Mrs. Polly Macheath-Peachum, CEO Bank of Beggars, London-Soho


„Die Dreigroschenoper“, gesehen am 28.09.12 in einer Inszenierung von Friederike Heller am Staatsschauspiel Dresden

Frau Heller setzt konsequent auf Show und Glamour, die Story und die Brechtsche Moral sind eher Nebensache. Das funktioniert theatertechnisch gut, auch von teils sehr guten Darstellern getragen, aber hinterlässt dann doch einen gewissen Phantomschmerz bei mir.

 

2. Rang. Immerhin, überhaupt eine Karte ergattert. Die Beinfreiheit ist wie im Billigflieger, aber dafür hat man einen Blick wie beim Landeanflug, um im Bilde zu bleiben. Das Haus ist voll, auch voller Nachwuchszuschauer, so gehört sich das.

 

Die „Moritat von Mackie Messer“ wird als Reigen angeboten, fast jedeR außer dem Ungeheuer darf mal ran. Das wirkt doch konventionell und über-werktreu, sogar die Strophe mit dem Licht gibt es zu hören.

 

Des Bettlerkönigs Büro, ein armer Schlucker will hier mittun. „Licences only for professionels“, niemand glaubt einem das eigene Elend, deshalb gibt es bei Peachum ein Fremdes.

Das Spiel scheint seltsam statisch, man hangelt sich von Song zu Song. Diese sind zweifelsohne die Highlights bisher.

 

Auftritt der Räuber als Muppets, sie swingen mit Mac und Polly, dann walzert es. Weill ist geduldig.

Hochzeit. Wie oft kommt das schon vor. Und dann in einem Pferdestall? Miss Polly is not amused. So richtig funktioniert die Bande nicht, offenbar schon innere Kündigung. Und Macheath Machtworte verhallen ohne sichtbares Ergebnis.

Es ist eine traurige Fete, bis Polly die Seeräuber-Jenny gibt. Wer hat da geschrieben, Sonja Beißwenger habe gesangliche Defizite? Blödsinn. Wir sind beim Schauspiel, nicht in der Operette.

 

Was ich persönlich sehr schade finde: Christian Friedel versemmelt jenen großartigen Text von Mac, bei dem er im ersten Halbsatz Polly lobt und ihr im zweiten das Singen ein für alle mal untersagt. Das ist leider kaum zu hören.

Nein, Friedel ist auch kein Mackie. Er singt wunderbar, er tanzt, besser tänzelt elegant, er sprüht vor Charme … aber da ist nichts zu sehen von Verschlagenheit und Hinterlist, von Macho und Serienkiller, von Skrupellosigkeit und Machtwillen. Er ist einfach zu lieb, ich glaub es ihm nicht. Oder sollte er so sein? Dann wäre der Rolle aber mächtig Gewalt angetan worden.

 

Dann kommt noch die Obrigkeit in Form von Tiger Brown, dem Sheriff, zur bescheidenen Hochzeit. Der kennt die Gesellschaft aus seinen Akten, ist aber rein privat hier, als Macheath alter Ego. Ahmad Mesghara vertrat souverän den maladen Benjamin Höppner, ohne dabei Bäume ausreißen zu können.

 

Das Ehepaar Peachum keift inzwischen aus der Loge, like the Muppet-Show (ein hübscher, wenn auch verzichtbarer Einfall), aber es hilft nichts mehr. Aus Miss Peachum wurde Mrs. Macheath, die sichtbar noch einige Eingewöhnungsschwierigkeiten im neuen Umfeld hat.

Was tun, wie auch Lenin und Hübner fragen? Jonathan Jeremiah Peachum kennt Tiger Browns dünne Stelle und sticht kräftig rein. Jener fällt um und nach Mackie wird plötzlich gefahndet.

 

Für Thomas Eisens Peachum gilt mit Abstrichen für mich dasselbe wie für Friedels Mackie: Die dunklen Seiten bleiben weitgehend verborgen. So ist der Bettlerkönig eher ein freundlicher Kostümverleiher denn ein gerissener Geschäftsmann. Ganz anders seine Frau Cylia, Antje Trautmann gestaltet sie wunderbar, ohne in eine Karikatur zu verfallen. Und gesanglich spielt sie in einer eigenen Liga.

 

Dass der Text sich weiter zäh gestaltet, liegt sicher auch am Text selbst. Man kann den glaub ich auch ohne Herrn Brecht zu schänden heute etwas kürzen.

 

Herr Macheath wird gewarnt, ziert sich ein wenig und entschließt sich dann doch zu fliehen, erstmal nach Highgate und dann ins Bankgeschäft. Ach Mackie, es hat so kurz gedauert, seufzt eine ahnungsvolle Polly, die das Stück vermutlich auch schon gesehen hat: „So manch großer Geist blieb in ner Hure stecken“. Es folgt die Übergabe der Amtsgeschäfte, die Verwandlung von Mrs. Peachum in ihre neue Rolle ist erstmals zu ahnen. Prima gespielt.

 

Abgang Mackie, aber er kommt nicht weit. Will er ja auch nicht. Jenny und ihre Schwestern im Gewerbe heißen ihn willkommen. Dass jene Huren eingangs nymphengleich auf Schaukeln sitzen und sich im Laufe der Szene in Polizisten verwandeln, ist für mich der beste Regieeinfall des Abends. Hoffentlich wird das in Sachsen nicht als Beamtenbeleidigung ausgelegt.

 

Ein großartiges Duett von Mackie und Jenny, von Sebastian Wendelin mit vollem Körpereinsatz gespielt. Diese Besetzung ist eine tolle Idee, was sich am Abend noch öfter erweisen wird.

Das Duett endet allerdings mit der Zuführung des Ganoven nach Old Bailey. Und zwar nicht zum Baileys-Trinken.

 

„Mac, ich bin es nicht gewesen“, ein sichtlich zerknirschter Brown fleht um Vergebung. Jener revanchiert sich mit einer großen Show, das ist der Platz, auf dem Friedel sich austoben kann. Szenenapplaus, wie vorher auch schon einige Male.

Auftritt einer bonbonfarbenen Lucy, des Tigers Töchterlein. Die hat nun ihre eigenen Interessen, die sie mit einem (gefaketen) runden Bauch untermauert, und nimmt Macheath in Gefangenschaft. Dann kommt auch noch Polly resp. Mrs. Macheath, das Dreckhaufen-Duett beginnt. Sehr schön, auch von Christine-Marie Günther in ihrer ersten großen Rolle am Hause.

Pollys Auftritt wird beendet durch eine Quoten – Darth Vader (Vada?). „Ich bin deine Mutter“ röchelt Antje Trautmann unter ihrem Helm.

Mackie gelingt es, Lucy zu be-, was auch immer, jedenfalls ist er draußen.

 

Ausgeflogen, das Vögelchen, muss auch Peachum erkennen, der zu Besuch kommt. Die Polizei kann da gar nichts machen, bedauert Sheriff Brown.

Das großartige Lied vom Fressen und der Moral ebenso großartig dargeboten. Aber … es mangelt mir im ganzen Stück an Statisten, das nimmt viel Wirkung weg. Sowas muss doch nicht sein, in einer so theaterverrückten Stadt hätten sich doch leicht zwei Dutzend Huren und Bettler gefunden?

Peachum klärt inzwischen mit Brown die Machtverhältnisse. Die schiere Masse des Lumpenproletariats sorgt für Entsetzen beim Sheriff und für die Wende. Aber auch hier alles sehr oberflächlich, fast operettenhaft.

Schön das folgende Bonmot, dass die Menschen zwar ohne Probleme Elend anstiften können, es aber nicht aushalten, es anzusehen. Das „Geschäftsmodell“ der Hilfsorganisationen.

 

Der folgende Salomo-Song, sonst bei mir gefürchtet ob seiner Tonfolgen, wird bei Wendelin zum Genuss.

Macheath wird abermals gewarnt und geht abermals in die Falle, wenigstens die Huren halten sich an die Absprachen. Tja, bevor es Nacht ward, lag er wieder droben, und nun wird es eng. Morgen früh wird Mackie hängen.

Seine Verzweiflung ist nun glaubhaft, zumal sich seine Getreuen langsam abwenden und auch seine liebe Gattin schon als Schwarze Witwe erscheint und sich außerstande sieht, ihm das Bestechungsgeld zu besorgen. Aus ist’s.

(Diese Szene hab ich schon viel viel dramatischer gesehen, vor allem mit den Räubern, aber das war sicher nicht geplant)

 

Noch nicht ganz, den Spannungsbogen hält ein witziges Filmchen. Ja, kann man machen, warum nicht? Will ja nicht immer nur nörgeln.

 

Dann kommt also – nach kurzer Erläuterung des dramaturgischen Ansatzes – der reitende Bote des Königs.

„Anläßlich der Dröhnung ihrer Majestät …“, das wär doch ein hübscher Witz gewesen. Oder vielleicht auch nicht. Jedenfalls wird Macheath begnadigt, geadelt usw.usf.. Die Begeisterung auf der Bühne hält sich aber in Grenzen. Seine Stelle ist schon eingespart, an der Spitze der Organisation steht jetzt seine Fast-Witwe, da ist kein Platz mehr für die alten Halunken. Es wird jetzt nicht mehr eingebrochen, es wird gegründet.

 

Eine Maslowsche Bedürfnispyramide wird zum Ende hochgehalten, sozusagen die Zusammenfassung des Stückes in einem Bild. Langanhaltender Beifall motiviert die Schauspieler zu einer (geplanten) Einzelvorstellung des Ensembles, schöne Idee.

 

Also:

Nicht meine Lieblingsversion, dem Witz fiel oftmals die Tiefe zum Opfer. Aber sehenswert, wenn man sich darauf einlässt. Sonja Beißwenger für mich der unbestrittene Star des Abends, die Wandlung von einem Naivchen zur Gangster-Bossesse war überzeugen.

Thomas Eisen und Christian Friedel kämpften zwar wacker, verloren aber am Ende dann doch deutlich gegen mein Lieblings-Duo Tom Quaas und Tim Grobe, die vor sieben Jahren diese Bretter bespielten. Lag sicher auch an der „taktischen Marschroute“.

 

Übrigens auch wieder ein sehr schönes und informatives Programmheft.

 

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