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Was man über die DDR wissen muss
Christoph Hein, „Das Narrenschiff“, Roman, 2024

Achtzig Jahre ist Christoph Hein nun, doppelt so alt wie die DDR, so einer weiß, wovon er schreibt, wenn er von „zu DDR-Zeiten“ berichtet.
Um die DDR, vor allem ihr Machtgefüge, zu verstehen, muss man aber noch weiter zurückschauen, in die 1930er Jahre, nach Moskau. Dort sammelte sich ein Teil der Leute, die Nazideutschland verlassen mussten, meist KPD-Parteigänger, während es die SPD-ler und die Intellektuellen eher nach Westen zog. Schon 1937, nach der ersten großen Stalinschen Säuberungswelle, wurde ihre Zahl deutlich geringer.
Die Überlebenden hatten ihre Lebenslektion gelernt: Die Partei bzw. Väterchen Josef Wissarionowitsch hat immer recht, Zweifel ist Verrat und wer nicht mitbekommt, wenn der Wind sich dreht, den sucht Genosse Mauser auf. Die Machtbasis der späteren DDR-Führung war schlicht Angst.
Dies erfährt man präzise und nachvollziehbar im ersten Teil des Romans, das ist hochspannend und lehrreich, entsetzlich und verstörend, niederschmetternd. Wenn man wissen will, wie es war: Hier erfährt man es. Kein Highlight der DDR wird ausgelassen, auch die zahlreichen Tiefpunkte werden geschildert, so plastisch, dass man versteht, warum es so kam, kommen musste.
Bis zum Honecker-Putsch bleibt die Erzählung detail- und faktenreich, danach erhöht sich merklich das Tempo, das tut der Verständlichkeit nicht gut. Erst zum Ende hin (des Buches und der DDR) kann man wieder besser folgen, und die Beschreibung des Nachwendejahres gehört zum Besten, was ich je darüber gelesen habe, auch sprachlich.
Leider gilt das für große Teile des Buches mitnichten. Im Gegenteil, es ist enttäuschend, wie hölzern die Dialoge angelegt sind, wie spärlich die Beschreibungen, wie wenig inspiriert die Szenen. Der Plot ist großartig, aber die Erzählung ist meist ärmlich.
Aber ein Lichtblick: Ich glaube, am Theater würde dieser Text gut funktionieren.
Der ganze Text:
https://www.kultura-extra.de/literatur/rezensionen/buchkritik_ChristophHein_DasNarrenschiff.php
Nicht grausam ist gut
Robert Stadlober war am 26.09.2024 mit einem Tucholsky-Programm beim LITERATUR JETZT! – Festival im Zentralwerk Dresden, und er hat mich begeistert.
http://www.kultura-extra.de/literatur/veranstaltung/programm_RobertStadtlober_LiteraturJetzt2024.php

Für den Graben
Fast hätte ich vergessen, von meinem Ausflug nach Weimar auch hier zu berichten.
Es gab Kästner für Erwachsene, und es war gelungen.
https://www.kultura-extra.de/theater/auffuehrungen/repertoire_Fabian_DNTweimar.php
Where did you sleep last night – Jagos Theaterpuzzle
„Othello / Die Fremden“, nach Shakespeare von Marcel Kohler, im Lausitz-Festival in Weißwasser am 25.08.24 gesehen, mit großer Freude.
https://www.kultura-extra.de/theater/auffuehrungen/LAUSITZFESTIVAL2024_Othello.php

Nicht Dürrenmatts Humor
DER BESUCH DER ALTEN DAME, inszeniert von Nicolai Sykosch, Premiere am Staatsschauspiel Dresden am 5. April 2024
So kann man das nicht machen, Herr Regisseur.
Friedrich Dürrenmatts Neo-Klassiker ist vieles, eine Fabel über die menschliche Gier, eine Abhandlung über Schuld und Sühne, ein Bericht über ein soziales Experiment, und ja, auch eine Komödie.
Aber, mit Verlaub, Herr Regisseur, keine der Art „ich lass meine Protagonisten am Anfang möglichst dämlich aussehen, da kommt der Spaß von ganz alleine“. Wenn man so gründlich falsch abbiegt wie vor der Pause, findet man im Normalfall den Weg nicht mehr zurück in eine dem Stück, dem Autor und auch dem Hause angemessene theatrale Form, da mögen sich einzelne Darsteller noch so abstrampeln, Herr Regisseur, es bleibt verhunzt und wird nicht mehr originell.
Weiter geht es hier:
Triumpf des Willens über die Vorstellung
Atlantis – die Welt als Wille und Vorstellung, ein Musik-Theaterabend von Sebastian Hartmann und PC Nackt
Uraufführung 27.01.2024 im Staatschauspiel Dresden, https://www.staatsschauspiel-dresden.de/spielplan/a-z/atlantis/
Der Enkeltrick bei der Rezeption von Regietheater besteht darin, die Unbegeisterten der geistigen Armut zu verdächtigen. „Das ist so gut, verstehst du das nicht? Fehlt dir vielleicht der intellektuelle Zugang?“ Und da das Bildungskleinbürgertum nichts mehr fürchtet, als aus dem erlauchten Kreise der geistigen Oberschicht ausgeschlossen zu sein, jubelt es, wenn Jubel angezeigt scheint. „Steht auf, wenn ihr Experten seid!“
So erklärt sich zumindest Teichelmauke® die Begeisterungsstürme, die heute abend durch das Dresdner Theater fegten. Am Inhalt kann es nicht gelegen haben, vielleicht an der Opulenz von Bild + Ton, aber ein gewisser Anteil an vorbeugendem „Auch-dafür-sein“ wird sich wohl dazwischen gemischt haben.
Wir lernen im Programmheft, daß Hartmann „keine Handlungsfolge und keine Figuren im Sinne eines traditionellen Dramas benötigt“, um seine „musikalisch strukturierte Form und eine plastische Installation im Bühnenraum“ stattfinden zu lassen. Die Trauben sind mir viel zu sauer, sagte der Fuchs, als er nicht rankam, und auf diese Weise lässt sich vieles rechtfertigen. Dennoch lege ich hier den Maßstab des Theaters an, auch wenn sich der Basti Hartmann längst in höheren Sphären wähnt.
Zum Bühnenbild lässt sich sagen, daß es jeder Walldorfschule als Klettergerüst dienen könnte, so frei von Ecken und Kanten wie es ist. Geklettert wurde allerdings nicht an diesem netten Stück Kunsthandwerk, aber es fuhr ein paarmal bedeutungsschwer rauf und runter.
Überhaupt war in jeder Sekunde viel Bedeutung zu spüren, oder zumindest der feste Wille dazu, sei es bei den dramatischen Gesten im Halbdunkel, beim seitwärtsschreitenden Chor, beim an die Ritter der Kokosnuss erinnernden Reiten ohne Pferd oder dem viermal wiederholten „la la la la“, nachlesbar im Libretto. Tatsächlich wird der im Programm abgedruckte Text so bezeichnet, was raffiniert ist, weil man ja um die häufige Sinnfreiheit in der Oper weiß. Die Veröffentlichung ist allerdings auch leichtsinnig, weil man den Stuss damit nachlesen kann und sich nicht der Mantel des Nicht-Verstehens oder Gleich-Wieder-Vergessens drüber breitet. Und so lässt sich manch literarische Kostbarkeit wie „der Kreis ist rund Augen voller Farben wie ein Hund im Feuer voller Narben“ für die relative Ewigkeit erhalten.
Im Kern geht es um eine Bebilderung und Vertonung des Schopenhauerschen Lehrsatzes „Die Welt ist meine Vorstellung“. „Ein Satz, den Jeder als wahr erkennen muss, sobald er ihn versteht“ (vergleiche Enkeltrick). Hartmann erweist sich auch diesmal als der Leni Riefenstahl des Theaters und setzt auf Masse, Volumen, Bilderfluten, Oratorien und meist heroische Musik (deren Schöpfer PC Nackt zwar erst in einem lächerlichen Auftritt mit einem unsichtbaren Heiligen Geist der Theatermusik die Szenerie betritt, sich danach aber als rahmengebender Virtuose zeigt) sowie bedeutungshuberndes Getänzel, was eine Verbindung zur reformatorischen Bewegung in Hellerau herstellen soll. Gut, kann man machen. Wo kein wirkliches Konzept ist, braucht es nicht viel mehr.
Zum Fremdschämen war punktuell durchaus Gelegenheit, aber das immer wieder durchscheinende „Seht her, ich kann hier machen, was ich will“ des Hartmann, der sich damit leider in Richtung des Namensvetters Waldemar bewegt, ist das eigentliche Ärgernis.
Ich nenne die Inszenierung eine großartige Kacke – mit der Betonung auf „artig“, denn so revolutionär im Konzept finde ich es nicht, auf wesentliche Stilmittel des Theaters wie Handlung und Figuren zu verzichten. Das ganze Brimborium mal abgezogen, war es dann doch recht langweilig.
Die Leipziger Not-Oper: Hamsterradio goes Punk
Wie immer seinem Bildungsauftrag auf coloRadio.org folgend, informiert Teichelmauke aus aktuellem Anlaß über das Musikgenre „Punk“ und erklärt, warum man am Bass höchstens den Bierkasten tragen darf, aber keine Verantwortung.
https://www.dropbox.com/s/yaocdp432l86akd/Not-Oper.mp3?dl=0
Der kleine und der große Unterschied
Ein paar Tage lang konnte man sich der Illusion hingeben, die Schreck- und Freudenschüsse nach den Wahlen am letzten Mai-Sonntag könnten dazu führen, daß neue Wege eingeschlagen werden, um zu retten, was noch zu retten ist an Zivilisiertheit im Inneren und Ansehen in der Welt, grad im äußersten Osten von Sachsen:
Ein Salon-Nazi mit den meisten Stimmen bei der OB-Wahl in Görlitz, aber sehr weit von einer großmäulig prophezeiten absoluten Mehrheit entfernt und deutlich dahinter ein CDU-Bewerber, der grad mal 30% der Wähler*innen von sich überzeugen konnte und damit fast exakt das Ergebnis des Gegenkandidaten bei der letzten OB-Wahl 2012 erreichte – das Potential der CDU in dieser Region also bestenfalls zur Hälfte ausschöpfte.
Gleich dahinter mit nur 2,4 %-Punkten oder 641 Stimmen weniger eine Bewerberin, die es „trotz“ ihrer grünen Herkunft schaffte, ein breites Bündnis hinter sich zu versammeln, und eine Kandidatin der Linken, deren Anteil von 1.470 Stimmen oder 5,5% im Verhältnis ähnlich desaströs war wie jener der CDU (exakte Zahlen hier: https://www.goerlitz.de/uploads/OB2019_1WG.pdf )
Angesichts der Tatsache, daß die AfD zwar wieder stärkste Kraft in Sachsen geworden war (wenn auch mit deutlich geringerem Stimmenanteil als noch zur Bundestagswahl 2017 und diesen ersten Platz somit nur dank der andauernden Schwäche der CDU bekam) und die nächsten Wahlen schon fast vor der Tür stehen, waren sogar neue Töne zu hören. Selbst der großer politischer Phantasie unverdächtige MP sprach von einer „Vier-Parteien-Koalition“, die es dann eben zu bilden gelte.
Was hätte näher gelegen, als gerade in Görlitz einen ersten Schritt zu gehen und den potentiellen Partnern auch mal etwas anzubieten, wenn man machtpolitisch schon auf dem letzten Loch pfeift (oder in diesem Falle bläst – Herr Ursu ist gelernter Trompeter)?
Aber im Osten nichts Neues – für die CDU bedeutet Zusammenarbeit Unterordnung, auf der Gegenseite wohlgemerkt. So wird aus dem kleinen Unterschied von ein paar hundert Stimmen der große Unterschied der politischen Kultur – die Versorgung eines für den nächsten Landtag ausgesonderten Parteifreundes „im besten Alter“ ist wichtiger als ein Modell, daß Sachsen in den nächsten Jahren vor dem Schlimmsten bewahren könnte. (Ob dies von allen in der CDU auch gewollt ist, darf allerdings bezweifelt werden)
Über die Selbstüberschätzung und mangelnde Weitsicht der Linken, die (auch) zu dieser Situation geführt hat, könnte ein eigener Beitrag zu schreiben sein, in dem viel von Traurigkeit die Rede wäre, aber das ist hier nicht das Thema.
Hier geht es um den Krug der Union, der wohl zum letzten Mal zum Wasser ging an der Neiße, bevor er dann im September bricht.
Und so darf der wackere Octavian weiter auf seinen Thron-Anspruch beharren, ohne daß ihn irgendein Augustus in Dresden zurückpfeifen würde – Herr Kretschmer arbeitet sich derweilen lieber am Vergleich von Unvergleichbarem ab und ergänzt seine ohnehin schon beachtliche Stilblütensammlung. Ohne die Größe einer Franziska Schubert, der „Staatsräson“ die eigenen Ambitionen unterzuordnen, hätte man wohl dank der Dimpflichkeit der Sachsen-CDU (eigentlich ein bairischer Fachbegriff, der aber selbst dort nur noch selten zum Einsatz kommen muss, „Bräsigkeit“ ist vermutlich geläufiger) dann in Görlitz den ersten AfD-OB in Deutschland gehabt. Danke, CDU, für gar nichts.
Spannend wird aber, wie sich Herr Kretschmer oder wer auch immer im September dann die sächsische Karre aus dem blaubrauen Dreck ziehen soll, sich die Bildung einer Regierung jenseits der AfD vorstellt. Glaubt er, man müsse nur rufen, damit alle potentiellen Partner die dargebotene Regierungsbeteiligung brav apportieren?
Das kann er tun – Glauben ist Privatsache. Und zugegebenermaßen ist in zwei Fällen der inhaltliche Trieb vermutlich deutlich schwächer ausgeprägt als der institutionelle – man darf davon ausgehen, daß für Ministertitel einige programmatische Großmütter geopfert würden, sofern diese noch lebend aufzufinden sind bei SPD und FDP. Nur werden aus drei Rittern von der traurigen Gestalt noch keine Musketiere.
Da macht offenbar einer die Rechnung ohne den vermeintlich vierten im Bunde – nebenbei gesagt übrigens die einzige Partei, die sich in Sachsen als Sieger fühlen darf nach der Wahl am Sonntag. Alle anderen sind teilweise massiv abgeschmiert im Vergleich zu 2017, https://wahlen.sachsen.de/europawahl-2019-wahlergebnisse-6931.php zu https://wahlen.sachsen.de/bundestagswahl-2017-wahlergebnisse-5073.php – und komme mir niemand mit den vielen Kleinparteien als Grund: deren Konkurrenz betraf alle.
Ein Strippenzieher wie Kretschmer sollte wissen, daß Politik – vornehm ausgedrückt – aus Kompromissen besteht. Und wenn jetzt ein Ursus minimus blind nach dem Honig der Macht tappt, soll er das halt tun (und das hoffentlich nicht auch noch verkacken) – aber um so größer wird der Teil des Bärenfells sein, den die Strategen der CDU abgeben müssen, um ein Regierungsmäntelchen zu schneidern.
PS: Falls jetzt einer bei der CDU anfängt nachzuzählen, welche Ministerien wohl dran glauben müssen nach der Wahl – gerne, ein bißchen Grusel schadet nicht.
Aber es geht in erster Linie um die Programmatik. Da wird manch bittre Träne fließen bei den Verteidigern des „Weiter-So“, des ungehemmten Zukunftsverbrauchs, des Polizeistaats, der autofixierten Verkehrspolitik, der industriellen Landwirtschaft, kurz bei allem, was der CDU und ihren Hintersassen heute lieb und teuer ist. Denen kann man dann nur empfehlen, in Rente zu gehen und nach Görlitz zu ziehen. Soll schön dort sein, an sich.
Teichelmaukes Hamsterradio macht Theaterdonner
Die Sendung vom 2. Februar 2019, mit viel Theater (anlässlich der Einladungen zum Theatertreffen für zwei Dresdner Produktionen und der fulminanten Lösch-Premiere „Das Blaue Wunder“ vom letzten Sonnabend nicht ohne Grund), hier zum Nachhören:
Ein Hamsterradio Spezial: GUNDERMANN
Hatte ich schon lange vor, und Andreas Dresens Film gab mir jetzt den letzten Anstoß dazu: Eine Sonderausgabe des Hamsterradio, Gerhard Gundermann gewidmet, ohne Pathos, aber mit der Ernsthaftigkeit, die ihm gebührt. Gut zwei Stunden lang, kürzer haben wir es dafür nicht.
Hier zum Nachhören (jetzt auch ohne vorherrunterladenmüssen):
https://www.dropbox.com/s/tjva9eobaw5kpve/Gundermann%201Sep18.mp3?dl=0
