Kategorie: Dresden
Eine Frau sieht rotgrünrot
Zur Einlassung der Architektin Regine Töberich in der MOPO24 am 13. März 2015
Frau Töberich hat am gestrigen Freitag (dass es ein 13. war, spielt hier wohl keine Rolle) die Welt darüber informiert, dass sie in Bälde den Elbradweg, der über ihr Grundstück am Pieschener Hafen verläuft, dort für die öffentliche Benutzung sperren wird.
Dass sie dies über eine Anzeige in der „MOPO24“, dem Online-Ableger der Dresdner Morgenpost tat, lässt vermuten, dass sie die Hoheit über das Geschriebene behalten wollte, vielleicht weil sie Journalisten keine objektive Berichterstattung zutraut. Dass diese Anzeige täuschend ähnlich einem redaktionellen Beitrag layoutet wurde, wirft allerdings zum einen die Frage auf, ob das extra kostete und zum anderen, was dieser neue Stern am Dresdner Medienhimmel für ein Selbstverständnis hat.
Man merkt aber recht schnell, dass der Beitrag nicht von Redakteuren stammt: So lang sind deren Texte dort nicht und Bilder sind auch keine dabei. Auf immerhin im pdf-Format drei A4-Seiten teilt Frau Töberich ihre Sichtweise zur Bebauung des umstrittenen Geländes mit, was sich in der Schilderung durchaus plausibel liest. Regine Töberich als Besitzerin der Fläche, auf der ihr „Marina Garden“ entstehen soll, fühlt sich getäuscht und hintergangen von der Stadtverwaltung und der neuen rotgrünroten Mehrheit des Stadtrates.
Zweifellos gab es bis vor wenigen Wochen einen gültigen Aufstellungsbeschluss des Stadtrates für einen Bebauungsplan aus dem Jahr 2010, der die Bebauung mit hochwertigem Wohnungen erlaubt hätte. Eine „Jahrhundert“-Flut und eine intensive Diskussion über das Gebiet des Pieschener Hafens später wurde dieser im Januar 2015 durch einen neuen ersetzt, der zugunsten des Hochwasserschutzes und verbleibender Freiräume die Bebauungsmöglichkeiten stark einschränkt.
Frau Töberich nennt das „kriminell“ und beklagt zudem ihre mangelnde Information durch die Stadtverwaltung. Sie setzt diese Tatsache mit einer Enteignung gleich und wirft rot-rot-grünen Politikern „Allmachtsfantasien“ und denen sowie Teilen der Stadtverwaltung „bewusste Täuschung und Betrug“ bzgl. der Hochwasserschutzes vor. (In ihrer Argumentation weist sie ihr Projekt übrigens als einzig wirkliches Bollwerk gegen die GLOBUS-Ansiedlung aus, was dialektisch geschickt ist, und schmiert der Linken und Herrn Hilbert, die man gewiss nicht unter einer Decke vermuten würde, de facto Korruption aufs Schnittchen.)
Man fragt sich natürlich, warum die Frau nicht zur Polizei geht damit, zumal einige Missetäter ihr ja auch namentlich bekannt sind. Sicherlich mag man Bürgermeister Hilbert ungern als einen der Aufrichtigsten unter der Sonne bezeichnen, und wer die stadtverwaltenden Prozesse ein wenig kennt, glaubt ihr die Nicht-Einbeziehung unbesehen.
Dennoch, Demokratie ist, wenn die Mehrheit entscheidet, und für die Folgen daraus gibt es letztlich Gerichte. Ein Gemeinwesen muss sich auch korrigieren dürfen.
Manch privater Grundstückseigentümer mag beklagen, dass die Planungshoheit für Bebauungen bei der kommunalen Verwaltung liegt und Entscheidungen durch gewählte Vertreter_innen des Volkes getroffen werden und nicht nach finanziellem Interesse durch die Immobilienbesitzer selber. Wer das möchte, muss sich anderswo wirtschaftlich betätigen, sollte sich aber etwaiger Transaktionskosten bewusst sein, die in hiesigen Gefilden nur im Ausnahmefall auftreten.
Wenn Frau Töberich einen wirklichen Anspruch auf Entschädigung für eine verlorene Planung und den entgangenen Gewinn hat, wird sie diese auch erhalten, wenn vielleicht auch einige Jahre und Instanzen später. Ohne detaillierte Kenntnis aller Fakten mag ich das nicht beurteilen.
Doch das wird sie wissen, und darum scheint es auch gar nicht zu gehen: Wie weiland Michael Kohlhaas will Regine Töberich „Gerechtigkeit“, oder das, was sie dafür hält. Und mit der Unterbrechung des Elbradwegs auf ihrem Grundstück plant sie eine Strafaktion mit pädagogischem Anspruch, lockt aber zugleich mit der Schenkung des fraglichen Abschnitts an die Stadt, sobald „die massiven Vorwürfe … geklärt sind“ und „Verwaltung und Politik endlich rechtskonform handeln“.
Eine Frau sieht also rotgrünrot. Zum Glück verfügt sie weder über den Körperbau von Charles Bronson noch über dessen filmisches Waffenarsenal, aber Geld immerhin scheint vorhanden zu sein, trotz des anzunehmenden Wertverlustes ihrer Liegenschaften.
Vielleicht sollte sie aber jenes Geld besser für andere Dinge ausgeben, denn bisher wird sie entweder gar nicht oder äußerst schlecht beraten. Ihr persönlicher Rachefeldzug gegen Dirk Hilbert (den die Elbradsperrung kaum persönlich betreffen wird) und Dr. Christian Korndörfer sowie die Politiker_innen der neuen Stadtratsmehrheit, von denen nur Thomas Löser die Ehre einer Erwähnung erfährt, ist zwar im Moment noch unterhaltsam, wird ihr aber nicht nutzen, sondern sie dauerhaft beschädigen. Mit Schaum vor dem Mund setzt man keine Projekte um, das gilt nicht nur für Marina Garden.
Bei Michael Kohlhaas ging die Sache für ihn tragisch aus, immerhin bekam er zuvor seine Gäule zurück. Aber wenn sich Geschichte wiederholt, dann als Farce, und um Leib und Leben geht es hier gottlob nicht.
Freuen wir uns also auf die nächsten Folgen, stellen Popcorn bereit und schalten wieder ein, wenn es heißt: „Frau Töberich schaltet eine Annonce“.
Ach, übrigens, wegen dem Elberadweg, gnä’ Frau: Im Grundgesetz steht „Eigentum verpflichtet“ … Aber wie schon Martin Buchholz fortsetzte, „natürlich zu gar nichts“. Mit solcher Verfassungsfolklore will ich Sie nicht behelligen.
Amerikanisch Roulette
„Amerika“ nach dem Roman von Franz Kafka in der Fassung von Pavel Kohout und Ivan Klima, Regie Wolfgang Engel, Premiere am Staatsschauspiel Dresden am 7. März 2015
…
Vielleicht ist das Dreh-Dings auf der Bühne ja auch eine Lotterietrommel für das amerikanische Roulette. Zu gewinnen gibt es dabei nichts, den american dream muss sich jeder selbst erfüllen, zur Not in der Imagination.
Bei den Arbeiten von Wolfgang Engel spürt man immer eine große Gelassenheit, hier muss niemand mehr etwas bewiesen werden, hier weiß einfach einer, wie es geht. Es geht auch anders, aber so geht es eben auch.
http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/premierenkritik_amerika_staatsschauspieldresden.php
Die verpasste Chance
„Katzelmacher“ von Rainer Werner Fassbinder, Regie Robert Lehniger, Produktion der Bürgerbühne am Staatsschauspiel Dresden, gesehen am 2. März 2015
Eigentlich, liebes Staatsschauspiel, war das eine großartige Idee, Fassbinders Fast-Erstlingsfilm, der mit so wenig Geld auskommen musste, dass sich nicht mal eine Beleuchtung für Nachtszenen bezahlen ließ und der vielleicht auch wegen des Zwangs zur Bescheidung in seiner lakonischen Trostlosigkeit so überragend ausfiel, 45 Jahre später als Mischwerk aus Film und Theater auf die Bühne zu bringen.
Und eigentlich war auch der Ansatz, sich strengstens an die filmische Vorlage zu halten, sehr nachvollziehbar. Gut, des (Versuchs eines) Münchner Dialekts für die Darsteller hätte es nicht gebraucht, aber sonst? Die besten Voraussetzungen für eine grandiose Inszenierung waren zweifellos gegeben.
Mischpoke ist kein Schimpfwort
„Mischpoke“ , eine jüdische Chronik von damals bis heute, Regie David Benjamin Brückel, Texte Dagrun Hintze, Uraufführung der Bürgerbühne am Staatsschauspiel Dresden am 28. Februar 2015
Die müssen sich wirklich nicht wundern.
Wenn man so perfekt sämtliche Vorurteile und Zuschreibungen, die über die Juden existieren, daherbeten kann und das auch noch mit offenkundiger Freude tut … Da können die doch froh sein, dass sich der besorgte Bürger im Moment andere Gruppen sucht, die dran schuld sind.
Aber der Judenhass hat nicht nur hierzulande Tradition, und Bräuche werden nicht nur im Judentum gepflegt. „Ich habe ja nichts gegen Juden, aber …“ die Sprachschablonen sind wiederverwendbar.
Und dann schlagen die uns auch noch Zahlen-Daten-Fakten um die Ohren, dass es nur so knallt. Soso, es gibt also nicht „die“ Juden, sondern viele viele verschiedene, die sich nur darin einig sind, dass sie sich nie einigen können. Trotzdem sind die alle gleich. Als ob Fakten jemals etwas bewiesen hätten.
Besonders perfide ist es, das alles mit soviel Selbstironie und Witz vorzutragen. Das ist ja auch nur eine besonders raffinierte Form der moralischen Erpressung. Dass die noch lachen können, sogar über sich selbst … Die haben gefälligst die Shoa zu betrauern oder sich für Israel zu schämen. Am besten beides zugleich.
Wenn man wie ich auf dem geistigen Schoß von Yassir Arafat aufgewachsen ist und das Palästinensertuch zur pubertären Grundausstattung gehörte, weiß man von Hause aus nicht viel über die älteste der abrahamitischen Religionen. Bis heute ist auch im Dresdner Alltag wenig davon wahrzunehmen (was nicht vor der Sündenbock-Rolle schützen muss), die Synagoge steht zwar mittendrin, ist aber – von den einschlägigen Gedenktagen und der Jüdischen Kulturwoche abgesehen – nicht wirklich dabei. Ein guter Grund für die Bürgerbühne also, sich der Mischpoke anzunehmen.
(Bevor jemand den Korrektenrat anruft: Mischpoke steht im Hebräischen schlicht für „Familie“, der abwertende Unterton kam erst mit der Übernahme in die deutsche Umgangssprache hinzu.)
Es ist immer wieder erstaunlich, wie es der Bürgerbühne gelingt, mit ihren Akteuren ein derart breites Spektrum eines Themas abzudecken. Dabei zählt die jüdische Gemeinde in Dresden nur gut 700 Mitglieder, fast alle sind Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, die Hälfte davon ist im Rentenalter. Trotzdem: Vom israelischen Kriegsdienstverweigerer (was dort bei weitem nicht so smoothie ist wie vor deutschen Musterungskommissionen) über einen jungen deutschen Konvertiten und Zuwanderinnen aus Russland, die vor allem für die Zukunft ihrer Kinder nach Deutschland kamen, bis hin zur Tochter des Kommunisten und Schriftstellers Max Zimmering spannt sich der Bogen der zehn Menschen, „Durchschnitt“ ist keiner von denen. Aber zusammen geben sie ein faszinierendes Bild von dem, was heute Judentum ausmacht.
Zum Glück ist das Gezeigte alles andere als Belehrungstheater, auch wenn man am Ende deutlich klüger hinausgeht. Zehn Biographien, wie sie unterschiedlicher nicht sein können, breiten sich aus, werden überblendet, man ist sich durchaus nicht immer einig auf der Bühne (eigentlich eher selten), aber darüber dann schon. Neben dokumentarischen Erzählungen der Protagonisten gibt es zahlreiche Spielszenen, die meist mehr oder auch mal weniger gut gelingen. Am berührendsten für mich war die Darstellung der Musterung von Ehud Roffe im Zusammenspiel mit Faina Lyubarskaja und Katja Schindler, aber auch die Bühnenpräsenz von Thomas Feske und dem zwölfjährigen Joshua Lautenschläger beeindruckten, nicht minder die Auftritte der Mütter Nichame Eselevskaya und Nataliya Berinberg.
Klar wird, dass die angeborene oder empfundene Zugehörigkeit zum jüdischen Glauben Identität stiftet, auch wenn die Ausländerbehörde keine jüdische Nationalität kennt. Wie man damit umgeht, entscheidet jede und jeder für sich selbst anhand der eigenen Erfahrungen. Und Israel ist für niemanden das „gelobte Land“, auch wenn die Haltungen zur Politik dieses Staates sehr unterschiedlich sind (wie übrigens bei den anderen Deutschen auch).
Die fast schon traurige Pointe: Juden sind wegen ihrer jahrtausendelangen Wanderungsgeschichte und den immer wieder nötigen Anpassungen der Prototyp des modernen Menschen, Kosmopoliten wider Willen, immer in mindestens zweien und damit zwischen allen Welten, mobil, heimatlos und frei, eine Avantgarde umständehalber. Dass das bloß nicht wieder jemandem Angst macht …
David Benjamin Brückel und Dagrun Hintze ist in ihrer jeweils zweiten Arbeit für die Bürgerbühne das Kunststück gelungen, ein äußerst komplexes Thema auf einen lehrreichen und dennoch unterhaltsamen Abend zu komprimieren. Unterstützt wurden sie dabei bestens von einer sehr raffinierten Aufklapp-Bühne (Jeremias Böttcher) und unaufdringlich-stimmiger Musik (Vivan und Ketan Bhatti).
Das Stück kommt (wenn auch ungeplant) zur rechten Zeit, um Herrn Netanjahus Aufruf zur Auswanderung etwas entgegenzusetzen. Nein, alle die hier sind sollen bleiben, egal welcher Religion sie sich zugehörig fühlen. Mehr als Mensch ist man sowieso nirgendwo. Dass sich auch niemand weniger fühlt, ist Aufgabe unserer Gesellschaft.
Verschwör Dich gegen Dich
„Die Verschwörung des Fiesko zu Genua“ von Friedrich Schiller, Regie Jan Philipp Gloger, Premiere am Staatsschauspiel Dresden am 14. Februar 2015
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Ein starker Abend. Gloger leichterte den schillerisch hochtrabenden Text sinnvoll und brachte eine Fassung auf die Bühne, die oftmals an Shakespeare erinnert und die der Berichterstatter gern auf der „Don Karlos“ – Ebene einordnet.
Wenn er geschwiegen hätte … oder: Was gehört zu Sachsen?
Nein, auch wenn er geschwiegen hätte, der sächsische Landesvati, ein Philosoph wäre er damit weder geblieben noch geworden. Zu oft hat man schon Seltsames gehört von ihm, als dass dieser Titel angemessen wäre.
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Bislang fuhr Tillich mit seiner vermutlich in Berlin abgeschauten Strategie, fein in der Deckung zu bleiben und nur im Notfall einen Standpunkt zu vertreten, recht gut. In Sachsen gewinnt man damit Wahlen.
Was mag ihn geritten haben, am heutigen (25.01.) Sonntag der „Welt“ ein Interview zu geben, in dem er neben viel Belanglosem, einigem Richtigen und einigem zumindest Streitbaren sich auch bemüßigt fühlt, Angela Merkels unlängst geäußertem klarem Standpunkt zu widersprechen: „… Das bedeutet aber nicht, dass der Islam zu Sachsen gehört.“ Punkt. Treffer. Versenkt.
Tillich ist lange genug Politiker, um gewusst zu haben, dass die Journalisten genau diese Aussage zum Aufhänger wählen würden. Und selbst wenn er sich in diesen Fragen eine gewisse Naivität bewahrt haben sollte, gibt es doch genug Leute um ihn herum, die eigentlich dafür bezahlt werden, solche verbalen Fehltritte zu verhindern. Von einem Versehen kann man da also kaum sprechen.
Dabei geht es gar nicht um den Wahrheitsgehalt dieses Satzes. …
Der ganze Kommentar hier:
http://www.livekritik.de/kultura-extra/panorama/feull/kommentar_wennergeschwiegenhaette250115.php
Waldkommune „Schäferglück“
„Wie es euch gefällt“ von William Shakespeare, Regie Jan Gehler, Premiere am Staatsschauspiel Dresden am 17. Januar 2015
Ein Auftakt nach Maß: Vor einem einer Puppenstube gleichenden Guckkasten tänzeln die Darsteller in wunderhübsch farbenprächtigen Kostümen, beschnuppern sich paarweise, eine solche Poesie braucht keine Worte. …
Die erste Hälfte war wirklich ganz großartig, leider sackte das Stück nach der Pause doch spürbar durch. Details hier:
http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/premierenkritik_wieeseuchgefaellt_schauspieldresden.php
Angst essen Anstand auf
Die Sächsische Zeitung hat heute, am 17. Januar 2015, unter der Überschrift „Vier aus Tausenden“ in ihrer wichtigen Rubrik „Die Seite Drei“ Statements von mit Bild und Namen abgebildeten Teilnehmern an den allmontäglich stattfindenden Spaziergängen abgedruckt. Die Kontakte kamen vor allem durch Leserbriefe zustande.
Es ist zweifellos sinn- und verdienstvoll, sich mit den Motiven der Spaziergänger auseinanderzusetzen. Für mich ist das kein Tabubruch der SZ, diesen Raum zu geben, zumal sich die Befragten damit keinen Gefallen tun. Zu offensichtlich wird, dass es jenen nicht vor allem an Intelligenz mangelt, sondern an dem, was eine – von mir aus auch „christlich-abendländische“ – Gesellschaft auszeichnet: Mitmenschlichkeit, Nächstenliebe und Toleranz.
Das nach der Selbstbeschreibung „normale, aufgeklärte und informierte Bürgertum“ legt Wert auf die Feststellung, nicht zu den Nazis zu gehören, hat aber auch kein Problem, mit denen zu marschieren.
Im Wesentlichen werden zwei Kritikpunkte artikuliert:
1. Das politische System generell, die geringen Mitwirkungsmöglichkeiten und Wahlbeteiligungen sowie die gleichgeschalteten Parteien und Medien
Die Forderung nach Volksentscheiden auf Bundesebene kann, muss man aber nicht teilen, die nach einer Wahlpflicht erinnert dann doch sehr an früher. Beteiligung erreicht man am besten durch Beteiligung, und seiner Meinung zur politischen und medialen Landschaft Ausdruck zu verleihen, ist zum Glück nicht verboten. Insofern ist das öffentliche Aussprechen dieser Behauptungen zu akzeptieren in einer Demokratie, es wird soviel Unsinn verbreitet, da haben die –GIDAs auch ein Recht darauf.
2. Die (zu große) Zuwanderung und Asylmissbrauch im Sinne von „das Boot ist voll“ und „wir haben selber nicht genug“
Dass das Lebensniveau in unserem Lande auch für die ärmeren Schichten zu den höchsten weltweit zählt, werden sicher auch die Spaziergänger nicht bestreiten. Jedoch ziehen sie daraus den Schluss, dies sei mit allen Mitteln zu verteidigen, das wäre nunmal „unser Sozialsystem“, da könnte ja jeder kommen. (Man spricht übrigens durchgängig von „Asylanten“, der SZ halte ich da mal die angestrebte Authentizität zu Gute.)
Gibt es ein Menschenrecht auf Egoismus? Die Frage ist sicher falsch gestellt, aber es gibt mit Sicherheit ein Recht darauf, Egoismus als solchen zu benennen.
Eines wird deutlich: Die Spaziergänger erweisen sich trotz aller Wut vor allem als Angstbürger. Im Umkehrschluss zu einem berühmten Folk-Zitat – Unfreiheit ist, etwas zu verlieren zu haben – kann man die Marschierer auch als Gefangenenchor bezeichnen.
Angst essen Anstand auf, auch im Kleinbürgertum. Und so schämt man sich auch nicht, gegen Flüchtlinge als vermeintliche Sündenböcke zu demonstrieren. Schlimmer als die Armut ist wohl nur die Angst davor. Ist der Ruf erst ruiniert …
Kein appetitliches Bild, was da von den Montagswanderern entsteht, zumal man bedenken muss, dass das ja nur jene sind, die sich äußern können und wollen (daran kranken auch die kürzlich von der TU Dresden veröffentlichten Befragungsergebnisse der Teilnehmer). Wenn man die schweigende (bzw. nur im Sprechchor hörbare) Masse noch hinzu nimmt, ist der symbolische Straßenputz im Anschluss daran wirklich dringend notwendig.
Mein unlängst geäußerter Optimismus, diese gespenstische Szenerie würde sich auch in Dresden bald von selbst erledigen, ist kleiner geworden, aber noch nicht aufgebraucht. Und so hoffe ich weiter, dass langsam die Einsicht wächst, die Welt sei doch nicht so simpel wie in den Reden der Anführer. Vielleicht hilft ja auch ein Besuch in Gießen, dort, wo früher die DDR-Flüchtlinge aufgefangen wurden. Das wäre dann der richtige Bezug zu „’89“.
Das älteste Gericht
„Die Panne“ von Friedrich Dürrenmatt, Regie Roger Vontobel, Premiere am Staatsschauspiel Dresden am 9. Januar 2015
Essen ist nicht nur der Sex des Alters, man kann mit ihm auch eine heilige Messe feiern. Und nebenher zu Gericht sitzen, als Hauptgang sozusagen. Jenes Gericht ist zwar mit allen Zutaten in Pension, aber das MHD scheint noch nicht abgelaufen, zumal es von den Fesseln herkömmlicher Gesetzlichkeit befreit ist. …
Vier sehr alte Herren, denen die Klapprigkeit arg zusetzt, halten sich mit dem Spielen ihrer früheren Berufsrollen am Leben. Da sie allesamt im Justizapparat tätig waren, werden allabendlich bei Tisch die großen Fälle der Weltgeschichte nachgestellt. Aber ab und an verirrt sich auch ein Reisender zu ihnen, dann gibt es Gegenwartsbezug. Diesmal ist es der Textilvertreter Traps, den eine Panne im beschaulichen Alpendörfchen festhält und der arglos-dankbar die Einladung zum gemeinsamen Spiel annimmt.
Nur die Rolle des Angeklagten ist noch zu haben. In jener fremdelt Traps zwar anfangs, weil er sich reinen Gewissens wähnt, aber ihm kann geholfen werden. Am Ende richtet er sich selbst, schwer beladen von seiner Schuld.
Wie es dazu kommt, ist äußerst amüsant zu sehen, …
http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/premierenkritik_diepanne_staatsschauspieldresden.php
Der Schweiß von Schimanski
„mein deutsches deutsches Land“ von Thomas Freyer, Regie Tilmann Köhler, Uraufführung am Staatsschauspiel Dresden, gesehen am 30. Dezember 2014
Es ist alles schon gesagt.
Nein, ich will nicht auf den alten Kalauer „aber noch nicht von mir“ hinaus. Es ist wirklich fast alles schon geschrieben worden zu diesem Stück, das vor knapp vier Wochen Premiere hatte, auch in der Süddeutschen, auf nachtkritik.de, im Deutschlandfunk und in der taz wurde – völlig zu Recht – gejubelt. Mir bleiben da nur noch einige Anmerkungen zu Dingen, die ich nicht ganz gelungen fand.
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http://www.livekritik.de/kultura-extra/theater/spezial/urauffuehrung_thomasfreyer_meindeutschesdeutschesland.php
