Kategorie: Dresden

Wir armen, reichen Toren

Innenansichten einer Theaterproduktion

Vorbemerkung:
Trotz seines Erfolgs hat sich das Konzept „Bürgerbühne“ sicher noch nicht weltweit rumgesprochen, deshalb eine kurze Erklärung. Die Grundidee des Staatsschauspiels Dresden ist, eine professionelle Infrastruktur (Regie, Dramaturgie, Bühne, Technik usw.) projektbezogen für Laiendarsteller zur Verfügung zu stellen und damit Stücke zu inszenieren oder zu entwickeln. Das läuft jetzt erfolgreich in der vierten Saison, es ist (für mich) immer wieder erstaunlich, welch Kreativität und Ausdrucksstärke auch beim „normalen“ Menschen zu Tage gefördert werden kann.
„Ich armer Tor“ ist eine aktuelle Produktion der Bürgerbühne (Premiere am 09.11.12), von derem Entstehungsprozess hier berichtet werden soll.

Rückblende:
Hochsommer 2012, 45 Männer drängeln sich im Foyer Mitte des Kleinen Hauses. Bisher gibt es nur die Idee, auf Basis der Faust-Tragödie (ja, kleiner hammer’s nicht) ein Stück über midlife-Krisen zu machen sowie den Wagemut der Macher. Und offenbar ein großes Interesse der Zielgruppe.
Zu den angesetzten Auswahl-Workshops kommen fast alle. Der Wettbewerb ist hart und heftig, man muss sein Innerstes preisgeben, sonst hat man keine Chance. Ohne einen Seelen-Strip geht es nicht.
Der Trost: „Wir suchen Typen, nicht die Besten.“ Dennoch bin ich dabei.

Das erste Beschnuppern untereinander ist privat, einer hat die gute Idee eines gemeinsamen Video-Abends. Es gibt – Überraschung – Gründgens Faust aus den fünfziger Jahren.

Dann die erste Probe: Locker werden, locker bleiben. Eine große Mannschaft von Profis steht uns gegenüber. Das ist schon mal beeindruckend. Und allein das Bühnenbild von Bernhard würde das Mitspielen lohnen.
Erste Überraschung: Disziplin und Pünktlichkeit sind wichtige Tugenden am Theater. Darüber wacht die Regieassistentin Nane, deren Strenge so gar nicht zu ihrer lieblichen Erscheinung passen will. Zum Glück darf und muss sie das Gretchen geben, so lernen wir auch andere Seiten von ihr kennen.

Es folgt: Viel ausprobieren, Extreme spielen, alles rauslassen, szenische Versuche, biographische Schnipsel aus unseren Interviews. Noch weiß keiner, was daraus wird.
Dann erste Szenenfragmente, viel Spaß dabei. Das könnte passen, das auch, und das eher nicht.

Noch etwas Erstes: Der doppelte Kurzauftritt bei der Saison-Eröffnungsfeier, „Die Faust-Show“, danach geiles Gefühl, ej, wir haben es drauf!
Geprobt wird nun gefühlt täglich, all night long.
Kurz darauf ist auch noch das ZDF bei der Probe, wenn auch nur mit dem Sonntag­vormittag-Programm (ich frag mich ja, wer da guckt). Einer ist der Star, aber alle anderen sind auch im Bild. Schöner Bericht. Noch mehr Flow.

Dann doch die erste Durststrecke. Ewig dasselbe proben, auch wenn man die Szene Scheiße findet. Und dann wird die gestrichen. Die Freude ist zwiespältig, schade um die Mühe.
Ganz langsam zeichnet sich ein Stück ab. Aber es ist noch sooo lang … Der Dramaturg Hajo kommt und kürzt und streicht. Aber immer noch fast zwei Stunden.
Die Szenen verdichten sich, nicht nur zeitlich. Noch einige Rollentausche. Es scheint jetzt zu passen.

Der erste komplette Durchlauf bleibt aber unbefriedigend. Es längt, es hakt überall. Miese Stimmung, in der Garderobe später hat keiner gute Laune. Miriam, die Regisseurin, tröstet, aber wir spüren auch ihre Anspannung.

Foto-Shooting im Casino, so komm ich da auch mal rein. Theater bildet.
Jetzt auch noch ein eigenes Kamerateam, das uns begleitet bis zur Premiere. Egal, wir machen hier unser Ding.

„AMA 1“, Theatersprech, „Alles mit Allem“ heißt das. Im internen Publikum der Intendant. Man merkt es an der Nervosität der Beteiligten. Nur wir Laien nehmen das nicht so wichtig.
Es läuft gut, viel besser als zuvor. Alle stolz. Der Intendant ist zufrieden, lässt er bestellen.
Auswertung: Erst im KH Mitte, dann noch lange in der Kantine. „War schon viel Schönes dabei“ … Im Ernst, alle sind gut drauf, ein Meilenstein ist geschafft. Und wir haben noch viel Zeit …

Aber es beginnen die Mühen der Ebene. Der sichtbare Fortschritt wird kleiner, nun geht es an den Feinschliff, das nervt manchmal. Man hört es auch am Ton.
Die „AMA 2“: Pleiten, Pech und Pannen. Einer fällt von der Leiter, ein anderer stolpert gleich über zwei Mitspieler. Der rechte Schwung ist auch nicht drin.

Die Auswertung dauert diesmal lange, Kantine fällt aus. Jaja, wir wissen, woran es lag. Und jetzt sind die größten Änderungen auch durch, versichert die Dramaturgie.
Wie lautet nochmal der (vorläufige) Schlusssatz des ersten Finales? „Wer’s glaubt, wird selig.“

Dann ist es auf einmal nur noch eine Woche bis zur Premiere.
Die Technik klemmt noch, nicht nur die der Darsteller, sondern auch jene, die von den großen Pulten aus gesteuert wird. Jan, der Musikus, feilt an den Einsätzen. Die Proben sind mühsam, gehen ins Detail. Die Leichtigkeit und Großzügigkeit der ersten Wochen ist dahin. Unter drei Wieder­holungen bleibt keine Szene. Aber man sieht endlich mal, was die anderen so machen, während man in seiner Box hockt. Das tut gut und spornt an.

Es ist x-6, Sonnabend, „erste Hauptprobe“, davor noch ein technischer Durchlauf. Ersterer holpert, aber die Hauptprobe läuft fast optimal. Zur Belohnung gibt es einen freien Abend mit teambildenden Maßnahmen.
Der Sonntag ist probenfrei. Seltsames Gefühl, man wähnt sich nutzlos, keine, die einem sagt, was zu tun ist. Zum Glück geht auch dieser vorbei.

Die letzten fünf Tage verbringen wir de facto in Quarantäne. Vier Stunden Probe vormittags, fünf nachmittags. Da kann ich auch arbeiten gehen.
Wir fühlen uns wie die Nationalmannschaft vor dem Finale, mindestens. Nur das Mannschaftshotel fehlt, die Presse, Waldi und vor allem das Defilee der Spielerfrauen.
Kann man noch intensiver proben? Ja, man kann. Und man kann auch Tage vor der Premiere noch wesentliche Teile ändern. Oder streichen.

Die öffentliche Probe an (x-3) wird zwiespältig empfunden. Die Protagonisten sind größtenteils unzufrieden, hadern mit ihren Fehlern. Aber die Resonanz ist gut, das Publikum – ob nun vom Fach oder nicht – scheint zufrieden.
Am nächsten Morgen fallen nochmal einige Szenen aus dem Stück. Nicht alle sind begeistert. Und auch die Auffassungen in der künstlerischen Leitung sind nicht immer konform. Egal, ab jetzt entscheidet nur die Regisseurin. Wir proben die Änderungen bis zum Erbrechen.
Am Abend der vorletzte Durchlauf. Neuer Bahnrekord. Aber nicht schlecht. Das Stück ist spielbar, das Gefühl haben inzwischen alle. Und für die Tausend Details gibt es ja noch achtundvierzig Stunden.

Der letzte richtige Probentag. Die Liste von Miriam ist erstaunlich lang. Aber plausibel. Da müssen wir wohl nochmal ran.
Am Abend die Generalprobe. Ab 18 Uhr lungern alle in der Kantine und machen sich gegenseitig nervös. Dann aber ein nettes gemeinsames Aufwärmen, kann losgehen.

Am Ende strahlt Miriam. Zu Recht. Es lief – fast – alles bestens, fast schon zu gut. Hoffentlich können wir das Niveau halten.
Zum Abschluss die große Kantinenrunde, es werden immer mehr. Kaum zu glauben, aber selbst an einer recht kleinen Produktion sind über zwanzig Menschen beteiligt.

Der Tag der Premiere ist ruhig. Jeder soll für sich Kraft sammeln. Ab 18 Uhr sehn wir uns in der Kantine.
Noch zwei Stunden bis zum Startschuss, dann rollt die Kugel. Dann ist jeder allein in seiner Box.

Luise Millerowa wird im Pathos ertränkt

Gastspiel des „Prijut Komedianta“ St. Petersburg mit Schillers „Kabale und Liebe“ am 3.11.12 im Kleinen Haus Dresden (im Rahmen der „St. Petersburger Theaterspielzeit“)

Silence is sexy, das geniale Werk der Neubauten begleitet uns das ganze Stück über. Nur am Anfang ist offen, welche Stille gemeint ist.

Maximalbestuhlung im Saal, schwere Parfums und funkelnde Klunkern füllen diesen. Das Gastspiel ist fast ein Heimspiel, warum auch nicht?

Die Szenerie ist in ein Wohn-Tonstudio verlegt, Musiker Miller ist der Inhaber, gestraft mit seiner alt gewordenen Rockerbraut, gesegnet mit dem schönen Töchterlein Luise, auf das neben dem blassen Vorstandsassistenten Wurm auch der Oligarchensohn Ferdinand mehr als nur ein Auge geworfen haben. Nur letzterem gelingt die Eroberung des schönen Fräuleins, was dem Wurm aus den verschiedensten Gründen missfällt. Des (Firmen-) Präsidenten Walters Sohn wird im Hochzeits- und Machtpoker gebraucht.

Diese Translation in die Gegenwart scheint schlüssig, bezieht sich aber leider fast nur auf Bühne und Kostüm. Der durchgängig hohe Ton von Schiller passt einfach nicht mehr zum gewählten Ambiente, auch wenn er um einige zeitgerechte Sätze ergänzt wird. Zumindest mich begleitete das ganze Stück über ein gewisses Unbehagen ob dieser Differenz. Zumal auch noch einige unmotivierte Klamaukszenen dazu kamen, die dann gänzlich für Verwirrung sorgten.

Das Bühnenbild ist an sich eine gute Idee, nicht nur die Scheibe zwischen Studio und Aufnahmeraum gibt viel her. In letzterem findet die Hälfte aller Szenen statt, er ist auch Chefbüro, Managerfechthalle und Schlafgemach der Lady Milford. Nur … er ist weit im Hintergrund und von den vorderen Außenplätzen schlicht nicht einsehbar. Auch die Stimmen sind gedämpft, was allerdings bei den Über- oder besser Seitentiteln keine Rolle spielt. Jene, um auch das zu vermerken, schienen mir ein wenig lieblos erstellt, neben ärgerlichen Rechtschreibfehlern überforderte das Tempo der Einblendungen manchmal den Zuschauer. Auch das Timing war nicht immer glücklich.

Mal was Positives: Die Idee der absichtlich fehlgeleiteten SMS. Welche Scherereien damit verbunden sind, wussten sicher einige im Saal.

Die allgemein bekannte Handlung soll hier nicht nacherzählt werden, nur einige Anmerkungen: Lady Milford (wirklich reizend: Marina Iwanowa) war etwas eindimensional darzustellen, die Geschichte vom armen gefallenen Mädchen kaum glaubhaft. Eine Verführung mit dem Nerv-Klassiker „Je t’aime“ ist sicher nicht das Niveau der Lady, und die sich wie Kaugummi ziehende Szene mit Luise, in welcher die Milford zum Schönenreinengutenwahren bekehrt wird, empfand ich als Bestrafung. Des Zuschauers.

Generell gilt: Solange die Schauspieler (ob nun „Verdient“ oder nicht) in ihren Rollenklischees blieben, konnte man folgen. Sinneswandlungen oder Erkenntnisse nahm man (ich) ihnen aber kaum ab.

Eine Ausnahme vielleicht Ilja Del, dessen Ferdinand in seiner kalten Wut Größe gewann (die er dann aber wieder mit viel Pathos am Ende abzutragen hatte). Polina Tolstun (Luise) fand ich sehr gut in den Anfangsszenen, je dramatischer es wurde, desto mehr flüchtete sie jedoch in Stereotype.

Die Musik bediente sich aus dem reichen Repertoire der Rockklassiker, na gut, nicht überraschend, aber auch nicht störend. Und „Where did you sleep last night“ von Nirvana passt natürlich wie die Faust aufs Auge.

Das Ende ist schnell erzählt: Einige bewegende Bilder, aber auch oft Langeweile in den endlosen Dialogen, vereinzelt auch fast schon Fremdschämen ob der hölzernen Szenen. Die Cola-Vergiftung der Hauptakteure beendet gnädig das Spektakel.

Silence is sexy, yeah. But to much „Pathos“ is very unsexy, daragije Druhsja!

Gundi goes global und bleibt lokal

Ein Gundermann-Gedenkabend am 19.10.12 im Theaterhaus Rudi, Dresden-Mickten

Hütte voll im bluutschen Rudi, schon kurz nach Sieben. Der Gundermann-Freund ist pünktlich und vollzählig angetreten. Der „große“ Saal birst vor Menschen, dass es im großzügigen Souterrain noch eine Bühne gibt, muss sich erst rumsprechen.
Einige Musikschaffende versuchen sich oben wie unten an Gundi’s Werk. Das Ohr bedient sich bei Bedarf aus der Erinnerung, so wird auch das Verhunzte schön. Es wird inbrünstig mitgesungen und es kommt zu ersten Umarmungen. Einige Extremisten vollziehen gar das gefürchtete Mitklatschen.
Global geht Gundi deswegen, weil jetzt auch ein Holländer-Michel zur Gilde der Nachsänger gehört. Nach Schwaben ein weiterer Expansionserfolg. Und auf Russisch und Französisch soll es Gundi auch schon geben. Heute gehört uns Holland, morgen … Ach Quatsch. Blödes Zeilenfüllgebrabbel.
Im Keller werden auch Amateure und Debütanten auf die Bühne gelassen. Einer spielt und singt ähnlich schlecht wie Bob Dylan, wird aber sicher nicht so berühmt, diese Nische ist ja schon besetzt.
Die fast Einzige, die ich auf der Programmliste kenne, ist Barbara Thalheim. Deren Auftritt lässt ein bißchen auf sich warten, aber dann: es beginnt klassisch und wird dann aktueller, bleibt aber gut. Sicher ein schönes Konzert, wenn auch ein bißchen belehrend, was mir dann doch auf den Senkel geht. Ab in den Keller.
Dort darf ich immerhin die Sängerin auf die Wange küssen, als Ersatz-Muserich, traut sich sonst keiner. Nicht nur deshalb scheine ich einen interessanten Auftritt von Judith Reimann verpasst zu haben.
Aber auch der folgende Barde ist hörbar, schade, dass sich nur zehn Leute im geräumigen Keller verlieren. Dann wechselt es zu Betroffenheitslyrik, also wieder nach oben. Frau Thalheim immer noch am Set, nun fast rockig. Klingt gut. War aber schon die Zugabe.
Die Pausenmusik zielgruppengerecht klassischer Ostrock, modern abgemischt, was ihn nicht unbedingt besser macht.
Dann Herr Kondschak aus Tübingen, einer der Priester der Szene. Er hat seine Tochter mitgebracht, was in jeder Hinsicht erfreulich ist. Gott ist eine Frau, hab ich dabei gelernt.
Während der Herr Vater nur gelegentlich an Dieter Birr erinnert, tanzt Tochter Merle sehr schön und singt auch. Inhalt? Naja, … auch dabei, manchmal. Ein vertonter Lebenslauf, nichts Überraschendes. Manchmal aber doch ein bewegender Moment, für den es sich lohnt zu bleiben. Und „Stilles Glück“ ist dann sicher der Höhepunkt des Konzerts. Dann noch Gundi’s „Linda“ mit Geige, leicht verheult geh ich zum Rauchen.
Die Party (ja, werte Herren aus einer bekannten Nachtgaststätte, solche Partys gibt es auch) beginnt mit dem alten Skoda Octavia. Na gut, es ist eher eine Session. Und Platz zum Tanzen ist auch kaum. Aber die Sache nimmt Fahrt auf, als ich weiche (muss morgen früh raus) geht es offenbar erst richtig los. Schön für die Zurückbleibenden.
Im Nachgang: Was ist der heutige Gundi-Fan für einer, so im Durchschnitt? Schwierig, zu heterogen ist diese Gruppe. Ein klassischer Typus davon ist um die Fünfzig, Alt-Ossi, durchaus angekommen im neuen Leben, Mittelschicht, tritt bevorzugt in gemischtgeschlechtlichen Paaren auf, mit dem Hang zur Lagerfeuer- Nostalgie. Weeßte noch? In zehn Jahren werden sie sich erzählen, wer auch schon tot ist.
Aber es gibt auch viele andere.
Der Akademikeranteil und jener der Linken-Mitglieder scheint deutlich überdurchschnittlich zu sein, egal, das sind ja auch Menschen.
Es gibt auch einen Verein namens „Seilschaft“, wusste ich bisher nicht. Die passende Vokabel dazu heißt wohl rührig, zumindest hat jener zum 15. Todestag ein beachtliches Programm in mehreren Städten auf die Beine gestellt. Das Rudi ist zudem mit goldenen Worten des Meisters tapeziert, eine hübsche Idee.
Die Mitglieder des Vereins laufen stolz mit Hostessen-Schildchen rum, die sie als solche kenntlich machen. In den meisten Fällen hätte man das auch so gesehen.
Es ist vermutlich nicht mehr weit bis zur Ersten Gundischen Freikirche, aber warum auch nicht? Es gibt banalere Gründe fürs Glauben.
Ich geb heute kein endgültiges Urteil ab, ein Bericht muss reichen. Bin befangen und ein bißchen gerührt. Die Musik von Gundi fängt auch mich immer wieder ein, und die Party war größtenteils doch unterhaltsam.

Ein langes Stück über das Töten

Titus Andronicus“ von William Shakespeare in der Regie von Jan Klata,

gesehen am 7. Oktober 2012 im Staatsschauspiel Dresden

Heute mal keine Nacherzählung. Das würde den Rahmen sprengen, soviel wie hier gemordet, getötet, vergewaltigt und aufgefressen wird. Ich verweise auf seriöse Quellen. Aber einige Anmerkungen:

1. Das Wagnis, ein Stück in zwei Sprachen mit Schauspielern polnischer und deutscher Zunge zu inszenieren und dabei trotz der naheliegenden historischen Bezüge nicht in die Korrektheitsfalle zu laufen, ist aller Ehren wert. Wegen jener Falle musste es wohl auch ein polnischer Regisseur sein, nein, nicht irgendeiner, sondern DER polnische Regisseur dieser Tage.

2. Wenn man Shakespeares blutigstes Stück heute auf die Bühne bringt, bedarf es neben einer „angemessenen“ Darstellung des zügellosen Mordens auch einer gewissen Distanz dazu, die ohne Ironie nicht herzustellen ist. Dies schien mir absolut gelungen.

3. Man muss nicht jeden Regieeinfall mögen, einige waren auch richtig peinlich. Auf Luftgitarre spielende Goten hätte ich ebenso verzichten können wie auf den prächtigen Ständer des Mohren. Jenen (weißen Schauspieler) schwarz einzufärben, fand ich hingegen lustig, von jeglicher p.c. unbefleckt.

4. Der Einstieg ins Stück mit einem die Särge seiner Söhne hereinschleppenden Titus Michalek (überragend als Vieh und Mensch) und deren ordnungsgemäße Registrierung, Beweinung und Aufbewahrung, unterstützt von einer martialischen Marschmusik aus der Heavy-Ecke, gehört für mich zu den stärksten Anfängen, die ich jemals auf der Bühne gesehen habe (gut, so viel Theatererfahrung hab ich nun auch noch nicht).

5. Die reduzierte Fabel des Stücks, dass aus Siegern schnell Verlierer werden, wenn sie sich von List und Tücke auseinander dividieren lassen, war trotz des Brimboriums klar erkennbar. Titus krönt schlicht den falschen Kaiser, so nimmt das Unheil seinen Lauf. Und letztlich sind an allem ja nur die Frauen schuld, ob nun aktiv oder passiv. Love hurts.

6. Klata findet interessante, für Dresden ungewohnte Formen. Dass das oftmals aufkeimende Entsetzen stets mit einer Parodie konterkariert wird, hält den Zuschauer tränenfrei und das Stück am Laufen.

7. Jener Zuschauer wurde natürlich auch hinreichend gequält. Ob nun Hochfrequenztöne, Lärmterror oder eine ausgewalzte angedeutete Vergewaltigung am vorderen Bühnenrand, man musste schon wissen, worauf man sich einließ. Ein Dutzend Besucher ging vorzeitig von der Fahne, was den ohnehin nur zu einem Drittel gefüllten Saal weiter dezimierte. Klata wird gewusst haben, warum er keine Pause einbaute.

8. Einen, nun ja, Musikschaffenden wie „Fancy“ aus der verdienten Versenkung geholt zu haben, ist auch ein Verdienst des Stücks. Ich persönlich hätte Modern Talking noch passender gefunden, aber die hatten offenbar keine so treffenden Zeilen wie „Slice me nice“.

9. und letztens: Ich prophezeie, das Stück wird in Dresden nicht lange laufen. Trotz aller Modernität „von oben“ ist ein Großteil des Publikums hier sicher nicht gewillt, sich auf extreme Formen von Theater einzulassen. Das ist schade.

Wie das in Wroclaw aussieht, kann ich leider nicht einschätzen.

Also: Ich ging hin und rechnete mit dem Schlimmsten. Ich ging weg und war doch sehr angetan. Relativ gesehen also ein absoluter Treffer. Und auch sonst ein gutes, sehenswertes Stück.

Noch zwanzig Jahr zu arbeiten …

„Die Firma dankt“, UA von Lutz Hübner, in der Regie von Susanne Lietzow gesehen am 22. April 2012 im Staatsschauspiel Dresden

Eine Parabel zwischen alter und neuer Arbeitswelt, sie handelt vom verlorenen Wert von Verdiensten, vom Neu-Erkämpfen-Müssen seiner Position, vom Spielen nach unbekannten Regeln, von den Schmerz-Grenzen erhaltener Demütigungen. Lutz Hübner lässt einen Mittvierziger die „Neuaufstellung“ seiner Firma durchleben und durchleiden. Am Ende muss jener erkennen, dass für ihn kein Platz mehr da ist, den er ohne Selbstaufgabe ausfüllen könnte.

Adam Krusenstern muss warten. Warten im Gästehaus seiner frisch übernommenen Firma, die ihn zu diesem Wochenende einbestellte. Ihn, den letzten verbliebenen Abteilungsleiter, alle anderen wurden vom neuen Management schon entsorgt. Er hat keine Ahnung, was ihn erwartet, Rauswurf, Degradierung oder Beförderung.

Auch die ersten Begegnungen machen ihn nicht klüger. Hier scheinen alle keine Nachnamen zu haben. Kein Zeitplan, keine Tagesordnung, so ein Chaos hat Adam in 20 Jahren Betriebszugehörigkeit noch nicht erlebt. Die Assistentin umschwirrt ihn (oder überwacht sie ihn?), die beißlustige Personaltrainerin gibt abwechselnd den guten und den bösen Bullen, der neue Personalchef bleibt ganz allgemein in seinen Sprechblasen. Alle sind irgendwie unter Spannung. Nur der mutmaßliche Praktikant ist überlocker, Krusenbergs Ratschläge zu Umgangsformen belustigen ihn. Hier prallen Welten aufeinander.

Krusenberg spürt, dass etwas von ihm erwartet wird. Er beruft ein Meeting ein, aber es wird ein Desaster. Schon am Gestühl scheiternd, verhungert er bei seinem Schaulaufen vor einem desinteressierten Kreis. Demütigung durch Ignoranz. Das Auftauchen des jungen Schnösels, den alle wer weiß warum anhimmeln, lässt die Besprechung endgültig platzen. Die Teilnehmer widmen sich wichtigeren Dingen.

Nur der selbstgewisse Schnösel bleibt, versaut erst Adams Anzug und dann endgültig dessen Laune mit seinen Thesen von der modernen Wirtschaft. Erfahrung und Kompetenz sind unwichtig, die Systeme organisieren sich selbst, Produktperfektion ist irrelevant, man muss den Kaufvorgang verkaufen. Krusenstern versinkt im riesigen Sofa und taucht als Marionette wieder auf. Alles ist offensichtlich Scharlatanerie, aber diese kommt an. Doch was sollen facebook-Produkte in einem Stahlwerk? Hat er in seinen 20 Arbeitsjahren wirklich alles falsch gemacht? Ist er verdorben für die schöne neue Firmenwelt?

Die anderen sind inzwischen in Feierlaune. Der vermeintliche Praktikant Sandor ist ein umworbener Shooting-Star der New Economy, der endlich zugesagt hat, den Laden zu übernehmen. Der Aktienkurs steigt.

Die Nutzwertanalyse des frischgebackenen Chefs geht allerdings zu Krusensterns Ungunsten aus. Adam macht den üblichen Deal, Abfindung gegen geräuschlosen Abgang, besser er wird mit ihm gemacht. Mangels Personalakte muss zu seiner Verabschiedung aus seinem Dossier vorgelesen werden. Was man so alles anhäuft in zwanzig Jahren … die wissen wirklich alles.

Es ist Sandors erste selbstverursachte Kündigung, das will er sich aus der Nähe ansehen. Sein strafverschärfendes Mitgefühl und seine These, Krusenberg sei ein Oldtimer, zwar unpraktisch und kaum verwendbar im Alltag, aber sehr faszinierend, lässt jenen die Contenance verlieren. Er hat noch zwanzig Jahre zu arbeiten!

Die folgende Prügelei bleibt einseitig. Sandors geschmeidige Virtualität hat der physisch-archaischen Gewalt aus der Old Economy nichts entgegenzusetzen. Sieg durch K.O. in der ersten Runde.

Dies führte nun eigentlich zum berechtigten fristlosen Rauswurf des Übeltäters, allein Sandor fühlt sich als Warhol-Wiedergänger und erkennt eine prägende Szene aus dessem Leben: Das Valerie-Attentat. So einen könnte er doch gut brauchen? Er trifft eine Management-Entscheidung.

Die Runde ist irritiert, dass Krusenstern nun wieder im Rennen ist. Offenbar verstehen auch sie die Regeln nicht ganz. Aber nach welchen Regeln würfeln die Affen? Der Personalchef hängt seinen Golfpullover in den neuen Wind, die Trainerin nimmt erneut seine Daten auf. War ja alles schon gelöscht.

Mitten im Gespräch entspringt ihr eine flammende Rede über Würde und Selbstachtung. Sie ahnt, dass die Probleme des Krusenstern bald auch die ihren sein werden.

Adam entwickelt seine Strategie zur Würdebewahrung, reicht die innere Kündigung ein und geht auf Sabotagemission am Betriebsklima. Auch übt er schon mal Fiesigkeit am schwächsten Glied der Kette, alles natürlich präzise abgehört von Sandors Spielzeugen. Dennoch will der ihn haben, für die Skeptiker-Rolle ist er die Idealbesetzung.

Schlussszene. Während Sandor von der Old-School-Vorstellung des Krusensternschen Meetings schwärmt und dieses am nächsten Tag mit seinem neuen Team als Retro-Kapitalismus zelebrieren will und die Personaltrainerin plötzlich nicht mehr gebraucht wird („Danke, wir melden uns“), verschwindet der Personalchef vollumfänglich in Krusensterns Gesäß.

Davon unangenehm aufgestoßen, steht Adam die ganze Absurdität der Situation plötzlich klar vor Augen. Was ist die Ermordung eines Mannes gegen dessen Weiterbeschäftigung? Er geht ab, ob er den Personalchef vorher noch ausscheidet, ist nicht zu erkennen. Den Dank, Firma, begehr ich nicht.

Game over.

Wie kommen Menschen mit den immer schnelleren Veränderungen in der Arbeitswelt zurecht? Wie agieren Menschen in Systemen, die sie nicht mehr verstehen? Wie reagieren Menschen auf die Tatsache, dass man sie als nicht mehr brauchbar einschätzt? Wie fühlen Menschen, die heute noch Vollstrecker und morgen schon Aussortierter sind? Wie gehen Menschen mit Macht um?

Alle diese Fragen werden angerissen in Hübners Stück, logisch, dass sie nicht komplett beantwortet werden können. Aber er bereichert damit eine Diskussion über mindestens zwei Zukunftsthemen, nämlich der von Personalchefs gerne so genannten „Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer“ (welche inzwischen bei Mitte Vierzig beginnen) und ganz nebenbei auch zur Relevanz von virtuellen Werten in der Ökonomie. Die Gegenpole Sandor und Krusenstern (alle anderen Figuren sind nur Mittel zum Zweck) repräsentieren die alte und die neue Welt, wobei das Neue nicht unbedingt gut sein muss, nur weil es das Neue ist. Irgendeiner muss den Jungen auch erklären, dass ein Geldschein nicht größer wird, wenn man mit der bekannten I-Geste zwei Finger auf ihm spreizt.

Ich habe zahlreiche nachdenkliche Gesichter nach draußen gehen sehen, unter den meisten waren Krawatten befestigt. Der nächste Tag wird ein Montag sein, da wird Vielen Vieles bekannt vorkommen.

Nach „Frau Müller muss weg“, jener Cash-Cow des Staatsschauspiels, wo es sehr präzise um den vergleichsweise beschränkten Bereich der Schullaufbahnwahl der lieben Kleinen ging, dreht Lutz Hübner jetzt ein größeres Rad, ist dabei aber ebenso genau in den Beobachtungen und hellsichtig in den Prophezeiungen. Man sollte das Stück (auch) auf Aktionärsversammlungen spielen.

Last but not least wie immer die Schauspieler:

Julia Keiling und Annedore Bauer als Gäste standen in den großen Pumps von Ina Piontek und vor allem Christine Hoppe, die die Premiere bestritten hatten. Frau Hoppe (auf deren baldige Wiederkehr sicher neben mir sehr viele hoffen) hatte ihre Personaltrainerin weiter nach vorne in der Wahrnehmung gebracht, Frau Bauer spielte zurückhaltender. Letzteres hilft sicher der Konzentration auf die beiden Antipoden, auch wenn die Ella in ihrer Ahnung, dass auch sie bald zu den Krusensterns gehören wird, eine sehr interessante Figur ist.

Thomas Eisen ist sehr präzise besetzt, eine Rolle wie für ihn gemacht, der er ohne Abstriche gerecht wird.

Christian Clauß in seiner ersten größeren Arbeit (noch als Student begonnen) sehr sehr authentisch, mit jeder Faser das verwöhnte Jüngelchen, dessen Spielzeug immer größer wird, dem man wegen seines wachen Interesses und seiner Begeisterungsfähigkeit aber nicht wirklich böse sein kann.

Der Krusenstern ist eine Figur, bei der man vorsichtig sein muss: Zu viele können da aus eigenem Erleben mitreden. Philipp Lux nimmt sich der Aufgabe in äußerst sensibler Weise an, er zeigt keine Karikatur, keinen Revoluzzer, auch kein Opfer, sondern einen Menschen, der die Welt um sich herum nicht mehr versteht und deshalb zweifelt, ob er noch dazu gehört. Bravo.

Ich las mit Freude, dass das Stück auch in dieser Saison auf dem Spielplan stehen wird. Also noch viel Zeit, um meiner Empfehlung zu folgen: Unbedingt ansehen!

Die Metaphernschlacht im böhmischen Wald

„Die Räuber“, Friedrich Schiller, in der Regie von Sebastian Baumgarten gesehen am 20. April 2012 im Staatsschauspiel Dresden

Aus Schillers Frühwerk wird in der Regie von Sebastian Baumgarten ein Franz-zentriertes, mit zeitgeschichtlichen Metaphern vollgeladenes Schauspiel. In einer grandiosen Bühne kämpfen die ungleichen Brüder um ihre Rolle im Leben und die Gunst des zweifelnden Vaters. Durch die besondere Heraushebung von Franz und Amalia gewinnt Baumgarten einen eigenen Blick auf die Geschichte, der allerdings von einem Zuviel an Bezügen und Zitaten wieder verstellt wird.

Es ist eher eine Opernausstattung, finde ich, Bühne und Kostüme lassen die Herkunft des Inszenierungsteams erahnen. Was ja nicht schlecht sein muss.

Begonnen wird mit einer fulminanten Überraschung: Der sechsfache Hausknecht verwirrt anfangs, bereichert aber dank seiner / ihrer animalischen Beweglichkeit das Bühnenspiel ungemein. Erstes Bravo.

Man kommt recht schnell zur Sache mit Franzens Intrige. Der alte Graf von Moor will den Einflüsterungen seines Zweitgeborenen, den er immer verachtete und ihn das auch spüren ließ (die klassische schwere Kindheit) aber noch nicht recht lauschen, zumal ihm mit der vorlesenden Schwiegertochter in spe Amalia Angenehmeres winkt. Ob man diese nun unbedingt aus „Emmanuelle“ vortragen lassen muss, sei dahingestellt.

Der Graf wurde diesmal von Albrecht Goette vom Blatt gespielt, Dieter Mann war erkrankt. Aber es war dennoch zu sehen, dass die eingeschmolzene Rolle eines (hierfür überqualifizierten) Gaststars nicht bedurft hätte. Die Handlung trugen andere Figuren.

Noch winkt der „böse“ Franz nach seinen Ausbrüchen verlegen ins Publikum. Das soll sich bald ändern.

Szenenwechsel. In einer Leipziger Drill-Station (Warum eigentlich? Hier folgt doch die Ursache der Wirkung?) erhält der „gute“ Karl den verhängnisvollen Brief, der seine Terroristenkarriere begründet. So weit, so plausibel.

Franz umwirbt derweil mit den Mitteln des Schwanensee die treue Amalia, die aber standhaft bleibt. Deren Figur (Sonja Beißwenger voll gefordert in der anspruchsvollen Rolle) ist stark aufgewertet im Stück, sie verkörpert das Reine und Gute und ist damit in der Unterzahl.

Dennoch hat die Welt sich umgedreht, nur ist der erste Platz in Vaters Herzen derzeit nicht vergeben. Karl muss endgültig weg, das ist klar, und doch will Franz es nicht gern selbst getan haben. Der Plan muss nochmal in die Intrigenschmiede.

Franz als armer Tor? Im Spielplan verrutscht? Auch schön, Faust hatten wir lange nicht am Hause.

Gesucht wird nun ein Werkzeug, ein Pferd aus Troja, um des Vaters Herz zu stürmen. Der Zombie Hermann (muss ich wohl nochmal nachlesen) steht bereit. Zwar glaubt der Alte die Geschichte vom heldenhaften Ableben seines gefühlt einzigen Sohnes, mobbt Franz aber weiter. Und am Tode des armen Karl will er nicht schuld gewesen sein, erst recht nicht Franz, der nur mal kurz Hände waschen muss.

Nun hacken fünf Zwerge Holz im Takt zu Melodien aus Winnetou. (Ja, ich weiß, das Bild soll ein anderes sein, aber das hier ist ja mein Bild) Über den seltsamen Auftritt der Nonnen breiten wir den Mantel des Schweigens. Der Räuber, Brandschatzer und GEZ-Betrüger Karl von Moor wandelte sich wohl zwischenzeitlich zum Stülpner Karl oder allgemeinverständlich zum Robin Hood. Dann sind es sieben, die nach getaner Räuberarbeit friedlich das Abendessen einnehmen, kalorienarm und alkoholfrei. Nur ein Schneewittchen fehlt zum Idyll.

Der alte Mordbube Schufterle muss gehen, er passt nicht mehr zum gelifteten Markenauftritt. Allein, es ist zu spät, die Bande ist umzingelt. Karl ist fortan für die Durchhalteparolen zuständig, und da keiner der Genossen den Chef ausliefern will, kommt es bald zum großen Showdown. Aber erstmal ist Pause.

In der Vermutung, einen erholten Zuschauer vorzufinden, lässt Regisseur Baumgarten dann aus allen Rohren Metaphern in die Menge feuern.

Wir ertragen eine Grundsatzrede des Franz mit den üblichen Versatzstücken. Damit man es auch nicht falsch einordnet, gibt es Bilder von brennenden Büchern und Reichstagen dazu. Aha. Die lauwarme Symbolik des 33-45-89 ist ein erstes Buh wert.

Das zweite gibt es für das simple Bild mit Kampftrommeln und Runenschrift, das allein durch Lautstärke imponiert.

Irgendwann in der ersten Halbzeit wurde der Kapitän ausgewechselt, sprich Graf von Moor ging von uns. Ich gestehe, ich hab es nicht mitbekommen. Jedenfalls steigt jener wieder aus der Gruft und verleitet Amalia zu einer seltsamen Sprecharie. Der mit sauteuren Rosen auf der Szene erscheinenden Franz erhält von ihr mit ebenjenen eine ordentliche Tracht Prügel. Dann wird’s aber unappetitlich. Für alles zusammen Buh Nummer Drei.

Zurück im Wald, Karl ist den Häschern wie auch immer mit geringen Verlusten entronnen. Was den böhmischen Recken nicht glückte, gelingt dann aber einem Paterchen mit einer rührenden Geschichte, die Karl verdammt an die eigene erinnert. Spontan beschließt er, gen Franken, nach Hause zu ziehen.

Eh es untergeht: Das Bühnenbild ist eine wundersame Allzweckkonstruktion, die gefühlt ein Dutzend Szenenbilder ermöglicht. Bravo Zwo ist fast zuwenig des Lobes.

Jenes Bühnenbild muss dann auch irgendwie Afrika abbilden. Hm. Das wird schon alles seinen Sinn haben.

Die Wiederbegegnung mit Amalia findet teil-inkognito mit Karl als Großwildjäger statt. Dann gibt es noch eine angedeutete Titanic-Bug-Szene, ist ja grad Jahrestag. Ich ahne, das nimmt kein gutes Ende.

Zumindest für Spiegelberg, den Vize der Räuberkompanie, tritt dies schnell ein. Seine eigene Meuterei überlebt er nicht. Die Kameraden sind treu wie … ich kenn mich da nicht so aus.

Franz hat offenbar auch eine Farm in Afrika. Aber das bekommt ihm nicht, er wird vor Angst fast wahnsinnig und klärt vorsichtshalber seine Beziehung zur Religion. Richtig weiter bringt ihn das nicht, er bringt sich aus Angst vor dem Tode um. Offiziell heißt das „er richtete sich selbst“, in praxi versaut er erst seine Unterwäsche und haucht nachher recht unspektakulär sein Leben aus. Franz Moor hat seine Schuldigkeit getan, er kann vergehen.

In der Folge setzt ein Massensterben ein, das Geschehen wird unübersichtlich. Der Schweizer ist offenbar eher ein Samurai, Amalia leistet ihren Beitrag zum Thema „Sterbehilfe“, einige andere werden auch noch vermisst. Man weiß nicht recht, wer am Ende noch am Leben ist, aber zum Schlussapplaus sind alle wieder da.

Ist das zu albern? Mag sein, aber mit dem Ausflug nach Afrika ging mir die Ernsthaftigkeit flöten, tut mir leid.

Die unfreiwillige Krönung: Der fiese Räuber Namenlos wird zum Geburtshelfer und nimmt das Kindlein der sterbenden Amalia, nun ja, entgegen. Die angedeutete Entbindung der A. verdient den Peinlichkeitspreis 1. Klasse. Am Nabelschnürchen.

Der alte Moor vergeht nicht und lebet ewiglich, lernen wir in der Schlussszene. Sogar mit neuer Amalia. Aber nun kann uns nichts mehr erschüttern. Ende, der Applaus herzlich, aber nicht so üppig wie gewohnt.

Zu zwei Hauptdarstellern ist noch nichts gesagt worden: Matthias Reichwald hat den ihm gelassenen Raum meist genutzt, die Motive von Karl traten aber nicht so klar zutage, wie ich es mir gewünscht hätte. Das ist aber vor allem eine Frage der Regie.

Wolfgang Michalek war unbestritten der Star des Abends, der die Szenerie dominierte. Die Monologe waren grandios, im Spiel mit den anderen blieb er aber seltsam blass. Dennoch eine hervorragende Leistung.

Nein, es war nicht so, dass ich nur „böhmische Wälder“ verstand, wie Amalia so hübsch sagte. Es ist auch nicht so, dass mir das Stück gar nicht gefallen hätte. Ich hatte mir nur mehr versprochen.

„Die Räuber“ sind Allgemeingut am Theater, selbst ich hab schon drei Inszenierungen davon gesehen. Es ist sicher schwer, noch etwas Neues hineinzuinterpretieren. Aber willkürlich die Zeitgeschichte ins Stück zu pressen, reim dich oder ich fress dich, kann es auch nicht sein. Weniger wär hier mehr gewesen.

Übrigens, auch mal interessant: Vergleichende Rezensionsstudien.

Was sonst nur die Presseabteilung für die hauseigene Wandzeitung macht, hab ich für den Privatgebrauch getan (nein, ich hab nicht abgeschrieben oben, höchstens ganz wenig, und wenn überhaupt, dann nicht mit Absicht).

Erfreulicherweise wird unser Viertelprovinz-Theater immer öfter überregional wahrgenommen, und der Name Baumgarten ist stets für einen Skandal gut. Trotzdem gab es außer den drei üblichen Verdächtigen (SächsZ, DNN und nachtkritik.de) bis dato nur eine Besprechung in der Frankfurter Rundschau (wortgleich in der Berliner Zeitung) und eine in der Freien Presse aus Chemnitz, die ich fand.

Einig sind sich alle, ein opulentes Werk gesehen zu haben und finden Begriffe wie Schauspiel- bzw. Ton-, Musik- und Bildergemälde, Gesamtkunstwerk oder Deutschland-Installation. Allerdings werden auch Bezeichnungen wie inszenatorischer Budenzauber, Symbolwald oder Mammutabend verwendet, die das Unbehagen über ein Zuviel an Metaphern ausdrücken.

JedeR RezensentIn ergeht sich in Lobpreisungen von Wolfgang Michalek, hier soll nur die schönste wiederholt werden: „Er ist ein Böser, der in jedem Moment anders böse ist“. Wirklich unbestritten ist das ein Michalek-Abend, dem allerdings zu Gute kommt, dass das Stück von Regie und Dramaturgie konsequent auf Franz Moor ausgerichtet wurde.

Alle anderen Darsteller laufen mit einem respektvollem Abstand ein, auch der sonst hochgeschätzte Matthias Reichwald und Alt- und Gaststar Dieter Mann. Lediglich die FR sieht Sonja Beißwenger als Amalia auf Augenhöhe und erkennt Facetten, die den Kollegen offenbar verborgen blieben.

Das Gesamturteil der Rezensenten liegt dicht beisammen. Einig ist man sich, dass man immer noch einen Schiller sah (was nicht selbstverständlich sein soll), dessen Vorlage dramaturgisch geschickt in Richtung Franz gedreht wurde. Die aktuellen Bezüge waren nicht immer schlüssig, die Menge an Bezügen und Anspielungen drückte die Handlung teilweise beiseite. Gewisse Längen nach der Pause bemerkten drei der Schreiber, mit der Dauer von immerhin drei Stunden waren alle nicht recht glücklich.

Dennoch ging keiner unzufrieden nach Hause, man sah ein interessantes, diskussionswürdiges Stück und zum Teil erstklassige Schauspielerleistungen.

Tja, wenn man also genug Rezensionen nebeneinander legt und noch die eigene laienhafte Meinung hinzu nimmt, kriegt man fast ein objektives Bild, oder?

Egal, ob Objektivität oder qualifizierte Subjektivität: Ich empfehle hinzugehen und sich selbst ein Bild zu machen. Das nächste Mal .. siehe Spielplan. In diesem Theater.