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Doch etwas fehlt
1. Deutsch-Europäisches Bürgerbühnenfestival in Dresden:
Nachdem sich am Sonntag und Montag der Begriff von Bürgerbühne deutlich weitete, kehrte man mit den Stücken des vierten Tages zu den vermeintlichen Kernkompetenzen zurück.
Die Borgerscenen Aalborg Teater präsentierte „Romeo og Julie lever!“ (Romeo und Julia leben!) in der Regie von Minna Johannesson, die Mannheimer Bürgerbühne des dortigen Nationaltheaters brachte „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ von Janne Teller mit.
Etwas hat sich in Gang gesetzt
„…, und nichts kann es mehr aufhalten“, um einen Slogan des Deutschen Theaters Berlin, das mit seinem Jungen Theater hier ebenfalls vertreten sein wird, zu zitieren. Das erste deutsch-europäische Bürgerbühnenfestival hat am 17. Mai 2014 in Dresden begonnen, und zumindest in den nächsten sieben Tagen wird es den Rhythmus dieser Stadt maßgeblich bestimmen.
Sonnabendnachmittag, kurz vor 17 Uhr, es wuselt und quirlt derart vor und im Foyer des Kleinen Hauses, dass man eine erste Ahnung davon bekommt, welch logistischer Aufwand hinter diesem Festival steckt. …
Es dauert, ehe das Völkchen sich im Saal eingefunden hat, doch viertel sechs (für die Gäste: Viertel nach Fünf) geht es dann endlich los: Ein Chor aus siebzig Akteurinnen und Akteuren der Dresdner Bürgerbühne, in seiner Besetzung repräsentativ für die volle Breite der Spielenden, eröffnet mit einem Lied über dieselbe das Festival, gewohnt begeisterungsfähig und selbstironisch. „Party und Partizipation“ heißt das Motto, und man wagt auch den Blick in die Zukunft, wenn die Bürgerbühne erst zehn Jahre alt sein wird, steht bestimmt auch die erste Welttournee an. …
(Die gesehenen Stücke: „Die Klasse“ vom jungen theater basel und „Die letzten Zeugen“ vom Burgtheater Wien)
Der ganze Text:
http://www.livekritik.de/kultura-extra/theater/spezial/buergerbuehnenfestival2014_dererstetag.php
Der Bürger als Theatermann
Das erste deutsch-europäische Bürgerbühnenfestival beginnt in Dresden – Ein Vorbericht
Schlachte Deinen Nachbarn!
„Ruanda-Memory“, Cie. Freaks und Fremde, Uraufführung im Societätstheater Dresden am 25. April 2014
Anfang der neunziger Jahre, in Sachsen, einem bergigen kleinen Land irgendwo in Europa. Die Schwarzhaarigen waren es endlich leid, dass die Blonden schöner, stärker und reicher schienen als sie selbst. Als einer von Ihnen eher zufällig durch einen Blonden zu Tode kam, war das Maß voll: Ein Gemetzel hob an, wie es dieses Land noch nicht erlebt hatte. Innerhalb eines Vierteljahres starben eine Million Blonde, von der Hand ihrer Freunde, Nachbarn, Familienmitglieder, wer nicht flüchten konnte, wurde niedergemacht, Kinder, Frauen, Alte. Wer blond war, musste sterben. Die im Land stationierten Truppen der vier Mächte waren ratlos, schauten zu und schauten weg, die Blonden unter ihnen verbargen ihr Haar unterm Blauhelm. Erst als kein Blond mehr auf der Straße schimmerte, nahm das Morden ein Ende.
Blödsinn?
Weiter hier:
http://www.livekritik.de/kultura-extra/theater/spezial/urauffuehrung_ruandamemory_societaetstheaterdresden.php
Schöne, nicht ganz neue Welt
Die Saisonvorschau 2014/15 des Staatsschauspiels Dresden
Es ist Gründonnerstag, ein Journalistenfeiertag, wie man jetzt auch im Staatsschauspiel Dresden weiß und deshalb die Pressekonferenz zur kommenden Saison um einen Tag vorzog. Die Vorstellung vor den interessierten Publikumskreisen (zwei Vereine und einige Abweichler) konnte aber am geplanten Tag verbleiben, die meisten im mit 200 Gästen gut gefüllten Foyer sind ohnehin im Rentenalter.
Ich beschließe, den rar gewordenen Moment, zum jüngsten Viertel der Besucher zu gehören, ausgiebig auszukosten und lasse mir die Laune auch nicht durch die witzelnde Einleitung des Vereinsmeiers Eins verderben. Dessen Zumutungen lässt Intendant Wilfried Schulz locker abtropfen und hat gleich ein ärztliches Bulletin zu verkünden: Ja, Lea Ruckpaul habe sich den Fuß gebrochen, aber bei den jungen Leuten wachse sowas schnell wieder zusammen. Sie würde heute trotzdem die Titelrolle in Antigone spielen, im Sitzen, und ihre Wege würde jemand anderes gehen, was grad noch auf der Bühne geprobt würde, weswegen man mit der Spielplanvorstellung ins Foyer ausgewichen sei.
Das klingt verdammt interessant, wie schlümmstes Berliner Regietheater, auch wenn ich das Stück überhaupt nicht und die aktuelle Inszenierung auch nicht besonders mag. Ich bleib dann aber doch nicht zur Vorstellung, die Welt (oder zumindest ein Milliardstel davon) wartet auf meinen Bericht. Also:
Die „geistige Stütze“ des 61-jährigen Schulz (um den Vereinsmeier Eins zur Strafe zu zitieren), Chefdramaturg Robert Koall, weilt im fernen Amerika, um auch dort Gutes zu tun, zumindest an einigen Studierenden. Wie man ihn kennt, wird er eine Uraufführung mitbringen.
Wilfried Schulz muss heute also alleine die durchaus wohlwollende Halbfachwelt (Fachhalbwelt?) bespielen, aber dies gelingt prächtig. Die gute Stunde vergeht wie im Fluge, nur am Anfang sind es ein paar Fußballmetaphern zu viel, das hat er gar nicht nötig, zumal er gelegentlich einen Zwischenruf bekommt, den er als Steilpass aufnimmt und dem Rufer postwendend ins eigene Netz knallt. (Jaja, ich kann das auch mit den Metaphern.)
Genug geblödelt.
Es wird eine schöne Welt werden im Dresdner Theater, wenn auch keine völlig neue. Doch man startet mit einer Uraufführung, besagter „Schönen neuen Welt“ nach Aldous Huxley, die – siehe oben – Robert Koall eingesammelt und für die Bühne aufbereitet hat. Und dann führt auch noch der seit dem Dresdner „Don Carlos“ zur allerersten Reihe gehörende Roger Vontobel Regie, der diesen beängstigend-großartigen Stoff sicher in faszinierender Weise umsetzen wird. Da freu ich mich schon sehr drauf, und wenn es für den 12. September schon Karten gegeben hätte, würde eine jetzt mir gehören.
Also mal kein Klassiker zur Eröffnung, aber vielleicht wird es ja einer.
Dafür folgt dann ein richtiger: Tschechow. Das brachte Herrn Schulz zum Sinnieren, wo denn die Sehnsuchtsorte heute so wären, da ja „nach Moskau …“ nur mehr bedingt gelten würde. Die Frage blieb offen. (Ich hätte Hiddensee und das Schützenhaus in Wehlen zu bieten, aber das ist jetzt vielleicht zu banal.)
Regie wird Tilman Köhler führen, was unbedingt eine gute Idee ist, wie laut Schulz auch das Ensemble findet. Drei Dutzend Bewerber*innen hätte er auf elf Rollen … Dass er bei dieser Gelegenheit auch noch so cool ist, über sein sicher nicht unbeträchtliches Gehalt zu witzeln (und einen Teil davon als Schmerzensgeld zu definieren), zeigt eine Souveränität, die in den fünf Jahren seines Vertrags stetig gewachsen ist.
Wilfried Schulz hat inzwischen in Dresden verlängert, was ebenfalls eine gute Idee ist, und beginnt nun seine sechste Spielzeit. In dieser wird es – auch wenn „Klaus im Schrank“ noch wie geschnitten Brot geht – ein neues Kinder- und Familienstück geben, „Das Gespenst von Canterville“ nach Oscar Wilde. Auch wenn die Geschichte eigentlich jeder kennt, wird interessant sein, wie Susanne Lietzow dies auf die Bühne bringt. Dass Herr Schulz wortreich erklärte, warum nun Frau Lietzow schon wieder „sowas“ machen würde, sagt leider einiges über das Ansehen dieser Gattung in Fachkreisen aus, was einerseits schade ist, mir aber andererseits auch wurscht, denn selbst wenn es die großartigen „Ratten“ nicht gegeben hätte, würde ich ihre Arbeit dennoch schätzen.
Der Faust kommt immer wieder, das kann ich bestätigen. Nach der werktreuen Fassung von Holk Freytag vor einigen Jahren (mit einem phänomenalen Gespann Glodde/Mesgarha, ich erinnere mich gut und gern) kommt nun der hierzulande noch nicht tätig gewesene Intendant aus Uppsala, Linus Tunström, der auch als Choreograph arbeitet, und kündigt eine freie Interpretation an. Es soll irgendwie retrospektiv werden und die Best-Ager im Ensemble dürfen sich schon mal warmlaufen. Auch das klingt spannend.
Die darstellende Jugend ist dann bei „Wie es euch gefällt“ gefragt, das Jan Gehler, Hausregisseur Nr. 2, erstmals auf der großen Bühne inszeniert. Dies sei nicht mit „Was ihr wollt“ zu verwechseln, tat Schulz kund, und bescheinigte einem „Hoffentlich!“ Rufenden dann eleganter, als ich das hier widergeben kann, mangelnde geistige Reichweite. Doch auch den hier nicht mehr ganz so gut gelittenen Andreas Kriegenburg ereilte bei dieser Gelegenheit ein Schulzscher Ordnungsruf: 30 Minuten zu lang sei es geraten.
(Schulz ist da übrigens ganz meiner Meinung, den fast einhelligen Verriss der diesjährigen Inszenierung teile auch ich mitnichten.)
Egal. Kriegenburg (oder besser Dresden?) bekommt eine neue Chance, „Bernarda Albas Haus“ von Lorca wird im April 2015 premierieren und fast das gesamte weibliche Ensemble auf der Bühne versammeln, was allein schon Grund genug wäre hinzugehen. Davor gibt es noch einen unbekannten Schiller („Die Verschwörung des Fiesko zu Genua“) des hier auch noch nicht so populären Regisseurs Jan Philipp Gloger und Kafkas „Amerika“, das Wolfgang Engel, auf andere Art ein Hausregisseur, inszenieren wird, mit Olaf Altmann als Bühnenbildner.
Irgendwie (vermutlich beim Stichwort Gloger) kam dann die Sprache auf die Semperoper und die „dort noch verbliebenen Kollegen“, die sich der guten Wünsche aus dem neuschwesterlichen Hause sicher sein könnten. Respekt, noch nie hat sich ein offizieller Vertreter der Kultur im Freistaat so deutlich erbost über den Rauswurf von Serge Dorny geäußert wie Wilfried Schulz heute. Aus anderen Landeshauptstädten, z.B. in Bindestrich-Ländern, hört man derzeit eher Ergebenheitsadressen an die Ministerien.
Gut, er hat frisch verlängert, einen weiteren Rauswurf eines Intendanten wegen Majestätsbeleidigung würde Frau von Minister politisch weder durchbekommen noch überstehen, dennoch: Diese klare Positionierung ist dankenswert, zumal sie einen Bogen schlug nach Wien und nach Düsseldorf, wo auch grad große Tanker schlingern.
Zurück zu einer anderen Art von Theater: Im Großen Haus sind noch die „Lehman Brothers“ zu erwähnen, die die Geschichte des Kapitalismus über 150 Jahre erzählen werden, kleiner haben wir es hier nicht. Das Stück stammt vom Italiener Stefano Massini und kommt als deutschsprachige Erstaufführung. Regie führt der Kölner Intendant Stefan Bachmann, der damit auch die große Umbaupause in Köln überbrückt. Und Friederike Heller wird „Dantons Tod“ von Büchner inszenieren, die Premiere ist im Mai 2015 geplant.
Das Kleine Haus und die Bürgerbühne kommen dann zeitbedingt recht kurz weg. Mit Philipp Löhle gibt es einen neuen Gegenwartsautor, den Barbara Bürk inszenieren wird. Der letzte Roman von Monika Maron, „Zwischenspiel“, wird vom Jung-Regisseur Malte Schiller verarbeitet, die Hauptrolle übernimmt Hannelore Koch, eine schöne Konstellation.
Ein Stück zum NSU wird es geben, von Thomas Freyer in der Regie von Tilman Köhler, fragend angelegt, wie Schulz erklärte. Und Roger Vontobel wird mit der „Panne“ von Dürrenmatt seine zweite Dresdner Produktion in dieser Saison machen und seine allererste eines Schweizer Autors auch. Arthur Miller steht mit „Alle meine Söhne“ auf dem Programm (Regie Sandra Strunz), und Martin Heckmanns wird sich mit den Qualen der Eltern bei den ersten sexuellen Erfahrungen der Kinder befassen, ein Stück ganz nach dem Geschmack des Intendanten, wie er bekundete.
Und dann kommt noch ein Musikstück von und mit Clemens Sienknecht, „Superhirn oder wie ich die Photonenklarinette erfand“. Wilfried Schulz ist sicher nicht rachsüchtig, merkt sich aber alles, und so wurde der arme Zwischenrufer von vorhin mit „nichts Ernsthaftes, also nichts für Sie!“ angesprochen. Er wird das sicher nie wieder tun.
Ach ja, und dann steht noch was Geheimes ins Kleine Haus, mit „Ein neuer Text“ umschrieben. Immerhin der Regisseur ist mit Jan Gehler schon fixiert, was dann auf die Bühne kommt, soll erst zur Frankfurter Buchmesse verraten werden. So macht man das heute.
Die beiden hiesigen Lokalzeitungen stiegen dennoch in ihrer Berichterstattung nicht darauf ein, bei der einen ist man ohnehin nicht verwöhnt, und die andere setzte den Schwerpunkt auf die Aussagen zum „Fall Dorny“. Hier kann man sich also noch investigativ betätigen, so man dies möchte oder muss.
Die Bürgerbühne ist inzwischen Normalität, was schön ist, ihr aber in solchen Veranstaltungen auch keine Extrawurst mehr beschert. Fünf neue Inszenierungen sind zu erwarten, auf jene zur jüdischen Identität in Dresden, inspiriert durch die „letzten Zeugen“ des Burgtheaters, die zum Bürgerbühnenfestival im Mai hier gastieren werden, sei besonders verwiesen. Und auf das nunmehr dritte Landschaftstheater, wieder von Uli Jäckle.
Es ist – Phrasendrescher an – ein „reicher Spielplan“, mit einer klareren inhaltlichen Trennung zwischen Großem und Kleinem Haus, wie mir scheint. Die Saison trägt kein eigenes Motto, aber dem – nicht nur wegen der ungewöhnlichen Schauspielerportraits – gelungenen Spielzeitheft ist ein Zitat von Wolfgang Herrndorf vorweggestellt:
„Wir waren unterwegs, und wir würden immer unterwegs sein, und wir sangen vor Begeisterung mit“
Ja, meinereiner kommt mit, und selbst das Mitsingen kann ich mir vorstellen, wenn das alles so eintritt.
Die Veranstaltung beschließt Vereinsmeier Zwei, kalauernd wie Nr. Eins, aber immerhin hat er Blumen dabei. Und dann ist Ostern.
Ganz die Mama.
„Medeas Töchter“, Aufführung des Clubs der stolzen Bürgerinnen an der Bürgerbühne des Staatsschauspiels Dresden, gesehen am 10. April 2014
Ich muss des besseren Verständnisses halber ein wenig ausholen.
In Dresden wurde so einiges erfunden, der Kaffeefilter z. B. – man kann aber auch aufbrühen – oder das Mundwasser, wobei Zähneputzen wohl immer noch wirksamer ist. Und auch wenn diese Dinge hier vielleicht nicht direkt erfunden wurden, so bekamen sie doch in Dresden ihre Marktreife, ab da wurde Geld damit verdient.
Ähnlich verhält es sich mit der Bürgerbühne. Natürlich gab es das schon, äh, immer, würde ich sagen, dass Laien auf der Bühne standen, eigentlich ja bereits, bevor „Schauspieler“ ein Beruf wurde. Doch das System, eine Laienschar auf der Bühne mit einem ganz normalen Theaterapparat aus Profis zusammenzubringen, wurde in den letzten Jahren unstreitig in Dresden perfektioniert und institutionalisiert. Damit wird nun auch Geld verdient, aber noch mehr wird Ruhm eingesammelt, und da der Beifall das Brot des Künstlers ist (der bestimmt auch weiß, wie man da Butter und Kaviar drauf schmiert), kann man das vor fünf Jahren begonnene Wagnis als gelungen bezeichnen, so sehr gelungen, dass die Fachwelt sich inzwischen hier die Klinke in die Hand gibt und uns im Mai das Erste Europäische Bürgerfestival ins Haus steht, natürlich in Dresden, an der Wiege der Bewegung.
Diese Bürgerbühne zerfällt (im übertragenen Sinne, Leute!) in zwei Teile:
Da sind zum einen die „richtig“ inszenierten Aufführungen, die sich dann wiederum aus an stark an den Biographien der Darsteller orientierten Stückentwicklungen zusammensetzen und zum anderen aus den Klassikern der Theaterliteratur, die dann mit einem sehr speziellen Blick auf die Bühne gebracht werden. Beide sind Bestandteil des normalen Spielplans des Staatsschauspiels und überdauern im besten Falle schon mal eine Sommerpause. Dass sie oftmals sehr erfolgreich sind, liegt beileibe nicht nur daran, dass das Publikum gern auch mal seine Verwandten, Freunde und Bekannten auf einer richtigen Bühne erleben möchte, sondern an den anrührenden Geschichten aus dem ganz normalen Leben. „Experten des Alltags“ sind die Darsteller laut Eigenwerbung der Bürgerbühne, und dem ist nicht zu widersprechen.
Und dann gibt es noch die Clubs, etwa ein Dutzend in jeder Saison, die jenen offen stehen, die sich nur mal ausprobieren wollen am Theater. Diese tragen so klangvolle Namen wie „Club der liebenden Bürger“ oder auch „Club der anders begabten Bürger“. Gekrönt wird deren Arbeit mit einer (ein- oder auch zweimaligen) Aufführung.
Wem diese weitschweifige Erläuterung dann immer noch nicht ausreicht, möge sich hier umschauen: http://www.staatsschauspiel-dresden.de/buergerbuehne/
Und heute war nun der „Club der stolzen Bürgerinnen“ dran.
Sechzehn Frauen zwischen 14 und 40 Jahren beschäftigten sich unter der Leitung der Theaterpädagogin Christiane Lehmann mit dem Thema „Stolz“ und landeten bei Medea, der tragischen, zauberkundigen Gestalt aus dem antiken Kolchis, die ihre Heimat aufgab, um ihren Traummann, den griechischen Helden Jason, bei seinen Abenteuern zu unterstützen (Zitat Programmflyer). Doch Medea bot nur den roten Faden, den sie sich vermutlich bei Ariadne lieh, um die eigenen Lebenserfahrungen der Spezialistinnen im Frausein und Frauwerden (nochmal zitiert) bühnengerecht aufzubereiten.
Vorweg: Es ist gelungen. Ein schöner, anregender, oft auch anrührender Abend, getragen von der Kraft und der Spielfreude der Akteurinnen.
Jene treten im vom Tanztheater gewohnten schwarzen Dress auf, drapiert mit Tüchern in den vier Grundfarben, die sie effektvoll einzusetzen wissen (Bühne und Kostüm: SUTTER/SCHRAMM). Wird anfangs noch – zum Frustabbau? – imaginär aufs Publikum eingeschlagen, werden dann die Leitsätze rezitiert, die die einschlägige Fachliteratur von Emma bis Brigitte bereithält. „Rasier Dich!“ ist mir besonders in Erinnerung geblieben.
Die Widersprüchlichkeit der Frau von heute und an sich wird dargestellt, wir begegnen verschlossenen Labertaschen und well organized Chaotinnen. Es ist ein „Theater unserer lieben Frauen“, doch eh man dieser Kirche beitreten kann, werden andere Seiten aufgezogen, das Damenprogramm ist nicht mehr smoothy. So viele Todeswege kennt Medea für den Ungetreuen, dass Mann froh ist, nur einmal sterben zu können. „Schwanz ab“ ist natürlich auch dabei, unter den Gewalt- und Machtphantasien ist „auf den Bauch kacken“ da eher harmlos, aber trotzdem nicht schön. Frauen sind auch nur Menschen, wenn auch ganz besondere, lernt man, man ahnte es ja schon.
Dass die musikalischen Beiträge mir nicht ganz so gelungen erschienen, lag sicher daran, dass die eingespielte Musik (Stefan Menzel) doch sehr nach Dorfdisko klang, das reißt auch eine kollektive Milva nicht raus. Absicht? Keine Ahnung. Dafür wird der zahlreich vorkommende Chortext meist sehr präzise vorgetragen, man spürt die Arbeit, die dahintersteckt, und die tänzerische Leistung – nicht nur mit den farbigen Schleiern – ist beachtenswert.
Der schlechte Mann solle ein äußerlich sichtbares Merkmal tragen, wird gefordert. Aber Mädels, das hat er doch schon …
Die zu Recht angesprochene ewige Toilettenfrage bleibt weiter ungelöst, denn auch wenn alle anderen Weltprobleme geregelt sein werden, dürfte die Schlange vor der Mädchentoilette immer noch beträchtlich sein, und nur die Taffesten der Damen nutzen den männlichen Rückzugsraum, wobei die Jungs dann dort leicht pikiert zur Seite gucken. So war es, so wird es wohl immer sein.
Aber ich schweife ab. Am Schluss des Stücks werden Fragen formuliert, an das Leben, doch die Antworten muss dann doch jede für sich selbst finden (jeder übrigens auch, wenngleich sich jene beim antagonistischen Geschlecht etwas anders stellen). Eine kurzweilige Stunde geht zu Ende, das dankbare Publikum jubelt und spendet reichlich Applaus.
Man hört, die Aufführung wird zum Saisonende im Juli noch einmal stattfinden. Ich rate zum Ansehen.
„Es können doch nicht alle rüber!“
„Es können doch nicht alle rüber!“
„Schneckenmühle“, nach dem Roman von Jochen Schmidt für die Bühne eingerichtet von Beret Evensen und Robert Lehniger, Regie Robert Lehniger, gesehen am 17. März 2014 am Staatsschauspiel Dresden
„Es können doch nicht alle rüber!“ ruft verzweifelt der frischgebackene Lagerleiter Jörg, nachdem auch noch seine Vorgängerin türmte, vermutlich über Ungarn. Schon zuvor kamen in unschöner Regelmäßigkeit die Gruppenleiter abhanden, der Sommer des Jahres 89 ist einfach zu bewegt und die tschechoslowakische Grenze zu nah im Kinderferienlager „Schneckenmühle“ bei Liebstadt, Bezirk Dresden. Wie soll man das den Kindern erklären, die doch mit ihrer Pubertät und der Erforschung des antagonistischen Geschlechts mehr als genug zu tun haben?
Mittendrin Jens im Waschbär-Nicki, der als einziger bei der Lagerdisko noch nicht getanzt hat und nicht nur deshalb ein Außenseiter ist in der Horde von Halbstarken. Wenn man sich doch aussuchen könnte wer man ist. Das Küssen wird vorerst mit den Fingern geübt, in der Hoffnung, das dann in echt auch noch was im Kopf passiert.
Doch es gibt noch die Sächsin Peggy, von der Berliner Mehrheit des Lagers zur Miss Piggy ernannt, auch sie ist also draußen. Wie die beiden Verlierer sich sacht annähern und fast auch finden, ist einer der Hauptstränge der wirklich ergreifenden Geschichte von Jochen Schmidt, die nun in Dresden auch auf die Bühne gelangte.
Doch es geht auch um die Wende, um das Verstehen einer Wirklichkeit, die so gar nichts mit den eingelernten Losungen zu tun hat. Die Jugendfreunde stellen Fragen, die ihnen keiner beantworten kann, die kaum Älteren der Lagerleitung haben selber welche.
…
Wo die Bösen noch richtig böse sind und die Guten wirklich gut
„Corpus Delicti“ von Juli Zeh, eine Inszenierung des Schauspielstudios am Staatsschauspiel Dresden, Regie Susanne Lietzow, gesehen zur Premiere am 1. März 2014
Den Moment, in welchem mir der emotionale Kontakt zum Stoff verloren geht, kann ich sehr exakt beschreiben: Es ist die Deklamation des Manifests von Mia Holl beim Journalisten Würmer. Danach ist nichts mehr wie vorher, aus einer ergreifenden und sehr stilsicheren Studie über Menschen in der Diktatur (die sich hier über das Thema Volksgesundheit rechtfertigt) wird ein Plattitüdenfestival, eine Ansammlung von Klischees, bei dem die Guten schwach, aber heldenhaft sind und die Schurken mächtig und skrupellos. Die letzte halbe Stunde reicht (mir) leider, um den Gesamteindruck zu verderben. Schade, das hat die Inszenierung nicht verdient.
Doch der Reihe nach: Juli Zeh, promovierte Juristin und studierte Schriftstellerin (was nicht böse gemeint ist), zählt zu den festen Größen der neueren deutschen Literatur, ihre Preise hat sie nicht für lau erhalten. Auf das 2007 uraufgeführte Stück „Corpus Delicti“, das 2009 auch als Buch erschien, durfte man sich also durchaus freuen, zumal es sich um eine Aufführung des Schauspielstudios (also der aktuellen Dresdner Klasse der Studierenden der „Bartholdy“-Hochschule für Musik und Theater Leipzig) handelte, deren Qualitäten im allgemeinen (zu erinnern ist hier u.a. an „Die italienische Nacht“) über jeden Zweifel erhaben sind.
Dass der Berichterstatter es dennoch heute vorzog, der Premierenfeier fernzubleiben (was jener sicher keinen Abbruch tat), lag an der Schwäche des Stoffs, die auch eine sehenswerte Ensembleleistung nicht kompensieren konnte.
Dabei ist der Plot nicht uninteressant, im Gegenteil: Wir schreiben das Jahr 2050, (mal wieder) Totalitarismus in Deutschland, der will nur unser Bestes, diesmal die Volksgesundheit. Dafür müssen Opfer gebracht werden, die heißen hier Individualismus, Lebensfreude und Liebe. Neben Ruhe und Ordnung gibt es eine weitere Bürgerpflicht, nämlich sich gesundzuhalten, man kann das wirtschaftlich verstehen, das Medizinwesen ist teuer, und vorbeugen ist besser als nach hinten fallen. Eine Privatheit gibt es nicht mehr, wer bezahlt, der bestimmt, und hat dann auch das Recht, sich der Effizienz seiner volkskörpergesunderhaltenden Maßnahmen zu versichern.
Was heute mit dem Bashing von Rand(?)gruppen wie Rauchern, Alkoholkonsumenten und Extremsportbegeisterten schon üblich ist, hat Juli Zeh in ihrer Geschichte perfektioniert: Jeder trägt einen Chip im Körper, hat sich risikofrei zu verhalten und ein Sportprogramm zu absolvieren. Das Ganze muss natürlich auch überwacht werden, der Mensch ist schwach. Dazu gibt es die „Methode“ als Staatsdoktrin mit dem Anspruch auf Unfehlbarkeit, wie man sie von der katholischen Kirche, vom Nationalsozialismus und von der historischen Mission der Arbeiterklasse kennt, einschließlich gleichgeschalteter Medien und einem perfekten System von Belohnen und Bestrafen. „Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit“, das wurde mir früher auch allen Ernstes gelehrt.
In jenem wächst Mia Holl heran, ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft, nur leider unter dem negativen Einfluss ihres Bruders Moritz stehend, der sich der Normung verweigert. Er hat die dankbare Rolle des Träumers und Verweigerers, die Herzen im Saale fliegen ihm zu. Als Moritz ein fingierter Mord angehängt wird, muss Mia sich entscheiden, verhilft ihm zum Selbstmord in der Zelle und ist fortan von Trauer und Zweifeln geplagt. Doch das System verträgt das nicht, eine lebende Zweiflerin ist gefährlicher als ein toter Gegner, und so gerät auch sie in die Mühlen des Apparats, der sie schließlich zum Einfrieren verurteilt.
Erzählt wird dies aus der Mitte der Handlung heraus, in Rückblenden, und das gelingt wirklich gut. Mia (Nina Gummich) und Moritz (Kilian Land) sind wahrhaftige Charaktere, noch etwas besser sah ich Nadine Quittner als die (eingebildete) ideale Geliebte, ein schöner Kunstgriff der Autorin. Das System wird verkörpert vom Einpeitscher Kramer (Lukas Mundas), Staatsanwalt Bell (Tobias Krüger), Journalist Würmer (Justus Pfannkuch) und Richterin Sophie (Pauline Kästner, meine zweite Hervorhebung), Max Rothbart gibt den idealistischen, aber überforderten Pflichtverteidiger Rosentreter. Land, Rothbart und Krüger sind als Chor der Nachbarinnen das Volk, letzterer ist auch als Frosch sehenswert. All das sind Zutaten zu einem richtig guten Stück, das funktioniert, das macht Spaß (soweit man bei diesem Thema davon sprechen kann) zuzusehen.
Bis zu jenem Moment, wo der aufgerissene Stoff zu einem Ende gebracht werden muss. Und da zeigt sich die große dramaturgische Schwäche der Vorlage, weshalb sie keineswegs in eine Reihe mit ähnlich gelagerten Werken wie „Fahrenheit 451“, „1984“ oder auch „Schöne neue Welt“ gestellt werden kann: Der Autorin fällt nicht mehr ein als ein Agitprop-Ansatz, es wird zur Farce, die Bösen werden richtig böse, die Guten gehen heldenhaft unter. Es ist immer noch gut gespielt, aber ich glaub es nicht mehr.
Der reitende Bote muss am Schluss nicht mehr erscheinen, er ist in der Vereisungskammer schon dabei und entscheidet gnädig auf Weiterleben der Delinquentin und Umerziehung.
Nochmal: Schade drum: Schade um die schönen Regieeinfälle wie die eingespielte „Methoden“-Werbung, die Gerichtsshow (mit einem wundersamen Wutausbruch der Richterin Sophie, mit „Pieps“ garniert, die sie anschließend dazu zwingen, sich selbst eine Ermahnung auszusprechen), die Persiflage des Infotainments, eine tolle Bühnenchoreographie mit ständig mitspielendem Hintergrund, die feinen Zitate aus den vergangenen Diktaturen, die Merksätze aus dem Buch wie „Liebe ist wie dreckige Fingernägel“.
Das Stück startet als großartig inszenierte Studie über Menschen unter Druck und endet als Belehrungstheater. Aha, so sind sie also, die entmenschten Handlanger der Diktatur. Bürger, seid wachsam.
Was kann ich zur Abmilderung dieser vielleicht übertrieben negativen Schilderung anbringen? Einiges.
Da ist zum einen das sehr lesenswerte Programmheft, u.a. mit Beiträgen von Evelyn Finger, Martin Schulz und Juli Zeh selbst, die sich dem Thema „Gesundheitswahn und Wohlverhaltensterror“ deutlich differenzierter annehmen als das Stück es vermag. Da ist auch das wieder hervorragend auf die Premiere eingestellte Ambiente im Kleinen Haus, diesmal sogar mit einer fingierten Ausstellung aus dem Jahr 2050 zum früheren Gesundheitswesen, große Klasse.
Und da ist nicht zuletzt das spielfreudige Schauspielstudio, das einen die inhaltlichen Schwächen des Abends fast vergessen lässt.
Also: Ein klares Unentschieden.
Doch da auch dieser Blog sich irgendwie doch der Belehrung der Menschen verpflichtet fühlt, werfe ich noch ein Zitat hinterher.
„Gestern war ich so wie ihr, jemand der angesehen war. Heut braucht ihr ein Teufelstier und treibt mich zur Arena.
Ihr schraubt mir Hörner in den Kopf, so werde ich zum Vieh. Von euren geilen Fressen tropft der Schaum der Hysterie.
Alle gegen einen, einer gegen alle, alle auf den Beinen und einer in der Falle. Alle gegen mich, schlachte mich Torero mit’m Degenstich.
Schon zeigst du mir das magische Tuch, schon muss ich dir entgegen. Du drehst dich und wie immer sucht nach meinem Herz dein Degen.
Wie dreckig muss es ihnen gehen, dass sie so wie eben ab und zu einen sterben sehen wollen, um zu überleben.
Gestern warst du so wie sie, heut singst du mir das Lied vom Tod und morgen früh bist du vielleicht der Stier.“
Gerhard Gundermann, „Torero“
Was immer Ihr wollt
„Die zwölfte Nacht oder Was ihr wollt“ von William Shakespeare, neu übersetzt von Frank-Patrick Steckel, gesehen in der Regie von Andreas Kriegenburg am Staatsschauspiel Dresden am 8. Februar 2014 (Premiere)
Furie im Schlachthaus
„Elektra“, tragische Oper von Richard Strauss, in einer Inszenierung von Barbara Frey und unter musikalischer Leitung von Christian Thielemann gesehen und gehört an der Semperoper Dresden am 31. Januar 2014
Mit Iphigenie hat alles angefangen.
Auch wenn der Name an diesem Abend nicht fällt und sich das Libretto von Hugo von Hofmannsthal konsequent dieser Tatsache verweigert, „Elektra“ und die Orestie allgemein sind nicht begreifbar ohne den Beginn des Trojanischen Krieges.
Agamemnon, dessen Totenkult die Tochter Elektra bis zur Selbstaufgabe betreibt und für dessen Ermordung sie ihre Mutter Klytämnestra bestraft sehen will, hatte damals für günstigen Wind ihre ältere Schwester Iphigenie geopfert und seine Frau als de facto Alleinerziehende zurückgelassen für mehr als zehn Jahre. Als er schließlich siegreich aus dem Felde zurückkehrt (übrigens mit der Trojerin Kassandra als Beute), muss er dies büßen und findet mit Hilfe des Strohwitwentrösters Aegisth ein blutiges Ende im eigenen Badezimmer. Der Stammhalter Orest wird daraufhin abgeschoben aufs Land, die Töchter Elektra und Chrysothemis verbleiben am Hofe, der nun unter neuer Leitung steht.
Aus solchem Stoff werden Psychothriller gemacht.
Straussens (und Hofmannthals) „Elektra“ steigt ein geschätztes Jahrzehnt später mit der Handlung ein. Die Schwestern werden wie Gefangene gehalten, doch während Chrysothemis sich den Willen zum Leben und zum Glück bewahrt hat, gefällt sich Elektra, die ihren geschlachteten Vater abgöttisch verehrt und sich als Vergeltungsgöttin inszeniert, in der Märtyrerinnenrolle. Keine leidet schöner als sie, aber ihre Wahrheit ist genauso relativ wie die Gerechtigkeit, Rache ist Blutlust.
Der verschollene Bruder Orest soll es richten, später, als die (fingierte) Kunde von seinem Tode kommt, will sie auch selbst zum Beil greifen. Aber Orest lebt, was man kurze Zeit später von seiner Mutter und deren Geliebtem nicht mehr sagen kann. Zuvor noch eine ergreifende Wiedererkennung zwischen Brüderlein und Schwesterlein.
Die Gewaltspirale hat sich am Ende ein Stück weitergedreht, was Elektra – ihrer selbstgesetzten Aufgabe entledigt – zusammenbrechen lässt.
Das Haus Agamemnon steht nun wieder unter neuer Leitung.
(Dass Orest wenig Freude an seiner neuen Würde haben wird, weiß man, doch die Oper endet an dieser Stelle.)
Man sollte es sich dennoch nicht zu leicht machen mit der Beurteilung des Stoffes. Dem Werk Verherrlichung von Gewalt und Rache zu unterstellen, greift zu kurz, dafür werden – trotz der scheinbar eindeutigen Parteinahme von Komponist und Librettist – die Charaktere und deren Gefangenheit in einem mörderischen Schicksal zu gut ausgeleuchtet. Vor allem die Dialoge zwischen den Schwestern und zwischen Mutter Klytämnestra und Tochter Elektra sind von großer psychologischer Tiefe.
Dennoch, ein Geschmäckle bleibt, wenn man diesen vor fast genau 105 Jahren an selber Stelle uraufgeführten Stoff aus heutiger Sicht betrachtet: Sicher ist es nicht üblich, mit Opern ähnlich zu verfahren wie mit Theaterstoffen, das Genre setzt da engere Grenzen. Aber denkbar wäre es für mich schon, zumindest mit theatralen Mitteln eine gewisse Distanzierung vom hier fast als „Happy End“ erscheinenden Muttermord und des Fanatismus allerorten zu erzeugen.
Gut, das ist die Meinung eines Laien. Das klassische Opernpublikum ist da sicher anderer Auffassung.
Bleiben wir bei den Fakten.
Und da gibt es – auch wenn es zur Beurteilung deutlich Berufenere gibt – von einer Staatskapelle zu berichten, die einen wunderbar stimmigen Klangteppich ausbreitete, ein Genuss vor dem Herrn (Thielemann). Eine mit Urgewalt und unglaublich schön singende Evelyn Herlitzius als Elektra ist zu erwähnen, der auch darstellerisch alles gelang. René Pape als Orest hat mich mit seinem kräftigen und klaren Bass begeistert, und Anne Schwanewilms als Chrysothemis stand sängerisch der Titelpartie in nichts nach. Alle anderen Gesangsrollen fand ich respektabel, wenn auch ohne die Glanzlichter der drei Erwähnten. Bühne und Kostüme waren unspektakulär, passend, aber ohne eigene Akzente zu setzen, fast schon etwas bieder.
Von Barbara Freys Regie blieb mir der hübsche Einfall mit dem Kinderpaar Elektra und Orest im Hintergrund in der Wiedererkennungsszene der beiden in Erinnerung, aber auch eine gewisse Statik der Handelnden in vielen Bildern. Unbedingt zu nennen ist das hervorragende Programmheft, unter anderem mit einer tiefsinnigen Stückanalyse der Regisseurin und der Dramaturgin Micaela v. Marcard, die auch eine lesenswerte geschichtliche Einordnung beisteuert.
(Ach, und meiner boulevardesken Neigung folgend: Prof. Udo Zimmermann bin ich auch wieder begegnet, wir sehen uns inzwischen so oft, dass man glauben könnte, wir wären verwandt.)
Ein viertelstündiger, jubelnder Beifall am Ende, mit ungezählten Bravo’s und zahlreichen Vorhängen. Wie man hört, war es die letzte Aufführung in dieser illustren Besetzung, ich darf mich in Summe glücklich schätzen, dabei gewesen zu sein.
