Kategorie: Konzerte
Die Seeeds-Gelegenheit
Ein SEEED-Konzert bei den „Filmnächten am Elbufer“ Dresden, 19. Juli 2013
Man könnte auch dies als Zufall bezeichnen. Überraschend bot man mir in der letzten Woche eine Karte für das längst ausverkaufte Konzert an, da hab ich schnell zugegriffen. SEEED waren mir in der Masse der einschlägigen Bands schon oft durch ihren besonderen Bläsersound und ihre gelegentlich grandiosen Texte aufgefallen, ihr Front(?)mann auf Solopfaden nicht minder. Also warum nicht? Und was ist schon Zufall im Leben?
Der Schwarzmarkt vor dem Tor brummt, auch die Wiesen sind bereits gut gefüllt. Wahrscheinlich sitzt man draußen sogar besser, wenn man den Anblick von verschwitzten Herren nicht unbedingt braucht.
Nach dem Einlass wird mir eine Patschehand mit dem Logo eines immer sprungbereiten Radiosenders aufgedrängt, von dessem Programm ich gewöhnlich Pickel kriege. Aber ich verweigere tapfer, meine zwei gesunden Hände reichen für meine Bedürfnisse völlig aus. Als ich später feststelle, dass man sich auf das Pappding auch draufsetzen könnte, ist es zu spät.
An sich hielt ich es für ausreichend, kurz nach sechs im Areal zu sein. Denkste. Ein schäbiger Seeedsplatz in der fast untersten Reihe, das bleibt ein wenig hinter meinen Versprechungen für die später erscheinende charmante Begleitung zurück. Sie wird mir hoffentlich vergeben.
Die „Filmnächte“ sind nicht so meins, zu viel Mainstream, auch wenn die Idee an sich grandios ist. Klar, das im Schnitt zweimalige Auf- und Abbauen pro Saison muss bezahlt werden, und die Top-Acts der deutschen Volksmusikszene wie Unheilig oder PUR kosten auch Geld. Dass die Ärzte und die (Un) Toten Hosen hier die letzten Pflöcke für die Altersvorsorge einschlagen, kann man ihnen nicht verübeln, und auch andere Senioren wie Mark Knopfler dürfen heuer ran.
Das Filmprogramm ist eher UCI-Niveau, also von ergreifender Schlichtheit, aber es gibt Ausreißer nach oben. Und dass das Deutschlandradio Kultur die Vor- und Nachbeschallung verantwortet, sehe ich als Unstetigkeitsstelle, ebenso wie das heutige Konzert. Hoffe ich zumindest.
Das Radio bringt zumindest erstmal gute Musik unters Volk, Mr. Cash mit seinen Spätwerken, „Hurt“ usw., ich fühl mich zuhause. Die „Jump“-Wedel verlieren deutlich an Farbe.
Ich muss übrigens noch gestehen, dass die Überschrift dieses Berichts geklaut ist, aus einem Song der wunderhübschen Dauer-Lolita Anett Louisan, von der ich früher noch begeisterter war, als ich noch glaubte, dass sie ihre Texte selber schriebe.
Es zieht sich trotz der guten Musik, und es füllt sich. Mein Sitzplatz ist inzwischen sichteingeschränkt, vier Mädchen-Po’s hab ich in Augenhöhe, was im Moment unpraktisch ist, die Dame wird mit mir schimpfen. Immerhin sinkt die Sonne und ein Wind kommt auf.
Ich versuche mich an einer Publikumsbeschreibung (nicht –beschimpfung): Im Schnitt fünfundzwanzig plus dreißig minus zehn Jahre alt, erlebnisorientiert, häufig großflächig tätowiert, zum Teil übergewichtig, oft in gemischtgeschlechtlichen Grüppchen auftretend. Viele Dialekte aus den sächsischen Provinzen, was erstmal gar nix zu bedeuten hat.
Ein uncool pünktlicher Beginn, dumpfer Sound, musikalisch unaufregend, trotz des Bläsersets. Es tut einer wie James Brown da vorn. Ist das die Vorband? Zum Glück ja. Das stand zwar nirgendwo, ist aber tröstlich. Hab schon gefürchtet, es wären die Echten.
„Das Paradies ist schöner als Paris“, aha, hätten wir das auch geklärt. Singt lieber englisch, Leute.
An der Brüstung der Brühlschen Terrasse prangt plötzlich ein Plakat: „Alin, willst Du mich heiraten?“ Eine SMS der klassischen Art. Die Antwort der Dame bleibt uns leider verborgen, sie hat wohl kein „Vielleicht“ in dieser Grösse dabei und wir sind ja ohnehin auf derselben Elbseite.
Der Mannschaftsbus des 1. FC Köln passiert uns auf der Carolabrücke, der Sänger macht seine verbalen Peinlichkeiten zumindest teilweise mit zwei hübschen Soulnummern zum Schluss wett. Den Namen der neunköpfigen Kapelle hab ich nicht verstanden, wen es interessiert, der muss halt nachschlagen.
Das liebevolle Transparent ist inzwischen schon wieder eingeholt worden, das Ergebnis steht morgen bestimmt beim Medienpartner BILD.
Übrigens, ich soll schreiben, dass man mit dem hier feilgebotenen Chardonnay Menschen jagen könne. Aber gerne doch.
Zum Bühnenumbau wird ein Schwarzer Vorhang, äh, vorgehängt, wie der Name schon sagt. Das hat Stil.
Das sich dann zeigende Bühnenbild ist der Hammer. Ganz großes Theater. Holzpodeste, drei Ebenen, und alle Musiker korrekt gekleidet. Fein.
Ein fetter Sound läutet ein. Dreizehn Männer und die geballte Kraft der PA. Mit genretypisch abgehakten Bewegungen, aber sonst gut zu Fuß, die Jungs in der ersten Reihe. Hier funktioniert die Troika offenbar, auch die Choreographie.
Vier Bläser, wer hat die schon? Satt, fett, soulig, gut. Es marschiert.
Nach einer halben Stunde ermüdet der immergleiche Erfolgsrythmus allerdings etwas. Zwar ist das Bemühen hörbar, auch andere Grundtakte zu schlagen, doch die zünden nicht ganz so. Es längt ein wenig.
Mit einem geilen Cover (dem mit dem Gewehrmagazin) wird es aber wieder bunter, dann „Dickes B“, da kann nichts schiefgehn. Die Elbe kocht.
Eine Neuvertonung von „Alles Neu“, etwas schaumgebremst. Zum Glück geht man dann zum Original über.
Höhepunkt: vier Trommler kommen hinzu. Jetzt sind es 17 auf der Bühne, wenn auch kein Hippie dabei ist.
„Blingbling“, aus verschiedenen Gründen mein Lieblingsstück, ist perfekt getanzt, nicht nur. Ach ja … Dann ein bisschen Publikumsdressur, das funktioniert natürlich gut hier, in der Ex-DaDaR. Aber es geht sofort in illuminierte Romantik über, alles wieder gut.
Die Choreographie der Trommelstöcke ist beeindruckend. Tanzende Mengen vor und auf er Bühne bis zum vorläufigen Schluss.
Dann die Zugabe, klar, wieder mit den Trommelmännern. Die haben es echt drauf.
Die erste Reihe der Band tänzelt derweil wie die Las Vegas Dream Boys mit was an, alle Achtung.
Und dann „Gute Nacht Dresden“.
Und Guten Morgen Berlin. Du kannst großartig sein. Wenn Du als SEEED daherkommst.
Backstage an Originalschauplätzen
Bis vor kurzem präsentierte Thomas Eisen seine Rock’and’Roll-Erregung „Backstage“ am Staatsschauspiel Dresden. Ein alternder Kurzzeit-Rockstar räsoniert in der Pause seines Konzertes in der tiefsten Provinz über sein Bühnenleben, verpasste Anschlüsse und Gelegenheiten und die Ungerechtigkeit der Welt. Hannelore Koch als späte Rockerbraut und Managerin muss sich das nicht zum ersten Mal anhören, hat aber ihre eigene Sichtweise. Und die Band will eigentlich nur in Ruhe das spärliche Buffet leeren.
http://www.staatsschauspiel-dresden.de/spielplan/archiv/b/backstage/beschreibung/
Was läge näher, als dieses Stück an einem Originalschauplatz aufzuführen?
Das Blue Note in Dresden, jenes El Dorado der gepflegten Nachtunterhaltung, hat schon viele Stars kommen und gehen sehn. Nun kann man einem auch mal hinter der Bühne zuschauen.
http://www.jazzdepartment.com/
Am 27. und 28. November. Mit den besten Empfehlungen der Teichelmauke.
Gundi goes global und bleibt lokal
Ein Gundermann-Gedenkabend am 19.10.12 im Theaterhaus Rudi, Dresden-Mickten
Kettencarussell im Schlachthof
(Anmerkung 25.08.13: Früher hieß der Text anders. Aber da dies auch die Grundkomposition des beliebten Molotow-Cocktails beschrieb, gingen die Klickzahlen auf einmal dank der Suchmaschinen durch die Decke. Deswegen hab ich es geändert, fremde Federn brauch ich nicht)
In Sachsen sollte man vorsichtig sein mit solchen Zeilen.
Kettcar (am 1.3.12 im Schlachthof) war mir bislang nicht als Tanzkapelle bekannt, das muss ich korrigieren. Der Saal hüpft von Anfang an wie bekloppt und hat recht damit. Er ist uebrigens gefüllt nicht nur mit der Mitte der Gesellschaft, sondern auch mit den symphatischen Rändern derselben. Erstaunlich textsicher die Meute, die CD ist doch erst neulich …? Da kann ich nicht mithalten.
Im Falle dieser Combo wäre die Ausgabe von Textheften sinnvoll, so wie das andere Religionsgemeinschaften auch handhaben. So lauscht man der einen Zeile hinterher und verpasst die beiden nächsten, was schade ist, weil die voll ausm Leben sind. Zwar besteht das Leben nicht nur aus Kotze im Haar, aber eben auch.
Zur Nachbereitung bleibt die CD.
Das Licht – um das nicht wieder zu vergessen – passte. Nicht weniger.
Musikalisch? Irgendwo auf dem Weg von Sterne zu Tocotronic. Aber noch nicht weit gekommen, was nicht schlimm ist. Da war eh eine Lücke. Genau dort.
Die Band (irgendwie sehn die gar nicht aus wie Musiker), einheitlich und wohltuend schlicht gewandet, ist keine für die großen Hits, aber für ein konstant hohes, abwechslungsreiches Niveau. Es macht Spass zuzuhören, auch wenn man nicht zum harten Kern gehoert.
Euphorisch ist das Publikum, mit jedem Titel mehr. Nach dem Zugabenblock, der von meinem Favoriten „Am Tisch“ gekroent wird, dann ein effektvoller Abgang, der dann doch nicht endgültig ist: die Mannschaft verlässt einer nach dem anderen die unsinkbare Bühne, der Schlagzeuger geht als Letzter. Da weiß man, wer wirklich die Hosen anhat.
Die Begeisterung ist am Ende beidseitig, die Kapelle ist sichtlich gerührt von der Dresdner Ekstase.
Feines Konzert.
Macht immer was euer Herz euch sagt. Das kann man getrost mit nach Hause nehmen.
Die alte Seltsamkeit
Tocotronic am 31.08.12 in der Reithalle Dresden
Ich erkläre mich gleich am Anfang für befangen. Ich kann über fast alles unparteiisch schreiben, meist von jeglicher Sachkenntnis ungetrübt, aber die Gruppe Tocotronic hab ich fest ins Herz geschlossen. Man sehe mir also diverse Euphorien nach.
Herr v Lowtzow trägt jetzt Dreitagebart und kommt offenbar aus der Sommerfrische, italienische Klamotten, he looks like Elbchaussee, aber das sei ihm gegönnt.
Herr Müller wird immer jünger.
Die Band steht sicher in einer Dreierkette mit Libero (ganz im Gegensatz zu Naahmo am selben Abend) und fängt mit ganz früher an. Schöne alte Welt, und vor der Bühne tanzt sofort eine heftige Jugendbewegung, deren Teil ich nun aber nicht mehr sein möchte.
Korrekterweise wird dann dem Bündnis Dresden Nazifrei ein Lied gewidmet, die Herren kennen sich aus hier.
Das Material wird etwas aktueller, es kommen selten gehörte Stücke zur Aufführung. Das Œuvre der Band lässt sie aus dem Vollen schöpfen, es wären sicher drei gute Konzerte möglich, ohne das sich ein Titel wiederholen würde. Nachteil ist, dass man auf einige liebgewonnene Stücke verzichten muss.
Diesmal ist der Schwerpunkt eher im Anfang und in der Mitte des bisherigen Schaffens, von der noch aktuellen Platte sind nur zwei Titel dabei. Das dämpft die Stimmung aber keineswegs, die ist digital: von Anfang an bis zum Ende bei 100%. Digital ist sowieso besser.
Die Reithalle als Ort des Spektakels wurde recht kurzfristig gewählt, aus sagen wir mal technischen Gründen. Sie ist ausverkauft, was in der Garde vielleicht nicht ganz gelungen wäre. Eine gute Wahl also.
Das Konzert neigt sich dem Ende zu, noch einige harte Nummern, dann mein persönlicher Höhepunkt:
Schon immer bewunderte ich bei den Jungs den Mut zur Länge, auch und gerade auf der Bühne. Ja, man kann auch mal fünf Minuten dieselbe Sequenz spielen, wenn sie denn schön ist. Und schöne Gitarrenteppiche gibt es ja genug, wie bei „17“, einem lang vermissten Art-Rock-Stück zum Ende des offiziellen Teils.
75 min als Set, das ist ordentlich. Die Hemden der Künstler sind schon lange durchgeschwitzt.
Natürlich eine Zugabe. Der „Zweifel“ funktioniert live leider gar nicht, die Stimme von Dirk ist auch schon arg angeschlagen.
Trotzdem noch eine zweite Zugabe, der „Hügel“, Am letzten Sommerferientag, das passt ja wie die Faust aufs Auge.
„Sag alles ab“ beschließt das wirklich schöne Konzert.
Ich gestehe, dass ich mindestens die Hälfte der Texte nicht wirklich verstehe, und behaupte, das geht den allermeisten auch so, auch wenn es nicht jeder zugeben mag. Aber es sind schöne Sprachbilder, und etwas Seltsamkeit kann die Kunst nur erhöhen. Die neue S. , die leider nicht zu hören war, ist zum Glück die alte, die Band bleibt sich treu, auch wenn die bombastischen Arrangements der letzten Platten nicht mehr viel mit der Frühphase zu tun haben.
Toco funktionieren live genauso gut wie als Datenträger, auch wenn ich einige Effekte der Studioaufnahmen auf der Bühne vermisse. Ein kleines Keyboardchen wär da manchmal nicht schlecht. Aber wer sollte das bedienen? Die Jungs haben ja alle Hände voll zu tun.
Thielemann kommt? Mag sein. Aber Tocotronic waren schon da.
Hier noch für Kenner die Setlist, bitte sich selbst mit der sonoren Stimme des Bayern 4 Klassik – Ansagers im ARD- Nachtprogramm vorlesen:
Freiburg
Teil einer Jugendbewegung
Viel zu lange
Sie wollen uns erzählen
die Grenzen des guten Geschmacks I
Die Folter endet nie
This Boy is Tocotronic
Mein Ruin
Kapitulation
Aber hier leben, nein danke
Hier kommt der Masterplan
Jackpot
Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit
Let there be rock
Mach es nicht selbst
17
—
Im Zweifel für den Zweifel
Pure Vernunft darf niemals siegen
—
Drüben auf dem Hügel
Sag alles ab
