Kategorie: Allgemein

Das haben sich die Jugendlichen selber ausgedacht

„Tod.Sünde.7“ vom Jungen DT Berlin, Regie Wojtek Klemm, gesehen im Rahmen des Bürgerbühnenfestivals in Dresden am 22. Mai 2014

  

Eine Stückentwicklung, so faszinierend und rätselhaft wie ein Tocotronic-Song. Sechzehn Jugendliche aus Berlin zeigen ihren Blick auf die Welt, zwischen Gewaltphantasien und der Sehnsucht nach Geborgenheit ist alles dabei, Sex und Süßigkeiten nicht zu vergessen. Collagen aus eigenen Texten werden verspielt, vertanzt, versungen, mal in Punk-Attitüde, mal als anscheinend liebreizender Mädchenchor, dessen gräulicher Text einen dann allerdings schnell wieder in die harte Realität der „Jugend von heute“ holt. Wo kommen nur täglich all die neuen Probleme her? Und wer interessiert sich überhaupt dafür?

 Es ist eine unheile Welt, die hier gezeigt wird. Die Bühne (Mascha Mazur) erinnert an einen der betonverbauten öffentlichen Plätze, die es nicht nur in Berlin an vielen Ecken gibt, doch nur ein einzelnes Sprayer-Kunstwerk prangt an den Wänden, die Konzentration ruht ungeteilt auf dem Bühnengeschehen. Und da wird einiges geboten, insbesondere die Tanzszenen der jungen Laiendarsteller (Choreografie Efrat Stempler) sind beeindruckend, musikalisch kongenial begleitet an E-Gitarre und Mac von Micha Kaplan. Der Bezug zu den titelgebenden sieben Todsünden wird nur stellenweise deutlich, im Ganzen ist es eher ein modernes Sittengemälde, eine kleine Horrorshow der Laster und Versuchungen, die dem Jugendlichen heutzutage so zur Verfügung stehen. Damit lässt sich der Abend problemlos füllen, der rote Faden aus den angekündigten sieben Kreisen einer Höllenfahrt wird dann erst im Nachgang wirklich sichtbar, wenn man das Stück noch einmal Revue passieren lässt.

 Am packendsten ist die Inszenierung, wenn sie persönlich wird, die Leidensbiographie der Sportversagerin wird mit sarkastischem Lachen illustriert, bei der Magersuchtsbeichte bleibt der Kloß im Halse lange stecken. Aber auch die eher alltäglichen Miniaturen von der Schlacht bei Primark oder vom Bemühen um das perfekte Selfie im andauernden social Media – Stress sind sehenswert. Das Dicksein als Konkurrenznachteil wird in einer Performance nach Müller-Westernhagen ironisch ausgeleuchtet, auch eine Boygroup-Persiflage gibt es zu bestaunen.

 Es ist eine Mischung aus Provokationen, Offenbarungen und Showeinlagen, alles fügt sich zu einer „neuen Seltsamkeit“, die erwähnte Tocotronic schon vor Jahren besangen. Einige Zitate bleiben länger hängen, facebook & Co. helfen, „nicht eine Sekunde mit dir allein sein zu müssen“, (auch) die Jugend von heute will sich nicht vorschreiben lassen, wie sie sich zu ruinieren habe, den Platz in der Gesellschaft findet man wohl nur, wenn man jemand anders wird als man ist. Dem Dämon des Überdrusses wird ausgiebig gehuldigt, und „sharing is caring“, das wird auf der Bühne dann auch für Körperteile verbal angewendet. Von einigen bedeutungshubernden überlangen Pausen abgesehen, ist das eine mitreißende und fesselnde Revue, die eindreiviertel Stunden vergehen wie im Fluge.

 Die Darsteller*innen agieren allesamt auf hohem Niveau, zeigen eine beachtliche Bühnenpräsenz und sind stimmlich und tänzerisch hervorragend eingestellt. Offenbar kann das seit einigen Jahren bestehende Junge DT auf ein großes Reservoir von spielbegeisterten Talenten zurückgreifen für die drei Inszenierungen, die spielzeitlich das reguläre Repertoire ergänzen.

 Naturgemäß war das eine völlig andere Art einer jungen Bürgerbühne, als sie vor wenigen Tagen hier vom Mannheimer Nationaltheater mit „Nichts“ gezeigt wurde. Da wurde mit hoher Perfektion „vom Blatt gespielt“, hier fügten sich die Erfahrungen und Haltungen der Darsteller zu einem aufregenden Stück, das wirklich mit ihnen selbst zu tun hatte. Mir selbst ist diese Form deutlich näher, und auch das wiederum sehr junge Publikum im Kleinen Haus feierte die Aufführung lang und euphorisch.

 

Wenn Sprache zu Musik wird

„Requiemaszyna“ vom Theaterinstitut Warschau, entwickelt und einstudiert von Marta Górnicka, gesehen im Rahmen des Bürgerbühnenfestivals in Dresden am 21. Mai 2014

 

 Ein Bürgerensemble betritt im Dauerlauf den Saal, in einer langen Reihe, zwei Dutzend Männer und Frauen aus Warschau, die Bühne füllt sich. Kurze Stille, dann hebt der Chor an, mit Urgewalt, doch präzise moduliert und nuanciert dank des Dirigats von Marta Górnicka, die mitten im Publikum steht. Allein ihr zuzuschauen, wäre schon ein Vergnügen, wie sie mit raumgreifenden Gesten nicht nur die Stimmen, sondern auch die Bewegungen des Chors steuert.

Texte von Wladislaw Broniewski aus den dreißiger Jahren werden mit Sprachfetzen aus dem Alltag, Abzählreimen, Kampfliedern und Werbesprüchen vermischt, dabei immer wieder in Wiederholungen gepresst, die Lautstärke variiert ebenso wie die Zusammensetzung der Gruppen, die die Zeilen sprechen. Kernthema des „ekstatischen Requiems für ein System …, in dem die Freiheit zu einer Technik der Macht verkommen ist“ (so das Programmheft) ist die Arbeit, vor allem in den häufigsten Darreichungsformen „viel zu viel“ und „gar keine“, und was sie dadurch aus den Menschen macht. Dazu werden die stimmlichen Mittel des Ensembles ausgereizt, es wird gesungen, geflüstert, gebrüllt, gewispert, geatmet, im Stakkato gesprochen … Dieser Chor hat einen ganz eigenen Sound. Und eine mitreißende Rhythmik sowieso. Das meist roboterhafte Agieren ist Absicht, der fast maschinellen Sprache von Broniewski angemessen. Kaum zu glauben, was man aus Laien (denn das sind festivalgerecht alle Chormitglieder) an Klangfülle und –wucht herausholen kann, in einer ganz eigenen Schönheit.

 Ja, dieses Werk ist schön, es ist eine faszinierende Komposition aus Sprache und Rhythmus, das einen auch ohne Polnischkenntnisse in seinen Bann zieht (die Texte werden auf deutsch übertitelt). Die äußerste Exaktheit der Chorsprache, die sicher auf harter Arbeit beruht (auf polnisch „Praca“, wie oft zu hören ist) ist bewundernswert, die Choreographie der Gruppe bei den Neuformierungen auf der Bühne fällt dagegen etwas ab, auch wenn die Positionswechsel wohl überlegt scheinen. Trotz der relativen Kürze von einer dreiviertel Stunde ist auch die konditionelle Leistung der Darsteller*innen beachtlich, immerhin war es schon die zweite Aufführung an diesem Abend im Societätstheater.

Das Publikum dankt mit sehr langem und sehr lautem Applaus und trampelt fünf Vorhänge herbei. Ein Höhepunkt des Festivals, ganz ohne Zweifel.

 

 Im Publikumsgespräch ist noch einiges zu den Hintergründen zu erfahren. Es ist nach dem „Frauenchor“ und dem „Magnificat“, die beide auch international schon große Beachtung fanden und diverse Auszeichnungen bekamen, die dritte Arbeit von Marta Górnicka, die 2010 begann, in dieser Form zu arbeiten und damit eine ganz eigene Ausdrucksweise gefunden hat. Das alles passiert nicht im Rahmen einer theatergebundenen festen Institution, sondern projektbezogen unter den Fittichen des Warschauer Theaterinstituts „Zbiegniew Raszewski“. Die Mitwirkenden werden jeweils neu gecastet für die Projekte, Vorkenntnisse sind nicht erforderlich, nur ein Gefühl für Rhythmik und der Wille, sich auf einer Bühne auszudrücken. Von einem vorhandenen Libretto und einem Konzept für die Inszenierung ausgehend, wird das Stück dann in den Proben bis zur Endfassung weiter entwickelt.

 Auch wenn das chorische Theater in Dresden einige (junge) Traditionen hat, die auf Volker Lösch und seinen Bürgerchor der „Orestie“, in den „Webern“ und bei „Woyzeck“ zurückgehen, so etwas hat man hier noch nicht gesehen. Am ehesten vergleichbar scheint es mit „Antigona Oriental“ zu sein, ebenfalls von Lösch, das er in Montevideo inszenierte und damit auch in Dresden gastierte.

Aber was heißt schon „vergleichbar“? Die Requiemaschine steht für sich selbst. Ein mitreißender Abend, voller Kraft und Poesie.

 

Doch etwas fehlt

Doch etwas fehlt

1. Deutsch-Europäisches Bürgerbühnenfestival in Dresden:

Nachdem sich am Sonntag und Montag der Begriff von Bürgerbühne deutlich weitete, kehrte man mit den Stücken des vierten Tages zu den vermeintlichen Kernkompetenzen zurück.

Die Borgerscenen Aalborg Teater präsentierte „Romeo og Julie lever!“ (Romeo und Julia leben!) in der Regie von Minna Johannesson, die Mannheimer Bürgerbühne des dortigen Nationaltheaters brachte „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ von Janne Teller mit.

Da ist etwas gelungen

Monotonie im Nebelbrei

The Sisters of Mercy im Schlachthof Dresden, 13. Mai 2014

 Die Vorband ließ hoffen, Ulysses, wenn ich recht hörte, klang sehr nach Placebo, also durchaus gut.

 Nach einer halben Stunde Pause wurde dann der Saal geflutet, mit Nebel, in dessem Schutz nahten sich schemenhafte Gestalten. Das spart sicher Schminke und vielleicht war die Kapelle auch nicht in Bestbesetzung am Start und wollte das nicht wissen lassen, bei der bekannt schlechten Akustik des Schlachthofs wär es eh nicht auf die Musiker angekommen.

 Ein Hit zum Anfang für den dreiviertel vollen Saal, halbwegs erkennbar, ein paar Altrockergesten glaubte ich zu bemerken und dann: Brei. Ein Lärmbrei, routiniert runtergespielt, teilweise klang es fast wie Rammstein (was bitte unbedingt als Beleidigung zu verstehen ist), wenn auch ohne deren Brimborium.

 Ich habe selten bei einem Konzert dieser Fachrichtung so wenig Ekstase direkt vor der Bühne gesehen, weiter hinten tippte nicht nur ich fleißig auf mein Telefon. Was solls, zu hören war der Brei ja, und zu sehen war eh nüscht.

Und die Krönung all der üblen Stunde (netto dauerte die Darbietung etwa 80 min): Ein Vortrag, der wohl „First&Last&Always“ sein sollte. Dies passte nun wiederum: Es war mein erstes Konzert mit den Schwestern, es wird mein letztes bleiben und stets werde ich mich an diesen Brei im Nebel erinnern. So brennt man sich auch ins Gedächtnis.

 Was macht man als Band, wenn das in den 90ern verdiente Geld für Koks, Nutten und faule Derivate verballert wurde? Richtig, weiter touren, auch wenn man keine Lust mehr hat. So kam ich zu einem Häkchen auf der Liste der Bands, die ich nochmal sehen wollte. Wär das also auch erledigt.

 

Der Bürger als Theatermann

Denkt nach, es kommt die Feuerwache

Eine große Chance für die Dresdner Neustadt: Die „Feuerwache“ soll ein Kultur- und Kreativzentrum werden

 Dresden – soviel Gemeinplatz sei am Anfang gestattet – ist eine Kulturstadt. Wenn man sagen würde, Dresden sei zumindest im deutschsprachigen Raum DIE Kulturstadt, fiele der Protest bei vielen Dresdner Offiziellen sicher verhalten aus, denn eigentlich glaubt man das ja auch.

Nun ist alles eine Definitionsfrage, und wenn man den Kulturbegriff auf den gebauten Barock und die Kunstsammlungen, Staatskapelle und Philharmonie, Zwinger und Schloss, Semperoper und Forsythe sowie das Staatstheater und die –operette beschränkt, mag das im Verhältnis zur städtischen Größe sogar stimmen. Dresden lebt mit und in namhaften Teilen von der Kunst und Kultur, Dresden ist nahezu Kultur, auch wenn man dies im (politischen) Alltag nicht wirklich merkt.

 Nein, das hier ist nicht die Wahlempfehlung der „Gesellschaft historischer Neumarkt“ und auch keine Verlautbarung aus dem Büro der Oberbürgermeisterin. Die Einleitung soll nur verdeutlichen, dass das Thema Kultur hierzustädte doch einen anderen Stellenwert hat als anderswo, ohne jetzt Namen wie Magdeburg, Hannover oder Nürnberg nennen zu wollen.

Doch wo viel Licht ist, mangelt es auch nicht an Schatten. Je besser die Hochkultur öffentlich ausgeleuchtet wird, desto scharfer ist der Kontrast zur übrigen Kunst- und Kulturszene zu sehen, wo es –auch im Vergleich zu anderen Städten dieser Größe – an vielem mangelt, an Anerkennung, an Verdienstmöglichkeiten und schlicht oft auch am Raum zum Arbeiten.

Das hab ich mir nicht selbst ausgedacht, sondern diese – hier natürlich verkürzte – Situationsbeschreibung entstammt einer von der Landeshauptstadt Dresden bei der Prognos AG beauftragten Studie „Kultur- und Kreativwirtschaft in Dresden – Potentiale und Handlungsmöglichkeiten“, die im Juni 2011 vorgelegt und vom Stadtrat zur Kenntnis genommen wurde.

 Das lesenswerte 85-seitige Werk analysiert nicht nur die Dresdner Situation, sondern legt vor allem für die Schwerpunktbereiche konkrete Handlungsempfehlungen vor, wie dieser vielversprechende (auch, aber nicht nur) Wirtschaftszweig konkret gefördert werden könnte. Zudem sind einige knackige Merksätze enthalten, wie „Kreativität und Prekariat hängen oft sehr eng zusammen“.

Das muss einen nicht entmutigen, doch wenn man heute, knapp drei Jahre nach Veröffentlichung der Studie, die Lage betrachtet, scheint nicht nur dieser Satz von den Verantwortlichen überlesen worden zu sein.

 Machen wir es am Beispiel der Äußeren Neustadt konkret: „Es geht … darum, Freiflächen und Freiräume für die Kultur- und Kreativwirtschaft (KKW) zu erhalten. Den im Quartier bestehenden … Aufwertungs- und Umstrukturierungsprozess gilt es zumindest für Teilbereiche zu begrenzen“ wurde auf Seite 59 dort im Jahre 2011 geschrieben. Aus heutiger Sicht kann man jenen Prozess nahezu täglich verfolgen (der Zwangsumzug der blauenFABRIK und die unsichere Zukunft der LÖ14, wenn man den Bogen etwas weiter spannt, auch die Probleme der Geh8, des friedrichstadtZentral und des Freiraum Elbtal sind hier Beispiele), von Gegenmaßnahmen ist jedoch nichts zu spüren.

 Auch die Feuerwache in der Katharinenstraße, eines der letzten größeren Objekte im Viertel, die sich noch in städtischen Besitz befinden, sollte nach dem Willen des Finanzbürgermeisters Vorjohann nicht der KKW dienen, sondern durch den Verkauf an einen Investor das vergleichsweise pralle Stadtsäckel weiter füllen helfen.

Wem hier der Begriff „prall“ mißfällt, der sei auf die Situation in Leipzig aufmerksam gemacht, wo man bei einer ähnlichen Stadtstruktur und –perspektive finanziell am Rande der Handlungsunfähigkeit herumlaviert und mit einem Londoner Richterspruch im Herbst sogar pleite zu gehen droht. Diese Sorgen hat Dresden nicht, doch es ist schon anzuerkennen, dass auch hier in den nächsten Jahren große Aufgaben zu stemmen sind, vor allem, was den Bau von Kindereinrichtungen und Schulen sowie die Großprojekte Kulturpalast und Kraftwerk Mitte angeht. Und wer sich eine Waldschlösschenbrücke nebst angeschlossener Tunnel leisten wollte oder musste, der hat dann auch deren Unterhalt zu bezahlen und verfügt über weniger Geld für die vorhandene Infrastruktur.

Keine einfache Gemengelage also, doch die Vorjohannschen Probleme möchten wohl viele Kämmerer gerne haben, nicht nur im Ruhrgebiet. Und einen wichtigen Zukunftsmarkt wie die kreative Szene finanziell und damit am Ende auch ideell auszutrocknen, kann man sich wohl nur leisten, wenn man das Leitbild einer barocken Schlafstadt verfolgt.

 Zum Glück stellten sich die Damen und Herren des Liegenschaftsamtes in diesem Falle derart ungeschickt an, dass selbst die ihnen ansonsten meist gewogene CDU-Fraktion im Stadtrat sich hintergangen fühlte und es so auf Initiative von Stadtrat Torsten Schulze (GRÜNE) am 27. März 2014 zu einem Beschluss kam, den man nicht nur wegen der de facto – Einstimmigkeit (67 mal Ja, 2 Enthaltungen, keine Nein-Stimme) als fast historisch bezeichnen muss: „Das Objekt in der Katharinenstraße 9 … ist zur Verpachtung mit dem Ziel der Nutzung durch die Kultur- und Kreativwirtschaft auszuschreiben …, dass eine Verpachtung spätestens ab März 2015 erfolgen kann.“

 Wow. Da sage noch jemand, die parlamentarische Demokratie sei langweilig und alles würde ohnehin vorher in den Fraktionsspitzen ausgekungelt. Was im Bundestag zutreffen mag, ist in der Halbmillionenstadt Dresden auch angesichts der uneindeutigen Mehrheiten im Stadtrat durchaus nicht immer so. Und so oft ich mich schon über knappe und m. E. falsche Beschlüsse geärgert habe, will ich hier einmal Respekt zollen: Der Stadtrat hat sich als wahrer Souverän der Lokalpolitik erwiesen, auch wenn nun einige Mitglieder diese Unbotmäßigkeit gegenüber dem Regierenden Finanzbürgermeister vielleicht schon bereuen werden angesichts der nahen Kommunalwahl).

 Doch dank dieses Überraschungscoup der GRÜNEN tut sich nun in der Katharinenstraße, mitten in der Neustadt, eine große Chance auf. Die Feuerwache, seit Jahren leerstehend, kann sich zu einem Zentrum der kreativen Szene entwickeln, das es in dieser Form in Dresden bislang nicht gibt und das den zahlreichen Aktiven dieses Bereichs eine wirkliche Heimstatt bietet.

Kann, nicht muss. Denn außer dieser Grundsatzentscheidung gibt es bisher noch nichts, inhaltlich und organisatorisch muss das alles noch ausgestaltet werden. Und die beste Chance ist nichts wert, wenn man sie nicht nutzt, nicht nur die Fußballfreunde dieser Stadt werden das wissen.

 Um in diesem Duktus zu bleiben: Der Schiedsrichter hat überraschend Elfmeter gepfiffen, der Ball liegt auf dem Punkt. Doch wer nun schießt und ob das Leder dann im Nachthimmel verschwindet (wie es Herr Hoeneß dazumal fertigbrachte), die Pille in die Arme des Kassenwarts kullert oder dann doch links oben einschlägt, ist noch völlig offen. Und ob da wirklich der Lokalmatador ran sollte, der eigentlich immer in die Mitte ballert – was der Torwart aber nun inzwischen auch weiß – oder man besser den krummbeinigen, unberechenbaren Dribbelkünstler ranlässt, ist zu diskutieren. Nur extra einwechseln sollte man niemanden dafür, auf dem Feld stehen schon genug Führungsspieler.

 Zurück ins metaphernfreie Studio:

Die beiden Häuser bieten mit ihren zusammen knapp 1.300 Quadratmetern Nutzfläche ideale Voraussetzungen für einen Mix aus allem, was die Neustadt zu bieten hat und was sie attraktiv macht. Es gibt im viergeschossigen Vorderhaus einige größere Räume von fast 60 qm für Galerien oder Kleinkunstbühnen und dazu etwa zwanzig kleinere Zimmer für Büros und Arbeitsräume, im Keller könnten Probenräume entstehen. Das drei-etagige Hinterhaus ist mit seinen zwei Dutzend kleinen Räumen für ein Atelierhaus prädestiniert.

Dies alles ist zu planen, zu organisieren und dann auch zu betreiben, von Leuten, die sich auskennen in der Szene, gut vernetzt sind und ein Händchen haben, für den oder die ein langfristig tragfähiges Konzept mehr wert ist als die kurzfristige Gewinnmaximierung. Diese sind nun zu suchen durch die Stadt.

 Das sollte man sich nicht zu leicht machen. Und ob die verschiedenen beteiligten Ämter der Stadt dieser Aufgabe im Sinne des Beschlusses allein gewachsen sein werden, darf getrost bezweifelt werden. Wenn man nicht will, dass der grad gesprungene kreative Tiger unterwegs zum bettvorliegenden Kulturpudel mutiert, muss dieser Ausschreibungsprozess eng begleitet werden, am besten durch einen Beirat aus den Vertreter*innen der kreativen Szene der Neustadt, welcher auch ein Veto-Recht besitzen sollte. Und allen, denen dieses Thema am Herzen liegt, sollte die Chance gegeben werden, sich mit Ideen und Kritik einbringen zu können.

 Stadtrat Torsten Schulze, der sich von Anfang an für eine Nutzung der Feuerwache als alternatives Kunst- und Kulturzentrum eingesetzt hat und für mich einer dieser Beiräte sein könnte, meinte im Interview: „Der erste Schritt ist nun getan, aber der schwierigste Teil liegt noch vor uns. Wir müssen dafür sorgen, dass der Stadtratsbeschluss nicht nur Papier bleibt, sondern tatsächlich das entsteht, was wir wollen: Ein kulturelles Zentrum der anderen Art, gelegen im Herzen der Neustadt.“

Dem ist nichts hinzuzufügen, aber es ist Glück und Erfolg zu wünschen.

Was würden Sie aus Liebe tun?

„Die Jüdin von Toledo“ von Franz Grillparzer im Staatsschauspiel Dresden, Premiere am 26. April 2014

Manchmal gibt es hübsche Zufälle: Nachmittags stellte Figaro seinen Hörern diese Frage [s. Überschrift], und abends wurde das Thema im Dresdner Theater am praktischen Beispiel diskutiert. Aufschlussreich war beides, doch nur von Letzterem ist hier zu berichten.

Ein König, eher ein Königsdarsteller, in dessem fremdbestimmten Leben bislang nichts Echtes passiert ist, verliebt sich Hals-über-Kopf in eine aus dem anderen Volk, das nicht wirklich wohl gelitten ist in Kastilien und anderswo. Aber er ist überfordert damit, für seine Liebe einzustehen, dem kurzen Rausch setzt die Staatsräson ein Ende. Auf diese Schablone lässt sich das wohl reduzieren und passt dann auch auf ähnliche Lebenslagen.

Der Bericht hier:

http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/premierenkritik_diejuedinvontoledo_staatsschauspieldresden.php

Schlachte Deinen Nachbarn!

„Ruanda-Memory“, Cie. Freaks und Fremde, Uraufführung im Societätstheater Dresden am 25. April 2014

 Anfang der neunziger Jahre, in Sachsen, einem bergigen kleinen Land irgendwo in Europa. Die Schwarzhaarigen waren es endlich leid, dass die Blonden schöner, stärker und reicher schienen als sie selbst. Als einer von Ihnen eher zufällig durch einen Blonden zu Tode kam, war das Maß voll: Ein Gemetzel hob an, wie es dieses Land noch nicht erlebt hatte. Innerhalb eines Vierteljahres starben eine Million Blonde, von der Hand ihrer Freunde, Nachbarn, Familienmitglieder, wer nicht flüchten konnte, wurde niedergemacht, Kinder, Frauen, Alte. Wer blond war, musste sterben. Die im Land stationierten Truppen der vier Mächte waren ratlos, schauten zu und schauten weg, die Blonden unter ihnen verbargen ihr Haar unterm Blauhelm. Erst als kein Blond mehr auf der Straße schimmerte, nahm das Morden ein Ende.

 Blödsinn?

Weiter hier:
http://www.livekritik.de/kultura-extra/theater/spezial/urauffuehrung_ruandamemory_societaetstheaterdresden.php

Die Stadtbahn kommt: Löbtau – Plauen – Strehlen

Eine Veranstaltung des Stadtplanungsamtes Dresden und der Dresdner Verkehrsbetriebe AG am 7. April 14 im Potthoff-Bau der TU

 

Im Rahmen der von ca. 100 Menschen (offenbar meist Fachpublikum im Audi Max der ehemaligen HfV) besuchten Veranstaltung wurde das Projekt Löbtau – Plauen/Südvorstadt – Strehlen des Stadtbahnprogramms 2020 vorgestellt. Moderiert wurde von Amtsleiter Stefan Szuggat, vorgetragen haben Jan Bleis und Andreas Neukirch von der DVB.

 Die Grundlagen:

Aktuell geht die Stadt von einer Einwohnerzahl im Jahr 2025 von 550.000 aus, die größten Zunahmen werden dabei bei den Schülern (um 40.000) und bei den Älteren über 65 Jahre (um 20.000) erwartet.

Für die von der Planung betroffenen Stadtteile werden durchweg Zuwächse an Einwohnern prognostiziert: Cotta + 11%, Löbtau + 15%, Plauen/Südvorstadt + 7%. Zu berücksichtigen dabei ist auch das neue Gymnasium Südvorstadt (1.300 Schüler) und die Verlegung der 46. Mittelschule (450 Schüler) hierher.

Wesentlicher Faktor für die Verkehrsplanung in diesem Bereich ist zudem die TU Dresden mit aktuell 35.000 Studenten und 6.000 Beschäftigten.

Durch die sehr enge Fixierung der Schüler auf wenige Spitzenstunden und das stark schwankende Verkehrsaufkommen der Studenten ist die Dimensionierung des verkehrlichen Angebots in diesem Korridor nicht ganz einfach und möglichst flexibel zu gestalten. Infrastrukturell benötigt man aber in jedem Falle eine Auslegung an den Spitzenwerten des öffentlichen Verkehrs.

 Der Bus (Linie 61) hat trotz des zeitweisen 3-min-Taktes seine Systemgrenze erreicht bzw. (spürbar zum Beispiel zu Vorlesungsbeginn im Wintersemester) überschritten. Eine Stadtbahn wird durch die LHD und die DVB als einzig sinnvolle Lösung der Malaise gesehen.

 Nach den aktuellen Berechnungen mit den gängigen Modellen spart die Einführung der Stadtbahn auf dieser Relation durch die Verlagerungseffekte vom MIV (3.800 Fahrgäste mehr am Tag netzweit) vier Millionen Pkw-km pro Jahr, was 1.900 Tonnen CO2 entspricht. Die DVB würde dabei auch noch deutlich wirtschaftlicher produzieren, da sie zehn Busse und (durch eine Neuordnung der Linien) sogar drei Straßenbahnen einspart.

 Finanziert wird das Projekt durch eine Bundesförderung, das „Stadtbahnprogramm“, das teilweise das alte GVFG (GemeindeVerkehrsFinanzierungsGesetz) abgelöst hat. Dessen Förderperiode läuft allerdings nur bis 2019, bis dahin müssen die Projekte (in Dresden noch die Umverlegung der Strab zum S-Bahn-Haltepunkt Strehlen und der Wiederaufbau Bühlau – Weißig) abgeschlossen sein.

Zumindest ist das aus heutiger Sicht so, aber da es sich nicht um ein Naturgesetz handelt, wird es sehr darauf ankommen, wie 2018 die politische Situation in Berlin sein wird. Ich hab aber noch nie davon gehört, dass ein begonnenes Projekt dann nicht zu Ende finanziert worden wäre, wenn es die politisch gesetzten Termine gerissen hat.

 Die – sinnvolle – Verlängerung des Straßenbahn-Neubaus im weiteren Verlauf der Linie 61 bis zumindest Gruna wird von der DVB bis 2025 angestrebt, hier ist jedoch noch kein Beschluss der Stadt ergangen, geschweige denn ein Topf mit Geld gefunden.

 Interessant dabei auch: Ein gemeinsam von Strab und Kfz genutzter Bahnkörper würde (im Allgemeinen) nicht vom Bund gefördert werden, da müssten das Land oder die Stadt einspringen. Das könnte nochmal wichtig werden, siehe die Details später.

 

 Die Umsetzung:  

Aktuell läuft die Vorplanung des Projektes, man hat dazu drei Abschnitte gebildet:

N         Löbtau bis Fritz-Förster-Platz

Z         Zellescher Weg

C          Caspar-David-Friedrich-Straße

 Mit dem Bau will man Ende 2017 beginnen und (etappenweise) spätestens bis Ende 2019 fertig sein, wegen der Finanzierung.

 Die künftige Bedienung soll – sehr elegant, finde ich – in der derzeit favorisierten Variante durch Umverschwenkungen von bereits vorhandenen Linien erfolgen: Die 7 nimmt künftig vom Hauptbahnhof aus den Weg nach Gorbitz nicht mehr über das WTC, sondern über das Nürnberger Ei, die 9 fährt ebenfalls ab dem Hbf über den Zelleschen Weg nach Prohlis. Wichtigste Haltestelle im Bereich wird damit der Nürnberger Platz, es entstehen zahlreiche neue Direktverbindungen zur TU. Dazu bleibt die bisherige Linie 61 im 10-min-Takt erhalten, um den Durchgangsverkehr aufzunehmen. (Die weiteren Auswirkungen im Liniennetz wurden nicht im Detail dargestellt, die 8 dürfte dabei aber einen neuen Endpunkt erhalten.)

Eine andere Variante sieht die Einführung einer neuen Linie 14 von Löbtau nach Strehlen vor, diese wirkt aber etwas systemfremd und bekäme erst mit der Verlängerung nach Gruna einen Sinn.

 

 Die Planungsdetails:

 Innerhalb der drei Abschnitte wurde eine grobe Variantenbetrachtung der generell möglichen Querschnitte durchgeführt. In den Abschnitten N und Z wurde die Mittellage der Straßenbahn gegenüber einer Seitenlage präferiert, in der Vorplanung werden nun jeweils zwei prinzipielle Auslegungen untersucht: eigener Bahnkörper für die Strab oder gemeinsame zweite Spur für Strab und Kfz. Erstere hat einen deutlich höheren Platzbedarf, wenn man daneben zwei Kfz-Spuren anordnet, ist aber verkehrstechnisch zu bevorzugen.

Jedoch ist neu eine Variante mit lediglich einer (überbreiten) Kfz-Spur ins Spiel gebracht worden, die im Vergleich zur Zweispurigkeit insgesamt drei Meter sparen würde (zwei normale Spuren à 3,50 m vs. überbreite Spur mit 5 m, das Ganze zweimal). Das hat auch deshalb große Bedeutung, weil man inzwischen festgestellt hat, dass die zu DDR-Zeiten auf dem schon immer für eine Straßenbahn freigehaltenen Mittelstreifen des Zelleschen Wegs mangels Realisierungschance eher aus Verlegenheit gepflanzten Bäume sich prächtig entwickelt haben und nun durchaus erhaltenswert sind. Es gibt inzwischen sogar schon eine Vorplanungsvariante mit besagter überbreiter Kfz-Spur, die die Bäume ungeschoren lässt.

 Hier könnte Dresden einmal zeigen, dass die verkehrswissenschaftliche Fakultät nicht nur zufällig in der Stadt beheimatet ist. Bedarfsgerechter Rückbau von Straßeninfrastruktur ist inzwischen nicht nur was für Sonntagsreden, das öffentliche Geld ist knapp, auch und vor allem für den Unterhalt von Straßen, und der Zellesche Weg hat bei weitem nicht mehr die verkehrliche Bedeutung wie vor Eröffnung der BAB 17.

 Ein weiterer planerischer Schwerpunkt ist der Nürnberger Platz, vor allem die Anordnung der Haltestellen dort. Hier hat jede der drei Hauptvarianten Vor- und Nachteile, es ist fast schon eine verkehrstechnische Geschmacksfrage, welche man präferiert.

 Durch den schmalen Querschnitt der CDF-Straße sind dort auch die planerischen Spielräume gering, der vorgesehene von Kfz befahrbare Bahnkörper wird in diesem Ausnahmefall auch vom Bund finanziert und für die Gestaltung des Wasaplatzes läuft schon das planrechtliche Verfahren, Spektakuläres habe ich nicht entdecken können in der gezeigten Folie.

 Erwähnenswert ist natürlich noch die erhebliche Verbesserung für den Fahrradverkehr auf dem Zelleschen Weg, die mit dem Projekt durch die Anlage normgerechter Radverkehrsstreifen einhergeht.

 Wichtig ist auch, dass das Projekt natürlich auf der kompletten Strecke einschließlich der Anbindungen an den Bestand als „wesentliche Änderung“ im Sinne der BImSchV gilt und die Anwohner Anspruch auf Lärmschutz haben. Dies wird in der Entwurfsplanung dann durch detaillierte Schallgutachten konkretisiert.

 Die konkreten Planungen müssen zu gegebener Zeit alle noch vom Stadtrat beschlossen werden, hier (und in der Bürgerbeteiligung) ist also noch reichlich Gelegenheit zur Einflussnahme.