Von Göttern und Bestien
„Die Leidenschaften“, ein (Ausstellungs-) Drama in fünf Akten im Deutschen Hygiene-Museum Dresden
Nein, ich bin kein Museumspädagoge. Auch keine promovierte Kulturhistorikerin. Aber wenn eine Ausstellung so eindeutig auf die darstellende Kunst Bezug nimmt, fühl ich mich doch angesprochen. Und zuständig, auch hier einige Eindrücke aus Laiensicht der aufhorchenden Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen.
Das Vorspiel findet in einem barock-plüschigen Foyer statt, es scheint nur ein Garderobier zu fehlen. Immerhin gibt es die Platzanweiserin, auch wenn es an Sitzgelegenheiten mangeln wird in der Folge.
Akt Eins, Einführung ins Thema. Eine nüchterne Küche, auch die anderen Räume des (emotionalen) Haushalts sehr spartanisch und aufgeräumt. Ich lerne als erstes, dass der Zorn in der Nase sitzen soll laut Altem Testament und muss unwillkürlich niesen. Der Kindermund in der Ecke ist beim ersten Hören interessant, ab dem zweiten nervt er, nicht nur durch Lautstärke. Schnell weiter.
Die ausgestellten Gefühlsmasken aus dem japanischen Theater wären auch heute hilfreich, finde ich, zumindest für Menschen mit unterentwickelter Mimik. Wo gibt es die denn?
Angstschweiß riecht anders. Ich überlege, wie ich dies durch einen Versuch überprüfen kann. Die experimentelle Psychologie hält auch hier sicher ein Vorbild bereit, näher beschrieben wird aber nur der klassische Pawlow und andere Formen der Konditionierung.
Witzig im besten Sinne: Das riesige Krokodil und das Schälchen Mandeln. Dass Kaninchen zu den sensibelsten Tieren gehören, ist mir neu. Das Killer-Viech bei Monty Python muss da wohl aus der Art geschlagen sein.
In der zwoten Abteilung (oder auch Akt) befindet sich ein Teil der Einrichtung in beträchtlicher Schieflage, könnte jederzeit außer Kontrolle geraten. Die Gegenseite ist stabil. Die Schlacht der Definitionen: Sind die Leidenschaften nun der Wind, der die Segel des Lebens füllt oder der Krebsschaden für die praktische Vernunft? Führt Selbstbeherrschung zur Vervollkommnung oder müssen die Triebe ausgelebt werden, um den stoischen Idealzustand zu erreichen? Such dir was aus.
Auch der Dalai Lama und der Papst kommen zu Wort und haben gewohnt Nichtssagendes-Gutklingendes beizutragen.
Akt Drei, es scheint ein Orkan durchs Haus gebraust zu sein. Man wird mit „Psycho“ empfangen, auch sonst sind einige Erschröcklichkeiten zu sehen, aber der Putzdienst ist wohl grad durch, alles blitzeblank.
Gegen Angst gibt es immerhin das „Keine-Angst-Licht“, bei Trauer ist das schwieriger. Die Sammlung von Kotztüten ist beeindruckend. Aber das Personal ist ebenso freundlich wie aufmerksam, und mir ist auch gar nicht mehr schlecht.
„Little death“ ist hier der im Zeitraffer gezeigte Verwesungsprozess eines Hasen, das kannte ich bisher anders, aber ein Museum ist ja zur Bildung da.
Der Ekel ist laut Freud Ausdruck verdrängter Triebe, besonders der bürgerlich konditionierte Mensch sei dafür anfällig. Hm, klingt plausibel.
Erwähnenswert weiterhin der „Brustmilchstuhl“ (bitte medizinisch verstehen) und eine original Toilettentür aus einer original Dresdner Schule mit originalen Sprüchen darauf. Ein Feld, das die Wissenschaft m. E. bisher unzureichend beackert.
Nun mein Lieblingsexponat: Der Mimosengarten zum Selbstanbau. Das hab ich mir schon immer gewünscht.
Das sagenumwobene Westpaket (leider ohne den unverwechselbaren Geruch von Sonderangebotskaffee und billigen Seifen) steht hier neben einem Modell der Milchdrüsen mit und ohne Beanspruchung. Warum auch nicht, alles hat mit allem zu tun.
Meinen Sonderpreis erhält der Fernsehbeitrag über Zinedine Zidane und seinen heiligen Zorn. Immer wieder schön anzusehen, wenn auch tragisch im Ausgang. Dann hat wohl die Philosophenschule doch recht, die meint, wir sollten uns im Zaume halten?
Vierter Akt, die Ordnung ist wieder hergestellt. Auch ein Beichtstuhl steht bereit. Für Wohlverhalten gibt es einen Bienchenstempel.
Hilfreich dabei, den Bürger zu Ruhe und Obrigkeitstreue zu geleiten, sind u.a. Erziehung, Religion, Arbeit, Ehe, Unterhaltung und Recht und Ordnung. Diese werden ausführlich beschrieben, der Teil zum Sex, der auch dazu gehören soll, fällt dagegen spärlich aus.
Die Schandmaske eines Wildschweins für Mitbürger, die sich entsprechend benehmen, sollte ins Strafgesetzbuch. Man muss sich aber freikaufen können davon, durch Hundehaufen-Einsammeln zum Beispiel.
Im fünften Akt bekommen wir eingangs wieder erklärt, was jetzt zu denken ist. Das finde ich minderwitzig. Der Text ist sicher gut gemeint, aber … mir wär es neutraler deutlich lieber gewesen.
Die Idee, auf das bisher durchschrittene Haus nunmehr von draußen zu schauen, ist allerdings grandios und spricht den Voyeur in dir und mir an.
Das „Berner Gebrüll“ kann ich, liebe Museumsleute, nicht mehr hören. Und ich bin mir sicher, dass ich die Mehrheit bin. Es ist einfach genug damit. Gefühlt zehntausendmal hat Rahn dann doch geschossen, und irgendein zehntausendmal den Ball verlierender Bozcik wurde in Ungarn sicher zu Festungshaft verurteilt. Dass Deutschland Weltmeister ist, weiß ich inzwischen, aber auch, dass seitdem noch einige Weltmeisterschaften ins Land gegangen sind. Also, lassen wir alle in Frieden ruhen. Oder nehmen wir zur Abwechslung mal „Liebe junge Väter, taufen sie ihren Sohn ruhig Waldemar …“, ohne jetzt das Geschlechterbild im Sozialismus diskutieren zu wollen.
Die Emphatie wird u.a. vor dem Haus auf den Mülltonnen präsentiert, was sagt uns das? Ein Fenster bleibt verhüllt, dahinter wohnt sicher die Phantasie. Das ist mir das liebste.
Einen Moment glaubt man, wieder im Foyer zu stehn, sehr schöne Idee. Man muss dann aber doch den Rückweg durch die Ausstellung antreten, was dem Konzept einigen Abbruch tut. Wem wird schon nach dem Ende einer Oper das Ganze noch mal im Schnelldurchlauf rückwärts gezeigt? Ohne räumliche Gegebenheiten zu ignorieren, aber das ist schade.
Sehr sehenswert, sehr anregend, vielleicht ein bisschen zu klinisch rein, die Fülle der Exponate doch etwas fragwürdig. Soweit in Kürze, die Idee des Schauspiels in fünf Akten und die Übertragung des Themas auf einen Haushalt sind aber für sich genommen schon großartig genug, um unbedingt zu einem Besuch zu raten. Bis zum Ende des Jahres ist noch Zeit.