Kategorie: Allgemein

Familienangelegenheiten

„Die Nibelungen“ von Friedrich Hebbel, Regie Sebastian Baumgarten, Premiere am Staatsschauspiel Dresden am 10. Oktober 2015

Eigentlich ist Siegfried schuld an dem ganzen Schlamassel.
Wenn er sich damals, kurz nach der Drachentötung, systemkonform verhalten und Brunhild gefreit hätte, wäre es nie zum großen Schlachten gekommen. Zumindest nicht aus diesem Grund.
Doch Siegfried hat verweigert, was ein paar Folgen später zur Heirat des Königs Gunther Gernegroß mit der Amazone führt. Möglich wird das nur mit zweimaliger Beihilfe des Helden, was diesem erst Gunthers Schwester Kriemhild und dann wegen der Staatsräson den Tod durch Hagen Tronje beschert, als der kleine Schwindel auffliegt.
Aber auch Gunther wird nicht froh mit seiner Gemahlin, und dazu hat er noch seine Schwester verloren. Am Ende schickt jene Liebesgrüße aus Moskau und rottet die gesamte Sippe aus, bevor eine höhere Macht auch Kriemhild vom Spielfeld nimmt.

Das klingt nach Tarantino, ist aber Hebbel und ein sogenanntes Nationalepos. Die Nibelungentreue (besser übersetzt mit „Kadavergehorsam“) ist seitdem sprichwörtlich für etwas, das Geist durch Folgsamkeit ersetzt. Dass die Nazis diese Story aufgriffen, ist dramaturgisch nicht verwunderlich, die Inszenierung erinnert eingangs durch eine Predigt im Riefenstahl-Style daran. Doch Sebastian Baumgarten vermeidet fortan jede Plattitüde und erzählt einfach eine Geschichte.

Oder besser ein Märchen, mit Tarnkappe, einem Wunderschwert, dem unverwundbaren Recken mit Achillesferse zwischen den Schulterblättern und einem sagenhaften Schatz, der hier sinnfällig als goldener Totenkopf erscheint und am Schluss dort ruht, wo der Rhein am tiefsten ist. Siegfried, von Beruf Held, stark, schön und ein bisschen doof, ist trotz seiner Kraft eher ein Gelenkter, König Gunther mangelt es nicht an Schläue, aber an allem anderen, er heiratet über Niveau und stürzt damit seine Familie ins Unglück, Hagen Tronje denkt scharf, aber nur bis zum nächsten Winter. Die nette Schwester Kriemhild wird zur Rachegöttin wider Willen, alle sind gefangen in dem, was sie glauben tun zu müssen.
Das ist nun nicht unbedingt typisch deutsch, Blutrache gibt es in vielen anderen Kulturen auch, und Baumgarten verzichtet zum Glück darauf, mit Zaunpfählen zu winken. Dennoch hat man nie das Gefühl der historischen Beliebigkeit, trotz sparsamer Bezüge zur Gegenwart wähnt man sich immer auch irgendwie im Jetzt.

Und die klassische Deutschlehrer-Frage, was das Stück uns wohl heute zu sagen hätte? Geschenkt. Es wird keine Botschaft verkündet, die Weltenrettung hat heut Pause. Es ist einfach nur gutes Theater, was man hier sieht, auch wenn der Schluss arg eingekürzt wird, der Showdown findet nur im Kopf des Zuschauers statt.

Bühne, Video, Kostüme und Maske sind vom Feinsten, die klug gewählte Musik von Cobra Killer erschreckt vielleicht Teile des Premierenpublikums, ist aber sehr stimmig und wird durch die Bühnenpräsenz noch mehr verstärkt, alles passt, es fügt sich zu einem Gesamtkunstwerk. Großes Bravo erster Klasse.

Ohne die Darsteller wär das alles aber nur die Hälfte wert gewesen, exemplarisch seien hier Rosa Enskat in der Hosenrolle des Hagen, Thomas Eisen als strenger Kaplan und anpassungsfähiger Tschechenfürst, André Kaczmarczyk als kurzbehostes Gewissen der Sippe, Sascha Göpel als kraftstrotzender und kontaktgestörter Siegfried-Siggi sowie als höhere Macht Dietrich von Bern und Christian Erdmann als selbstzweifelnder König Gunther hervorgehoben.
Die Krone gebührt aber zwei Damen: Yohanna Schwertfeger als Kriemhild mit einer in jedem Moment nachvollziehbaren Entwicklung zur Rachegöttin (Chapeau auch für den Auftritt trotz Fußverletzung) und Cathleen Baumann, deren Brunhild ein wundersames Wesen aus dem Wald war, natürlich, unberechenbar, stolz, gefährlich, radikal und dann doch sehr verletzbar. Der Werbel war dann eher eine Zugabe zu dieser großartigen Leistung.

Fazit: Man kann „Die Nibelungen“ auch heute noch machen, wenn man sie so macht. Danke für diesen schönen Theaterabend.

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Der heilige Grieß oder Mit Anand fing Bayern an

Rätselhafte Rituale verständlich erklärt

Obgleich das eher unbekannt sein dürfte, ist Teichelmauke nicht nur ein Freund der selbigen sowie der Oberlausitzer Küche allgemein, sondern auch aller anderen Küchen dieser Welt, was mit seinem Wahlspruch „Egal, Hauptsache viel!“ schön untermalt wird.

In diesem Sommer begab es sich aber, dass er zu mehrwöchigen Feldstudien in ein Gelände im Schatten der Alpen (wenn die Sonne im Süden steht) mit seltsamen Gebräuchen und einer nur schwer verständlichen Landessprache destinierte. Der Ausflug war weder kostenlos noch umsonst, weil es ihm gelang, durch natürliche Begabung und durch Verstärkung seines schafköpfischen Wesens sich in das Vertrauen der Einheimischen zu schleimen. Unter Missbrauch der erlangten Vertrauensstellung wird nun eines der bestgehütetettetsten Geheimnisse dieses Volkes gelüftet.
Gleich – nach der Werbung.

Wohl jede unter uns Völkerkundlerinnen und Brauchtumsforschern hat sich schon einmal gefragt, was der seltsame Begrüßungsruf im Lande der Bayern wohl bedeuten möge. Dagegen ist das Nasen-Petting im hintersten Pazifik vergleichsweise einfach einzuordnen: Man beschnuppert sich halt.
Aber diese bescheidene und gewöhnlich extrem scheue Population, die vor allem südlich der Siemens-Zentrale siedelt (und zu dieser originellerweise „Minga“ sagt, worauf noch zu kommen sein wird) machte seit ihrer Entdeckung und Kartierung durch Alexander v. Humboldt dem Verschiedenen keine Anstalten, ihr süßes Geheimnis gegen ein Fass Glasperlen einzutauschen.
Bis sich Teichelmauke in deren Küche schlich …

Denn das Geheimnis liegt – wie so oft – in der Küche. Wie ein Mops kam T. in selbige, stahl jedoch kein Ei und wurde folglich nicht erschlagen, sondern entdeckte das bayerische Noadzionoalhailigduum: Den Grieß.
Der Grieß – und nicht, wie oft fälschlich vermutet, ein blassgelbliches Erfrischungsgetränk mit seltsamen Schäumen obenauf, die verharmlosend als „Krone“ bezeichnet werden – bestimmt die bairische Untergrundkultur. Der Verzehr von Letzterem wird zwar oftmals zur Ablenkung mediengerecht inszeniert, ganze Potemkinsche Festspiele werden inzwischen zu dessen Huldigung auf die Beine gestellt, doch der echte Bayer schätzt nur eines: Den Grieß.

Und so ist es nicht verwunderlich, dass man sich mit der Lobpreisung dieser Nationalspeise begrüßt, wenn man sich unter seinesgleichen wähnt. Und da der Bayer im Allgemeinen und die Bayerin im Besonderen von ausnehmend höflichem Wesen sind, was sich zugegebenermaßen nicht sofort, auf jeden Fall aber nach dem Konsum einiger der erwähnten Tarn-Getränke erschließt, tituliert er seinen Gegenüber mit dem edelsten Namen, den er zu vergeben hat: Grieß-Gott.
(Vergleichbar ist diese Lobpreisung vielleicht mit „Magnifizenz“ in Volkshochschulkreisen, „Effizienz“ unter Topf-Managern und „Debilenz“ bei Insassen einschlägiger Sanatorien.)

Natürlich lässt sich dieses Gegenüber, wenn er höflich ist, nicht lumpen und bezeichnet seinerseits den Ansprecher ebenfalls als Grieß-Gott. Hat er es mit mehreren zu tun, fügt er gern ein „mit Anand“ hinzu.

Dazu muss man wissen, dass Anand, ein persisch-hinduistischer Königssohn, im dritten Jahrhundert seiner Zeitrechnung mit viel Tagesfreizeit ausgestattet war und deshalb durch Orient und Okzident streifte. Auf einer dieser Reisen verschlug es ihn in das damals Süd-Franken geheißene Land zwischen Staffel- und Starnberger See sowie der Abhörstation Weilheim. Da es an diesem Tage ausnahmsweise nicht regnete, eröffnete er das erste indisch-pakistanische Schnellrestaurant und bot seinen heimischen Grieß an.
In Folge kam es zu herzlichen Begegnungen mit der einheimischen Bevölkerung, die sich am lila Fleisch der hiesigen Vierbeiner längst überfressen hatte und über die kulinarische Abwechslung äußerst erfreut war.
In weiterer Folge wurde Anand zum ersten bairischen König ernannt und mit der bereits erwähnten Dorftrottelwitwe Minga zwangsverheiratet, was bei den mitreisenden 13 Frauen des Prinzen für helle Freude sorgte, da damit die Unglückszahl endlich beseitigt war und man zudem künftig Feldhockey mit zwei kompletten Mannschaften spielen konnte.
(Dass jene Minga nach der Rückkehr Anands von Baiern nach Mumbai auf dem Basar gegen einen weißen Elefanten – mit geringfügigem Massenausgleich – eingetauscht wurde, führte letztlich durch einen Programmierfehler der Raum- Zeit-Maschine „Beta-V 0.1“ zur Erfindung des Amazonas und der gleichnamigen Bewohnerinnen, ist aber eine gänzlich andere Geschichte.)

Anand jedoch blieb ewiglich in den Herzen der Bayern, die seinen Grieß noch heute verehren und „mit Anand“ am glücklichsten sind, weswegen auch der Ratzinger zurücktreten musste.

Also, Wanderer, wenn Dir ein Bayer ein „Grieß-Gott!“ zuwirft, sei dankbar und erwidere also. Und vergiss nicht das „mit Anand!“, wenn der Bayer in der Überzahl ist. Du würdest es sonst bereuen.
Auch suche zu vermeiden, den Grieß betont hochdeutsch auszusprechen (etwa „Grü-hüß“), wie es Zugroaaste (vulgo Bahnreisende) gerne tun. Dies wird gewöhnlich als Gotteslästerung verstanden und mit Volksmusik nicht unter drei Moik bestraft.

PS: Da Teichelmauke noch einige Tage mehr Zeit hat, sich der Völkerkunde zu widmen, wird er sich als nächstes dem hier gebräuchlichen symbolischen Niesen zur Verabschiedung annehmen, das Unkundige gerne als „Pfia’di“ missverstehen.

Ein trojanischer Wallach trabt für die FDP

Ja, ich weiß, so neu ist die Erkenntnis zumindest in politisch interessierten Kreisen in Dresden nicht, spätestens seit dem hoffnungstrunkenen Gruppen-Selfie von Zastrow, Hilbert und einigen Hintersassen in Lohmeyers Hotel ist klar, woher der Wind weht.
Doch da der Wahlkampf sich dem Ende neigt, will ich gerne noch einmal zusammenfassen. Von der Adabei Lara Liqueur abgesehen, hat man am Sonntag die Wahl zwischen Eva-Maria Stange, hinter der (erfreulich geschlossen) die bunte Stadtratsmehrheit steht, und dem derzeitigen Ersten Bürgermeister Dirk Hilbert, den eine parteipolitische Amnesie ereilte, woraufhin er seine FDP-Gesandtschaft in das Amt vergaß und die 14 Jahre Bürgermeisterdienst vermutlich sich selbst zu verdanken glaubt.

Gut, wenn man ehrlich ist, gäbe es Schlimmeres als einen Oberbürgermeister Hilbert. Zum Beispiel einen OB Ulbig, von anderen Vögeln ganz zu schweigen. Die Stadt Dresden und Dirk Hilbert passen vermutlich besser zusammen, als beide es wahrhaben wollen: Gemütlich, ein bisschen langweilig, aber selbstgewiss, meist bräsig, mit einigem Dreck unterm Teppich und vor allem sehr barock (bzw. im Falle Hilbert frühveronkelt). Insofern hätte seine Wahl eine gewisse Logik, wenn es nicht mit Frau Stange eine bessere Alternative gäbe.

Und wenn da nicht einer mit den Hufen scharren würde, den man gottlob im Moment in der vierten politischen Reihe verortet: Holger Zastrow war bis vor einem Dreivierteljahr real der zweite Mann im Freistaate (die Namen der beiden damaligen FDP-Minister sind zu recht schon vergessen) und fiel dann sehr hart auf die Oppositionsbank des Dresdner Stadtrates, wo es gerade so zu einer zusammengeborgten Fraktion gemeinsam mit den dubiosen „Freien Bürgern“ reichte. Seine Phantomschmerzen in Bezug auf seine Bedeutung müssen unerträglich sein, und dafür gibt es auch kein Cannabis auf Krankenschein.

Doch da … es tut sich mit dem neu-unabhängigen Hilbert doch glatt wie damals den Griechen vor Troja eine Chance auf, die Stadt im Handstreich zu erobern (dass die Sache unerfreulich in der Orestie endete, wird ihm keine Warnung sein). So wird der trojanische Wallach gesattelt, ein Unterstützergrüppchen findet sich, dass ihm eine neutrale Stalldecke umhängt, vom oberen Kleingartenzwerg gibt es noch ein Zuckerl, dann trabt er los, der trojanisch-dresdnerische Wallach.
Doch wenn die Menschen in Dresden ihn am 5. Juli per Wahlzettel durchs Stadttor trotten lassen, wird er ihnen schnell blaugelbe Pferdeäppel auf den Rathaushof kacken und alsbald – auch wenn das biologisch nicht denkbar ist – ein Fohlen namens Zastrow werfen, das dann lautstark wiehernd über die städtischen Flure galoppiert.

Und dann wird sich der Wallach in einen störrischen Esel verwandeln und den Stadtratskarren partout nicht ziehen wollen. Ob eine vor die Nase gehängte Möhre dagegen hilft, ist nicht sicher.
Also ersparen wir uns doch die ganze Viecherei und geben unserer Stadt die Chance, sich in den nächsten Jahren mehr als nur verwalten zu lassen. Dazu müssen wir jetzt einfach nur zur Stange halten.

Rocken am Brocken mit Abort

Die Mini-Playback-Show der großen Gefühle

Der Tag der Gespenster

Thälmannstraße 89/3: Nach der Aktion ist vor der Anwerbung

Montag, 15.09.14, Der Funk-Turm

Das anfängliche Klaviergeklimper nervt etwas.
Redakteur Dr. Helmstedt fordert „Mehr Tiefe“, dem kann ich mich anschließen. Vermutlich hat er aber andere Vorstellungen als ich. Etwas wie der Turm soll es werden, nur halt im Radio, kein Lindenstraße im Dederonkittel.
Da müsste man dem Ganzen aber etwas mehr Zeit einräumen, so bleibt es bei Ansätzen. Es geht heute um die Pleiße-Aktion, also das Skelett in der Badewanne vor den Augen des Chemie-Ministers. Jener und sein Gastgeber, Erster Sekretär der Bezirksleitung, erfüllen jedes Klischee.
Dann die Wanne vor dem Parteihaus und eine Protestbriefübergabe, sirenenumheult. Die Provokateure werden festgenommen, in echt wäre das wohl mit weniger Aufsehen geschehen.
Dass der Genosse Minister dann festlegt, wegen der angegriffenen Gesundheit des Politbüros diesem eine weitere Aufregung zu ersparen, den Vorfall zu vertuschen und die feindlich negativen Kräfte laufenzulassen, wirkt etwas konstruiert, ist aber vermutlich dramaturgisch notwendig.

Kurz nach der heutigen Folge hört man einen Trailer für den abendlichen Radio-Tatort. Vielleicht wäre das ja das bessere Format gewesen.

Mittwoch, 17.09.14, Welche Rolle spielst Du?

Markus kehrt zurück, unversehrt und nach einem kurzen Aufenthalt in der runden Ecke wieder freigelassen. Das erregt neben Johannas Freude auch erstmal deren Argwohn, aber außer dem Versprechen, nichts über die Sache zu erzählen, hat er nichts unterschreiben müssen. Wackelt etwa schon die allmächtige Stasi?

Zwischenzeitlich gibt der Erste Sekretär den Anschiss an Oberstleutnant Bentwisch weiter. Wie konnte das denn passieren, Genosse? Die Lage nicht mehr im Griff? Der Mann von der Sicherheit muss zugeben, dass sein IM in der Umweltgruppe außer Gefecht gesetzt sei, er habe sich in der konspirativen Wohnung mittels Ausrutschen das Bein gebrochen. Auch dies ein kleiner Treppenwitz der Geschichte.
Zur Wiedergutmachung bietet Bentwisch an, Johanna, die Freundin des Rädelsführers Markus und Banknachbarin seines Sohnes Jens, nun besonders ins Auge zu fassen, mit den üblichen Methoden. Die Geschichte gewinnt anscheinend an Dramatik.

Parallel lanciert MDR Figaro nun eine weitere mediale Begleitgabe zur Serie, diesmal sogar interaktiv: Ein Fragebogen, mit dem man seine Rolle in der Serie bestimmen kann. Stasi oder Widerstand, West-Redakteur oder Mitläufer?
Das ist ganz witzig, solange man es nicht zu ernst nimmt und drauf achtet, dass sich alle Fragen auf die Wendezeit beziehen und nicht auf die Gegenwart.
(Ich selber wäre übrigens eine Mischung aus Johanna, Schuldirektor und Markus, was mir nicht unplausibel ist)

Freitag, 19.09., Die Versuchung der Hl. Johanna

Es plätschert dahin, findet Redakteur Helmstedt, ein Knüller wäre gut, vielleicht eine Enthüllung … Der Klarname des IM in der Umweltgruppe scheint das Gewünschte zu sein, ist es aber dann doch nicht, da dessen Träger inzwischen im selben Funkhaus in höheren Etagen wirkt. Hübsche Idee, für mich der Höhepunkt bisher.

Johanna wird derweil zum Direktor gerufen, eigentlich eher zu dessen Besucher, der die Jugendfreundin mit der Notwendigkeit bekannt macht, für ein Medizinstudium nicht nur fachlich, sondern auch moralisch geeignet zu sein, woran in Johannas Falle wegen ihres Umgangs erheblich zu zweifeln wäre.
Den Gegenbeweis könne sie antreten, in dem sie künftig ein paar Berichte fertige, nichts Schlimmes, nur was man in der Gruppe „Initiative Grün“ (blöder Name übrigens) so vorhabe …
Formatbedingt fällt die Anwerbung sehr kurz aus, nach drei Minuten wird Johanna eine Telefonnummer in die Hand gedrückt, mit der Aufforderung, sich alsbald zu melden.

Dr. Helmstedt kann sich zwar nicht vorstellen, dass die Heldin darauf eingehen könnte, aber Bentwisch weiß es besser. Außerdem ist letztlich er der Herr der Geschichte.

Eine instrumentale Fassung von Karussells „Als ich fortging“ schließt sich an die heutige Folge an, das ist hübsch ausgesucht.

Der Mörder ist immer der Fremde

„Wir sind keine Barbaren!“ von Philipp Löhle, Regie Barbara Bürk, Premiere am Staatsschauspiel Dresden am 13. September 2014


Barbara Bürk hat das Ganze zu einer runden Sache zusammengefügt, vor allem gelingt es ihr, die Kurve vom boulevardesken Start zu den sich am Ende im Fünf-Minuten-Takt ändernden Extremkonstellationen zu bekommen, ohne Verwirrung zu stiften. In seiner Überspitzung ist dies alles andere als ein leicht zu inszenierender Stoff, die Versuchung des schlichten Agitproptheaters ist latent vorhanden, doch zum Glück gibt Barbara Bürk ihr nicht nach.
Man nimmt mehr Fragen als Antworten mit nach Hause, und so soll es doch auch sein.

http://www.livekritik.de/kultura-extra/theater/spezial/premierenkritik_wirsindkeinebarbaren_staatsschauspieldresden.php

Thälmannstraße 89/2: Sie entwickelt sich, die Geschichte.

Mittwoch, 10.09., Ein Skelett für den Minister

Alles wirkt diesmal ein wenig konstruiert, klischeehaft und im (formatgerechten) Schnelldurchlauf. Das fängt mit den Trabi-Klängen an, geht weiter in der Szene im Kirchenkeller, die anfangs wie ein FDJ-Lehrjahr anmutet, dann aber plitzplatz in eine heftige Auseinandersetzung über die Formen des Protestes mündet und in einem klassischen Stellvertreter-Konflikt in der Redaktion zwischen westlicher Revolutionsromantik und nicht verarbeiteten Wende-Komplexen Ost gipfelt.
Bisschen viel auf einmal, wobei die beiden Handlungsebenen auf jeden Fall eine gute Idee sind.

Markus, der Rivale von Jens, wird ins Geschehen eingeführt, er nimmt Johanna mit zu besagtem Treffen der Umweltgruppe und schert dann aber mit seiner kühnen Idee für eine Aktion aus der Gruppe aus. Welches Mädchen sich ihm anschließt, lässt sich anhand der Stimmen nicht klären, es wird wohl plot-gerecht Johanna sein.

Dass die Geschichte schon nach dem ersten Teil umfänglich anmoderiert und erklärt werden muss, weist auf das Problem der übergroßen Stofffülle für das verwendete Format hin. Aber vielleicht sind das nur die Anfangsschwierigkeiten.
Immerhin wird das Projekt im Netz umfangreich und lesenswert begleitet, da kann man einiges nachlesen.

Freitag, 12.09., Bei Stasis zu Hause

Diesmal ein Familienidyll made in GDR, die Familie Bentwisch versammelt sich vor dem Fernseher und lauscht dem montäglichen Karl-Eduard. Der Genosse Oberstleutnant des MfS hat auch am heimischen Herd die Hosen an, seine Gattin ist allenfalls als Echo zu hören. Aber als der Vater den Junior als Spitzel gegen die frisch bestallte neue Klassenlehrerin Frau Wagner gewinnen will, deren Offenheit im Unterricht ihm so gar nicht behagt, täuscht jener Mathe-Hausaufgaben vor und zieht sich zurück.
Dass Autor Bentwisch danach in der Rahmenhandlung einen Flashback erleidet und das Lied der Tschekisten anstimmt, erschließt sich nicht so ganz. Immerhin bietet Redakteur Dr. Helmstedt mitfühlend Wasser an und beweist damit soziale Kompetenz.

Erste Zwischenbilanz:

Im Schach würde man sagen, die Eröffnung ist vollzogen, nun geht es ins Mittelspiel. Die Figuren sind nun alle auf dem Feld, die Züge waren nicht sehr überraschend, aber immerhin hat man eine interessante Konstellation auf dem Brett.
Oder mal Klartext: Am besten gefällt mir immer noch die Idee der zwei Ebenen, Redaktion heute, reales Leben damals. Das bietet noch sehr viele Möglichkeiten (bis hin zur dramaturgischen Korrektur des Geschehens).
Die handelnden Personen entstammen klaren Typisierungen, angesichts der Kürze des Formats ist die Handlung zum Galopp gezwungen und wird damit oft arg schematisch. Mal sehen, ob es in der nächsten Woche mehr in die Tiefe geht. Aber hörenswert ist es bislang allemal.

Küssen verboten

„Dear Moldova, can we kiss just a little bit?“ vom Teatru Spalatorie Chisinau, Erarbeitung Nicoleta Esinencu und Regie Jessica Glause, gesehen im Rahmen des Bürgerbühnenfestivals in Dresden am 23. Mai 2014

 

 Alltag in Moldawien, man sitzt in der Küche und schnippelt den Borschtsch zurecht. Doch berichtet wird dabei von etwas in diesem Land sehr Außergewöhnlichem: Dem offenen Umgang mit der Homosexualität, sei es der eigenen, der des Kindes oder derer der Mutter. In dem kleinen Land zwischen Rumänien und Russland ist das ein Un-Thema, dessen Erwähnung wenn schon nicht Aggressionen, so zumindest Ablehnung oder im besten Falle Totschweigen nach sich zieht. „Schwuchtel“ hat sich als gängiger Begriff etabliert, und wer von der Polizei mit seinem Partner im Auto überrascht wird, kann froh sein, wenn er nur sein Geld abliefern muss, um ungeschoren davonzukommen. Zwar gibt es in Moldawien nicht jene irrwitzigen Gesetze wie in Russland oder in islamischen Staaten, aber die Gesellschaft scheint nahezu geschlossen in ihrer Ablehnung dieser „Anomalie“ und wird von den (orthodoxen) Kirchen darin bestärkt.

 In einer solchen Atmosphäre eine dokumentarische Theaterarbeit über und mit Homosexuellen und deren Angehörigen zu fertigen und diese dann auf eine Bühne zu stellen, verlangt nach einer Art von Mut, den man hierzulande wohl kaum mehr aufbringen muss, nicht in der Kunst und nicht anderswo. Nicoleta Esinencu hat das Wagnis auf sich genommen, sie hat aus intensiven Interviews mit Betroffenen, die sie über ein Beratungszentrum zur Homosexualität kennenlernte, einen Text geformt, den Jessica Glause dann inszenierte und im Teatru Spalatorie in Chisinau inzwischen mehr als fünfzehnmal aufführte. In den moldawischen Medien sei das Echo verhalten, so hörte man nachher, wenn das Stück nicht gar skandalisiert wurde, doch die Publikumsreaktionen seien sehr positiv, bei vielen Zuschauern wäre ein Prozess des Umdenkens angestoßen worden oder sie seien vielleicht auch erstmal nur zu einer vorurteilsfreien Auseinandersetzung mit dem Thema angeregt worden.

 Dass dies gelungen ist, mag man gerne glauben, denn das Stück verzichtet auf jegliche vordergründige Plakativität und lässt einfach die Menschen erzählen, von sich und von den anderen. Da steht ein äußerst charmanter älterer Schwuler auf der Bühne und spielt und singt über sein Leben, nebenher kocht er auch noch den Borschtsch. Ein Junge berichtet von seiner Mutter, die sich aus ihrer Ehe löste, um mit ihrer Freundin zusammenzuleben, und was sie dabei zu erleiden hatte und hat. Ein junger Mann (der einzige „richtige“ Schauspieler im Kreis der Laien) spricht von seinem Coming-Out, schwierig für sich und noch mehr für seine Familie. Ein Mädchen schildert ihren verwirrenden Weg bis zur Erkenntnis, dass sie Frauen liebe. Doch am anrührendsten ist für mich das Elternpaar, das die Geschichte seines homosexuellen Sohns und des langen Prozesses bis zum Begreifen, Annehmen und Akzeptieren dieser Wahrheit erzählt und dabei auch wunderbar selbstironisch miteinander spielt.

 Es ist ein unglaublich warmherziger, menschlicher Abend, man möchte alle auf der Bühne umarmen für ihren Mut und ihre Leistung, die unabhängig vom Thema unbedingt sehenswert ist. Das wird niemals peinlich oder gleitet in ein Betroffenheitstheater ab, die Botschaften werden unprätentiös und damit umso wirkungsvoller gebracht.

Am Ende versammelt sich die Gruppe zum Essen am Tisch, im Hintergrund läuft das Video einer traditionellen moldawischen Hochzeitszeremonie, die Protagonisten sind Männer. Doch bis dahin dürfte es noch ein weiter Weg sein, bislang ist Küssen verboten für gleichgeschlechtliche Paare in der Öffentlichkeit. Aber der Weg besteht aus vielen Schritten, und einen großen davon geht dieses Stück.

Es bleibt zu hoffen, dass es auch in Moldawien weiter die Resonanz findet, die es verdient, und damit zu einem Wandel des gesellschaftlichen Klimas beiträgt. Was kann Theater Besseres leisten?

 In Dresden – wie auch beim Theaterfestival „radikal jung“ unlängst in München – schlug den Macherinnen und Darstellern eine Woge der Sympathie entgegen, die auch beim anschließenden Publikumsgespräch nicht abebbte. Auch dies war ein großartiger Beitrag zum Bürgerbühnenfestival, und – neben den „letzten Zeugen“ – der gesellschaftlich relevanteste allemal.