (nachdem uns mittels Projektion dankenswerterweise der Titel des Stücks nochmal in Erinnerung gerufen wurde) und gibt ein Büro frei, das sich nicht ganz zwischen Blockhütte und repräsentativem Raum, zwischen klassisch-antiquierter Ausstattung und modernen Beigaben wie einem Notebook entscheiden kann. Drei Anwesende in Aufregung, wie sagen wir es nur dem Chef?

Jener tritt auf und gibt das Büroungeheuer, scheucht und pöbelt. Noch omnipotent, klatscht er der Buchhalterin auf den Po, was ihr offenbar Glücksgefühle beschert. Den Alten lässt er wegtreten, keinen Bock auf Entwicklungshilfe für dessen Junior. Lars Jung als Knut Brovik ist dabei sehr melodramatisch, der gewohnt hohe Ton nervt hier ein bisschen. Christine-Marie Günther hat die undankbare Rolle eines dem Baumeister verfallenen Weibchens ohne eigenen Willen, die ihr wenig Raum bietet, aber sie schafft es zumindest, darin verdammt gut auszusehen.

Auftritt der Gattin, in jeder Bewegung, jedem Blick spürt man die psychische Deformation. Christine Hoppe ist endlich wieder da, manchmal spielt sie hier in einer eigenen Liga.

Dann Altherrengeprahle des Baumeisters gegenüber dem Hausarzt (Horst Mendroch a. G. eher unauffällig), er weiß, dass das Fräulein Kaja Wachs in seiner Hand ist und benutzt sie zum Machterhalt.

Ist Solness verrückt? Er hat Angst vor dem Neuen, vor Machtverlust, vor einer Änderung der Verhältnisse, davor, für sein gehabtes Glück bezahlen zu müssen. Das allein ist noch nicht verrückt.

Das Fräulein Hilde Wangel betritt eher knabenhaft die Szenerie. Ines Marie Westernströer hat offenbar für diese Rolle ihre schönen Haare gelassen und kommt mit Bubikopf daher. Das hätte es sicher nicht gebraucht, sie hätte auch so diese Figur glaubhaft bewältigt.

Hilde erinnert Solness an eine Begebenheit vor genau zehn Jahren, als er, im Rausch eines gelungenen Projekts, das kleine Mädchen herzhaft küsste und ihr ein Königreich nebst Schloss versprach. Nun sind die zehn Jahre um, der Baumeister soll liefern. Warum jener sich allein durch das Aus-dem-Fenster-kotzen von Hilde zum Eingeständnis bringen lässt, dass das alles so gewesen sei, bleibt offen.

Bevor der Sachverhalt ausdiskutiert werden kann, bittet die Dame des Hauses zu Tisch. Hilde darf bleiben, es sind genug Kinderzimmer frei.

Ein neuer Morgen. Solness erzählt dem Neuzugang von früher, mit einem Holzpferdchen in der Hand. Ach Gottchen. Viel Pathos, als er vom Bezahlen-müssen fürs Glück, von seinen Gewissensbissen berichtet. Ist er nun krank? Oder doch verrückt? Damals war das noch nicht dasselbe. Oder nur esoterisch?

Auftritt Ragnar Brovik, junges Talent ohne Selbstvertrauen. Auch er lässt sich abfertigen.

Hilde schwärmt vom robusten Gewissen, sie will ihren Baumeister so wie sie ihn sich erträumt hat und lenkt ihn entsprechend. Ich hab so was schon mal im Kino gesehen, ein Western mit Henry Fonda und Terence Hill, da nahm das aber ein gutes Ende.

Zunächst beißt sie aber das Fräulein aus der Buchhaltung weg. Solness will es jetzt nochmal wissen für seine Prinzessin, the Baumeister is back.

Nach der Pause ein neues Bühnenbild, der Garten mit dem Baugerüst im Hintergrund. Die beste, anrührendste Szene findet zwischen der Gattin Aline und Hilde statt, eine zarte Annäherung der Schein-Konkurrentinnen. Wie viel Lebenslust die eine und wie wenig Freude die andere hat! Pflicht! Pflicht! Strafe! Die verlorenen Puppen trägt sie immer noch als ungeborene Kinder mit sich rum. Der Hausarzt empfiehlt, sich nicht zu erkälten.

Solness erscheint als Zimmerer verkleidet, ihn ereilt die plötzliche Erkenntnis, dass Hilde nunmehr sein Lebensinhalt sei. Jener widerfährt ein großartiger Ausbruch, das robuste Gewissen hat grad mal Pause. Dann motiviert sie ihn zum Luftschlösser-Bauen, mit zwingenden Argumenten. Solness guckt etwas überfordert. Gibt es eine HOAI für Luftschlösser?

Ragnar bringt den Richtkranz und ist jetzt im Bilde. Auf einmal agiert er ganz anders, Rebellion statt Unterwürfigkeit. Hier endlich kann Matthias Luckey aufdrehen und findet zu gewohnter Stärke.

Solness baut schon lange keine Kirchen mehr, aber nun steigt er ins Luftschlösser-Geschäft ein. Hilde ist seine Inspiration, gemeinsam werde sie die kühnsten Bauwerke errichten, alle aus Luft.

Um diese Wendung zu manifestieren, steigt der Baumeister mit dem Richtkranz aufs Gerüst, er, der seine Höhenangst bisher nur ein einziges Mal besiegen konnte. Das Unmögliche geschieht, er kommt oben an und hängt den Kranz auf.

Dann der Fall. Ein dumpfer Knall, sein Hut segelt hinterher. Großartige Szene.

Hilde schreit glücklich-entrückt „Mein Baumeister!“. Wahre Helden müssen tot sein.

Zum Titelhelden: Holger Hübner ist ein versierter und beliebter Schauspieler am Haus, bisher eher bekannt aus mittleren Rollen mit einem Anteil Selbstironie. Er ist dem Baumeister sicher gewachsen, allerdings vermisste ich gelegentlich die leisen Töne. Auch die Rücksichtslosigkeit, das Menschenverschleißende des Solness kam nicht richtig rüber. Vielleicht lag es an der Regie. Ich hab mich allerdings ein paar Mal gefragt, wie Burkhart Klaußner die Rolle selbst gespielt hätte.

Das am Anfang über den Stückinhalt Gesagte mal beiseite gelassen, ist dies eine schlichte Parabel über das Abtreten-müssen und –nicht-können der Platzhirsche. Nicht nur im Tierreich findet sich dies, auch in Politik, Wirtschaft, Sport oder vielleicht sogar auch am Theater. Irgendwann kommt einer, der stärker ist als Du. Man kann das vielleicht hinauszögern, aber dafür müssen die lebensabschnittsbegleitenden Frauen immer jünger werden (meine Alters- und Geschlechtsgenossen wissen was ich meine) und irgendwann hilft auch das nicht mehr. Solness will es nicht wahrhaben und fällt vom Turm, hat aber seine Legende gerettet.

Manchem, der heute noch agiert, würde man einen solchen Turmfall wünschen.

Die Inszenierung ist gut, mit einigen Abstrichen. Ich hatte mir ein wenig mehr versprochen angesichts des prominenten Regisseurs, aber ich bin auch nicht enttäuscht. Ein Abend, um sich nachher Gedanken zu machen.

„Schön Feierabnd!“

Generell bin ich neustadtinduzierten Festivitäten gegenüber aufgeschlossen, aber es klappte leider nie bisher. Aber heute.

Seit Oktober gibt es dienstags die Feierabend-Party im Bärenzwinger, die winterliche Ersatzdroge zur Saloppe. Hab nur Gutes gehört bisher.

Ach, der Bärenzwinger. Zwiefache Wehmut umfasst mich, als ich rechtzeitig vor Neun, also kostenlos, das ehrwürdige Gemäuer betrete. In der großen Tonne hab ich oft den Gundermann gehört, bevor die Evangelisten den Club rausgeworfen haben, wofür sie in der Hölle schmoren werden. An der Garderobe musste der Letzte den Mädels immer Sekt spendieren, das ist mir auch ein paar Mal gelungen.
Der zweite Grund der Wehmut ist übrigens rein privat.

Nette Mädels gibt es immer noch, hinterm Tresen. Und die Eibauer Brauerei hat den Laden fest im Griff, sogar Zwickel gibt es vom Fass. Gut so.
Noch ein Lob: Die Wiener werden mit warmem Toast serviert. Wer das für selbstverständlich hält, kauft selten welche.

Der Laden füllt sich nur langsam, es schneit ja auch seit Tagen. Die Musik ist angemessen, sogar alte Tocotronic-Kracher kommen zur Aufführung. Einziger Mangel aus meiner Sicht: Alles sehr herrenlastig bisher.

Auf dem unvermeidlichen Großbildschirm flimmern Fotos vergangener Partys. Scheint richtig was losgewesen zu sein. Ach, ich war ewig nicht hier. Warum eigentlich?

Den Vorteil der Ersparnis von 5 Eu Eintritt (Studis 3) bezahle ich mit etwas Langeweile. Bilder von fröhlich-trunkenen Menschen sind auch nur eine gewisse Zeit unterhaltsam, zumal ich kein Schwein kenne, weder auf den Fotos noch im Saal. Auch die Musik wird anstrengend, Karat wollte ich eigentlich nie wieder hören. Ich warte, das was passiert.

Ein schönes Paar betritt den Raum und unmittelbar danach die Tanzfläche. Respekt, bei mir haben die vielen Tanzstunden leider gar nicht angeschlagen.

Die Musik findet mit „Teil einer Jugendbewegung“ zu alter Stärke zurück, scheucht aber leider das Paar von der Fläche. Tja. Ist leider nicht wirklich tanzbar, aber schööön.
Der DJ korrigiert seinen Fehler schnell.

El Norberto, der Partymeister, ärgert sich ein bisschen über die Weicheier beiderlei Geschlechts, die der harmlose Schnee vom Kommen abhält. Beim letzten Mal wären 120 Menschen dagewesen, versichert er glaubhaft. Zum Trost gibt’s Johannisbeerschnaps aufs Haus, von dem ich unverzüglich betrunken werde.

Qualm on the dancefloor? Feurio?! Nein, nur Depeche Mode – Beweihräucherung. Alle, die sich berufen fühlen, stürmen das Parkett, allein an Menschen fehlts im Revier, um den Faust auch hier unterzubringen (nächste Vorstellung übrigens am 17.12.).

Unmerklich fast füllt sich der Laden doch ein wenig. Die, die da sind, haben Spaß, so soll es sein. Für die anderen kann ich das nicht beurteilen. Am Bildschirm jetzt Impressionen von Echtermeyers legendären Straßenbahnpartys, hübsch anzusehen.

Wir Werktätigen wissen, was um halb Elf ist: Da werden wir müde. Bleiben aber trotzdem noch.
Und es lohnt sich: Eine Dame ist ihrer Kluft nach offenbar grad vom Hengst oder auch Wallach gestiegen, Prinz Charles wäre begeistert ob des knappen Dress. Die einschlägigen Scherze müssen leider unterbleiben, dieser Blog ist und bleibt jugendfrei.

„Boots are made for walking“, naja, geben wir dem Laden noch eine Bierlänge.
Dieselbige später hat sich die Lage nicht geändert: gute Stimmung, meist gute Musik, gutes Ambiente, gute Bar. Fünfzig Leute mehr, und die Sache wär perfekt. (Da hätten übrigens nur die Hälfte derer kommen müssen, die sich per Facebook angemeldet hatten, aber so ist das nunmal.)

Der Volkskorrespondent tritt den halbwegs geordneten Rückzug an, mit dem festen Entschluss, bei fairen Randbedingungen wiederzukommen. Die Feierabend-Party hat es verdient. Nächste Gelegenheit schon am 18.12., und dann am 8. und 22. Jänner, falls die Welt zuvor nicht abgeschaltet wird.

Die Verpieschung

(erstmals veröffentlicht in der „BRN ToGo“ 2012)

Angst ist Pieschen“, wie der Tagesbefehl Nr. 2 im letzten Jahr so trefflich feststellte. Ja, zweifelsohne. Pieschen ist aber noch viel mehr, z. B. Stadtflucht, Gottlosigkeit, Hafenfest und … Hundescheiße.

In den letzten Jahren trennte uns hier in der Neustadt gottlob nicht nur das Hechtviertel vom Quartier mit der gefühlt höchsten Hundehaufendichte der Welt. Undurchdringlich wie die Berliner Mauer schützte es uns vor Zuwanderung und Bettelei.

Doch es scheint eine sog. Wende eingetreten zu sein, die Indizien sprechen eine klare Sprache. Begonnen hat es mit der Ansiedlung obskurer Kneipen, die man inhaltlich eher in der Vorstadt Richtung Leipzig verortet hätte. Diese bevölkerten sich schnell mit jenen, die die Pieschener Hymne „Kommt die Neustadt nicht zu mir, dann geh ich halt zu ihr“ allzu wörtlich genommen hatten.

Das wäre alles noch verkraftbar gewesen, ist die hiesige Population doch vom allwochenendlichen Einfall der Speckgürtel-Landeier hinreichend abgehärtet. Doch viele blieben und brachten ihre seltsamen Sitten und Bräuche sowie ihre Köter mit.

Und wie nun inzwischen auch in Köln der Muezzin zum Gebet ruft, zieht jetzt ein (mehr oder weniger) zarter Duft von Hundescheiße durch die Neustadt.

Das sei zunächst nur einmal festgestellt. Es mag Menschen geben, die sich in diesen Umständen wohlfühlen, und wir wollen hier auch niemanden diskriminieren (wenngleich die sprachliche Parallelität von Exkremente und diskriminieren beachtlich ist). Doch was soll nun werden, wenn eines der letzten Alleinstellungsmerkmale der Neustadt verloren geht und nur noch die höchste Kinderwagendichte (sh. auch Tagesbefehl Nr. 2) sowie die Europarekorde in Dönerläden, Shisha-Lounges und Friseuren übrig bleiben? Das Viertel wird ein Stadtteil von vielen, rutscht gar in Richtung Pieschen ab.

Dann ist Schluss mit lustig. Dann wird Ordnung gemacht. Ein Auszug aus dem geheimen Maßnahmenkatalog der Stadtplanung beweist es:

  • Die Alaunstraße wird endlich wegen ihrer Umleitungsfunktion für die Königsbrücker auf eine verkehrsgerechte Vierstreifigkeit gebracht. Durch den notwendigen Abriss der linken Häuserzeile verbleibt sogar noch Platz für einen Fußweg.
  • Die Scheune wird geschlossen, entkernt und als Turnhalle wiedereröffnet. Der gewonnene Platz im Neubau wird zur Anlage zweier weiterer Parkdecks genutzt. Dieses Gebäude ist zwar nun nicht mehr direkt eine Turnhalle, aber trotzdem schön, wenn man der FDP glauben darf.
  • Die BRN wird nach Cristiana verkauft (BRN To Go berichtete) und das Geld für Wichtigeres eingesetzt. Ersatzweise findet nun das „Große Ganz-Spät-Frühlingsfest der Neustadt“ statt, unter der Schirmherrschaft der Damen Helmina und Diletta. Versehentlich wird es im ersten Jahr auf dem Theaterplatz organisiert und verbleibt in der Folge aus traditionellen Gründen da.
  • Die Prießnitz wird angestaut und im Mündungsbereich mit einer Schleuse versehen. Nun hat die Neustadt auch einen Hafen, der sich unter Inanspruchnahme kleinerer Flächen zwischen Sebnitzer und Bischofsweg erstreckt. Der Hafenkommandant zieht ins ehem. Krasnewski-Museum, d. h. in die obere Etage und bekommt ein Dienstmotorboot. Die frühere Prießnitzstraße darf sich nun stolz „Gewässer III. Ordnung“ nennen.
  • Das dringend benötigte innerviertelische Center wird ins Dreieck gebaut, das Louisen- und Görlitzer Straße bilden. Den betroffenen Händlern und Gastronomen werden Ausweichstandorte im Elbepark 3. Bauabschnitt angeboten. Oder in Pieschen.
  • Um dem Viertel wieder etwas Prägendes zu verschaffen, zieht das Friedhofsamt in das ohnehin nicht mehr notwendige Stadtteilhaus ein.
  • Zur Angleichung der Lebensverhältnisse in ganz Dresden wird das Elsa-Fenske-Heim in die Neustadt gelegt. Dazu werden die an der Rothenburger / Louisenstraße ansässigen Schulen geräumt. Da man nun die Turnhalle in der Scheune auch nicht mehr braucht, wird diese erneut geschlossen und als Mini-Center wiedereröffnet.

Damit dieser grausame Plan nicht Wirklichkeit wird, seid wachsam, Bürger, Bürgerinnen! Geht auf unsere Mitbürger zu und erklärt ihnen den Gebrauch der praktischen Beutel!

Bedenkt: Mit einem kleinen Haufen fängt es an, und bald ist alles im Arsch.

Es war nicht alles faul im Staate Dänemark.

„Hamlet“ von William Shakespeare in der Regie von Roger Vontobel, gesehen am 24. November 2012 im Staatsschauspiel Dresden (Premiere)

Vor dem Hause wird der Budenzauber vorbereitet, drinnen ist er schon in vollem Gange. Eine Bühne in der Bühne, ein Konzert im Stück.

Hamlet kommt ein wenig wie Dirk von Lowtzow daher, eine stolze Mutter und ein leicht genervter Onkel (und nunmehr Stiefvater) im Publikum. Ophelia geht richtig ab beim Requiem der Christian-Friedel-Combo für Hamlet senior, wie viele junge Dinger im Saal.

Die Musik irgendwo zwischen Placebo und Die Art, gar nicht übel.

Rosenkranz und Güldenstern (die erinnern mich an die Zwillinge aus dem Turm, wobei es natürlich andersrum ist) haben einen Auftrag: Hamlet bespaßen und überwachen. Jener scheint als unzuverlässig.

Währenddessen wird Ophelia vom Bruder Laertes über die Gesetze des königlichen Heiratsmarktes aufgeklärt, will aber nicht hören. Ihr Vater Polonius (auf gewohnt hohem Niveau Ahmad Mesgarha) hält Hamlet für einen Schnepfenjäger, das folgende Drama wird musikalisch untermalt. Dieses Stilmittel erschöpft sich langsam, wird aber unverdrossen zum Einsatz gebracht. Wegen zwei Songs lässt man ja auch keine Band kommen.

Auf einmal ist Polonius bekehrt und glaubt an die (wahnsinnige) Liebe des Hamlet zu seinem Töchterlein, warum, wird nicht recht ersichtlich. Aber es gibt sicher schlechtere Gründe für den Wahnsinn.

Hamlet monologisiert, der König schenkt sich nach. Das kann dauern.

Dann noch ein dreihändiges Trauerspiel, langsam reicht es, nicht nur dem König.

Der erste Videoblock, mir hat schon was gefehlt. Polonius petzt. Ophelia soll es beweisen, jetzt macht die Kamera auch Sinn.

Bewiesen wird der (scheinbare) Wahnsinn, nicht aber der Grund. Eine grandiose Szene.

Hamlet soll nun nach England, zur Kur vermutlich.

Aber zuvor noch Auftritt eines angry young man. Hier zeigen sich dann doch die (musikalischen) Grenzen von Christian Friedel. Er rockt das Publikum im Saal, oder macht zumindest das, was er dafür hält. Im zweiten Rang ist man dennoch begeistert.

Der König bricht das Spektakel ab, zurück zum Theater.

Torsten Ranft in einem großen Monolog, nicht nur hier absolut überzeugend. Abgang mit Schunkelmusik, hübsche Ironie.

War Hamlet senior wirklich so ein Goldstück? Egal, seinem Sohnemann wird eindeutig zu kurz getrauert. Der Freund Horatio (Sebastian Wendelin angenehm gelassen) ist pragmatisch, the show must go an. Aber der Unglückswurm Hamlet steigert sich in seinen Verdacht.

„Die Kunst der Bühne“ soll nun den Mörder entlarven, Hamlet hat eine hohe Meinung von der Macht des Theaters. Die Kraniche des Ibykus fliegen mit Hilfe eines musikalischen Intermezzos. Der Tathergang wird nachgestellt, dem König ist das eher unangenehm, mir auch.

Die folgende Beschuldigung widerspricht der Staatsräson, die Bühne verschwindet. Das Bühnenbild insgesamt ein großartiges Werk, an der Idee mit der „Einsitzreserve“ könnte man vielleicht noch feilen.

Der Videobeweis kommt zum Einsatz. Ja, es war Abseits, äh, Mord. Oder? Jeder hat da seine eigene Sicht. Pause zum Nachdenken. Und Hamlet senior mustert finster die Szenerie.

Die Spielfläche hat sich geweitet. Der König geht dahin, wo auch er zu Fuß hingeht. Großes Geschäft. Naja. Schön illustriert dabei der Verfolgungs-Wahn.

Audienz bei Frau Mutter. Es zeigt sich eine Vaterfixierung, die man sonst nur von Mädchen kennt.

Das bekannte Shakespearesche Massensterben beginnt, aber es erwischt erstmal den Falschen. Mesgarha hat Feierabend, bleibt uns aber als Leiche erhalten.

Die Mutter-Sohn-Szene verliert sich auf der nunmehr großen Bühne, überzeugt mich nicht. Hamlets Selbstgerechtigkeit wird immer penetranter, immerhin räumt er seinen Müll weg. „Ich bin grausam, um gut zu sein“, das kennt man auch aus anderen Gefilden.

Auch das ein hübsches Zitat: „ …beliebt bei der verworrnen Menge, die mit dem Aug, nicht mit dem Urteil wählt“. Herr Ranft kann sich das Grinsen zum Glück verkneifen dabei.

Hamlet segelt nun gen England und Ophelia in den Wahnsinn. Ein echter, berührend gespielt von Annika Schilling, der an diesem Hause scheinbar alles gelingt. Ebenbürtig Matthias Reichwald als zurückgekehrter Laertes, und Torsten Ranft komplettiert das Trio zur besten Szene des Abends.

Und nun? Ophelia ertrinkt, die Bühne versinkt.

Auf den Brettern ist man nun noch verlorener. Großes Bravo erster Klasse an Claudia Rohner.

Nie sah ich einen schöneren Totengräber. Der Schädel des Spaßmachers taucht auf, eine lustige Idee, das mit dem Bauchreden. Christian Friedel ist jetzt präziser, fessselnder.

Ein Doppelbegräbnis, der Totenvogel fliegt davon. Sicher nicht für lange.

Nun das Duell, die Zwillinge kamen zuvor unbemerkt abhanden. Christian Friedel spielt und stirbt für alle. Genial. Der beste Einfall, um dieses doch eher peinliche Schlachten abzubilden. Respekt, Herr Vontobel.

Abgang, einer nach dem anderen. Nur Horatio hat überlebt. Und Fortinbras spricht Hamlet posthum von aller Schuld frei. Heftiger, langer Applaus, mit Quietschgeräuschen.

Ich sah ein am Anfang überladenes Stück, das umso mehr gewann, je reduzierter die Mittel wurden. Der Einsatz der Band ist vielleicht marketingtechnisch, aber nicht dramaturgisch sinnvoll, finde ich. Er lenkt schlicht ab, auch wenn man sich bemühte, den Schauspielern akustisch Platz zu machen.

Sicher ist kein Vergleich mit dem genialischen „Don Carlos“ angebracht, aber das Stück ist insgesamt sehenswert. Und die Schauspieler tun das Ihrige, auch Christian Friedel, der mit dem Verlassen der Rockstar-Rolle sich wieder auf seinen Beruf konzentrierte.

Übrigens, es war viel Prominenz im Publikum, ich sah neben der versammelten Schauspielerelite des Hauses Herrn Klaußner, Herrn Tellkamp und zu meiner besonderen Freude Herrn Freytag. Und sicher viele andere mehr, doch die sah und/oder erkannte ich nicht. Auch das MDR-Fernsehen streunte durchs Haus.

Ein kleiner Nachsatz: Im Flur hängt ein Gemälde, das Paul Hoffmann als Hamlet zeigt. Der sieht verdammt aus wie Sebastian Wendelin … 😉

Hinterm Horizont geht’s nicht mehr weiter

„Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams in der Regie von Nuran David Calis, gesehen am 22. November 2012 im Staatsschauspiel Dresden (Premiere)

 

Dieser Zug endet hier. Die Ankunft von Blanche im Prekariatsidyll ihrer Schwester ist eher ein Aufprall. Hier gibt es Whiskey zum Frühstück, nicht Himbeereis. Die Stars&Stripes wehen, zur Begrüßung erfolgt eine Kofferdurchsuchung. Nein, Blanche hat keine Geschenke mitgebracht, sie schenkt sich selbst. Nicht alle sind begeistert.

Das erste Duell mit Stanley, dem Mann aus der Arbeiterklasse und außerdem von Stella. Die übliche geballte Ladung Erotik gegen proletarische Gradlinigkeit. Was ist aus Belle Reve geworden, dem schönen Traum von der Zukunft? Nein, nicht verkauft, verloren halt. Weg.

Immerhin scheint jener Stan zur Blutauffrischung der ehrwürdigen Familie DuBois zu taugen. Blanche lässt durchblicken, dass sie da auch zur Verfügung stünde.

 

Die Damen platzen nach ihrem Ausgang in die abendliche Pokerrunde wie ein Schluck Champagner in die Bierbowle. Blanches zartes Anbandeln mit dem naiven Mitch missfällt dem Hausherrn, der ahnt, welch zersetzende Kraft von dem Püppchen ausgeht. Brutal beendet er das Stelldichein, es entstehen die ersten Löcher in der Fassade. Von allen.

Mitch (in ungewohnter Rolle Wolfgang Michalek, aber ebenso großartig wie sonst als kraftstrotzender Bösewicht) startet einen harmlosen Flachlegeversuch, zu harmlos für Blanche. „Geld verschwindet“, weiß diese. Das hohe Roß ist noch nicht tot, aber der animalische Stan imponiert ihr schon, zumindest körperlich. Allerdings beruht dies nur bedingt auf Gegenseitigkeit.

 

Im Hintergrund verrichtet einer sein Geschäft, als sich die Schwestern anbrüllen. Erstaunlich kraftvoll beide, sowohl Ines Marie Westernströer als Stella als auch (an diesem Abend noch mehr) Nele Rosetz als Blanche spielen sich die Seele aus dem Leib. Das Fazit: Stan ist eine Bestie, wird aber geliebt. Eine flammende Rede von Blanche zur Kultiviertheit versickert ohne Wirkung.

Stan hat was herausgefunden. Noch behält er es für sich.

Die bittere Einsicht von Blanche, dass Mädchen jenseits der Dreißig es nicht leicht haben, ist nachvollziehbar. „Männer schätzen nicht, was sie zu leicht bekommen, verlieren aber schnell das Interesse.“ Ja, das Optimum zu finden ist schwer.

 

Mitch ist nun der Hoffnungsträger.

Die Hintergrundbebilderung ist von derber Romantik, als sich Blanche zuvor noch am jungen Kassierer zu vergreifen sucht. Es folgt ein missglückter Abend von Mitch und Bitch, es ist kompliziert, wie es auf facebook heißen würde. Aber dann springt Mitch doch noch aus dem verschwitzten Hemd, es folgt ein fröhliches Gewichteraten.

Melodramatik ist die neue Strategie von Blanche, die scheint auch aufzugehen, Mitch beißt an und will der siechen Mama eine Freude machen.

 

Pause. Noch ist nichts verloren.

 

Blanche hat Geburtstag. Den, äh, siebenundzwanzigsten. Zu diesem Anlass gibt es von Stan ein Ticket für die Heimreise und die ganze Wahrheit. Nicht viel Schönes dabei. Auch Mitch weiß nun Bescheid und ist not amused. Er schwänzt die Feier.

Stan pinkelt im Stehen, das war zu erwarten. Danach demoliert er das, was noch heile ist im Heim und zeigt, wer der Herr im (ramponierten) Hause ist. Das Wort Polacke erträgt er nicht.

Auch Stella ist schon vergiftet, glaubt er. Aber er liebt sie noch. Dann setzen ihre Wehen ein.

 

Ein später Besuch von Mitch, die letzte große Blanche-Show beginnt. Southern Comfort soll beim Überzeugen helfen, Blanche will Zauber, keine Realität, aber Mitch will Klarheit. Es folgt die große Beichte, „in meinem Herzen hab ich nicht gelogen“. Großartige Szene von beiden.

Mitch verwandelt Blanche in seine Mutter – so scheint es mir – und geht trotzdem.

 

Stan kehrt aus der Klinik zurück, noch ist es nicht so weit mit dem Sohn (was sonst). Sascha Göpel ist 100% Stanley Kowalski, großes Kino.

Ein Telegramm mit der Einladung zur Karibik-Cruise, vom Millionär gesendet, soso. Und die Rosen von Mitch, jaja. Die Kaiserin ist nackt.

Die finale Rache des Polacken für die Demütigungen durch Blanche lässt der Regisseur dankenswerterweise nur in unserer Phantasie stattfinden.

 

Ende. Blanche wird den Rest ihres Lebens auf dem Meer verbringen. Oder so ähnlich.

 

Ein großartiger Stoff, eine großartige Inszenierung, großartige Schauspieler. Man möchte sich themengerecht besaufen vor Freude an solch einem Abend.

Sieben Toren sind der Faust

 

Die Geschichte einer Theaterproduktion der Bürgerbühne Dresden haben wir in „Wir armen Toren“ nachverfolgen können, ganz nett sicher, aber …

Wovon handelt das Stück eigentlich?

Gar nicht so leicht zu sagen.

Vom Faust? Sicher. Von Gretchen? Auch ein bisschen. Von der bösen Midlife-Crisis? Ja, auch. Aber nicht nur.

Es geht um „Männerbiographien“, wie einer so schön sagt, ganz verschiedene, die ein Bruch (oder auch mehrere) verbindet, aber sonst erstmal nicht viel.

Das Stück lebt von der Potenz (und der erlebbaren Hilflosigkeit) seiner Protagonisten, sieben Lebenslinien werden auf der Faust-Geschichte verprobt, meistens passt es, manchmal nicht. Es ist – stellenweise – dieselbe Story in sieben Variationen, jeder ist Faust und ist es auch nicht, die „Hunde-Monologe“ zum Einstieg machen das deutlich.

Ein assoziationsreiches Bühnenbild, sieben Felder, Kabinen, Zellen, Boxen, Rückzugsräume … davor ein schmaler Steg und fünf Meter Abstand zum Publikum. Den wird es brauchen.

Regie und Dramaturgie übertreffen sich mit Einfällen. Die drei Erzengel und den Herrgott selbst spielt einer allein, auch im Himmel ist das Personal knapp. Davor noch als Einstieg die Monologe, die dem Stück den Namen gaben: Sechs Lebensläufe im Duktus der Studierstube, einer darf dazwischen das Original aufsagen.

Man wird also eingeführt mit Berichten aus dem krisengeplagten Mittelleben, die gesamte Bandbreite dessen, was man heute so haben kann, kommt zutage. Was haben die Sieben mit Faust zu tun? Sehr viel, jeder für sich.

Überhaupt, Sieben. Die mythische Bedeutung der Zahl ist nicht zu unterschätzen, nur die Drei gibt vielleicht noch mehr her. In sechs plus einem Tag soll die Welt erschaffen worden sein (der Ruhetag gehört unbedingt dazu), sieben Todsünden sind bisher bekannt, sieben Freunde müsst ihr sein (zumindest im Handball), die sieben Schwaben hatten immerhin ein gemeinsames Ziel, von den Glorreichen Sieben waren am Ende zwar nur wenige übrig, aber sie haben gewonnen. Die sieben Geißlein wurden von der Klugheit des jüngsten gerettet. Die Älteren unter uns werden sich noch an Herrn Carrells „verflichste Sieben“ erinnern. „Sieben auf einen Streich“ darf natürlich auch nicht fehlen. Und wie würde „Schneewittchen und die fünf Zwerge“ klingen?

Aber was passiert nun weiter im Stück? Die aus der Hexenküche neu gewonnene Jugendlichkeit und Energie kanalisiert sich in halbstarker Brünstigkeit, Sinnsuche und Unternehmertum.

Das Gretchen, das später erscheint, ist am Anfang eine Verheißung und am Ende ein Störfaktor. Keiner scheint ihr gewachsen, nur der Goethe-Freak bezwingt sie mit seinen Versen. Aber als es ernst zu werden scheint, kneift der Depp und klammert sich an die literarische Vorlage.

Gretchen wäre hier eher respektvoll Margarete zu nennen. „Das Heute-Gretchen und die sieben Fäuste“ ist vielleicht als Titel zu direkt, aber träfe es schon irgendwie. Und wie weiland die verstoßene Königstochter hat sie die Meute im Griff, bis … ja, bis einer sich mit der originalen Geschichte vom weltlichen Ende des Gretchens in ihr Herz schleicht. Dann ist es vorbei mit der kühlen Souveränität, das Weib Grete schlüpft am Ende gar in Helenas Identität, doch vergebens: Faust IV. (in der Reihenfolge des Auftritts, eigentlich ja Heinrich IV., aber das passt so gar nicht) fühlt sich überfordert vom direkten Begehren, er hat es eher mit der Theorie.

Bis dahin ist aber noch viel geschehen: Zunächst beklagen die Fäuste wortreich und lautstark ihr schweres Schicksal, ein Pudel assistiert dabei. Jener verwandelt sich flugs in den aus dem Prolog bekannten Mephisto und verleitet figilant den Faust zum Glücksspiel. Während Quadflieg und Gründgens in der Projektion stumm große Kunst bescheren, stammeln die Protagonisten auf der Bühne deren Texte aus dem Kopfhörer nach. Interessant, sag ich mal.

Da Faust konsequent die Existenz eines Jenseits verleugnet (zu seinem Glück hat Goethe nicht schon ein paar Jahrhunderte früher gelebt), dünkt ihm sein Einsatz gering. Also was soll‘s, wetten wir halt.

Nun muss Mephisto aber liefern. Im Gegensatz zu heutigen potentiellen Lieferanten tut er’s auch, nach einer kraftvollen Hexenküchenshow (Kochen ist ja eh im Trend) stehen 7 Jung-Fäuste da, offensichtlich mitten in der Pubertät.

Man sieht es bei der Gretchen-Erscheinung, erst per Video, dann – Auftritt aus der Menge – real: Eine große Bandbreite zwischen Verschüchterung und Macho-Gehabe tut sich auf. Letzterer bereut es, eine Polka kann auch weh tun. Mit Minnesang ist der Dame auch nicht beizukommen, sie stellt insistierend die Frage, der sie den Namen gab und duldet kein Ausweichen. Die anderen Fäuste verpissen sich, als auch die dank Brieftasche dicke Hose des Dritten sie nicht beeindruckt.

Nur der Feingeist bleibt übrig. Scheinbar wird auch er zerhackt, doch dann – wundersame Wendung – rührt er die Amazone mit dem Nachspiel von Gretchens Ende. Aber … kaum scheint er zu gewinnen, meldet sich der kleine Mann im Hinterkopf. No woman no cry …. Also Rückzug, kein Happy Ende.

Nach notgedrungen etwas ruckelndem Übergang zwei anrührende Beichten und ein Gefühlsausbruch aller Fäuste.

Mephisto zaubert im Teil Zwei unverdrossen weiter. Wenig später schwimmen alle im Geld. Aber sind die Scheine auch was wert? Man muss nur fest dran glauben. „Im Hintergrund Mephisto lacht, weil die Gier immer alles nur noch schlimmer macht.“

DER Faust – der Goethe-Kenner hatte wie vermeldet die Konkurrenten aus dem Feld geschlagen – sucht weiter Helena und findet Gretchen wieder. So war das nicht gedacht. Wieder kein Happy-End.

Finale Eins:

Die Auflösung der Wette zwischen Faust und Mephisto. Die Deutsche Bank gewinnt. Die Deutsche Bank gewinnt immer.

Finale Zwei:

Jeder der Faust-Kandidaten wettet noch einmal. Werden sie jetzt gewinnen? Meine Prognose ist 3:4.

Das Stück sollte man sicher nicht klassisch nennen, trotz der erhabenen Vorlage und vieler Zitate ist es modern angelegt. Ein dünner roter faustischer Faden zieht sich hindurch, die durchgängige Handlung der Vorlagen blitzt nur gelegentlich auf, es sind eher aneinandergereihte Szenen, mal nach, mal ohne, mal fast gegen Goethe. Der Wiedererkennungsfaktor des Faust ist manchmal gering, auch Deutschlehrer werden nicht jede Episode einordnen können. Aber darauf kommt es auch nicht an.

Ich armer Tor“ verhält sich zur deutschen Nationaldichtung wie ein heutiger Nachfahre des verehrten Herrn von Goethe zu ebenjenem: Man sieht vielleicht noch die Verwandtschaft, nur behaupten muss sich der Urururenkel heute selbst, mit seinen eigenen Möglichkeiten.

Und das tut das Stück, denke ich. Dennoch. Deshalb. Sowohl. Als auch.

Bis zum Jahreswechsel noch fünf Mal im Theater Ihres Vertrauens.