Die alte Seltsamkeit


Tocotronic am 31.08.12 in der Reithalle Dresden

Ich erkläre mich gleich am Anfang für befangen. Ich kann über fast alles unparteiisch schreiben, meist von jeglicher Sachkenntnis ungetrübt, aber die Gruppe Tocotronic hab ich fest ins Herz geschlossen. Man sehe mir also diverse Euphorien nach.

Herr v Lowtzow trägt jetzt Dreitagebart und kommt offenbar aus der Sommerfrische, italienische Klamotten, he looks like Elbchaussee, aber das sei ihm gegönnt.
Herr Müller wird immer jünger.

Die Band steht sicher in einer Dreierkette mit Libero (ganz im Gegensatz zu Naahmo am selben Abend) und fängt mit ganz früher an. Schöne alte Welt, und vor der Bühne tanzt sofort eine heftige Jugendbewegung, deren Teil ich nun aber nicht mehr sein möchte.

Korrekterweise wird dann dem Bündnis Dresden Nazifrei ein Lied gewidmet, die Herren kennen sich aus hier.

Das Material wird etwas aktueller, es kommen selten gehörte Stücke zur Aufführung. Das Œuvre der Band lässt sie aus dem Vollen schöpfen, es wären sicher drei gute Konzerte möglich, ohne das sich ein Titel wiederholen würde. Nachteil ist, dass man auf einige liebgewonnene Stücke verzichten muss.

Diesmal ist der Schwerpunkt eher im Anfang und in der Mitte des bisherigen Schaffens, von der noch aktuellen Platte sind nur zwei Titel dabei. Das dämpft die Stimmung aber keineswegs, die ist digital: von Anfang an bis zum Ende bei 100%. Digital ist sowieso besser.

Die Reithalle als Ort des Spektakels wurde recht kurzfristig gewählt, aus sagen wir mal technischen Gründen. Sie ist ausverkauft, was in der Garde vielleicht nicht ganz gelungen wäre. Eine gute Wahl also.

Das Konzert neigt sich dem Ende zu, noch einige harte Nummern, dann mein persönlicher Höhepunkt:
Schon immer bewunderte ich bei den Jungs den Mut zur Länge, auch und gerade auf der Bühne. Ja, man kann auch mal fünf Minuten dieselbe Sequenz spielen, wenn sie denn schön ist. Und schöne Gitarrenteppiche gibt es ja genug, wie bei „17“, einem lang vermissten Art-Rock-Stück zum Ende des offiziellen Teils.

75 min als Set, das ist ordentlich. Die Hemden der Künstler sind schon lange durchgeschwitzt.

Natürlich eine Zugabe. Der „Zweifel“ funktioniert live leider gar nicht, die Stimme von Dirk ist auch schon arg angeschlagen.
Trotzdem noch eine zweite Zugabe, der „Hügel“, Am letzten Sommerferientag, das passt ja wie die Faust aufs Auge.
„Sag alles ab“ beschließt das wirklich schöne Konzert.

Ich gestehe, dass ich mindestens die Hälfte der Texte nicht wirklich verstehe, und behaupte, das geht den allermeisten auch so, auch wenn es nicht jeder zugeben mag. Aber es sind schöne Sprachbilder, und etwas Seltsamkeit kann die Kunst nur erhöhen. Die neue S. , die leider nicht zu hören war, ist zum Glück die alte, die Band bleibt sich treu, auch wenn die bombastischen Arrangements der letzten Platten nicht mehr viel mit der Frühphase zu tun haben.

Toco funktionieren live genauso gut wie als Datenträger, auch wenn ich einige Effekte der Studioaufnahmen auf der Bühne vermisse. Ein kleines Keyboardchen wär da manchmal nicht schlecht. Aber wer sollte das bedienen? Die Jungs haben ja alle Hände voll zu tun.

Thielemann kommt? Mag sein. Aber Tocotronic waren schon da.

Hier noch für Kenner die Setlist, bitte sich selbst mit der sonoren Stimme des Bayern 4 Klassik – Ansagers im ARD- Nachtprogramm vorlesen:

Freiburg
Teil einer Jugendbewegung
Viel zu lange
Sie wollen uns erzählen
die Grenzen des guten Geschmacks I
Die Folter endet nie
This Boy is Tocotronic
Mein Ruin
Kapitulation
Aber hier leben, nein danke
Hier kommt der Masterplan
Jackpot
Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit
Let there be rock
Mach es nicht selbst
17

Im Zweifel für den Zweifel
Pure Vernunft darf niemals siegen

Drüben auf dem Hügel
Sag alles ab

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