Getagged: Dresden-Neustadt

Vaterlandsliebe …

Unlängst aus dem Touri-Geplapper an der Fähre herausgehört: „… mehr Angst als Vaterlandsliebe …“.

Ja, sicherlich. Ist auch nicht schwer.

Aber ein schönes Wort, diese „Vaterlandsliebe“. Bringt einen auf Gedanken.

Zunächst einmal würde ich das aus meiner Perspektive dem homosexuellen Spektrum zuordnen. An sich kein Problem, ich wollt es nur mal gesagt haben.

Gibt es dann auch eine Vaterlands-Jugendliebe? Und muss man nach dem ersten Mal gleich heiraten, weil sonst die großen Brüder böse sind?

Wie ist das überhaupt mit dem Körperlichen? In meinem Verständnis – gut, rein subjektiv – gehört das ja doch irgendwie dazu? Ob nun dreimal täglich oder jeweils am Hochzeitstag, bleibt der Neigung und der körperlichen Verfassung überlassen, aber ganz ohne? Schwierig, um diese schöne neudeutsche Vokabel auch hier unterzubringen.

Wie äußert sich Vaterlandsliebe? Gedichte schreiben, ok. Und sonst?

Kann ein Mann mehrere Vaterländer gleichzeitig lieben? (Bei mir wärs neben dem Königreich Böhmen dann noch die Bunte Republik, aber das nur nebenbei.)

Und die Frauen? Stabile Zweierbeziehung? Vaterfigur fällt mir da ein, oder besser Vaterlandsfigurliebe. Oder Vaterfigurlandsliebe? Obgleich, allein wegen der Figur liebt man doch nicht?

Apropos, kann ein Vaterland auch fremd gehen? Und wenn ja, auf welchem Mutterboden?

Gibt es auch Dreiecksbeziehungen? Führt das zu diplomatischen Verwicklungen? Wird der Botschafter einbestellt? Wozu? Zur Vaterlandsliebe?

Wozu führt unglückliche Vaterlandsliebe? Zum Wahnsinn, wie sonst auch? Oder nur zur Staatenlosigkeit?

Und, ganz wichtig: Gibt es freie Vaterlandsliebe? Ist Europa so was Ähnliches? Und warum ist Arthur Schnitzler dann ein Schweizer?

Für die, die bis hier durchgehalten haben:

Vaterlandsliebesspiel. Vaterlandsliebesvorspiel. Mir fällt da nur die teutsche Nationalmannschaft (m/w) ein. Erst singen, dann, nun ja, spielen.

Kann man Vaterlandsliebe erzwingen? Von welcher Seite aus?

Hm.

Ich glaub, ich hab in Stabü nicht aufgepasst.

War das jetzt schon Sex?

Backstage an Originalschauplätzen

Bis vor kurzem präsentierte Thomas Eisen seine Rock’and’Roll-Erregung „Backstage“ am Staatsschauspiel Dresden. Ein alternder Kurzzeit-Rockstar räsoniert in der Pause seines Konzertes in der tiefsten Provinz über sein Bühnenleben, verpasste Anschlüsse und Gelegenheiten und die Ungerechtigkeit der Welt. Hannelore Koch als späte Rockerbraut und Managerin muss sich das nicht zum ersten Mal anhören, hat aber ihre eigene Sichtweise. Und die Band will eigentlich nur in Ruhe das spärliche Buffet leeren.

http://www.staatsschauspiel-dresden.de/spielplan/archiv/b/backstage/beschreibung/

Was läge näher, als dieses Stück an einem Originalschauplatz aufzuführen?

Das Blue Note in Dresden, jenes El Dorado der gepflegten Nachtunterhaltung, hat schon viele Stars kommen und gehen sehn. Nun kann man einem auch mal hinter der Bühne zuschauen.

http://www.jazzdepartment.com/

Am 27. und 28. November. Mit den besten Empfehlungen der Teichelmauke.

Sieben Toren sind der Faust

 

Die Geschichte einer Theaterproduktion der Bürgerbühne Dresden haben wir in „Wir armen Toren“ nachverfolgen können, ganz nett sicher, aber …

Wovon handelt das Stück eigentlich?

Gar nicht so leicht zu sagen.

Vom Faust? Sicher. Von Gretchen? Auch ein bisschen. Von der bösen Midlife-Crisis? Ja, auch. Aber nicht nur.

Es geht um „Männerbiographien“, wie einer so schön sagt, ganz verschiedene, die ein Bruch (oder auch mehrere) verbindet, aber sonst erstmal nicht viel.

Das Stück lebt von der Potenz (und der erlebbaren Hilflosigkeit) seiner Protagonisten, sieben Lebenslinien werden auf der Faust-Geschichte verprobt, meistens passt es, manchmal nicht. Es ist – stellenweise – dieselbe Story in sieben Variationen, jeder ist Faust und ist es auch nicht, die „Hunde-Monologe“ zum Einstieg machen das deutlich.

Ein assoziationsreiches Bühnenbild, sieben Felder, Kabinen, Zellen, Boxen, Rückzugsräume … davor ein schmaler Steg und fünf Meter Abstand zum Publikum. Den wird es brauchen.

Regie und Dramaturgie übertreffen sich mit Einfällen. Die drei Erzengel und den Herrgott selbst spielt einer allein, auch im Himmel ist das Personal knapp. Davor noch als Einstieg die Monologe, die dem Stück den Namen gaben: Sechs Lebensläufe im Duktus der Studierstube, einer darf dazwischen das Original aufsagen.

Man wird also eingeführt mit Berichten aus dem krisengeplagten Mittelleben, die gesamte Bandbreite dessen, was man heute so haben kann, kommt zutage. Was haben die Sieben mit Faust zu tun? Sehr viel, jeder für sich.

Überhaupt, Sieben. Die mythische Bedeutung der Zahl ist nicht zu unterschätzen, nur die Drei gibt vielleicht noch mehr her. In sechs plus einem Tag soll die Welt erschaffen worden sein (der Ruhetag gehört unbedingt dazu), sieben Todsünden sind bisher bekannt, sieben Freunde müsst ihr sein (zumindest im Handball), die sieben Schwaben hatten immerhin ein gemeinsames Ziel, von den Glorreichen Sieben waren am Ende zwar nur wenige übrig, aber sie haben gewonnen. Die sieben Geißlein wurden von der Klugheit des jüngsten gerettet. Die Älteren unter uns werden sich noch an Herrn Carrells „verflichste Sieben“ erinnern. „Sieben auf einen Streich“ darf natürlich auch nicht fehlen. Und wie würde „Schneewittchen und die fünf Zwerge“ klingen?

Aber was passiert nun weiter im Stück? Die aus der Hexenküche neu gewonnene Jugendlichkeit und Energie kanalisiert sich in halbstarker Brünstigkeit, Sinnsuche und Unternehmertum.

Das Gretchen, das später erscheint, ist am Anfang eine Verheißung und am Ende ein Störfaktor. Keiner scheint ihr gewachsen, nur der Goethe-Freak bezwingt sie mit seinen Versen. Aber als es ernst zu werden scheint, kneift der Depp und klammert sich an die literarische Vorlage.

Gretchen wäre hier eher respektvoll Margarete zu nennen. „Das Heute-Gretchen und die sieben Fäuste“ ist vielleicht als Titel zu direkt, aber träfe es schon irgendwie. Und wie weiland die verstoßene Königstochter hat sie die Meute im Griff, bis … ja, bis einer sich mit der originalen Geschichte vom weltlichen Ende des Gretchens in ihr Herz schleicht. Dann ist es vorbei mit der kühlen Souveränität, das Weib Grete schlüpft am Ende gar in Helenas Identität, doch vergebens: Faust IV. (in der Reihenfolge des Auftritts, eigentlich ja Heinrich IV., aber das passt so gar nicht) fühlt sich überfordert vom direkten Begehren, er hat es eher mit der Theorie.

Bis dahin ist aber noch viel geschehen: Zunächst beklagen die Fäuste wortreich und lautstark ihr schweres Schicksal, ein Pudel assistiert dabei. Jener verwandelt sich flugs in den aus dem Prolog bekannten Mephisto und verleitet figilant den Faust zum Glücksspiel. Während Quadflieg und Gründgens in der Projektion stumm große Kunst bescheren, stammeln die Protagonisten auf der Bühne deren Texte aus dem Kopfhörer nach. Interessant, sag ich mal.

Da Faust konsequent die Existenz eines Jenseits verleugnet (zu seinem Glück hat Goethe nicht schon ein paar Jahrhunderte früher gelebt), dünkt ihm sein Einsatz gering. Also was soll‘s, wetten wir halt.

Nun muss Mephisto aber liefern. Im Gegensatz zu heutigen potentiellen Lieferanten tut er’s auch, nach einer kraftvollen Hexenküchenshow (Kochen ist ja eh im Trend) stehen 7 Jung-Fäuste da, offensichtlich mitten in der Pubertät.

Man sieht es bei der Gretchen-Erscheinung, erst per Video, dann – Auftritt aus der Menge – real: Eine große Bandbreite zwischen Verschüchterung und Macho-Gehabe tut sich auf. Letzterer bereut es, eine Polka kann auch weh tun. Mit Minnesang ist der Dame auch nicht beizukommen, sie stellt insistierend die Frage, der sie den Namen gab und duldet kein Ausweichen. Die anderen Fäuste verpissen sich, als auch die dank Brieftasche dicke Hose des Dritten sie nicht beeindruckt.

Nur der Feingeist bleibt übrig. Scheinbar wird auch er zerhackt, doch dann – wundersame Wendung – rührt er die Amazone mit dem Nachspiel von Gretchens Ende. Aber … kaum scheint er zu gewinnen, meldet sich der kleine Mann im Hinterkopf. No woman no cry …. Also Rückzug, kein Happy Ende.

Nach notgedrungen etwas ruckelndem Übergang zwei anrührende Beichten und ein Gefühlsausbruch aller Fäuste.

Mephisto zaubert im Teil Zwei unverdrossen weiter. Wenig später schwimmen alle im Geld. Aber sind die Scheine auch was wert? Man muss nur fest dran glauben. „Im Hintergrund Mephisto lacht, weil die Gier immer alles nur noch schlimmer macht.“

DER Faust – der Goethe-Kenner hatte wie vermeldet die Konkurrenten aus dem Feld geschlagen – sucht weiter Helena und findet Gretchen wieder. So war das nicht gedacht. Wieder kein Happy-End.

Finale Eins:

Die Auflösung der Wette zwischen Faust und Mephisto. Die Deutsche Bank gewinnt. Die Deutsche Bank gewinnt immer.

Finale Zwei:

Jeder der Faust-Kandidaten wettet noch einmal. Werden sie jetzt gewinnen? Meine Prognose ist 3:4.

Das Stück sollte man sicher nicht klassisch nennen, trotz der erhabenen Vorlage und vieler Zitate ist es modern angelegt. Ein dünner roter faustischer Faden zieht sich hindurch, die durchgängige Handlung der Vorlagen blitzt nur gelegentlich auf, es sind eher aneinandergereihte Szenen, mal nach, mal ohne, mal fast gegen Goethe. Der Wiedererkennungsfaktor des Faust ist manchmal gering, auch Deutschlehrer werden nicht jede Episode einordnen können. Aber darauf kommt es auch nicht an.

Ich armer Tor“ verhält sich zur deutschen Nationaldichtung wie ein heutiger Nachfahre des verehrten Herrn von Goethe zu ebenjenem: Man sieht vielleicht noch die Verwandtschaft, nur behaupten muss sich der Urururenkel heute selbst, mit seinen eigenen Möglichkeiten.

Und das tut das Stück, denke ich. Dennoch. Deshalb. Sowohl. Als auch.

Bis zum Jahreswechsel noch fünf Mal im Theater Ihres Vertrauens.

Gundi goes global und bleibt lokal

Ein Gundermann-Gedenkabend am 19.10.12 im Theaterhaus Rudi, Dresden-Mickten

Hütte voll im bluutschen Rudi, schon kurz nach Sieben. Der Gundermann-Freund ist pünktlich und vollzählig angetreten. Der „große“ Saal birst vor Menschen, dass es im großzügigen Souterrain noch eine Bühne gibt, muss sich erst rumsprechen.
Einige Musikschaffende versuchen sich oben wie unten an Gundi’s Werk. Das Ohr bedient sich bei Bedarf aus der Erinnerung, so wird auch das Verhunzte schön. Es wird inbrünstig mitgesungen und es kommt zu ersten Umarmungen. Einige Extremisten vollziehen gar das gefürchtete Mitklatschen.
Global geht Gundi deswegen, weil jetzt auch ein Holländer-Michel zur Gilde der Nachsänger gehört. Nach Schwaben ein weiterer Expansionserfolg. Und auf Russisch und Französisch soll es Gundi auch schon geben. Heute gehört uns Holland, morgen … Ach Quatsch. Blödes Zeilenfüllgebrabbel.
Im Keller werden auch Amateure und Debütanten auf die Bühne gelassen. Einer spielt und singt ähnlich schlecht wie Bob Dylan, wird aber sicher nicht so berühmt, diese Nische ist ja schon besetzt.
Die fast Einzige, die ich auf der Programmliste kenne, ist Barbara Thalheim. Deren Auftritt lässt ein bißchen auf sich warten, aber dann: es beginnt klassisch und wird dann aktueller, bleibt aber gut. Sicher ein schönes Konzert, wenn auch ein bißchen belehrend, was mir dann doch auf den Senkel geht. Ab in den Keller.
Dort darf ich immerhin die Sängerin auf die Wange küssen, als Ersatz-Muserich, traut sich sonst keiner. Nicht nur deshalb scheine ich einen interessanten Auftritt von Judith Reimann verpasst zu haben.
Aber auch der folgende Barde ist hörbar, schade, dass sich nur zehn Leute im geräumigen Keller verlieren. Dann wechselt es zu Betroffenheitslyrik, also wieder nach oben. Frau Thalheim immer noch am Set, nun fast rockig. Klingt gut. War aber schon die Zugabe.
Die Pausenmusik zielgruppengerecht klassischer Ostrock, modern abgemischt, was ihn nicht unbedingt besser macht.
Dann Herr Kondschak aus Tübingen, einer der Priester der Szene. Er hat seine Tochter mitgebracht, was in jeder Hinsicht erfreulich ist. Gott ist eine Frau, hab ich dabei gelernt.
Während der Herr Vater nur gelegentlich an Dieter Birr erinnert, tanzt Tochter Merle sehr schön und singt auch. Inhalt? Naja, … auch dabei, manchmal. Ein vertonter Lebenslauf, nichts Überraschendes. Manchmal aber doch ein bewegender Moment, für den es sich lohnt zu bleiben. Und „Stilles Glück“ ist dann sicher der Höhepunkt des Konzerts. Dann noch Gundi’s „Linda“ mit Geige, leicht verheult geh ich zum Rauchen.
Die Party (ja, werte Herren aus einer bekannten Nachtgaststätte, solche Partys gibt es auch) beginnt mit dem alten Skoda Octavia. Na gut, es ist eher eine Session. Und Platz zum Tanzen ist auch kaum. Aber die Sache nimmt Fahrt auf, als ich weiche (muss morgen früh raus) geht es offenbar erst richtig los. Schön für die Zurückbleibenden.
Im Nachgang: Was ist der heutige Gundi-Fan für einer, so im Durchschnitt? Schwierig, zu heterogen ist diese Gruppe. Ein klassischer Typus davon ist um die Fünfzig, Alt-Ossi, durchaus angekommen im neuen Leben, Mittelschicht, tritt bevorzugt in gemischtgeschlechtlichen Paaren auf, mit dem Hang zur Lagerfeuer- Nostalgie. Weeßte noch? In zehn Jahren werden sie sich erzählen, wer auch schon tot ist.
Aber es gibt auch viele andere.
Der Akademikeranteil und jener der Linken-Mitglieder scheint deutlich überdurchschnittlich zu sein, egal, das sind ja auch Menschen.
Es gibt auch einen Verein namens „Seilschaft“, wusste ich bisher nicht. Die passende Vokabel dazu heißt wohl rührig, zumindest hat jener zum 15. Todestag ein beachtliches Programm in mehreren Städten auf die Beine gestellt. Das Rudi ist zudem mit goldenen Worten des Meisters tapeziert, eine hübsche Idee.
Die Mitglieder des Vereins laufen stolz mit Hostessen-Schildchen rum, die sie als solche kenntlich machen. In den meisten Fällen hätte man das auch so gesehen.
Es ist vermutlich nicht mehr weit bis zur Ersten Gundischen Freikirche, aber warum auch nicht? Es gibt banalere Gründe fürs Glauben.
Ich geb heute kein endgültiges Urteil ab, ein Bericht muss reichen. Bin befangen und ein bißchen gerührt. Die Musik von Gundi fängt auch mich immer wieder ein, und die Party war größtenteils doch unterhaltsam.

Meine Nacht als Ü-Irgendwas

26.09.12

Ok, heute kann, heute muss es mal wieder sein. Allmittwochabendlich lädt eine renommierte Neustädter Garage zum Ball für die reifere Jugend. Heute auch mit mir.

Nach Mitternacht kommen ist Routine, vorher sind nur die Frühaufsteher da. Krachbumm-Musik like Rammstein wechselt mit Balkanpop, der Laden ist halb gefüllt, man amüsiert sich wie Bolle.

Militär ist heute kaum vorhanden und fehlt mir auch nicht. Ansonsten die üblichen Verdächtigen, ein paar versprengte Touristen und etwas Frischfleisch, das neugierig beäugt wird. Alles wie immer also.

Der Laden hat sich aufgehübscht seit ich das letzte Mal hier war. Coole Sessel vor Großportraits von Musikschaffenden, die meisten leider schon tot. Nett.

Duran Duran? Ach ja, ich vergaß, Ü-Haltbarkeitsdatum. Trotzdem auch mal wieder schön.

„Hit the road, Jack.“ Na, jetzt noch nicht. Das Publikum zerfällt grob in zwei Teile: Aus-Versehen-hierher-Geratene und Abonnenten. Letztere sind deutlich in der Überzahl. Wo gehör ich eigentlich dazu? Wie immer irgendwo dazwischen.

In the Name of Love, ja klar, deshalb sind wir hier. Ein tiefer Blick aus einsamen Augen, ich verbiete mir jedweden Zynismus. Aber ich kann sie heute nicht trösten.
Die Barmäuse sind mal wieder die Schönsten im Saal, da mag man sich auf der Tanzfläche noch so abstrampeln. Sie beeindrucken durch schlichte Präsenz.

Ach, den DJ kenn ich doch? Klar, sonnabends, Lofthouse, war ich früher auch mal. Die Musik ist jetzt rockig, was nicht unbedingt tanzbar bedeutet, zumindest wenn man noch nicht betrunken ist. Aber the Cranberries hör ich doch ganz gerne.

Ein Uhr, ich hab den Eindruck, alle eingeschmuggelten „U“ verlassen jetzt den Saal. Na gut, sind wir halt unter uns.

Der Genuss alkoholhaltiger Mixgetränke verführt mich dann auch zu halbwegs rhythmischen Bewegungen auf der angenehm übersichtlichen Tanzfläche. Der DJ haut mir allerdings umgehend mit AC/DC einen großen Knüppel zwischen die Beine. Da könnte ja jeder kommen.

Schneller als ich es erwartete finden sich die ersten Temporärpaare. Na gut, es ist mitten in der Woche, man muss vielleicht früh raus. Ich blicke dezent zur Seite und wünsch ihnen Glück.

Eigentlich hab ich alles gesehn, die Musik dümpelt auch irgendwie so dahin. Na gut, austrinken können wir ja noch.

Jetzt gibt es sogar Rock’n’Roll. Man bewegt sich irgendwie dazu, ich kenne meine Grenzen und bleib hocken.

Es reaggaet jetzt, naja, auch nicht so meins. Ein paar neue Menschen sind hinzugekommen, aber voll wird es dadurch nicht. Gut so, sag ich als User.

So, der Drink ist ausgedrinkt, kein Grund mehr zu bleiben. Der DJ macht den Abschied leicht.

Zum Abschied noch ein freundliches Lächeln mit den Reinlassern getauscht, „Rausschmeißer“ wär hier echt fehl am Platze, und ab. Bis zum nächsten Mal, irgendwann.

Der letzte Satz ist nicht logisch? Dochdoch. Ich mag den Laden und die Schubse jeden Mittwoch. Das ist ja ohnehin die Zukunft der Neustadt … 😉

 

Jungs, hier kommt der Masterplan

„… was man alles machen kann“ … sang schon in den Neunzigern die Musikgruppe Tocotronic. Na dann, lassen wir uns mal überraschen.

Der siebente Stadtspaziergang führt heute (26.09.12) durch die Leipziger Vorstadt, jene Diaspora zwischen Neustädter Elbufer und Hansastraße, deren geografische Mitte in etwa der „Alte Schlachthof“ bildet. Mehr als 30 Interessierte stehen vier städtischen Angestellten gegenüber, die sich erneut wacker schlagen und den Ausflug zu einem Gewinn werden lassen.

Die L. V. bietet „ein ungeordnetes Erscheinungsbild, besticht aber durch ihre Lagegunst“. Ja, so fühl ich mich auch manchmal.

Wieder interessante Geschichten: Mit dem Alten Leipziger Bahnhof und dem Winterhafen fing es an, Villeroy & Boch produzierten und versendeten hier ihr Sanitärporzellan, vulgo wohl Kloschüsseln. Inzwischen ist die Gegend etwas „aus der Nutzung gefallen“, ach, ich liebe diese Planersprache.

Aber es gibt seit 2010 einen Masterplan, kleiner haben wir es nicht. Die Gegend soll entwickelt, Pieschen über Grünzüge mit der Innenstadt verknüpft werden. Im Hafen ist an eine Marina gedacht, Schiff ahoi. Wohnen und Gewerbe (sowie Schulstandorte, dazu später noch) sind vorgesehen, dazu eine Kulturspange vom Schlachthof zum Elbufer. Da es hier um etwa 50 Hektar geht, macht man sich keine Illusionen: Vor 2025 ist an eine Fertigstellung nicht zu denken, wobei Teile durchaus auch eher entstehen können und sollen.

Erster Rastplatz ist die Ecke Hallesche / Erfurter / Gehestraße. Früher ein wilder Parkplatz, ist diese nun aufgewertet. Na gut, bisschen langweilig vielleicht, aber ordentlich und sauber.

Mangels Anwohnern (die Bevölkerungsdichte im Planungsgebiet gleicht momentan jener des Schönfelder Hochlands) kam ein Beteiligungsprozess bisher nicht recht in Gang, die Stadtplanung präsentiert aber ihre Ideen, u.a. zu den Schulstandorten. Ein neues fünfzügiges Gymnasium soll hier entstehen, vorzugsweise dort, wo die Erfurter auf den Puschkinplatz trifft. Auch die riesige Bahnfläche nordwestlich der Gehestraße ist im Gespräch, auch für Grund- und Mittelschulen. Leider verfügt die Stadt kaum mehr über eigene geeignete Flächen, so dass diese Projekte teuer und langwierig sein werden. Andererseits … „Brache als Chance“. Platz ist ja an sich genug. Und da sich Pieschen neben der Neustadt und Blasewitz des größten Kinderzuwachses erfreut, tut das auch dringend not.

Wir schlendern weiter und passieren am Puschkinplatz zwei je 15 m lange Spielstraßen. Die Straßenverkehrsbehörde beweist hier ihre Liebe zum Detail.

Am Schlachthof angekommen, fällt dann nach 45 min endlich verschämt das Stichwort „Globus“. Äh, ja … die Stadtplanerinnen lächeln gequält. Nein, im Masterplan ist das nicht drin, kann auch nicht. Und ja, wenn der Bebauungsplan, der jetzt mit Stadtratsmehrheit auf den Weg gebracht wurde, so ausfällt, wie die Initiatoren sich das wünschen, müsse der Masterplan natürlich angepasst werden („in die Tonne treten“ ist eine Formulierung, die sich ein städtischer Angestellter nie erlauben würde).

Wie singt man so schön abends im Schauspielhaus? „Ja, mach nur einen Plan, sei nur ein großes Licht, und mach noch einen zweiten Plan, gehn tun sie beide nicht.“ (B.B.)

Aber es ist noch Hoffnung: Der durch den globalen Großmarkt induzierte Verkehr wird ein wichtiger Aspekt der Abwägung sein, und wenn man nicht die Leipziger Straße zur nächsten Stadtautobahn umbauen will, sollte dies ausreichen, das Projekt sanft entschlafen zu lassen.

Die sich entspinnende Diskussion dreht sich im Wesentlichen um den Wohnungsbau. Dresden hat sich vor Jahren entschlossen, auf einen eigenen Wohnungsbestand zu verzichten und kann nun in diesen Boomzeiten nur indirekt Einfluss auf bezahlbaren Wohnraum nehmen, auch wenn dies heute massiv gefordert wird. Man muss sich darauf verlassen, dass der Markt das schon richtet und kann maximal die Randbedingungen günstig gestalten.

Interessanter Aspekt dabei: Die am schnellsten wachsende Gruppe von Einwohnern ist jene der Hochbetagten (80 Jahre und älter). Hier gibt es bisher nur ansatzweise Konzepte. Am Rande noch zu erfahren war, dass das Durchschnittsalter in Dresden von 35 (Neustadt) bis 55 (rate mal) variiert, was man u.a. auch am Wahlverhalten ablesen könne. Ich spar mir hier Interpretationen.

Die Bezeichnung der Bahnstrecke vom Abzweig Pieschen über Dre-Neustadt Gbf zum Südkopf des Bahnhofs Dresden-Neustadt Pbf als (entbehrliches) „Havariegleis“ lässt mich dann doch schmunzeln. Sooo einfach wird das wohl nicht werden.

Letzte Etappe Neustädter Hafen. Die Entwürfe für eine „Hafen-City“ (mit diesem Begriff ist man selbst nicht glücklich) werden präsentiert, viel hochwertige Wohnbebauung, eine Marina (Sportboothafen) mit den zugehörigen Einrichtungen und etwas Gastronomie. Die Visualisierungen sehen verwechselbar aus, könnte auch die Speicherstadt in Hamburg sein, oder der Duisburger Hafen. Eine interessante Idee dabei ist, den Radweg in diesem Bereich um einige Meter von der Elbe weg zu verlegen, zur Konfliktentschärfung mit dem erwartet üppigem Fußgängerverkehr im Hafenbereich. Dem mit der Vorstellung verbundenen generellen Appell, „Rücksicht zu lernen“, kann ich mich nur anschließen.

Aber ob das alles so kommt? Immerhin gibt es jetzt einen Investor, der das ganze große Areal bis einschließlich der Bülow-Tiefgaragenruinen gekauft hat. Dessen Name ist noch geheim, aber in Dresden bleibt ja nichts lange verborgen.

Die Gespräche laufen, aber das „B-Plan-Verfahren“ ist noch nicht mal begonnen, der Hochwasserschutz ist noch zu klären, das „Globus-Thema“ hat sicher Einfluss, deshalb sind die penetranten Fragen eines Herrn mit offenem Haar nach dem Termin des Baubeginns auch neben der Spur.

Die Quintessenz: Das macht richtig Spaß. Man entdeckt auf diesen Spaziergängen Ecken, in die man sich nie verirrt hätte, erfährt viel Neues und einige Hintergründe zur städtischen Entwicklungsplanung und hat die Chance, sich selbst eine fundierte Meinung zu bilden.

Der Spaziergang in der Leipziger Vorstadt soll übrigens wiederholt werden, zum heutigen gab es über sechzig Anfragen. Da sage noch einer, der Bürger sei nur im Meckern stark.

Spazieren mit dem Amt

Zugegeben, auf diese Idee kommt man nicht unbedingt von selbst. Doch eben weil der Bürger kaum zum Amte kommt, geht jenes für Stadtplanung jetzt mit ihm spazieren.

In dreizehn Stadtspaziergängen will das Stadtplanungsamt (bitte auf dem mittigen „a“ betonen, wenn man dazugehören will) den Stand der Fortschreibung des integrierten Stadtentwicklungskonzeptes dem geneigten Bürger nahebringen und dessen Beteiligung induzieren. Auch kann man sich online beteiligen, alles Wissenswerte hier:

http://www.dresden.de/de/08/01/stadtentwicklung/integrierte_stadtentwicklungsplanung/zukunft-dresden-2025-plus/spaziergaenge.php

Der Spaziergang Nr. 6 hieß heute (25.09.12) „Albertstadt – Stadtleben zwischen Neustadt und Dresdner Heide“, unterüberschrieben war das Ganze mit:

„Wohnen und Leben am nördlichen Innenstadtrand. Auf ehemaligen Brachflächen wohnen Dresdnerinnen und Dresdner in neuen Wohn- und Eigentumsformen.“

Und ich war dabei.

Nicht ganz logisch begann der Spaziergang bei St. Pauli. Zwar zählt der Hecht nicht zur Albertstadt, aber dort, in der Kiefernstraße, gibt es sehenswerte Beispiele der Re-Urbanisierung.

Zwei Dutzend Teilnehmer jeden Alters, ein breites Spektrum, Mann trägt Tuch, um seine Individualität zu betonen und wirkt damit etwas uniformiert (ok, ich auch). Zwei Herren der Stadt bzw. eines Planungsbüros bringen uns kompetent Anliegen und Inhalt des Spaziergangs nahe, vorab schonmal danke für den gelungenen Marsch.

Eingangs wird einiges zum Ziel der Stadtplanung für 01099/97 berichtet. Die Bindung der (bisher stark flukturierenden) Einwohner an ihr Viertel soll durch die Schaffung entsprechender familientauglicher Infrastrukturen erhöht werden, wobei man beim Markt hier offene Türen einrenne. JedeR will in die Neustadt, am liebsten mit Kleinkindern.

Mein schüchterner Einwand, dass das zur Verdrängung der nicht so zahlungskräftigen Klientel aus derem Soziotop führe, wird u.a. mit dem unschönen Wort „Auffüllmasse“ für Problemstadtteile beantwortet. Also auf nach Löbtau, Friedrichstadt, Kackpieschen, ihr Minderbemittelten dieser Stadt. Aber was hilft das Quengeln, es kommt ja doch so.

In der Kiefernstraße sind recht hübsche Ein- und Mehrfamilienhäuschen zu sehen, wo früher Brachen waren. Das wirkt gut und wird angenommen. Einziges Problem: Die hoffnungslos veraltete Sächsische Bauordnung, die einen Stellplatz pro Wohnung fordert, was zu den hässlichen Inhouse-Garagen führt und alternative Konzepte behindert.

Die Neustadt hat eine PKW-Dichte von unter 300 pro 1.000 Einwohner, halb so hoch wie der Dresdner Durchschnitt. Diesen Vernunftsvorsprung (und Einkommensrückstand) kann man aber leider nicht nutzen, Ausnahmen sind nicht vorgesehen. Auch hier also eine große Baustelle.

Noch was Interessantes: Unser Viertel hat mit 14.000 Einwohnern pro Quadratkilometern die mit Abstand höchste Siedlungsdichte, mehr noch als Prohlis.

Nächste Station Tannenstraße, Volvo-Ghetto. Hier ist man „dabei, aber nicht mittendrin“ in der Neustadt, ideal also für Teilzeithippies etc.. Nach dem ersten Höhensprung des Elbtals erhebt sich eine kleine feine Siedlung, die entfernt daran erinnert, dass hier mal eine große Kaserne stand.

Schon wieder interessant: Der Alaunpark war früher eine Steinwüste und der Exerzierplatz der Albertkasernen. Erst in der DDR (vgl. „Es war nicht alles schlecht“) wurde er begrünt. Den Namen „-park“ gibt es übrigens offiziell (noch) gar nicht, eigentlich ist das alles „-platz“.

Die Erweiterung des Alaun-, äh, Platzes nach Westen ist theoretisch nunmehr beschlossen, der Freistaat scheint einverstanden und es gibt einen entsprechenden Stadtratsbeschluss. Nix also mit Feuer- oder Polizeiwache.

Aber … finanziert ist das Ganze noch nicht. Da bin ich ja mal gespannt.

Die Attraktivität nicht nur dieser Wohnanlage (auch des nächsten Bauabschnittes) steht und fällt natürlich mit dem, was so schön „Wohnfolgeeinrichtungen“ genannt wird, also vor allem Kindereinrichtungen und Schulen. Dazu ist schon hinreichend geschrieben worden, die Versäumnisse der letzten Jahre sind kaum aufholbar, die LH Dresden ist finanziell überfordert und der Freistaat Sachsen begreift das nur langsam. Das wird noch spannend.

Und parallel stellt sich noch die Frage, wer denn die Kinderlein erziehen und lehren soll … Manchmal wünscht man sich die Planwirtschaft zurück.

Schlusswort am zweiten Ort: Die Neustadt ist der heißeste Stadtteil mit der schlechtesten Luft. Ersteres kann ich bestätigen.

Dann marschieren wir in Richtung MHM. Dort wird allerdings eine Vereiterung gefeiert. Das erscheint mir seltsam, ich kenn mich aber bei den Bräuchen der Olivgrünen auch nicht so aus.

Wir weichen zum sowjetischen Ehrenmal aus, das bekommt damit endlich mal wieder zahlreichen Besuch.

Etwas Geschichte: Der Militärkomplex „Albertstadt“ wurde aus den Reparationszahlungen der Franzosen 1871 errichtet, er war bis 1918 autonom (dem Kriegsministerium unterstellt) und kein Bestandteil von Dresden. Die Grenze verlief an der Tannenstraße. In Mobilisierungszeiten fasste er 40.000 Soldaten. Soviel übrigens auch zum Thema „unschuldige Kunst- und Kulturstadt“.

Heute ist bereits – dank der Offiziershochschule des Heeres, die die modernste Schwimmhalle Dresdens hat, was einem zwar nichts nützt, aber doch stolz macht – das Gelände teilsaniert, in einige Kasernen sind Wohnungen eingezogen, Brachen sollen mit EFH und Reihenhäusern besetzt werden. Das wird sicher noch ein paar Jährchen dauern, ebenso wie der S-Bahn-Haltepunkt „Albertstadt“, den die Stadt in Höhe der Staufenbergallee gerne hätte.

Fazit: Interessante zwei Stunden, gelungene Veranstaltung, wenn auch vieles unverbindlich blieb, bleiben musste. Bis zum 9. Oktober gibt es noch sieben weitere Spaziergänge in allen Stadtteilen.

Noch zwanzig Jahr zu arbeiten …

„Die Firma dankt“, UA von Lutz Hübner, in der Regie von Susanne Lietzow gesehen am 22. April 2012 im Staatsschauspiel Dresden

Eine Parabel zwischen alter und neuer Arbeitswelt, sie handelt vom verlorenen Wert von Verdiensten, vom Neu-Erkämpfen-Müssen seiner Position, vom Spielen nach unbekannten Regeln, von den Schmerz-Grenzen erhaltener Demütigungen. Lutz Hübner lässt einen Mittvierziger die „Neuaufstellung“ seiner Firma durchleben und durchleiden. Am Ende muss jener erkennen, dass für ihn kein Platz mehr da ist, den er ohne Selbstaufgabe ausfüllen könnte.

Adam Krusenstern muss warten. Warten im Gästehaus seiner frisch übernommenen Firma, die ihn zu diesem Wochenende einbestellte. Ihn, den letzten verbliebenen Abteilungsleiter, alle anderen wurden vom neuen Management schon entsorgt. Er hat keine Ahnung, was ihn erwartet, Rauswurf, Degradierung oder Beförderung.

Auch die ersten Begegnungen machen ihn nicht klüger. Hier scheinen alle keine Nachnamen zu haben. Kein Zeitplan, keine Tagesordnung, so ein Chaos hat Adam in 20 Jahren Betriebszugehörigkeit noch nicht erlebt. Die Assistentin umschwirrt ihn (oder überwacht sie ihn?), die beißlustige Personaltrainerin gibt abwechselnd den guten und den bösen Bullen, der neue Personalchef bleibt ganz allgemein in seinen Sprechblasen. Alle sind irgendwie unter Spannung. Nur der mutmaßliche Praktikant ist überlocker, Krusenbergs Ratschläge zu Umgangsformen belustigen ihn. Hier prallen Welten aufeinander.

Krusenberg spürt, dass etwas von ihm erwartet wird. Er beruft ein Meeting ein, aber es wird ein Desaster. Schon am Gestühl scheiternd, verhungert er bei seinem Schaulaufen vor einem desinteressierten Kreis. Demütigung durch Ignoranz. Das Auftauchen des jungen Schnösels, den alle wer weiß warum anhimmeln, lässt die Besprechung endgültig platzen. Die Teilnehmer widmen sich wichtigeren Dingen.

Nur der selbstgewisse Schnösel bleibt, versaut erst Adams Anzug und dann endgültig dessen Laune mit seinen Thesen von der modernen Wirtschaft. Erfahrung und Kompetenz sind unwichtig, die Systeme organisieren sich selbst, Produktperfektion ist irrelevant, man muss den Kaufvorgang verkaufen. Krusenstern versinkt im riesigen Sofa und taucht als Marionette wieder auf. Alles ist offensichtlich Scharlatanerie, aber diese kommt an. Doch was sollen facebook-Produkte in einem Stahlwerk? Hat er in seinen 20 Arbeitsjahren wirklich alles falsch gemacht? Ist er verdorben für die schöne neue Firmenwelt?

Die anderen sind inzwischen in Feierlaune. Der vermeintliche Praktikant Sandor ist ein umworbener Shooting-Star der New Economy, der endlich zugesagt hat, den Laden zu übernehmen. Der Aktienkurs steigt.

Die Nutzwertanalyse des frischgebackenen Chefs geht allerdings zu Krusensterns Ungunsten aus. Adam macht den üblichen Deal, Abfindung gegen geräuschlosen Abgang, besser er wird mit ihm gemacht. Mangels Personalakte muss zu seiner Verabschiedung aus seinem Dossier vorgelesen werden. Was man so alles anhäuft in zwanzig Jahren … die wissen wirklich alles.

Es ist Sandors erste selbstverursachte Kündigung, das will er sich aus der Nähe ansehen. Sein strafverschärfendes Mitgefühl und seine These, Krusenberg sei ein Oldtimer, zwar unpraktisch und kaum verwendbar im Alltag, aber sehr faszinierend, lässt jenen die Contenance verlieren. Er hat noch zwanzig Jahre zu arbeiten!

Die folgende Prügelei bleibt einseitig. Sandors geschmeidige Virtualität hat der physisch-archaischen Gewalt aus der Old Economy nichts entgegenzusetzen. Sieg durch K.O. in der ersten Runde.

Dies führte nun eigentlich zum berechtigten fristlosen Rauswurf des Übeltäters, allein Sandor fühlt sich als Warhol-Wiedergänger und erkennt eine prägende Szene aus dessem Leben: Das Valerie-Attentat. So einen könnte er doch gut brauchen? Er trifft eine Management-Entscheidung.

Die Runde ist irritiert, dass Krusenstern nun wieder im Rennen ist. Offenbar verstehen auch sie die Regeln nicht ganz. Aber nach welchen Regeln würfeln die Affen? Der Personalchef hängt seinen Golfpullover in den neuen Wind, die Trainerin nimmt erneut seine Daten auf. War ja alles schon gelöscht.

Mitten im Gespräch entspringt ihr eine flammende Rede über Würde und Selbstachtung. Sie ahnt, dass die Probleme des Krusenstern bald auch die ihren sein werden.

Adam entwickelt seine Strategie zur Würdebewahrung, reicht die innere Kündigung ein und geht auf Sabotagemission am Betriebsklima. Auch übt er schon mal Fiesigkeit am schwächsten Glied der Kette, alles natürlich präzise abgehört von Sandors Spielzeugen. Dennoch will der ihn haben, für die Skeptiker-Rolle ist er die Idealbesetzung.

Schlussszene. Während Sandor von der Old-School-Vorstellung des Krusensternschen Meetings schwärmt und dieses am nächsten Tag mit seinem neuen Team als Retro-Kapitalismus zelebrieren will und die Personaltrainerin plötzlich nicht mehr gebraucht wird („Danke, wir melden uns“), verschwindet der Personalchef vollumfänglich in Krusensterns Gesäß.

Davon unangenehm aufgestoßen, steht Adam die ganze Absurdität der Situation plötzlich klar vor Augen. Was ist die Ermordung eines Mannes gegen dessen Weiterbeschäftigung? Er geht ab, ob er den Personalchef vorher noch ausscheidet, ist nicht zu erkennen. Den Dank, Firma, begehr ich nicht.

Game over.

Wie kommen Menschen mit den immer schnelleren Veränderungen in der Arbeitswelt zurecht? Wie agieren Menschen in Systemen, die sie nicht mehr verstehen? Wie reagieren Menschen auf die Tatsache, dass man sie als nicht mehr brauchbar einschätzt? Wie fühlen Menschen, die heute noch Vollstrecker und morgen schon Aussortierter sind? Wie gehen Menschen mit Macht um?

Alle diese Fragen werden angerissen in Hübners Stück, logisch, dass sie nicht komplett beantwortet werden können. Aber er bereichert damit eine Diskussion über mindestens zwei Zukunftsthemen, nämlich der von Personalchefs gerne so genannten „Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer“ (welche inzwischen bei Mitte Vierzig beginnen) und ganz nebenbei auch zur Relevanz von virtuellen Werten in der Ökonomie. Die Gegenpole Sandor und Krusenstern (alle anderen Figuren sind nur Mittel zum Zweck) repräsentieren die alte und die neue Welt, wobei das Neue nicht unbedingt gut sein muss, nur weil es das Neue ist. Irgendeiner muss den Jungen auch erklären, dass ein Geldschein nicht größer wird, wenn man mit der bekannten I-Geste zwei Finger auf ihm spreizt.

Ich habe zahlreiche nachdenkliche Gesichter nach draußen gehen sehen, unter den meisten waren Krawatten befestigt. Der nächste Tag wird ein Montag sein, da wird Vielen Vieles bekannt vorkommen.

Nach „Frau Müller muss weg“, jener Cash-Cow des Staatsschauspiels, wo es sehr präzise um den vergleichsweise beschränkten Bereich der Schullaufbahnwahl der lieben Kleinen ging, dreht Lutz Hübner jetzt ein größeres Rad, ist dabei aber ebenso genau in den Beobachtungen und hellsichtig in den Prophezeiungen. Man sollte das Stück (auch) auf Aktionärsversammlungen spielen.

Last but not least wie immer die Schauspieler:

Julia Keiling und Annedore Bauer als Gäste standen in den großen Pumps von Ina Piontek und vor allem Christine Hoppe, die die Premiere bestritten hatten. Frau Hoppe (auf deren baldige Wiederkehr sicher neben mir sehr viele hoffen) hatte ihre Personaltrainerin weiter nach vorne in der Wahrnehmung gebracht, Frau Bauer spielte zurückhaltender. Letzteres hilft sicher der Konzentration auf die beiden Antipoden, auch wenn die Ella in ihrer Ahnung, dass auch sie bald zu den Krusensterns gehören wird, eine sehr interessante Figur ist.

Thomas Eisen ist sehr präzise besetzt, eine Rolle wie für ihn gemacht, der er ohne Abstriche gerecht wird.

Christian Clauß in seiner ersten größeren Arbeit (noch als Student begonnen) sehr sehr authentisch, mit jeder Faser das verwöhnte Jüngelchen, dessen Spielzeug immer größer wird, dem man wegen seines wachen Interesses und seiner Begeisterungsfähigkeit aber nicht wirklich böse sein kann.

Der Krusenstern ist eine Figur, bei der man vorsichtig sein muss: Zu viele können da aus eigenem Erleben mitreden. Philipp Lux nimmt sich der Aufgabe in äußerst sensibler Weise an, er zeigt keine Karikatur, keinen Revoluzzer, auch kein Opfer, sondern einen Menschen, der die Welt um sich herum nicht mehr versteht und deshalb zweifelt, ob er noch dazu gehört. Bravo.

Ich las mit Freude, dass das Stück auch in dieser Saison auf dem Spielplan stehen wird. Also noch viel Zeit, um meiner Empfehlung zu folgen: Unbedingt ansehen!

Die Metaphernschlacht im böhmischen Wald

„Die Räuber“, Friedrich Schiller, in der Regie von Sebastian Baumgarten gesehen am 20. April 2012 im Staatsschauspiel Dresden

Aus Schillers Frühwerk wird in der Regie von Sebastian Baumgarten ein Franz-zentriertes, mit zeitgeschichtlichen Metaphern vollgeladenes Schauspiel. In einer grandiosen Bühne kämpfen die ungleichen Brüder um ihre Rolle im Leben und die Gunst des zweifelnden Vaters. Durch die besondere Heraushebung von Franz und Amalia gewinnt Baumgarten einen eigenen Blick auf die Geschichte, der allerdings von einem Zuviel an Bezügen und Zitaten wieder verstellt wird.

Es ist eher eine Opernausstattung, finde ich, Bühne und Kostüme lassen die Herkunft des Inszenierungsteams erahnen. Was ja nicht schlecht sein muss.

Begonnen wird mit einer fulminanten Überraschung: Der sechsfache Hausknecht verwirrt anfangs, bereichert aber dank seiner / ihrer animalischen Beweglichkeit das Bühnenspiel ungemein. Erstes Bravo.

Man kommt recht schnell zur Sache mit Franzens Intrige. Der alte Graf von Moor will den Einflüsterungen seines Zweitgeborenen, den er immer verachtete und ihn das auch spüren ließ (die klassische schwere Kindheit) aber noch nicht recht lauschen, zumal ihm mit der vorlesenden Schwiegertochter in spe Amalia Angenehmeres winkt. Ob man diese nun unbedingt aus „Emmanuelle“ vortragen lassen muss, sei dahingestellt.

Der Graf wurde diesmal von Albrecht Goette vom Blatt gespielt, Dieter Mann war erkrankt. Aber es war dennoch zu sehen, dass die eingeschmolzene Rolle eines (hierfür überqualifizierten) Gaststars nicht bedurft hätte. Die Handlung trugen andere Figuren.

Noch winkt der „böse“ Franz nach seinen Ausbrüchen verlegen ins Publikum. Das soll sich bald ändern.

Szenenwechsel. In einer Leipziger Drill-Station (Warum eigentlich? Hier folgt doch die Ursache der Wirkung?) erhält der „gute“ Karl den verhängnisvollen Brief, der seine Terroristenkarriere begründet. So weit, so plausibel.

Franz umwirbt derweil mit den Mitteln des Schwanensee die treue Amalia, die aber standhaft bleibt. Deren Figur (Sonja Beißwenger voll gefordert in der anspruchsvollen Rolle) ist stark aufgewertet im Stück, sie verkörpert das Reine und Gute und ist damit in der Unterzahl.

Dennoch hat die Welt sich umgedreht, nur ist der erste Platz in Vaters Herzen derzeit nicht vergeben. Karl muss endgültig weg, das ist klar, und doch will Franz es nicht gern selbst getan haben. Der Plan muss nochmal in die Intrigenschmiede.

Franz als armer Tor? Im Spielplan verrutscht? Auch schön, Faust hatten wir lange nicht am Hause.

Gesucht wird nun ein Werkzeug, ein Pferd aus Troja, um des Vaters Herz zu stürmen. Der Zombie Hermann (muss ich wohl nochmal nachlesen) steht bereit. Zwar glaubt der Alte die Geschichte vom heldenhaften Ableben seines gefühlt einzigen Sohnes, mobbt Franz aber weiter. Und am Tode des armen Karl will er nicht schuld gewesen sein, erst recht nicht Franz, der nur mal kurz Hände waschen muss.

Nun hacken fünf Zwerge Holz im Takt zu Melodien aus Winnetou. (Ja, ich weiß, das Bild soll ein anderes sein, aber das hier ist ja mein Bild) Über den seltsamen Auftritt der Nonnen breiten wir den Mantel des Schweigens. Der Räuber, Brandschatzer und GEZ-Betrüger Karl von Moor wandelte sich wohl zwischenzeitlich zum Stülpner Karl oder allgemeinverständlich zum Robin Hood. Dann sind es sieben, die nach getaner Räuberarbeit friedlich das Abendessen einnehmen, kalorienarm und alkoholfrei. Nur ein Schneewittchen fehlt zum Idyll.

Der alte Mordbube Schufterle muss gehen, er passt nicht mehr zum gelifteten Markenauftritt. Allein, es ist zu spät, die Bande ist umzingelt. Karl ist fortan für die Durchhalteparolen zuständig, und da keiner der Genossen den Chef ausliefern will, kommt es bald zum großen Showdown. Aber erstmal ist Pause.

In der Vermutung, einen erholten Zuschauer vorzufinden, lässt Regisseur Baumgarten dann aus allen Rohren Metaphern in die Menge feuern.

Wir ertragen eine Grundsatzrede des Franz mit den üblichen Versatzstücken. Damit man es auch nicht falsch einordnet, gibt es Bilder von brennenden Büchern und Reichstagen dazu. Aha. Die lauwarme Symbolik des 33-45-89 ist ein erstes Buh wert.

Das zweite gibt es für das simple Bild mit Kampftrommeln und Runenschrift, das allein durch Lautstärke imponiert.

Irgendwann in der ersten Halbzeit wurde der Kapitän ausgewechselt, sprich Graf von Moor ging von uns. Ich gestehe, ich hab es nicht mitbekommen. Jedenfalls steigt jener wieder aus der Gruft und verleitet Amalia zu einer seltsamen Sprecharie. Der mit sauteuren Rosen auf der Szene erscheinenden Franz erhält von ihr mit ebenjenen eine ordentliche Tracht Prügel. Dann wird’s aber unappetitlich. Für alles zusammen Buh Nummer Drei.

Zurück im Wald, Karl ist den Häschern wie auch immer mit geringen Verlusten entronnen. Was den böhmischen Recken nicht glückte, gelingt dann aber einem Paterchen mit einer rührenden Geschichte, die Karl verdammt an die eigene erinnert. Spontan beschließt er, gen Franken, nach Hause zu ziehen.

Eh es untergeht: Das Bühnenbild ist eine wundersame Allzweckkonstruktion, die gefühlt ein Dutzend Szenenbilder ermöglicht. Bravo Zwo ist fast zuwenig des Lobes.

Jenes Bühnenbild muss dann auch irgendwie Afrika abbilden. Hm. Das wird schon alles seinen Sinn haben.

Die Wiederbegegnung mit Amalia findet teil-inkognito mit Karl als Großwildjäger statt. Dann gibt es noch eine angedeutete Titanic-Bug-Szene, ist ja grad Jahrestag. Ich ahne, das nimmt kein gutes Ende.

Zumindest für Spiegelberg, den Vize der Räuberkompanie, tritt dies schnell ein. Seine eigene Meuterei überlebt er nicht. Die Kameraden sind treu wie … ich kenn mich da nicht so aus.

Franz hat offenbar auch eine Farm in Afrika. Aber das bekommt ihm nicht, er wird vor Angst fast wahnsinnig und klärt vorsichtshalber seine Beziehung zur Religion. Richtig weiter bringt ihn das nicht, er bringt sich aus Angst vor dem Tode um. Offiziell heißt das „er richtete sich selbst“, in praxi versaut er erst seine Unterwäsche und haucht nachher recht unspektakulär sein Leben aus. Franz Moor hat seine Schuldigkeit getan, er kann vergehen.

In der Folge setzt ein Massensterben ein, das Geschehen wird unübersichtlich. Der Schweizer ist offenbar eher ein Samurai, Amalia leistet ihren Beitrag zum Thema „Sterbehilfe“, einige andere werden auch noch vermisst. Man weiß nicht recht, wer am Ende noch am Leben ist, aber zum Schlussapplaus sind alle wieder da.

Ist das zu albern? Mag sein, aber mit dem Ausflug nach Afrika ging mir die Ernsthaftigkeit flöten, tut mir leid.

Die unfreiwillige Krönung: Der fiese Räuber Namenlos wird zum Geburtshelfer und nimmt das Kindlein der sterbenden Amalia, nun ja, entgegen. Die angedeutete Entbindung der A. verdient den Peinlichkeitspreis 1. Klasse. Am Nabelschnürchen.

Der alte Moor vergeht nicht und lebet ewiglich, lernen wir in der Schlussszene. Sogar mit neuer Amalia. Aber nun kann uns nichts mehr erschüttern. Ende, der Applaus herzlich, aber nicht so üppig wie gewohnt.

Zu zwei Hauptdarstellern ist noch nichts gesagt worden: Matthias Reichwald hat den ihm gelassenen Raum meist genutzt, die Motive von Karl traten aber nicht so klar zutage, wie ich es mir gewünscht hätte. Das ist aber vor allem eine Frage der Regie.

Wolfgang Michalek war unbestritten der Star des Abends, der die Szenerie dominierte. Die Monologe waren grandios, im Spiel mit den anderen blieb er aber seltsam blass. Dennoch eine hervorragende Leistung.

Nein, es war nicht so, dass ich nur „böhmische Wälder“ verstand, wie Amalia so hübsch sagte. Es ist auch nicht so, dass mir das Stück gar nicht gefallen hätte. Ich hatte mir nur mehr versprochen.

„Die Räuber“ sind Allgemeingut am Theater, selbst ich hab schon drei Inszenierungen davon gesehen. Es ist sicher schwer, noch etwas Neues hineinzuinterpretieren. Aber willkürlich die Zeitgeschichte ins Stück zu pressen, reim dich oder ich fress dich, kann es auch nicht sein. Weniger wär hier mehr gewesen.

Übrigens, auch mal interessant: Vergleichende Rezensionsstudien.

Was sonst nur die Presseabteilung für die hauseigene Wandzeitung macht, hab ich für den Privatgebrauch getan (nein, ich hab nicht abgeschrieben oben, höchstens ganz wenig, und wenn überhaupt, dann nicht mit Absicht).

Erfreulicherweise wird unser Viertelprovinz-Theater immer öfter überregional wahrgenommen, und der Name Baumgarten ist stets für einen Skandal gut. Trotzdem gab es außer den drei üblichen Verdächtigen (SächsZ, DNN und nachtkritik.de) bis dato nur eine Besprechung in der Frankfurter Rundschau (wortgleich in der Berliner Zeitung) und eine in der Freien Presse aus Chemnitz, die ich fand.

Einig sind sich alle, ein opulentes Werk gesehen zu haben und finden Begriffe wie Schauspiel- bzw. Ton-, Musik- und Bildergemälde, Gesamtkunstwerk oder Deutschland-Installation. Allerdings werden auch Bezeichnungen wie inszenatorischer Budenzauber, Symbolwald oder Mammutabend verwendet, die das Unbehagen über ein Zuviel an Metaphern ausdrücken.

JedeR RezensentIn ergeht sich in Lobpreisungen von Wolfgang Michalek, hier soll nur die schönste wiederholt werden: „Er ist ein Böser, der in jedem Moment anders böse ist“. Wirklich unbestritten ist das ein Michalek-Abend, dem allerdings zu Gute kommt, dass das Stück von Regie und Dramaturgie konsequent auf Franz Moor ausgerichtet wurde.

Alle anderen Darsteller laufen mit einem respektvollem Abstand ein, auch der sonst hochgeschätzte Matthias Reichwald und Alt- und Gaststar Dieter Mann. Lediglich die FR sieht Sonja Beißwenger als Amalia auf Augenhöhe und erkennt Facetten, die den Kollegen offenbar verborgen blieben.

Das Gesamturteil der Rezensenten liegt dicht beisammen. Einig ist man sich, dass man immer noch einen Schiller sah (was nicht selbstverständlich sein soll), dessen Vorlage dramaturgisch geschickt in Richtung Franz gedreht wurde. Die aktuellen Bezüge waren nicht immer schlüssig, die Menge an Bezügen und Anspielungen drückte die Handlung teilweise beiseite. Gewisse Längen nach der Pause bemerkten drei der Schreiber, mit der Dauer von immerhin drei Stunden waren alle nicht recht glücklich.

Dennoch ging keiner unzufrieden nach Hause, man sah ein interessantes, diskussionswürdiges Stück und zum Teil erstklassige Schauspielerleistungen.

Tja, wenn man also genug Rezensionen nebeneinander legt und noch die eigene laienhafte Meinung hinzu nimmt, kriegt man fast ein objektives Bild, oder?

Egal, ob Objektivität oder qualifizierte Subjektivität: Ich empfehle hinzugehen und sich selbst ein Bild zu machen. Das nächste Mal .. siehe Spielplan. In diesem Theater.

Fröhlicher Nachruf auf das Käthchen von Dresden

„Das Käthchen von Heilbronn“, von Heinrich von Kleist, in der Regie von Julia Hölscher, gesehen am 5. Juni 2012 im Staatsschauspiel Dresden (letzte Vorstellung)

Warum schreibt man über letzte Vorstellungen? Weil man es vorher nicht gemacht hat. Weil es angebracht ist. Weil es gut war und das auch gesagt werden muss. Weil man sich bedanken will.

Theobald Friedeborn, Waffenschmied in Heilbronn, hat es nicht leicht im Leben. Erst stirbt die Frau, dann dreht die Tochter beim Anblick eines Ritters durch und stürzt sich aus dem Fenster. Kaum halbwegs genesen, läuft sie davon und fortan dem Grafen Wetter vom Strahl wie ein Hündchen hinterher. Das kann nur mit Zauberei zugehen. Der Kaiser soll es richten.

Eine nüchterne Szenerie bei Gericht, vor dem Vorhang. Der Kaiser hört den Theobald an, der vom Strahl, angeklagt als Mädchenverderber, ist peinlich berührt, kann nichts entgegenhalten und nichts erklären. Käthchen wird als Zeugin geladen, erkennt das Gericht aber nicht an, ihr hoher Herr ist der Graf. Also muss der das Verhör machen, was er auch hochnotpeinlich tut und trotzdem am Ende mit blütenweißem Hemde dasteht. Käthchen antwortet auf jede Frage in hilfloser Verwirrtheit, am Ende ist man so klug als wie zuvor. Also Freispruch aus Mangel an Beweisen, Theobald nimmt sein widerstrebendes Kind mit, aber nicht für lange, wie wir ahnen. Der Ärger fängt erst an.

Diese erste halbe Stunde ist übrigens ein schöner Beleg dafür, dass man ein Bühnenbild nicht immer braucht. Vier erstklassige Schauspieler reichen aus, dann entsteht das Bild von ganz allein im Kopfe.

Graf Wetter hat eigentlich andere Sorgen. Ihm gehört ein Ländchen, das einen unklaren Grundbucheintrag zu haben scheint. Zumindest bemüht sich Kunigunde von Thurneck nach Kräften, dieses zu erlangen und setzt hier entschlossen die Waffen der Frau ein (um sich mal auf dieses Niveau zu begeben). Zwei wackere Ritter hat sie schon im Kampf gegen den Grafen Wetter vom Strahl verschlissen, eh sie im Walde von ebenjenem dem enttäuschten Liebhaber Burggraf von Freiburg abgejagt wird. Es dauert eine Weile, ehe alle Beteiligten wissen, wer das Gegenüber ist, aber dann wird flugs das Kriegsbeil begraben. Kunigunde orientiert sich hurtig und erfolgreich um. Der kundige Zuschauer mag da an die Büchse der Pandora denken, die der Wetter da auf die heimische Burg schleppt, aber es ist zu spät. Er hat schon angebissen.

Käthchen erscheint wieder auf der Burg. Aber da ist ja schon das Fräulein Kunigunde. Der Graf jagt sie vors Tor, sie kampiert im Unterholz nahe der Burgmauern, bis ihr Vater erscheint und nach einem Befehl des Grafen Wetter an Käthchen sein Töchterlein wieder mitnimmt. Aber nun will sie ins Kloster, was ihm auch nicht die beste Lösung dünkt. Zurück darf sie jedenfalls auf des Grafen Geheiß nicht mehr. Für einen solch bedingungslosen Gehorsam sorgen sonst nur Religion, Ideologie oder diverse Substanzen. Aber dabei ist der Aufwand deutlich größer. Ach, die Lie-hi-hiebe …

Der Rheingraf vom Stein tritt auf, noch ein Bekloppter mehr im Rund. Auch er ein abgelegter Verehrer, auch er voller Rachegelüste. „Töten, töten!“ So richtig glaubt er seinem Rufen auch nicht, aber die Regeln sind nun mal so. Die Ritter sind bitter, wenn die Ehre nicht stimmt. Also rüstet er zum Überfall auf Schloss Thurneck, wo die frisch Verlobten inzwischen angekommen sind. Dort schweben diese auf einer rosa Wolke, bis nun wieder Käthchen Überall auftaucht und einen Brief präsentiert, den sie (Achtung, Kleistscher Kunstgriff) in dem ihr zugedachten Kloster erbeutet hat und der den feigen Anschlag ankündigt. Eh der Graf sie ernst nimmt (eigentlich tut das nur der Knappe Gottschalk), brennt die halbe Burg. Der Rheingraf ist angekommen und erklärt beiläufig, dass jetzt Krieg wäre.

Und nun die Schlüsselszene, oder zumindest eine davon. Kunigunde beklagt tränenreich den Verlust eines Bildes, das der Graf ihr verehrte, Käthchen Immerbereit stürzt sich ins Feuer und rettet dieses auf wundersame Weise. Doch sie erntet Undank: Nicht das Bild entbehrte Kunigunde, sondern das schlichte Futteral. Graf Wetter zweifelt erstmals an den sozialen Kompetenzen seiner Braut.

Zwischenzeitlich ist der Angriff abgewehrt, und in den Trümmern des Schlosses findet sich doch tatsächlich besagtes Futteral. Gottschalk entdeckt darin die Schenkungsurkunde fürs Ländle an Fräulein Kunigunde, ein Verlobungsgeschenk des Grafen. Aha! Da liegt der Hund begraben! Das ist des Pudels Kern! Wir erkennen zum einen Kunigundes praktischen Sinn und zum anderen, dass in diesem Falle Licht und Rauch eine tolle Szene perfektionieren. Das Publikum wird einigermaßen erschöpft in die Pause entlassen.

Erwähnte ich schon, dass ich der letzten Aufführung beiwohnte? Das Käthchen lief fünfundzwanzigmal, nun ist Schluss. Eigentlich schade, aber … Na ja, dazu später. Die zweite Hälfte beginnt metaphysisch. Graf Wetter weiß nicht recht, was ihm geschieht und vor allem nicht warum. Käthchen schläft rührend süß auf der Wiese, doch bevor der Graf auf dumme Gedanken kommen kann, spricht sie im Traum mit ihm. Ergebnis des angeregten Disputs: Irgendwie müssen sie beide parallel denselben Traum gehabt haben, sind sich gegenseitig erschienen, sie dabei von kaiserlichem Blute. Geht denn das? Alles ein bisschen viel für ihn. Käthchen des Kaisers Tochter? Und nu?

Aber Friedrich Wetter, Graf vom Strahl, stellt sich fortan aktiv seinem Schicksal. Auch dies eine Schlüsselszene, es offenbaren sich die Parallelwelten. Der Knappe Gottschalk (sehr ironisch Christian Friedel) hat das Talent, mit einem Satz die weihevolle Stimmung platzen zu lassen. Dann entdeckt Käthchen auch noch zufällig das eher nicht so süße Geheimnis von Kunigunde, deren Schönheitsoperationen wohl nicht immer ganz nebenwirkungsfrei waren. Diese schwört Rache, die natürlich ihre Zofe ausführen muss. Allein dazu kommt es nicht mehr. (Ohne ihre Gottschalks und Rosalies wären die hohen Herren übrigens ziemlich aufgeschmissen, aber das nur am Rande.)

Der Kaiser (wie lästig ihm das alles ist, zeigt überzeugend Ahmad Mesgarha) ist not amused über die Andichtung einer Vaterschaft, das greift ja auch in Erbregelungen ein. Theobald als angeblich Gehörnter soll es richten und muss als Duellant ran, in seinem Alter. Ein Gottesurteil soll es werden. Und wird es auch. Graf Wetter (Wolfgang Michalek sehr glaubhaft in der Wandlung vom Irritierten zum Liebenden) zwingt den armen Ex-Vater nur durch seinen Blick in die Knie. Damit wäre auch das geklärt.

Nun steht eine Hochzeit vor der Tür. Der Bräutigam steht fest, die Braut eigentlich auch, aber … Das Schicksal dreht sich. Ein leutseliger Kaiser erinnert sich eines Festes vor knapp 17 Jahren in ebenjenem Heilbronn und an die amouröse Begegnung mit einer Gertrud. Nun muss Theobald wieder leiden, denn Gertrud hieß seine Verblichene. Deren Tochter wird spontan mit dem Titel „Katharina von Schwaben“ versehen, schon mal nicht schlecht für den Anfang. Dann wird sie noch dem Grafen als Braut zugeführt, nun ist es ja auch standesgemäß. Theobald (authentisch in seiner Verzweiflung Torsten Ranft) wird mit lebenslang Kost und Logis abgefunden, immerhin, eine Belohnung für die Aufzucht des Kuckuckskindes.

Nun wird ordentlich geknutscht und Liebe gestanden, dann auch geheiratet. Es zieht sich jetzt ein wenig. Kunigunde (gewohnt zickig Rosa Enskat) ist bei der Feierei übrig und sehr allein, selbst ihre Rosalie walzert mit. Ein wunderschönes Käthchen (Annika Schilling in einer Rolle, die Kleist für sie geschrieben haben könnte, anrührend und begeisternd) sitzt am Ende an der Bühnenkante und kann ihr Glück kaum fassen.

Vorhang. Riesengroßer Applaus.

Eigentlich ist die Geschichte ja hanebüchener Unsinn (auch Goethe war da übrigens meiner Meinung). Da wird ein Mädchen allein vom Anblick eines Ritters willenlos. Da fliegt ein Todkranker durch die Silvesternacht, da holt ein junges Ding barfuss ein Bildchen aus einem brennenden Haus. Alles macht der Cherub. Und dann entpuppt sich die Prinzessin Kunigunde noch als eine Art Homunkulus. Ziemlich starker Tobak. Wie zu lesen ist, war auch Kleist der Meinung, dass da noch ein wenig Feinschliff nötig wäre. Aber die Zeit hatte er ja nicht mehr. Trotzdem – oder gerade deshalb – eine wunderbare Spielwiese für die Inszenatoren.

Und die haben sie weidlich genutzt. Es war eine sehr unterhaltsame Aufführung, ohne in Klamotte abzurutschen, wie in letzter Zeit einige Male vorgekommen. Die „25.“ hätte für mich nicht der Schluss sein müssen, auch die Begeisterung des zugegebenermaßen nur halbvollen Saals am Ende gibt mir Recht.

Aber alles hat natürlich ein Ende, und schafft dann Platz für Neues. Also wünsche ich mir für die Zukunft ähnliche Inszenierungen, von Julia Hölscher und mit Annika Schilling, Wolfgang Michalek, Torsten Ranft und all den anderen. Aber erstmal „danke“ bis hierhin.