Kunst am öffentlichen Verkehr – legitimes Recht oder illegale Inbesitznahme?
Einige subjektive Betrachtungen, inspiriert von einem mailwechsel
Alles begann mit einem Hinweis auf der Plattform cynal.de:
Conceptual Vandalism
03.12.2012 14:57
“ Eine ganz kriminelle Ausstellung“
Mitte der 1980er schwappte das US-amerikanische Phänomen U-Bahn Wagen zu besprühen nach Europa über. Da es in wenigen Städten großflächige Metrosystem gab, konzentrierte man sich auf andere Nahverkehrsmittel . S-Bahnen und Regionalzüge schienen das perfekte Pendant zu sein, um die amerikanischen Vorbilder zu imitieren. Die Writing Ideologie “Schreibe deinen Namen so oft wie nur möglich auf Züge” wurde dabei übernommen.
Seit 2000 sind neue Tendenzen zu entdecken. Das simple Namedropping wurde einer Gruppe Sprüher zu langweilig. Sie entwickelten neue Strategien auf Zügen zu malen. Bis 2009 war es eine kleine Gruppe an Zugkünstlern, die sich vom klassischen Writing auf Zügen getrennt haben. Seitdem scheinen, durch den Einfluss des Internets, immer mehr Writer das “Züge Verkunsten” als ernsthafte Strategie zu begreifen.
Conceptual Vandalism fasst eine Gruppe Zugmaler zusammen die bereits vor 2009 im non-writing Kontext konzeptuell auf Zügen arbeiteten.
Werke der Ausstellung
Die Originalkunstwerke werden in Deutschland immer binnen kürzester Zeit zerstört. Die Fotografie ist das am weitesten verbreitete Medium zur Dokumentation der Werke.
Deshalb zeigt die Ausstellung vor allem dokumentarische Fotografie. Ergänzt wird der Inhalt durch Skizzen, Objekte, Videos und Internetinhalte.
Künstler
An der Ausstellung beteiligen sich Künstler, die nicht öffentlich in Erscheinung treten. Die Künstler agieren ausschließlich im Untergrund. Zugmalerei ist bis heute illegal und wird strafrechtlich verfolgt.
Kurator: Jens Besser
Der Verfasser fühlte sich berufen, seine Meinung als Kommentar dazuzugeben:
„Züge verkunsten“, so kann man das auch nennen.
Unabhängig vom künstlerischen Wert der Hervorbringungen und von der Diskussion, ob man ohne weiteres anderer Leute / Firmen Eigentum als Grundfläche für seine Arbeiten nehmen sollte: Ich schau gerne aus dem Fenster in der S-Bahn. In der Straßenbahn ist das ja inzwischen meist durch Werbung verklebt.
Was ich wirklich schick fände, wär mal eine farbenfrohe Aufhellung der inzwischen unzähligen Stadtgeländewagen, aber privates Eigentum scheint höher zu stehen als quasi-öffentliches. Schade.“
Der Kurator Jens Besser antwortete prompt und ausführlich. Es entspann sich eine Diskussion per mail, die kurzzeitig und teilweise auf dem blog teichelmauke.me dokumentiert wurde, dort aber wegen einiger Missverständnisse nicht mehr zu finden ist.
Davon angeregt, entstand aber der folgende Text, der nicht den Anspruch haben soll, ein „Urteil“ zu fällen, aber dank der vorausgegangenen Debatte etwas gelassener mit dem Thema umgeht.
Zunächst einmal ist festzustellen, dass wir alle in (rechtlich) sehr geregelten Verhältnissen leben. Für jeden Lebensbereich gibt es unzählige Gesetze, Richtlinien und Vorschriften, und wenn doch mal eine Lücke auftaucht, hilft meist das Bürgerliche Gesetzbuch.
In diesem nimmt das Eigentum einen prominenten Platz ein. Auch durch die Verfassung ist es geschützt, obgleich dort auch die Wendung „Eigentum verpflichtet“ zu finden ist.
Wenn also jemand (A) hergeht, das Eigentum eines anderen (B) mit was auch immer zu versehen, ohne dass ihm dessen Einwilligung vorliegt, ist dies in unserer Gesellschaft Unrecht, und B kann erwarten, dass deren Vollzugsorgane gegen A aktiv werden, um B zu seinem Recht zu verhelfen. So weit, so theoretisch.
Schwieriger scheint die (mentale) Lage zu sein, wenn es sich bei B um ein Unternehmen im Besitz des Staates (also von uns allen) handelt und bei A um einen ambitionierten Künstler, der seinen Werken damit öffentliche Aufmerksamkeit bescheren will, auch, um Nachdenken zu provozieren und für Aufklärung zu sorgen (oder zumindest das, was er dafür hält). A beruft sich dabei auf die Kunstfreiheit und die positiven Reaktionen, die er gelegentlich erfährt.
„Juristisch“ ändert das natürlich nichts, aber darum soll es hier nicht gehen. Ich will ein wenig über die etwaige moralische Rechtfertigung oder mögliche Alternativen nachdenken.
Einen „Notstand“ zu definieren, bei welchem die Gesetze nicht mehr gelten, dürfte selbst dem glühendsten Verfechter dieser Kunstform schwer fallen. Unzweifelhaft ist Kunst dringend notwendig, aber aus der Verhinderung einer sehr kleinen Sparte davon erwächst noch kein Recht zum Regelbruch.
Auch die Krokodilstränen, die wegen der gewöhnlich schnellen Zerstörung dieser Schöpfungen vergossen werden, können mich nicht rühren. Jeder Sprüher weiß das vorher, und jedes infrage kommende Werk mit dem Titel „Kunst“ zu schmücken und ihm damit den Status einer heiligen Kuh zu verschaffen, scheitert an der fehlenden Ausstattung der Fahrzeugwerkstätten mit künstlerischem Fachpersonal.
Hier sei auch auf „Nipple Jesus“ verwiesen, ein Stück von Nick Hornby, das derzeit am Schauspielhaus läuft. Hier ist die Zerstörung (und deren Dokumentation) eines Bildes das eigentliche Kunstwerk, was sich aber sicher nicht 1:1 übertragen lässt.
Berechtigterweise kann man nun einwenden, dass „legal“ diese Kunst so gut wie unmöglich sei, da Unternehmen wie B im Allgemeinen nicht von Leuten geleitet werden, die für ihre Kunstsinnigkeit bekannt sind. Aber auch das reicht als Argument bei weitem nicht aus, die von B meist so genannte „Sachbeschädigung“ zu vollziehen.
Interessanter ist aber die Frage nach einem „öffentlichen Interesse“. Ist es für die Gesellschaft wichtig, solche Kunstformen zu fördern, auch wenn diese sich bisher meist illegaler Methoden bedienen? Hier fällt mir ein „Ja“ nicht schwer, auch wenn die Meinungen über den Grad des Interesses der Öffentlichkeit zwischen Jens Besser und mir deutlich auseinandergehen.
Nur, wie? Natürlich gibt es auch hier Behörden und Institutionen, die sich dafür zuständig fühlen müssten, wir haben ja sogar auch seit mehr als zehn Jahren einen Bundeskultur- äh, Beauftragten. Nur ist es sicher illusorisch zu glauben, dass beispielsweise das Dresdner Kulturamt die Sprayflaschen kaufen würde, mit denen dann nachts die S-Bahn verkunstet wird.
Die Lösung kann ja nur sein, dass diese Institutionen behilflich sind, diese Kunstform in die Legalität zu überführen, indem sie vermitteln, fördern und organisieren. Dass dies ein dickes Brett ist, was zu bohren wäre, weiß ich selbst.
(Ich habe allerdings den leisen Verdacht, ohne ihn mangels Szenekenntnis belegen zu können, dass für einige Akteure dann der Reiz des Nervenkitzels entfiele und sie ihre gewohnte Arbeitsweise fortsetzen würden. Aber das ist nur eine Behauptung.)
Dies hätte übrigens einen weiteren Vorteil: Die Arbeiten würden zuvor kuratiert werden. Ohne jemandem zu nahe treten zu wollen, muss man sich ja doch oft viel Schrott ansehen, auch handwerklich betrachtet (ok, das ist subjektiv).
Das ist nämlich meiner Meinung nach neben der Unrechtmäßigkeit der zweite große Mangel an der aktuellen Situation: Jeder, der sich traut und eine Sprühflache halten kann, verschafft sich ein Podium, egal, ob er eine anspruchslose Sammlung von Tags produziert oder ein ambitioniertes Bild. Ich hatte mich im mailwechsel mit dem Kurator auch schon über die Arroganz jener ereifert, denen das Zuglayout zu langweilig sei und die es deshalb nach eigenem Duktus aufhübschen wollten.
Nicht, dass ich glaube, das oben Geschilderte wäre illusorisch. „Irgendwann“ kann ein solcher Zustand eintreten, Jens Besser erwähnte auch einige entsprechende Aktivitäten. Der Zeitraum bis dahin dürfte allerdings ein großer sein. Also was tun, bis es soweit ist?
Meiner Meinung nach gibt es keine dringende Notwendigkeit, auf Fahrzeuge zu sprühen (die Experten werden vielleicht widersprechen). Die Werke wirken ebenso auf bewegungslosen Flächen, auch wenn sie dort vielleicht nicht dieselbe Reichweite erzielen. Und es gibt überall genug Ruinen, denen eine Gestaltung gut täte (auch dies ist an sich nicht rechtmäßig, aber deutlich unproblematischer).
Nur wird diese meine Meinung die Protagonisten der Szene nicht sonderlich interessieren, es wird also weitergehen mit dem Sprayen, wobei zu hoffen ist, dass parallel eine „legale Szene“ heranwächst, die sich dann – auch dank der zu erwartenden qualitativen Überlegenheit – irgendwann durchsetzen wird.
Dass diese sich dann natürlich aus dem vormals illegalen Agieren herleitet und dort ihre Wurzeln hat, ist unbestritten. Und im Umkehrschluss würde sich daraus auch eine gewisse Legitimation der wilden Sprayerei ergeben, originellerweise aber eben erst in dem Moment, wo genug gesellschaftliche Akzeptanz vorhanden ist. Ich denke, dass es da viele Parallelen zu anderen Entwicklungen gibt, nur leider meist mit dem Unterschied, dass sich die Vorreiter nicht illegaler Methoden bedienten resp. bedienen mussten.
Abschließend: Beim Mailwechsel mit Jens Besser habe ich auf diesem Felde vieles dazugelernt, ich sehe jetzt einiges differenzierter. Zum Konsens sind wir aber nicht gelangt, wie auch.
Ein Zitat von ihm: „Sprüher sehen ihre Werke eben als Kunst und nicht als Vandalismus.“ Ja, gern, aber auch die Kunst heiligt nicht alle Mittel.
Ich wünsche mir sehr, dass es mehr Kunst im öffentlichen Raum gibt, auch auf Fahrzeugen des öffentlichen Verkehrs. Ich denke aber, dass das noch ein langer Weg ist, und ich glaube nicht, dass das eigenmächtige Besprühen von Zügen uns da wesentlich voranbringt. Es verhärtet eher die Fronten. Hier ist Vermittlung gefragt, und vielleicht auch mal eine Art Waffenstillstand.