Meisters Werk und Teufels Beitrag


[„Der Meister und Margarita“ nach dem Roman von Michail Bulgakow, gesehen am 16.03.12 im Schauspielhaus Dresden]

 

In Kürze: Der Roman von Michail Bulgakow wurde von Felicitas Zürcher für die Bühne bearbeitet und wird effektvoll und spielfreudig in Szene gesetzt. Die fesselnde Geschichte und ein gut besetztes Ensemble lassen dabei einige Längen vergessen. Ein bunter und unterhaltsamer Abend, der aber dennoch dem ernsten Grundthema gerecht wird.

 

Der Meister, ein kommender sowjetischer Großschriftsteller, trifft am Anfang seine Muse. Er ist dann kurzzeitig eifersüchtig auf seinen Roman, was man verstehen kann.

Jener Roman (über Pontius Pilatus) wird von den Kultur-Apparatschiks einhellig verrissen, was ihm erst Lachen, dann Verwunderung und schließlich Angst beschert, die schlussendlich in scheinbarem Wahnsinn endet. Er verschwindet aus dem Leben von Margarita, nicht ohne vorher seine Manuskripte zu vernichten. Der Auftakt ist karg illustriert und ein wenig anstrengend, er lebt von der Qualität der beiden Darsteller Nele Rosetz und Benjamin Höppner.

Dann zieht der Teufel in Moskau ein, mit klingendem Spiel sozusagen. Er war noch nie hier, warum auch, Kollege Stalin ist ja da. Die ersten beiden Passanten, die ihm begegnen, verwickelt er in einen quasi-theologischen Disput über die Existenz von Gott, Teufel und anderen Fabelwesen. Ohne Gott kein Teufel und umgekehrt. Die wackeren Genossen bezahlen ihren festen Klassenstandpunkt mit dem Tode bzw. dem Irrenhaus, wobei die Frage offen bleibt, was schlimmer ist. (Die in der Diskussion verbreitete These, dass nicht die Sterblichkeit an sich, sondern die Plötzlichkeit des Todes das Traurige wäre, muss von interessierter Stelle allerdings energisch widersprochen werden. Nur die Unverhofftheit lässt uns den Tod ertragen.) Wir lernen daraus: Auch Sonnenblumenöl kann gefährlich sein, und Kater Behemoth (alias Stefko Hanushevsky, auch in den anderen Rollen dynamisch und spielfreudig) tanzt uns die Folgen beeindruckend vor.

Szenen- und Zeitenwechsel: Der Prokurator trifft auf den Wanderphilosophen Jeshua, der ihn zwar von seinen Kopfschmerzen heilt, aber dank Judas dann doch hingerichtet werden muss.

Zurück in Moskau sehen wir den verzweifelt um Vertrauen in seine Geschichte kämpfenden Lyriker Besdomny. Leider ist die Wahrheit die geringstwahrscheinliche Variante, und so landet er im Zimmer gleich neben dem Meister. Dann ins Variete-Theater, des Teufels Gefolge mischt den Saal auf, der Chef amüsiert sich. Philipp Lux als Korowjew gibt den Entertainer, der den Platzhirsch von der Bühne fegt, gewohnt authentisch und ist ansonsten rollengerecht schmierig-schlaksig. Der Saal tost dabei in Teilen, aber die Sache zieht sich, bis es endlich Rubel regnet. Da wird die Stimmung überall ausgelassen, und zur Krönung fällt noch ein einsamer 50 Euro-Schein vom Theaterhimmel ins dankbare Publikum. Jener gehört(e) Herrn Intendanten Schulz, wie wir erfahren. Nun gut, der Fänger sah nicht aus, als ob er den Zuschuss unbedingt gebraucht hätte, aber die Idee ist nett. Künftig Tombola im Foyer? Achten Sie auf ihre Kartennummer!

Lang und länger wird der Ausflug ins Showbiz, bis endlich der ungetreue Gatte im Publikum entlarvt wird. Na so eine Überraschung! Pause.

Erster Zwischenruf: Man muss dem Stück – neben vielem anderen – unbedingt positiv anrechnen, dass es endlich mal wieder eine Pause gibt. Selbige dient ja nicht nur der Ver- und Entsorgung, sondern auch dem Sortieren des Gesehenen, des ersten Austausches mit etwaigen Begleitern und überhaupt dem entspannten Flanieren in den ehrwürdigen Gängen resp. dem dekorativen Herumstehen auf dem Balkon am 2. Rang links. Auch dies gehört zum Theatererlebnis, verehrte Regisseure und Dramaturgen.

Zweiter Zwischenruf: Meinen Gerechtigkeitssinn kränkt es, wenn in ebenjener Pause die Herren schon lange erleichtert wieder vor dem Einlass ins Auditorium lungern, während ihre Begleiterinnen noch eine Wartegemeinschaft vor den wenigen Damentoiletten bilden. Auf Festivals o.ä. löst man das unkonventionell, aber im Staatsschauspiel ist dies eher ungebräuchlich. Also: Eine Vermehrung der Damen-WC trägt zur Entspannung bei und könnte zudem als Gleichstellungsmaßnahme abgerechnet werden.

Aber zurück ins Stück und damit ins Irrenhaus. Der Meister könnte türmen, aber weiß nicht wohin. Ist ja auch nicht schlecht hier, man braucht keine Pläne. Ein Kantinenwirt mit schimmligem Käse beschwert sich beim Teufel, dass die Zauberrubel zu Papier zerfielen. „Sagen Sie mal, wann sterben Sie eigentlich?“ Er bekommt seine Rubel wieder, wird sie aber nicht mehr lang genießen können. Jener Teufel wird übrigens von Matthias Reichwald gespielt, der zwar das Glück hat, in seiner recht kurzen Zeit in Dresden schon wunderbare Rollen bekommen zu haben, aber diese Vorlagen stets konsequent nutzte. Auch diesmal ohne Fehl und Tadel, wobei mich besonders seine Stimme beeindruckte.

Margarita beschwört die ewige Liebe. „Meine Ruh ist hin …“, deutsch-sowjetische Autorenkooperation über Grenzen und Zeiten. Der Kater (von welcher Dienststelle ist der denn?) lädt sie ein, die Ballkönigin zu werden auf des Teufels Frühlingsball. Sie willigt ein, in der Hoffnung, etwas vom Meister zu erfahren. Die Hexenwerdung geht dank Creme hurtig, als erste Tat wird – mangels der Anwesenheit des Kritikers Latunski – dessen Wohnung zerlegt.

Dann der Ball. Margaritas Walzer mit dem Teufel erinnert in Teilen an einen ungleichen Boxkampf, aber immer, wenn sie zu Boden geht, rappelt sie sich wieder auf und rettet sich so über die Zeit. Der Tanz der beiden erntet verdienten Szenenapplaus. Eigentlich ein schönes Paar, aber als sie sich am Ende etwas wünschen soll, will sie mit dem Meister zurück in die Kellerwohnung.

Jener schlurft sogleich heran, von der Klinik schwer gezeichnet. Doch als Mitgift gibt es noch den vernichtet geglaubten Roman auf dem Silbertablett.

Alles soll so sein wie früher? Nie ist etwas so wie früher. Der Meister hat keine Träume mehr, keine Inspiration. Man mag die Geschichte gar nicht weiterdenken.

An sich könnt es das gewesen sein, aber wir bekommen noch die Planung zur Erstechung des Judas vorgeführt. Alles kommt halt, wie es kommen muss. Dann noch ein bisschen Geplänkel, das Stück versickert eher als es endet.

Dennoch verdientermaßen langer Beifall im ausverkauften Haus. Wolfgang Engel hat wieder einen Straßenfeger auf die Bühne gebracht und trifft damit den Nerv vieler, für die die Romanvorlage ein Kultbuch war. Trotz einiger Kritteleien halte ich die Inszenierung für sehr gelungen. Nachdem ich ohne jedwede Vorkenntnis die öffentliche Probe sah, war ich doch ziemlich reserviert ob der wilden Story, hab dann aber meine Hausaufgaben gemacht. Und wenn man vorher einigermaßen weiß, worum es geht, kann man diese Vertheaterung eines großen Buches wirklich genießen. Also schlaumachen und reingehen. Nicht zuletzt sind ja 50 Euro zu gewinnen (nach Insiderinformationen schlägt der Schein immer im Parkett links ab Reihe 15 auf).

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