An den Gemälden von Neo und Rosa


Die Doppel-Ausstellung von Rosa Loy und Neo Rauch in den Kunstsammlungen Chemnitz, noch bis zum 10. Februar 2013

Das Ehepaar Rauch / Loy malt, die Gruppe Tocotronic musiziert. Ansonsten haben sie aber viel gemeinsam.
Für mich zumindest. Vor den Klanggebilden der einen stehe ich mitunter genauso beeindruckt wie ratlos wie vor den Gemälden der anderen. Es ist schön, es scheint eine tiefe Bedeutung dahinter zu liegen, aber ich komm nicht drauf welche. Also beschränke ich mich meist auf den akustischen bzw. ästhetischen Genuss.

Die bereits seit 16.12.2012 laufende Sonderausstellung Rauch „Abwägung“ / Loy „Gravitation“ ist mal wieder ein Geniestreich der Chemnitzer Generaldirektorin Ingrid Mössinger. Die Idee, das malende Ehepaar auch einmal gemeinsam zu präsentieren, war offenbar so naheliegend, dass bisher niemand darauf kam. Und so können wir nun dreizehn Bilder von Neo Rauch aus den letzten zehn Jahren in allen denkbaren Formaten sowie zehn von Rosa Loy betrachten, letztere aus derselben Zeitspanne, im Format aber homogener im oberen Bereich.

In einem mit 18 Euro erfreulich preiswertem Katalog wird nicht nur die Entstehungsgeschichte der Ausstellung beschrieben, sondern jedes Werk kurz besprochen, umrahmt von Portraits der Künstler und ihrer Vita. Auslöser war der Ankauf des eigens für Chemnitz gemalten Bildes „Die Abwägung“ von Neo Rauch, welches in diese Ausstellung erstmals gezeigt und dann in den hiesigen Sammlungen verbleiben wird. Das jenes großformatig und ausklappbar im Katalog enthalten ist, ist schön, die Freude wird auch kaum dadurch getrübt, dass es auf dem Kopf stehend ins Buch eingefügt wurde. Begreifen wir es als Hommage an Georg Baselitz.

Frau Mössinger bezieht sich in ihrer Einführung auf das Frauenbild bei Rosa Loy, das ein begonnenes „Jahrhundert der Frau“ illustriere. Tatsächlich sieht man auf Loys Bildern kaum männliche Figuren, selbst die Schergen von Pontius Pilatus in „Mondlicht“ sind feminin. „Ganz ohne Männer geht die Chose nicht, Mädels!“ ist man versucht zwischenzurufen.
Bei Rauch erkennt sie mit der Neigung zur Reduktion eine neue malerische Wendung, dem ist nicht zu widersprechen.

Es ist müßig zu orakeln, ob Rosa Loy ohne ihren Gemahl und Ateliernachbarn ähnliche Aufmerksamkeit widerfahren würde. Es ist wie es ist, sagt nicht nur die Liebe. Die Chemnitzer Ausstellung ist sichtbar bemüht, sie als eigenständige Künstlerin mit eigenem Themenbereich zu präsentieren, dennoch unterläuft den Machern doch der peinliche Fehler, in den ausliegenden Biografien der Künstler zwar die Heirat von Rosa mit Neo (1985) aufzuführen, nicht jedoch jene von Neo mit Rosa. Offenbar war jene im Werdegang dann doch nicht so bedeutsam wie die andere … Honi soi qui mal y pense.

Dennoch, und unabhängig von jeder Protegierdiskussion, die Bilder von Rosa Loy sind sehenswert. Sie bilden eine sehr weibliche Welt ab, die aber deswegen nicht per se besser ist. Ihre Sujets sind ähnlich jenen des Gatten, enthalten aber weniger Betrachtungsebenen. Positiv ausgedrückt, sind sie lesbarer. Generell geht es um die Beziehung des Menschen (oder besser der Frau) zur natürlichen und sozialen Umwelt. Sie reichen von einer Märchenumgebung („Die Dienststelle“) über Ikonographie („Mondlicht“) und sehr sinnlichen Darstellungen („Die andere Seite“, „Gravitation“) bis zum wiederkehrenden Motiv des Gartens („Bestellung“, „Freunde“), welches beim ursprünglichen Beruf von Rosa Loy (Gartenbau-Ingenieurin) nicht weiter verwundert. Mein Lieblingsbild „B-Plan“ lässt sich mit gutem Willen auch da einordnen, vordergründig geht es um Imkerei, aber letztlich dann doch um Beziehungen. Das Bild hängt im normalen Leben in den Neuen Meistern in Dresden, kann also von mir öfter besucht werden, das ist schön.

Rosa Loy malt mit Kasein, ich vermeide einen Erklärungsversuch und damit eine Blamage. Dem Laien (also mir) wäre es eh nicht aufgefallen, die Deutungen überlass ich den Profis.
Aber die mit zehn Bildern doch recht kleine Ausstellung hat mich der Künstlerin näher gebracht, das sei gerne vermerkt. Dass sie sich auch am Neorauchismus orientiert, wer wollte es ihr verübeln?

Neo Rauch war ich ohnehin schon nahe, es ist auch schwierig, ihm zu entgehen im aktuellen Kunstbetrieb. Der Oberstudienrat der „Leipziger Schule“ ist omnipräsent, nicht erst seit den grandiosen „Begleitern“ parallel in Leipzig und München. Man wundert sich über die unglaubliche Produktivität des Malers, der nach eigener Aussage „nine-to-five“ malt und dennoch inzwischen ein in Format und Anzahl riesiges Werk vorweisen kann. (Den blöden Witz von der im Betrieb mithelfenden Ehefrau wollen wir mal ganz schnell wieder vergessen)
In Chemnitz wird eine vergleichsweise kleine Auswahl seiner Bilder gezeigt. Star dabei ist der Ankauf „Die Abwägung“, welche es sicher auf das Cover des neuen Museumskatalogs schaffen würde, sofern es denn für die Öffentlichkeit ohne größere Schwierigkeiten zugänglich sein wird, denn es wird seinen Platz im Ratssaal des Neuen Rathauses Chemnitz finden und dort indirekt mit dem Monumentalbild „Arbeit = Wohlstand = Schönheit“ von Max Klinger im Stadtverordnetensaal korrespondieren. An sich eine hübsche Idee, ich fürchte nur, dass das Gemälde dort oftmals sehr einsam sein wird.

Verdient hat es das nicht. Eine moderne Justizia, keineswegs blind, beherrscht das Bild, umgeben von Beratern, vielleicht auch Fragestellern, alle in heutigen, leuchtfarbenen Gewändern. Die typischen „Rauch-Gesichter“ sind hier relativ klar gearbeitet, das Bild hat eine beeindruckende Räumlichkeit. Sehr sehr schön, möge es die Räte zur Weisheit geleiten.

Um das Gemälde herum sind ein Dutzend andere Werke drapiert, die einen Querschnitt aus den letzten zehn Jahren des Neo Rauch zeigen. Oftmals sind die üblichen „Zutaten“ wie die schemenhafte, rötliche Figur, die sich einer Einordnung entzieht („Reich“) oder die bereits erwähnten verwaschenen Gesichter („Türme“) zu sehen. Manche Bilder scheinen zu zerfließen („Krönung“), andere sind überraschend klar strukturiert, zumindest auf den ersten Blick („Hohe Zeit“). Neben eher leichteren Themen („Goldene Äpfel“ und „Gärtnerin“, welches auch „Szenen einer ganz bestimmten Ehe“ heißen könnte) geht es auch um Krankheit und Tod („Der böse Kranke“) oder um Lebensillusionen („Abstieg“). Singulär steht dabei „Cross“, eine (fast) menschenleere Landschaft mit Wegen, die sich nicht zu treffen scheinen, sehr untypisch für Rauch.

Weder will ich mir anmaßen noch könnte ich es leisten, die Bildinhalte detailliert zu analysieren. Da gibt es Berufenere. Mir fällt dann immer der olle Goethe ein, „suche die Menschen zu verwirren, sie zu befriedigen ist schwer“, aber das allein wird es nicht sein. Ich mag den Rauch, seine Bilder sind nie langweilig, auch wenn die Konstellationen oft ein wenig rätselhaft bleiben. Manchmal braucht es auch nur einfach eine Weile, eh man sich (s)eine Erklärung darauf machen kann.

Dass dies bei weitem nicht immer so sein muss, beweist die parallele Sonderausstellung von Mario Nigro, einem 1992 verstorbenen abstrakten Maler. Auch wenn die Motive (z.B. „Schach“, „Freiheit“ und „Agamemnon“) in Farbigkeit und Komposition beeindrucken, zumindest mir fehlt der Zugang zur Aussage.

Für die 6 Euro Eintritt kann man sich auch den Bestand der Kunstsammlungen Chemnitz anschauen. Im Erdgeschoss sollte man das unbedingt tun, die Skulpturen, unter anderem von Rodin, Klinger und Barlach, sind sehenswert. Die Abteilung „Romantik“ fand ich dagegen öde, außer dem „Segelschiff“ von CDF sprach mich kaum etwas an, auch fand ich den Raum übertrieben verdunkelt.
Hinter der Sonderschau Rauch / Loy findet man die Expressionisten, deren Basis naturgemäß Karl Schmidt-Rottluff bildet. Aber auch Slevogt, Kokoschka und Korinth sind zu sehen. Es lohnt sich.

Fassen wir mal zusammen: Chemnitz ist derzeit eine Reise wert. Und um die Ecke gibt es auch noch den Nischel, wenn man es monumentaler mag.

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