Kategorie: Kultur

Die Farbe der Elbe

„Alles im Fluss“, ein Projekt über die Elbe und den Wandel der Zeit von Uli Jäckle, Produktion der Bürgerbühne am Staatsschauspiel Dresden, Uraufführung am 23. April 2015, gesehen am 9. Mai 2015


Mit „normalen“ Theatermaßstäben sind Bürgerbühnen-Stücke kaum zu messen, das trifft diesmal ganz besonders zu. Es war eher eine große Performance von knapp fünfzig Laien unter professioneller Anleitung, mal weniger, meist aber mehr gelungen. Wenn man sich darauf einlässt, macht der Abend Spaß, und man geht erfrischt und beschwingt nach Hause.

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Es kann nur Eine geben

„Maria Stuart“ von Friedrich Schiller, Regie Barbara und Jürgen Esser, Premiere am 17. April 2015 im Gerhard-Hauptmann-Theater Zittau


Wenn man dem Regieansatz folgt, die die Königinnen als Männerwerk- und Spielzeug sehen will, ergibt das Ganze inszenatorisch großen Sinn, wenn nicht, muss man zumindest die Stringenz der Regie anerkennen.

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Soldaten sind Bürger

„Soldaten“, Ein Dokumentartheater von Clemens Bechtel, Produktion der Bürgerbühne am Staatsschauspiel Dresden, Uraufführung am 28. März 2015

Nein, ich will hier nicht Kurt Tucholsky widerlegen.
Der wird damals triftige Gründe gehabt haben für seinen berühmten Satz, und die meisten davon dürften auch heute noch vorhanden sein. Zudem sind Tucholskys Schuhe derart groß, dass ich da bequem drin schlafen könnte, mehr als ein ungenaues Zitieren ist also nicht drin.
Aber darum geht es nicht.
Dieser Bericht handelt von einem weiteren Stück der Bürgerbühne, das sich in dokumentarischer Art mit Randgruppen auseinandersetzt: Nach Demenzkranken und deren Angehörigen, nach Stasi-Opfern und deren Akten und nach Liebenden sowie Midlife-Kreisenden und deren Problemchen ist nun der Berufsstand des Soldaten dran.
Am Ende war das für mich „bedingt aussagefähig“, um einen anderen berühmten Halbsatz zu verballhornen.

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Puppen weinen doch

„Madama Butterfly“ von Giacomo Puccini, musikalische Leitung Anthony Bramall, Inszenierung Aron Stiehl, Premiere an der Oper Leipzig am 14. März 2015

Puccini bediente mit seiner Oper das Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa erwachte Interesse für Japan, wählte aber ein für dieses Genre schwieriges Thema, die käufliche oder besser mietbare Liebe unter de facto kolonialistischen Verhältnissen. Fortsetzen lässt sich das Sujet bis hin zum Sextourismus der heutigen Tage, was das wiederum erstklassige Programmheft auch tut. Trotz des schweren Stoffes ist die Oper pures Sopranistinnen- und Tenorfutter, neben der bereits beschwärmten Karah Son nutzt auch Gaston Rivero die Gelegenheit sich auszuzeichnen. Die weiteren Hauptpartien sind mit Susanne Gritschneder als Suzuki und Mathias Hausmann als Konsul ebenso hervorragend besetzt, …

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Du sollst nicht foltern

„Der Tod und das Mädchen“ von Ariel Dorfman, Regie Dorotty Szalma, Premiere am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz am 13. März 2015

… Ein Vier-Sparten-Ereignis ist angekündigt worden, das düstere Schauspiel angereichert um Musik, Tanz und Oper. Klingt ambitioniert, man durfte gespannt sein, wie das dem GHT gelingt. Vorweg: Auch wenn nicht alles glückte, sehenswert und dramatisch war das allemal, ein schöner Beweis der Sinnhaftigkeit eines Vollspartentheaters.

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Amerikanisch Roulette

„Amerika“ nach dem Roman von Franz Kafka in der Fassung von Pavel Kohout und Ivan Klima, Regie Wolfgang Engel, Premiere am Staatsschauspiel Dresden am 7. März 2015


Vielleicht ist das Dreh-Dings auf der Bühne ja auch eine Lotterietrommel für das amerikanische Roulette. Zu gewinnen gibt es dabei nichts, den american dream muss sich jeder selbst erfüllen, zur Not in der Imagination.

Bei den Arbeiten von Wolfgang Engel spürt man immer eine große Gelassenheit, hier muss niemand mehr etwas bewiesen werden, hier weiß einfach einer, wie es geht. Es geht auch anders, aber so geht es eben auch.

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Die verpasste Chance

„Katzelmacher“ von Rainer Werner Fassbinder, Regie Robert Lehniger, Produktion der Bürgerbühne am Staatsschauspiel Dresden, gesehen am 2. März 2015

Eigentlich, liebes Staatsschauspiel, war das eine großartige Idee, Fassbinders Fast-Erstlingsfilm, der mit so wenig Geld auskommen musste, dass sich nicht mal eine Beleuchtung für Nachtszenen bezahlen ließ und der vielleicht auch wegen des Zwangs zur Bescheidung in seiner lakonischen Trostlosigkeit so überragend ausfiel, 45 Jahre später als Mischwerk aus Film und Theater auf die Bühne zu bringen.
Und eigentlich war auch der Ansatz, sich strengstens an die filmische Vorlage zu halten, sehr nachvollziehbar. Gut, des (Versuchs eines) Münchner Dialekts für die Darsteller hätte es nicht gebraucht, aber sonst? Die besten Voraussetzungen für eine grandiose Inszenierung waren zweifellos gegeben.

Aber …
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Mischpoke ist kein Schimpfwort

Mischpoke“ , eine jüdische Chronik von damals bis heute, Regie David Benjamin Brückel, Texte Dagrun Hintze, Uraufführung der Bürgerbühne am Staatsschauspiel Dresden am 28. Februar 2015

Die müssen sich wirklich nicht wundern.

Wenn man so perfekt sämtliche Vorurteile und Zuschreibungen, die über die Juden existieren, daherbeten kann und das auch noch mit offenkundiger Freude tut … Da können die doch froh sein, dass sich der besorgte Bürger im Moment andere Gruppen sucht, die dran schuld sind.

Aber der Judenhass hat nicht nur hierzulande Tradition, und Bräuche werden nicht nur im Judentum gepflegt. „Ich habe ja nichts gegen Juden, aber …“ die Sprachschablonen sind wiederverwendbar.

Und dann schlagen die uns auch noch Zahlen-Daten-Fakten um die Ohren, dass es nur so knallt. Soso, es gibt also nicht „die“ Juden, sondern viele viele verschiedene, die sich nur darin einig sind, dass sie sich nie einigen können. Trotzdem sind die alle gleich. Als ob Fakten jemals etwas bewiesen hätten.

Besonders perfide ist es, das alles mit soviel Selbstironie und Witz vorzutragen. Das ist ja auch nur eine besonders raffinierte Form der moralischen Erpressung. Dass die noch lachen können, sogar über sich selbst … Die haben gefälligst die Shoa zu betrauern oder sich für Israel zu schämen. Am besten beides zugleich.

Wenn man wie ich auf dem geistigen Schoß von Yassir Arafat aufgewachsen ist und das Palästinensertuch zur pubertären Grundausstattung gehörte, weiß man von Hause aus nicht viel über die älteste der abrahamitischen Religionen. Bis heute ist auch im Dresdner Alltag wenig davon wahrzunehmen (was nicht vor der Sündenbock-Rolle schützen muss), die Synagoge steht zwar mittendrin, ist aber – von den einschlägigen Gedenktagen und der Jüdischen Kulturwoche abgesehen – nicht wirklich dabei. Ein guter Grund für die Bürgerbühne also, sich der Mischpoke anzunehmen.

(Bevor jemand den Korrektenrat anruft: Mischpoke steht im Hebräischen schlicht für „Familie“, der abwertende Unterton kam erst mit der Übernahme in die deutsche Umgangssprache hinzu.)

Es ist immer wieder erstaunlich, wie es der Bürgerbühne gelingt, mit ihren Akteuren ein derart breites Spektrum eines Themas abzudecken. Dabei zählt die jüdische Gemeinde in Dresden nur gut 700 Mitglieder, fast alle sind Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, die Hälfte davon ist im Rentenalter. Trotzdem: Vom israelischen Kriegsdienstverweigerer (was dort bei weitem nicht so smoothie ist wie vor deutschen Musterungskommissionen) über einen jungen deutschen Konvertiten und Zuwanderinnen aus Russland, die vor allem für die Zukunft ihrer Kinder nach Deutschland kamen, bis hin zur Tochter des Kommunisten und Schriftstellers Max Zimmering spannt sich der Bogen der zehn Menschen, „Durchschnitt“ ist keiner von denen. Aber zusammen geben sie ein faszinierendes Bild von dem, was heute Judentum ausmacht.

Zum Glück ist das Gezeigte alles andere als Belehrungstheater, auch wenn man am Ende deutlich klüger hinausgeht. Zehn Biographien, wie sie unterschiedlicher nicht sein können, breiten sich aus, werden überblendet, man ist sich durchaus nicht immer einig auf der Bühne (eigentlich eher selten), aber darüber dann schon. Neben dokumentarischen Erzählungen der Protagonisten gibt es zahlreiche Spielszenen, die meist mehr oder auch mal weniger gut gelingen. Am berührendsten für mich war die Darstellung der Musterung von Ehud Roffe im Zusammenspiel mit Faina Lyubarskaja und Katja Schindler, aber auch die Bühnenpräsenz von Thomas Feske und dem zwölfjährigen Joshua Lautenschläger beeindruckten, nicht minder die Auftritte der Mütter Nichame Eselevskaya und Nataliya Berinberg.

Klar wird, dass die angeborene oder empfundene Zugehörigkeit zum jüdischen Glauben Identität stiftet, auch wenn die Ausländerbehörde keine jüdische Nationalität kennt. Wie man damit umgeht, entscheidet jede und jeder für sich selbst anhand der eigenen Erfahrungen. Und Israel ist für niemanden das „gelobte Land“, auch wenn die Haltungen zur Politik dieses Staates sehr unterschiedlich sind (wie übrigens bei den anderen Deutschen auch).

Die fast schon traurige Pointe: Juden sind wegen ihrer jahrtausendelangen Wanderungsgeschichte und den immer wieder nötigen Anpassungen der Prototyp des modernen Menschen, Kosmopoliten wider Willen, immer in mindestens zweien und damit zwischen allen Welten, mobil, heimatlos und frei, eine Avantgarde umständehalber. Dass das bloß nicht wieder jemandem Angst macht …

David Benjamin Brückel und Dagrun Hintze ist in ihrer jeweils zweiten Arbeit für die Bürgerbühne das Kunststück gelungen, ein äußerst komplexes Thema auf einen lehrreichen und dennoch unterhaltsamen Abend zu komprimieren. Unterstützt wurden sie dabei bestens von einer sehr raffinierten Aufklapp-Bühne (Jeremias Böttcher) und unaufdringlich-stimmiger Musik (Vivan und Ketan Bhatti).

Das Stück kommt (wenn auch ungeplant) zur rechten Zeit, um Herrn Netanjahus Aufruf zur Auswanderung etwas entgegenzusetzen. Nein, alle die hier sind sollen bleiben, egal welcher Religion sie sich zugehörig fühlen. Mehr als Mensch ist man sowieso nirgendwo. Dass sich auch niemand weniger fühlt, ist Aufgabe unserer Gesellschaft.

Warten auf das Geld

Kriegsmutter“, Tragödie von Data Tavadse, Übersetzung Natia Mikeladse-Bachsoliani, Regie Piotr Jedrzejas, deutsche Uraufführung am 20. Februar 2015 im Gerhard-Hauptmann-Theater Zittau

Dem Autor gelingen erstaunliche Sätze zum Krieg, Sätze, die wohl nur jemand finden kann, der aus eigenem Erleben schöpft. Sein Ansatz erinnert zuweilen an Beckett, ohne jenen zu plagiieren, da verzeiht man auch einige dramaturgische Unplausibilitäten zum Ende hin. Kammerspielartig wird über die Dialoge vom Krieg erzählt, es braucht keinen Schlachtenlärm dazu, die zurückhaltend-szeneriegerechte Musik von Slawomir Kupczak und die schäbig-raffinierte Bühne von Jan Kozikowski ermöglichen eine Umsetzung auf meist leise Art, das Regieteam vom polnischen Partnertheater leistete eine respektable Arbeit.

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Verschwör Dich gegen Dich

„Die Verschwörung des Fiesko zu Genua“ von Friedrich Schiller, Regie Jan Philipp Gloger, Premiere am Staatsschauspiel Dresden am 14. Februar 2015


Ein starker Abend. Gloger leichterte den schillerisch hochtrabenden Text sinnvoll und brachte eine Fassung auf die Bühne, die oftmals an Shakespeare erinnert und die der Berichterstatter gern auf der „Don Karlos“ – Ebene einordnet.

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