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Kunst im Wasser-Bau

Das ORNÖ war 2012 nochmal in das Wasserwerk Saloppe gezogen und tat gut daran. Der altehrwürdige Bau mit seinen vielen Zimmerchen und den großen, tiefen Hallen bot den idealen Hintergrund für eine Ausstellung aktueller Kunst, die ich vorab schon mal als gelungen und sehenswert bezeichnen möchte.

 

Empfangen wird man von einer hübschen Arche Noah, einer Doppelskulptur und einer Komposition aus Klobecken und Badewanne. Letztere entfaltet ihre Wirkung sicher erst bei Dunkelheit und fließendem Wasser, weshalb ich mich hier mit einer Bewertung zurückhalten muss. Ich kam schlicht zu früh.

Den linken Eingang wählend, stehe ich vor recht großformatigen Bildern, eines davon namens „Silicon Valley“ lässt ein winziges Männchen mit einer Hebebühne das Dekollete einer überdimensionalen Dame erobern. Naja. Die Spaßgesellschaft verlangt offenbar ihr Recht. Der realistische schweizer Kesselwagen sagt mir mehr zu, ebenso wie das Mädchen mit Krähe.

 

(Ich muss mich hier entschuldigen, dass ich meist weder die Künstler noch die Namen der Werke exakt wiedergebe. Die Suche nach Hinweisen ist mühselig, ich hatte meinen Faultag und einen Katalog oder wenigstens einen Flyer mit einem Ausstellungsplan gibt es nicht. Auch nicht im Netz, schade. So beschränke ich mich in der namentlichen Nennung auf die, die mir am besten gefielen.)

 

Einer davon ist Stephan Popella. Seine vier Gemälde in einem separaten Raum gleich links begeistern mich alle, am meisten das, was ich für mich „zweifelnder Jugendfreund vor Generalsekretär“ nenne.

Gleich daneben der für mich am stimmigsten durchkomponierte Raum, die Künstlerin möge mir verzeihen, dass ich vergaß, ihren Namen zu notieren.

Viktoria Graf fällt mir im Obergeschoss noch auf, mit einem wieder sehr assoziationsreichen Bild, dazu ein Mädchen im roten Kleid mit wehendem Haar und die um einen Tisch versammelten Holzskulpturen.

 

Im ersten großen Raum angelangt, sollte man sich umgehend nach scharf rechts wenden, sehenswerte Bilder und Fotografien (?). Der kleine Junge vor dem Pferdekopf weckt mein Interesse.

Ich steige in die Tiefen des Wasserwerks, eine Künstlerin namens Peggy – Ähh – (auch hier wieder Tschuldigung) bewacht höchstselbst die ihr zugewiesene Industriegrotte und vertreibt sich die Zeit mit Malen. Zu dieser frühen Stunde sind noch recht wenige Besucher unterwegs, da ist der Wachdienst entspannt. Am besten gefällt mir hier eine Art senkrechtes Triptychon voller Weiblichkeit. Das wird mir sicher niemand verübeln.

Auch sehr schön: Ein Trinkbrunnen mit Mosaikkacheln. Der war allerdings schon vorher da und bleibt sicher auch noch länger.

 

Nun ereilt mich aber ein Ärgernis: Minutenlang grübele ich, was wohl die drei grünen Fingermonster für eine Bedeutung haben, bis es dämmert. Der Sponsor lässt grüßen. Ästhetisch ist dies ein Schlag in die Fresse des Besuchers, aber zumindest zeigen sie deutlich, wo der Unterschied zwischen Kunst und Gewerbe liegt. So hat halt alles sein Gutes, und die Nebenkosten müssen ja auch irgendwie bezahlt werden.

In einem Hinterraum treffe ich auf eine kopflose Figur, deren äußere Beschaffenheit an Fußballleder erinnert. Hübsche Assoziationen fallen mir da ein, es ist wohl nicht nötig, die noch extra aufzuschreiben?

 

Noch ein Lieblingsbild: Eine Dame in Dunkelblau beim Lippennachziehen, sie wendet mir den Rücken zu, aber im schrägen Spiegel seh ich ihr Gesicht. Sehr anregend.

Auch der sich nach hinten überbeugende Frauenkörper in der Mitte des Raums ist ansprechend, allerdings von grünglibberigen Sitzpfoten umgeben. Muss man sich halt wegdenken oder die Dinger beiseite räumen.

 

In der dritten und letzten Abteilung, direkt über der Freitreppe fällt zunächst eine wellenartige Installation aus Teebeuteln ins Auge. Vielleicht ist es auch eine Rutsche. Seltsamerweise riecht es gar nicht nach Tee.

Kay Pyta hat einen Raum am Ende der Etage mit seinen Fotografien gestaltet. Ach Augenblick, verweile doch, du bist so schön … Und die Fotos erst. Gänsehaut.

 

Ganz oben unterm Dach dann noch ein Raum, der sich mit der Flu-huut befasst (hätten wir zum Jubiläum das also auch bespielt), mir aber nicht so zusagt. Interessante Zeichnungen von Constanze Deutsch kommen noch, und die Stadtpläne aus Buchstaben, die die jeweiligen Viertel abbilden. Ganz originell, aber eher Gebrauchskunst, auch wenn die Sonderdrucke sicher dekorativ sind.

 

Nach knapp zwei Stunden steh ich wieder im Hof. Das hat Spaß gemacht. Mein zweiter Besuch wird sicher am Abend stattfinden, dann gibt es sicher noch ganz andere Eindrücke.

Hiermit wärmstens empfohlen, das Ganze.

(Nur leider nicht mehr besuchbar, seit Ende August ist Schluss)

 

 

In echt

„Kleider machen Leute“, eine Fotoausstellung von Herlinde Koelbl im Deutschen Hygiene-Museum Dresden, leider schon Geschichte

 

 

Die Idee ist gut. Das Gegenüberstellen von Menschen in ihrer Berufskleidung mit sich selber im Freizeitlook bringt Erkenntnisse. Der einen und der anderen Art.

 

Das Ganze ist etwas militärlastig, klar, hier geht nichts ohne Uniform. Und reichlich „hohe Tiere“ dabei, zu reichlich. Manchmal schälen sich erstaunliche Menschen aus der martialischen Umhüllung, es gilt zumindest ein Vorurteil zu begraben.

 

Es wiederholt sich allerdings häufig, der 20. Soldat mit immer demselben Text ist nicht mehr interessant.

Überhaupt, die Texte. Man hat den Abgebildeten meist keinen Gefallen getan, als man sie über sich schreiben ließ. Banal und erwartbar das meiste, zum Teil auch peinlich. Von der angekündigten Empathie der Fotografin hab ich da nichts bemerkt, ich würde eher „Zur-Schau-stellen“ dazu sagen.

 

Die Ausstellung hat eine klare Botschaft: Der Mensch ist in der Uniform am besten angezogen. Wenn man ihm die Wahl der Kleidung selbst überlässt, kommt oft nichts Gutes dabei raus. Ich hab schon lang nicht mehr so viele schlecht angezogene Leute gesehen.

 

Auch psychisch gibt die Uniform Halt und Stärke. Während die Portraitierten sich im Berufskleid der Würde ihres Standes bewusst sind und das auch in ihrer Körperhaltung ausdrücken, wirken sie auf den privaten Aufnahmen meist linkisch und verkrampft. Nur wenige sind so cool wie der Rechtsanwalt, der keine Freizeitkleidung besitzt und sich folglich nackt präsentiert.

 

Wie schon geahnt, erscheint Bischof Müller privat in seiner Ballonseide auch äußerlich als das, was er sonst nur innerlich ist: Ein prolliger Spießbürger. Man muss ihm dankbar sein für soviel Offenheit.

 

Ein Jäger sieht seinem Hund ähnlich, ein Investmentbanker legt sein aufgeschweißtes Lächeln auch privat nicht ab.

 

Die meisten haben offenbar eine Flucht in die Uniform vollzogen, Identitätsstiftung findet durch Arbeit und Amt statt, weil da sonst nicht viel ist. Wenn sie die Uniform ins Private verlassen, ist dies keine Befreiung, sondern der Verlust der schützenden Hülle.

 

Ist das repräsentativ? Möglich. Zumindest macht es nachdenklich. Braucht der Mensch wirklich diese Herdensymbolik für sein Selbstvertrauen? Das Sein bestimmt das Bewusstsein, ja … Aber das Sein ist doch nicht die Uniform, die man anhat?

 

Die Fotoschnipsel vor der Tür sind lustig, verspielt und machen Lust, sie den gesehenen Bildern zuzuordnen. Ein versöhnender Abschluss.

Von Göttern und Bestien

„Die Leidenschaften“, ein (Ausstellungs-) Drama in fünf Akten im Deutschen Hygiene-Museum Dresden

 

Nein, ich bin kein Museumspädagoge. Auch keine promovierte Kulturhistorikerin. Aber wenn eine Ausstellung so eindeutig auf die darstellende Kunst Bezug nimmt, fühl ich mich doch angesprochen. Und zuständig, auch hier einige Eindrücke aus Laiensicht der aufhorchenden Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen.

 

Das Vorspiel findet in einem barock-plüschigen Foyer statt, es scheint nur ein Garderobier zu fehlen. Immerhin gibt es die Platzanweiserin, auch wenn es an Sitzgelegenheiten mangeln wird in der Folge.

 

Akt Eins, Einführung ins Thema. Eine nüchterne Küche, auch die anderen Räume des (emotionalen) Haushalts sehr spartanisch und aufgeräumt. Ich lerne als erstes, dass der Zorn in der Nase sitzen soll laut Altem Testament und muss unwillkürlich niesen. Der Kindermund in der Ecke ist beim ersten Hören interessant, ab dem zweiten nervt er, nicht nur durch Lautstärke. Schnell weiter.

Die ausgestellten Gefühlsmasken aus dem japanischen Theater wären auch heute hilfreich, finde ich, zumindest für Menschen mit unterentwickelter Mimik. Wo gibt es die denn?

Angstschweiß riecht anders. Ich überlege, wie ich dies durch einen Versuch überprüfen kann. Die experimentelle Psychologie hält auch hier sicher ein Vorbild bereit, näher beschrieben wird aber nur der klassische Pawlow und andere Formen der Konditionierung.

Witzig im besten Sinne: Das riesige Krokodil und das Schälchen Mandeln. Dass Kaninchen zu den sensibelsten Tieren gehören, ist mir neu. Das Killer-Viech bei Monty Python muss da wohl aus der Art geschlagen sein.

 

In der zwoten Abteilung (oder auch Akt) befindet sich ein Teil der Einrichtung in beträchtlicher Schieflage, könnte jederzeit außer Kontrolle geraten. Die Gegenseite ist stabil. Die Schlacht der Definitionen: Sind die Leidenschaften nun der Wind, der die Segel des Lebens füllt oder der Krebsschaden für die praktische Vernunft? Führt Selbstbeherrschung zur Vervollkommnung oder müssen die Triebe ausgelebt werden, um den stoischen Idealzustand zu erreichen? Such dir was aus.

Auch der Dalai Lama und der Papst kommen zu Wort und haben gewohnt Nichtssagendes-Gutklingendes beizutragen.

 

Akt Drei, es scheint ein Orkan durchs Haus gebraust zu sein. Man wird mit „Psycho“ empfangen, auch sonst sind einige Erschröcklichkeiten zu sehen, aber der Putzdienst ist wohl grad durch, alles blitzeblank.

Gegen Angst gibt es immerhin das „Keine-Angst-Licht“, bei Trauer ist das schwieriger. Die Sammlung von Kotztüten ist beeindruckend. Aber das Personal ist ebenso freundlich wie aufmerksam, und mir ist auch gar nicht mehr schlecht.

„Little death“ ist hier der im Zeitraffer gezeigte Verwesungsprozess eines Hasen, das kannte ich bisher anders, aber ein Museum ist ja zur Bildung da.

Der Ekel ist laut Freud Ausdruck verdrängter Triebe, besonders der bürgerlich konditionierte Mensch sei dafür anfällig. Hm, klingt plausibel.

Erwähnenswert weiterhin der „Brustmilchstuhl“ (bitte medizinisch verstehen) und eine original Toilettentür aus einer original Dresdner Schule mit originalen Sprüchen darauf. Ein Feld, das die Wissenschaft m. E. bisher unzureichend beackert.

Nun mein Lieblingsexponat: Der Mimosengarten zum Selbstanbau. Das hab ich mir schon immer gewünscht.

Das sagenumwobene Westpaket (leider ohne den unverwechselbaren Geruch von Sonderangebotskaffee und billigen Seifen) steht hier neben einem Modell der Milchdrüsen mit und ohne Beanspruchung. Warum auch nicht, alles hat mit allem zu tun.

Meinen Sonderpreis erhält der Fernsehbeitrag über Zinedine Zidane und seinen heiligen Zorn. Immer wieder schön anzusehen, wenn auch tragisch im Ausgang. Dann hat wohl die Philosophenschule doch recht, die meint, wir sollten uns im Zaume halten?

 

Vierter Akt, die Ordnung ist wieder hergestellt. Auch ein Beichtstuhl steht bereit. Für Wohlverhalten gibt es einen Bienchenstempel.

Hilfreich dabei, den Bürger zu Ruhe und Obrigkeitstreue zu geleiten, sind u.a. Erziehung, Religion, Arbeit, Ehe, Unterhaltung und Recht und Ordnung. Diese werden ausführlich beschrieben, der Teil zum Sex, der auch dazu gehören soll, fällt dagegen spärlich aus.

Die Schandmaske eines Wildschweins für Mitbürger, die sich entsprechend benehmen, sollte ins Strafgesetzbuch. Man muss sich aber freikaufen können davon, durch Hundehaufen-Einsammeln zum Beispiel.

 

Im fünften Akt bekommen wir eingangs wieder erklärt, was jetzt zu denken ist. Das finde ich minderwitzig. Der Text ist sicher gut gemeint, aber … mir wär es neutraler deutlich lieber gewesen.

Die Idee, auf das bisher durchschrittene Haus nunmehr von draußen zu schauen, ist allerdings grandios und spricht den Voyeur in dir und mir an.

Das „Berner Gebrüll“ kann ich, liebe Museumsleute, nicht mehr hören. Und ich bin mir sicher, dass ich die Mehrheit bin. Es ist einfach genug damit. Gefühlt zehntausendmal hat Rahn dann doch geschossen, und irgendein zehntausendmal den Ball verlierender Bozcik wurde in Ungarn sicher zu Festungshaft verurteilt. Dass Deutschland Weltmeister ist, weiß ich inzwischen, aber auch, dass seitdem noch einige Weltmeisterschaften ins Land gegangen sind. Also, lassen wir alle in Frieden ruhen. Oder nehmen wir zur Abwechslung mal „Liebe junge Väter, taufen sie ihren Sohn ruhig Waldemar …“, ohne jetzt das Geschlechterbild im Sozialismus diskutieren zu wollen.

Die Emphatie wird u.a. vor dem Haus auf den Mülltonnen präsentiert, was sagt uns das? Ein Fenster bleibt verhüllt, dahinter wohnt sicher die Phantasie. Das ist mir das liebste.

 

Einen Moment glaubt man, wieder im Foyer zu stehn, sehr schöne Idee. Man muss dann aber doch den Rückweg durch die Ausstellung antreten, was dem Konzept einigen Abbruch tut. Wem wird schon nach dem Ende einer Oper das Ganze noch mal im Schnelldurchlauf rückwärts gezeigt? Ohne räumliche Gegebenheiten zu ignorieren, aber das ist schade.

 

Sehr sehenswert, sehr anregend, vielleicht ein bisschen zu klinisch rein, die Fülle der Exponate doch etwas fragwürdig. Soweit in Kürze, die Idee des Schauspiels in fünf Akten und die Übertragung des Themas auf einen Haushalt sind aber für sich genommen schon großartig genug, um unbedingt zu einem Besuch zu raten. Bis zum Ende des Jahres ist noch Zeit.