Speeddating heißt Blitztreffen


[„Blütenträume“, von Lutz Hübner, in der Regie von Thomas Birkmeir, gesehen am 30. Juni 2012 im Staatsschauspiel Dresden (Premiere)]

Die Partnersuch- und Findungsprobleme der Senioren stehen im Mittelpunkt dieses Stücks, das deren Bemühungen viel Komisches abgewinnt, aber auch einige hässliche Seiten beleuchtet. Leider tänzelt die Handlung unentschlossen zwischen diesen Polen und landet schließlich bei einem halbherzigen Happyend. Bedingt empfehlenswert.

Oder vielleicht „Allein machen sie dich ein“? Oder „Rest des Lebens“? Oder „Die Verzweiflung der 40er“? Oder „Jeder stirbt für sich allein“? Oderoder.

Sechs Best Agers versuchen mit Hilfe der Volkshochschule die Wiedereingliederung in den Beziehungsmarkt. Ergänzt werden sie von einem vierzigjährigen Nesthäkchen, das nur zufällig in die Runde geriet und doch die Verlorenste von allen ist. Aber dazu später.

Nach der Frauen- nun die Altenquote, mag man meinen, alles sehr p.c. am Theater. Aber es ist schön, die reife Garde mal gemeinsam auf der Bühne zu sehen, die sich heute – pardon – vielleicht auch selber spielt. Die Ränge sind diesmal (fast) geschlossen, was auch gut für den Auslastungsquotienten sein wird, das Geschehen tobt auf der Vorbühne.

Wieder ein Klassenzimmer voller Erwachsener. Aus einem (55) Plus wird schnell ein Kreuz, wenn man nicht aufpasst. Erste Erkenntnis: Einsamkeit gibt es in jedem Alter. Wer hätt’s gedacht? Das hier ist natürlich (k)eine Selbsthilfegruppe. Junglehrer Jan, gerade mal 40, schlängelt sich mit Phrasen durch die Vorstellungsrunde.

Sechseinhalb Schicksale haben nichts zu verlieren, nichts mehr. Willkommen in der Seminarhölle. Bisschen viele Lacher für meinen Geschmack lenken von der trostlosen Realität ab.

Seine Eigenschaften merkt man nicht selbst, findet der Mechaniker. Oder sind sie weg? Jan kann da nicht helfen, er lehrt vom Blatt. Kalendersprüche beiderseits, der Trainer findet keinen Zugang zum Rentnerhaufen und ist beleidigt.

Weiter in der schwierigen Balance der Komik des Zusammenspiels und des Ernstes der eigenen Lebenssituation. Wer bin ich? Auch hier kann Jan nicht helfen. Sein Appell an den Zusammenhalt der Gruppe („Wir sind EIN Kurs!“) geht ins Leere. Wenig später ist er raus. Sind sie zu hart, bist du zu weich. Adieu, Philipp Lux, du warst großartig als ein hilfloser, unsicherer, frustierter Ex-Schauspieler, der sich durchs Leben schlägt und an seinen Senioren scheitert.

Zweite Halbzeit. Eine gediegene Oberschichtwohnung, Frau Professor (verw.) hat geladen. Irgendwie hat sich der Kurs zusammengerauft und bildet eine beschwingt-beseelte Runde. Nun also doch die Selbsthilfe. I feel good, trotz alledem.

Es wird ein bisschen klamottig, das Balzen ist in jeder Altersstufe für Unbeteiligte peinlich. Das mindert auch die folgenden harten Wahrheiten ab, was schade ist.

Man kann sich selbst niemandem mehr zumuten? Das lachlustige Publikum wird ganz still bei der Schilderung des Alltags mit einem Alzheimer-Patienten. Jeder hier hat seine Macke, seine Ängste.

Ja was fängt man nun mit seinem Leben an? Ich bin erpressbar, weil ich einsam bin. Melodramatik. Aber es stimmt. Sicher.

Und wenn wir alle zusammenziehn? Altenkommune? Jeder für sich und alle zusammen? Aus der Schnapsidee wird (vorerst) Ernst, es kommt zum Schwur. Siebenmal „Ja“, Kuschelgruppe, Euphorie.

Eine interessante Parallele zum kürzlich gelaufenen Kinofilm „Und wenn wir alle zusammenziehn?“ täte sich auf. Doch schade, der Schreiberling hat ihn nicht gesehen, deshalb entfällt dieser Programmpunkt.

Bei der nächsten Sitzung ist die Begeisterung gewichen, trotz der Exposés, die Nesthäkchen Julia (Annedore Bauer bewegend in ihrer Verzweiflung und ihrer Suche nach Zuhause) dabei hat. Zwei gehen von der Fahne, dann Nummer drei und vier, diese allerdings gemeinsam. Die Runde zerfällt. Allein, allein, vor allem Julia, das ärmste Ding von allen, trotz Altersvorteil.

Wenigstens noch ein klassisches Happy-End zu zweit? Bis dahin noch ein wenig Ergriffenheit. Aber dann findet selbst der Mitkommer und Leisetreter die richtigen Worte, die Witwe zu trösten. Pathos im gedimmten Lichte. Und sie gehen einen Kaffee trinken.

Man kann so etwas auch im Fernsehen sehen, am Vorabend vermutlich. Das ist kein Werturteil, bei den Klassikern gab es halt noch kein TV. Sonst wäre Othello sicher schon als Traumschiff-Kapitän vergewaltigt worden.

Dass ich nicht so ganz begeistert bin, liegt daran, dass ich denke, man kann mehr aus diesem Stoff machen. Es ist nun mal ein Kernthema unserer Gesellschaft, die Zunahme der Vereinzelung unter den Menschen trotz des Überangebots an Möglichkeiten.

Hübner verwurstet dies zu einer Komödie mit Zweidrittel-Happyend. Aber das wird dem Problem nur zum Teil gerecht, die Realität – glaub ich – ist nicht so. Diese letztendlich heile Welt ist man vom Autor nicht gewohnt, das könnte man auch am Kudamm sehen.

Hervorragend, kammerspielartig allerdings die Beschreibung des Entstehens der Idee einer Alterskommune und deren Scheiterns. (Fast) Jeder stirbt am Ende doch lieber für sich allein, maximal die klassische Paarbeziehung ist eine Alternative.

Interessante (und vermutlich wahrhaftige) Aussage auch, dass die 40er mit ihren ähnlich gelagerten Sorgen und Wünschen viel schlechter klarkommen als die Generation vor ihnen, die jedoch schon rein äußerlich deutlich mehr Probleme mit der Neupartnersuche haben sollte. Aber Quantität ersetzt nunmal nicht Qualität, und die Abgeklärtheit des Alters kann man nicht kaufen, auch nicht bei amazon.

Ein großartiges Sextett von gereiften SchauspielerInnen hilft über die inhaltlichen Unzulänglichkeiten des Stücks zum Glück bestens hinweg. Es ist schwer, jemanden herauszuheben, sehr schön aber die Wiederbegegnung mit Günter Kurze, der seinem einfach gestrickten Mechaniker Größe verlieh. Am einfachsten hatte es sicher Albrecht Goette als eitler, gockelnder Ex-Schuldirektor, das sei ihm aber gegönnt. Lars Jung röhrte wie gewohnt, wenn es not tat, beherrschte aber auch die leisen Töne.

Cornelia Schmaus sah ich zum ersten Mal, ihre Gila war glaubhaft bodenständig und praktisch, konnte aber auch ihre Phantasien so vermitteln, dass man den Vamp in ihr sah.

Helga Werner als Witwe eines vormals großen und nachher bestenfalls kindlichen Mannes bekommt dann doch mein persönliches Sternchen. Hier passte einfach alles, vor allem die Abgebrühtheit aus leidvoller Erfahrung und die dennoch bewahrte Seelenoffenheit waren beeindruckend zu sehen.

Hannelore Koch als zickige Spät-Emanze schließlich zeigte deutlich, dass alle vordergründige Toughness, hinter der sie sich versteckte, nur ein anderer Ausdruck von Empfindsamkeit ist, die aber am Ende auch im Wege stehen kann, wenn man sich aus ihr nicht zu lösen vermag.

Ein kurzer Abschluss: Hübners drittes Dresdner Stück erreicht nach meinem Empfinden nicht das Niveau der beiden vorherigen (es ist allerdings auch „älter“, was nun aber gar nichts heißen soll). Man kann es sich ansehen. Aber man muss nicht. Doch was muss man schon?

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