Kategorie: Sachsen
Die Stadt braucht mehr Beton
Der Elite unseres kommunalen Demokratietheaters sei Dank: Wir haben Beschluss, wir sind Brücke. Der vierspurige Holger vom Team Krawallo und seinen Brüdern und Schwestern im Geiste vom Stamme der betonummantelten Rechtsfossilien ist es tatsächlich gelungen, der weltgrößten und bedeutendsten Landeshauptstadt von ganz Sachsen an einem Nachmittag den mittelfristigen Haushalt zu crashen als auch der Stadtgesellschaft für die nächsten zehn Jahre ein Diskussionsthema zu besorgen, das alles hat, was eine Provinzposse so braucht.
Vielleicht war ja Letzteres das Entscheidende: Im Wissen darum, daß der gewählte Weg in einer juristischen Extraschleife landen wird, baut man schon am Wahlkampfschlager für das Superduperwahljahr 2029, wo man dann dem kleinen Mann auf der Umgehungsstraße und der alleinerziehenden Seniorin mit Mindestrente sowie allen jungen Familien auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum und Verwahrmöglichkeiten für die 2,3 Durchschnittsplagen erklären kann, daß nur eine breitestmögliche Carolabrücke all ihre Probleme lösen kann. Denn spätestens wenn es vier Entwürfe für das neue stadtbildprägende Monstrum gibt und einer davon zum Bau auserwählt wird, darf man getrost davon ausgehen, daß die üblichen Verdächtigen auf der guten Seite der Macht (die „Träger öffentlicher Belange“, kurz TÖB) gerichtlich überprüfen werden lassen wollen, ob der Begriff „Ersatzneubau“ nicht doch etwas überdehnt wurde angesichts Breite und Überdimensioniertheit des Bauwerks. Es sei denn, die Merzsche Kettensäge hat bis dahin das Verbandsklagerecht geschreddert, auszuschließen ist das nicht, wo es doch um Wachstum geht.
Gewachsen sein dürfte auch eine Erkenntnis in der hiesigen Wissenschaftsszene: Melde dich nur zu Wort, wenn du gefragt wirst, und äußere dich dann gefälligst nur im Sinne der gefühlten Mehrheit, sonst bist du ganz schnell eine „sogenannte Expertin“ und selbsternannt sowieso. Gute Aussichten für den Wissenschaftsstandort Dresden, aber scheiß auf Exzellenz, Prognosen sind sowieso Ideologie und was gut für Dresden ist, liegt per Definition im Bauchgefühl des Volkskörpers, und wer wüsste besser als die CDU, was dort im Dickdarm so abgeht?
IHK, Handwerkskammer und andere Lobbyisten sind dagegen sakrosankt, die sorgen schließlich dafür, daß es in Dresden brummt, wenn auch derzeit unter nahezu unmenschlichen Bedingungen im täglichen 15 min – Stau auf den Hauptachsen. Was in Dresden „Verkehrschaos“ heißt, wird in wirklichen Großstädten übrigens Berufsverkehr genannt, aber in ihrer Selbstbezogenheit und Larmoyanz lässt sich diese Stadt von niemanden übertreffen. Soll man es „Eierschecken-Blues“ nennen? Dresden hat es ganz ganz schwer, nur merkt das außerhalb des Elbtals niemand, wie gemein.
Nun werden wir also viel Geld, sehr viel Geld an vier Ingenieurbüros zahlen, die dann jeweils eine Lösung für ein nicht existierendes Problem erarbeiten. Das gibt zumindest der planenden Zunft Lohn und Brot und ist deshalb nicht grundsätzlich abzulehnen – aber mit dem Wissen, de facto für die Papiertonne zu arbeiten, motiviert man sicher keine Ingenieurin zu Höchstleistungen. Vielleicht gibt es auch beim vorgeschalteten Vergabeverfahren Rügen und Einsprüche, dann hätten wir schonmal eine Strafrunde über die Vergabekammer geschossen. Warum unbedingt vier, lässt sich leider weder religiös noch metaphorisch begründen. Phantastisch ist daran nichts, und die Drei wäre naheliegender gewesen, wenn man der Dreifaltigkeit und Monty Python glauben mag, und auch die Sieben hätte Charme – Zwerge, Schwaben und Geißlein fallen mir da ein.
Persönlich freu ich mich auf die nächsten Jahre. Holger „Generalexperte“ Zastrow wird seiner Klientel erklären, daß die Schwimmhalle in Klotzsche deswegen nicht gebaut werden könne, weil ein übergriffiger Staat der Carolabrücke Rad- und Fußwege vorschreiben würde, die schon deswegen überflüssig seien, weil er da nur motorisiert drüberfahren würde. Die CDU wird dann ihren regionalen Eischnee drüber kippen und auf die Sozen schimpfen, die dem Fortschritt im Wege stünden. Die Rechtsextremen werden fordern, daß die neue Brücke nur für richtige Deutsche freigegeben werden solle, weil sich die Auslenda nur Dank ihrer genetisch bedingten Kriminalität ein Auto leisten könnten. Das BSW wird darauf bestehen, daß zur Eröffnung Frank Schöbel singt. Viel Gelegenheit also, die ganzen Provinzpossenreißer zu verspotten.
Im Übrigen glaube ich fest daran, daß am Ende eine wirklich schöne und bedarfsgerechte Brücke entstehen wird – ob ich es selbst erlebe, da bin ich allerdings skeptisch.
Qual der Wahl mal anders
Lustiges und Bösartiges über Wahlplakate
„Wohin mit dem Hass?“ sangfragte der Distelmeyer-Jochen schon vor Jahren, und ich weiß was er meint. Da muss halt eine jede ihre Lösung selber finden (und sagt mir nicht, es gäbe nichts zu hassen).
Meinereiner verklappt das seit Jahren in die nützliche Erfindung „Internet-Blog“ – für Begriffsstutzige: Das ist hier, wo Du grad bist. Das tut erstmal gut, es ist raus und kann gefunden werden. Die ganze Welt kann es lesen, oder könnte es, denn sie wird das nicht tun, warum auch. Niemand wird es lesen oder ein paar wenige, heute oder morgen, es kommt nicht darauf an.
Die Vorrede eben hat nicht viel mit dem folgenden Text zu tun, der objektiv wie immer sein wird. Sie schlummerte aber schon eine Weile im tiefen Teller der Teichelmauke, und nun ist sie aufgewacht, macht Blasen und will raus. Also bitte, gern geschehen.
Eigentlich soll es um meine Lieblingsinspiration gehen: Wahlplakate.
Genauso wie ich überzeugt bin, daß diese keinen halbwegs vernünftigen Menschen in seiner Entscheidung beeinflussen (aber es gibt ja auch noch ein paar andere), so begierig saugen sich meine Augen an jedes Stück Pappe, das mich bekehren soll. In Wahlkampfzeiten bin ich blind für alles andere in der städtischen Welt – wenn in einem Schaufenster Nackte ausdruckstanzen würden, was selbst in Dresden nicht völlig unwahrscheinlich ist, ich bemerkte sie nicht.
Ich finde das weder gut (mein Verhalten) noch schön (den Anblick). Die quietschbunte Installation kann selbst die langweiligsten Innenstadtstraßen – von denen die weltgrößte Landeshauptstadt von ganz Sachsen reichlich hat – noch versauen und daß deren Hängung immer öfter für diverse Nichtsnutze Anlass wird, ihrem Mangel an Anstand, Bildung und vielem anderen Worte und leider auch Taten zu verleihen, macht es nicht besser.
In oberbayrischen Kleinstädten sah ich mal eine auf den ersten Blick originelle Lösung: Es hatte an den zentralen Plätzen große Bretterwände, so drei mal sechs Meter, an denen war die bildliche Botschaft zu hängen und sonst nirgendwo. Nun gibt es in besagten Flecken in der Ansichtsgüte meist nicht viel zu verderben, was über weißblauen Touri-Kitsch hinausginge, und irgendwie finde ich es auch apolitisch, aber die vergleichende Wahlplakatdeutungswissenschaft hat weniger Aufwand (Verkehrsvermeidung!) und das Volk hat einen Platz, wo es sich versammeln und etwaige Meinungsunterschiede gleich besprechen kann wie dunnemals auf der Agora der Griechen. Heutzutage sind auch Frauen zugelassen, so weit ist man in Bayern dann doch.
(Überhaupt ist man in Bayern in vielen Dingen schon sehr weit, zumindest deutlich weiter als hier, das kann auch die dortige Koalition aus CSU und Mistgabel-CSU nicht zurückdrehen.)
Aber ich verzettele mich. Eigentlich sollte doch die Parteienbeschimpfung im Mittelpunkt stehen, da nehmen wir die Mistgabel mal als Überleitung.
Die „Freien Wähler“, denen die erste Unverschämtheit galt, sind mir bislang plakativ nicht bewusst vor Augen gekommen im aktuellen Wahlkampf. Gewiss sind sie auch vertreten, ein Oberbürgermeister eines mittelsächsischen Kaffs strebt ja nach Höherem, aber aufgefallen sind sie halt nicht. Sie gehen unter in den vielen „Freien“, und als Faustformel mag gelten, daß „frei“ vor allem frei von Empathie, Güte, Menschlichkeit und weiteren Eigenschaften, mit denen früher die Gutmenschen und heute die woke Blase in Verbindung gebracht werden, bedeutet. Dies vor die Klammer gezogen, sind die Ausprägungen rechts der Mitte weit aufgefächert. Von puren Rechtsradikalen und Neonazis, die frohgemut schon unseren stellv. Ministerpräsidenten – einen Winkeladvokaten aus Chemnitz – plakatieren, über drei alte weiße Männer mit Hund, die was von Wadenbeißer schreiben, obwohl der Hund gar nicht zur Wahl steht bis zu einem Bündnis, das sich atypisch gar nicht auf die Freiheit beruft, aber mit der Dümmlichkeit der Botschaften gut ins Cluster passt, ist vieles vorhanden. All diesen wünsche ich satte vier Prozent zu Lasten derjenigen, die noch zu beschimpfen sein werden.
Bei „frei“ ist noch eine Fußnote angezeigt. Auch die FDP bezieht sich darauf und beweist mit ihrer aktuellen Kampagne, daß neben Immobilienheinis auch Werbefuzzies die Basis der Partei bilden. Nun hat sie aber keine Müllerstochter und auch kein Rumpelstilzchen (das ist ja ausgetreten, haha), und so wird das gedroschene Stroh wohl nicht vergoldet werden können. Aber die F.D.P. oder fdp oder was immer der Zeitgeist bisher zu fordern schien, hat eine Mission ausgerufen, und Missionar Malorny wäre mit den vier Prozent wohl mehr als glücklich, realistisch betrachtet. Immerhin erfahren wir, daß M. ein Mobiltelefon besitzt, Technologie in seinem Hobbykeller entsteht, er auf Wunsch dackelgleich gucken kann und heiße Luft stets die heiße Luft der anderen ist. Mehr will ich gar nicht wissen.
Nicht nur alphabetisch käme Herr Z. für mich am Schluss. Aber so wichtig ist er nun auch wieder nicht, daß ich ihm das Ende meiner Elegie widmen möchte, und irgendwie zählt er ja auch zur liberalen Hinterlassenschaft. Gerne würde ich ihn fragen, was er als einzelner Abgeordneter (wenn er denn gewählt würde) im Landtag tun wird: Sein Ausflugslokal sachsenweit promoten? Dem Affen mal richtig Zucker geben? In jeder Rede bekannt geben, daß die Grünen der Beelzebub sind? Eine Altersversorgung aufbauen? Sicher ist es alles davon und noch viel mehr, aber was man als Wählerin davon hat (Familienangehörige mal ausgenommen) bleibt mir ein Rätsel. Bühnen hat der Holger mit dem Stadtrat und diversen Ausschüssen nun wahrlich genug, auch die Sächsische Zeitung ist stets zu Diensten, wenn auf der Hofewiese mal wieder ein Kasten Bier umgefallen ist oder dem Zastrowitsch irgendwas nicht passt an der Dresdener Verkehrspolitik.
Da wir grad bei Populist*innen sind (das Sternchen setze ich hier mit besonderer Freude): Die Dame mit dem Porzellangesicht schickt sich an, auf sächsischem Boden die aktuellen Weltprobleme zu lösen. Das ist ihr umso höher anzurechnen, als das sie hier gar nicht zur Wahl steht, aber das ist egal, wo ein Genosse ist, da ist auch die Partei. Und so werden bald Frieden, Gerechtigkeit und Zusatzrente überall einziehen, da hat die Hl. Johanna mit der Töle nicht mehr viel zu melden, selbst wenn diese auch anbietet, den Krieg zu beenden.
Die Marke „BSW“ ist mir aber noch einen Absatz wert. Das ehrbare Bahn-Sozialwerk (das nun wirklich nichts für die aktuelle Misere der DB AG kann) hat diese bei mir seit jeher inne, und ich hoffe, bei vielen anderen auch. Da diese mit vielen positiven Vibes belegt ist, es hat sowohl auf Hiddensee als auch in Garmisch Ferienhäuser, die man für kleines Geld nutzen kann, nur mal als Beispiel, ist das für mich ein klarer Fall von Produktpiraterie und erklärt vermutlich einen Großteil des Erfolgs dieses obskuren Stalinistenvereins. Hierfür ist mir dann auch das Sternchen zu schade.
Apropos Piraten: Immer noch halte ich diese Zueignung für die denkbar dämlichste Bezeichnung, die sich eine Partei geben kann. Das ist nicht Jack Sparrow, das ist Mord, Entführung und Sklaverei, um auch dies einmal losgeworden zu sein. Und diesmal haben sie auch den Ehrenpreis für das schlechteste Layout errungen. Das Ärgerliche ist aber weniger der Name als die Tatsache, daß die sicher wieder einige Stimmchen einfangen, die dann auf der richtigen Seite fehlen werden. Das gleiche gilt für die Partei genannte Partei, deren Plakate meist originell sind, aber das ist es nicht wert. So schön es ist, auf der rechten Seite die Volksfront von Judäa und die judäische Volksfront sowie die Front judäischer Volksangehöriger usw. zu haben, so ärgerlich ist es auf der linken Seite. VOLT immerhin hat begriffen, daß anderthalb Prozent nichts ändern, auch wenn man deren Empfehlung kritisch sehen mag.
Diese immerhin hat ordentliche Plakate, und deren Generalsekretär hat grad die Langweiligkeit als neue deutsche Sekundärtugend ausgerufen, insofern passt das.
Meine Herzenspartei hat sich diesmal nicht mit Ruhm bekleckert. Die Plakate der Direkten sind sympathisch, immerhin, das ist bei Löser und Co. aber auch nicht schwer. Die allgemeinen Botschaften verlieren sich jedoch sehr in der Weltlage, warum man konkret in Sachsen die Grünen wählen soll, bleibt im Dunkeln. Macht es trotzdem.
Die Partei mit Faschisten im erweiterten Führungskreis (okay, das haben andere Parteien auch, aber da ist es noch nicht amtlich festgestellt worden und die spielen gottlob nur Kreisklasse) hat erwartungsgemäß mit ihren Plakaten neue Tiefenrekorde auf der Geschmacksskala aufgestellt. Daß „Abschieben, Abschieben, Abschieben!“, was ich mal auf der Theaterbühne im Chor gebrüllt habe, um die Klientel ins rechte Licht zu setzen, es auf ein Wahlplakat schafft, hätte ich aber dann doch nicht für möglich gehalten.
Kommen wir abschließend zur hiesigen Staatspartei, so weit kann man glaub ich nach fast 35 Jahren Dauerherrschaft gehen. Erstaunlich dicht am Volke ist der MP, wenn er mit seinen Plakaten signalisiert, daß jeder mal einen schlechten Tag haben und man sich das auch ansehen lassen könne. Die anderen Kandidierenden sind meist besser frisiert und wirken ausgeschlafen, aber als Landtagsabgeordnete*r der CDU hat man vielleicht auch die Zeit dafür. Über die Sprüche gehe ich mangels relevanter Masse hinweg, immerhin weisen alle Plakate darauf hin, daß es um Sachsen gänge. Gut für jene, die glaubten, daß hier der Landtag von Thüringen, die Weinkönigin der Rheinpfalz oder der Papst zu wählen seien.
Der harte Mann Christian im Dresdner Norden hat sogar einen Comic-Zeichner verpflichtet, der ihn in verschiedenen Posen abbildet. Warum, wird klar, wenn man den Herrn Fraktionsvorsitzenden im photographischen Portrait sieht. Ich will da aus meinem Glashaus gerne einen Stein werfen: Politik führt zum Doppelkinn und zur Verbreiterung des Körpers im allgemeinen und des Antlitzes im Besonderen. Und bis man das akzeptiert, hat halt der Zeichner ein Zubrot.
Der Landtag von Sachsen ist bislang recht bunt besetzt, und die Regierungskoalition ist genau besehen eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Die normative Kraft des Faktischen hat hier bisher für halbwegs stabile Verhältnisse gesorgt, und auch wenn der MP sich als Quartalsirrer entpuppte, hielt der Wille zur Macht und/oder die Angst vor der Veränderung den Laden zusammen. Wie das im neuen Landtag aussehen wird, ist unklar, schlimmstenfalls sind es noch drei Parteien (eine davon in Teilen faschistisch, eine andere stalinistisch, die dritte sehr sehr konservativ), bis zu sechs (sorry FDP und not sorry an die rechten Zwerge) wären denkbar. Es kommt – diese Plattitüde sei mir gestattet – auf jede Stimme an.
