Kategorie: Leben

Du sollst nicht foltern

„Der Tod und das Mädchen“ von Ariel Dorfman, Regie Dorotty Szalma, Premiere am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz am 13. März 2015

… Ein Vier-Sparten-Ereignis ist angekündigt worden, das düstere Schauspiel angereichert um Musik, Tanz und Oper. Klingt ambitioniert, man durfte gespannt sein, wie das dem GHT gelingt. Vorweg: Auch wenn nicht alles glückte, sehenswert und dramatisch war das allemal, ein schöner Beweis der Sinnhaftigkeit eines Vollspartentheaters.

http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/premierenkritik_dertodunddasmaedchen_ght.php

Eine Frau sieht rotgrünrot

Zur Einlassung der Architektin Regine Töberich in der MOPO24 am 13. März 2015

Frau Töberich hat am gestrigen Freitag (dass es ein 13. war, spielt hier wohl keine Rolle) die Welt darüber informiert, dass sie in Bälde den Elbradweg, der über ihr Grundstück am Pieschener Hafen verläuft, dort für die öffentliche Benutzung sperren wird.
Dass sie dies über eine Anzeige in der „MOPO24“, dem Online-Ableger der Dresdner Morgenpost tat, lässt vermuten, dass sie die Hoheit über das Geschriebene behalten wollte, vielleicht weil sie Journalisten keine objektive Berichterstattung zutraut. Dass diese Anzeige täuschend ähnlich einem redaktionellen Beitrag layoutet wurde, wirft allerdings zum einen die Frage auf, ob das extra kostete und zum anderen, was dieser neue Stern am Dresdner Medienhimmel für ein Selbstverständnis hat.

Man merkt aber recht schnell, dass der Beitrag nicht von Redakteuren stammt: So lang sind deren Texte dort nicht und Bilder sind auch keine dabei. Auf immerhin im pdf-Format drei A4-Seiten teilt Frau Töberich ihre Sichtweise zur Bebauung des umstrittenen Geländes mit, was sich in der Schilderung durchaus plausibel liest. Regine Töberich als Besitzerin der Fläche, auf der ihr „Marina Garden“ entstehen soll, fühlt sich getäuscht und hintergangen von der Stadtverwaltung und der neuen rotgrünroten Mehrheit des Stadtrates.

Zweifellos gab es bis vor wenigen Wochen einen gültigen Aufstellungsbeschluss des Stadtrates für einen Bebauungsplan aus dem Jahr 2010, der die Bebauung mit hochwertigem Wohnungen erlaubt hätte. Eine „Jahrhundert“-Flut und eine intensive Diskussion über das Gebiet des Pieschener Hafens später wurde dieser im Januar 2015 durch einen neuen ersetzt, der zugunsten des Hochwasserschutzes und verbleibender Freiräume die Bebauungsmöglichkeiten stark einschränkt.
Frau Töberich nennt das „kriminell“ und beklagt zudem ihre mangelnde Information durch die Stadtverwaltung. Sie setzt diese Tatsache mit einer Enteignung gleich und wirft rot-rot-grünen Politikern „Allmachtsfantasien“ und denen sowie Teilen der Stadtverwaltung „bewusste Täuschung und Betrug“ bzgl. der Hochwasserschutzes vor. (In ihrer Argumentation weist sie ihr Projekt übrigens als einzig wirkliches Bollwerk gegen die GLOBUS-Ansiedlung aus, was dialektisch geschickt ist, und schmiert der Linken und Herrn Hilbert, die man gewiss nicht unter einer Decke vermuten würde, de facto Korruption aufs Schnittchen.)

Man fragt sich natürlich, warum die Frau nicht zur Polizei geht damit, zumal einige Missetäter ihr ja auch namentlich bekannt sind. Sicherlich mag man Bürgermeister Hilbert ungern als einen der Aufrichtigsten unter der Sonne bezeichnen, und wer die stadtverwaltenden Prozesse ein wenig kennt, glaubt ihr die Nicht-Einbeziehung unbesehen.
Dennoch, Demokratie ist, wenn die Mehrheit entscheidet, und für die Folgen daraus gibt es letztlich Gerichte. Ein Gemeinwesen muss sich auch korrigieren dürfen.
Manch privater Grundstückseigentümer mag beklagen, dass die Planungshoheit für Bebauungen bei der kommunalen Verwaltung liegt und Entscheidungen durch gewählte Vertreter_innen des Volkes getroffen werden und nicht nach finanziellem Interesse durch die Immobilienbesitzer selber. Wer das möchte, muss sich anderswo wirtschaftlich betätigen, sollte sich aber etwaiger Transaktionskosten bewusst sein, die in hiesigen Gefilden nur im Ausnahmefall auftreten.

Wenn Frau Töberich einen wirklichen Anspruch auf Entschädigung für eine verlorene Planung und den entgangenen Gewinn hat, wird sie diese auch erhalten, wenn vielleicht auch einige Jahre und Instanzen später. Ohne detaillierte Kenntnis aller Fakten mag ich das nicht beurteilen.
Doch das wird sie wissen, und darum scheint es auch gar nicht zu gehen: Wie weiland Michael Kohlhaas will Regine Töberich „Gerechtigkeit“, oder das, was sie dafür hält. Und mit der Unterbrechung des Elbradwegs auf ihrem Grundstück plant sie eine Strafaktion mit pädagogischem Anspruch, lockt aber zugleich mit der Schenkung des fraglichen Abschnitts an die Stadt, sobald „die massiven Vorwürfe … geklärt sind“ und „Verwaltung und Politik endlich rechtskonform handeln“.

Eine Frau sieht also rotgrünrot. Zum Glück verfügt sie weder über den Körperbau von Charles Bronson noch über dessen filmisches Waffenarsenal, aber Geld immerhin scheint vorhanden zu sein, trotz des anzunehmenden Wertverlustes ihrer Liegenschaften.
Vielleicht sollte sie aber jenes Geld besser für andere Dinge ausgeben, denn bisher wird sie entweder gar nicht oder äußerst schlecht beraten. Ihr persönlicher Rachefeldzug gegen Dirk Hilbert (den die Elbradsperrung kaum persönlich betreffen wird) und Dr. Christian Korndörfer sowie die Politiker_innen der neuen Stadtratsmehrheit, von denen nur Thomas Löser die Ehre einer Erwähnung erfährt, ist zwar im Moment noch unterhaltsam, wird ihr aber nicht nutzen, sondern sie dauerhaft beschädigen. Mit Schaum vor dem Mund setzt man keine Projekte um, das gilt nicht nur für Marina Garden.

Bei Michael Kohlhaas ging die Sache für ihn tragisch aus, immerhin bekam er zuvor seine Gäule zurück. Aber wenn sich Geschichte wiederholt, dann als Farce, und um Leib und Leben geht es hier gottlob nicht.
Freuen wir uns also auf die nächsten Folgen, stellen Popcorn bereit und schalten wieder ein, wenn es heißt: „Frau Töberich schaltet eine Annonce“.

Ach, übrigens, wegen dem Elberadweg, gnä’ Frau: Im Grundgesetz steht „Eigentum verpflichtet“ … Aber wie schon Martin Buchholz fortsetzte, „natürlich zu gar nichts“. Mit solcher Verfassungsfolklore will ich Sie nicht behelligen.

Amerikanisch Roulette

„Amerika“ nach dem Roman von Franz Kafka in der Fassung von Pavel Kohout und Ivan Klima, Regie Wolfgang Engel, Premiere am Staatsschauspiel Dresden am 7. März 2015


Vielleicht ist das Dreh-Dings auf der Bühne ja auch eine Lotterietrommel für das amerikanische Roulette. Zu gewinnen gibt es dabei nichts, den american dream muss sich jeder selbst erfüllen, zur Not in der Imagination.

Bei den Arbeiten von Wolfgang Engel spürt man immer eine große Gelassenheit, hier muss niemand mehr etwas bewiesen werden, hier weiß einfach einer, wie es geht. Es geht auch anders, aber so geht es eben auch.

http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/premierenkritik_amerika_staatsschauspieldresden.php

Die verpasste Chance

„Katzelmacher“ von Rainer Werner Fassbinder, Regie Robert Lehniger, Produktion der Bürgerbühne am Staatsschauspiel Dresden, gesehen am 2. März 2015

Eigentlich, liebes Staatsschauspiel, war das eine großartige Idee, Fassbinders Fast-Erstlingsfilm, der mit so wenig Geld auskommen musste, dass sich nicht mal eine Beleuchtung für Nachtszenen bezahlen ließ und der vielleicht auch wegen des Zwangs zur Bescheidung in seiner lakonischen Trostlosigkeit so überragend ausfiel, 45 Jahre später als Mischwerk aus Film und Theater auf die Bühne zu bringen.
Und eigentlich war auch der Ansatz, sich strengstens an die filmische Vorlage zu halten, sehr nachvollziehbar. Gut, des (Versuchs eines) Münchner Dialekts für die Darsteller hätte es nicht gebraucht, aber sonst? Die besten Voraussetzungen für eine grandiose Inszenierung waren zweifellos gegeben.

Aber …
http://www.livekritik.de/kultura-extra/theater/spezial/theaterkritik_katzelmacher_staatsschauspieldresden.php

Wenn er geschwiegen hätte … oder: Was gehört zu Sachsen?

Nein, auch wenn er geschwiegen hätte, der sächsische Landesvati, ein Philosoph wäre er damit weder geblieben noch geworden. Zu oft hat man schon Seltsames gehört von ihm, als dass dieser Titel angemessen wäre.

Bislang fuhr Tillich mit seiner vermutlich in Berlin abgeschauten Strategie, fein in der Deckung zu bleiben und nur im Notfall einen Standpunkt zu vertreten, recht gut. In Sachsen gewinnt man damit Wahlen.
Was mag ihn geritten haben, am heutigen (25.01.) Sonntag der „Welt“ ein Interview zu geben, in dem er neben viel Belanglosem, einigem Richtigen und einigem zumindest Streitbaren sich auch bemüßigt fühlt, Angela Merkels unlängst geäußertem klarem Standpunkt zu widersprechen: „… Das bedeutet aber nicht, dass der Islam zu Sachsen gehört.“ Punkt. Treffer. Versenkt.

Tillich ist lange genug Politiker, um gewusst zu haben, dass die Journalisten genau diese Aussage zum Aufhänger wählen würden. Und selbst wenn er sich in diesen Fragen eine gewisse Naivität bewahrt haben sollte, gibt es doch genug Leute um ihn herum, die eigentlich dafür bezahlt werden, solche verbalen Fehltritte zu verhindern. Von einem Versehen kann man da also kaum sprechen.

Dabei geht es gar nicht um den Wahrheitsgehalt dieses Satzes. …

Der ganze Kommentar hier:
http://www.livekritik.de/kultura-extra/panorama/feull/kommentar_wennergeschwiegenhaette250115.php

Angst essen Anstand auf

Die Sächsische Zeitung hat heute, am 17. Januar 2015, unter der Überschrift „Vier aus Tausenden“ in ihrer wichtigen Rubrik „Die Seite Drei“ Statements von mit Bild und Namen abgebildeten Teilnehmern an den allmontäglich stattfindenden Spaziergängen abgedruckt. Die Kontakte kamen vor allem durch Leserbriefe zustande.

Es ist zweifellos sinn- und verdienstvoll, sich mit den Motiven der Spaziergänger auseinanderzusetzen. Für mich ist das kein Tabubruch der SZ, diesen Raum zu geben, zumal sich die Befragten damit keinen Gefallen tun. Zu offensichtlich wird, dass es jenen nicht vor allem an Intelligenz mangelt, sondern an dem, was eine – von mir aus auch „christlich-abendländische“ – Gesellschaft auszeichnet: Mitmenschlichkeit, Nächstenliebe und Toleranz.

Das nach der Selbstbeschreibung „normale, aufgeklärte und informierte Bürgertum“ legt Wert auf die Feststellung, nicht zu den Nazis zu gehören, hat aber auch kein Problem, mit denen zu marschieren.
Im Wesentlichen werden zwei Kritikpunkte artikuliert:

1. Das politische System generell, die geringen Mitwirkungsmöglichkeiten und Wahlbeteiligungen sowie die gleichgeschalteten Parteien und Medien
Die Forderung nach Volksentscheiden auf Bundesebene kann, muss man aber nicht teilen, die nach einer Wahlpflicht erinnert dann doch sehr an früher. Beteiligung erreicht man am besten durch Beteiligung, und seiner Meinung zur politischen und medialen Landschaft Ausdruck zu verleihen, ist zum Glück nicht verboten. Insofern ist das öffentliche Aussprechen dieser Behauptungen zu akzeptieren in einer Demokratie, es wird soviel Unsinn verbreitet, da haben die –GIDAs auch ein Recht darauf.

2. Die (zu große) Zuwanderung und Asylmissbrauch im Sinne von „das Boot ist voll“ und „wir haben selber nicht genug“
Dass das Lebensniveau in unserem Lande auch für die ärmeren Schichten zu den höchsten weltweit zählt, werden sicher auch die Spaziergänger nicht bestreiten. Jedoch ziehen sie daraus den Schluss, dies sei mit allen Mitteln zu verteidigen, das wäre nunmal „unser Sozialsystem“, da könnte ja jeder kommen. (Man spricht übrigens durchgängig von „Asylanten“, der SZ halte ich da mal die angestrebte Authentizität zu Gute.)
Gibt es ein Menschenrecht auf Egoismus? Die Frage ist sicher falsch gestellt, aber es gibt mit Sicherheit ein Recht darauf, Egoismus als solchen zu benennen.

Eines wird deutlich: Die Spaziergänger erweisen sich trotz aller Wut vor allem als Angstbürger. Im Umkehrschluss zu einem berühmten Folk-Zitat – Unfreiheit ist, etwas zu verlieren zu haben – kann man die Marschierer auch als Gefangenenchor bezeichnen.

Angst essen Anstand auf, auch im Kleinbürgertum. Und so schämt man sich auch nicht, gegen Flüchtlinge als vermeintliche Sündenböcke zu demonstrieren. Schlimmer als die Armut ist wohl nur die Angst davor. Ist der Ruf erst ruiniert …

Kein appetitliches Bild, was da von den Montagswanderern entsteht, zumal man bedenken muss, dass das ja nur jene sind, die sich äußern können und wollen (daran kranken auch die kürzlich von der TU Dresden veröffentlichten Befragungsergebnisse der Teilnehmer). Wenn man die schweigende (bzw. nur im Sprechchor hörbare) Masse noch hinzu nimmt, ist der symbolische Straßenputz im Anschluss daran wirklich dringend notwendig.

Mein unlängst geäußerter Optimismus, diese gespenstische Szenerie würde sich auch in Dresden bald von selbst erledigen, ist kleiner geworden, aber noch nicht aufgebraucht. Und so hoffe ich weiter, dass langsam die Einsicht wächst, die Welt sei doch nicht so simpel wie in den Reden der Anführer. Vielleicht hilft ja auch ein Besuch in Gießen, dort, wo früher die DDR-Flüchtlinge aufgefangen wurden. Das wäre dann der richtige Bezug zu „’89“.

Der Schweiß von Schimanski

„mein deutsches deutsches Land“ von Thomas Freyer, Regie Tilmann Köhler, Uraufführung am Staatsschauspiel Dresden, gesehen am 30. Dezember 2014

Es ist alles schon gesagt.
Nein, ich will nicht auf den alten Kalauer „aber noch nicht von mir“ hinaus. Es ist wirklich fast alles schon geschrieben worden zu diesem Stück, das vor knapp vier Wochen Premiere hatte, auch in der Süddeutschen, auf nachtkritik.de, im Deutschlandfunk und in der taz wurde – völlig zu Recht – gejubelt. Mir bleiben da nur noch einige Anmerkungen zu Dingen, die ich nicht ganz gelungen fand.

http://www.livekritik.de/kultura-extra/theater/spezial/urauffuehrung_thomasfreyer_meindeutschesdeutschesland.php

Im Abendlande wird es früher dunkel

Die Überschrift ist nicht logisch, aber vieles heutzutage ist nicht logisch. Warum fühlen zum Beispiel einige Menschen im Moment derartige Phantomschmerzen, dass sie deshalb allmontagabendlich durch die Dresdner Innenstadt promenieren anstatt sich am Glühwein zu berauschen und Bratwurstfett auf die Funktionskleidung zu kleckern?

Unter einem schlecht ausgedachten Kürzel, das mich an irgendetwas zwischen Sanitärreinigung und Mitropa erinnert, sammeln sich heute also die Nachfahren der Kreuzritter. Jene, so darf man wissen, rekrutierten sich aus den zweit- und folgendgeborenen und somit erblosen Söhnen des Landadels, die mangels heimischer Beschäftigungsaussichten das Kreuz zu den Ungläubigen und fette Beute mit nach Hause zu bringen gedachten. Ein Hoch auf die Friedfertigkeit heutiger Wirtschaftsflüchtlinge!
Diese frühe Form der Entwicklungshilfe stieß bei besagten Ungläubigen, die das mit dem Unglauben übrigens genau andersrum sahen, auf wenig Gegenliebe, spielt allerdings in der Geschichtsschreibung der islamischen Welt kaum eine Rolle. So erfolgreich können die Missionen also nicht gewesen sein.

Jene heutigen Ritter vom Kreuz durch den Halbmond verteidigen also auf den Dresdner Straßen montags zwischen 6 und 8 Uhr abends ihr Märchenland, das man immerhin noch aus der (schlechten) Fernsehwerbung kennt, wenn auch immer seltener. Zum Anführer hat sich ein Lutz aufgeschwungen, dessen Nachnamen ich vergessen habe und für den Herr Brecht seinen Arturo Ui umschreiben müsste: Etwas weniger Raffinesse, dafür mehr Schnauzbart. Vorerst zumindest kann der gewesene Kleinkriminelle noch den Obermacker machen, bis er für die Bewegung nicht mehr nützlich, sondern nur noch ein Idiot ist. Dann müssen honorigere Männer und Frauen aus dem Wutvolke ran, ohne Vorstrafen, von Steuerdelikten vielleicht abgesehen, die sind ja eine Form des Widerstands gegen den von den Alis unterwanderten Staat.

Von „christlich“ ist übrigens in der putzigen Benamsung der Wandertruppe nicht die Rede, es bringt also auch nichts, an deren Nächstenliebe zu appellieren. Bis zum Übernächsten würde die ohnehin kaum reichen.
Wenn man aber so ausdrücklich „gegen“ etwas ist, liegt die Frage nach dem „Für“ nahe. Christianisierung? Hm, eher nicht. Religionsfreiheit? Gerne doch, ist aber mit dem „gegen“ nur bedingt kompatibel. Arisierung? Leider schon negativ besetzt.
Man merkt, den Freiheitskämpfern an der Heimatfront fehlt noch ein PR-Berater, mit dagegen allein kriegt man heutzutage keine Punkte mehr auf Dauer.

Wenn man das Thema mal quantitativ beleuchtet, relativiert sich dann doch vieles: Von den 15.000 Marschierern jene abgezogen, die als Volksdarsteller bei jeder dieser Gelegenheiten von Schneeberg bis Hoyerswerda präsent sind und jene, die das Umland bevölkern, bleibt allerhöchstens ein Prozent der Dresdner Bevölkerung, das sich hinter den vaterländischen Bannern versammelt. Und von denen hält sicher die Hälfte die Yenidze für einen Brückenkopf des Islam in unserer unschuldig-schönen Stadt.

Das soll jetzt nichts verharmlosen, auch mir ist klar, dass die mediale Reichweite deutlich größer ist als den paar Hanseln rechnerisch zustünde. So sind nun mal die Gesetze im Infotainment. Ob man das aber nun gleich willfährig als Niederlage verbuchen muss, wenn sich auf der anderen Seite einmal ein paar weniger der Mühe unterzogen haben, das Bild von Dresden wenigstens halbwegs zu retten, weiß ich nicht. Damit gibt man dem Gelatsche eine Bedeutung, die ihm nicht zukommt.

Bald ist Wintersonnenwende, die Tage werden wieder länger. Dann wird vielleicht auch Licht in den Hutznstubn des deutschen Geistes. Und bis dahin wünsche ich ein sehr unchristliches Wetter an jedem Montag abend.

Schalom,
Teich El Mauke

Die Geister, die ich rief … Rückenwind für den Dresdner Stadtrat

Auswertung der vierten „Dresdner Debatte“ zum Integrierten Stadtentwicklungskonzept am 29. Oktober 2014 im Kulturrathaus

Die „Dresdner Debatte“ ist eine relativ neue Form der Bürgerbeteiligung bei Planungsprozessen, die sich wesentlich auf eine Online-Plattform (http://dresdner-debatte.de/) stützt, aber auch auf einige klassische Veranstaltungen und eine Info-Box, den markanten roten Container, der an relevanten Plätzen während der Laufzeit der Debatte aufgestellt und mit fachkundigem Personal besetzt wird, um die Anregungen der Bürger*innen aufzunehmen.
Die Landeshauptstadt hat hierfür schon einiges an Lob erhalten, die Methodik des öffentlichen Dialogs zwischen Politik, Planung und Bevölkerung – ursprünglich für abgegrenzte Planungsräume wie den Neumarkt oder die Innere Neustadt vorgesehen – scheint sich nun auch bei stadtweiten Themen zu bewähren. Und so wurde nach der Diskussion des Verkehrsentwicklungsplanes im letzten Jahr nun das derzeit in Aktualisierung befindliche INSEK behandelt.

INSEK ist weder eine Sondereinheit der Polizei noch der Verband der Insektenfreunde, sondern die verwaltungstechnische Kurzform des „Integrierten Stadtentwicklungskonzepts“, ein Strategiepapier der Landeshauptstadt, das die inhaltliche Richtung der weiteren Entwicklung der Stadt beschreibt und somit den fachlichen Einzelplänen übergeordnet ist, ohne eine rechtliche Verbindlichkeit zu haben. Letztmalig wurde das Konzept im Jahr 2002 beschlossen, bei einem Planungshorizont von zehn Jahren ist es somit höchste Zeit, ein neues zu erarbeiten.
Dies hat die Verwaltung getan und diesen Entwurf im Juni 2014 für vier Wochen den Bürger*innen der Stadt zur Kenntnis und Bewertung gegeben. Am 29. Oktober wurden nun die ersten Ergebnisse durch Baubürgermeister Marx und die mit dem Thema befassten Experten vorgestellt.

Im zur Diskussion gestellten Entwurf sind vier „Zukunftsthemen“ für Dresden definiert worden: Kulturstadt in Europa, Stadt mit Leistungskraft, Lebenswerte sowie Ressourcenschonende Stadt.
Diese wurden mit 30 Zielen der Stadtentwicklung untersetzt und auf 17 definierte Schwerpunkträume von der Innenstadt bis Hellerau angewandt, wobei nicht jedes Thema in jedem Raum eine Rolle spielt. In den einzelnen Schwerpunkträumen wurden auch noch „Schlüsselprojekte“ benannt, die für deren Entwicklung wesentlich sind. Nachlesbar ist das alles auf den Internetseiten der Debatte (http://dresdner-debatte.de/node/1757/informieren) und muss hier nicht im Detail aufgeführt werden.

Die Beteiligung der Bürger*innen wurde ein wenig verklausuliert dargestellt: Knapp 55.000 Seitenaufrufe habe es gegeben, diese allerdings nur von 4.000 verschiedenen IP-Adressen respektive Nutzern (ich nehme aber an, dass ein heimischer Rechner auch manchmal von mehreren Menschen benutzt wurde, insofern waren es vielleicht auch 5.000 Teilnehmer). Jeder Nutzer rief also nach dieser Rechnung im Schnitt die Seiten elfmal auf, was auf eine intensive Beschäftigung mit der Materie schließen lässt.
Durch die Nutzer wurden gut 500 Beiträge hinterlassen (also durch jeden zehnten) und diese Beiträge 650 mal kommentiert sowie 2.700 mal (ähnlich dem sattsam bekannten „Like“) positiv bewertet. Die Verwaltung betrachtete die hohe Anzahl an Kommentaren als Beleg dafür, dass die Plattform auch als Diskussionsforum wahrgenommen wird, dem ist sicher nicht zu widersprechen.
Die Hälfte aller Beiträge wurde dem Thema „Lebenswerte Stadt“ zugeordnet, mit der Schonung der Ressourcen befassten sich rund 20% und mit kulturellen Themen immerhin 15%. Der Rest von 9% betraf die (wirtschaftliche) Leistungskraft der Stadt. Dass in mehr als der Hälfte der Schwerpunkträume die dort definierten Schlüsselprojekte überhaupt nicht thematisiert wurden, sollte den Planern zu denken geben, nur als Zustimmung lässt sich das sicher nicht interpretieren.

Die Auswertung der Beiträge läuft noch, Anfang 2015 soll ein zusammenfassender Bericht vorgelegt werden. Bislang wurden 163 Ideen bzw. Vorschläge heraus aggregiert, wobei die Hälfte davon als nicht relevant für das INSEK oder die Fachverwaltungen bezeichnet wurde. 82 Anregungen sind somit noch in der Prüfung, ob sie Eingang in das Konzept finden sollen.
Natürlich lobte die Stadtverwaltung die fachliche Qualität der Beiträge, alles andere wär auch arg unhöflich gewesen gegenüber den Bürger*innen. Aber dies scheint kein Lippenbekenntnis zu sein: Wie schon bei den vorangegangenen Debatten geben zumindest die im Kurzbericht (http://dresdner-debatte.de/sites/default/files/content-fragment/downloads/abschlussbericht_insek_debatte_kurzfassung_internet.pdf) veröffentlichten Hinweise ein nahezu komplettes Bild der aktuellen Diskussionslage in der Stadt zur weiteren Entwicklung. Und die Vorschläge sind bei weitem nicht als Zustimmung zur bisherigen Stadtpolitik zu bezeichnen, im Gegenteil: In Summe wird ein konsequentes Umsteuern in Richtung von Nachhaltigkeit, sozialer Ausgewogenheit, Ressourcenschonung und Zukunftsfähigkeit gefordert, fast schon verblüffend ist die hohe inhaltliche Übereinstimmung mit den Eckpunkten der Kooperationsvereinbarung der neuen rotgrünroten Gestaltungsmehrheit im Dresdner Stadtrat. (Insofern scheint der Ausgang der Stadtratswahlen doch kein „Betriebsunfall“ zu sein, wie neulich ein CDU-Stadtrat meinte, und diese Bewertung eher einem Wunschdenken zu entspringen.)

Beispielhaft werden einige der allgemeinen Wünsche genannt: Die Förderung lokaler und zeitgenössischer Kunst und Kultur soll ebenso ausgeweitet werden wie jene von bedarfsgerechtem und nutzungsgebundenem Wohnungsbau. Städtische Brachen sollen nicht verbaut, sondern als Grünflächen entwickelt werden und auch für „urban gardening“ zur Verfügung stehen. Die lokale Ökonomie soll bessere Bedingungen erhalten, auch durch alternative Wirtschafts- und Kreislaufsysteme. Die soziale Infrastruktur soll mit dem Neubau von Kinderspiel- und anderen Bewegungsplätzen verbessert werden. Beim Verkehr wurde vor allem der notwendige Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur in allen Aspekten, die Ausweisung von „shared spaces“ sowie die anzustrebende Barrierefreiheit thematisiert, aber auch die Förderung von Carsharing und ähnlichen Modellen.
Allgemein wurde oftmals auch eine höhere Planungskultur in der Stadt mit früherer und breiterer Bürgerbeteiligung angemahnt.

Konkret heißt das dann zum Beispiel, dass in der Innenstadt ein zentraler Busbahnhof errichtet und eine durchgehende Fußgängerzone bis zur Neustadt geschaffen werden soll. Grünflächen sind ebenso auszuweiten wie das Angebot an preiswertem Wohnraum. Mit einer Gestaltungssatzung soll die Entwicklung der Innenstadt besser gelenkt werden. Im Schwerpunktraum Friedrichstadt / Löbtau / Plauen wird die Einrichtung eines Kreativquartiers ebenso verlangt wie die Ausweitung des Weißeritz-Grünzuges in die Stadtteile hinein.
In der Leipziger Vorstadt geht es um den notwendigen Verzicht auf anhängige Großprojekte wie Hafencity und Globus und um bezahlbaren Wohnraum. Im „Umstrukturierungsgebiet Pieschen“ werden die Hufewiesen als Grünfläche sowie der Bau eines Freibades gefordert.
Die Entwicklung des „Campus Dresden“ soll räumlich begrenzt, die Verkehrsverhältnisse vor allem für den Radverkehr verbessert werden. Im „Schwerpunktraum Elbe / Elbwiesen und -altarm“ ist die Freihaltung von Bebauung das wichtigste Thema, aber auch ein Flussschwimmbad wird gefordert.

Diskutiert wurde im mit etwa 150 Zuhörern recht gut gefülltem Saal unter anderem die Frage, ob 4.000 (oder nach meiner Rechnung 5.000) Teilnehmer an der Debatte nun viel oder wenig wären. Auch wenn die Zahl bescheiden klingt, immerhin entspricht sie der Besucherzahl von ca. 100 Bürgerversammlungen. So gerechnet sind auch die 50.000 Euro pro Dresdner Debatte nicht allzu viel.
Dennoch deutete Bürgermeister Marx an, dass die Fortsetzung dieser Beteiligungsform auch eine Frage der Kosten und der städtischen Kapazitäten wäre. Sollen hier die gerufenen Geister wieder heimgeschickt werden, weil man der Vielzahl der Ideen nicht mehr Herr zu werden glaubt?
Da müssen die Alarmglocken läuten in den interessierten Kreisen, denn besser als mit diesem Instrument kommt man kaum an das Gold in den Köpfen der Bürger. Natürlich wird das immer nur ein relativ kleiner, aber aktiver Teil der Bevölkerung sein, der sich hier einbringt, doch das ist bei den klassischen Formen nicht anders und die Zugangshemmnisse sind bei der Online-Debatte deutlich geringer.
Und auch andere Formen haben weiter ihre Berechtigung, so wurde zum Beispiel das in Eigeninitiative entwickelte „Stadt-Camp“ mehrfach erwähnt, und ohne Bürgerversammlungen wird es auch künftig nicht gehen. Dennoch, die Methodik ist sinnvoll, vergleichsweise kostengünstig und ausbaufähig. Und warum sollte ein ähnliches Modell nicht auch zur Meinungsbildung in grundsätzlichen oder konkreten Fragen auf Landes- oder Bundesebene genutzt werden können?

Ein Aspekt darf dabei allerdings nicht vernachlässigt werden: Politik wird damit nicht ersetzt, sondern nur unterstützt. In der Stadt gibt es den demokratisch legitimierten Stadtrat sowie zahlreiche Ortschaftsräte bzw. -beiräte. Dort müssen letztendlich die Entscheidungen getroffen werden, dazu wählen wir die Volksvertreter.
Nur können diese Entscheidungen durch eine vorlaufende Bürgerbeteiligung deutlich besser untersetzt und vorbereitet werden. Dazu ist allerdings ein entsprechender Zeitablauf zu organisieren, der die Hinweise der Bürger*innen nicht erst beisteuert, wenn die Behandlung des Entwurfs bereits in den städtischen Gremien erfolgt, wie beim Verkehrsentwicklungsplan wohl geschehen.

Aus der vierten Dresdner Debatte kommt also offensichtlich ein starker Rückenwind für die aktuelle Stadtratsmehrheit. Nun müssen die konkreten Vorschläge bewertet und gegebenenfalls in das INSEK eingearbeitet werden. Die dabei von der Verwaltung zugesagte Transparenz ist Voraussetzung dafür, dass sich auch bei der nächsten Debatte zahlreiche Menschen beteiligen werden.

Der depressive Komiker