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14 Herzblätter
Die Schauspielbrigade Leipzig interpretierte Gundermann im Kleinen Haus des Staatsschauspiels Dresden, 15. November 2015
Fast zwanzig Jahre nach dem Tod von Gerhard Gundermann sind seine Lieder noch immer in aller Ohren und Mündern, man möchte meinen, es nimmt eher zu als ab. Auch an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig sind Gundermann-Lieder fester Bestandteil der Gesangsausbildung, der Schritt zu einem selbst gestalteten Programm war da nicht mehr weit. Dozent Frank Raschke hat dieses geformt und gastierte mit einem vierzehnköpfigen Ensemble aus singenden Schauspielern und aus Musikern in Dresden. Es sei in dieser Form eine Premiere, sagte er in seiner etwas langatmigen Einführung.
Zuvor gab es den „Narrn“, mit Akkordeon von ihm und Gesang von Felix Fdefér, eine Eröffnung, die Hoffnung auf einen großartigen Abend machte. Dass diese dann doch nur teilweise erfüllt wurde, lag schlicht am sehr artifiziellen Ansatz der Interpretationen und leider auch an einem meist einfallslosen Arrangement der Stücke. Unbestritten waren da sehr schöne Stimmen zu hören, aber … man glaubte den sehr jungen Interpretinnen nicht, dass sie wussten, wovon sie sangen. Da hilft dann auch die schauspielerische Ausbildung nicht, Gundermann-Singen spielen ist etwas anderes als Gundermann singen. Auf dem gebohnerten Bühnenparkett verlor sich kein Krümel Kohlenstaub, die Soljanka wurde hier vom Vier-Sterne-Koch serviert, sehr raffiniert, aber ohne das gewisse Etwas.
Dass der Abend nicht völlig misslang, ist dem zweiten Teil zu verdanken. Da wurde auf einmal die Sterilität weggeblasen, wunderbar schräge Nummern waren zu hören, da zeigte das Ensemble, was drin gewesen wäre. Mit „Vogelfrei“ war dann auch bei mir das Eis gebrochen, eine großartige Version, so muss man das machen! Auch „Weißtunoch“ konnte an diese Niveau anknüpfen, und der „Zweitbeste Sommer“ gehört auch in diese Kategorie, ebenso die Zugabe „Gras“. Trotzdem war auch viel statisch Uninspiriertes zu hören, und die vier Streicherinnen wurden auch nicht immer glücklich eingesetzt. Die „Night of the proms“ ist bei Gundermann schlicht fehl am Platze, trotz aller Virtuosität.
Dennoch, es gibt noch einiges Erfreuliche zu berichten: Die singenden Herren waren durchweg gut, Thomas Dehler konnte mit eingebrachter Lebenserfahrung punkten und Felix Fdefér interpretierte sehr klug (so verzieh man auch seine Texthänger). Doch die Krone gebührt dem Schauspielstudenten Jannik Hinsch, der mit seiner schönen und facettenreichen Stimme ebenso begeisterte wie mit dem Charme seines Vortrags.
Also Unentschieden am Ende, immerhin.
Kein Gott, nirgends.
„Ichglaubeaneineneinzigengott.“, Monolog von Stefano Massini, deutschsprachige Erstaufführung in der Regie von Nora Otte am Staatsschauspiel Dresden, 14. November 2015
Auch an anderen Tagen wäre man aus dieser Inszenierung nicht beschwingt hinausgegangen. Heute bedurfte es sogar einer Erklärung des Intendanten Wilfried Schulz vorab, warum man auf die Premiere ausgerechnet dieses Stückes am Tage nach einem Terroranschlag entsetzlichen Ausmaßes nicht verzichtet habe. Die Frage, die sich das Theater heute vormittag stellte, war genauso berechtigt wie die Entscheidung richtig: Man muss sich auseinandersetzen, auch wenn es schmerzhaft war und ist.
Stefano Massini, dessen theatrale Dokumentation der Familiengeschichte der Lehmann-Brüder nach deren Auswanderung ins gelobte Land Amerika (eine klassische Mischform von Wirtschaftsflucht und Emigration aus Furcht vor Verfolgung übrigens) erst unlängst an diesem Theater Erfolg hatte, befasst sich in seinem Monolog von drei Personen mit dem Dauerkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Das Thema wird aus zwei diametralen Blickwinkeln beleuchtet, jenem der jüdischen Geschichtsprofessorin Eden Golan, die zumindest anfangs an Verständigung und Versöhnung glaubt, und jenem der palästinensisch-muslimischen Studentin Shirin Akhras, die in ihrem kurzen Leben nichts anderes als Unterdrückung und Terror kennengelernt hat. Die dritte Person, die amerikanische Soldatin Mina Wilkinson, hat vor allem die Funktion, die Handlung zusammenzuhalten und die grausame Schlusspointe zu erzählen.
Alle drei wurden gespielt von Cathleen Baumann, der phasenweise die Anspannung an diesem auf so unerwartete Weise besonderen Tage anzumerken war und die dennoch auf anrührende und ergreifende Art in drei verschiedenen Körpersprachen, Stimmlagen und Mimiken brillierte. Unterstützt wurde ihre Performance von der Kostümbildnerin Lisa Edelmann, die nur wenige Requisiten brauchte, um die Personen unterscheidbar zu machen, und von der kargen Bühne aus verschraubten Verstrebungen, die eine Arena andeuteten, phasenweise von einer von oben auf das Geschehen blickenden Kamera unterstützt.
Die Regisseurin Nora Otte verzichtete – von der Detonation der ersten Bombe abgesehen – auf alle „special effects“ und vertraute der Geschichte, den klug gesetzten musikalischen Sentenzen von Ludwig Bauer und vor allem ihrer Darstellerin. Das Ergebnis gab ihr recht.
Erklärt wurde in diesem Stück wenig, der Fanatismus der Studentin wurde ebenso vorausgesetzt und fortgeschrieben wie die Abgebrühtheit der Soldatin. Nur die Professorin wurde als Person kenntlicher, wenn sie nach ihrer Traumatisierung durch einen er- und überlebten Selbstmordanschlag ihre Prinzipien mehr und mehr in Frage stellte.
Dramaturgisch geschickt kreuzten sich die Lebens- bzw. Todeslinien der Palästinenserin und der Jüdin zuerst nur scheinbar: Während die eine auf der zweiten Stufe ihrer Märtyrerkarriere ihre beiden besten Freundinnen – die ihr hier einen Schritt voraus waren – und ein vollbesetztes Lokal zum Chanukka-Fest in die Luft sprengte, tafelte die andere entgegen der anfänglichen Vermutung dann doch ein paar Straßen weiter, das erste Mal seit dem Anschlag vor mehreren Monaten.
Doch fast unvermeidlich fanden beide im Tode zusammen, die eine wie die andere von amerikanischen Scharfschützen wie Mina Wilkinson getötet, wegen des mitgeführten Rucksacks voller Sprengstoff bzw. weil das Schultertuch wegen des Regens unglücklich über den Kopf gebunden war. Zur falschen Zeit am falschen Ort, sagt man da wohl.
Von einem Gott, an den man glauben könnte, war nirgendwo etwas zu sehen.
Als sich das Publikum vom Schock einigermaßen erholt hatte, gab es kräftigen Beifall für Cathleen Baumann und das Inszenierungsteam.
Tja, und nun? Dass das Stück zur richtigen Zeit kommt (auch wenn die Gemengelage in Mitteleuropa eine andere ist), ist wohl unstrittig. Ob das Provinzhauptstädtchen Dresden der richtige Ort ist, um sich mit Terrorismus auseinanderzusetzen in diesen Tagen?
Ja und nein. Ja, weil dieses Thema unsere Gesellschaft seit Jahren begleitet (wobei der islamistische Terror nur eine von mehreren Ausprägungen ist, wenn auch derzeit dominierend), nein, weil der Terror hier ein ganz anderes Gesicht hat und vorzugsweise Flüchtlingsunterkünfte anzündet. Insofern könnte man sagen, dass wir hier andere, dringendere Probleme haben, aber das Theater ist nicht die Tagesschau, und so können und sollen auch Themen abgehandelt werden, die außerhalb unseres aktuellen Tellerrands liegen.
So oder so wird der pegidistische Hassprediger und Montags-Schwarzmaler mit seiner Ortsbauernführer-Schläue die tragischen Ereignisse vom Freitagabend nutzen, um seine Gefolgschaft weiter zu radikalisieren.
Damit ist sich auseinanderzusetzen, und Theater allein reicht dagegen sicher nicht aus, aber es ist ein Beitrag, die Vernunft zu stärken, auch und gerade in der schmerzhaften Auseinandersetzung mit Gründen und Ursachen. Und dazu kann man „ichglaubeaneineneinzigengott“ definitiv zählen.
Das Rumpelstilzchen-Problem
„Das Goldene Garn (Reckless III)“ nach dem Roman von Cornelia Funke für die Bühne eingerichtet von Robert Koall, Regie Sandra Strunz, Uraufführung am Staatsschauspiel Dresden am 1. November 2015
Uff.
Da geht man einmal nur so zum Spaß ins Theater, ein Märchen schauen, bisschen staunen, bisschen entspannen, und was ist? Wird man doch in der Pause von einer unbekannten netten jungen Dame auf den dann doch hoffentlich bald zu lesenden Bericht zum Stück angesprochen. Während ich noch völlig perplex die dämliche Ausrede stammle, dass mir Kinderstücke zu schwierig sind (tatsächlich, das muss ich gesagt haben) und ich diesmal nur zum Zugucken da bin, baut sich der die Dame begleitende Recke neben jener auf, verkündet körpersprachlich das Ende der Unterredung und erspart mir damit weitere Peinlichkeiten.
Wenn eine solche Situation (Hobby-Rezensent wird im Theater erkannt und belobigt) auf die Bühne gebracht worden wäre, hätte ich sie als extrem unwahrscheinlich gegeißelt, aber heute gibt es ja ein Märchen, da passt das schon. Doch mein Ehrgeiz war geweckt, und so kommen wir nunmehr zum Wesentlichen.
…
http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/urauffuehrung_dasgoldenegarn_staatsschauspieldresden.php
Ungeschriebene Überschriften zum Abschied
Hartmut Krug befragte am 21. Juni 2015 die Dresdner Intendanz zu ihrer letzten Spielzeit
Am Ende bekannte der von Deutschlandfunk und –radio sowie Nachtkritik bekannte Theaterkritiker, dass ihm der neue Spielplan gefalle. Das war schon deutlich mehr als das übliche „nicht gemeckert ist auch gelobt“ und sicher nicht nur der Höflichkeit des Gastes geschuldet.
Wilfried Schulz und Robert Koall, die offenbar nur als Tandem vorstellbar sind und deren Jahrzehnt am Staatsschauspiel leider unvollendet bleiben wird, ließen sich von Harald Krug in einer Sonntags-Matinee vor immerhin 300 Zuhörerinnen – von denen den meisten das frühe Aufstehen altersbedingt sicher nicht schwergefallen war – zum Programm der kommenden Spielzeit (ihrer letzten hierzulande) befragen. Bei solchen Gelegenheiten verblasst des Kritikers Schärfe, und so waren von Herrn Krug mit Ausnahme der Genugtuung über den Verzicht auf ein Jelinek-Stück nur Freundlichkeiten zu hören. Im Übrigen beschränkte er sich darauf, die passenden Stichworte in den Raum zu stellen, auf dass sich einer der Herren dieser annähme, und – für einen Radiomann erstaunlich – mit dem Mikrofon zu kämpfen. Aber im Sender sind die wohl alle angeschraubt, und auch ein Kritiker hat nur zwei Hände.
So launig, wie es hier klingt, waren die anderthalb Stunden nicht, und das war gut so. In den letzten Monaten passierte nicht viel Spaßiges vor der Tür. Dass das Theater darauf reagiert, war nicht überraschend, gespannt konnte man auf die Mittel sein, mit denen das geschehen wird.
Traditionell gibt es kein Spielzeitmotto in Dresden, aber doch imaginäre Überschriften. In der für die künftige Spielzeit kommen die „Werte“ an maßgebender Stelle vor, auch „verhandelt“ und „befragt“ wird häufig werden. Nicht zuletzt wird auch der Abschied eine Rolle spielen, ohne das jetzt alles in einen Satz pressen zu wollen. Allgemein gäbe es ein großes Bedürfnis im Haus, über Aktuelles zu sprechen, die Beschäftigung mit der Gesellschaft steht wieder im Mittelpunkt, „wie wollen wir leben“ wird oft gefragt werden.
Die gewöhnlich richtungsweisende Saisoneröffnung wird „Maß für Maß“ von Shakespeare sein, ein wenig bekanntes Stück, in dem es um Werte und deren Verhandelbarkeit geht. Tilmann Köhler wird sich in seiner letzten Saison als Hausregisseur (das Adjektiv „letzte“ war das meistgebrauchte an diesem Vormittag) diesem Stoff annehmen.
Damit beginnt auch eine Serie der Gerichtskulissen, ein halbes Dutzend Stücke wird in der nächsten Saison diesen Hintergrund haben. Prominentester Vertreter ist dabei sicher „Terror“ von Ferdinand von Schirach, ein laut Koall „Lehrstück in Meinungsbildung“, das in der nächsten Saison bundesweit häufig inszeniert wird und in Dresden von Burghart Klaußner nicht nur auf die Bühne gebracht, sondern auch in maßgeblicher Rolle gespielt wird. (Von dem anekdotisch erzählten Ansatz, diese Inszenierung im sächsischen Landtag aufzuführen, ist man gottlob wieder abgekommen.)
An weiteren prominenten Namen mangelt es auch in der nächsten Saison nicht: Matthias Hartmann, der vom Burgtheaterhof Gejagte, macht den „Idioten“ von Dostojewski, begibt sich auf die Suche nach dem großen Erzähltheater und berichtet vom schwierigen Bewahren der eigenen Identität. Passt.
Volker Lösch erscheint wieder, belebt seinen Bürgerchor neu und zeigt mit diesem den Aussteiger „Graf Öderland“ von Max Frisch. Er darf sogar den Titel um „Wir sind das Volk“ ergänzen, was zu Dankesworten an den Suhrkamp-Verlag und die Erben führte, die sich offenbar anders als die Brecht-Hintersassen ihrer geistigen Erbschaftssteuer nicht verweigern.
Nicht zuletzt wird Roger Vontobel erneut in Dresden inszenieren, diesmal eine Uraufführung von Martin Heckmanns, „Die Zuschauer“. Um ebenjene soll es gehen, die sich dann von der Bühne aus selbst im Parkett betrachten sollen, in atmosphärischen Szenen mit Sprachfetzen aus dem Foyer, wie Schulz verriet. Das wird eng, nicht nur mit den Karten dafür.
Der Wagner-erprobte Sebastian Baumgarten stellt sich den „Nibelungen“ von Friedrich Hebbel und wirft mit diesem urdeutschen Stoff einen Blick auf die Gegenwart, fragt nach, wie Hass entsteht und eine Gesellschaft zerfällt. Auch wegen seiner mehrfach nachgewiesenen Medienkompetenz darf man sich auf diese Umsetzung freuen.
Ebenfalls – wenn auch andere – Vorfreude erzeugte die Ankündigung des Schwankes „Raub der Sabinerinnen“, nicht nur beim Kritiker Krug. Das Stück sei der Albtraum des Intendanten, weil man das mit Leichtigkeit vor die Wand fahren könne, bekannte Wilfried Schulz. Aber bei der Regisseurin Susanne Lietzow wird das sicher nicht passieren.
Wolfgang Engel hält auch in der kommenden Saison mit einer Inszenierung den Kontakt zum Haus, das er dann interimsweise gemeinsam mit dem KBB-Chef Jürgen Reitzler für eine Spielzeit übernehmen wird. Es gibt – nicht unerwartet – den „Nathan“ im (gar nicht so) Kleinen Haus, eine Abhandlung über Toleranz soll es werden.
Ebenfalls im KH wird gezeigt, was die montags gern prophezeite Islamisierung des Abendlandes bedeuten würde: Michel Houellebecq hat im letzten Jahr mit „Unterwerfung“ eine Satire geschrieben, die für die Bühne freigegeben ist und – trotz anfänglicher Bedenken des französischen Verlags – auch in Dresden gezeigt werden darf.
An diesem Beispiel machte Schulz die „gnadenlose Naivität“ der Dresdner Politik deutlich, der immer noch nicht bewusst wäre, welche Außenwirkung die hiesigen rechtspopulistischen Aufmärsche hätten. Dort glaube man, mit Aussitzen und Verdrängen und dem Verweis auf das Hochkulturetikett die Stadt schon schadfrei zu halten, auch im Diskussionsprozess zur Bewerbung um den Kulturhauptstadttitel. „Wir haben ein Problem“ müsse – wenn überhaupt – die Botschaft lauten (nicht „Mirsinmir“, meint Teichelmauke. Diese Idee kann man ohnehin inzwischen leider nur noch als putzig bezeichnen).
Auch das aktuelle Griechenland-Bashing weitester Teile von Politik und Medien bekam die verdiente Zuschreibung „widerlich“, es lasse sich eigentlich nur mit Kulturlosigkeit begründen. Diese klaren Ansagen von Schulz (und Koall) zur aktuellen Situation werden uns fehlen, die beiden lassen da sehr große Stiefel stehen.
Drei Bürgerbühnen-Projekte wurden noch besonders hervorgehoben: Zum einen (auch hier „zum letzten Mal“) mit „Herr der Fliegen“ ein großes Jugendprojekt, zum anderen mit „Morgenland“ ein Einblick in die andere Welt, die der Weltsprache Arabisch, mit Dresdnern, die diese als Mutter- oder Zweitsprache sprechen.
Einigen Raum nahm noch das geplante Dynamo-Stück ein, welches nun nicht „Leben, lieben, leiden“ heißen wird, weil der Slogan der inzwischen verbotenen Schlägertruppe „Faust des Ostens“ zugerechnet wird. Nicht nur Robert Koall fand aber, dass man sich solche Theatersätze nicht von irgendwelchen Deppen nehmen lassen sollte.
Und vieles konnte nur angerissen werden, wie das „Kohlhaas“-Projekt des Schauspielstudios mit Fabian Gerhardt als Regisseur oder die geplante Passantenbeschimpfung von Christian Lollike in der Dresdner Innenstadt, der zudem noch mit der Uraufführung „Die lebenden Toten“ einen Beitrag zur Flüchtlingsdebatte liefern wird.
Eine Neuigkeit gab es aber noch zu hören: Statt des „Felix Krull“ wird es im Dezember die „Drei Männer im Schnee“ von Erich Kästner geben, ein Abschiedsgeschenk der Intendanz an das Publikum. Ich soll es aber noch nicht verraten.
„Und das Schiff legt ab“ …, so heißt im italienischen Original die letzte Premiere im Schauspielhaus, nach dem Film von Federico Fellini, etwas unglücklich auf „Das Schiff der Träume“ eingedeutscht. Mit dieser Arche würde er dann am liebsten auch in Düsseldorf ankommen, bekannte Schulz.
Hoppla. Was assoziiert man bei Arche? „Nach mir die Sintflut“?
So war das bestimmt nicht gemeint. Herr Schulz hängt schon an dem, was er hier mit Robert Koall, aber auch mit vielen Anderen aufgebaut hat. Völlig zu recht.
Tod eines Werkstatttäters
„Alle meine Söhne“ von Arthur Miller, Regie Sandra Strunz, Premiere am Staatsschauspiel Dresden am 22. Mai 2015
Nach den ersten zwanzig Minuten kann man meinen, das geht nicht auf, dieser Ansatz trägt den Abend nicht. Zu statisch ist das Ganze, zu reduziert in den Mitteln, zu beiläufig erzählt, und auch wenn man die logische Struktur darin spürt, ist es doch wenig aufregend.
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Doch nach und nach kommt Leben in die Bude des Fabrikanten Joe Keller und seiner Frau Kate. Von den zwei Söhnen kehrte nur Chris aus dem Krieg zurück, der ältere Larry ist seitdem vermisst. Ein schwatzhafter Nachbar hilft beim Verständnis der Situation: Kellers Fabrik lieferte Flugzeugteile an die Army, darunter auch eine Tranche fehlerhafte, die für den Tod von 21 Boys sorgte. Im darauf folgenden Prozess konnte Joe Keller die Schuld auf seinen Partner Deever abwälzen, der seitdem für ihn im Knast sitzt. Alle in der Stadt wissen, wie es wirklich gewesen sein muss, doch der Haifisch ist kein Haifisch, wenn man’s nicht beweisen kann, und deshalb entwickelt sich das Nachkriegsgeschäft von Mr. Keller prächtig und die Bürger halten den Mund.
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Joe Keller geht ab, ein Schuss knallt, der Epilog des Stückes wird als Begräbnis inszeniert. Ein letzter dramaturgischer Höhepunkt, der den Berichterstatter dann endgültig dazu bringt, diese Inszenierung als geglückt zu betrachten.
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http://www.livekritik.de/kultura-extra/theater/spezial/premierenkritik_allemeinesoehne_staatsschauspieldresden.php
Die Farbe der Elbe
„Alles im Fluss“, ein Projekt über die Elbe und den Wandel der Zeit von Uli Jäckle, Produktion der Bürgerbühne am Staatsschauspiel Dresden, Uraufführung am 23. April 2015, gesehen am 9. Mai 2015
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Mit „normalen“ Theatermaßstäben sind Bürgerbühnen-Stücke kaum zu messen, das trifft diesmal ganz besonders zu. Es war eher eine große Performance von knapp fünfzig Laien unter professioneller Anleitung, mal weniger, meist aber mehr gelungen. Wenn man sich darauf einlässt, macht der Abend Spaß, und man geht erfrischt und beschwingt nach Hause.
http://www.livekritik.de/kultura-extra/theater/spezial/urauffuehrung_ulijaeckle_allesimfluss.php
Puppen weinen doch
„Madama Butterfly“ von Giacomo Puccini, musikalische Leitung Anthony Bramall, Inszenierung Aron Stiehl, Premiere an der Oper Leipzig am 14. März 2015
Puccini bediente mit seiner Oper das Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa erwachte Interesse für Japan, wählte aber ein für dieses Genre schwieriges Thema, die käufliche oder besser mietbare Liebe unter de facto kolonialistischen Verhältnissen. Fortsetzen lässt sich das Sujet bis hin zum Sextourismus der heutigen Tage, was das wiederum erstklassige Programmheft auch tut. Trotz des schweren Stoffes ist die Oper pures Sopranistinnen- und Tenorfutter, neben der bereits beschwärmten Karah Son nutzt auch Gaston Rivero die Gelegenheit sich auszuzeichnen. Die weiteren Hauptpartien sind mit Susanne Gritschneder als Suzuki und Mathias Hausmann als Konsul ebenso hervorragend besetzt, …
http://www.kultura-extra.de/musik/spezial/premierenkritik_madamebutterfly_operleipzig.php
Du sollst nicht foltern
„Der Tod und das Mädchen“ von Ariel Dorfman, Regie Dorotty Szalma, Premiere am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz am 13. März 2015
… Ein Vier-Sparten-Ereignis ist angekündigt worden, das düstere Schauspiel angereichert um Musik, Tanz und Oper. Klingt ambitioniert, man durfte gespannt sein, wie das dem GHT gelingt. Vorweg: Auch wenn nicht alles glückte, sehenswert und dramatisch war das allemal, ein schöner Beweis der Sinnhaftigkeit eines Vollspartentheaters.
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http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/premierenkritik_dertodunddasmaedchen_ght.php
Amerikanisch Roulette
„Amerika“ nach dem Roman von Franz Kafka in der Fassung von Pavel Kohout und Ivan Klima, Regie Wolfgang Engel, Premiere am Staatsschauspiel Dresden am 7. März 2015
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Vielleicht ist das Dreh-Dings auf der Bühne ja auch eine Lotterietrommel für das amerikanische Roulette. Zu gewinnen gibt es dabei nichts, den american dream muss sich jeder selbst erfüllen, zur Not in der Imagination.
Bei den Arbeiten von Wolfgang Engel spürt man immer eine große Gelassenheit, hier muss niemand mehr etwas bewiesen werden, hier weiß einfach einer, wie es geht. Es geht auch anders, aber so geht es eben auch.
http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/premierenkritik_amerika_staatsschauspieldresden.php
Die verpasste Chance
„Katzelmacher“ von Rainer Werner Fassbinder, Regie Robert Lehniger, Produktion der Bürgerbühne am Staatsschauspiel Dresden, gesehen am 2. März 2015
Eigentlich, liebes Staatsschauspiel, war das eine großartige Idee, Fassbinders Fast-Erstlingsfilm, der mit so wenig Geld auskommen musste, dass sich nicht mal eine Beleuchtung für Nachtszenen bezahlen ließ und der vielleicht auch wegen des Zwangs zur Bescheidung in seiner lakonischen Trostlosigkeit so überragend ausfiel, 45 Jahre später als Mischwerk aus Film und Theater auf die Bühne zu bringen.
Und eigentlich war auch der Ansatz, sich strengstens an die filmische Vorlage zu halten, sehr nachvollziehbar. Gut, des (Versuchs eines) Münchner Dialekts für die Darsteller hätte es nicht gebraucht, aber sonst? Die besten Voraussetzungen für eine grandiose Inszenierung waren zweifellos gegeben.
