Kategorie: Leben
Was man über die DDR wissen muss
Christoph Hein, „Das Narrenschiff“, Roman, 2024

Achtzig Jahre ist Christoph Hein nun, doppelt so alt wie die DDR, so einer weiß, wovon er schreibt, wenn er von „zu DDR-Zeiten“ berichtet.
Um die DDR, vor allem ihr Machtgefüge, zu verstehen, muss man aber noch weiter zurückschauen, in die 1930er Jahre, nach Moskau. Dort sammelte sich ein Teil der Leute, die Nazideutschland verlassen mussten, meist KPD-Parteigänger, während es die SPD-ler und die Intellektuellen eher nach Westen zog. Schon 1937, nach der ersten großen Stalinschen Säuberungswelle, wurde ihre Zahl deutlich geringer.
Die Überlebenden hatten ihre Lebenslektion gelernt: Die Partei bzw. Väterchen Josef Wissarionowitsch hat immer recht, Zweifel ist Verrat und wer nicht mitbekommt, wenn der Wind sich dreht, den sucht Genosse Mauser auf. Die Machtbasis der späteren DDR-Führung war schlicht Angst.
Dies erfährt man präzise und nachvollziehbar im ersten Teil des Romans, das ist hochspannend und lehrreich, entsetzlich und verstörend, niederschmetternd. Wenn man wissen will, wie es war: Hier erfährt man es. Kein Highlight der DDR wird ausgelassen, auch die zahlreichen Tiefpunkte werden geschildert, so plastisch, dass man versteht, warum es so kam, kommen musste.
Bis zum Honecker-Putsch bleibt die Erzählung detail- und faktenreich, danach erhöht sich merklich das Tempo, das tut der Verständlichkeit nicht gut. Erst zum Ende hin (des Buches und der DDR) kann man wieder besser folgen, und die Beschreibung des Nachwendejahres gehört zum Besten, was ich je darüber gelesen habe, auch sprachlich.
Leider gilt das für große Teile des Buches mitnichten. Im Gegenteil, es ist enttäuschend, wie hölzern die Dialoge angelegt sind, wie spärlich die Beschreibungen, wie wenig inspiriert die Szenen. Der Plot ist großartig, aber die Erzählung ist meist ärmlich.
Aber ein Lichtblick: Ich glaube, am Theater würde dieser Text gut funktionieren.
Der ganze Text:
https://www.kultura-extra.de/literatur/rezensionen/buchkritik_ChristophHein_DasNarrenschiff.php
Die Stadt braucht mehr Beton
Der Elite unseres kommunalen Demokratietheaters sei Dank: Wir haben Beschluss, wir sind Brücke. Der vierspurige Holger vom Team Krawallo und seinen Brüdern und Schwestern im Geiste vom Stamme der betonummantelten Rechtsfossilien ist es tatsächlich gelungen, der weltgrößten und bedeutendsten Landeshauptstadt von ganz Sachsen an einem Nachmittag den mittelfristigen Haushalt zu crashen als auch der Stadtgesellschaft für die nächsten zehn Jahre ein Diskussionsthema zu besorgen, das alles hat, was eine Provinzposse so braucht.
Vielleicht war ja Letzteres das Entscheidende: Im Wissen darum, daß der gewählte Weg in einer juristischen Extraschleife landen wird, baut man schon am Wahlkampfschlager für das Superduperwahljahr 2029, wo man dann dem kleinen Mann auf der Umgehungsstraße und der alleinerziehenden Seniorin mit Mindestrente sowie allen jungen Familien auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum und Verwahrmöglichkeiten für die 2,3 Durchschnittsplagen erklären kann, daß nur eine breitestmögliche Carolabrücke all ihre Probleme lösen kann. Denn spätestens wenn es vier Entwürfe für das neue stadtbildprägende Monstrum gibt und einer davon zum Bau auserwählt wird, darf man getrost davon ausgehen, daß die üblichen Verdächtigen auf der guten Seite der Macht (die „Träger öffentlicher Belange“, kurz TÖB) gerichtlich überprüfen werden lassen wollen, ob der Begriff „Ersatzneubau“ nicht doch etwas überdehnt wurde angesichts Breite und Überdimensioniertheit des Bauwerks. Es sei denn, die Merzsche Kettensäge hat bis dahin das Verbandsklagerecht geschreddert, auszuschließen ist das nicht, wo es doch um Wachstum geht.
Gewachsen sein dürfte auch eine Erkenntnis in der hiesigen Wissenschaftsszene: Melde dich nur zu Wort, wenn du gefragt wirst, und äußere dich dann gefälligst nur im Sinne der gefühlten Mehrheit, sonst bist du ganz schnell eine „sogenannte Expertin“ und selbsternannt sowieso. Gute Aussichten für den Wissenschaftsstandort Dresden, aber scheiß auf Exzellenz, Prognosen sind sowieso Ideologie und was gut für Dresden ist, liegt per Definition im Bauchgefühl des Volkskörpers, und wer wüsste besser als die CDU, was dort im Dickdarm so abgeht?
IHK, Handwerkskammer und andere Lobbyisten sind dagegen sakrosankt, die sorgen schließlich dafür, daß es in Dresden brummt, wenn auch derzeit unter nahezu unmenschlichen Bedingungen im täglichen 15 min – Stau auf den Hauptachsen. Was in Dresden „Verkehrschaos“ heißt, wird in wirklichen Großstädten übrigens Berufsverkehr genannt, aber in ihrer Selbstbezogenheit und Larmoyanz lässt sich diese Stadt von niemanden übertreffen. Soll man es „Eierschecken-Blues“ nennen? Dresden hat es ganz ganz schwer, nur merkt das außerhalb des Elbtals niemand, wie gemein.
Nun werden wir also viel Geld, sehr viel Geld an vier Ingenieurbüros zahlen, die dann jeweils eine Lösung für ein nicht existierendes Problem erarbeiten. Das gibt zumindest der planenden Zunft Lohn und Brot und ist deshalb nicht grundsätzlich abzulehnen – aber mit dem Wissen, de facto für die Papiertonne zu arbeiten, motiviert man sicher keine Ingenieurin zu Höchstleistungen. Vielleicht gibt es auch beim vorgeschalteten Vergabeverfahren Rügen und Einsprüche, dann hätten wir schonmal eine Strafrunde über die Vergabekammer geschossen. Warum unbedingt vier, lässt sich leider weder religiös noch metaphorisch begründen. Phantastisch ist daran nichts, und die Drei wäre naheliegender gewesen, wenn man der Dreifaltigkeit und Monty Python glauben mag, und auch die Sieben hätte Charme – Zwerge, Schwaben und Geißlein fallen mir da ein.
Persönlich freu ich mich auf die nächsten Jahre. Holger „Generalexperte“ Zastrow wird seiner Klientel erklären, daß die Schwimmhalle in Klotzsche deswegen nicht gebaut werden könne, weil ein übergriffiger Staat der Carolabrücke Rad- und Fußwege vorschreiben würde, die schon deswegen überflüssig seien, weil er da nur motorisiert drüberfahren würde. Die CDU wird dann ihren regionalen Eischnee drüber kippen und auf die Sozen schimpfen, die dem Fortschritt im Wege stünden. Die Rechtsextremen werden fordern, daß die neue Brücke nur für richtige Deutsche freigegeben werden solle, weil sich die Auslenda nur Dank ihrer genetisch bedingten Kriminalität ein Auto leisten könnten. Das BSW wird darauf bestehen, daß zur Eröffnung Frank Schöbel singt. Viel Gelegenheit also, die ganzen Provinzpossenreißer zu verspotten.
Im Übrigen glaube ich fest daran, daß am Ende eine wirklich schöne und bedarfsgerechte Brücke entstehen wird – ob ich es selbst erlebe, da bin ich allerdings skeptisch.
Wiedergutmachungstheater
Ein Stück über institutionellen Rassismus:
„Ausgehend von Recherchen und Interviews mit Betroffenen und Opfern rechter Gewalt untersucht sie (die Autorin), wie staatliche Behörden und Instanzen bei der Ermittlung gegen rassistisch motivierte Verbrechen versagen.“ (Quelle: staatsschauspiel-dresden.de)
Darf man das überhaupt schlecht finden? Ja. In diesem Falle: Man muss.
Das Publikum wird hier mit der Keule des Mitgefühls in Geiselhaft genommen, um sich anderthalb Stunden eine unausgegorene Anklage gegen den Staat und wen-auch-immer anzuschauen. Gut Gemeintes ist selten gut, was leider hier erneut bewiesen wurde. Schade.
https://www.kultura-extra.de/theater/auffuehrungen/UA_AyseGuevendiren_YouCameYouSaw.php
Nicht grausam ist gut
Robert Stadlober war am 26.09.2024 mit einem Tucholsky-Programm beim LITERATUR JETZT! – Festival im Zentralwerk Dresden, und er hat mich begeistert.
http://www.kultura-extra.de/literatur/veranstaltung/programm_RobertStadtlober_LiteraturJetzt2024.php

Für den Graben
Fast hätte ich vergessen, von meinem Ausflug nach Weimar auch hier zu berichten.
Es gab Kästner für Erwachsene, und es war gelungen.
https://www.kultura-extra.de/theater/auffuehrungen/repertoire_Fabian_DNTweimar.php
Eine unterirdische Idee – die Dresdner CDU will tunneln
Wahlkampfzeiten sind dankbare Zeiten für Spötter und Klugscheißerinnen. Zu offensichtlich sind die Stilblüten, als daß man der Versuchung widerstehen könnte. Diesmal soll aber nicht der verhinderte Deutschpauker in mir zum Zuge kommen, es geht um andere Dinge.
Bei jeder Wahl geht es ja auch darum, die MLPD in puncto Dümmlichkeit auf den Wahlplakaten zu überbieten. Auch dieses Mal gab es einige hoffnungsvolle Versuche, aber die Genossen haben die Angriffe souverän mit „Arbeiter in die Offensive“ abgewehrt. Chapeau! Aber dies nur nebenher, es soll hier nicht um die Weltrevolution gehen, sondern um profanere Dinge.
Wie im Bilde zum Text zu besichtigen ist, möchte die CDU Dresden-Neustadt in Person von Johannes Schwenk den Neustädter Markt mit einem Autotunnel bereichern und damit eine „Flaniermeile zwischen Albertplatz und Altstadt“ schaffen. Neustädter Markt, das ist dort, wo ein scheinbar goldenes Pferd samt pummeligen Reiter der barocken Langeweile den Rücken zuwendet, um durch eine platanengesäumte Hauptstraße seiner Befreiung entgegen zu galoppieren (meine Interpretation). Oftmals muss es dabei durch Würstchen- und Nippesstände hindurch, die dann „Fest“ genannt werden, in Verbindung mit Jahreszeiten oder was der Marketing-Kalender sonst so hergibt. An Weihnachten (wie es anderswo heißt, was die Weltläufigkeit des Verfassers belegt) gibt es die Festivität gar unter Leitung eines stadtbekannten Gastwirts und Grünenfressers, der neuerdings seinen Namen zum Programm gemacht hat, übrigens genau wie eine Dame mit stählernem Antlitz, die er aber vermutlich gar nicht leiden kann. Aber was weiß ich schon von der Kollegialität unter Populisten (Frauen sind mitgemeint).
Ich schweife ab. Hier soll es doch um die mit Verlaub unterirdische Idee gehen, im Zuge der Großen Meißner Straße einen großen Dresdner Tunnel zu graben. Hatte man vor Wochen auf einschlägigen Plakaten noch schamhaft gefragt, ob dies wohl sinnvoll wäre, sind nun alle Hemmungen gefallen, der Spruch ist mit einem Ausrufezeichen versehen.
Ich gehe davon aus, daß der (mir) unbekannte Kandidat Schwenk die finanzielle Situation der weltgrößten Landeshauptstadt von ganz Sachsen einigermaßen überblickt. Vielleicht ist ihm sogar bewusst, daß sogar für den Neubau der Nossener Brücke noch zahlreiche Scheinchen zusammengekratzt werden müssen, ehe es zum großen Werke kommen kann, was nicht unwesentlich daran liegt, daß ein früher in Dresden tätiger Kassenwart nunmehr konservativ (also bewahrend) auf den freistaatlichen Töpfen sitzt. Auch einige andere Infrastrukturprojekte der Kommune, denen Dringlichkeit zugesprochen werden muss, sind „finanziell nicht untersetzt“, wie es in diesen Kreisen heißt, bei Bedarf könnte ich eine Liste senden.
Aber das Praktische an einer solchen Forderung, mal eben 100 Millionen plus x im HQ50-Gebiet der Elbe zu vergraben (könnte ich erklären, aber es soll hier niemand überfordert werden), ist ja, daß man nie in die Verlegenheit kommen wird, diese ernsthaft diskutieren zu müssen, sie gleichwohl irgendwie als innovativ hängenbleibt, solange man nicht drüber nachdenkt. Es ist ein bißchen so wie ein schöner großer Wahlkampfballon voller heißer Luft, der ganz schnell aufsteigt in schwindelerregende Höhen, dann außer Sicht gerät und abgekühlt auf irgendeinem Rieselfeld weit vor der Stadt landet. Aber dann hat die hiesige CDU sicher schon einige andere Säue über die Augustusbrücke getrieben.
Nochmal im Klartext: Die Stadt hat für solchen Schmarrn auf Jahrzehnte hinaus kein Geld, und der Freistaat auch nicht. Der Bund nicht, die EU nicht, und wenn es die Weltregierung wirklich gibt, hätte die dafür auch nichts übrig. Oder was soll Dresden dafür besser liegenlassen? Blaues Wunder verschrotten, BUGA absagen, ESMC-Erschließung sein lassen, Tunnel am Wiener Platz sperren (weil nicht mehr sanierbar), Ullersdorfer Platz canceln, Schulen und Kita verrotten lassen, Königsbrücker Straße und Stauffenbergallee unter Denkmalschutz stellen? Ideen sind willkommen.
Mal abgesehen davon, daß es also „schwierig“ wird, das Geld dafür zu besorgen, ist die Idee als solche aber auch krude. Die Piktogramme auf dem Bild sind zwar ganz hübsch, aber entsprechen nur links der Wahrheit. Das erste illustriert tatsächlich zutreffend die Maxime der Verkehrsplaner des vorigen Jahrhunderts (das in Dresden nachvollziehbarerweise noch bis 2016 andauerte) „der Fußgänger gehört unter die Erde“, unabhängig übrigens von der Weltanschauung. Was mittig den Ist-Zustand beschreiben soll, vernachlässigt den Umstand, daß durch die revolutionäre Erfindung der LSA (Lichtsignalanlage, vulgo „Ampel“) der Verkehrsraum zumindest auf der Zeitachse unterschiedlich zugeordnet werden kann.
Das Problem, was hier beschworen wird, ist schlicht keines. Im Gegenteil, mit dem Umbau der Kreuzung und der Sperrung der Augustusbrücke für den privaten Autoverkehr sind dort Verhältnisse zu verzeichnen, von denen in anderen Stadtteilen geträumt wird. OK, es fehlen längs der Großen Meißner noch ordentliche Radwege, aber das sind vergleichsweise Luxusprobleme.
Dreist ist allerdings die Darstellung rechts. Gerne wüsste ich, was mit der Straßenbahn passiert, wie künftig die Andienung des Hotels und der Museen erfolgt und wo die Ver- und Entsorger sowie die Rettungsdienste fahren sollen. Das ganze ist eine große Mogelpackung, denn eine oberirdische Verkehrsführung wird immer notwendig sein, wenn auch nur noch mit einer Spur je Richtung. Aber das kann man deutlich billiger haben.
Die für einen Tunnel erforderlichen Rampen werden mitten im Carolaplatz und am Palaisplatz beginnen müssen, damit ist die generelle Umgestaltung dieser Örtlichkeiten verbunden. Von mir aus kann man ja gerne ein Stückchen vom Palast des Ministerpräsidenten abschneiden, aber beim Japanischen Palais bin ich hartleibig, dort findet schließlich neuerdings das Sommertheater des Staatsschauspiels statt (wenn auch leider sonst nicht viel). Ohne das weiter zu vertiefen, aber die Idee ist derart unsinnig, daß man sich fragt, in welcher Wissenschaft Herr Schwenke denn mitarbeitet (mehr als „wiss. MA“ gibt die Vorstellung auf der website des CDU-Ortsvereins nicht her). Vermutlich wird er Wasser- und Kofferträger eines Landtagsabgeordneten sein, aber ich bin zu faul zum Recherchieren, und so wichtig ist er nun auch nicht.
Lassen wir es mit einem Lehrsatz beenden: Wenn du selbst keine konkreten und sinnvollen Ideen hast, denk dir was aus, was schön klingt, aber nie in die Nähe einer Realisierung kommt. Dann gehst du erstmal als Visionär durch und musst nie ernsthaft darüber diskutieren. Und zur nächsten Wahl mach dann einen Schwenk, es bieten sich die Flugtaxis an.
Nicht Dürrenmatts Humor
DER BESUCH DER ALTEN DAME, inszeniert von Nicolai Sykosch, Premiere am Staatsschauspiel Dresden am 5. April 2024
So kann man das nicht machen, Herr Regisseur.
Friedrich Dürrenmatts Neo-Klassiker ist vieles, eine Fabel über die menschliche Gier, eine Abhandlung über Schuld und Sühne, ein Bericht über ein soziales Experiment, und ja, auch eine Komödie.
Aber, mit Verlaub, Herr Regisseur, keine der Art „ich lass meine Protagonisten am Anfang möglichst dämlich aussehen, da kommt der Spaß von ganz alleine“. Wenn man so gründlich falsch abbiegt wie vor der Pause, findet man im Normalfall den Weg nicht mehr zurück in eine dem Stück, dem Autor und auch dem Hause angemessene theatrale Form, da mögen sich einzelne Darsteller noch so abstrampeln, Herr Regisseur, es bleibt verhunzt und wird nicht mehr originell.
Weiter geht es hier:
Ritter der Obstschale als 2tbeste Lösung
Gundermann: Alle oder keiner
Eine Revue über Helden, Gras und Kohle von Tom Kühnel
Premiere am Staatsschauspiel Dresden am 9. Oktober 2020
„Alle Stücke, die ich schreiben wollte, macht schon der Tom …“ ist als beim Meister entliehenes Eingangs-Zitat in diesem Falle durchaus angebracht, in aller Unbescheidenheit, weil es im Falle der Teichelmauke um genau ein Stück geht, das jener immer schon mal zu Papier bringen wollte und das nun Tom Kühnel vor ihm getan hat.
Mit Bravour, soviel sei vorweggeschickt, und aus meinen hochfliegenden Plänen wäre eh nix geworden, vermutlich, und ich tröste mich nun unter anderem damit, daß auch Profis des Genres die Relevanz von Gundermann für die Theaterbühne erkannt haben.
Meister ist übrigens die Bezeichnung, die wir im Freundeskreis schon seit Jahren für den Gundermann verwenden, und daraus wird zum einen meine Befangenheit in dieser Sache ersichtlich, aber auch die Prägung durch ein inzwischen sechzigsemestriges Studium der Gundermannistik, das leider nur in den ersten Jahren einen starken Praxisbezug aufwies. Will sagen, in Sachen Gundermann macht mir so schnell niemand etwas vor, ich bin aber auch fix beleidigt, wenn etwas nicht meiner Meinung davon entspricht, wie man den Gundermann heute vorstellen muss. So war ich mit dem Spielfilm „Gundermann“ von Andreas Dresen nur halbwegs glücklich, die danach erschienene Doku „Gundermann Revier“ von Grit Lemke schätze ich hingegen sehr. Mit dem halben Dutzend Bands, die sich um den Nachlass von Gundermann verdient machen, von „Die Seilschaft“ über die „Randgruppencombo“ bis hin zu Christian Haase werde ich sehr unterschiedlich warm, aber das tut hier nichts zur Sache und trägt nur zum imaginären Zeilenhonorar bei.
Tom Kühnel ist da vermutlich emotional weniger vorbelastet, und das tat seiner Revue durchaus gut. Mit den musikalischen Leitern Matthias Trippner und Jan Stolterfoht inszenierte er die Gundermann-Stücke in nahezu jeder denkbaren Stilrichtung vom Nina-Hagen-Quietschgesang über einen wirklich guten Blues und über Belcanto bis zum Death Metal, zumeist gelungen und in der Regel auch kongenial interpretiert – von den üblichen Verdächtigen Henriette Hölzel, Jannik Hinsch und Thomas Eisen hatte man das erwartet, positiv zu überraschen wusste auch Betty Freudenberg.
Eine Revue wird naturgemäß weniger von der Handlung getragen, dennoch orientierte man sich biographisch und schilderte Leben und Wirken des Gundermann fast chronologisch. Das hatte durchaus seinen Reiz, auch wenn dem einschlägig Gebildeten manche Szenen aus Film und Doku sehr bekannt vorkamen. Die 1:1 – Übertragung auf die Bühne war sicher nicht die beste Idee des Abends, auch nicht die Playback-Variante von Interview-Sequenzen aus dem sozialistischen Alltag von damals, die nach der ersten Erheiterung schnell ermüdete.
Der Gundermann trat hier in Versechsfachung auf, jeweils mit dem bekannten Fleischerhemd, strähnigen blonden Haaren (Kompliment an die Maske) und Gitarre vor den Hosenträgern, was die spielerische Last gut verteilte, aber neben ihm auch keine andere Figur zuließ, von einigen kurzen Spielszenen mit Ehefrau, früherem Führungsoffizier und damals Bespitzelten abgesehen. Das wiederholte Selbstgespräch zu sechst war da später unausweichlich, und neben einigen Längen, die der Zuschauer durchlitt, trug dies dann doch zur Wahrheitsfindung bei. Zunächst stand man klampfenbewehrt sehr frontal und statisch an der Bühnenkante, auch die Musiker klangen anfangs sehr nach Ostrock, aber es kam danach mit dem Einrollen von dampfenden Kühltürmen in den Bühnenhintergrund Bewegung in die Szenerie, auch musikalisch.
Visuell wurde einiges geboten, eine Filmszene etwa, die mit einer alten Sorbin begann, die den Verlust der eigenen Sprache und des Lebensraums beklagte und dann mit einem weiten Schwenk von oben über die Tagebaukante in eine Mond- und Kraterlandschaft wechselte. Später dann noch die Sprengung eines Großgerätes, das nicht mehr benötigt wurde, sinnigerweise mehrmals vorwärts und rückwärts gezeigt, als ob sich so die Löcher im Himmel wieder schließen könnten. Manchmal zerfaserte das Stück ein wenig zwischen den verschiedenen Stilmitteln, einiges wurde schlicht verkaspert. Die Kenntnis des Gundermann im Allgemeinen und des Dresen-Films über ihn im Besonderen ist in jedem Falle ein Vorteil für den Zuschauer, aber auch, wenn für einen der Gundermann vor allem eine Heilpflanze ist (soweit das in hiesigen Breiten möglich ist), kann man dem Stück sicher vieles abgewinnen.
Eine besonders gute Idee der Inszenierung, die mir nur anfangs etwas seltsam vorkam, war der abrupte Wechsel zwischen der rentnerfarbenen DDR-Tristesse in eine quietschbunte Werbewelt im Beitrittsgebiet. Krach, bumm, neues Leben! In schneller Folge blätterten dann Motive einschlägig bekannter Reklame auf, die den raschen Fortgang der Gundermann-Geschichte nach der Wende, vor allem seine Enttarnung als Stasi-IM, illustrierten. Hello Barbie, tell me aus der Akte … mit der Krönung arbeitet es sich auch leichter auf, selbst wenn in der Bärenmarke-Milchkanne nur ein Täterdokument zu finden ist. Dieser respektlose Rückblick auf die Jahre 90/91 wird nicht jedem Gralshüter gefallen, aber so skurril war das eben manchmal, zumindest in meiner Erinnerung.
Danach fuhr die Drehbühne rückwärts, und in der Fototapetenwelt erkannte man die Banalität des Blöden, die Bühne machte übrigens Jan Pappelbaum.
Zuvor war allerdings noch der intellektuelle Höhepunkt des Stücks zu bestaunen: Die raffinierte Verknüpfung von Christoph Heins „Ritter der Tafelrunde“ mit den Mühen des Gundermann in der Runde der Parteifunktionäre. Das Lancelot-Thema hatte Gundermann ja bereits in seiner ersten, 1988 bei AMIGA erschienenen LP „Männer, Frauen und Maschinen“ verarbeitet, und ob es damals schon irgendwelche Verbindungen gab, kann nur Herr Hein beantworten, aber es war frappierend, wie mühelos sich Heins literarischer Text durch die Sprechblasen der führenden Genossen ersetzen ließ. Ob nun an den Gral oder die hist. Miss. d. AK zu glauben ist, erschien egal, Zweifel war überall Verrat. Allein für diese Viertelstunde hätte sich der Abend schon gelohnt.
Wenn man bei Höhepunkten bleiben will: Emotional setzte diesen Betty Freudenberg mit der Interpretation des inzwischen legendär gewordenen Konzertbeginns in Berlin, als Gundermann seine IM-Tätigkeit bekundete, und des nicht minder bewegenden „Hier bin ich geborn“ im Anschluss.
Auf der anderen Seite der Skala für mich die Nachspielung der klassischen Talkshow-Situation zum Thema „Kumpelschutz oder Naturschutz“, die sich in der Darstellung der bekannten Positionen im Wortsinne erschöpfte. Daß die Schauspieler dabei als Insekten kostümiert waren (das immerhin beeindruckend von Leonie Falke umgesetzt), konnten sich vermutlich nicht alle im Publikum erklären, dafür kam der vorhergehende Verweis auf die Ansicht des Gundermann, Insekten wären für das Leben auf diesem Planeten inzwischen deutlich besser geeignet, ein wenig zu kurz. In einer 90 min – Version des Stücks, die ich für sinnvoll halte, hätte diese Szene keinen Platz mehr für mich.
Das oben schon erwähnte Erstlingswerk von Gundermann hält noch so viel relevantes Material bereit … folgerichtig kam auch fast alles davon zur Aufführung. Manchmal als Teil eines Nummernprogramms, okay, es war eine Revue, manchmal aber auch eingebettet in eine kontextuale Handlung.
Zum Ende hin wurde es dann doch wieder zum Nummernprogramm an der Bühnenkante, vielleicht sollte sich ein Kreis schließen. Aber der schloss sich so unauffällig, daß dann auf einmal Schluss war, während das Publikum weiter im letzten Lied schwelgte. Da sollte dramaturgisch noch nachgeschliffen werden, denn diese Irritation am Ende hat das Stück nicht verdient.
Insgesamt wurde aus der „Sammeltasse Glück“ reichlich zurückgeschüttet ins Publikum, zu anderen Zeiten wäre sicher ein Beifallsorkan durchs Haus gebraust. So machte der Applaus zumindest an Länge wett, was er an Stärke nicht haben konnte, und dies womit? Mit Recht.
Es war ein schöner, wichtiger und wertvoller Beitrag zur Einordnung des ostdeutschen Rockliedermachers ausm Tagebau. Daß Gundermanns Spätwerk im Ganzen ein wenig zu kurz kam, war dabei unvermeidlich, in einer gut zweistündigen Aufführung lässt sich auch unmöglich das gesamte Schaffen unterbringen. Kühnel hat sich für wichtige Ausschnitte entschieden, das ist gut so und lässt auch noch Raum für weitere Versuche (wenn auch nicht von mir).
Das Gesamtphänomen Gundermann kann ohnehin nicht mit einem einzigen Film, einem Konzert oder einem Theaterstück beschrieben werden. Aber alle liefern ein paar Steine zum Mosaik eines viel zu früh Gestorbenen, für den das Bild der „Kerze, die an beiden Enden brennt“, wohl erfunden worden ist.
[Hinweis: Eine gekürzte Fassung dieses Textes wird auch auf dem allgemein sehr zu empfehlenden Portal KULTURA-EXTRA https://www.kultura-extra.de/index.php zu lesen sein.]
Die Leipziger Not-Oper: Hamsterradio goes Punk
Wie immer seinem Bildungsauftrag auf coloRadio.org folgend, informiert Teichelmauke aus aktuellem Anlaß über das Musikgenre „Punk“ und erklärt, warum man am Bass höchstens den Bierkasten tragen darf, aber keine Verantwortung.
https://www.dropbox.com/s/yaocdp432l86akd/Not-Oper.mp3?dl=0
Der kleine und der große Unterschied
Ein paar Tage lang konnte man sich der Illusion hingeben, die Schreck- und Freudenschüsse nach den Wahlen am letzten Mai-Sonntag könnten dazu führen, daß neue Wege eingeschlagen werden, um zu retten, was noch zu retten ist an Zivilisiertheit im Inneren und Ansehen in der Welt, grad im äußersten Osten von Sachsen:
Ein Salon-Nazi mit den meisten Stimmen bei der OB-Wahl in Görlitz, aber sehr weit von einer großmäulig prophezeiten absoluten Mehrheit entfernt und deutlich dahinter ein CDU-Bewerber, der grad mal 30% der Wähler*innen von sich überzeugen konnte und damit fast exakt das Ergebnis des Gegenkandidaten bei der letzten OB-Wahl 2012 erreichte – das Potential der CDU in dieser Region also bestenfalls zur Hälfte ausschöpfte.
Gleich dahinter mit nur 2,4 %-Punkten oder 641 Stimmen weniger eine Bewerberin, die es „trotz“ ihrer grünen Herkunft schaffte, ein breites Bündnis hinter sich zu versammeln, und eine Kandidatin der Linken, deren Anteil von 1.470 Stimmen oder 5,5% im Verhältnis ähnlich desaströs war wie jener der CDU (exakte Zahlen hier: https://www.goerlitz.de/uploads/OB2019_1WG.pdf )
Angesichts der Tatsache, daß die AfD zwar wieder stärkste Kraft in Sachsen geworden war (wenn auch mit deutlich geringerem Stimmenanteil als noch zur Bundestagswahl 2017 und diesen ersten Platz somit nur dank der andauernden Schwäche der CDU bekam) und die nächsten Wahlen schon fast vor der Tür stehen, waren sogar neue Töne zu hören. Selbst der großer politischer Phantasie unverdächtige MP sprach von einer „Vier-Parteien-Koalition“, die es dann eben zu bilden gelte.
Was hätte näher gelegen, als gerade in Görlitz einen ersten Schritt zu gehen und den potentiellen Partnern auch mal etwas anzubieten, wenn man machtpolitisch schon auf dem letzten Loch pfeift (oder in diesem Falle bläst – Herr Ursu ist gelernter Trompeter)?
Aber im Osten nichts Neues – für die CDU bedeutet Zusammenarbeit Unterordnung, auf der Gegenseite wohlgemerkt. So wird aus dem kleinen Unterschied von ein paar hundert Stimmen der große Unterschied der politischen Kultur – die Versorgung eines für den nächsten Landtag ausgesonderten Parteifreundes „im besten Alter“ ist wichtiger als ein Modell, daß Sachsen in den nächsten Jahren vor dem Schlimmsten bewahren könnte. (Ob dies von allen in der CDU auch gewollt ist, darf allerdings bezweifelt werden)
Über die Selbstüberschätzung und mangelnde Weitsicht der Linken, die (auch) zu dieser Situation geführt hat, könnte ein eigener Beitrag zu schreiben sein, in dem viel von Traurigkeit die Rede wäre, aber das ist hier nicht das Thema.
Hier geht es um den Krug der Union, der wohl zum letzten Mal zum Wasser ging an der Neiße, bevor er dann im September bricht.
Und so darf der wackere Octavian weiter auf seinen Thron-Anspruch beharren, ohne daß ihn irgendein Augustus in Dresden zurückpfeifen würde – Herr Kretschmer arbeitet sich derweilen lieber am Vergleich von Unvergleichbarem ab und ergänzt seine ohnehin schon beachtliche Stilblütensammlung. Ohne die Größe einer Franziska Schubert, der „Staatsräson“ die eigenen Ambitionen unterzuordnen, hätte man wohl dank der Dimpflichkeit der Sachsen-CDU (eigentlich ein bairischer Fachbegriff, der aber selbst dort nur noch selten zum Einsatz kommen muss, „Bräsigkeit“ ist vermutlich geläufiger) dann in Görlitz den ersten AfD-OB in Deutschland gehabt. Danke, CDU, für gar nichts.
Spannend wird aber, wie sich Herr Kretschmer oder wer auch immer im September dann die sächsische Karre aus dem blaubrauen Dreck ziehen soll, sich die Bildung einer Regierung jenseits der AfD vorstellt. Glaubt er, man müsse nur rufen, damit alle potentiellen Partner die dargebotene Regierungsbeteiligung brav apportieren?
Das kann er tun – Glauben ist Privatsache. Und zugegebenermaßen ist in zwei Fällen der inhaltliche Trieb vermutlich deutlich schwächer ausgeprägt als der institutionelle – man darf davon ausgehen, daß für Ministertitel einige programmatische Großmütter geopfert würden, sofern diese noch lebend aufzufinden sind bei SPD und FDP. Nur werden aus drei Rittern von der traurigen Gestalt noch keine Musketiere.
Da macht offenbar einer die Rechnung ohne den vermeintlich vierten im Bunde – nebenbei gesagt übrigens die einzige Partei, die sich in Sachsen als Sieger fühlen darf nach der Wahl am Sonntag. Alle anderen sind teilweise massiv abgeschmiert im Vergleich zu 2017, https://wahlen.sachsen.de/europawahl-2019-wahlergebnisse-6931.php zu https://wahlen.sachsen.de/bundestagswahl-2017-wahlergebnisse-5073.php – und komme mir niemand mit den vielen Kleinparteien als Grund: deren Konkurrenz betraf alle.
Ein Strippenzieher wie Kretschmer sollte wissen, daß Politik – vornehm ausgedrückt – aus Kompromissen besteht. Und wenn jetzt ein Ursus minimus blind nach dem Honig der Macht tappt, soll er das halt tun (und das hoffentlich nicht auch noch verkacken) – aber um so größer wird der Teil des Bärenfells sein, den die Strategen der CDU abgeben müssen, um ein Regierungsmäntelchen zu schneidern.
PS: Falls jetzt einer bei der CDU anfängt nachzuzählen, welche Ministerien wohl dran glauben müssen nach der Wahl – gerne, ein bißchen Grusel schadet nicht.
Aber es geht in erster Linie um die Programmatik. Da wird manch bittre Träne fließen bei den Verteidigern des „Weiter-So“, des ungehemmten Zukunftsverbrauchs, des Polizeistaats, der autofixierten Verkehrspolitik, der industriellen Landwirtschaft, kurz bei allem, was der CDU und ihren Hintersassen heute lieb und teuer ist. Denen kann man dann nur empfehlen, in Rente zu gehen und nach Görlitz zu ziehen. Soll schön dort sein, an sich.
