Der Besuch der jungen Katze


Etwas weckt mich. An meiner rechten Hand spüre ich eine weiche, wollige Berührung, ganz zart. Noch sind meine Augen geschlossen.

Ich vermute, die Hand hängt aus dem Bett heraus. Das tut sie morgens öfter, ich hab da wenig Einfluss. Also muss das draußen sein, außerhalb des Bettes. Und obwohl die Berührung alles andere als unangenehm war, bin ich erleichtert.

Die Augen weiter geschlossen, überlege ich, was es sein könnte, das mich da touchierte. Meine Wohnung ist gewöhnlich menschenleer, vor allem wenn ich nicht da bin. Ein Tier? Besitze ich nicht, leider, aber von Guppys abgesehen, könnte ich das auch keinem antun. Und Guppys mag ich nicht besonders.

Es könnte das Rätsel lösen, wenn ich die Augen öffnete. Aber der Wecker, oder besser keiner der vier, hat noch nicht geklingelt. Sollte ich da wirklich schon mit der Welt Kontakt aufnehmen? Ich zögere.

Die Neugier siegt, die Lider heben sich. Nein! Vor mir, in etwa einem Meter Abstand, sitzt auf dem Laminat, das noch nicht einmal versucht, wie Parkett auszusehen, ein wunderhübsches, grauweißgetigertes Fellhäufchen und mustert mich interessiert. Erschrocken kneife ich die Augen wieder zu und nähere mich dem Problem zunächst theoretisch.

Habe ich vielleicht Besuch? Besuch mit Katze? Vorsichtig strecke ich meinen Hintern in den bisher nicht von mir belegten Teil des Bettes. Da ist nichts.

Kurz öffne ich die Augen. Die Katze ist noch da.

Bin ich vielleicht gar nicht zu Hause? Was war eigentlich gestern? So spät war es doch gar nicht, und soweit ich mich erinnere, mündeten die freundlichen Plaudereien nicht in einen Hausbesuch. Und so häufig kommt das ja nun auch nicht mehr vor. Auch ich werde älter.

Doch ganz sicher bin ich mir nicht. Erneut öffne ich die Augen, diesmal einen Moment länger. Doch, hinter der Katze erkenne ich ein Schrankregal und den Sessel, auf den ich abends schwungvoll meine Klamotten zu werfen pflege. Das muss meine Wohnung sein.

Nochmal Augen zu, zum Nachdenken. Wenn ich ich bin und ich hier, dann kann die Katze nicht gleichzeitig auch hier sein. Ich habe keine.
Träum ich? Schon möglich.
Eine erneute Sichtkontrolle. Die Katze ist immer noch da. Aber was ist das? Sie erhebt sich von den Hinterpfoten, wendet sich gelangweilt ab und trabt in Richtung Wohnzimmer.

„Kätzchen!“ versuche ich zu rufen. Es ist mein erstes Wort an diesem Tage, entsprechend klingt es. Nichts, womit man Katzen beeindrucken könnte. Natürlich reagiert sie nicht.

Was nun? Aufstehen und das Kätzchen vielleicht erschrecken? „Miau, miau“ machen und sich damit vor dem Kätzchen blamieren? Die Polizei rufen (das Telefon liegt bereit)? Über diesen Überlegungen schlafe ich ein.

Irgendwann danach.
Jeder der vier Wecker hat mich auftragsgemäß gequält, eine halbe Stunde später steh ich dann auch auf. Da war doch was? Richtig, eine Katze! Eine Katze? Ich nenne mich einen Spinner und starte das übliche Morgenprogramm. Das heißt ich schlurfe ins Bad und bringe das Notwendige hinter mich, um dann die Kaffeezubereitung anzugehn.

Auf dem Weg in die Kleinküche muss ich durchs Wohnzimmer. Warum liegt mein Monatsblatt auf dem Fußboden? Der Wind. Klar, wenn man – seitdem der Frühling vor ein paar Tagen schuldbewusst, also umso heftiger von meinem Stadtviertel Besitz ergriff – alle Fenster auf Kipp stehen hat, kann das schon mal passieren. Zugluft halt.

Der Wasserkocher wird lauter, mein Kaffee mit Migrationshintergrund ist bald fertig. Der Kühlschrank bietet ein Bild, das Hilfsorganisationen auf den Plan rufen würde, wenn er öffentlich wäre. Aber das ist er zum Glück nicht.

Vorsichtig am Heißen nippend und dabei wie immer eine kräftige Portion Kaffeesatz schluckend, fällt mir eine Begebenheit von vor zwei Tagen ein. Auf dem breiten Fensterbrett des Wohnzimmers bewahre ich in einer flachen Schale Sand von Hiddensee auf, in welchem eine Figur von Wanitschke steht. Bisschen kitschig, aber ich mag die Komposition.

Aber vor zwei Tagen lag die Figur mit dem Gesicht im Sand, als ich nach Hause kam, und Teile von jenem bedeckten das Fensterbrett und das darunter befindliche Tischchen. Auch da hatte ich kurz gegrübelt und dies dann ebenfalls auf die Zugluft und eine lokal begrenzte Windverwirbelung geschoben, ohne gänzlich überzeugt davon zu sein.

Konnte das ein Zufall sein? Gibt es einen Poltergeist in meiner Wohnung, der sich in verschiedenen Gestalten zeigt, mal als Windhose, mal als Kätzchen? Nein, ich glaube an gar nichts, nur an die Physik. Und manchmal auch an die Biologie.

Misstrauisch mustere ich meine hässlichen Plastefenster. Durch diesen schmalen Kippspalt konnte doch unmöglich …
Eine weitere Begebenheit fällt mir ein. Vor einigen Wochen begegnete ich vor meiner Wohnungstür dem Nachbarsfräulein, welches freudestrahlend zwei winzige Katzenwesen um ihre Beine streichen ließ. Auch ich hatte das Vergnügen, den später mal männlichen Teil dieses wie ich erfuhr Geschwisterpaares zu kraulen und vernahm, dass jenes Duo nun auch hier wohnen würde. Ich gab meiner Verblüffung Ausdruck, dass im Januar Kätzchen geboren würden (denn älter waren die Winzlinge nicht) und ging meiner Wege.

Sollte ich tatsächlich nicht geträumt und Besuch von nebenan bekommen haben? Katzen können alles, da sind wir uns sicher einig. Noch ein Blick zum gekippten Fenster. Für ein erwachsenes Katzentier wäre der Spalt sicher zu eng, aber … für die Zwerge? Doch, so musste es sein. Die katzentypische Neugier, begünstigt durch zwei gekippte Fenster und ein Schrägdach, auf dem sich das Tierchen sicher wohlfühlte, und der Hausfriedensbruch der schönsten Art war vollbracht.

Ein Strahlen erhellt mein Antlitz. Vielleicht war sie ja noch da? „Kätzchen, Kätzchen!“ rufe ich in allen Wohnungsecken, doch kein Kätzchen lässt sich blicken. Dennoch war bin gerührt. Von allen Lebewesen auf diesem Planeten sind die Katzen mir die liebsten.

Ein Untertellerchen stelle ich bereit, gefüllt mit Lassi, was anderes war halt nicht da. Aber Bio, immerhin. Mein Besuch soll sich doch wohlfühlen. Fröhlich geh ich duschen.

Meinen Aufbruch in den Alltag zögeree ich so lang es geht hinaus. Doch kein Kätzchen ist zu sehn. Ob sie jemals wiederkommt?

Dank der fußläufigen Entfernung meines Arbeitsortes kann ich bereits am Mittag wieder nach dem Kätzchen sehen. Das glänzt aber weiterhin mit Abwesenheit. Schade.

Einkauf am Nachmittag. Meinen Konsum-Korb (Konnsum, nicht Konsuhm) ziert auf einmal eine Dose Katzenfutter, vom besten natürlich. An der Kasse summe ich Manne Krug vor mich hin, „da bist du ja“. „Ich gehe los und kauf dir ein Frikassee …“ Genau.

Zuhause: Keine Katze. Das Tellerchen nicht angerührt. Keine Figur umgekippt. Enttäuschung.

Ich glaube, seit heute morgen hat sich mein Leben verändert. Ich werde immer darauf lauern, ob das Kätzchen sich wieder einschleicht. Und wenn ja, werde ich es kraulen, bis es schnurrt.

Doch irgendwann wird es nicht mehr durch den Fensterspalt passen.

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