Kategorie: Verwaltung
Was man über die DDR wissen muss
Christoph Hein, „Das Narrenschiff“, Roman, 2024

Achtzig Jahre ist Christoph Hein nun, doppelt so alt wie die DDR, so einer weiß, wovon er schreibt, wenn er von „zu DDR-Zeiten“ berichtet.
Um die DDR, vor allem ihr Machtgefüge, zu verstehen, muss man aber noch weiter zurückschauen, in die 1930er Jahre, nach Moskau. Dort sammelte sich ein Teil der Leute, die Nazideutschland verlassen mussten, meist KPD-Parteigänger, während es die SPD-ler und die Intellektuellen eher nach Westen zog. Schon 1937, nach der ersten großen Stalinschen Säuberungswelle, wurde ihre Zahl deutlich geringer.
Die Überlebenden hatten ihre Lebenslektion gelernt: Die Partei bzw. Väterchen Josef Wissarionowitsch hat immer recht, Zweifel ist Verrat und wer nicht mitbekommt, wenn der Wind sich dreht, den sucht Genosse Mauser auf. Die Machtbasis der späteren DDR-Führung war schlicht Angst.
Dies erfährt man präzise und nachvollziehbar im ersten Teil des Romans, das ist hochspannend und lehrreich, entsetzlich und verstörend, niederschmetternd. Wenn man wissen will, wie es war: Hier erfährt man es. Kein Highlight der DDR wird ausgelassen, auch die zahlreichen Tiefpunkte werden geschildert, so plastisch, dass man versteht, warum es so kam, kommen musste.
Bis zum Honecker-Putsch bleibt die Erzählung detail- und faktenreich, danach erhöht sich merklich das Tempo, das tut der Verständlichkeit nicht gut. Erst zum Ende hin (des Buches und der DDR) kann man wieder besser folgen, und die Beschreibung des Nachwendejahres gehört zum Besten, was ich je darüber gelesen habe, auch sprachlich.
Leider gilt das für große Teile des Buches mitnichten. Im Gegenteil, es ist enttäuschend, wie hölzern die Dialoge angelegt sind, wie spärlich die Beschreibungen, wie wenig inspiriert die Szenen. Der Plot ist großartig, aber die Erzählung ist meist ärmlich.
Aber ein Lichtblick: Ich glaube, am Theater würde dieser Text gut funktionieren.
Der ganze Text:
https://www.kultura-extra.de/literatur/rezensionen/buchkritik_ChristophHein_DasNarrenschiff.php
Die Stadt braucht mehr Beton
Der Elite unseres kommunalen Demokratietheaters sei Dank: Wir haben Beschluss, wir sind Brücke. Der vierspurige Holger vom Team Krawallo und seinen Brüdern und Schwestern im Geiste vom Stamme der betonummantelten Rechtsfossilien ist es tatsächlich gelungen, der weltgrößten und bedeutendsten Landeshauptstadt von ganz Sachsen an einem Nachmittag den mittelfristigen Haushalt zu crashen als auch der Stadtgesellschaft für die nächsten zehn Jahre ein Diskussionsthema zu besorgen, das alles hat, was eine Provinzposse so braucht.
Vielleicht war ja Letzteres das Entscheidende: Im Wissen darum, daß der gewählte Weg in einer juristischen Extraschleife landen wird, baut man schon am Wahlkampfschlager für das Superduperwahljahr 2029, wo man dann dem kleinen Mann auf der Umgehungsstraße und der alleinerziehenden Seniorin mit Mindestrente sowie allen jungen Familien auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum und Verwahrmöglichkeiten für die 2,3 Durchschnittsplagen erklären kann, daß nur eine breitestmögliche Carolabrücke all ihre Probleme lösen kann. Denn spätestens wenn es vier Entwürfe für das neue stadtbildprägende Monstrum gibt und einer davon zum Bau auserwählt wird, darf man getrost davon ausgehen, daß die üblichen Verdächtigen auf der guten Seite der Macht (die „Träger öffentlicher Belange“, kurz TÖB) gerichtlich überprüfen werden lassen wollen, ob der Begriff „Ersatzneubau“ nicht doch etwas überdehnt wurde angesichts Breite und Überdimensioniertheit des Bauwerks. Es sei denn, die Merzsche Kettensäge hat bis dahin das Verbandsklagerecht geschreddert, auszuschließen ist das nicht, wo es doch um Wachstum geht.
Gewachsen sein dürfte auch eine Erkenntnis in der hiesigen Wissenschaftsszene: Melde dich nur zu Wort, wenn du gefragt wirst, und äußere dich dann gefälligst nur im Sinne der gefühlten Mehrheit, sonst bist du ganz schnell eine „sogenannte Expertin“ und selbsternannt sowieso. Gute Aussichten für den Wissenschaftsstandort Dresden, aber scheiß auf Exzellenz, Prognosen sind sowieso Ideologie und was gut für Dresden ist, liegt per Definition im Bauchgefühl des Volkskörpers, und wer wüsste besser als die CDU, was dort im Dickdarm so abgeht?
IHK, Handwerkskammer und andere Lobbyisten sind dagegen sakrosankt, die sorgen schließlich dafür, daß es in Dresden brummt, wenn auch derzeit unter nahezu unmenschlichen Bedingungen im täglichen 15 min – Stau auf den Hauptachsen. Was in Dresden „Verkehrschaos“ heißt, wird in wirklichen Großstädten übrigens Berufsverkehr genannt, aber in ihrer Selbstbezogenheit und Larmoyanz lässt sich diese Stadt von niemanden übertreffen. Soll man es „Eierschecken-Blues“ nennen? Dresden hat es ganz ganz schwer, nur merkt das außerhalb des Elbtals niemand, wie gemein.
Nun werden wir also viel Geld, sehr viel Geld an vier Ingenieurbüros zahlen, die dann jeweils eine Lösung für ein nicht existierendes Problem erarbeiten. Das gibt zumindest der planenden Zunft Lohn und Brot und ist deshalb nicht grundsätzlich abzulehnen – aber mit dem Wissen, de facto für die Papiertonne zu arbeiten, motiviert man sicher keine Ingenieurin zu Höchstleistungen. Vielleicht gibt es auch beim vorgeschalteten Vergabeverfahren Rügen und Einsprüche, dann hätten wir schonmal eine Strafrunde über die Vergabekammer geschossen. Warum unbedingt vier, lässt sich leider weder religiös noch metaphorisch begründen. Phantastisch ist daran nichts, und die Drei wäre naheliegender gewesen, wenn man der Dreifaltigkeit und Monty Python glauben mag, und auch die Sieben hätte Charme – Zwerge, Schwaben und Geißlein fallen mir da ein.
Persönlich freu ich mich auf die nächsten Jahre. Holger „Generalexperte“ Zastrow wird seiner Klientel erklären, daß die Schwimmhalle in Klotzsche deswegen nicht gebaut werden könne, weil ein übergriffiger Staat der Carolabrücke Rad- und Fußwege vorschreiben würde, die schon deswegen überflüssig seien, weil er da nur motorisiert drüberfahren würde. Die CDU wird dann ihren regionalen Eischnee drüber kippen und auf die Sozen schimpfen, die dem Fortschritt im Wege stünden. Die Rechtsextremen werden fordern, daß die neue Brücke nur für richtige Deutsche freigegeben werden solle, weil sich die Auslenda nur Dank ihrer genetisch bedingten Kriminalität ein Auto leisten könnten. Das BSW wird darauf bestehen, daß zur Eröffnung Frank Schöbel singt. Viel Gelegenheit also, die ganzen Provinzpossenreißer zu verspotten.
Im Übrigen glaube ich fest daran, daß am Ende eine wirklich schöne und bedarfsgerechte Brücke entstehen wird – ob ich es selbst erlebe, da bin ich allerdings skeptisch.
Wiedergutmachungstheater
Ein Stück über institutionellen Rassismus:
„Ausgehend von Recherchen und Interviews mit Betroffenen und Opfern rechter Gewalt untersucht sie (die Autorin), wie staatliche Behörden und Instanzen bei der Ermittlung gegen rassistisch motivierte Verbrechen versagen.“ (Quelle: staatsschauspiel-dresden.de)
Darf man das überhaupt schlecht finden? Ja. In diesem Falle: Man muss.
Das Publikum wird hier mit der Keule des Mitgefühls in Geiselhaft genommen, um sich anderthalb Stunden eine unausgegorene Anklage gegen den Staat und wen-auch-immer anzuschauen. Gut Gemeintes ist selten gut, was leider hier erneut bewiesen wurde. Schade.
https://www.kultura-extra.de/theater/auffuehrungen/UA_AyseGuevendiren_YouCameYouSaw.php
Eine unterirdische Idee – die Dresdner CDU will tunneln
Wahlkampfzeiten sind dankbare Zeiten für Spötter und Klugscheißerinnen. Zu offensichtlich sind die Stilblüten, als daß man der Versuchung widerstehen könnte. Diesmal soll aber nicht der verhinderte Deutschpauker in mir zum Zuge kommen, es geht um andere Dinge.
Bei jeder Wahl geht es ja auch darum, die MLPD in puncto Dümmlichkeit auf den Wahlplakaten zu überbieten. Auch dieses Mal gab es einige hoffnungsvolle Versuche, aber die Genossen haben die Angriffe souverän mit „Arbeiter in die Offensive“ abgewehrt. Chapeau! Aber dies nur nebenher, es soll hier nicht um die Weltrevolution gehen, sondern um profanere Dinge.
Wie im Bilde zum Text zu besichtigen ist, möchte die CDU Dresden-Neustadt in Person von Johannes Schwenk den Neustädter Markt mit einem Autotunnel bereichern und damit eine „Flaniermeile zwischen Albertplatz und Altstadt“ schaffen. Neustädter Markt, das ist dort, wo ein scheinbar goldenes Pferd samt pummeligen Reiter der barocken Langeweile den Rücken zuwendet, um durch eine platanengesäumte Hauptstraße seiner Befreiung entgegen zu galoppieren (meine Interpretation). Oftmals muss es dabei durch Würstchen- und Nippesstände hindurch, die dann „Fest“ genannt werden, in Verbindung mit Jahreszeiten oder was der Marketing-Kalender sonst so hergibt. An Weihnachten (wie es anderswo heißt, was die Weltläufigkeit des Verfassers belegt) gibt es die Festivität gar unter Leitung eines stadtbekannten Gastwirts und Grünenfressers, der neuerdings seinen Namen zum Programm gemacht hat, übrigens genau wie eine Dame mit stählernem Antlitz, die er aber vermutlich gar nicht leiden kann. Aber was weiß ich schon von der Kollegialität unter Populisten (Frauen sind mitgemeint).
Ich schweife ab. Hier soll es doch um die mit Verlaub unterirdische Idee gehen, im Zuge der Großen Meißner Straße einen großen Dresdner Tunnel zu graben. Hatte man vor Wochen auf einschlägigen Plakaten noch schamhaft gefragt, ob dies wohl sinnvoll wäre, sind nun alle Hemmungen gefallen, der Spruch ist mit einem Ausrufezeichen versehen.
Ich gehe davon aus, daß der (mir) unbekannte Kandidat Schwenk die finanzielle Situation der weltgrößten Landeshauptstadt von ganz Sachsen einigermaßen überblickt. Vielleicht ist ihm sogar bewusst, daß sogar für den Neubau der Nossener Brücke noch zahlreiche Scheinchen zusammengekratzt werden müssen, ehe es zum großen Werke kommen kann, was nicht unwesentlich daran liegt, daß ein früher in Dresden tätiger Kassenwart nunmehr konservativ (also bewahrend) auf den freistaatlichen Töpfen sitzt. Auch einige andere Infrastrukturprojekte der Kommune, denen Dringlichkeit zugesprochen werden muss, sind „finanziell nicht untersetzt“, wie es in diesen Kreisen heißt, bei Bedarf könnte ich eine Liste senden.
Aber das Praktische an einer solchen Forderung, mal eben 100 Millionen plus x im HQ50-Gebiet der Elbe zu vergraben (könnte ich erklären, aber es soll hier niemand überfordert werden), ist ja, daß man nie in die Verlegenheit kommen wird, diese ernsthaft diskutieren zu müssen, sie gleichwohl irgendwie als innovativ hängenbleibt, solange man nicht drüber nachdenkt. Es ist ein bißchen so wie ein schöner großer Wahlkampfballon voller heißer Luft, der ganz schnell aufsteigt in schwindelerregende Höhen, dann außer Sicht gerät und abgekühlt auf irgendeinem Rieselfeld weit vor der Stadt landet. Aber dann hat die hiesige CDU sicher schon einige andere Säue über die Augustusbrücke getrieben.
Nochmal im Klartext: Die Stadt hat für solchen Schmarrn auf Jahrzehnte hinaus kein Geld, und der Freistaat auch nicht. Der Bund nicht, die EU nicht, und wenn es die Weltregierung wirklich gibt, hätte die dafür auch nichts übrig. Oder was soll Dresden dafür besser liegenlassen? Blaues Wunder verschrotten, BUGA absagen, ESMC-Erschließung sein lassen, Tunnel am Wiener Platz sperren (weil nicht mehr sanierbar), Ullersdorfer Platz canceln, Schulen und Kita verrotten lassen, Königsbrücker Straße und Stauffenbergallee unter Denkmalschutz stellen? Ideen sind willkommen.
Mal abgesehen davon, daß es also „schwierig“ wird, das Geld dafür zu besorgen, ist die Idee als solche aber auch krude. Die Piktogramme auf dem Bild sind zwar ganz hübsch, aber entsprechen nur links der Wahrheit. Das erste illustriert tatsächlich zutreffend die Maxime der Verkehrsplaner des vorigen Jahrhunderts (das in Dresden nachvollziehbarerweise noch bis 2016 andauerte) „der Fußgänger gehört unter die Erde“, unabhängig übrigens von der Weltanschauung. Was mittig den Ist-Zustand beschreiben soll, vernachlässigt den Umstand, daß durch die revolutionäre Erfindung der LSA (Lichtsignalanlage, vulgo „Ampel“) der Verkehrsraum zumindest auf der Zeitachse unterschiedlich zugeordnet werden kann.
Das Problem, was hier beschworen wird, ist schlicht keines. Im Gegenteil, mit dem Umbau der Kreuzung und der Sperrung der Augustusbrücke für den privaten Autoverkehr sind dort Verhältnisse zu verzeichnen, von denen in anderen Stadtteilen geträumt wird. OK, es fehlen längs der Großen Meißner noch ordentliche Radwege, aber das sind vergleichsweise Luxusprobleme.
Dreist ist allerdings die Darstellung rechts. Gerne wüsste ich, was mit der Straßenbahn passiert, wie künftig die Andienung des Hotels und der Museen erfolgt und wo die Ver- und Entsorger sowie die Rettungsdienste fahren sollen. Das ganze ist eine große Mogelpackung, denn eine oberirdische Verkehrsführung wird immer notwendig sein, wenn auch nur noch mit einer Spur je Richtung. Aber das kann man deutlich billiger haben.
Die für einen Tunnel erforderlichen Rampen werden mitten im Carolaplatz und am Palaisplatz beginnen müssen, damit ist die generelle Umgestaltung dieser Örtlichkeiten verbunden. Von mir aus kann man ja gerne ein Stückchen vom Palast des Ministerpräsidenten abschneiden, aber beim Japanischen Palais bin ich hartleibig, dort findet schließlich neuerdings das Sommertheater des Staatsschauspiels statt (wenn auch leider sonst nicht viel). Ohne das weiter zu vertiefen, aber die Idee ist derart unsinnig, daß man sich fragt, in welcher Wissenschaft Herr Schwenke denn mitarbeitet (mehr als „wiss. MA“ gibt die Vorstellung auf der website des CDU-Ortsvereins nicht her). Vermutlich wird er Wasser- und Kofferträger eines Landtagsabgeordneten sein, aber ich bin zu faul zum Recherchieren, und so wichtig ist er nun auch nicht.
Lassen wir es mit einem Lehrsatz beenden: Wenn du selbst keine konkreten und sinnvollen Ideen hast, denk dir was aus, was schön klingt, aber nie in die Nähe einer Realisierung kommt. Dann gehst du erstmal als Visionär durch und musst nie ernsthaft darüber diskutieren. Und zur nächsten Wahl mach dann einen Schwenk, es bieten sich die Flugtaxis an.
Käse von Frau Antje
„Warst Du nicht fett und rosig? Warst Du nicht glücklich? Bis auf die Beschwerlichkeiten, mit den anderen Kindern streiten, mit Papa und Mama … Wo fing es an und wann? Was hat Dich irritiert? Was hat Dich bloss so ruiniert?“ (Die Sterne, „Was hat Dich bloss so ruiniert?“)
Es ist hier nicht der Ort, über die körperliche Beschaffenheit von Antje Hermenau zu diskutieren. Das geht außer Ihr niemanden etwas an und trägt auch nicht zur Wahrheitsfindung bei. Daß aber etwas Relevantes geschehen sein müsse, damit Frau Antje sich heute so äußert wie sie es tut, das kann man schon vermuten und deshalb den guten alten Gassenhauer vorweg zitieren.
Frau Hermenau war lange die wichtigste Person der Grünen in Sachsen, nach zehn Jahren im Bundestag führte sie die grüne Fraktion im sächsischen Landtag als Sprecherin durch zwei Legislaturperioden, um dann Ende 2014 – obwohl wieder als Spitzenkandidatin in den Landtag gewählt – auf ihr Mandat zu verzichten, als die Partei ihren schwarzgrünen Bemühungen nicht folgen wollte. Heute ist sie Politik- und Unternehmensberaterin und seit einiger Zeit für die Freien Wähler Sachsen als Geschäftsführerin tätig.
Letzteres ist wohl eher Wirkung als Ursache des Sinneswandels, den sie in ihrem Buch „Ansichten aus der Mitte Europas. Wie Sachsen die Welt sehen“ dokumentiert. Erscheinen wird das Werk am 14. März 2019 in der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig, einer honorigen Institution, die sich nach ihrer Selbstdarstellung „die Pflege der evangelischen bzw. protestantischen Theologie und Tradition und die Offenheit für Fragen des Zeitgeschehens sowie aktuelle Entwicklungen in Gemeinde und Kirche“ auf die Fahne geschrieben hat.
Vielleicht ist es auch dem Einfluss des Verlags zu verdanken, daß die Leipziger Volkszeitung mit den Dresdner Neuesten Nachrichten im Schlepptau aus dem Erscheinen des Buches ein veritables Ereignis machen wollte und ihrer Leserschaft von Donnerstag bis Sonnabend drei Vorabdrucke aus dem Buch präsentierte, eingeleitet von einem zweidrittelseitengroßen Interview mit Frau Hermenau am ersten Tage. Die Zeitungen werden sich das überlegt haben, und ein kleines Skandälchen schadet nicht, grad kurz vor der Leipziger Buchmesse ist man dafür dankbar. Und, nicht zu verachten: So kommt auch meine Wenigkeit in den Genuss der Hermenauschen Betrachtungen, für die ich sonst sicher nicht die zehn Euro angelegt hätte, die das Büchlein kosten wird.
Und dies wiederum gibt mir Gelegenheit, darüber ein wenig zu reflektieren und endlich zum Thema zu kommen.
„Wer offene Grenzen will, schafft den Sozialstaat ab“ ist das Interview überschrieben. Dieser Satz steht sinngemäß auch im Buch und im Gespräch erläutert Frau Hermenau, daß es Menschen gäbe, „die sagen, sie wollen offene Grenzen für alle“. So richtig klar wird dabei nicht, wen sie meint, und genauso, wie es Menschen gibt, die um Sachsen herum eine Mauer bauen wollen, gibt es sicher auch jene, für die Grenzen prinzipiell unnatürlich sind. Die Frage ist halt, wieviel Einfluss diese Gruppen haben und welche Reichweite. Aber wenn man sich einen solchen Popanz aufbläst, kann man natürlich dann wacker drauf eindreschen und dabei die Stimme der Vernunft geben. Es wirkt halt nur ein bißchen billig.
Überhaupt beschränkt sich Frau Hermenau eher auf die preiswerten Teile der Volkswirtschaftslehre, in dem sie Monokausalitäten zwischen Rentenniveau und Zuwanderung herstellt oder darauf verweist, mit den „100 Milliarden Integrationskosten … heute leistungsstarkes Internet bis zu jeder Milchkanne durch finanziert“ gehabt zu haben. Ramsauer, Dobrindt und Scheuer werden dankbar sein, daß ihre mangelnde Performance in dieser Sache auf einmal finanzielle Gründe hat. Ähnlich übersichtlich sind ihre anderen Wirtschaftsweisheiten, der Mythos vom faulen Ausländer wird bemüht, es wird beklagt, daß „doch wirklich wenige Flüchtlinge in hoch qualifizierten Jobs“ sind (was man denen nun wirklich mal trotz jahrelang unterbrochener Ausbildung und eines Neuanfangs in fremder Sprache und Kultur ordentlich um die Ohren hauen sollte, nur keine falsche Scham) und auf die Frage, ob sie nicht zu schablonenhaft argumentiere, hält sie entgegen: „Nein, denn ich rede mit vielen Unternehmern, die mir ihre realen Erlebnisse schildern.“ Bei diesem Monopol auf die Wahrheit wüsste ich was Besseres als nur Bücher zu schreiben, aber das kann ja alles bei Frau Hermenau noch kommen.
Der zweite Schwerpunkt von Frau Hermenau sind die Sachsen, die unverstandenen, fehlinterpretierten, an- und bodenständigen, heimatliebenden, nicht dummen und es-satt-habenden Sachsen, die „nicht tot gequatscht werden“ wollen. „Loofen musses“ für diese, und ähnliche sprachliche Pretiosen enthält das Buch viele, wenn man den Auszügen trauen kann. „An den Freien Wählern gefällt (ihr), dass die in Berlin und Brüssel keinen Hintern haben, den sie abküssen müssen“. Soviel Schlichtheit im Geiste ist angesichts von zwanzig Jahren als Berufspolitikerin schon entzückend.
Und nein, das Interview scheint nicht besonders zugespitzt zu sein im Vergleich zum Buch. Der erste Auszug beginnt wie folgt:
„Fragt man in Sachsen danach, wer regieren und was die Regierung machen sollte, kann schon mal die Antwort kommen: „Is mr eechentlich egal, wer ohm den Gassbr machd, aber loofen musses.“ Darin liegt tiefe Weisheit. Vor allem klärt der Spruch eindeutig, wer die Arbeit macht und die Mäuse für alle verdient. Kleiner Tipp: „Der Kasper da oben“ ist es nicht. …
Im Folgenden wird dann von einem Geschäftsführer der Sachsen GmbH gefaselt, und die beschränkte Haftung gesteht man Frau Hermenau dann sicher auch im Weiteren zu.
Noch ein Zitat? „Sogar Schießbefehle aus Berlin gibt es wieder. Die fetten Kugeln nennen sich „failed state“, „Nazis“ und „Dunkeldeutsche“. Und dann gibt es da noch jede Menge Kleinschrot für die Kartätschen: „abgehängt“ oder „Pack“. …“ Was freundlich interpretiert noch als bemühte Komik durchgehen könnte, erscheint im Gesamtkontext des Absatzes als Beschwörung des unfehlbaren Sachsen, der ob seiner 1.000-jährigen Geschichte nicht irren könne und für den jede Kritik an seinem Verhalten als anmaßend erscheint. So ist das offenbar auch wirklich gemeint, das Hohe Lied der sächsischen Nation wird gesungen: „Sachsen ist eine Art kleine Nation: Wir haben ein Staatsvolk, eine Staatsgrenze, eine Staatsgewalt, einen Staatsschatz, eine Hochkultur auf Weltniveau (gegenwärtig vor allem in Musik und Malerei) und einen Staatsdialekt.“
Wenn Frau Hermenau so weiter macht, muss Uwe Steimle bald Autohäuserjubiläen moderieren (falls er das nicht schon macht) und die Nationalkasperstelle beim MDR wird endlich weiblich besetzt.
Man könnte über diesen Unsinn traurig schmunzeln und ihn beiseite legen, aber es wird dann auch noch ganz tief ins Klo der ausländerfeindlichen Hetze gegriffen, das soll nicht unwidersprochen bleiben:
„Zudem müssen die mindestens 100 Milliarden Euro bis 2020 für die Zuwanderer auch erwirtschaftet werden. … Was denkt eine Frau, die arbeiten musste, weil ein Gehalt nicht reichte … wenn sie im Fernsehen sieht, wie ein syrischer Familienvater mit zwei Frauen und geschätzten zehn Kindern voll versorgt wird?“
Frau Hermenau, das ist wirklich ein Problem. Aber wissen Sie denn nicht, daß im Koran steht, jeder ordentliche Muslim müsse mindestens einmal im Leben die heiter blühenden Landschaften des Morgenlands mit Frauen und Kindern verlassen, um für mindestens sieben Jahre in die deutschen Sozialsysteme einzusickern? So erklärt sich das doch ganz einfach.
Tut mir leid, aber auf diesen Schmarrn kann ich nur mit Geblödel reagieren, auch wenn Fasching nun vorbei ist.
Zum Ende sei noch einer Befürchtung Ausdruck verliehen: Mit Zitaten wie dem folgenden „Die Verfemung eines ganzen Bundeslandes, das sich nicht einfach so anpassen will, führt u. a. dazu, dass wir von manchen gemieden werden“ wird sich Frau Hermenau vermutlich für zahlreiche zweitklassige Fernseh-Talkshows qualifiziert haben, um dort die Sachsen-Erklärerin zu geben. Vielleicht ist dies auch der tiefere Sinn des Buches.
Für diesen Fall möchte ich zu Protokoll geben, daß Frau Antje Hermenau nicht bevollmächtigt ist, für mich als gebürtigen und wohnhaften Sachsen zu sprechen oder mich zu erklären. Vielleicht kann man das jeweils unten im Bilde einblenden, als Laufschrift. Dankeschön.
P.S.: Noch ein helfender Hinweis zu einem Satz aus dem Interview: „Ich möchte mit dem Buch endlich das Fenster aufmachen und frische Luft reinlassen.“ Gnä‘ Frau, das wäre auch ohne Buch gegangen, es sei denn, Sie wollten die Scheibe einwerfen.
FeinFeuerStaubWerk
Ein Diskussionsbeitrag.
https://www.dropbox.com/s/15dsifxb597dpck/Feuerfeinstaubwerkrohfassung.mp3?dl=0
Wir haben was haben wir erreicht bisher?!
Zwei Jahre „grüne Macht“ in Dresden am Beispiel des Verkehrs aus der Sicht von Teichelmauke
Wir Unbürgerlichen
Manchmal lese ich die „Sächsische Zeitung“.
Ich tu das meist ungern, das Blatt ist mir wegen seiner Bräsigkeit ein Ärgernis, allerdings in vielem auch verlässlich. So kann man darauf wetten, dass die Karikatur auf der Seite 1 immer entweder dämlich ist oder das ungesunde Volksempfinden bedient. Oft trifft beides zu.
Auch die Kommentare scheinen häufig am Stammtisch abgelauscht zu sein, aktuell wird gern gegen Streikende gewettert. Spocht hat auch in dieser Zeitung einen deutlich höheren Stellenwert als Kultur, die sich an schlechten Tagen dann auch mal auf Artikel zum Fernsehprogramm beschränkt.
Aber die gedruckte Medienlandschaft ist in unserer in Sachsen weltgrößten Landeshauptstadt nicht eben überwältigend, der Dresdner Ableger einer Leipziger Volkszeitung führt zwar kulturell, ist aber lokal recht schwach auf der Brust. Die beiden hiesigen bunten Blätter unterscheiden sich nur im Format, aber nicht im Format (bitte kurz über diesen Satz nachdenken) und sollen hier nicht weiter betrachtet werden.
Dass es in vergleichbaren Städten (ich nehm immer gern Nürnberg dafür, das ist zwar nicht mal Sitz einer Regierungsdirektion, ansonsten aber ähnlich, was auch in einer gewissen Bratwurstmentalität zum Ausdruck kommt) nicht besser ist, kann nur ein schwacher Trost sein.
Nun wirken allerdings die Medien als „vierte Staatsgewalt“ an der politischen Willensbildung der Bevölkerung mit, und wenn in einer Stadt das Oberhaupt zu wählen ist, scheint besonders wichtig, dass die lokalen Zeitungen gut und kompetent über die Wahl und den Kampf zuvor berichten. Quantitativ ist der SZ da nichts vorzuwerfen, sie hat eine Serie „Dresden wählt“ eingerichtet und ihre Leser befragt. Die Ergebnisse wurden heute (23.05.15) vorgestellt.
Eigentlich gab es ja zwei Umfragen: Eine klassische, bei der die Antworten auf dem Postwege eingingen, und eine im Internet. Bei ersterer beteiligten sich 1.300 Menschen, die nach Angaben der SZ zur Hälfte die 50 überschritten haben (nach einer Aussage in einem zweiten Artikel sei die Hälfte der Einsender bereits über 60). Zwar wird im Text darauf hingewiesen, dass die Ergebnisse nicht repräsentativ wären, das hindert den Autor Andreas Weller aber nicht daran, die Ergebnisse auf die Nachkommastelle genau zu interpretieren, auch bei der „Sonntagsfrage“ (ob sich jene explizit auf den Stadtrat bezog, bleibt leider offen).
Interessante Aussagen gibt es dennoch zu lesen: Markus Ulbig, dessen Anhänger wohl etwas schreibfaul sind, kommt auf gerade mal 9% in diesem Wettstreit, was laut Weller daran liege, dass den sächsischen Innenminister aus Pirna nun mal keiner kenne in Dresden.
Über 95% der Einsender wollen zur Wahl gehen, Überraschung. Wenn jemand sich der Mühe unterzieht, den Fragebogen auszufüllen, sollte man ihn schon für einen potentiellen Wähler halten können.
Dass Frau Stange (42%) und Herr Hilbert (38%) das Rennen hier klar unter sich ausmachen, ist ebenfalls keine Überraschung, dass Frau Festerling und Herr Vogel unter drei Prozent liegen, spricht für die Seriosität der Leserschaft.
Für die Seriosität des Journalisten spricht allerdings nicht, dass er in seiner Spekulation zum zweiten Wahlgang dann tatsächlich von „bürgerlichen Kräften“ faselt. Dort zählt er offenbar auch Herrn Vogel von der AfD hinzu, böswillig könnte man ihm auch unterstellen, dies gelte auch für Frau Festerling und Frau Liqueur, aber es ist wohl nur unbeholfen formuliert.
Ah ja, das versammelte Bürgertum gegen die Gottseibeiuns, gegen das SED-Geschöpf (wie Weller in seiner missglückten Glosse zwei Seiten später anmerkt), gegen die Anti-Bürgerliche. Dann ist ja alles klar. Wer Dresden vor den roten Horden – die sich infamerweise mit den grünsiffigen Gutmenschen verbündet haben- retten will, wählt das bürgerliche Lager. Bürgerlich klingt gut, klingt nach Steuern zahlen, Müll trennen und arbeiten gehen. Alles andere ist dann doch suspekt, wie die langnasige Tante, die das Feigenblatt für die Sozialschmarotzer abgeben soll.
Nein, ich glaub nicht, dass da eine Absicht dahintersteht, man soll die SZ nicht überschätzen. Es sind wohl eher Gedankenlosigkeit, das unkritische Übernehmen von Begrifflichkeiten (immerhin taucht das Wort „Mitte“ nicht auf) und eine gewisse Unprofessionalität die Ursachen.
Übrigens, die Internet-Umfrage ist der Sächsischen völlig um die Ohren geflogen. Die Pegidisten haben hier kräftig mobilisiert, 5.400 Teilnehmer gab es (ob die Stimmabgabe mit der IP-Adresse registriert wurde, um Mehrfachbeteiligungen zu vermeiden, weiß ich leider nicht mehr), von denen ein Sechstel gar nicht wählen gehen wolle. Der Rest war fast zur Hälfte für Frau Festerling.
Den Rest der Ergebnisse spar ich mir, außer den 42,5% für die Sonntagsfrage (diesmal auf den Bundestag bezogen) für die AfD … Die sinnfreien Zahlen füllen dann aber immer noch einen guten Teil der Seite. Auch wenn es Unfug ist, irgendeiner wird es schon lesen. Konsequent wäre hier eine leere Spalte gewesen.
Tucholsky (bzw. sein Verleger) hat einen seiner Sammelbände mit „Wir Negativen“ überschrieben. In Dresden heißt es jetzt für uns „Wir Unbürgerlichen“.
Vorsicht: Wahlkampf!
Die Fortsetzung der Betrachtung zur Unabhängigkeit von Dirk Hilbert (FDP)
Vorab ein Verbraucherhinweis: Im folgenden Text ist Wahlkampf drin. Wahlkampf kann Sie zum Nachdenken bringen, klüger machen und im schlimmsten Falle sogar Ihre Entscheidungen beeinflussen.
Ich halte diesen Hinweis für notwendig, weil in den dankenswert zahlreichen Reaktionen auf meinen Beitrag „Eine ganz spezielle Form des Wahlbetrugs“ gelegentlich der Vorwurf aufkam, das wäre Wahlkampf.
Ja Herrschaftszeiten, was denn sonst? Eine Neuinterpretation der Verse von Walther von der Vogelweide? Eine Sammlung Kochrezepte? Fußballer-Philosophie?
Zudem ist es seltsam, „Wahlkampf“ als Vorwurf zu gebrauchen. Gehört sich das nicht? Ist Wahlkampf (zumindest der von den anderen) unanständig? Und, verehrter Herr Hilbert, wenn Sie in Ihrer Anmerkung auf Facebook meinem Beitrag „Wahlkampfrhetorik“ zuerkennen, wäre es schön, wenn Sie diese dritte Art der Rhetorik (ich kenne bislang nur gute oder schlechte) auch erklären. Ist das etwa eine, wo man es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen muss …? Ich will da nichts unterstellen, aber da fällt mir das Stichwort „Vollbeschäftigung“ ein.
Die bisherigen Reaktionen auf meine Einlassung auf den verschiedenen Kanälen waren, wenn sie als Text formuliert wurden, meist Widersprüche (die in Summe etwa dreißig Likes nehm ich trotzdem gern zur Kenntnis). Das ist auch nicht weiter verwunderlich, für Widerworte ist auch bei mir der Antrieb höher.
Prinzipiell lassen sich die Argumente in drei Punkten zusammenfassen: Dirk Hilbert hätte 1. als Vertreter von Frau Orosz einen guten Job gemacht und es wäre 2. doch egal, ob er sein Parteibuch schamhaft verstecke. 3. schließlich wäre es dringend notwendig, der rotgrünroten Stadtratsmehrheit einen Bremsklotz zu verabreichen.
Zu 1. kann man sicher geteilter Meinung sein: Für mich hat Hilbert in dieser Zeit das Mutti-Prinzip konsequent angewendet, viel vorangekommen ist (auch) in dieser Zeit nicht. Und wie er künftig zu agieren gedenkt, konnte man an seinem Veto zum Thema Lustgarten gut erkennen. Mit dem von mir kritisierten Sachverhalt hat diese Tatsache allerdings rein gar nichts zu tun.
Herr Hilbert, soviel zu Punkt 2, ist auf dem FDP-Ticket Bürgermeister geworden und es auf FDP-Ticket (und durch einen taktischen Rückzug für den zweiten Wahlgang) vor sieben Jahren geblieben. Dass er nun, kurz vor der Wahl, sein politisches Coming-Out erlebt, seine Unabhängigkeit entdeckt und die Parteifreunde auf Distanz hält, weil mit derem Label kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist, halte ich für Etikettenschwindel.
Herr Zastrow hat mit seinem ungeschickten Gruppen-Selfie dankenswert klar gemacht, wer im Windschatten von Herrn Hilbert in die Stadtspitze einziehen würde. Und ich persönlich bin sehr froh, dass Holger Zastrow sowohl im Land als auch in der Stadt seinen Einfluss verloren hat.
Herr Hilbert schreibt übrigens in seiner Replik: „… Genauso begeistert unterstützen mich Handwerker, Kleingärtner, Künstler, Sportler usw. – sprich Dresdens Bürger!“ Nun kann man die FDP sicher für eine Berufsvereinigung oder einen Freizeitclub halten, nur bislang fungiert sie als politische Partei. Das sollte ein „unabhängiger Kandidat“ wissen.
Der Kern ist allerdings der letzte Punkt. FDP (und CDU) betrachten die letzte Wahl zum Stadtrat immer noch als Betriebsunfall, der sie unrechtmäßig von der ihnen hier zustehenden Macht in der Stadt abklemmte. Und so versucht man bis zur nächsten Wahl soviel wie möglich an Veränderungen zu verhindern, ob nun mit den Bemühungen, Bürgerentscheide zu initiieren oder mit der Besetzung des OB-Sessels. Das ist natürlich nachvollziehbar, aber ob es im Interesse der Stadtentwicklung ist, glaube ich nicht.
Alle, die meinen, die Stadtratsmehrheit bräuchte ein Gegengewicht, schätzen den Unterhaltungswert des Rates wohl höher als seine Gestaltungsfunktion. Aber ein Patt ist in der Demokratie kein guter Zustand, da passiert nämlich nicht viel.
Ich persönlich wünsche mir, dass Dresden in den nächsten Jahren die Chance hat, durch eine Gestaltungsmehrheit aus Bürgermeistern und Stadtrat jene Entscheidungen zu treffen, für die sie gewählt worden sind.
Eine sehr spezielle Form von Wahlbetrug
Der unabhängige Kandidat Dirk Hilbert und die Dresdner FDP
Nein, dass die Herren der Dresdner FDP nicht clever wären und ihre Schritte nicht (vor allem werbe-) strategisch sorgfältig planen würden, habe ich nie behauptet. So glaube ich auch nicht an einen Zufall, der Herrn Holger Zastrow am 13. Mai auf facebook fröhlich vom „Liberalen Maifest“ in einem Dresdner Mittelklassehotel grüßen ließ, mit einem Gruppen-Selfie, wie man das heute halt so macht.
Das Fest sei ihm gegönnt, so viel zu lachen hat man als FDP-Mitglied heutzutage nicht mehr, und den Mienen einiger Abgebildeter nach gab es ja auch etwas Anständiges zu trinken, wenn nicht gar zu rauchen.
Interessant war allerdings, welcher Begleittext das Gruppenfoto zierte: „Viele Grüße vom Liberalen Maifest der FDP Dresden mit unserem OB-Kandidaten Dirk Hilbert. Gewohnt kämpferisch und nicht nur angesichts aktueller Umfragen bestens gestimmt, gehts in die heiße Phase im Dresdner OB-Wahlkampf. Läuft! #obwdd #FDP“.
Moment mal. Meint er jenen Dirk Hilbert, der laut amtlicher Veröffentlichung der Landeshauptstadt Dresden einen Tag zuvor bis zum Stichtag genug Unterstützerunterschriften gesammelt habe, um als Kandidat zur OB-Wahl zugelassen zu werden? Der als Erster Bürgermeister seine Parteimitgliedschaft ruhen lässt, um ein Kandidat für alle Dresdner zu sein? Dessen Wahlplakate in den Dresdner Stadtfarben gehalten sind, aber jeglichen Parteiverweis vermissen lassen?
Ich hab nochmal nachgesehen, vorsichtshalber, man will ja nichts Falsches behaupten. Aber es gibt tatsächlich nur einen Dirk Hilbert unter den sechs Bewerber_innen für das Amt. Dann wird er es wohl doch sein.
Nun wird die Dresdner FDP wissen, dass sie als Stadtratspartei ohne weiteres einen Kandidaten zur Wahl hätte aufstellen können, ohne mühevoll 240 Unterschriften einzutreiben. Daran kann es nicht liegen.
Doch erinnern wir uns: Herr Zastrow kommt aus der werbenden Zunft und hat schon oft das schlechte Bild „der Marke FDP“ beklagt (völlig zu Recht übrigens, auch wenn wir über die Gründe sicher sehr verschiedener Ansicht sind). Logisch, dass man dieses tote Pferd nicht reiten will im Wahlkampf. Zumal in einem, in dem die FDP – durch welch seltsame Fügungen auch immer – die Chance hat, einen OB-Posten in einer Halbmillionenstadt mit einem Parteimitglied zu besetzen.
Also ist Camouflage angesagt. Der Kandidat gibt sich überparteilich und unabhängig – die Parteilogistik wird er sicher dennoch in Anspruch nehmen. Und nachdem der Text auf dem Wahlzettel feststeht (Herr Hilbert tritt unter dem schönen Titel „Unabhängige Bürger für Dresden“ an), kann man am Tag danach die Katze auch aus dem Sack lassen.
Nun weiß ich über die Abhängigkeiten des Menschen Dirk Hilbert recht wenig, es ist ihm zu wünschen, dass sich jene in (legalen) Grenzen halten, und gutes Essen – wie sein Körperbau nahelegt – ist eine lässliche Sucht. Der Politiker Hilbert hat da aber dann doch einige Verpflichtungen, so ein Wahlkampf will bezahlt werden und das Salär eines Bürgermeisters ist nicht eben fürstlich. Da kommt eine Partei wie die immer noch recht vermögende FDP im Hintergrund sicher recht.
Nur wird damit die Beschreibung auf dem Wahlzettel zur Mogelpackung, wo Hilbert draufsteht, ist FDP drin. Seit dem Trojanischen Krieg weiß man um die Wirksamkeit solcher Tarnungen, und auch wenn es mir fernliegt, Herrn Hilbert mit einem hohlen Holzpferd zu vergleichen, entspricht dies sicher nicht dem Geist des Wahlgesetzes. Deswegen auch die harte Zueignung einer „sehr speziellen Form des Wahlbetrugs“, denn „Schummelei“ klingt mir dann doch zu harmlos. Vermutlich mag das alles halbwegs rechtens sein (und wenn nicht, wie im Fall Töberich, scheint es den FDP-Protagonisten auch egal), aber sauber ist es nicht.
Dresden ist ja immer für eine Provinzposse gut, und so könnte es durchaus dazu kommen, dass die FDP eine wichtige Wahl gewinnt, weil sich ihr Kandidat alle Mühe gibt, nicht mit ihr in Verbindung gebracht zu werden. Über seine fachliche Eignung mag man streiten, für mich hat er in immerhin schon vierzehn Jahren Wirtschaftsbürgermeister nicht viel gerissen, Dresden hängt inzwischen deutlich hinter Leipzig zurück. Richtig große Schnitzer sind ihm aber auch nicht unterlaufen (wenn man von den Querelen um die Besetzung des Amtsleiters für Wirtschaftsförderung mal absieht), er hat sich offenbar seine Strategie bei Mutti (Merkel) und Vati (Tillich) abgeschaut.
Und da Zwerg Ulberich erkennbar wenig Ambitionen hat, das zünftige Amt des kommandierenden Innen-Generals für Sachsen für den anstrengenden Job eines Dresdner Oberbürgermeisters aufzugeben und seine Rolle als Adabei gefunden zu haben scheint, der traurige Vogel von der AfD und die Tatjana aus dem Land der Finsterlinge sich um den Protestwähleranteil streiten werden und Lara Liqueurs Freibier sicher nicht für eine Mehrheit reicht, bleibt nur Eva-Maria Stange, dieses Szenario zu verhindern.
Jene tritt übrigens auch als Vertreterin einer Wählerinitiative an, macht aber keinen Hehl daraus, welche Parteien sie unterstützen. Und da jene auch die Mehrheit im Stadtrat bilden, wäre ihre Wahl nicht nur wünschenswert, sondern auch hilfreich für eine funktionierende Stadtregierung. Anderenfalls wird künftig jede Stadtratssitzung zur Kraftprobe zwischen dem OB und der Ratsmehrheit, Entscheidungen werden da sicher selten fallen.
PS vom 15.05. zu den Kommentaren:
Im Normalfall bin ich der Ansicht, dass sich jeder für sich selbst blamiert mit seinem Beitrag. Zwei hab ich dann aber doch gelöscht, von einem wirr scheinenden Herrn mit Hut und dem Titel 15. OB-Kandidat und einen, der Frau Stange was mit der SED-Keule überbraten wollte. Das war mir dann doch zu doof.
Zu allem Weiteren gibt es einen neuen Beitrag.
