Spazieren mit dem Amt
Zugegeben, auf diese Idee kommt man nicht unbedingt von selbst. Doch eben weil der Bürger kaum zum Amte kommt, geht jenes für Stadtplanung jetzt mit ihm spazieren.
In dreizehn Stadtspaziergängen will das Stadtplanungsamt (bitte auf dem mittigen „a“ betonen, wenn man dazugehören will) den Stand der Fortschreibung des integrierten Stadtentwicklungskonzeptes dem geneigten Bürger nahebringen und dessen Beteiligung induzieren. Auch kann man sich online beteiligen, alles Wissenswerte hier:
Der Spaziergang Nr. 6 hieß heute (25.09.12) „Albertstadt – Stadtleben zwischen Neustadt und Dresdner Heide“, unterüberschrieben war das Ganze mit:
„Wohnen und Leben am nördlichen Innenstadtrand. Auf ehemaligen Brachflächen wohnen Dresdnerinnen und Dresdner in neuen Wohn- und Eigentumsformen.“
Und ich war dabei.
Nicht ganz logisch begann der Spaziergang bei St. Pauli. Zwar zählt der Hecht nicht zur Albertstadt, aber dort, in der Kiefernstraße, gibt es sehenswerte Beispiele der Re-Urbanisierung.
Zwei Dutzend Teilnehmer jeden Alters, ein breites Spektrum, Mann trägt Tuch, um seine Individualität zu betonen und wirkt damit etwas uniformiert (ok, ich auch). Zwei Herren der Stadt bzw. eines Planungsbüros bringen uns kompetent Anliegen und Inhalt des Spaziergangs nahe, vorab schonmal danke für den gelungenen Marsch.
Eingangs wird einiges zum Ziel der Stadtplanung für 01099/97 berichtet. Die Bindung der (bisher stark flukturierenden) Einwohner an ihr Viertel soll durch die Schaffung entsprechender familientauglicher Infrastrukturen erhöht werden, wobei man beim Markt hier offene Türen einrenne. JedeR will in die Neustadt, am liebsten mit Kleinkindern.
Mein schüchterner Einwand, dass das zur Verdrängung der nicht so zahlungskräftigen Klientel aus derem Soziotop führe, wird u.a. mit dem unschönen Wort „Auffüllmasse“ für Problemstadtteile beantwortet. Also auf nach Löbtau, Friedrichstadt, Kackpieschen, ihr Minderbemittelten dieser Stadt. Aber was hilft das Quengeln, es kommt ja doch so.
In der Kiefernstraße sind recht hübsche Ein- und Mehrfamilienhäuschen zu sehen, wo früher Brachen waren. Das wirkt gut und wird angenommen. Einziges Problem: Die hoffnungslos veraltete Sächsische Bauordnung, die einen Stellplatz pro Wohnung fordert, was zu den hässlichen Inhouse-Garagen führt und alternative Konzepte behindert.
Die Neustadt hat eine PKW-Dichte von unter 300 pro 1.000 Einwohner, halb so hoch wie der Dresdner Durchschnitt. Diesen Vernunftsvorsprung (und Einkommensrückstand) kann man aber leider nicht nutzen, Ausnahmen sind nicht vorgesehen. Auch hier also eine große Baustelle.
Noch was Interessantes: Unser Viertel hat mit 14.000 Einwohnern pro Quadratkilometern die mit Abstand höchste Siedlungsdichte, mehr noch als Prohlis.
Nächste Station Tannenstraße, Volvo-Ghetto. Hier ist man „dabei, aber nicht mittendrin“ in der Neustadt, ideal also für Teilzeithippies etc.. Nach dem ersten Höhensprung des Elbtals erhebt sich eine kleine feine Siedlung, die entfernt daran erinnert, dass hier mal eine große Kaserne stand.
Schon wieder interessant: Der Alaunpark war früher eine Steinwüste und der Exerzierplatz der Albertkasernen. Erst in der DDR (vgl. „Es war nicht alles schlecht“) wurde er begrünt. Den Namen „-park“ gibt es übrigens offiziell (noch) gar nicht, eigentlich ist das alles „-platz“.
Die Erweiterung des Alaun-, äh, Platzes nach Westen ist theoretisch nunmehr beschlossen, der Freistaat scheint einverstanden und es gibt einen entsprechenden Stadtratsbeschluss. Nix also mit Feuer- oder Polizeiwache.
Aber … finanziert ist das Ganze noch nicht. Da bin ich ja mal gespannt.
Die Attraktivität nicht nur dieser Wohnanlage (auch des nächsten Bauabschnittes) steht und fällt natürlich mit dem, was so schön „Wohnfolgeeinrichtungen“ genannt wird, also vor allem Kindereinrichtungen und Schulen. Dazu ist schon hinreichend geschrieben worden, die Versäumnisse der letzten Jahre sind kaum aufholbar, die LH Dresden ist finanziell überfordert und der Freistaat Sachsen begreift das nur langsam. Das wird noch spannend.
Und parallel stellt sich noch die Frage, wer denn die Kinderlein erziehen und lehren soll … Manchmal wünscht man sich die Planwirtschaft zurück.
Schlusswort am zweiten Ort: Die Neustadt ist der heißeste Stadtteil mit der schlechtesten Luft. Ersteres kann ich bestätigen.
Dann marschieren wir in Richtung MHM. Dort wird allerdings eine Vereiterung gefeiert. Das erscheint mir seltsam, ich kenn mich aber bei den Bräuchen der Olivgrünen auch nicht so aus.
Wir weichen zum sowjetischen Ehrenmal aus, das bekommt damit endlich mal wieder zahlreichen Besuch.
Etwas Geschichte: Der Militärkomplex „Albertstadt“ wurde aus den Reparationszahlungen der Franzosen 1871 errichtet, er war bis 1918 autonom (dem Kriegsministerium unterstellt) und kein Bestandteil von Dresden. Die Grenze verlief an der Tannenstraße. In Mobilisierungszeiten fasste er 40.000 Soldaten. Soviel übrigens auch zum Thema „unschuldige Kunst- und Kulturstadt“.
Heute ist bereits – dank der Offiziershochschule des Heeres, die die modernste Schwimmhalle Dresdens hat, was einem zwar nichts nützt, aber doch stolz macht – das Gelände teilsaniert, in einige Kasernen sind Wohnungen eingezogen, Brachen sollen mit EFH und Reihenhäusern besetzt werden. Das wird sicher noch ein paar Jährchen dauern, ebenso wie der S-Bahn-Haltepunkt „Albertstadt“, den die Stadt in Höhe der Staufenbergallee gerne hätte.
Fazit: Interessante zwei Stunden, gelungene Veranstaltung, wenn auch vieles unverbindlich blieb, bleiben musste. Bis zum 9. Oktober gibt es noch sieben weitere Spaziergänge in allen Stadtteilen.