Der gute Mensch vom Supermarkt


„Meine Kältekammer“ von Joël Pommerat in der Regie von Christoph Werner, gesehen am 28. Februar 2013 im Puppentheater Halle (deutsche Erstaufführung)

 

Nach dem Theaterexperiment nun anderntags das Puppentheater. Soso. Da will wohl einer Bandbreite beweisen.

Ischschwör, es ist Zufall, durch den beruflichen Kalender bedingt. Jener bescherte mir eine Übernachtung in Halle und zu meinem Glück gab es keinen Klassiker am „richtigen“ Theater. Man muss es fast Vorsehung nennen.

 

Puppentheater, na gut. Sicher ganz nett, muss es ja auch geben. Und Minoritäten sind schützenswert, wissen wir ja. Also begibt man sich mit einem wohlwollenden Lächeln ins (überraschend moderne) Haus und kann nachher sicher einen Strich auf seiner Gutmenschenliste machen.

 

Denkste. Richtige Menschen auf der Bühne, neben den Puppen. Ein spannendes, vielseitiges Bühnenbild. Schnelle Szenenwechsel, die wohl nur mit diesem Medium so funktionieren. Eine Story, die mit meinem Begriff vom Puppentheater so gar nichts gemein hat (und im französischen Original auch als Menschentheater aufgeführt wird). Ich bekenne mich mal wieder zu meinen Bildungslücken, gebe aber zugleich die Beseitigung einer solchen bekannt.

 

Das Neben-, besser Miteinanderagieren von Puppen und Menschen ist für mich das eigentliche Faszinosum an diesem Abend. Der magische Moment, wenn man vergisst, ob die handelnde Person von einem Darsteller oder einer Puppe verkörpert wird (bei vielen wechselt das ständig), lässt bei mir nicht lange auf sich warten. Das Medium hat einen neuen Fan gewonnen.

 

Die Handlung ist schnell erzählt: Ein reiches Ekel vererbt aus Boshaftigkeit schon zu Lebzeiten seinen Supermarkt an die Angestellten und verlangt als Gegenleistung, dass sie ihn in einem Theaterstück jährlich lobpreisen. Das Aschenputtel der Runde (Estelle) nimmt sich der Aufgabe an und versucht den Bösen, der unheilbar erkrankt ist, damit zu bessern. Ihre Kollegen kann sie jedoch nur zusammenhalten, in dem sie sich in ihren fiesen Bruder verwandelt und Angst und Schrecken verbreitet. Eine Mischung aus Shin Te und der Heiligen Johanna sozusagen, auf jeden Fall ist jede Menge Brecht dabei.

 

Es ist „schön“ zu sehen, wie die normative Kraft des Faktischen aus der Runde von klassenbewussten Arbeitnehmern nach und nach kleine Kapitalisten macht, die, Zwängen gehorchend, auch schon mal einen Schlachthof abwickeln, damit nicht alles hopps geht. „Man wäre gut, anstatt so roh, doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.“ Brechtscher Hattrick, falls es nicht bemerkt wurde.

 

Eigentum heißt Verantwortung, willkommen in der Realität. Jene verändert die Protagonisten schneller als die es wahrhaben wollen, in unterschiedlichem Tempo allerdings, was immer wieder zu Reibereien in der Runde führt. Demokratie ist ziemlich scheiße in der Wirtschaft, es braucht die harte Hand. Also Estelles bösen Bruder. Business ist a dirty job but somebody must do it.

 

Leider gewinnen nur zwei der sieben Genossen wirklich Kontur: Neben Estelle noch Alain (Lars Frank), der zuerst die Realität erkennt und entsprechend handelt, aber das zumindest noch begründen kann. Alle anderen bleiben vage, ihre Wandlungen werden nur angedeutet, hier wäre mehr drin. Auch der Gag mit dem unverständlich sprechenden Chinesen erschöpft sich irgendwann.

Die für mich völlig überflüssige Nebenhandlung um Estelles prügelnden Ehemann und den angeblichen Kläranlagenarbeiter, der sich als Auftragsmörder entpuppt und als Werbegeschenk den bösen Gatten umlegt, hätte zugunsten der besseren Ausleuchtung von z.B. Blocq oder Claudie durchaus entfallen können.

 

Marie Bretschneider als Estelle kenne ich noch aus ihrer Dresdner Zeit, vor allem aus den grandiosen „Pandabären“. Sie hat die mit Abstand größten Gestaltungsmöglichkeiten und begeistert mich, auch durch ihre Körpersprache (was im Puppentheater natürlich von besonderem Wert ist).

 

Das Ende? Naja, nicht wirklich plausibel. Die Bekehrung des Ekels scheitert, das Theaterstück findet nicht statt, Estelle verschwindet und kehrt nach zehn Jahren wieder. Ihre Ex-KollegInnen haben sich inzwischen vom Besitz befreit und sind wieder Malocher mit oder ohne Job. Dem Weltfrieden hat das nichts gebracht, die Drecksarbeit haben dann halt andere gemacht und den Gewinn daraus eingestrichen.

Estelle verschwindet wieder, geht ins Facility Management (putzt also) und wartet geduldig auf den im Knast gelandeten Befreier.

 

Von meinen inhaltlichen Mäkeleien abgesehen, ein rundum gelungener Abend mit einer Neuentdeckung für mich: Puppen sind auch nur Menschen.

 

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