Ein langes Stück über das Töten


Titus Andronicus“ von William Shakespeare in der Regie von Jan Klata,

gesehen am 7. Oktober 2012 im Staatsschauspiel Dresden

Heute mal keine Nacherzählung. Das würde den Rahmen sprengen, soviel wie hier gemordet, getötet, vergewaltigt und aufgefressen wird. Ich verweise auf seriöse Quellen. Aber einige Anmerkungen:

1. Das Wagnis, ein Stück in zwei Sprachen mit Schauspielern polnischer und deutscher Zunge zu inszenieren und dabei trotz der naheliegenden historischen Bezüge nicht in die Korrektheitsfalle zu laufen, ist aller Ehren wert. Wegen jener Falle musste es wohl auch ein polnischer Regisseur sein, nein, nicht irgendeiner, sondern DER polnische Regisseur dieser Tage.

2. Wenn man Shakespeares blutigstes Stück heute auf die Bühne bringt, bedarf es neben einer „angemessenen“ Darstellung des zügellosen Mordens auch einer gewissen Distanz dazu, die ohne Ironie nicht herzustellen ist. Dies schien mir absolut gelungen.

3. Man muss nicht jeden Regieeinfall mögen, einige waren auch richtig peinlich. Auf Luftgitarre spielende Goten hätte ich ebenso verzichten können wie auf den prächtigen Ständer des Mohren. Jenen (weißen Schauspieler) schwarz einzufärben, fand ich hingegen lustig, von jeglicher p.c. unbefleckt.

4. Der Einstieg ins Stück mit einem die Särge seiner Söhne hereinschleppenden Titus Michalek (überragend als Vieh und Mensch) und deren ordnungsgemäße Registrierung, Beweinung und Aufbewahrung, unterstützt von einer martialischen Marschmusik aus der Heavy-Ecke, gehört für mich zu den stärksten Anfängen, die ich jemals auf der Bühne gesehen habe (gut, so viel Theatererfahrung hab ich nun auch noch nicht).

5. Die reduzierte Fabel des Stücks, dass aus Siegern schnell Verlierer werden, wenn sie sich von List und Tücke auseinander dividieren lassen, war trotz des Brimboriums klar erkennbar. Titus krönt schlicht den falschen Kaiser, so nimmt das Unheil seinen Lauf. Und letztlich sind an allem ja nur die Frauen schuld, ob nun aktiv oder passiv. Love hurts.

6. Klata findet interessante, für Dresden ungewohnte Formen. Dass das oftmals aufkeimende Entsetzen stets mit einer Parodie konterkariert wird, hält den Zuschauer tränenfrei und das Stück am Laufen.

7. Jener Zuschauer wurde natürlich auch hinreichend gequält. Ob nun Hochfrequenztöne, Lärmterror oder eine ausgewalzte angedeutete Vergewaltigung am vorderen Bühnenrand, man musste schon wissen, worauf man sich einließ. Ein Dutzend Besucher ging vorzeitig von der Fahne, was den ohnehin nur zu einem Drittel gefüllten Saal weiter dezimierte. Klata wird gewusst haben, warum er keine Pause einbaute.

8. Einen, nun ja, Musikschaffenden wie „Fancy“ aus der verdienten Versenkung geholt zu haben, ist auch ein Verdienst des Stücks. Ich persönlich hätte Modern Talking noch passender gefunden, aber die hatten offenbar keine so treffenden Zeilen wie „Slice me nice“.

9. und letztens: Ich prophezeie, das Stück wird in Dresden nicht lange laufen. Trotz aller Modernität „von oben“ ist ein Großteil des Publikums hier sicher nicht gewillt, sich auf extreme Formen von Theater einzulassen. Das ist schade.

Wie das in Wroclaw aussieht, kann ich leider nicht einschätzen.

Also: Ich ging hin und rechnete mit dem Schlimmsten. Ich ging weg und war doch sehr angetan. Relativ gesehen also ein absoluter Treffer. Und auch sonst ein gutes, sehenswertes Stück.

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